Calidragos 2. Auf den Spuren der Bestie - Viktoria Etzel - E-Book

Calidragos 2. Auf den Spuren der Bestie E-Book

Viktoria Etzel

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Beschreibung

Ein mysteriöses Familiengeheimnis In Tobys Leben kehrt einfach keine Ruhe ein! Nachdem die gefürchtete Verbrecherin La Primera Bonfire Bay verlassen hat, erhält er einen geheimnisvollen Brief von der rätselhaften Gilde. Wer steckt hinter dieser mysteriösen Organisation und was wollen sie von ihm? Zusammen mit seinem treuen Drachen Lou und seinen Freunden Ellie und Mango begibt sich Toby auf eine abenteuerliche Reise, die ihn tief in die Geheimnisse seiner Familie und seiner Heimatstadt führt … Der zweite Band der Calidragos ist ein magisches Tierwandler-Abenteuer für Kinder ab 10 Jahren, das ganz nebenbei wichtige Werte wie Tierschutz vermittelt. Eine actiongeladene Geschichte voller Spannung, Freundschaft und Magie! Calidragos: Spannende Tierwandler-Fantasy - Die geniale Reihe für Tierfans: Magische Tierabenteuer für Kinder ab 10 Jahren. - Spannender Lesespaß: Eine actionreiche Geschichte mit Gestaltwandlern, einer wichtigen Tierschutzbotschaft und einer Prise Magie. - Voller magischer Tiere: Die Reihe "Calidragos" entführt in eine fantastische und abenteuerliche Welt voller Tierwandler, Drachen und Magie. - Starke Themen: Freundschaft, Magie und Tierschutz.Calidragos – die spannende Gestaltwandler-Fantasy-Reihe macht tierisch Spaß. Toby und seine Freund*innen erleben actionreiche Abenteuer, kombiniert mit den Themen Magie, Freundschaft und Tierschutz. Ein großes Leseabenteuer und ein tolles Geschenk für Kinder ab 10 Jahren, die gerne Bücher wie "Animox" und "Die Schule der magischen Tiere" lesen.  

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Über dieses Buch

Tauche ein in die magische Welt der Calidragos.

In Tobys Leben kehrt einfach keine Ruhe ein! Nachdem die Verbrecherin La Primera verschwunden ist, erhält Toby einen Brief von einer mysteriösen Gilde. Was will sie ausgerechnet von ihm und wer steckt dahinter? Die Antworten sucht Toby gemeinsam mit seinen Freunden Ellie, Mango und Lou. Dabei stoßen sie auf eine antike Drachenstatue und kommen einem gefährlichen Geheimnis auf die Spur. Wäre da nur nicht Akiko, das neue Mädchen aus seiner Klasse, bei der sich Toby nicht sicher ist, ob sie ihm wirklich helfen oder nur das Leben schwer machen will ...

 

 

 

 

 

 

 

Für Dominik – meinen Fels in der Brandung

Kapitel 1

Aliento de Sangrelis

 

Die Flammen erblühen, einer der Fünf wird kommen.

Es reckt sich die Schnauze, die Schuppen, sie glommen.

Höre das Brüllen der Bestie, sie hat dich erwählt.

Sie hat sich erhoben und ihren Atem gestählt.

Die Zweige des Baumes strecken sich ihr entgegen.

Erreichen sie jedoch nicht, dem Bann sie erlegen.

Er muss brechen, damit das Wasser kann fließen.

Der Stamm muss bersten, und die Macht kann sprießen.

Die Flügel schlagen, versuchen zu fliehen.

Doch dem Schicksal kann man sich nicht entziehen.

Einer kann das Band knüpfen, bevor das Feuer es zerreißt.

Verloren und wiedergefunden – der ewige Kreis.

Kapitel 2

Ich starrte einen langen Moment auf die Zeilen, bevor ich mich schlagartig abwandte und das zerknitterte Blatt Papier zwischen den Seiten meines Notizbuches verschwinden ließ.

»Echt jetzt? Schon wieder der Brief?«, fragte Lou. Gähnend rollte sich der blau geschuppte Drache auf den Rücken und streckte alle vier Beine in die Luft. Wie ein Welpe reckte er mir seinen Bauch entgegen.

»Nee, Quatsch. Nur Hausaufgaben«, log ich reflexartig und stopfte das Notizbuch in meinen Rucksack, der unter dem Schultisch stand. Noch waren wir allein im Klassenzimmer, und Lou musste sich nicht verstecken. Er setzte sich auf die Hinterbeine und funkelte mich so misstrauisch an, dass ich meine kleine Lüge direkt bereute.

