Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In einer Zeit, in der unser Bewusstsein und unser Unbewusstes von fremden Bildern und Ideen Tag für Tag regelrecht überschwemmt werden, haben unsere eigenen und individuellen Vorstellungen allerdings einen schweren Stand. Wir hören deshalb immer weniger auf sie, obwohl nur sie uns wahrhaft aus der Seele sprechen. Wichtig ist, dass wir, was uns wertvoll scheint, schriftlich festhalten, damit wir es unserem Bewusstsein später wieder zuführen können und es sich darin entfalten kann. Aber Ideen haben es auch an sich, dass sie um die Welt wollen. Mit diesem Büchlein schicken wir sie auf die Reise, nicht unumstössliche Wahrheiten, sondern Sprungbretter für weiteres Denken.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 318
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorwort
Der Umgang mit Ideen
1.1 Phänomenologie des Erlebnisses und der Idee
1.2 Niederschrift
1.3 Ideen-Niederschrift und Psychohygiene
1.4 Mythoclasmus: Ideen im Widerspruch
1.5 Wenn Ideen ausbleiben
Philosophie
2.1 Das philosophische Fragen
2.2 Das Staunen
2.3 Das erkennende und erfühlende Subjekt
2.4 Das Numinose
2.5 Die Existenz
2.6 Freiheit
2.7 Der Andere
2.8 Liebe
2.9 Moral
2.10 Die Zeit
2.11 Ästhetik
2.12 Denker und Systeme
Religion
3.1 Religion und Individuum
3.2 Religionsgeschichte, Religion und Gesellschaft / Kunst
3.3 Religion und Wahrheit
3.4 Religion und Erziehung
Trauer, Alter und Tod
Gesellschaft
Politik
Erziehung / Bildung
Kulturentwicklung / Geschichte
Krieg
Kunst
Sprache
11.1 Sprache
11.2 Sprache und Kunst
11.3 Sprachvertrauen
11.4 Sprachnot
11.5 Sprache und Bild
11.6 Sprache und Wahrnehmung
11.7 Sprachgrenzen
11.8 Ambivalenz der Sprache
11.9 Sprache und Macht
11.10 Sprache und Kultur
11.11 Übersetzung
Literatur
12.1 Literatur und ihr Gegenstand
12.2 Literatur und das Schöne / Schreckliche
12.3 Form und Inhalt
12.4 Technik
12.5 Literatur: Sinn und Zweck
12.6 Der Autor
12.7 Literaturvermittlung
12.8 Einzelne Autoren
12.9 Mythologie
12.10 Kinderliteratur
12.11 Lesen
Andere Künste
Naturwissenschaften
Literaturverzeichnis
Sie kommen unaufgefordert, nisten sich ein oder prallen an den Mauern unseres Bewusstseins ab. Einige verweilen nur kurz in unserem Geiste, andere sind richtige Gedankenwürmer, die wir nicht mehr loswerden. Sie kennen weder Nacht- noch Tageszeit; ob wir wach sind oder träumen – immer wollen sie buchstäblich bedacht werden. Die einen empfinden wir als verstörend, andere gewinnen wir richtig lieb und es gibt sogar welche, die uns treu bleiben und ein Leben lang begleiten. Wieder andere, mit denen wir in unserer Jugend Bekanntschaft gemacht und die wir später verworfen haben, können sich in der zweiten Lebenshälfte plötzlich wieder melden. Allerdings kann dies selbstredend nur jemand feststellen, der sich bereits in seiner Adoleszenz selbst beobachtet und das seinerzeit Erkannte aufgezeichnet hat.
Die Rede ist – natürlich – von unseren Gedanken.
In einer Zeit, in der unser Bewusstsein und unser Unbewusstes von fremden Bildern und Ideen Tag für Tag regelrecht überschwemmt werden, haben unsere eigenen und individuellen Vorstellungen allerdings einen schweren Stand. Wir hören deshalb immer weniger auf sie, obwohl nur sie uns wahrhaft aus der Seele sprechen. Selbstverständlich sprechen diese Stimmen und Bilder dabei oftmals eine eigene Sprache, die sich nicht immer in unsere Alltagssprache übersetzen lässt. Oft müssen wir erst länger darüber brüten, um ihnen ihren Wahrheitsgehalt, ihren Kern abzuringen. Wir schlagen dabei Schneisen ins Gestrüpp unserer Seele, wir roden, jeder auf seine Art, und dringen manchmal in noch unbekannte seelische Gefilde vor. Wichtig ist, dass wir stets mitnehmen, was uns wertvoll erscheint. Denn bald wird alles Freigeräumte wieder überwuchert sein. Dies ist aber nur wirklich möglich, wenn wir diese Erzeugnisse des Geistes schriftlich festhalten, damit wir sie unserem Bewusstsein später wieder zuführen können und sich ihre Bedeutung vollends entfaltet. Sie niederzuschreiben, ist auch ein Akt der intellektuellen Redlichkeit, denn unserem Gedächtnis sollten wir nicht allzu sehr trauen: Jede Erinnerung, das ist wissenschaftlich erwiesen, verändert sich bei ihrem Aufruf und dem erneuten Abspeichern. Sie leuchtet immer nur vor dem Hintergrund eines neuen Lebenskontextes auf.
Heute lassen sich Gedanken über Twitter, Facebook und Co. anderen im Augenblick ihres Entstehens mitteilen. Aber auch in der Antike verbreiteten sich Ideen überraschend schnell. So war bereits im alten Alexandria der Ptolemäer indisches Gedankengut bekannt, wie die Geschichtsforschung zeigt. In diesem Sinne sind die folgenden Gedanken zu verstehen als Ideen auf der Reise, als nicht unumstössliche Wahrheiten, sondern als Sprungbretter für weiteres Denken.
Charles Hohmann, Wylen 2010
16.03.09
Während unser Verstand vielleicht Hunderte von Gedanken an einem gewöhnlichen Tage umwälzt, steht diese Zahl in keinem Verhältnis zu den Abertausenden von Sinneseindrücken wie Lauten, Gerüchen, und Bildern, die unser Wahrnehmungsfeld vorübergehend besetzen. Die allermeisten dieser Eindrücke werden aber vom abstrahierenden Verstand ausgefiltert, obwohl sie von Bedeutung sein könnten. Um aber im Verworfenen die Spreu von Weizen zu trennen, braucht es jene ruhigen Momente, in denen wir selbstversunken unser Gedächtnis befragen und in dieser neuronalen Deponie jene Eindrücke wieder heraussuchen, die wir belebend, befreiend oder ästhetisch finden. Diese wiederum können wir in höhere Bewusstseinsschichten einbetten, wobei neue Ideen und Einsichten erwachsen. Verfeinert werden diese dann in einer Niederschrift. (Siehe auch George Steiner: Denken macht traurig.)
