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Ideen sind von Natur aus virtuell-dialogisch: Der eine Einfall ruft ein Gegenüber herbei, das sich sogleich bereitstellt. Auf diese Weise entsteht ein Wechselspiel, einem dialektischen Dreischritt gleich. Dieselben Ideen sind aber auch dialogisch, weil es zu ihrem Wesen gehört, einen anderen Denkenden herauszufordern und sich an seiner Entgegnung zu messen. Denn Schreiben konstituiert nie etwas Endgültiges; es vermittelt nur Impulse und ist, um mit Lyriker Günter Kunert zu sprechen, «ein unaufhörlicher Anfang, ein immer neues erstes Mal, wie Beischlaf oder Schmerz». Die vorliegende Sammlung von Erlesenem und Erdachtem will ebenfalls in diesem Sinne verstanden werden: als eine Ansammlung von Anstössen zum Weiterdenken, die durchaus auch provozieren möchten.
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Seitenzahl: 378
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1.
Von den Ideen
1.1. Phänomenologie des Erlebnisses und der Idee
1.2. Niederschrift: Durch Schreiben zum Selbst
1.3. Ideen - Niederschrift und Psychohygiene
1.4. Mythoclasmus: Ideen im Widerspruch
1.5. Wenn Ideen ausbleiben
2.
Philosophie
2.1. Das philosophische Fragen
2.2. Das erkennende und erfühlende Subjekt
2.3. Das Numinose
2.4. Die Existenz
2.5. Freiheit und Verantwortung
2.6. Der Andere
2.7. Liebe
2.8. Moral
2.9. Gedanken zur Zeit, Kairos und Chronos
2.10. Ästhetik
2.11. Denker und Systeme
3.
Religion
3.1. Religion und Individuum
3.2. Religionsgeschichte, Religion und Gesellschaft
3.3. Religion und Wahrheit
4.
Trauer, Alter und Tod
5.
Gesellschaft
6.
Politik
7.
Erziehung / Bildung
8.
Kulturentwicklung / Geschichte
9.
Kunst
10.
Sprache
10.1. Sprache und Kunst
10.2. Sprachvertrauen
10.3. Sprachnot
10.4. Sprache und Wahrnehmung
10.5. Sprachgrenzen
10.6. Ambivalenz der Sprache
10.7. Sprache und Macht
10.8. Sprache und Kultur
11.
Literatur
11.1 Literatur und ihr Gegenstand
11.2. Literatur und das Schöne / Schreckliche
11.3. Form und Inhalt
11.4. Technik
11.5. Literatur: Sinn und Zweck
11.6. Der Autor
11.7. Literaturvermittlung / -kritik
11.8. Einzelne Autoren
11.9. Mythologie
11.10. Kinderliteratur
11.11. Lesen
Bibliografie
Schon der Gelehrte Erasmus hielt seine Schüler in De Copia an, wichtige Stellen in ihren Büchern zu kennzeichnen. Sie sollten ungewöhnliche Ausdrücke, überraschende Wendungen und wichtige Ideen mit Merkzeichen am Rand des Textes versehen, um sich später besser an sie erinnern zu können. Er riet zudem jedem, Lehrern wie Schülern, eine nach Themen geordnete Kladde zu führen, um sich wichtige Erkenntnisse aus ihrer Lektüre besser merken zu können. Für ihn waren diese Notizen die «Blumen», die von den Seiten eines Buches «gepflückt» wurden, um sie sodann auf den «Seiten des Gedächtnisses» aufzubewahren. Eine solche Niederschrift war für ihn der erste Schritt in einem Prozess, der bei erneuter Durchsicht zu einem tieferen und persönlicheren Verständnis der Lektüre führen würde. In ähnlicher Weise dachte auch Seneca. Er empfahl, dass es der Leser den Bienen gleichtun solle, indem er vom Gelesenen zunächst das Wertvolle in kleine Zellen ablegt, weil sich das so Gesammelte besser aufbewahren lasse. In einem zweiten Schritt müssten dann die verschiedenen Nektare mithilfe der Geistesfähigkeiten zu einem süssen Brei vermengt werden. Somit wird der geneigte Leser in der vorliegenden Sammlung von Notaten meine «Blumen» und «Nektare» aus den Jahren 2010 bis 2014 vorfinden.
Ideen sind von Natur aus virtuell-dialogisch: Der eine Einfall ruft ein Gegenüber herbei, das sich sogleich bereitstellt. Auf diese Weise entsteht ein Wechselspiel, einem dialektischen Dreischritt gleich. Dieselben Ideen sind aber auch dialogisch, weil es zu ihrem Wesen gehört, einen anderen Denkenden herauszufordern und sich an seiner Entgegnung zu messen. Denn Schreiben konstituiert nie etwas Endgültiges; es vermittelt nur Impulse und ist, um mit Lyriker Günter Kunert zu sprechen, «ein unaufhörlicher Anfang, ein immer neues erstes Mal, wie Beischlaf oder Schmerz». Die vorliegende Sammlung von Erlesenem und Erdachtem will ebenfalls in diesem Sinne verstanden werden: als eine Ansammlung von Anstössen zum Weiterdenken, die durchaus provozieren möchten.
25.09.2011
Kreativität im transzendentalen Selbstbewusstsein. Versuch einer stark vereinfachten Kategorisierung:
Neurologie
1)
Prozesse
Philosophie
Dinge an sich / Lebensstrom
Schallwellen, Photonen, Duftmoleküle, taktile Reize, chemische und neuronale Kanäle
Sinne werden affiziert (auch durch die virtuellen Sinne im Unterbewusstsein. synästhetische Empfindung
Diffuse Sinneswahrnehmung Bewusstseins-strom.
retikuläres Aktivierungssystem, Hypothalamus Thalamus (Filter) Amygdala
. Erscheinung / Wahrnehmung (Dilthey: Erlebnis) Emotionen
Anschauungen, Raum und Zeit, Kausalbeziehungen, angeborene Ideen, Schemata, Geone, Chromatisierung
Insula Cingulum (Filter), orbito-frontaler Cortex/ Hippocampus Amygdala
Das elementare Verstehen Abstraktion / Subjektivierung Gefühle
Logisches und technisches Verstehen, Erlebnisausdruck (Dilthey)
orbito-frontaler Cortex/ Hippocampus, episodisches, semantisches Gedächtnis
Verstand Begriffe / Fantasie Gedanken (=Konsequenzen der Gefühle)
Unbewusste Erinnerung/ produktive Einbildungskraft, Antizipation
Cingulum Frontalcortex Arbeitsgedächtnis
Denken / Vernunft (kann das Denken selbst zum Gegenstand haben) Urteile
Wahrnehmung vom Widersprüchlichem → höheres Verstehen
Grenzen der Vernunft nach Kant: regulative Ideen (Gott, Seele, Freiheit)
1) Lokalisation in den von Brodmann definierten Arealen und eine quantitative Erfassung durch EEG und Ereigniskorrelierte Potentiale (EKP) werden in dieser vereinfachenden Darstellung nicht dargestellt.
Prozessregeln:
Alle Vorgänge können sequenziell oder simultan (parallel), bidirektional, vielstufig, konkurrierend oder koordiniert sein. Falls sie sequenziell sind, lassen sie sich mit Evozierten Potenzialen messen (EKP).
Ökonomieprinzip: Am Ende der Skala muss eine praktische Handlungsanweisung stehen, die über das Nervensystem den Gliedern weitergeleitet wird. Das Denken muss die Wirklichkeit vereinfachen, damit das Handeln nicht behindert wird.
Homöostase: Die Energiemenge im Gehirn bleibt konstant. Wird ein Areal überaktiviert, muss die Energiemenge in einem kollateralen Areal geringer ausfallen.