Vor einem Drachen etwas zu verbergen, war zwecklos … vor allem, wenn man mit besagtem Drachen eine magische Bindung eingegangen war.

»Als ob«, maulte Lou.

Ich erwiderte nichts, bis er mir mit seinem spitzen Schwanzende gegen den Oberarm pikste. »Hör auf! Ich hab nur noch mal was nachgesehen!«, versuchte ich mich zu verteidigen … und machte es damit nur schlimmer.

»Ja klar, was nachgesehen … Verarschen kann ich mich auch selbst«, murrte Lou und verdrehte die Augen. »Du musst die blöden Zeilen doch inzwischen auswendig können.«

Ich presste meine Lippen aufeinander. Was konnte ich dafür, dass mich die handgeschriebenen Worte nicht loslassen wollten und jedes Mal ein mieses Gefühl in meinem Bauch hinterließen, wenn ich über sie nachdachte? Seit fast zwei Monaten spukte der geheimnisvolle Brief in meinem Kopf umher, und an allem war nur diese verfluchte Gilde schuld. Alles, was ich von ihr kannte, war ihr Siegel, das einen wasserspeienden Drachen zeigte. Ein Siegel, das musste man sich mal vorstellen … Wer verwendete denn bitte heutzutage noch so was? Und verschickte dann auch noch so abstruse Gedichte? Das war so was von mittelalterlich.

Die Verse handelten von einer mächtigen Bestie, von Schicksal und noch mehr mystischem Blödsinn, der überhaupt keinen Sinn ergab. Aber am unheimlichsten war der Titel: Aliento de Sangrelis. Das bedeutete Atem des Blutes. Ich wollte es erst nicht glauben, als ich die Worte nachgeschlagen hatte, aber jeder Onlineübersetzer hatte dasselbe Ergebnis ausgespuckt. Mir kroch es eiskalt den Rücken hinunter, wenn ich zu lange darüber nachdachte, welche tiefere Bedeutung der Titel haben könnte. Hätte diese Gilde nicht einfach direkt schreiben können, was sie von mir wollte, anstatt mir dieses sonderbare Gedicht zu schicken?

Wochenlang hatten Lou und ich uns zusammen mit Ellie, Mango und Anton den Kopf darüber zerbrochen, was die Verse bedeuten könnten, aber wir waren zu keinem Ergebnis gelangt. Mango war felsenfest davon überzeugt, dass das Gedicht eine Prophezeiung war (gruseliger Gedanke!). Ellie tippte auf ein Rätsel, und Anton glaubte, da würde sich jemand einen dummen Scherz mit mir erlauben.

Bevor mein Paps und ich nach Bonfire Bay gezogen waren, hätte ich vermutlich sofort Antons Theorie zugestimmt. Aber seit wir in einer Stadt lebten, in der es von magischen Wesen nur so wimmelte und ein leibhaftiges Exemplar vor mir auf dem Tisch saß, war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass in Bonfire Bay niemals etwas zufällig passierte, und dass ich diesen Brief erhalten hatte, schon mal gar nicht! Es war offensichtlich, dass das Gedicht irgendetwas mit den Calidragos zu tun hatte. Das Siegel der Gilde zeigte schließlich einen Wasserdrachen!

Wie so oft in letzter Zeit wanderten meine Gedanken weiter zu meinem Großvater Henry. Er hätte mir bei dieser Sache sicher helfen können. Er hatte nicht nur über die Calidragos Bescheid gewusst, nein, er hatte sogar einen Drachen an seiner Seite gehabt – genau wie ich! Er hatte sein Wissen zwar vor Paps und mir verborgen, aber er hätte mich nicht im Stich gelassen … oder? Ich hasste das quälende Gefühl, dass Opa so viele Geheimnisse gehütet hatte und dass ich quasi nichts über die Vergangenheit meiner Familie wusste.