23.04.10
„Affengeschnatter“ nennen Buddhisten quälende Gedanken, die permanent im Kopf kreisen. Dabei gibt es ein wunderbares Gegenmittel: Abschalten durch Meditation. Der Körper erholt sich in wenigen Minuten wie bei einem mehrstündigen Tiefschlaf. Aber auch die Niederschrift der Gedanken hilft, das Affengeschnatter zu stillen, indem es das Augenmerk auf die wichtigen Botschaften legt, die ansonsten im Geschnatter untergehen.
26.07.07
Meine Angst, meine Wut ob der Welt, meine Liebe und mein Staunen ob ihrer Wunder, alles in mir angelegt und durch Erfahrungen in der Welt entfacht.
07.06.07
Das Wunder der Wahrnehmung: Das zufällige Zusammenspiel der Phänomene, das durch meine Sinne zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt wird.
25.12.08
„Es ist seltsam, dass alle Erinnerungen, die kommen, zwei Eigenschaften haben. Sie sind immer voll Stille, das ist das Stärkste an ihnen, und selbst dann, wenn sie es nicht in dem Masse waren, wirken sie so. Sie sind lautlose Erscheinungen, die zu mir sprechen mit Blicken und Gebärden, wortlos und schweigend - und ihr Schweigen ist das Erschütternde, das mich zwingt, meinen Ärmel anzufassen und mein Gewehr, um mich nicht vergehen zu lassen in dieser Auflösung und Lockung, in der mein Körper sich ausbreiten und sanft zerfliessen möchte zu den stillen Mächten hinter den Dingen.“ (Remarque 1951, S. 114).
10.02.08
Dank bildgebender Verfahren wissen wir heute mehr über die Funktionen des Gehirns, als unsere Vorfahren sich vorstellen konnten. Wir können sogar die Neuronen beim Feuern beobachten. Und dennoch bleibt die Verbindung zu den geistigen Vorgängen ein ewiges Rätsel (das Geheimnis der Inkarnation). Feuern die Neuronen nach dem Zufallsprinzip oder bilden sich logische Vernetzungen? Gibt es eine Selbstregulation wie bei gewissen Atomen im Nanobereich? Ich zweifle daran, dass wir über die Untersuchung des Materiellen die Funktion des Geistes werden erklären können. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass wir zwar wissen, wo bestimmte Funktionen im Gehirn angesiedelt sind (Broca, Wernicke etc.), dass jedes Gehirn aber völlig andere, individuelle Verbindungsmuster schafft.
03.11.07
Feuernde Neuronen: Unsere Neuronen feuern mehrere tausendmal pro Tag (oder millionenfach) und immer produzieren sie dieselben Traumbilder, dieselben Gedanken, erinnern an Belanglosigkeiten und Sorgen des Alltags. Doch dann und wann blitzt ein neuer Gedanke, ein neues Bild auf und es ist einmalig, zufällig entstanden und manchmal so originell oder bedeutend, dass es aufgeschrieben werden muss. Wird es nicht festgehalten, ist es unwiederbringlich verloren.
05.03.09
Ideen hinterlassen Spuren im neuronalen Netzwerk. Dies können wir der Tatsache entnehmen, dass wir manchmal etwas vergessen und dennoch wissen, dass da etwas war.
16.02.09
Es gibt jene Bilder, die auf uns wirken, ein Mädchengesicht, eine Landschaft, die wir aufnehmen und jene, die wir in unserem geistigen Bilderspeicher mit unserer Fantasie ausbrüten. Ideen werden einerseits von Erscheinungen der Aussenwelt hervorgerufen und entstehen andererseits in uns durch Assoziationsketten.
08.02.09
Manche Bilder, z. B. ein baufälliges Häuschen - eingepfercht zwischen Hochhäusern in Houston, wirbelnde Schneeflocken auf einer einsamen Landtrasse etc. scheinen ein Versprechen zu enthalten und wir speichern sie ab. Wir spüren, dass sie uns etwas sagen wollen, das wir noch nicht verstehen, dass sie Gedankenkeime enthalten, deren Bedeutung uns erst später offenkundig werden könnte.
25.12.07
Wie unterschiedlich ist, was sich am Tage in unseren Köpfen abspielt und was wir nachts erleben. Meine Gedanken am Tage, wenn sie sich von den Pflichten lösen, schweifen auf geruhsame Weise in metaphysische Gefilde ab. Nachdenken, überlegen scheinen die dominierenden Tätigkeiten. Im Halbschlaf frühmorgens hingegen werde ich gewahr, dass mir die schlimmsten Ereignisse widerfahren sind. Verfolgungsjagden, denen ich knapp entgehe, Kämpfe, denen ich mich feige entziehe, Schauplätze, die ich nie gesehen habe, Trümmerlandschaften, dunkle Wälder und brodelnde Seen. Ich kann mich jeweils nur bruchstückhaft und schwach erinnern. Sicher wären diese Träume eine Fundgrube für Fiktionalisierungen. Aber wie an sie herankommen?
01.09.07
Es gibt Geistesblitze, die kurz an die Bewusstseinsoberfläche gelangen und dann aber entweder wieder im seelischen Morast versinken oder aber wie der Korksplitter im Weinglas, der stets dem kleinen Finger voraus ist, sich der gedanklichen Erfassung entziehen. Und hier erweist sich die Geduld als die nützlichste aller Verstandesgaben, denn irgendwann gelingt es der Begriffsbildung wie der Fingerkuppe, den kleinen Korksplitter an den Glasrand zu drücken und seiner habhaft zu werden.
01.10.06
Die letzte Idee, verflogen ist sie, eben war sie noch da, nur noch spurenhaft erinnert. Es bleibt nur noch die Hoffnung, dass sie vielleicht irgendwann wiederkehrt, aus der Finsternis des Unterbewusstseins. Unglaublich, wie flüchtig sie sind und schnell niedergeschrieben werden müssen. Viele sind auf ewig verloren, andere schweben unter der Oberfläche des Bewusstseins, tauchen auf und werden manchmal lästig.
14.08.07
Eine Idee verdrängt die nächste, ein Gedanke stülpt sich über den anderen, sodass wir den Ersteren zeitweilig verdrängen.