Der kreative Künstler geht oft den Weg der Erkenntnis oder des Erfühlens zurück, indem er mit seiner Phantasie das Denkgebilde anreichert und Kunstdinge kreiert, die wieder synästhetische Empfindungen auslösen. Dies gelingt ihm mit der Gabe der "Negative Capability". Denn die reelle Welt ist widersprüchlich und im Gegensatz zum handelnden Menschen, der die Wirklichkeit vereinfachen und seine Sinneseindrücke vereinheitlichen muss, will der Künstler zu den ersten rohen Eindrücken zurückfinden, die in der Regel paradox sind.
Dilthey: Erlebnis und Erlebnisausdruck: In der Biografie werden die Erlebnisse nicht additiv aneinandergefügt, sondern jedes Erlebnis wird in einen Bedeutungszusammenhang integriert.
Dilthey: Das höhere Verstehen entsteht, wenn das naive
Verstehen gestört ist.
06.2.2012
Bewusstseinsebenen: Epstein schreibt, dass sich das begriffliche Denken auf der vorbewussten Ebene von dem auf der bewussten oder unbewussten unterscheidet; er betont, wie wichtig es ist, zu verstehen, dass jede der drei Arten von Denken ihre eigenen logischen Regeln und besonderen Adaptationsfunktionen hat. Jeder Bewusstseinsbereich ist mit einem anderen Begriffssystem verbunden. Auf der Stufe des Bewusstseins finden wir, was Epstein das “rationale Begriffssystem” nennt; auf der Stufe des Vorbewussten das “experimentelle” oder “affektiv-begriffliche System”; und auf der Stufe des Unbewussten das "assoziative Begriffssystem”. Während sich die drei Bereiche des Bewusstseins auf einem Kontinuum befinden, das bestimmt ist von der Zugänglichkeit zum Bewusstsein, sind die drei Begriffssysteme funktionell völlig verschiedene - wenn auch voneinander abhängige - Operationssysteme". (nach Feinstein und Krippner 1987, S. 93).
Platons Seelenschichten:
"Der Erste war nach unserer Ansicht der Teil, vermöge dessen der Mensch lernt (vernunftbegabter Teil); der Zweite der, durch den er sich ereifert (emotionaler Teil). Den Dritten aber konnten wir seiner Vielgestaltigkeit wegen nicht mit einem einzigen, seine Eigentümlichkeit umschreibenden Namen ansprechen, sondern benannten ihn nach dem, was er als Wichtigstes und Stärkstes in sich hatte. Wir bezeichneten ihn als den ‘begehrlichen’ wegen der Heftigkeit der Begierden, die sich auf das Essen und Trinken und auf die Liebe beziehen und was damit zusammenhängt, und auch als den ‘geldliebenden’, weil diese Begierden am ehesten durch Geld befriedigt werden". (Der Staat: 580d – 581a). Es ist erstaunlich, wie Platons Unterteilung die moderne Unterteilung in Grosshirn, Zwischenhirn und Stammhirn sowie deren Funktionen bereits vorwegnimmt.
Johann Friedrich Herbart (1176-1841) und der Kampf der Ideen: Die Grundelemente des Psychischen sind nach Herbart die Vorstellungen. Diese werden als substantielle, relativ selbständige Einheiten aufgefasst, die nach Selbsterhaltung streben. Als solche treten sie zueinander in bestimmte Beziehungen, die als Prozesse der Verschmelzung, Verstärkung und Hemmung beschrieben werden. Vorstellungen mit schwacher Intensität werden unter die "Schwelle" des Bewusstseins hinab gedrückt. Herbarts Darstellung erinnert an Nietzsches (Morgenröte) Kampf der Ideen: "Wahrscheinlich, dass auch unter ihnen ein Kampf stattfindet, ein Hin- und Wegtreiben, ein Aufwiegen und Niederdrücken von Gewichtteilen — und dies wäre der eigentliche "Kampf der Motive": — etwas für uns völlig Unsichtbares und Unbewusstes".
29.04.2012
We all live under the ancient injunction inscribed on the temple of Apollo at Delphi: ‘know thyself’. This Carlyle regarded as an ‘impossible precept’. Selbsterkenntnis ist im Lichte der Komplexität und der verborgenen Motive des Seelischen kaum einzulösen.
08.01.2012
"Die leichte Taube, indem sie im freien Fluge die Luft teilt, deren Widerstand sie fühlt, könnte die Vorstellung fassen, dass es ihr im luftleeren Raum noch viel besser gelingen werde. Ebenso verliess Plato die Sinnenwelt, weil sie dem Verstande so enge Schranken setzt, und wagte sich jenseits derselben, auf den Flügeln der Ideen, in den leeren Raum des reinen Verstandes.” (Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 8f). Die gegenteilige These, jene des Künstlers - nicht des Philosophen – hält nämlich fest, dass der Verstand die Sinneswelt einschränke, weshalb sie den unmittelbaren Kontakt mit der Sinnenwelt suchen, weg von der Verstandeswelt. Offenbar haben wir es hier mit einem Kontinuum zu tun zwischen Wahrnehmung und Erfahrung und eigentlich kommt keins ohne das andere aus. Kant betont diesen Januskopf, wenn er schreibt, dass Erkenntnis in Urteilen mündet. In den Urteilen werden die Anschauungen, die aus der Sinnlichkeit stammen, mit den Begriffen des Verstandes verbunden (Synthesis). Sinnlichkeit und Verstand sind die beiden einzigen, gleichberechtigten und voneinander abhängigen Quellen der Erkenntnis. "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (Kant: AAIII, 75 – B 75). Doch hier haben wir immer noch eine Vereinfachung, denn nicht nur der Verstand verarbeitet sinnliche Erfahrung (hier immer auch seelische Erfahrung mitgemeint), sondern auch das Unbewusste. Und dieser Verarbeitungsschritt lässt sich nicht restlos mit Verstandeskategorien erfassen, eher in Mythen und Träumen und deshalb auch in der Kunst.
13.07.2010
Es gibt eine Hierarchie der noologischen Phänomene: Gedanken (mit unterschiedlichen Abstraktionsgraden), mentale Bilder (unterschiedlich gefühlsmässig aufgeladen), Erlebnisse etc. Ein Reiz des Kunstwerkes ist die kunstvolle Darstellung ihrer Verbindungen, wie z. B zwischen dem Wort (Gedanken) und dem mentalen Bild oder dem Naturerlebnis. T.S. Eliot, vielleicht von Husserl angeregt, betitelt diese Beziehung «objective correlative» und die französischen Symbolisten – mit deren Werk T.S. Eliot ebenso vertraut war - sprachen von «correspondances», einem inneren Bezug zwischen dem, was Kant «phänomen» und «noumenon» nannte. Diese Beziehung verwirklicht sich als stiltechnisches Element der Poesie im Symbol. Die Ästhetik müsste diese Symbole wie die noologischen Phänomene hierarchisch ordnen können.
23.07.2007
Ortheil und Siblewski unterscheiden folgende Arten von Notatsammlungen: Raumbilder (Wehrli), Bewusstseinsbilder (Handke), Ego-Bilder (Frisch). … Alle drei Notat-Projekte arbeiten jedoch – wenn auch in ganz unterschiedlicher Prägung – an einer grossen Folie, der Folie einer unermüdlichen Weltbetrachtung, die also … eine Grundlage für ein spezifisches Roman-Interesse bildet. (34-35) … Das „existenzielle“, das „Brennende“ (37) … Diese Notizbücher folgen jenem enzyklopädischen Interesse … es handelt sich um „rohe“, unbearbeitete Aufzeichnungen, die in kruder, fragmentarischer Folge alles notieren, was in mir einen bestimmten, stärkeren Wahrnehmungsimpuls ausgelöst hat (40) … In ihrer Gesamtheit bilden diese drei Aufzeichnungsformen (Notiz, Chronik: was für mich im Verlaufe eines Tages wichtig war), Tagebuch (kurze Eintragungen zu Themen, Projekten und dokumentarischem Material) gleichsam das weit in Zeit und Raum ausgeworfene Netz, in dem all jene Beobachtungen und Wahrnehmungen hängen bleiben, die dann den weiteren Stoff meiner Arbeit bilden. Aus diesem umfangreichen Stoff-Ensemble entstehen mit der Zeit, und oft ohne, dass mir das bewusst ist, „Themenfelder“ oder „Thementerrains“, für die ich, wenn sie sich als beständig erweisen, sogenannte „Skizzenbücher“ anlege. …. Das Motiv, das allen Schreibanstrengungen zugrunde liegt, ist die „Schreiblust“, eine Lust am Schreibvorgang. (Ortheil / Siblewski 2007, S. 40-43)
10.10.2010
Einige Notatsammlungen:
Amiel, Henry Frédérique: Journal intime.
