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Susanne kann den Alltag nur mit Hilfe von Valium und Alkohol bewältigen, Bettina lebt vor allem in der Welt der Bücher, Sonja hingegen hat sich den begehrtesten Junggesellen Münchens geangelt: drei Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Gemeinsam mit ihrer Mutter verbringen sie die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr auf Zypern. Die jungen Frauen machen dort neue Bekanntschaften und beginnen unter deren Einfluss, an ihren Lebensentscheidungen zu zweifeln. Wäre es nicht besser, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen? Die vier Frauen erleben turbulente Tage und jede lüftet am Silvesterabend ein Geheimnis …
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover: Christine Spindler, Foto: privat
Lektorat: Christine Spindler
München 2025
ISBN 978-3-949181-15-3
© Feather & Owl
Ute Hacker, Adamstr. 1, 80636 München
Alle Rechte vorbehalten
Susanne kann den Alltag nur mit Hilfe von Valium und Alkohol bewältigen, Bettina lebt vor allem in der Welt der Bücher, Sonja hingegen hat sich den begehrtesten Junggesellen Münchens geangelt: drei Schwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Gemeinsam mit ihrer Mutter verbringen sie die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr auf Zypern. Die jungen Frauen machen dort neue Bekanntschaften und beginnen unter deren Einfluss, an ihren Lebensentscheidungen zu zweifeln. Wäre es nicht besser, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen?
Die vier Frauen erleben turbulente Tage und jede lüftet am Silvesterabend ein Geheimnis …
Teil 1: Susanne
I
II
III
IV
Teil 2: Bettina
V
VI
VII
VIII
Teil 3: Sonja
IX
X
XI
XII
Teil 4: Angela
XIII
XIV
XV
XVI
Teil 5: Familiengeheimnisse
XVII
XVIII
XIX
XX
Nachwort
Die Autorin
Weitere Bücher von Ann E. Hacker
Das Rauschen in ihren Ohren wurde kurzfristig übertönt von dem Lärm, der um sie herum herrschte. Lautsprecheransagen wechselten sich ab mit Kindergeheul, Menschen telefonierten oder stießen Freudengeschrei beim Wiedersehen aus.
Susanne ließ ihr Gepäck fallen und starrte auf die Anzeigetafel. Von wo ging der verdammte Flug nach Zypern? Wo musste sie einchecken? Und überhaupt – wer hatte die Schnapsidee gehabt, ausgerechnet am zweiten Weihnachtsfeiertag in den sonnigen Süden zu fliegen?
»Warte auf mich!«, rief eine ältere Frau, der Sprache und Kleidung nach zu schließen Amerikanerin. »Ich finde meine Brille nicht mehr.«
Ihr Mann, bepackt mit Taschen und Koffern, drehte sich um und bedachte sie mit einem bösen Blick.
»Sie ist auf deinem Kopf, wie immer«, murrte er und schnitt eine Grimasse in Richtung Susanne. Sie wagte ein flüchtiges Lächeln.
Ob Richard und ich auch mal so werden?
Sie wandte sich schnell ab. Sie wollte jetzt nicht an ihren Mann denken.
»Kann ich Ihnen helfen?« Ein freundlich aussehender junger Mann in Uniform stand vor ihr und lächelte sie liebenswürdig an.
»Ähm, ja«, stammelte Susanne. »Ich suche den Check-in-Schalter für den Flug nach Zypern.«
»Den finden Sie gleich dort vorne.« Der junge Mann zeigte in die Richtung, aus der Susanne gekommen war. »Sie sollten sich beeilen, der Schalter schließt in Kürze.«
Susanne bedankte sich, schulterte ihre Reisetasche und nahm den Griff ihres Rollkoffers. Natürlich rutschte die Tasche von der Schulter, aber Susanne stürmte los – und prallte direkt in einen gut angezogenen Herrn.
»Hey, nicht so eilig, junge Frau!« Der Mann war mindestens zwei Meter groß.
»‘tschuldigung.« Susanne versuchte verzweifelt, die Tasche zurück auf ihre Schulter zu bugsieren. Dann besann sie sich ihrer Erziehung. Immerhin hatte sie den Mann angerempelt.
»Tut mir leid«, sagte sie und schaute ihm ins Gesicht. »Ich bin etwas in Eile, ich suche meinem Check-in-Schalter …«
Hilflos deutete sie nach vorn.