01.07.08
Ideen über Ideen führen nicht zu Handlungen.
05.01.08
Was unterscheidet Spermien von Ideen, ausser dass die einen materiell und die anderen immateriell sind? Die wenigsten schaffen es bis ans Ziel, Millionen gehen in einem irren Wettlauf zugrunde. Vielleicht aber, dass die Ideen geschickter sind. Vielleicht können sich viele verkapseln und es ist natürlich so, dass, im Gegensatz zu den Spermien, sie alternative Verzweigungen bilden können. Auch ist nicht jede Idee eine Monade für sich, sie bildet Ableger, gebärt weitere, verschmilzt mit anderen zu Ideenkomplexen. (Siehe hierzu Böll, Ehre der Katharina Blum, Einleitung). Wir glauben, sie manchmal vergessen zu haben oder vergehen lassen zu können, doch bald erstehen sie wieder unerwartet in völlig neue Kontexte auf.
18.07.07
Manchmal erahnen wir Ideen, können sie aber noch nicht ausdrücken. Sie sind dann noch nicht gereift, existieren in einer geheimen Nische unseres Bewusstseins, um langsam Form anzunehmen, bis sie an die Bewusstseinsoberfläche angeschwemmt werden.
04.12.07
Was ist unser Bewusstsein? Ein zerfranster Teppich, dessen Muster wir erahnen oder ein Riesenteppich, so gross, dass wir nur einen Teil dessen betrachten können?
05.06.08
Tagebucheinträge: Im endlosen Informationsfluss Wissensinseln bilden, Wegmarken setzen, Leitplanken für das Weiterdenken erstellen.
22.12.07
Ideen werden durch metaphorische Reorganisationen, die unbewusst verlaufen, geboren. Ursprünglich sind sie mit der Traumwirklichkeit, aus der sie entstanden sind, eng verbunden und spontan und frisch. Doch je mehr der Mensch über sie brütet, desto mehr verlieren sie von dieser Spontaneität, desto mehr entfernen sie sich von ihrer Quelle und werden schal.
09.03.07
Nein, beim Vergleichen der Fragmente kommt man nicht nur auf einen roten Faden, sondern auf viele. Wir beobachten, wie ein neues Wesen entsteht, der aus mehreren Persönlichkeiten besteht, und wie wir uns in multiple Persönlichkeiten verzweigen.
04.04.08
Im Alter geschieht es oft, dass man Gedanken gar nicht greift, sondern nur noch die Gefühlspur wahrnimmt, die jene im Vorbeihuschen hinterliessen, eine Art Nachleuchten dieser früheren Gedanken. Wenn wir diesen Spuren folgen, können wir im Glücksfall den ursprünglichen Gedanken im Nachhinein wieder aufrufen.
20.12.05
Unsere Wahrnehmung nimmt nur Fragmente wahr, Bruchstücke eines vermeintlichen Ganzen. Denn, wenn wir die Puzzleteile auswählen, folgen wir offenbar einem inneren uns unbekannten Suchalgorithmus, der uns schliesslich zu einer Gesamtschau führt. Dieser Akt der Totalisierung aber ist Produkt unserer Kreativität, Deutung und Wünsche und existiert nicht in der Welt ausserhalb unseres Bewusstseins. Bradbury schrieb am Anfang seiner Schriftstellerlaufbahn lange Reihen von Substantiven und fing dann langsam an, Muster in den Listen zu entdecken. (Bradbury 2003, 31)
17.06.10
Wahrnehmung hat mit dem zu tun, was in der Sinnenwelt wird und vergeht, das gesuchte Wissen dagegen mit unveränderlichen Gegenständen wie denen der Mathematik. Daher kann Wahrnehmung nicht das gesuchte Wissen sein. (Mertens 2003, S. 44).
24.05.2007
Gedanken verwittern nicht, setzen keine Runzeln an, sie mögen sich wandeln, aber immer behalten sie ihre ursprüngliche Frische. Doch wenn sie sich in Worte verkörpern, müssen sie, um nicht zu verdorren, stets neu eingekleidet werden.
14.06.09
Auch die banalsten Einfälle sind wichtig, auch Ideen, die vielleicht jedem in den Sinn kommen und hundertfach gedacht worden sind, solange sie meine eigenen sind. Trotz ihres naiven, alltäglichen Charakters bilden sie oft die Grundlage für weiterführende Denkprozesse.
02.07.09
"Ideen sind überall zu finden – wie Äpfel, die vom Baum gefallen sind und nun im Gras modern, weil kein Wanderer mit Blick und Geschmack für Schönheit, ob schreckliche, absurde oder edle, gerade vorbeikommt und sie aufsammelt". (Bradbury 2003, 22)
08.07.09
"Unsere Wahrnehmung irrt oft, bewegt sich ziellos, aber unser Unbewusstes fängt Eindrücke nach uns unbekannten Gesetzen für uns ein und speichert sie ab. Doch es kann Jahre dauern, bis irgendetwas Brauchbares an die Oberfläche dringt". (Bradbury 2003, 76).
15.07.09
Die Erinnerung ist unser Hauptlieferant für Ideen. Doch wenn wir in unsere Vergangenheit hineinleuchten, sehen wir nur, was im Lichtkegel erscheint, und das wiederum sind wir selbst, was nicht unbedingt weiterhilft. Wir stehen zwar im Mittelpunkt des damals Erlebten, unser Verständnis für das Vergangene bleibt aber wegen des engen Lichtradius beschränkt. Wir müssen danach trachten, das Dunkel, das unsere Erinnerung einkreist, zu beleuchten, Akteure, Umstände und Perspektiven zu rekonstruieren, um uns der damaligen Wahrheit zu nähern.
20.09.09
"Kilvert schreibt, dass das Geschriebene für ihn wirklicher sei als was er tatsächlich an diesem Tag oder am vorigen gesehen habe und über das er gerade schreibe. Nur in der Erinnerung sind die Dinge real. Jedenfalls scheint das die Erfahrung zu sein, die er und ausser ihm noch viele andere Autoren gemacht haben - romantische Seelen, die wie Wordsworth entdeckt hatten, dass sie erst im Erinnern und Schreiben ihr Leben und ihr Gefühl für alles Lebendige erschufen. Die tatsächliche Erfahrung war nichts dagegen, ein blosser undeutlicher Fleck, der in ständiger Bewegung war, immer verschwand. ... Wordsworth sah seine Osterglocken erst wirklich, als er zu Hause auf seiner Couch lag und sie mit dem inneren Auge betrachtete". (Bayley 2000, S. 248ff.).