Arendt, Hannah: Denktagebücher.
Bachelard : La poétique de la rêverie.
Bernhard, Thomas: Amras.
Bourgeois de Paris: Journal.
Camus, Albert: Tagebücher.
Canetti, Elias: Aufzeichnungen.
Cioran: Cahiers.
da Vinci, Leonardo: Notizbücher.
Frisch, Max: Tagebücher.
Goethe, Johann Wolfgang: Maximen und Reflexionen.
Handke, Peter: Tagebücher.
Heine, Heinrich: Gedanken und Einfälle.
Kierkegaard: Tagebücher.
Leopardi: Zibaldone.
Lichtenberg: Sudelbücher.
Mann, Thomas: Notizen.
Musil, Robert: Aphorismen.
Nietzsche: "Wahnzettel".
Novalis : Fragmente.
Pascal, Blaise: Gedankensplitter.
Paul, Jean: Exzerpthefte.
Renard, Jules: Histoires naturelles.
Rousseau : Rêveries d’un promeneur solitaire.
Schopenhauer: Parerga und Paralipomena.
Tschechow, Anton : Tagebücher, Notizbücher.
von Doderer, Heimito: Tangenten und Commentarii.
Weil, Simone: Cahiers.
Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen.
Eine Form Notat ist auch Twitter.
20.07.2010
Bedeutung der inneren Erfahrung: "Belehrt uns nicht … die „innere Erfahrung“ des theoretisch unvoreingenommenen schlichten Erlebens darüber, dass z. B. die selbstverständliche Freude an einem schönen Sonnenuntergang „realer“ ist als etwa eine astronomische Berechnung des vermutlichen Zeitpunktes, an dem die Erde in die Sonne fallen würde? Kann uns etwas unmittelbarer gegeben sein als unsere Selbsterfahrung – das Selbstverständnis unseres Mensch-seins als Verantwortlichseins?” (Frankl 1985, S. 200-201).
20.07.2010
"… die Biographie ist letzten Endes nichts anderes als die temporale Explikation der Person: Im Leben, das da abläuft, im Dasein, das da abrollt, expliziert sich die Person, entfaltet sie sich aufgerollt wie ein Teppich, der erst dann sein unverwechselbares Muster enthüllt“. (Frankl 1985, S. 215).
07.11.2010
Das Wissen kann zur Unwissenheit führen, denn es kann uns für das Neue verblenden. Dies erkennen wir, wenn wir dem vermeintlich „naiven“ oder dem Andersdenkenden zuhören und uns für seine Sichtweisen öffnen, die nicht selten durch ihre Originalität überraschen. Dem Wissen als These tut nämlich eine Antithese immer gut, denn das Wissen hat seine eigene Entwicklungsdynamik und strebt nach Höhen, die wie beim Klotzturm plötzlich zu seinem Zusammenbruch führen. Die Widerrede dagegen stutzt es auf ein Mass herunter, bei dem es nicht mehr schaden kann und seine Nützlichkeit bewahrt.
12.02.2013
Aus der "Italienischen Reise" Goethes, 20. Dezember 1786:
"Die Wiedergeburt, die mich von innen heraus umarbeitet, wirkt immerfort. Ich dachte wohl hier was Rechts zu lernen, dass ich aber so weit in die Schule zurückgehen, dass ich so viel verlernen, ja durchaus umlernen müsste, dachte ich nicht. (…) Ich denke, wir sollten uns alle öfters eine italienische Reise gönnen, um die bekannte Welt wieder zur Unbekannten zu machen, damit wir diese in einem neuen Lichte sehen können.
15.01.2011
Der Tag: "Freud setzt das Erzählen von Geschichten auf eine Linie mit dem Spielen des kleinen Kindes und seinem späteren Wandel ins Phantasieren, in den oft versteckten, aber breit ausgebauten Tagtraum des Erwachsenen". (von Matt 2001, 115-116)
12.02.2011
In einer Zeit, in der unser Bewusstsein und unser Unbewusstes von fremden Bildern und Ideen überschwemmt werden, haben unsere eigenen originalen Bilderformen und bildhaften Vorstellungen einen schweren Stand. Wir hören immer weniger auf sie, obwohl nur sie uns wahrhaft aus der Seele sprechen. Freilich, oft sprechen diese Stimmen und Bilder eine eigene Sprache, die sich nicht immer in unsere Alltagssprache übersetzen lässt. Oft müssen wir länger brüten, um ihnen ihren Wahrheitsgehalt abzuringen. Dies ist aber nur möglich, wenn wir sie schriftlich festlegen, damit wir sie unserem Bewusstsein wieder zuführen können und sich ihre Bedeutung entfaltet.
03.07.2012
Das Gespräch mit dem eigenen Selbst suchen, ist in der heutigen Zeit besonders vonnöten. Bereits Kierkegaard und nach ihm Heidegger beobachteten, dass das Individuum sich in der modernen Welt immer mehr im „man“ auflöse. Subjektivität, die Beziehung zum eigenen Selbst, zum inneren Leben kommt heute zu kurz. Deshalb ist es besonders wichtig, täglich Zeit zu finden, um sich mit sich selbst zu beschäftigen und sich selbst Zeugnis davon zu geben.
27.03.2011
Ideen oder Urteile können auch wie Stufen wirken und zu Tritten für die Bildung von nächsthöheren Ideen wirken. Wir erschaffen dann Ideenordnungen oder –systeme.
02.04.2011
Eingebungen, Gedanken, Beobachtungen schlagen oft Schneisen in das Gestrüpp unserer Seele. Wir roden, jeder auf seine Art, und dringen vor in noch unbekannte seelische Gefilde. Wichtig ist, dass wir, was uns wertvoll scheint, mitnehmen, denn bald wird alles Freigeräumte wieder überwuchert.
20.04.2011
Ideen oder auch Bildabfolgen können Schleifen im Gehirn bilden, vergleichbar mit einem Ohrwurm. Beim Musikhören dauern diese Schleifen 15 bis 20 Sekunden und werden in der Psychologie Palinopsien genannt (Sacks 2008). Offenbar muss dieses Phänomen auf irgendeiner physiologischen Konstante im Arbeitsspeicher beruhen.
20.04.2011
Das Aufrufen von Erinnerungen aus dem episodischen Gedächtnis führt meistens zu deren Veränderung. Sie werden neu prozessiert oder verarbeitet und darauf wieder verändert abgespeichert, wobei sie offenbar ihre Originalversionen überschreiben.
20.04.2011
Entsprechen den Hierarchiestufen der Ideen physiologische Strukturen im Gehirn?
20.04.2011
"… so laufe ich rastlos und ängstlich immer wieder den Kreis meiner Gedanken ab – Gedanken ohne Bedeutung und Tiefe. Gedanken, welche eigentlich des Verweilens keineswegs würdig sind, die mich aber zwanghaft festhalten. (Hesse 1985, S. 240). 25.05.2011
Selbstbeobachtung erfassen, mich beim Denken ertappen, alles, was mir unter die Haut geht, sei es durch die äusseren oder die virtuellen Sinne und aufmerken oder erstaunen lässt.