»Wo fliegen Sie denn hin?« Der Mann nahm ihr sanft den Koffer aus der Hand und stellte ihn neben sie. Dankbar ließ Susanne die Tasche auf den Boden gleiten.
»Zypern«, erwiderte sie. »Ich fliege nach Zypern, zu einer Art Familienfest.«
»Wie nett.« Er klang begeistert. »Ich war letztes Jahr dort. Es gibt wunderbare Golfplätze.«
Susanne fand, dass sie lange genug Höflichkeiten ausgetauscht hatten. Der Schalter würde bald schließen; wie sollte sie nach Zypern kommen, wenn sie den Flug verpasste?
»Ich spiele kein Golf«, sagte sie und musste wieder an Richard denken. Er hatte vor zwei Jahren mit dem Spielen angefangen, aber bisher nicht gefragt, ob sie es auch gern lernen würde.
Denk nicht dran, ermahnte sie sich.
»Tut mir leid, aber ich muss wirklich los.« Sie ließ den Mann stehen, drehte sich jedoch nach ein paar Schritten um. »Ich muss einchecken.«
Er wollte offensichtlich noch etwas sagen, aber Susanne war schon weitergehastet. Sie durfte sich jetzt nicht mehr ablenken lassen. Ihr Ziel war der Check-in-Schalter.
Da sah sie das Bistro.
Nur ein Glas zur Beruhigung, sagte sie sich und steuerte auf den Stand zu.
»Ein Glas Sekt, bitte.«
»Wir haben nur Prosecco«, sagte die Bedienung.
»Auch recht.« Susanne setzte sich auf einen Barhocker und zückte einen Zwanzigeuroschein. »Machen Sie gleich zwei Gläser.«
Es war ihr egal, ob die Bedienung sich darüber wunderte, dass jemand am frühen Morgen zwei Gläser Prosecco trinken wollte. Sie brauchte das jetzt.
Das erste Glas leerte sie in einem Zug, was zur Folge hatte, dass sie rülpsen musste. Sie schaffte es gerade noch, die Hand vor den Mund zu halten. Die Bedienung lächelte, Susanne schnitt eine Grimasse. Das zweite Glas trank sie langsamer.
»Geben Sie mir noch eins«, sagte sie und holte ein Valium aus ihrer Handtasche. Sie spülte die Tablette mit zwei Schluck Prosecco hinunter. Bis die Wirkung des Valiums einsetzte, würde der Alkohol sie beruhigen. Ein lang bewährtes Rezept.
»Sind Sie verrückt?« Neben ihr stand eine stark geschminkte Frau in den Vierzigern, deren süßliches Parfüm Susanne unangenehm in die Nase stieg. »Sie sind ja wohl alt genug, um zu wissen, dass man Medikamente nicht mit Alkohol einnimmt.«
Susanne hatte allmählich die Nase voll von all den Leuten, die sich ständig in ihre Angelegenheiten mischten.
»Lassen Sie mich in Ruhe!«
Ihre Worte klangen bereits leicht verzerrt; es war ihr gleichgültig, ob das am Prosecco oder am Valium lag. Nur noch ein paar Minuten, und sie könnte endlich entspannen.
»Wenn Sie sich umbringen wollen, sollten Sie das nicht in der Öffentlichkeit tun, wo jeder Sie sehen kann.«
Susanne seufzte. Die Frau schien nicht klein beigeben zu wollen.
»Das geht Sie gar nichts an«, sagte sie brüsk. »Lassen Sie mich einfach in Ruhe und scheren Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten.«
Sie rutschte vom Hocker und wäre gestürzt, wenn die Frau sie nicht festgehalten hätte.
»Ups.« Susanne musste wider Willen kichern. Ihre Beine fühlten sich wie Watte an.
»Danke.« Auch wenn sie völlig benebelt war, wusste sie doch, was sich gehörte.
»Alles in Ordnung?« Die Stimme der Frau klang jetzt eher besorgt als empört.
Nein, nichts ist in Ordnung!Ich will nach Hause, in mein Bett, und einfach nur schlafen. Stattdessen muss ich nach Zypern fliegen. Ich weiß noch nicht mal, wo dieses verdammte Zypern liegt!
Ihr eigentliches Ziel fiel ihr ein.