24.02.10
Per Olof Enquist: Ein anderes Leben, 187: Wer denkt? Wer schreibt? Er oder der Zeitgeist?
08.04.10
Problem der Introspektion: Durch die begrifflich bestimmte Fragestellung kann in das Erlebnis etwas hineinprojiziert werden, was ursprünglich gar nicht darin enthalten war. Die Wirklichkeit selbst wird ... schon durch die Beobachtung beeinflusst. Sie formt sich nach der Fragestellung. ... Zunächst liegt das Erleben in einer vorbegrifflichen Schicht, das Verstehen dagegen ist ein gedanklicher Vorgang, und in der Anwendung des begrifflichen Denkens auf die vorbegriffliche Wirklichkeit ergeben sich alle Schwierigkeiten der Interpretation, eines Ausdrückens in Begriffen, das notwendig eine Seite der Wirklichkeit einseitig hervorhebt. Diese allgemeine Schwierigkeit der Interpretation einer vorbegrifflichen Gegebenheit wird aber hier noch besonders erhöht, weil der Gegenstand selbst nicht fest ist und sich unter dem Einfluss der Fragestellung verwandelt. ... „Es ist, als sollten in einem beständig strömenden Fluss Linien gezogen werden, Figuren gezeichnet, die standhielten“ (Dilthey VII 280 zit. in Bollnow 1955, S. 177-178).
02.06.10
Die Idee kann - wie die Fliege, die im Bernstein gefangen ist - unproduktiv bleiben. Der Denker muss ihr quasi die DNA entnehmen, um aus ihr neue Welten zu erschaffen. Ähnlich wie aus Dinosaurier DNA Jurassic Park entstand. Das aus dieser Fliegen-DNA auch monströse Gebilde entstehen könnten, gehört zum Risiko.
02.06.10
Gute Gedanken oder Ideen haben die Qualität von Erlebnissen, die wir in neue Erlebniszusammenhänge einbinden können.
19.06.10
"Denn ich betrachte unser Gedächtnis nicht als ein bloss zufällig behaltendes und das andere zufällig verlierendes Element, sondern als eine wissend ordnende und weise ausschaltende Kraft. Alles, was man aus seinem eigenen Leben vergisst, war eigentlich von einem inneren Instinkt längst schon vordem verurteilt gewesen, vergessen zu werden. Nur was ich selber bewahren will, hat ein Anrecht, für andere bewahrt zu werden". (S. Zweig: Die Welt von Gestern, Fischer, 1962, 12)
Ideen und Kreativität
11.09.08
"Bei einem denkenden Menschen kann es keine Einöde geben". (Turgenjew, Väter und Söhne, 166)
06.07.08
Die Fantasie muss genährt werden. Ist sie rege, geht sie eigene Wege und ist unkontrollierbar, was ihre Bestimmung ist.
06.07.08
"Die Fantasie ist wichtiger als das Wissen, denn Wissen ist begrenzt". (A. Einstein)
06.07.08
Der Erkenntnisgewinn entsteht ... nicht durch das vermeintlich objektive Zusammentragen von Fakten, sondern in der bewusst durch die Fantasie erzeugten literarischen Darstellung. Fantasie, die laut Rytcheu das wichtigste Medium zum Verständnis fremder Völker sei. (Interview Juri Rytcheu).
24.01.09
Die Phantastik als Brücke zu den Wundern der realen Welt.
06.07.08
Die Fantasie hat ihre Wurzeln in den Anlagen des Menschen und nicht in seinem erworbenen Wissen. Sie gehört zu jenen Fähigkeiten, die sich im wachsenden Individuum entfalten muss. Es ist aber wichtig, dass sie in richtige Bahnen gelenkt wird und so genährt wird, dass sie immer produktiver wird.
14.06.08
Warum täglich Ideen sammeln, Geistesblitze aufschreiben? Geht man seine Notizen später durch, findet man Gedanken, die einander widersprechen. Sie erscheinen in unterschiedlichen, manchmal in weit auseinanderliegenden Zeiträumen. Da sie schriftlich vorliegen, erkennt man, wo man widersprüchlich ist. Es ist nun wichtig, sich einem solchen Widerspruch zu stellen, denn dessen Auflösung führt zu neuen Gedanken, die uns auf unserer geistigen Odyssee weiterbringen. Wir entdecken zudem die wahren Paradoxe, die Widersprüche, die unauflösbar bleiben und oft wertvoller sind als jede Synthese. Ohne die Disziplin der täglichen Niederschrift hätten wir sie aber nie einander gegenüberstellen können, denn widersprüchliche Gedanken lassen sich nicht gleichzeitig erfahren: Der Geistesblitz toleriert kein Gegenüber, er schwingt sich oben auf und beherrscht zunächst die innere Wahrnehmung und deren geistige Verarbeitung.
26.08.06
Frei sein heisst, den kollektiven Mythen die eigene Anstrengung des Denkens entgegenzusetzen und diesen kreativ mit eigenen Mythen die Stirne zu bieten. Auch wenn wir uns neue Sehweisen aneignen, drohen wir immer wieder in die „Trugbilder des Marktes“ zurückzufallen. Neues, anderes Denken bleibt flüchtig und muss stets neu erstritten werden.
28.07.07
"Die Zeichnung eines Bildhauers ist oft nichts anderes als eine Eintragung ins Tagebuch, eine Gedächtnisstütze, in der der Künstler später die Essenz einer Idee wiederfinden wird, um sie dann in einem Material auszuführen, das er nicht mehr mit den Malern gemeinsam hat. Aber ich will in meinen Skulpturen dieses flüchtige und sehr intime Moment des Entwurfes wieder aufleben lassen. ... (Die Zeichnungen) dienen dazu, den manchmal improvisierten Charakter meines Werkes, die Rolle, die noch das Unbewusste oder die Inspiration nach all der harten Arbeit der Ausführung spielen kann, zu demonstrieren" (Fritz Wotruba, 1961).
14.08.07
Fragmente, Gedankensplitter, Fundgrube, Steinbruch oder Wortbruch für weitere Erzählstränge.
24.09.07
Fragment, Aphorismus, Fuss in der Tür des Gedächtnis- und Denkraums, hinter dem neue Gedankenwelten auf ihre Erkundung warten.
03.02.08
Die fruchtbarsten Ideen kommen einem, wenn man nichts im Sinne hat, beim Flanieren, in Momenten der Musse. Deshalb muss Jugendlichen viel Zeit für Musse zugestanden werden, damit sich ihre Seelen frei entfalten können.