23.02.2013
Aus dem Vorwort der Farbenlehre Goethes: "So spricht die Natur hin abwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen, so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm".
06.11.2013
Goethes Farbenlehre mag für den Physiker völlig uninteressant sein. Dem Psychologen dagegen liefert sie ein Modell für die Wirkungsweise des Seelischen. Was das Auge in Goethes Farbenlehre leistet, nämlich Farben, wahrnehmen, die durch die Vermischung von Licht und Dunkelheit entstehen, vollführt die Seele analog, indem sie das Gute (Licht) und das Böse (Dunkelheit) oder Erlösung und Schuld sowie andere polare Zustände vermischt und uns so die ganze Bandbreite der Gefühlswelt erleben lässt. (09.11.2013) Wie ich weiterlese, macht Goethe eine ähnliche Analogie: So notiert er am 26. Mai 1807 im Tagebuch: "Lieben und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur differente Zustände unsres trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach der Licht- oder Schattenseite hinsieht. Blicken wir durch diese trübe organische Umgebung nach dem Lichte hin, so lieben und hoffen wir; blicken wir nach dem Finstern, so hassen und fürchten wir." (...) Nachbilder. Wird dem Auge eine bestimmte Farbe präsentiert, so ruft seine Eigentätigkeit die komplementäre Farbe hervor, entsprechend dem Farbenkreis: Gelb fordert Violett, Orange fordert Blau und Purpurrot fordert Grün. Die Versuche lassen sich leicht anstellen: blickt man lange auf die entsprechende Farbe und wendet dann den Blick auf eine weisse Fläche, so erscheint für einen Moment die Komplementärfarbe. "Diese Phänomene sind von der grössten Wichtigkeit, indem sie uns auf die Gesetze des Sehens hindeuten ( ... ) Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schliesst in sich selbst den Farbenkreis ab." (Zit. in Safranski 2013, S. 492-93)
15.11.2013
Schopenhauer übernimmt Goethes Farbenlehre, wobei er auch Goethes Ganzheitsvorstellung miteinbezieht. Da der Lichteinfall das Aktivitätspotential der Retina jeweils nur partiell beansprucht, so strebt die Retina danach, die zum Tätigkeitsoptimum fehlende Aktivität zu ergänzen: so kommt es zum komplementären Farbsehen und zu den sie begleitenden Harmoniegefühlen. (In R. Safranski, Goethe, Hanser 2013, 500)
28.05.2011
Hauptgegenstand von Valérys Cahiers ist: "[D]ie Untersuchung der geistig-seelischen Vorgänge, von den Empfindungen, Gefühlen, Emotionen und Wünschen, dem grossen Kapitel des Traums, über die Willensbildung und Handlungsvorbereitung bis zu sprachlichen Ausdruck und den begrifflichen Operationen […] Was Valéry beschäftigt, ist die Ergründung des Denkens […], das ‚wahre Denken‘ so authentisch wie irgend möglich schriftlich zu protokollieren […] die ebenso unerschütterliche wie skrupulöse Neugier des Denkens auf sich selbst, […] bei dem das Instrument der Erkenntnis zugleich das vornehmste Objekt der Erkenntnis ist. Zugespitzt gesagt: Valéry war es darum zu tun, möglichst präzise herauszufinden, was im Geist eines Menschen vor sich geht, wenn er denkend und wahrnehmend in der Welt ist. […] Eine Folge dieser besonderen Konstellation ist u.a. ein Denkmodell zu einer genaueren Erforschung des sog. Ich eines Menschen; in diesem Zusammenhang hat Valéry den Begriff eines Moi pur entwickelt". (Stölzel 2011, S. 30)
07.10.2011
Worauf es Valéry ankam, so Stölzel, sei "Überlegungen, Gedanken, Einfälle, Annäherungen und Antwortversuche zu einer einfachen Frage anzustellen: 'Que peut un homme? - Was kann ein Mensch?'" Anders gesagt: Paul Valéry war einer, der sich eigene Gedanken machte, er war ein Selbstdenker. Am besten führt man das vor, indem man zeigt, wie Valéry denkt beziehungsweise was für Gedanken er notiert hat: (...) Doch wozu soll Valérys persönliches Philosophieren für andere gut sein? Als Anregung, selber zu denken, und das «Sapere aude» der Aufklärung (endlich) Wirklichkeit werden zu lassen, ohne sich durch das Bescheidwisser-Gebaren vermeintlicher Spezialisten beeindrucken zu lassen (Stölzel). In den Worten Valérys: "Spezialität ist mir unmöglich. Ich werde belächelt. Sie sind kein Dichter. Sie sind kein Philosoph. Sie sind weder Geometer noch sonst etwas. Sie betreiben nichts gründlich. Mit welchem Recht sprechen Sie von dieser Sache, da Sie sich ihr nicht mit Ausschliesslichkeit widmen? Ach ja, - ich bin wie das Auge, welches sieht, was es sieht. Es braucht sich nur ein klein wenig zu bewegen, und die Mauer verwandelt sich in eine Wolke; die Wolke in eine Uhr; die Uhr in Buchstaben, die sprechen. - Vielleicht ist das meine Spezialität. Meine Spezialität, das ist mein Geist." (Hans Durrer in rezensionen.ch 25.09.2011).
18.06.2011
Rousseau: Rêveries. PREMIERE PROMENADE: mon but „est de me rendre compte des modifications de mon âme et de leurs successions. Je ferai sur moi-même à quelqu’égard, les opérations que font les physiciens sur l’air pour en connoître l’état journalier. J’appliquerai le baromètre à mon âme, & ces opérations bien dirigées & longtemps répétées me pourroient fournir des résultats aussi sûrs que les leurs. Mais je n’étends pas jusque-là mon entreprise. Je me contenterai de tenir le régistre des opérations sans chercher à les réduire en système. Je fais la même entreprise que Montaigne, mais avec un but tout contraire au sien : car il n’écrivoit ses Essais que pour les autres, & je n’écris mes rêveries que pour moi. Si dans mes plus vieux jours, aux approches du départ, je reste, comme je l’espère, dans la même disposition où je suis, leur lecture me rappellera la douceur que je goûte à les écrire, & faisant renaître ainsi pour moi le temps passé, doublera pour ainsi dire mon existence.”
Rousseau: Rêveries. DEUXIÈME PROMENADE: “Ayant donc formé le projet de décrire l’état habituel de mon âme dans la plus étrange position où se puisse jamais trouver un mortel, je n’ai vu nulle manière plus simple & plus sure d’exécuter cette entreprise, que de tenir un registre fidèle de mes promenades solitaires & des rêveries qui les remplissent, quand je laisse ma tête entièrement libre, & mes idées suivre leur pente sans résistance & sans gêne. Ces heures de solitude & de méditation sont les seules de la journée, où je sois pleinement moi, & à moi sans diversion, sans obstacle, & où je puisse véritablement dire être ce que la nature a voulu.”
30.09.2011
Beim Denken führe ich eigentlich immer einen Dialog mit mir selbst. Schon aus biologischer Sicht scheint dies Sinn zu machen, denn viele unserer Gehirnzellen sind gleichzeitig produktiv und konkurrieren, d.h., sind in ständigem Widerstreit miteinander, wobei eine Idee schliesslich obsiegt. (Vgl. Nietzsche "Kampf der Ideen" in Morgenröte). Wichtig ist, dass dieser Widerstreit erhalten bleibt und wir keine Leichen oder Fossile in unseren Vorstellungswelten ansammeln. Die Niederschrift hilft uns, etwas Ordnung in das Ideenchaos zu bringen.