»Ich muss einchecken«, sagte sie und schüttelte ein paar Mal den Kopf, um wieder zu sich zu kommen.
»Wo fliegen Sie hin?«
»Zypern. Der Check-in-Schalter ist dort drüben.« Sie deutete in die Richtung, die ihr der junge Mann in Uniform gezeigt hatte.
»Hm. Sie sollten sich beeilen. Der Schalter schließt in zehn Minuten.«
Susanne rührte sich nicht von der Stelle.
»Haben Sie gehört?« Die Frau zupfte an Susannes Mantel.
»Mein Gepäck«, sagte Susanne tonlos. »Ich habe mein Gepäck verloren.«
Sie hätte es wissen müssen. Sie war nicht in der Lage, so etwas durchzuziehen. Wie war sie nur auf die Idee gekommen, sie könnte das alles allein managen?
»Wo haben Sie es zuletzt gesehen?«, fragte die Frau. »Übrigens, mein Name ist Vivien. Ich fliege ebenfalls nach Zypern.«
»Susanne. Freut mich.«
»Freut mich auch«, sagte Vivien. »Wo könnte Ihr Gepäck sein?«
Susanne versuchte, sich zu erinnern. Sie war mit dem Taxi zum Flughafen gefahren, da wegen der frühen Uhrzeit noch keine Busse unterwegs waren. Der Taxifahrer hatte das Gepäck im Kofferraum verstaut. Dann hatte sie vor dem Flughafengebäude gestanden und nicht recht gewusst, wie es weitergehen würde. Bisher hatte Richard alles auf ihren Reisen geregelt, sie war mit den Kindern hinterhergedackelt.
Das hast du jetzt davon, dachte sie bitter.
»Susanne?« Viviens Stimme drang an ihr Ohr. »Wo ist Ihr Gepäck?«
»Ich versuche, mich zu erinnern!«, herrschte Susanne sie an, um sich sofort zu entschuldigen. »Ich weiß, Sie wollen nur helfen.«
Der Mann vorhin!
»Da war dieser Typ; er sah aus wie ein Manager, dunkler Anzug, schicke Schuhe«, sagte sie aufgeregt.
»Und?« Vivien schaute sie erwartungsvoll an.
»Ich bin mit ihm zusammengestoßen.« Susanne schloss die Augen, um sich besser erinnern zu können.
Die Lautsprecher knackten.
»Frau Susanne Möller, gebucht auf den Flug Nummer AB 6707 nach Paphos, bitte kommen Sie umgehend zu Gate 4. Ms Susanne Möller … «
»Das bin ich!«, rief Susanne nervös.
»Haben Sie irgendeine Idee, wo Ihr Gepäck sein könnte?«
Susanne nickte. »Es war nur ein paar Meter von hier, wo wir zusammengestoßen sind.« Sie zeigte zu der Stelle, doch von ihrem Gepäck war nichts zu sehen.
»Okay.« Vivien packte sie energisch am Arm. »Jetzt gehen wir erst mal zum Schalter und klären das mit dem Check-in. Dann versuchen wir, Ihr Gepäck zu finden.« Sie zog Susanne mit sich. »Kommen Sie!«
Widerwillig lief Susanne hinter ihr her. Immer wieder drehte sie sich um, um Ausschau nach ihrem Gepäck zu halten, doch es war nirgends zu sehen.
Teilnahmslos stand sie daneben, als Vivien mit der Stewardess am Schalter sprach und sie beschwor, eine Ausnahme zu machen.
»Ihr geht es nicht gut, deshalb ist sie so spät dran.«
»Wenn es ihr nicht gut geht, sollte sie besser gar nicht fliegen«, erwiderte die Stewardess ungerührt und beobachtete Susanne argwöhnisch.
Vivien konnte sie schließlich davon überzeugen, dass Susanne nur vorübergehend unpässlich war.
»Wir sind in fünf Minuten zurück zum Einchecken, versprochen.« Sie zog Susanne erneut mit sich.
Vivien schien ein Organisationstalent zu sein, denn sie schaffte es innerhalb weniger Minuten, den Schalter ausfindig zu machen, an dem herrenloses Gepäck aufbewahrt wurde.
»Sie haben Glück, dass wir es nicht gesprengt haben.«
Der Mann am Schalter händigte Koffer und Tasche aus, nachdem Susanne ihr Gepäck identifiziert und sich ausgewiesen hatte.