04.02.08
Damit die Inspiration sich einstellt, damit ich schöpferisch fündig werde, muss ich mich als Künstler möglichst von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen freimachen, seien diese familiär, beruflich oder sogar geschlechtlich. Nur als Spielball meiner Gedanken und Gefühle kann ich mich neu positionieren, die Welt neu erfahren. Wie kann ich denn, wenn ich in den familiären Alltag, in den täglichen rituellen Handlungen eingebunden bin, z. B. an den eigenen Tod denken.
18.06.09
"Es kommt mir vor, dass eigentlich die Fantasie ein freier Mitarbeiter ist, dessen Tätigkeit man nur dann und wann kontrollieren kann". (Siegfried Lenz zit. in Mensak 1982, S. 17).
"Die Einbildungskraft oder die Fantasie verhilft uns dazu, das Wirkliche auf einer anderen Ebene durchsichtig zu machen, oder ... einer unüberschaubaren Realität eine gewisse Abgegrenztheit und Überschaubarkeit zu geben". (Kohou zit. in Mensak 1982, S. 35).
"Wir haben das Bedürfnis, die Welt über das Fantasierlebnis vermittelt zu bekommen" (Kohout zit. in Mensak 1982, S. 37).
"Die Geschichte der Literatur zeigt ..., dass Fantasie durch etwas ganz Bestimmtes immer wieder mobilisiert und angestiftet wird, nämlich durch einen konkreten Mangel, durch Abwesenheit. Sagen wir, durch die Abwesenheit von Freunden, durch die Abwesenheit der Liebsten, durch die Abwesenheit der Heimat". (Kohout zit. in Mensak 1982, S. 46).
"Wie wäre die Welt ohne Fantasie? Wir hätten die ganze antike Götterwelt nicht und keine Märchen. Es gebe keinen Gegenentwurf zur Welt. „Wir müssten uns mit dem Zustand der Welt so, wie er sich uns darstellt, abfinden. Wir wären verloren in einem Definitivum, es gäbe keine Alternative. Wir könnten uns nicht befreien ...“. (Kohout zit. in Mensak 1982, S. 56).
Die Kantschen Kategorien wie auch die Mythologeme oder Archetypen verstellen uns die Wirklichkeit. Die Letzteren wurzeln in der Erinnerung, sowohl in ihren angeborenen Mustern wie auch in den Erfahrungen unserer Vergangenheit.
"Erinnern ist auch immer ein Wegräumen von Geröllhalden. Das Suchen in den Geröllhalden ist blindlings, es ist unwahrscheinlich, dass man gezielt in den inneren Geröllhalden suchen kann. ..... Wenn die Geröllhalde abgetragen ist, bleibt die Zwiebel, die Zwiebel, die immer eine neue Haut hat. (…) Bei Autoren setzt dieses Auffinden Handlungen in Gang, auf einmal finden Figuren, die in der Seele schon angelegt waren, literarisches Leben (…). In diesem neuen Wirklichkeitsbegriff, in dem die Fantasie Platz hat, beginnt sich die Syntax zu entwickeln. (70-71) Die Vergangenkunft wird der chronologischen Zeit und der Gegenwart entgegengesetzt". (Günther Grass zit. in Mensak 1982, S. 65, 70-72).
"Das Phantastische muss aber in einer Ordnung stehen, ..., einer Gesetzmässigkeit, der wir alle unterliegen, die wir erfahren können". (Günther Grass zit. in Mensak 1982, S. 76).
"Da steht auf einmal eine Metapher auf dem Papier, die schillert und glänzt verdächtig. (...) Wenn ich anfange, diese Metapher zeichnerisch zu überprüfen, dann hält die Wortmetapher oft nicht genug stand". (Günther Grass zit. in Mensak 1982, S. 77).
"Wunsch etwas vor dem Vergessenwerden zu bewahren ... als ob man Bilder erlösen will. Es ist ein Bannen des Bildes in das Wort. Erinnerungsbilder also, die im Gehirn aufgezeichnet sind, sollen verschwinden ... irgendein Schatten, der vom Gehirn gespeichert wurde und plötzlich in verrücktesten Situationen sich aufdrängt. Und man weiss nicht warum ... (107-108) Erinnerungsbilder haben etwas Symbolisches an sich. Jedes Bild, das nach Erlösung ruft ... enthält ein Signal für uns. Und das muss aufgedeckt werden, sonst ... ist das für uns schädlich". (Kempowski zit. in Mensak 1982, S. 108).
"Meine „Zettel“ sind inzwischen in ein grosses System gebracht, sie sind nach Motiven geordnet. Die Zettel haben etwas Verpflichtendes. ... irgendwann wird dann aus den Zetteln ein Manuskript entstehen". (Kempowski zit. in Mensak 1982, S. 120).
"Wenn ich durch das Private hindurch stosse, auf eine tiefere Schicht, auf das Allerprivateste ... werde ich auch einmal eine Stelle anbohren, die wir alle gemeinsam haben: Der Kern, ... der im Unbewussten allen gemeinsam ist. Diese Scharfeinstellung bewirkt, dass man ... (von sich) ... auf einen anderen kommt, der in einem angelegt ist, oder dass wir uns selbst einmal hinter oder in ihm sehen". (Kempowski zit. in Mensak 1982, S. 148).
"Wir wissen, dass erst die Fantasie, die sich in der Form manifestiert, etwas Geschriebenes zum Kunstwerk macht; denn der Inhalt ist ... austauschbar". (Kempowski zit. in Mensak 1982, S. 155).
"Man muss die „Story“ als eine Herausforderung begreifen, die durch die Fantasie gemeistert sein will". (Kempowski zit. in Mensak 1982, S. 157).
"... ich denke mir, dass die Vorstellungskraft, die Fantasie durch Lesen geschult beziehungsweise mobilisiert wird. (…) Der Lesevorgang ist ein Vorgang der Versetzung ... Ich als Autor versetze den Leser, und der Leser versetzt sich in eine bestimmte Situation". (Heinich Böll zit. in Mensak 1982, S. 162-163).
(Böll) Fantasie als eine Art Widerstand gegen die Zeit ... oder ein Mittel, um der Zeit zu begegnen". Heinrich Böll zit. in Mensak 1982, S. 168).
"In unser Unbewusstes gelangen nicht nur die nüchternen Daten, sondern auch, wie wir darauf reagieren und ob wir uns von ihnen distanzieren oder sie wertschätzen". (Bradbury 2003, S. 47).