30.09.2011
Manchmal reifen Ideen sehr lange im Unbewussten, machen Wandlungen durch, verfilzen sich wie Dendriten, aber nicht wahllos, sondern wie letztere nehmen sie nur Verbindung auf mit kongenialen Dendriten anderer Neuronen. Die Analogien zwischen den Vorgängen im Gehirn, wie sie die heutige Neurologie beschreibt und dem Zusammenspiel der Ideen, sind verblüffend. Dennoch machen sie Sinn, wenn wir uns dieses Spiel im Unbewussten denken. Wieso aber nur ganz bestimmte Ideen es ins Bewusstsein schaffen, bleibt ein Rätsel.
22.06.2012
Einfälle und Gedanken scheinen zunächst unzusammenhängend. Doch mit der Zeit stellen wir fest, dass sie um ein grosses Zentrum oder um hypothetische Zentren kreisen und sich diesen asymptotisch nähern. Dieses Zentrum muss im Unterbewusstsein (oder Vorbewusstsein) geschaffen worden sein. Dieses hypothetische Zentrum ist aber nicht starr, sondern entwickelt sich auch mit den Denkprozessen.
17.07.2013
"Du beklagst dich über deine Gedanken während Zazen. Aber ist es nicht ganz natürlich, dass du dir dein ganzes Leben lang Gedanken machst? Es ist nicht nötig, diese Gedanken für ‘störend’ zu erklären und zu versuchen, sie zu tilgen. Es ist auch nicht nötig, diese Gedanken für etwas besonders Wichtiges zu halten. Lass diese Gedanken einfach so sein, wie sie sind. Wenn sie kommen, lass sie kommen. Du darfst bloss nicht nach ihnen greifen, um einen Gedanken aus dem nächsten fortzuspinnen - so wirst du dich nur in deinen Gedanken verlieren. Wenn du nur damit aufhörst, werden sich deine Gedanken von alleine wieder auflösen. Wenn sich ein Gedanke auflöst, taucht sofort der nächste auf. Solange du dich nicht mit ihnen beschäftigst, verschwinden alle deine Gedanken, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Und wie aus dem Nichts heraus erscheinen neue Gedanken an der Oberfläche deines Bewusstseins. Sitz einfach in Zazen, indem du kommen lässt, was kommt, ohne dich damit zu beschäftigen. Nur Zazen erlaubt es dir wirklich, dich nicht damit zu beschäftigen". (Kodo Sawaki)
24.06.2012
"Es ist beeindruckend, wie Menschen ihr Leben verändern können, wenn sie sich auf mythische Bereiche einlassen; es ist allerdings nicht minder beeindruckend, wie sich die Seele bewusstem Verstehen und bewusster Kontrolle entziehen kann. Ein theologisches Sprichwort sagt, dass Menschen, die Gott zu begreifen suchen, einer Amöbe vergleichbar seien, die durch das Mikroskop hinaufschaut, um den Wissenschaftler zu studieren. C. G. Jung und viele andere Tiefenpsychologen meinen, dass der bewusste Verstand zur Seele in einer ähnlichen Beziehung stünde. Menschen können die tiefsten Bereiche der Seele einfach nicht begreifen, ohne sie zu einer Widerspiegelung des geistigen Auges zu reduzieren. Aber es sind nun einmal diese unbegreiflichen Bereiche, der Seele, in denen Erleben entsteht und persönliche Mythen geformt und immer wieder neu gestaltet werden. Und, wenn wir auch wissen, dass unser Verstand schnell an Grenzen stösst, wenn er versucht, diese geheimnisvollen Gebiete zu erforschen, so können wir doch nicht aufhören, verstehen zu wollen". (Feinstein und Krippner 1987, 147).
03.07.2012
Hume: reason was given a status it did not deserve.
09.11.2012
Wenn ein "Ich" über sich zu schreiben anfängt, dann begeht es bereits Verrat. Dieses beschriebene "Ich" ist eine entstellte Objektivierung und das schreibende "Ich" hat sich ohnehin bereits verändert. Doch dies scheint nicht ganz zu stimmen, die Wirklichkeit bleibt paradox. Trotz allem lässt sich ein permanenter Kern ausmachen. "Ich"-fugale und "Ich"-petale Kräfte scheinen beide zu wirken.
24.01.2013
"Sprachloses Denken. Wir können das sprachlose Denken in die Sprache retten. Wir denken nicht nur in Worten, nein: Unser Bewusstsein resultiert zu etwa gleichen Teilen auch aus instinktiven Empfindungen wie Schmerz, Emotionen, unsymbolisierten Gedanken und mentalen Bildern". (Schrott und Jacobs 2011, S. 73)
05.02.2013
Gemäss dem Buddhismus ist die Fiktion des Ichs der Ursprung allen Leidens.
Ideen und Kreativität
20.07.2010
"Je mehr er (der Mensch) sich selbst übersieht, je mehr er sich selbst vergisst, indem er sich hingibt einer Sache oder anderen Menschen, desto mehr ist er Mensch, desto mehr verwirklicht er sich selbst. Erst die Selbstvergessenheit führt zur Sensitivität und erst die Selbst-Hingabe zur Kreativität". (Frankl 1985, S. 184)
09.10.2010
Wir müssen ins Leben eindringen, uns in den Alltag versenken, indem wir die feinmaschigsten Netze unserer Wahrnehmung in die Welt hinauswerfen. Dabei aber dringen wir nur tiefer in uns selbst ein und lüften so den Schleier der Isis in uns. Was entdecken wir dabei? Eine zentrifugale Welt, eine Welt, deren Weltsinn sich auflöst oder eine zentripetale Wirklichkeit, die symbolisch ausgedrückt werden kann, wie zum Beispiel mit dem Bild der „blauen Blume“.
20.08.2010
Erleben, mit scharfen Sinnen durch die Welt gehen und das Erlebte niederschreiben, auch wenn wir darin noch keine Finalität sehen. Wir müssen aber nur unseren grauen Zellen vertrauen, zwischen denen Informationen unaufhörlich hin und her geschoben werden und das Erlebte vielleicht auch einen Gärungsprozess durchmacht, wobei ständig neue Konstellationen entstehen. Das Gehirn führt dabei ohne unser Zutun eine Selektion durch und plötzlich steht sie da, die grosse, tragende Idee, die zu einer Nabe des Denkens wird. Bei Maugham: the writer cannot afford to wait for experience to come to him; he must go out in search of it.“ Again and again the first tracings of a story can be detected in the jottings in the notebooks. (Hastings 2009, S. 215).
14.07.2007
Die Gesetze des Kreativen sind undurchschaubar. Manchmal gibt es Phasen zwischen den Kreativitätsschüben, die sehr lange dauern. Es stellt sich oft ein Gefühl der Leere ein. Zudem kann die Intensität der Schübe variieren und wird manchmal sogar kraftlos.
14.07.2007
Das „Eis“ der Worte durchbrechen, um darunter den freien Strom der Gedanken zu entdecken (Bergson).