»Vielen Dank«, sagte sie mechanisch und trottete hinter Vivien her zum Check-in.
Das Valium wirkte endlich; alles, was sie wollte, war schlafen. Dazu hatte sie im Flugzeug hoffentlich ausreichend Gelegenheit.
»Boarding completed«, sagte die Stewardess in ein Mikrofon, als sie den Flieger betraten.
Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie ohne mich geflogen wären, dachte Susanne.
Vivien hatte jedoch offensichtlich etwas dagegen. Sie hatte Susanne die ganze Zeit am Arm gehalten und bugsierte sie nun durch den schmalen Flugzeuggang zu ihrem Platz. Susanne zwängte sich an einer älteren Frau vorbei, ließ sich auf den Fensterplatz plumpsen und lehnte den Kopf an das kalte Plastik. Jetzt schlafen …
»Das hätten wir«, sagte Vivien zwei Minuten später und ließ sich mit einem zufriedenen Grinsen neben Susanne nieder. Die ältere Dame war verschwunden.
»Ich habe mit dem Steward gesprochen, er hat den Tausch der Plätze veranlasst. Jetzt sitzen wir nebeneinander und können uns nett unterhalten.« Sie verstaute eine voluminöse Handtasche unter dem Sitz des Vordermanns und schnallte sich an. »Es ist viel netter, zusammen mit jemandem zu fliegen. Die Zeit vergeht dann wie im Flug.« Sie kicherte über den Wortwitz.
Susanne wandte sich dem Fenster zu und schnitt eine Grimasse. Sie würde einfach so tun, als ob sie schliefe, vielleicht würde Vivien endlich ihre Klappe halten.
Doch die Frau schien gar nicht daran zu denken. Offensichtlich hatte sie sich vorgenommen, Susanne zu bekehren. Sobald sie in der Luft waren, sagte sie: »Ihnen ist hoffentlich bewusst, wie gefährlich es ist, Medikamente in Kombination mit Alkohol einzunehmen. Ich will gar nicht wissen, was für eine Tablette das war.«
Werd ich dir auch nicht sagen. Es geht dich nichts an.
»Ich weiß, wovon ich rede«, fuhr Vivien ungerührt fort. »Mein Mann war Alkoholiker. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich es erkannt habe, aber als ich es herausfand, habe ich ihn auf der Stelle verlassen. Das ist jetzt zwei Jahre her.«
Susanne sah Hamburg unter Wolken verschwinden; es kam ihr auf einmal wie ein endgültiger Abschied vor. Sie kämpfte gegen eine aufkommende Panik an, die die Wirkung des Valiums und des Alkohols massiv beeinflussen würde.
Horrorszenarien zogen vor ihrem inneren Auge vorbei: Richard und die Kinder verunglückten auf dem Weg zur Skihütte. Aber nein, das war nicht möglich. Sie waren bereits gestern gefahren und gesund und munter angekommen. Susanne musste lächeln, als sie an Ricos Begeisterung über den vielen Schnee dachte.
Sie würde auf dem Weg nach Zypern abstürzen. Es war unwahrscheinlich, aber durchaus möglich. Vielleicht sogar wünschenswert, um Viviens nervige Stimme aus dem Ohr zu bekommen.
Susanne hätte ihr gerne gesagt, sie solle endlich den Mund halten, aber dazu war sie nicht mehr benebelt genug. Wann kamen die Stewardessen mit den Getränken?
Konnte Vivien Gedanken lesen?
»Kein Alkohol für meine Freundin«, sagte sie bestimmt, als das Bordpersonal mit seinen Wägelchen den Gang entlangkam und Susanne Rotwein orderte. »Für heute hat sie genug.«
Mit zusammengebissenen Zähnen nahm Susanne eine kleine Flasche Wasser entgegen. Es war vermutlich das Beste, sich einfach in ihr Schicksal zu ergeben. Die paar Stunden bis Zypern würde sie irgendwie überstehen, und dann sah sie Vivien nie wieder.
»Danke. Ich schätze, ich brauche jemanden, der auf mich aufpasst.«
Vivien quittierte es mit einem zufriedenen Lächeln.
»Leben Sie allein?«
Susanne schüttelte den Kopf. »Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Einen Jungen und ein Mädchen, Rico und Eliza.«
»Wo ist Ihre Familie?«, fragte Vivien erstaunt.