Die Einzige, die mir vielleicht etwas über Opa Henrys geheimes Leben erzählen konnte, war Camille. Sie wusste immerhin auch über die Gilde Bescheid. Aber kurz nach dem Ende der Sommerferien war sie spurlos verschwunden. Keine Abschiedsworte, keine Nachricht – nichts! Ihr Souvenirshop stand leer, und es gab null Hinweise darauf, was mit ihr und ihren magischen Haustieren, dem Basilisken Serpio und dem Hippokamp Medeia, passiert war. Camilles Verschwinden konnte kein Zufall sein und bestärkte nur meinen Verdacht, dass Opa Henry und die Gilde in irgendeiner Verbindung zueinander standen. Und ich war ja auch nicht der Einzige, der das dachte …

Ricarda, oder besser gesagt La Primera, die Kriminelle, die wir diesen Sommer gemeinsam besiegt hatten, hatte mich erst auf die Idee gebracht. ›Der alte Henry hat euch beide nicht auf die Welt der Calidragos vorbereitet. Er hat seinen Platz in unseren Reihen zu Recht aufgegeben‹ … Das waren ihre Worte gewesen. In unseren Reihen … In meinem Bauch rumorte ein Verdacht, von dem ich mich nicht traute, ihn mit Lou zu teilen.

»Ich weiß, dass du dir Sorgen machst«, fügte Lou mitfühlend hinzu und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Aber du musst mich deswegen nicht belügen. Nicht mich.« Er grub seine Krallen in die Tischplatte.

Sofort gesellte sich zu dem unguten Gefühl das schlechte Gewissen. Ich wollte Lou nicht aufregen. Er war ein großer Fan von der Wir-haben-keine-Geheimnisse-voreinander-Nummer, aber etwas in mir sträubte sich dagegen. Nur weil wir zusammengehörten, mussten wir doch nicht wirklich ALLES teilen, oder?

»Lass das! Ich bekomm noch Ärger deswegen!«, grummelte ich in einem durchschaubaren Versuch, das Thema zu wechseln. Auffordernd stupste ich gegen seine Krallen. Als ob es irgendjemanden interessieren würde, wenn die vollgekritzelten und von Macken übersäten Schultische ein paar Kratzer mehr bekämen. »Du bekommst auch was Süßes«, fügte ich unfairerweise hinzu, denn mit dem Zauberwort hatte man einen Drachen spielend leicht in der Hand.

Sofort spitzte Lou seine Ohren und gab seine angespannte Haltung auf. Er lockerte den Druck seiner Krallen und richtete sich auf. »Was hast du denn dabei?« Seine Schnauze zuckte schnuppernd.

Grinsend beugte ich mich unter den Schultisch und zog eine Tafel Schokolade aus meinem Rucksack hervor. Wenn man einen Drachen an seiner Seite hatte, brauchte man immer einen Vorrat an Süßkram. Lous Augen weiteten sich begierig. Es war eine von seinen Lieblingssorten, die mit dem flüssigen Karamellkern in jedem Stück. Ich öffnete die Tafel und brach ihm eine Rippe ab. Stürmisch klaubte er sie mir aus den Fingern, biss eine Ecke ab und schleckte das Karamell heraus. Während Lou sich genüsslich über die Schokolade hermachte, wanderte mein Blick zum Fenster hinaus. Wir hatten Anfang Oktober, und es war jetzt schon ziemlich düster morgens – passte perfekt zu meiner Stimmung.

»Vielleicht solltest du den Brief einfach wegwerfen«, schlug Lou auf einmal zögernd vor.

Ich blinzelte ihn verwundert an, denn ich hatte gar nicht bemerkt, dass sein Schmatzen verstummt war. Es war ihm wohl ziemlich ernst, wenn nicht mal Schokolade ihn lange ablenken konnte.

»Das kann ich nicht«, sagte ich abwehrend. »Ich denke, der Brief bedeutet etwas. Keine Ahnung, was, aber …«

»Ich glaub, du steigerst dich da rein«, unterbrach Lou mich. »Wenn dieser Brief wirklich eine tiefere Bedeutung hätte, dann hätten wir doch längst davon erfahren, oder nicht? Vielleicht sollten wir die Sache einfach vergessen.«

Ich antwortete nicht. Ich konnte Lou einfach nicht von meiner Befürchtung erzählen, dass der Brief nicht nur etwas mit Opa Henry, sondern auch mit Ricarda zu tun haben könnte. Wir hatten die Verschwörung gegen die Calidragos zwar aufgedeckt und aufgehalten, aber mir wurde immer noch schlecht, wenn ich daran zurückdachte, wie Ricarda mit ihrem Teufelsgebräu auf Lou gezielt hatte, um ihm seine magischen Kräfte zu nehmen. Sie hatte ihn zwar zum Glück verfehlt, aber es war knapp gewesen … zu knapp.