19.07.2007
Träume: "Im Traum … sind die uns vertrauten ersten Ideen bereits in einer Art höheren Ordnung enthalten, denn auch im Traum gibt es natürlich Figuren und Räume, ja der Traum selbst stellt sich als ein einziger weiterzuschreibender Text dar". (Ortheil und Siblewski 2007, S. 92)
25.01.2013
"Ich empfehle Träume nochmals. Wir leben und empfinden so gut im Traum als im Wachen und sind jenes so gut als dieses, es gehört mit unter die Vorzüge des Menschen, dass er träumt und es weiss. Man hat schwerlich noch den rechten Gebrauch davon gemacht. Der Traum ist ein Leben, das, mit unserm Übrigen zusammengesetzt, das wird, was wir menschliches Leben nennen. Die Träume verlieren sich in unser Wachen allmählich herein, man kann nicht sagen, wo das Wachen eines Menschen anfängt". (Lichtenberg, Aphorismen)
09.06.2013
Mir scheint, die Seele erfindet Trauminhalte, um bestimmte Gefühle in uns zu wecken, Gefühle, die dem Ausgleich im seelischen Haushalt dienen. Letzthin hatte ich einen Traum, der Beschämung in mir auslöste. An den Inhalt kann ich mich nicht mehr erinnern, ausser, dass ich weiss, dass ich einen schmutzigen gelben Fleck am Boden hinterlassen hatte, der nicht mehr zu entfernen war. Irgendwie will unsere Seele alle Gemütsregungen durchleben und in allem eine Art Gleichgewicht herstellen. Deshalb bedrängen uns Inhalte, die wir aus unserem Bewusstsein am Tage verdrängen, in der Nacht. Ergänzung 20.09.2013: Die Seele schöpft also aus dem Erlebnisschatz, über den sie verfügt, Elemente aus, die mit den Emotionen gekoppelt sind, die sie braucht, um ihr eigenes emotionale Gleichgewicht sicherzustellen. Sie handelt aber unabhängig von unseren Glück- und Unglücksvorstellungen, denn für sie gelten die uns vertrauten Polaritäten nicht. Das Gleichgewicht, das sie anstrebt ist möglicherweise eine Schnittmenge aller Emotionen, die wir überhaupt erleben können und schliesst sowohl Angstgefühle, Hass, schmerzhafte Erinnerungen, libidinöse Lustgefühle wie auch Glücksmomente ein. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass sie nach Tagen der Trauer bewusst glückliche Traumnächte inszeniert oder aber, wenn wir glückliche Momente am Tage erlebt haben, uns bewusst unglückliche Nächte beschert.
07.10.2013
Im Traum erschaffen wir Welten, durch die Traumanalyse erhaschen wir Einblick in unsere kreativen Prozesse. Unsere Traumarbeit legt einen Spiegel frei, den wir unserem Bewusstsein vorhalten, ein Spiegel, der die gespeicherten Bilder in unserem Bewusstsein widerspiegelt, sowohl die lieblichen als auch die hässlichen, mit anderen Worten: das Paradiesische wie auch das Höllische unserer Existenz. Was heisst „kreativ“ sein? Etwas Neues und Wertvolles in die Welt tragen.
10.10.2010
"Entflammbarkeit hat nicht nur mit starken Emotionen zu tun, die geweckt werden können. Der Autor muss auch ein inneres Leben besitzen, das einen Widerhall aussendet, sobald er auf Material stösst …. Etwas Verdrängtes bricht auf. Der Autor findet überraschend Zugang zu unbekannten Räumen in seinem Inneren … eine innere Balance, die ausser Kraft gesetzt sein will, damit der Autor ins Erzählen findet". (Ortheil und Siblewski 2007, S. 171-172, 176)
10.10.2010
Für Genazino „ist das Poetische ein „gemeinsamer Blitzschlag von Zeitempfindung und Dingempfindung … „herrenlos gewordene Zeit“ … die sich in diesen Dingen „künstlich“ staut…. Dann erst kann der Autor beginnen die „komprimierte Zeit darin zu „entstauen“. (Ortheil und Siblewski 2007, S. 184-185)
07.11.2010
Erinnerungen: Sie werden erst bedeutungsvoll, wenn wir sie beseelen. Die geistigen Fähigkeiten scheinen sie in einer komprimierten Form im Gedächtnis abzuspeichern, wir aber, wenn wir auf sie stossen, müssen sie wieder entfalten.
22.08.2012
Erinnerungen: Mülltonnen der Vergangenheit, riesige Abfallhalden einer Grossstadt.
07.11.2010
Intelligenz ist die Fähigkeit, komplexe Probleme schnell zu lösen. Kreativität ist die Fähigkeit, neue Denkergebnisse beliebiger Art hervorzubringen. Kreativität setzt Intelligenz voraus. Ein wichtiger Aspekt von Kreativität ist das Assoziieren – das ungebremste Surfen von einem Gedanken zum nächsten, das Entdecken von Zusammenhängen zwischen den Dingen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
15.12.2010
"Momente gibt es im Leben, Herr Doktor, die wie Marksteine sind, Augenblicke, in denen uns klar wird, dass nichts wieder so sein wird wie vorher. Man weiss, das Leben wird von nun an in zwei Abschnitte geteilt sein: die Zeit davor und die Zeit danach. (…) Es ist, als trete man plötzlich über eine Schwelle in einen noch geisterhaften Raum, und es bleibt dann nur mehr eine letzte Schwelle zu überschreiten (…."). (Kappacher 2010, S. 84).
15.12.2010
"Auf einmal fiel ihm auf, dass er schauen konnte, auf zweierlei Art schauen: einfach die Worte (Wolken?) betrachten, wie sie ihre Form verändernd am Himmel vorüberzogen, oder die bewaldeten Hügel, einfach schauen; oder aber im Schauen, während er die Landschaft betrachtete, innerlich ganz andere Bilder entstehen lassen, sie verfolgen". (Kappacher 2010, S. 74)
21.12.2010
Epiphanie: „Die Lust hielt an beim Schreiben meines ersten Gedichtes (das nicht von mir war) und, nach dem Krieg, über einem Manuskript, aus dem dann der erste Roman wurde. Sein Anfang ist unzählige Male umgeschrieben worden. Er handelte zuerst von dem “Unbeschreiblichen”, das einen siebzehnjährigen Schüler, Jakob Haferglanz, zuweilen in den grossen Augenblicken seines kurzen Daseins überkommt. Die Stelle lautete: “Es war schon in ihm gewesen vor dieser Physikstunde, zumindest hatte er ein Vorgefühl gehabt, dass es kommen werde: das Unbeschreibliche, wie er es nannte und heimlich erlebte. Viele Gedanken zusammengeballt zu einem Erhobensein, einer Klarheit, einer schmerzhaften Deutlichkeit der Welt, die ihn abseits stellte und für Sekunden alles in ihm veränderte. Es kam manchmal über ihn, angeregt durch irgendeine Kleinigkeit, durch ein Buch, durch Musik, wenn er lag und nachdachte. Dann wieder inmitten seiner Kameraden, so dass er auf ihre Fragen zu antworten vergass und ihre Unterhaltung abbrach, als habe er ihre Gedanken bei seinem Kopfabwenden mit hinweg genommen - es war ein plötzliches Innewerden der eigenen Existenz”. (Martin Gregor-Dellin. „Versuch, bei der Wahrheit zu bleiben.“ In Salis 1971, S. 103).
27.12.2010
"… die echte Kreativität, die auch die Wünsche des Ich zu durchkreuzen pflegt. Sie zieht alle Energien der Seele für ihre eigenen Zwecke an sich, so dass im Bewusstsein nur eine tiefe Melancholie verbleibt, die sich dann gewöhnlich durch einen grossen schöpferischen Elan selbst heilt. (…) Die präkreative Depression, wenn sie richtig verstanden wird, ist eigentlich hilfreich, weil sie den Menschen in Isolierung, in seine eigene Tiefe und in die Introversion treibt und dadurch günstige Vorbedingungen schafft, unter denen schöpferische Ideen aus dem Unbewussten aufsteigen können.“ (von Franz 1980, S. 75)
28.12.2010
Plötzlich leuchtet ein Ideenstummel / Gedankenkeim kurz im Gehirn auf. Es gilt, ihn sogleich zu erfassen und weiterzuspinnen. Er kann uns einerseits in eine geistige Sackgasse, in ein Labyrinth führen, oder aber andererseits einen Gedankengang einleiten, der zu einer Conclusio führt und uns damit eine weitere Stufe auf der Erkenntnisleiter freimacht.
15.01.2011
Erkenntnis: Wo du in deiner Seele Gewirr findest, suche nach verborgenen Gleichmässigkeiten und Symmetrien, wo du auf Ordnungen dagegen stösst, misstraue diesen und suche wiederum nach dem Chaotischen.