»Oh, sie sind beim Skifahren, wie jeden Winter.«
»Und sie haben Sie nicht mitgenommen?«
Susanne dachte kurz an den heftigen Streit, den sie und Richard gehabt hatten, als sie ihm von Bettinas Plänen berichtet hatte.
»Deine Mutter ist alt genug, sie braucht euch nicht als Kindermädchen«, hatte er gesagt. »Und überhaupt ist Weihnachten – sollten wir das nicht zusammen feiern? Immerhin sind wir eine Familie!«
Susanne erinnerte sich daran, dass sie für einen Moment gedacht hatte: Sind wir das? Aber sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass es keinen Zweck hatte, es laut zu sagen.
»Wir feiern Weihnachten zusammen, wie immer. Ihr fahrt am ersten Feiertag in die Schweiz und ich fliege am 26. nach Zypern«, hatte sie erwidert. So hatte sich Bettina es ausgedacht.
Sie wandte sich Vivien zu. »Wir haben eine Art Familienfeier auf Zypern. Ich treffe mich dort mit meiner Mutter und meinen Schwestern.«
»Wie schön!«, rief Vivien. »Ist es eine Art Wiedervereinigung?«
In gewisser Weise ja, dachte Susanne und nickte.
Bettina, Sonja und ihre Mutter Angela lebten nach wie vor in München, während sie Richard nach Hamburg gefolgt war.
»Warum ist Ihre Familie nicht mitgekommen?«
»Wir wollten es ohne Männer machen«, sagte Susanne. »Mein Vater ist vor fast zwei Jahren gestorben und meine ältere Schwester findet, es ist an der Zeit, dass unsere Mutter endlich auf andere Gedanken kommt.«
»Wie alt ist Ihre Mutter«
»Sie ist erst fünfundfünfzig.«
»Das ist jung genug, um nochmal zu heiraten«, sagte Vivien. »Ist Ihre Schwester verheiratet?«
»Nein. Sie ist immer noch ledig. Ich frage mich, ob sie jemals heiraten wird.«
Bettinas Leben drehte sich nur um ein Thema: Bücher. Sie war eine äußerst erfolgreiche Lektorin in einem großen Verlag und hatte in den letzten Jahren ein unglaubliches Gespür für junge deutsche Autoren entwickelt. Drei Bestseller hatte sie ihrem Verlag bereits beschert. Beim letzten Telefonat hatte sie erstaunt von mehreren Headhunter-Anrufen berichtet.
»Ich werde nie wieder heiraten«, sagte Vivien in ihre Gedanken hinein. »Wie ich Ihnen erzählt habe, war mein Mann Alkoholiker – ist er immer noch. Er war mal ein sehr attraktiver Mann, der viel Geld verdiente. Die ersten Jahre waren ziemlich hart, aber wir waren jung und verliebt. Der erste Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.«
Sie habe lange gebraucht, bis sie dahintergekommen sei, dass er den Stress mit Alkohol kompensierte. Das allein wäre auch noch akzeptabel gewesen. Doch dann habe er mit dem Spielen angefangen und beinahe das ganze Vermögen verprasst.
»Und was haben Sie gemacht?« Susanne fragte mehr aus Höflichkeit denn aus Neugierde.
»Ich habe ihn verlassen. Ich habe ihm einmal gesagt, dass ich gehe, wenn er sich nicht ändert. Er hat weitergetrunken, also habe ich ihn verlassen.«
»Sind Sie geschieden?«
Vivien schüttelte den Kopf. »Wir sind immer noch verheiratet. Aber ich habe die komplette Kontrolle.« Sie beugte sich verschwörerisch zu Susanne. »Und ich kann Ihnen sagen: Ich genieße es.«
Das konnte Susanne sich lebhaft vorstellen. Nicht nur trug Vivien teuer aussehenden Schmuck, sie war sorgfältigst blondiert und jedes Haar lag da, wo es liegen sollte. Ihre Hände waren perfekt manikürt, die Nägel rot lackiert. Ihre Haut hatte einen bronzenen Schimmer, ihre Kleidung wirkte schlicht und dennoch elegant. Alles an ihrem Auftreten verriet, dass Geld dahintersteckte.