08.07.09
"Während meines bisherigen Lebens hatte ich Bilder gesammelt, sie gespeichert und wieder vergessen. Nun musste ich dorthin zurückgehen, Worte als Katalysatoren benutzen, um mir die Erinnerungen zugänglich zu machen und zu sehen, was sie zu bieten hatten". (Bradbury 2003, S. 98).
08.07.09
"Was denken Sie über die Welt? Sie filtern als Prisma das Licht der Welt; es brennt durch Ihren Geist, um ein ganz eigenes Abbild auf Papier zu werfen, anders als jedes andere auf der Welt. Lassen Sie sich von der Welt durchglühen. Projizieren Sie das gleissende Licht des Prismas auf Papier. Präsentieren Sie Ihr ganz eigenes spektroskopisches Abbild". (Bradbury 2003, S. 167).
09.07.09
"Konzentrieren Sie sich nicht auf Ihren Nabel, sondern auf Ihr Unbewusstes und tun Sie dies mit dem, was Wordsworth eine „weise Passivität“ nannte. Sie werden auf Zen zurückgreifen müssen, um eine Lösung für Ihre Probleme zu finden. ...... Es ist ein weiser Schriftsteller, der sein Unbewusstes kennt – und der es nicht nur kennt, sondern es auch von der Welt sprechen lässt. Weil nur das Unbewusste – und dies allein – sie erspürt und zu seiner ganz eigenen Wahrheit formt". (Bradbury 2003, S. 171).
02.08.09
Die Fantasie kann irregeleitet sein, vor allem bei Jugendlichen. Aber Fantasieausbrüche kann man nicht unterbinden, entweder man lässt sie ins Leere laufen oder man versucht, sie umzupolen.
18.08.09
Warum Tagträumen? Wir schaffen eine Gegenwelt zu der des Alltags, befreien uns von den seelischen Zwängen, den aufgezwungenen Bildern, dem Alltagsstress. In dieser Gegenwelt verarbeiten wir zwar die Erlebnisse des Alltags, interpretieren diese aber neu und fügen sie nach eigenen inneren seelischen Gesetzen anders zusammen.
23.12.09
" ... die schöpferischen Antriebe wurzeln in einem Bereich, „der seiner Natur nach nicht begriffen werden kann". (Safranski 2009, S. 15).
03.02.10
Es gibt Literaten, die sinnliche Phänomene nicht wie andere intuitiv erfassen und gestalten können, sondern diese zuerst gedanklich oder begrifflich erfassen, d.h., verstehen müssen, um sie erst dann in sinnliche Korrelate zurückzuübersetzen.
06.04.10
Durch die regelmässige Niederschrift stehen Gedanken nebeneinander, die wir nie miteinander gedacht oder zueinander in Bezug gesetzt hätten. Die neue Gegenüberstellung regt unsere Fantasie an und wir denken uns neue Bedeutungszusammenhänge aus. Mit anderen Worten, wir potenzieren unsere kreativen Fähigkeiten.
29.04.10
Gibt es eine geheime Verbindung zwischen Fantasie und Wirklichkeit? Ist es so, dass eine Wechselwirkung besteht, bei der die Wirklichkeit im selben Masse sich verändert, wächst und schrumpft wie die Fantasie? Gibt es also auch eine Abhängigkeit und Wechselwirkung zwischen Leben und Dichtung?
29.04.10
Die Erinnerung ist mehr als die Erfahrung selbst, denn wie die Olive erst in der Lauge ihr Aroma entfaltet, so reichert sich die Erinnerung in unserem Unterbewusstsein an. In der Erinnerung machen wir uns die Erfahrung oder das Erlebnis zu Eigen, in der Erinnerung wird es vertraut und heimisch.
02.06.10
Ein Bild, ein Erlebnis kann ein anderes verdrängen und das Verdrängte versinkt wieder in das Unterbewusstsein und geht vielleicht somit auf immer verloren.
02.07.10
"Von den unzähligen unlösbaren Rätseln der Welt bleibt das Tiefste und Geheimnisvollste doch das Geheimnis der Schöpfung. Hier lässt sich die Natur nicht belauschen, niemals wird sie diesen letzten Kunstgriff sich absehen lassen, wie die Erde entstand und wie eine kleine Blume entsteht, wie ein Gedicht und wie ein Mensch. Hier zieht sie unnachgiebig ihren Schleier vor“. (Zweig 1962, S. 317-318).
Kreativität und Liebe
Liebe und Kreativität haben dieselben Antagonisten: den Alltag. Ertrinkend im alltäglichen Wirbel der anstehenden Aufgaben und Verpflichtungen, Opfer der unmittelbaren Erfordernisse einer erfolgreichen Lebensbewältigung schütten wir unser kreatives Potential zu.
14.12.06
Beim wiederholten Lesen unserer Gedanken erscheinen uns gewisse Texte bedeutend, andere nur interessant, wieder andere trivial. Doch nach verflossener Zeit entdecken wir früher unauffällige Texte plötzlich als relevant und wahr. Hat diese Erfahrung damit zu tun, dass wir uns selbst verändert haben?
11.02.07
Es braucht das richtige Umfeld, vielleicht unerwartete Reize, um die Kräfte der Fantasie freizusetzen. Dann aber können wir mit ihr die Mauern des Alltäglichen sprengen und uns aus der bequemen, gewohnten, schalen Welt befreien.
01.04.07
Ideen sind launisch, denn sie gedeihen nur im Umfeld eines bestimmten „genius loci“. Es ist nicht unwichtig, wo du dich setztest, in welche Atmosphäre du dich befindest. Wenn alles stimmt, stellen sie sich überraschend ein.
16.05.09
Ohne Erinnerungen gibt es keine Zukunftsvisionen.
19.05.09
Eine lebhafte Fantasie muss genährt werden und je reger sie ist, desto mehr Nahrung braucht sie.
19.05.09
Sich selbst beim Denken ertappen – meistens geschieht dies unbewusst – und indem man an das Gedachte anknüpft, weiterdenkt, die Denkrichtung bestimmt, aber auch das Denken spielen lässt. Oder sich auf einen Gegenstand konzentrieren und in spiralförmigen Bögen Analogien bilden und diesen eine bestimmte Denkrichtung vorgeben. Dass dann vielleicht der Auslöser des Denkprozesses in Verlegenheit gerät, ist unerheblich.