Außerdem war die Sache nicht für alle von uns gut ausgegangen. Denn anstelle von Lou hatte Ricarda den Wasserdrachen Cyndra getroffen, der sich daraufhin in einen normalen Axolotl verwandelt hatte. Cyndra … sie war der letzte lebende Wasserdrache gewesen. Ob das hinter dem Brief steckte? Machte die Gilde mich dafür verantwortlich, dass ihr Wappentier nun endgültig ausgestorben war? Aber Ricarda war doch schuld an Cyndras Verwandlung, nicht ich! Wer weiß, was Ricarda dieser Gilde über mich erzählt hatte? Ihre Warnung klang mir noch immer in den Ohren: ›Das wirst du noch bereuen. Warte nur, bis die Gilde hiervon erfährt, dann kannst du dich von deinem geliebten Drachen verabschieden.‹ Mein Magen verknotete sich jedes Mal schmerzhaft, wenn ich über ihre Worte nachdachte.

»Hallo? Noch da? Woran denkst du?« Lou wedelte mit seiner Schwanzspitze vor meiner Nase herum.

»An Cyndra«, gab ich zu. Eigentlich wollte ich Lou nicht beunruhigen, aber Ricardas Andeutungen über Opa Henry gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Wenn Ricarda Teil dieser ominösen Gilde war und sie über den Zaubernapf und sogar die Geheimnisse meiner Familie Bescheid wusste, dann mussten wir mit dem Schlimmsten rechnen. »Was, wenn der Brief doch wichtig ist, was, wenn …«, ich zögerte, fasste mir dann aber doch ein Herz, »… was, wenn du und Mango und der Rest der Calidragos in Gefahr seid?«

»Dann hau ich die Fieslinge mit meinem Drachenatem einfach um«, erwiderte Lou achselzuckend.

»Ach ja?«, fragte ich zweifelnd.

»Aber hallo!« Lou plusterte seine geschuppte Brust auf und pustete etwas Rauch aus seinen Nüstern.

Ich musste gegen meinen Willen grinsen.

»Hier riecht’s nach Rauch! Was treibt ihr denn schon wieder?« Schwungvoll schmiss meine beste Freundin Ellie ihre Tasche auf den Tisch und rutschte auf den Stuhl neben mir. Sie hatte mal wieder verschlafen. Ihre langen blonden Haare waren in einem unordentlichen Zopf nach hinten gebunden, und ihr Outfit war so schräg wie eh und je. Sie trug eine zu große Latzhose und darunter ein dünnes Kapuzensweatshirt mit einer aufgestickten Sonnenblume. In der Kapuze eingekringelt lag der leuchtend orange-grüne Greif Mango. Seine Löwentatzen zuckten im Schlaf.

»Flexen«, meinte Lou selbstsicher.

»Geht das auch ohne Feuer, Loubarian?«, fragte Ellie schmunzelnd.

»Nö! Ich bin ein Drache, da geht nichts ohne Feuer!«, konterte Lou.

»Warum so müde?«, fragte ich mit einem Nicken zum schlafenden Mango, bevor Ellie etwas erwidern konnte.

»Wir haben letzte Nacht einen Neuzugang bekommen. Der hat uns ganz schön auf Trab gehalten«, sagte Ellie und untermauerte ihre Aussage mit einem herzhaften Gähnen.

»Ach ja?« Interessiert lehnte ich mich näher zu ihr herüber. Wenn der Zaubernapf einen neuen Bewohner bekam, gab es immer Action.

»Und wen?«, mischte sich Lou neugierig ein.

»Oder was?«, fügte ich hinzu.

»Ein W…«, setzte Ellie an, aber in diesem Moment hörten wir Stimmen auf dem Gang vor der Tür zum Klassenzimmer.

»Schnell«, zischte ich und hielt Lou meinen geöffneten Rucksack entgegen. Ohne zu zögern, sprang er hinein, und Ellie schob den leise im Schlaf grummelnden Mango hinterher. Gerade rückte ich den Rucksack zurück zwischen meine Füße, da kamen schwatzend ein paar unserer Mitschüler herein.

Obwohl Unwissende nur Mangos und Lous Tarngestalt sehen würden, mussten wir trotzdem vorsichtig sein. Eine Schildkröte und ein Papagei würden in der Schule genauso auffallen wie ein Drache und ein Greif. Oder fast genauso. Wir kassierten ein paar fragende Blicke. Zweifellos sah man Ellie und mir an, dass wir etwas ausgefressen hatten.