16.01.2011
"Bei den psychoanalytischen Arbeiten habe ich bemerkt, dass die psychische Verfassung des Mannes, welcher nachdenkt, eine ganz andere ist als die desjenigen, welcher seine psychischen Vorgänge beobachtet. Beim Nachdenken tritt eine psychische Aktion mehr ins Spiel als bei der aufmerksamsten Selbstbeobachtung, wie es auch die gespannte Miene und die in Falten gezogene Stirne des Nachdenklichen im Gegensatz zur mimischen Ruhe des Selbstbeobachters erweist. In beiden Fällen muss eine Sammlung der Aufmerksamkeit vorhanden sein, aber der Nachdenkende übt ausserdem eine Kritik aus, infolge deren er einen Teil der ihm aufsteigenden Einfälle verwirft, nachdem er sie wahrgenommen hat, andere kurz abbricht, so dass er den Gedankenwegen nicht folgt, welche sie eröffnen würden, und gegen noch andere Gedanken weiss er sich so zu benehmen, dass sie überhaupt nicht bewusst, also vor ihrer Wahrnehmung unterdrückt werden. Der Selbstbeobachter hingegen hat nur die Mühe, die Kritik zu unterdrücken; gelingt ihm dies, so kommt ihm eine Unzahl von Einfällen zum Bewusstsein, die sonst unfassbar geblieben wären". (Freud II, 121 f., zit. in von Matt 2001, S. 130-31)
25.01.2011
Träume notieren: Die bisher sinnlos erscheinenden Traumgebilde bekommen nunmehr einen Sinn, ähnlich entzifferten Hieroglyphen. Träumen tun wir alle, es handelt sich um eine Funktion des gesunden Gehirns.
16.02.2011
Die Beschäftigung mit eigenen Gedanken, ihr Einbinden in die Netzwerke unserer Erinnerung oder ihr Verwerfen führen mit der Zeit zur Bildung einer Humusschicht, die selbst immer wieder durch Nachdenken umgepflügt wird und für neue Fruchtfolgen ergiebig bleibt.
20.02.2011
Wahrgenommene Bilder, Gedanken, auch Angelesene und Erträumtes und innerlich Erlebtes wirken lange im Unbewussten nach, verbinden sich untereinander in einem für die Vernunft undurchschaubaren Wechselspiel, versinken anscheinend in die Vergessenheit, um plötzlich, manchmal mit erheblicher Zeitverzögerung, in neuem Gewande aufzutreten. Hier ist eine eigene Vernunft am Werk, die sich Eingriffe der sogenannt höheren Vernunft verbittet.
21.03.2011
Wenn sich Ideen wiederholen, ist dies ebenfalls wertvoll, denn oft erscheinen sie aus einer anderen Perspektive oder entstehen in einem neuen Sinnkontext. Letzten Endes werden die Schöpfungen unseres Geistes reicher und aussagekräftiger.
25.03.2011
Wer ist kreativer? Die Natur mit ihren Myriaden von Schöpfungen oder ein Mensch, der Ideen generiert? Beide sind unübertroffen kreativ, nur, dass die Natur sehr wahrscheinlich einen ungleich höheren Aufwand betreibt. Zudem macht sich der Homo sapiens über seine Ideen Gedanken und freut sich dann über die gelungenen. Die Natur kann das wohl nicht. Höchstens Gott, ihr Schöpfer, könnte das. Aber der ist ja vielleicht auch nur eine kreative Idee.
25.03.2011
“Durch jedes vermeintliche Wissen, durch jeden Besitz hindurch den Sinn für das Wahre, für das Gute zu schärfen, das zielt direkt in die Mitte des platonischen Denkens. Das Herz des Denkens ist die Lehre von den Ideen. Platon ist der Philosoph der Ideen. Was sind die Ideen? Man könnte sagen, dass Platon das alte Problem der Schule von Milet wieder aufgreift: Was bleibt im Werden und Vergehen bestehen? Die Dinge vergehen, alles, was sich uns durch die Sinne zeigt, vergeht. Was ist das Bleibende unter dem Vergehenden? Es sind die Ideen. Was sind die Ideen? Die Ideen sind die wahre Wirklichkeit, die Quelle des Seins der Dinge in der Welt. Die Ideen sind nicht im selben Sinne wirklich wie die Dinge. Sie verbinden bei Platon Sein und Wert. Sie sind die Quelle des Seins der Dinge und die Quelle des Guten. Sein ist zugleich werthaft. Sein ist ein Wert. Sein, das ist wert sein. Hier befinden wir uns am direkt entgegengesetzten Pol zu allem modernen Nihilismus mit seiner Tendenz, das Nicht-Seiende für reiner und besser zu halten als das Seiende, weil das Seiende Grausames mit sich bringt. Bei Platon ist eben das Seiende werthaft, da es sein Sein seiner Teilnahme an den Ideen verdankt. Auf der Ebene der Dinge der Welt ist alles nicht nur vergänglich, sondern auch zusammengesetzt und relativ (mehr oder weniger so oder so). Die Ideen aber, durch die diese Dinge ihr Sein besitzen, sind ewig, einfach, absolut.”
(…)
“Der Mensch steht zwischen den sinnlich erfassbaren Dingen und den Ideen. Er ist ein Wesen der Mitte. Er kann nicht auf die Ideen verzichten, weil sie – wohl oder übel – zu seinem Wesen gehören, er kann aber auch nicht von den Sinnendingen absehen, weil er – wohl oder übel – durch sie hindurch auf die Ideen hinblickt.” (Hersch 1981, S. 30-32)
20.04.2011
Wie Gerhirnscans zeigen, werden bei virtuellen Sinneserfahrungen (z. B. Erinnerungen) dieselben Areale des Gehirns aktiviert wie bei analogen reellen Erfahrungen. Wichtig sind hier die Kontexte, die sie auslösen. Oft sind sie mit diesen untrennbar verbunden und nur über diese zugänglich. Wenn Bereiche des Gehirns plötzlich nicht mehr von Aussenreizen stimuliert werden (z. B. bei Taubheit), dann schafft sich das Gehirn von sich aus Stimuli, um diese Areale aktiv zu erhalten (z.B. Halluzinationen) (Vgl. Sacks: Musicophilia: "release hallucinations"). Ist dies der Grund, weshalb Einsiedler, Propheten oder Mönche, die in der Einsamkeit leben und nach absoluter Stille trachten, Visionen haben?
22.04.2011
Wenn man der Fantasie freien Lauf lässt, so scheint sie eigenen Gesetzen zu folgen und sich konzentrisch auf etwas Wesentliches hin zu richten. Dabei aber entdeckt man Verästelungen und wenn man diesen nachgeht, so erreicht man die Fantasien anderer. Hier spielt die Lektüre eine wichtige Rolle. Schliesslich stellen wir fest, dass die Fantasie auch eine Brücke bildet zu universellen Bildern, ein Substrat, das die Menschheit eint. Deshalb können wir auch Zugang zu den Ideenwelten anderer Kulturen finden.
10.03.2013
Leonardo da Vinci skizziert einen alten Mann und daneben mehrere Wasserstrudel. Den Kommentar den Leonardo in seiner krakeligen Schrift verfasst hat, können wir nicht lesen. Wir stellen uns vor, dass der Greis das wirbelnde Wasser betrachtet. Was geht ihm durch den Sinn, wie wird seine Wahrnehmung affiziert? Für eine Erklärung können wir auf Kant zurückgreifen: “Noch sind schöne Gegenstände von schönen Aussichten auf Gegenstände (die öfter der Entfernung wegen nicht mehr deutlich erkannt werden können) zu unterscheiden. In den letzteren scheint der Geschmack nicht sowohl an dem, was die Einbildungskraft in diesem Felde auffasst, als vielmehr an dem, was sie hiebei zu dichten Anlass bekommt, d. i. an den eigentlichen Phantasien, womit sich das Gemüth unterhält, indessen dass es durch die Mannigfaltigkeit, auf die das Auge stösst, continuirlich erweckt wird, zu haften; so wie etwa bei dem Anblick der veränderlichen Gestalten eines Kaminfeuers oder eines rieselnden Baches, welche beide keine Schönheiten sind, aber doch für die Einbildungskraft einen Reiz bei sich führen, weil sie ihr freies Spiel unterhalten." (Kritik der der Urteilskraft, S. 243).