19.05.09
Gedanken zu George Steiner: Warum Denken traurig macht, (36): „Die Bestandteile unseres Denkens sind selbst in den individuellsten, intimsten Handlungen ... Klischees, endlose Wiederholungen.“ Wie steht es aber mit der unendlichen Kombinierbarkeit dieser Bestandteile?
„Die Sprache (der Klischees) trachtet beständig danach, die Herrschaft über das Denken zu erlangen. ... dieses 'Trüben des Wassers', diese unaufhörlichen Beeinträchtigungen sind auch jene der Kreativität.“ (George Steiner: Warum Denken traurig macht, [49]). Einwand: Aber die Welt ist in stetem Fluss, verändert sich kontinuierlich. Dies gibt unserem Denken die Möglichkeit, sich zu erneuern, indem es sich den neuen Wirklichkeiten anpasst. Der Mensch sucht stets die geistige Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, versucht die analoge Beziehung zwischen Welt und Denken aufrecht zu erhalten. Steiner geht von einem statischen Bild der Wirklichkeit und des Individuums aus, wie er auch ein geschlossenes und statisches System des Denkens impliziert.
02.07.09
"Die Gesamtheit der gespeicherten und wieder vergessenen Erfahrungen formt jeden Menschen, sodass er sich von allen anderen Menschen dieser Welt unterscheidet". (Bradbury 2003, S. 47).
02.07.09
"Ich habe schon früh erkannt, dass meine Wahrnehmung eine indirekte ist, dass mein Unbewusstes das „Einfangen“ für mich übernimmt und dass es Jahre dauern kann, bis irgendein brauchbarer Eindruck an die Oberfläche dringt". (Bradbury 2003, S. 76).
21.09.09
Was wir erleben und wahrnehmen, sind Bilder und in der späteren Erinnerung können wir diese Bilder vor dem inneren Auge vorbeiziehen lassen. Doch ständig drängt sich die Frage auf: Was hat das alles zu bedeuten? Die Bilder sprechen zu uns, aber was wollen sie uns mitteilen? Was für Geheimnisse verbergen sie?
19.10.09
Die Verwendung von Bildern im Text erlaubt uns - im Gegensatz zu abstrakten Begriffen – mehr kreative Interpretationsmöglichkeiten. Während Begriffe oft abschliessend wirken, können wir immer wieder zu Bildern zurückkehren und sie anders oder vielleicht besser verstehen. Ein Beispiel dafür ist Rilkes Grabspruch. Solche Bilder können uns ein Leben lang begleiten und uns stets neue Ein- und Ausblicke schenken.
02.11.09
Nur die Fantasie erlaubt es uns, die Vergangenheit zu erforschen und die Zukunft zu erfragen. Nur in der Gegenwart leben können ist Zeugnis von Fantasiearmut.
15.03.10
Deine Gedankenwelt gleicht einem Kieselsteinhaufen, in dem dieser oder jener Stein glänzt. Vielleicht, weil er ein Geheimnis birgt. Ergreife ihn und du wirst sehen, wie er vielleicht weitere Glitzersteine verdeckt. Mit anderen Worten, das Festhalten oder Aufschreiben von glänzenden Ideen macht den Weg frei für die nächsten.
06.07.08
Wer liest und schreibt, sucht sich selbst, heisst es oft. Doch nicht “sich” sucht er, sondern das universal Menschliche, von dem sich ein Teil in ihm äussert.
19.06.10
Eine Idee ist oft nur die Spitze eines Eisberges, ihr Reichtum, ihre Fülle liegt unter dem Boden des Bewusstseins und muss mühsam abgetragen und an die Oberfläche gebracht werden. Mit andern Worten, eine Idee kann eine andere verbergen, die keimen will.
08.04.10
"Im Ausdruck ist das Leben festgelegt. (…) Der Ausdruck kann sich nicht mehr durch die Richtung der Fragestellung ändern. ... Der Ausdruck hält durch seine Festigkeit dem Verstehen stand. (…) So kann, während an den Erlebnissen eine feste Abgrenzung nicht aufstellbar war, diese an den Ausdrücken und den Objektivierungen aufgezeigt werden. (…). Die beiden Grenzen des unmittelbaren Erlebens: das Fliessen und die Beeinflussbarkeit, werden also im Ausdruck überwunden. (Dilthey zit. in Bollnow 1955, S. 77).
08.04.10
"Erst am fertigen Ausdruck rückwärts erkennt sich der Mensch selbst, indem er sein Werk als etwas Fremdes betrachtet. (Dilthey zit. in Bollnow 1955, S. 180).
09.04.10
"Wenn auch das gesprochene Wort vorübergeht, so erlaubt es doch seine begriffliche Natur, es unverändert in der Erinnerung zu behalten. Aber auch diesem Verfahren sind durch das menschliche Gedächtnis enge Grenzen gesetzt. Hier setzt der Vorzug der fixierten Lebensäusserung ein. ... Unter den dauernd fixierten Äusserungen nimmt aber die Sprache bei Dilthey eine besondere Stellung ein, weil ihre Form „das menschliche Innere in ihr seiner vollständigen, erschöpfenden und objektiv verständlichen Ausdruck findet.“ (Bollnow 1955, S. 210)
28.09.08
Wir lesen gerne Tagebücher und Selbstschilderungen anderer und vergessen dabei, dass wir unser eigenes Tagebuch zu schreiben haben. Jeder sollte seinen eigenen Wandel hienieden dokumentarisch festhalten, nur so kann er ihm einen Sinn abgewinnen.
30.04.06
Eigene schriftliche Erkenntnisfragmente sind bedeutender als angelesene. Weil aus uns entstanden, stehen wir ihnen viel näher. Zudem scheint das Denken Gesetzen zu folgen, die uns kaum bekannt sind und die in unseren zunächst losen Beobachtungen unbemerkt einen roten Faden spinnen, ja, im Stillen einen Teppich weben, dessen Muster erst allmählich und im Nachhinein sichtbar wird.
05.04.09
Gedankenimpulse können gehäuft, gleichzeitig auftreten und da unser Kurzzeitgedächtnis nur über begrenzte Ressourcen verfügt, können sie nicht gleichzeitig zu Ende gedacht werden. Hier bedarf es des Tagebucheintrags, der Notiz, die seriell die Denkansätze wiederaufnimmt und sie richtig ausdenkt und zur Entfaltung bringt.