Nach und nach schlurften unsere Mitschüler herein, und der Lärmpegel stieg. Da Paps mich morgens auf dem Weg zur Arbeit mitnahm, blieb mir zwar der Schulbus erspart, dafür war ich aber immer früher als alle anderen da. Immerhin leistete Lou mir dabei Gesellschaft. Mango kam meistens auch mit in die Schule, und während Ellie und ich büffelten, hatten die zwei ihren Spaß. Meistens streunten sie über das Schulgelände und dachten sich irgendwelche Spiele aus. Momentan war ihr Favorit eine abgewandelte Version von Schnick, Schnack, Schnuck. Sie nannten es Feder, Feuer, Fangzahn. Feuer verbrennt Feder, Feder kitzelt Fangzahn, und Fangzahn widersteht Feuer. Oder so ähnlich zumindest, denn die beiden änderten ständig die Regeln.

Ich schielte nach unten zu meinem Rucksack. Ausnahmsweise drangen mal keine komischen Geräusche hervor. Mango musste wieder fest eingeschlafen sein, und Lou beschäftigte sich zweifellos mit der angebrochenen Tafel Schokolade.

»Was für ein Calidragos ist denn jetzt gestern bei euch angekommen?«, zischte ich Ellie zu. Ich lernte immer noch jede Menge über die magischen Wesen und fand es superspannend, wenn der Zaubernapf Zuwachs bekam.

Ellie antwortete nicht, sondern sah sich misstrauisch nach unseren Mitschülern um und schüttelte warnend den Kopf. Ja, wir mussten vorsichtig sein, aber manchmal übertrieb sie es mit ihrer Angst um die Calidragos. Auf uns achtete sowieso keiner. Die meisten aus unserer Klasse hielten uns für Nieten, die nichts anderes als ihre Tiere im Kopf hatten.

»Komm schon«, murmelte ich.

Mit einem Seufzen gab Ellie sich geschlagen. Wortlos riss sie ein leeres Blatt Papier aus ihrem Schulblock heraus und kritzelte etwas darauf. Sie schob mir das Blatt zu, und ich warf einen interessierten Blick auf ihre Zeichnung. Diese zeigte ein Tier, das aussah wie ein gestreiftes Schwein mit einem langen Rüssel und zotteliger Mähne.

»Was zum Teufel soll das denn sein?«, grunzte ich und versuchte, hinter vorgehaltener Hand ein Lachen zu unterdrücken.

»Ey, nicht lachen«, maulte Ellie und zog mir das Papier unter der Nase weg.

»Sorry, aber keine Chance«, grinste ich.

»Doofkopf!« Sie schlug mir spielerisch gegen den Oberarm.

»Okay, okay! Lass mich noch mal sehen«, meinte ich versöhnlich.

Schweigend schob Ellie mir das Blatt erneut zu, und ich presste die Lippen aufeinander, um nicht wieder in Lachen auszubrechen.

»Hm«, machte ich, während Ellie mich beobachtete. »Ja, ganz klar zu erkennen.«

»Ach ja? Und was ist es?«, fragte Ellie herausfordernd.

Ich wollte gerade zu einer neckischen Antwort ansetzen, da antwortete jemand anderes für mich. »Ein Baku.«

Ellie und ich wandten uns auf unseren Stühlen herum, um die Sprecherin anzuschauen. Hinter uns stand ein blasses Mädchen mit glänzenden schwarzen Haaren, die nach oben gesteckt waren. Nur ein paar lose Strähnen hatten sich gelöst und rahmten das Gesicht ein. Das Mädchen war komplett in Schwarz gekleidet, bis auf einen Kristallanhänger, der an einer Kette um ihren Hals baumelte. Das Licht brach sich auf der glatten Oberfläche des Anhängers und ließ ihn in allen Regenbogenfarben leuchten. Die Augen des Mädchens blitzten amüsiert, während es uns beobachtete.

»Was ist ein Baku?«, brach Ellie schließlich stotternd das Schweigen.

»Solltest du das nicht besser wissen als ich? Schließlich hast du einen gezeichnet«, sagte das Mädchen achselzuckend. »Mach ihn das nächste Mal nicht so dick und den Rüssel nicht so lang«, fügte es schmunzelnd hinzu und beugte sich zwischen uns über den Tisch. »Darf ich?« Ellie nickte zögernd. Das Mädchen griff nach dem Stift. Schwungvoll zeichnete es einige Linien auf das Papier und zauberte neben Ellies missglücktes Schwein ein Wesen, das aussah wie eine Mischung aus Tapir und Löwe.

»Wow«, entfuhr es mir, was mir ein Lächeln des Mädchens und einen beleidigten Blick von Ellie einbrachte.