06.05.2011
Manchmal begegnen wir vertrauten Ideen in Schriften, die in einem völlig anderen Zusammenhang stehen als die eigenen, manchmal finden wir einen Kontext, in dem unsere Ideen nahtlos hineinpassen, manchmal entdecken wir Formulierungen, deren Gegenstand wir erst erahnt haben und deren Sprachkörper wir zum eigenen machen.
06.05.2011
"Was unser Verstand denkt und sagt, ist ein Fliegenschiss neben dem, was unter der Schwelle an Leben, Beziehungen und Verwandtschaften strömt". (Hesse 1985, S. 366) Der rationale Verstand beengt die seelische Kreativität. Das ist der Nachteil der schulischen Erziehung, das Träumen wird einem ausgetrieben.
26.05.2011
Ideen sind von Natur aus virtuell dialogisch; der eine Einfall ruft sogleich ein Gegenüber, der sich sogleich einstellt. Und so entsteht ein Wechselspiel, einem dialektischen Dreischritt gleich. Aber dieselben Ideen sind auch dialogisch, weil es zu ihrem Wesen gehört, einen anderen Denkenden herauszufordern und sich an seiner Entgegnung zu messen.
29.05.2011
Ausnützen von geistigen und begrifflichen Verwandtschaftsverhältnissen: „Er (Valéry) ist ein Erzanalogiker .... der verführerischste Virtuose des Transfers von Denkformen aus einem Gegenstandsbereich in einen anderen, ob Architektur oder Kybernetik, Neurophysiologie oder Sprachbetrachtung. Und oft genug geschieht es, dass der Verschiebungsakt im noch Ungedachten, Unbetretenen endet.“ (H. Köhler und J. Schmidt-Radefeldt in Paul Valéry: Ich grase meine Gehirnwiese ab. Hrsg. T. Stölzel 2011, S. 30). Ein gutes Beispiel hierfür ist der naturwissenschaftliche Begriff der „Konvergenz“: "Unter Konvergenz (auch Parallelismus oder konvergente Evolution) versteht man in der Biologie die Entwicklung von ähnlichen Merkmalen bei nicht näher verwandten Arten, die im Laufe der Evolution durch Anpassung an eine ähnliche Funktion und ähnliche Umweltbedingungen (ähnliche ökologische Nischen, "Stellenäquivalenz") ausgebildet wurden. Daraus folgt, dass sich bei verschiedenen Lebewesen beobachtete Formen direkt auf ihre Funktion für den Organismus zurückführen lassen und nicht unbedingt einen Rückschluss auf nahe Verwandtschaft zwischen zwei Arten liefern". (Aus Wikipedia, 26.05.2011). Dieser Begriff kann auch auf die Entstehung von Literatur angewendet werden, wenn vergleichbare dichterische Werke unabhängig voneinander auf verschiedenen Kontinenten entstehen.
02.06.2011
Valérys „sapere aude”!: Ein Selbstdenken praktizieren, dass als eine Form des intellektuellen Mutes, sich nicht von den Meinungen der Menge, den Konventionen anerkannten Wissens einschüchtern oder von sich selbst wegführen lässt. (T. Stölzel in Paul Valéry: Ich grase meine Gehirnwiese ab. Hrsg. T. Stölzel 2011, S. 38.)
02.08.2011
Es mag lange dauern, bis ein Gedanke ausgereift ist, dass er sich wie ein Fels aus der Brandung des Bewusstseins erhebt. Erst dann aber kann er seine Funktion erfüllen, als sicheres Fundament und deshalb Sprungbrett für weitere Gedanken und deren Vernetzungen dienen. Diese Vorgänge wiederholen sich aufgrund einer eigenen Dynamik ein Leben lang und das Denken wird immer sicherer und erklimmt immer neue Höhen der Erkenntnis. Die Schrift wird hier zum unerlässlichen Werkzeug gegen das Vergessen, das dieses Hochtürmen zunichtemachen würde.
28.08.2011
Ideen lösen sich im Gedächtnis in Fragmente auf, denn das sporadische Denken ist von Natur aus zersetzend. Doch diese Gedankenstummel oder Bruchstücke fügen sich dank unserer kreativen Kräfte wieder zu neuen Einheiten zusammen, die wiederum produktiv wirken.
10.05.2013
"Ich erzähle diese Kindereien, weil sie alles sind, was ich von ihm habe, und obwohl ich sie beim besten Willen nicht zusammenbringe mit seinem Ende; weil ich mich, ohne in ein falsches Pathos zu geraten, nicht umstellen kann auf das, was ihm geschehen ist. Aber auch nicht loslösen kann. Für mich war mein Vater der und der. Dass er schliesslich nackt im Giftgas krampfhaft nach einem Ausgang suchte, macht alle diese Erinnerungen belanglos bis zur Ungültigkeit. Bleibt das Problem, dass ich sie nicht durch andere ersetzen und auch nicht löschen kann. Ich bring's nicht zusammen, da klafft etwas. (...) Traurig - aber wo liegt die Schwierigkeit? Die liegt in der Diskrepanz der Affekte. (...) Ich sehe meinen Vater in der Erinnerung höflich den Hut auf der Strasse ziehen, und in der Phantasie sehe ich ihn elend verrecken, ermordet von den Leuten, die er in der Neubaugasse begrüsste, oder doch von Ihresgleichen. Nichts dazwischen. Und wir haben einen Ton, in dem wir über einen uns bekannten Lebenslauf sprechen, ohne dem Anfang das Ende vorzuenthalten. Zu diesem Zweck schaffen wir Voraussetzungen und setzen Warnsignale. Ich versuche das hier, und es gelingt nicht, weil das Gedächtnis auch ein Gefängnis ist: man rüttelt umsonst an den in der Kindheit geprägten Bildern. Wie bei jener Zeichnung, die man sowohl als Ente oder als Geldbörse sehen kann, aber nicht als beides gleichzeitig, und an der sowohl der Kunsttheoretiker Gombrich wie der Philosoph Wittgenstein ihre Freude hatten, kann ich die richtigen Gefühle für den lebenden oder für den sterbenden Vater aufbringen, aber sie vereinigen für die eine, untrennbare Person kann ich nicht. So verführen gerade die genauesten Erinnerungen zur Unwahrheit; weil sie sich auf nichts einlassen, was ausserhalb ihrer selbst liegt, und den auf ein später entwickeltes Urteil und weiteres Wissen gegründeten Gedanken stur ihre eigene Beschränktheit entgegensetzen und daher auch keine kommensurablen Gefühle aufkommen lassen. Keine Notwendigkeit hält diese disparaten Vaterfragmente zusammen, und so ergibt sich keine Tragödie daraus, nur hilflose Verbindungen, die ins Leere stossen oder sich in Rührseligkeit erschöpfen". (Klüger 2112, S. 28-30).
17.09.2011
Das Schöne am Intellekt ist, dass das Gehirn immer aktiv bleibt und sogar während Mussezeiten oder beim Faulenzen Inhalte umschichtet, neu verknüpft, komprimiert oder tief in unser Bewusstsein verankert. Es findet ein gnadenloser Konkurrenzkampf der Ideen statt, wobei die besseren sich durchsetzen. Hilfreich ist auch das Bild des Sedimentierens, bei der weniger prägnante Inhalte abgedrängt werden. Aber auch