10.04.09
Die Niederschrift von Ideen fördert die „demokratische“ Wechselbeziehung zwischen ihnen. Durch das Aufschreiben von Ideen wird verhindert, dass einzelne dominant werden und darauf das ganze Denkverhalten prägen, was wiederum eine ideologische oder dogmatische Geisteshaltung verstärkt. Beim erneuten Lesen der Aufzeichnungen dagegen werden wir uns bewusst, dass wir auch anders oder abweichend von unseren Leitvorstellungen gedacht haben und relativieren letztere.
14.08.2007
Writing a scaffolding for experience.
12.05.08
Die abenteuerlichste Reise: Gedankensplitter wie Tonscherben sammeln, auf der Suche nach einer verborgenen Architektur. Plötzlich findet man einen Eckpunkt und kann lose Teile verbinden. Ein anderes anschauliches Bild ist das des Puzzles. Ist das nicht die Struktur des erfolgreichen Romans?
06.07.08
Gedanken niederschreiben heisst, die Zeit anhalten, es entsteht also etwas Zeitloses, das an ein flüchtiges Ereignis erinnert. Ich muss nun bedenken, ob dieses Zeitzeugnis über den Moment hinausweist, dann darf ich ihn immer wieder bearbeiten, denn er steht ja ausserhalb des Zeitlichen und ist Teil des ewig Menschlichen.
02.02.08
Diese Einblicke ins Menschliche, Gedankensplitter aus der Wirklichkeit destilliert, können, einmal ausformuliert, wieder als Leitgedanken dienen, um in der Erfahrungswelt oder der Literatur wieder konkrete Beispiele zu finden.
29.05.08 / 17.06.09
Auch Banales, Selbstverständliches, Binsenwahrheiten gilt es aufzuschreiben. Wenn Erkenntnisse selbstverständlich sind, sind sie bestimmend und bilden das Fundament, auf dem neue Ideen gedeihen. Viel entscheidender ist, dass die Idee eine Eigenschöpfung ist.
06.07.08
Nicht nur die Gedanken sind wichtig, sondern auch das Umfeld ihrer Entstehung wie die Umgebung, das Wetter etc.
01.12.08
Kann man dem Gedanken zusehen, wie er reift? Sollte man beim Denken abwarten und in sich horchen, ob das Gedachte als Vorstufe zu einem nächsten Gedanken zu verstehen sei und sich in Geduld und Kontemplation üben? Reift der Gedanke wie eine Frucht des Geistes?
15.07.09 Sicher ist, dass Druck und Stress die Kreativität hemmen. Schöpferisch werden wir nur, wenn wir uns Zeit lassen und müssig sind.
16.03.09
Ideen dürfen nicht niedergeschrieben werden, bevor sie ausgedacht und zuende gedacht sind. Jede verfrühte Niederschrift meisselt sie in unser Bewusstsein und kann dabei durch verfälschende Formulierungen jedes weiterführende Denken beeinträchtigen.
15.04.09
Ideen verwalten: Sobald die niedergeschriebenen Ideen und Erinnerungen ein gewisses Ausmass erreichen, müssen sie verwaltet werden. Es gilt dann, Ideen, die einen Bezug zueinander haben, in die richtige Abhängigkeit zu bringen, sie sinnvoll zu gruppieren, wobei man Titel für die verschiedenen Gruppierungen und Untergruppierungen finden muss.
16.04.09 / 20.06.09
Hat man einmal geistige Klarheit geschaffen, erkennt man das eigene Gedankengebäude, kann man sich bei anderen Denkern umschauen, ihre Denksysteme betrachten und wird bald herausfinden, dass man Verwandte hat, Denker, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt haben und deren Ideen einem vertraut vorkommen. Dann ist man als Denker nicht mehr alleine. Angst, dass man Epigone bleibt, braucht man nicht zu haben. Zwar wird man entdecken, dass andere dieselben Ideen auch gehabt haben, aber das Zusammenspiel dieser Ideen, der Gesamteindruck, den sie erwecken, wird immer einmalig sein, wird immer nur mir gehören. Mit den Ideen verhält es sich vielleicht ähnlich, wie mit den grammatischen Regeln, deren absolute Zahl zwar beschränkt ist, die aber unendliche Kombinationsmöglichkeiten erlauben.
29.05.08
Entscheidend für den Erfolg eines Werktages ist nicht die Menge des Gelesenen, sondern die Bedeutung der niedergeschriebenen Ansichten, sei es der übernommenen oder der durchdachten und erweiterten.
23.10.07
Wir schreiben nicht für die Zukunft, sondern damit die Vergangenheit bleibt.
16.08.08
Nur mittels der Schrift können wir in diesem Universum Wurzeln schlagen und unsere Gedanken gehören uns erst ganz, erhalten erst ihre Klarheit, wenn wir sie in Schrift fassen.
14.12.06
Tausend Gedanken gehen dir täglich durch den Kopf. Nimm dir Zeit am Ende des Tages, gehe in dich hinein und schreibe die wertvollsten Tagträumereien für dich auf. Je umfangreicher die Textsammlung wird, desto vielfältiger und reicher wird dir dein Leben erscheinen.
07.05.09
Versuche täglich, dem vergehenden Tage noch etwas Tiefe zu geben, was aber nur geht, wenn du ihm auch einen Moment der Dauer schenkst, denn nur, wenn du die Zeit anhältst, wirst du die dritte Dimension deiner Erfahrungen finden.
19.12.06
Ich bedauere zutiefst, dass ich so spät mit dem Schreiben angefangen habe. Beim Schreiben reift mein Verstehen der Welt, die mich umgibt, sie entgleitet mir weniger, ja sie wird fast fassbar. Vielleicht gelingt es mir so, meiner Vergangenheit Sinn zu geben. Warum habe ich es nie getan? Weil meine ersten Versuche so kläglich scheiterten? Aus Scham, weil andere das so gut konnten? Weil ich einfach zu bequem war, um damit anzufangen?
24.05.09
Schreiben und Orientierung: Dass alles schon irgendwo steht, ist kein Hinderungsgrund für das Schreiben. Ich bin nicht nur ein Individuum in dieser Welt, sondern ein Mitglied der Gesellschaft, in der es Geistesverwandte gibt und zwar auch in allen Jahrhunderten zuvor. Wenn ich das Geschriebene überdenke, kann ich herausfinden, mit wem ich meine Ideen teile, was mich auch trägt. Einwand: Landet man am Ende nicht immer bei denselben zynischen und pessimistischen Autoren wie Nietzsche, Schopenhauer und Co.?
24.05.09
Mit dem Schreiben ist es wie mit der Fantasie, je mehr man verfasst hat, desto mehr will man schreiben.
24.05.09