Es war nicht so, dass Susanne keine teuren Klamotten im Schrank hätte. Als Chefarztgattin musste sie schließlich auch repräsentieren. Doch in den letzten beiden Jahren hatte Susanne immer weniger Lust gehabt, die Frau an Richards Seite zu spielen.
Sie wusste seit langem, dass er ein Verhältnis hatte, mit wem auch immer. Das Schockierende daran war allein die Erkenntnis, dass es ihr vollkommen gleichgültig war.
Wie in vielen Ehen blieben sie nur wegen der Kinder zusammen. Rico mit seinen zehn Jahren würde eine Scheidung vermutlich einigermaßen verkraften, aber Eliza? Sie war erst acht und zart besaitet.
Susanne kämpfte mit den Tränen, als sie an ihre Tochter dachte. Es war schwer gewesen, ihr klarzumachen, dass sie dieses Jahr nicht mit in die Schweiz fahren würde.
»Oma braucht mich«, hatte sie zu einer Notlüge gegriffen.
»Haben Sie Kinder?«, fragte sie Vivien, um sich abzulenken.
»Nein, zum Glück nicht.« Vivien hob die beringten Hände. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich liebe Kinder. Wir hatten auch welche geplant, aber es sollte nicht sein.« Sie seufzte. »Im Rückblick muss ich zugeben, dass es so besser war.« Sie schaute Susanne an. »Wie alt sind Ihre Kinder?«
»Rico ist zehn, Eliza acht.« Susanne verspürte plötzlich das Bedürfnis, Vivien ein Foto der Kinder zu zeigen. Doch ihre Handtasche lag über ihnen im Gepäckfach.
»Sie vermissen sie«, sagte Vivien erstaunlich verständnisvoll.
Susanne nickte nur. Es war nicht das erste Mal, dass sie und die Kinder getrennt waren, aber irgendwie fühlte es sich diesmal anders an.
»Wie lange bleiben Sie auf Zypern?«, fragte Vivien.
»Eine Woche.«
»Dann bleibt nicht viel Zeit, einen neuen Mann für Ihre Mutter zu finden.« Vivien lachte.
»Ich glaube nicht, dass wir dort einen Mann für sie finden werden«, erwiderte Susanne genervt. »Vielmehr wollen wir ihr zeigen, dass ein Leben ohne unseren Vater, ihren Mann, auch schön sein kann.«
»Die Männer auf Zypern sind nicht allzu schlecht«, sagte Vivien. »Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.« Sie lächelte geheimnisvoll.
Susanne sehnte sich nach einem Glas Wein oder Sekt, doch die Stewardessen ließen sich nicht mehr blicken. Außerdem hätte Vivien es sicher nicht zugelassen. Das Valium steckte sicher verwahrt im Gepäckfach.
Ich könnte aufs Klo gehen, dachte Susanne. Aber sie hatte keine Lust, sich wie ein dummer Teenager zu benehmen.
Ich bin Anfang 30! Es ist lächerlich, dass ich mich von dieser Kuh so aus der Fassung bringen lasse.
Dennoch war sie auch dankbar für Viviens Gesellschaft, denn der Flug war bislang tatsächlich schnell vergangen. Hinter einem der osteuropäischen Länder – war es Rumänien oder Bulgarien? – war die Wolkendecke aufgebrochen und gab braune Landschaft, schneebedeckte Berge und inzwischen auch blaues Meer frei.
In knapp einer Stunde würden sie landen. Susanne lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Vivien tätschelte ihre Hand. »Machen Sie sich keine Gedanken, alles wird gut. Aber Sie sollten etwas bezüglich Ihres Alkoholproblems unternehmen. Lassen Sie nicht zu, dass es Ihr Leben ruiniert.«
»Ich habe kein Alkoholproblem«, widersprach Susanne und zog ihre Hand weg.
Allmählich fing Vivien an zu nerven. Es wurde Zeit, dass sie nach Zypern kamen. Ein kurzer Transfer zum Hotel und dann entspannen.
Erleichtert sah Susanne Vivien nach. Endlich war sie diese anstrengende Frau los! Sie schulterte ihre Tasche und nahm den Griff des Rollkoffers in die Hand. Obwohl sie nicht geschlafen hatte, fühlte sie sich fit. Vielleicht war es gar nicht so schlecht gewesen, dass Vivien ihr keinen Alkohol mehr genehmigt hatte.
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