»Ich bin übrigens Akiko«, sagte das Mädchen und legte Ellies Stift beiseite. »Ich bin die Neue«, fügte sie selbstbewusst hinzu, und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und steuerte einen freien Platz in der ersten Reihe an.

»Was ist das denn für eine?«, meinte Ellie verwundert. Sie warf noch einen Blick auf die beiden Zeichnungen, dann zerknüllte sie das Papier theatralisch und schob es in meinen geöffneten Rucksack.

»Ich wäre nicht böse, wenn das Ding auf einmal Feuer fangen würde«, murmelte sie. Lous lautloses Lachen ließ den Rucksack beben, und ich verpasste ihm einen sanften Stoß mit dem Fuß.

In diesem Moment kam unser Klassenlehrer Herr Schrever herein und knallte seine Tasche auf das Pult. Ich hatte ihn vom ersten Augenblick an nicht gemocht, und mit der Zeit hatte sich diese Abneigung noch verstärkt. Nicht nur, dass er Englisch unterrichtete, was mein absolutes Albtraumfach war, er hatte mich an meinem ersten Tag gezwungen, mich vor der ganzen Klasse vorzustellen – auf Englisch! Ich hasste es, wenn mich alle wie ein seltenes Insekt anstarrten und ich keinen geraden Satz rausbrachte – nein, danke! Meine Hände fingen nur beim Gedanken daran schon wieder an zu schwitzen, und ich fasste unruhig an meine Brille.

Seit diesem Tag hatte der Mann mit der Halbglatze an der Tafel den Namen Schreck-Schrever, und den hatte er mehr als verdient.

Nur ein Gutes hatte Schreck-Schrever: Er würde Akiko gleich an die Tafel zitieren und sie dieselbe peinliche Prozedur wie mich durchleben lassen. Damit würde er sie vermutlich genauso traumatisieren wie mich, dafür würden wir allerdings etwas über die mysteriöse neue Schülerin erfahren.

»Morgen«, raunzte Schreck-Schrever. Niemand antwortete ihm. Er war mit Abstand der unbeliebteste Lehrer an der Schule. Der Mann war berühmt für seine urplötzlichen Wutausbrüche und Schimpftiraden. Wenn er einmal loslegte, konnte man nur den Kopf einziehen und es über sich ergehen lassen. »Wir begrüßen heute eine neue Schülerin. Und zwar … äh …« Er wühlte gelangweilt in seiner Tasche.

»Akiko Devlin«, half sie ihm weiter.

»Ah ja, genau, Akiko.« Er nickte ihr zu, schien aber eher durch sie hindurchzusehen. Montags war Schreck-Schrever meistens ziemlich verpeilt. »Gut, also dann fahren wir fort. Die Herbstferien stehen kurz bevor, und in der Zeit vor den Ferien haben wir dieses Jahr zwei Projektwochen geplant. Ihr werdet hierfür aus mehreren Workshops wählen können.«

War das sein Ernst? So leicht ließ er Akiko vom Haken? Sie musste nur ihren Namen sagen? Ich durchbohrte unseren Lehrer mit meinem Blick, während er das Merkblatt zu den Projektwochen vorlas und dabei einen Stapel Papier durch die Reihen geben ließ.

»Wo machen wir mit?«, fragte Ellie im Flüsterton. Sie nahm sich ein Blatt vom Stapel und reichte ihn an mich weiter.

»Ist mir egal«, knurrte ich.

»Wie wär’s mit dem Kochkurs einmal um die Welt?«

Ich zuckte nur mit den Achseln und starrte auf Akikos Hinterkopf.

»Oder schau mal, das klingt spannend! Oder, hm, vielleicht doch lieber …« Ellie verstummte so abrupt, dass sie damit meine Aufmerksamkeit zurückgewann.

»Was?«, fragte ich, aber Ellie antwortete nicht. »Ellie?« Genervt sah ich sie von der Seite an, aber sie kramte geistesabwesend in ihrem Mäppchen herum. Was war jetzt wieder los?

»Es ist mir eine besondere Freude«, sagte Schreck-Schrever mit lauter werdender Stimme, um das aufkeimende Geplapper zu übertönen, »dass wir dieses Jahr einige Eltern mit dabeihaben werden, die die Workshops leiten.«

Unwillkürlich fragte ich mich, wer von uns davon betroffen war. Es gab doch nichts Ätzenderes, als die eigenen Eltern rund um die Uhr in der Schule zu haben.

»Unter anderem Tobys Mutter Sarah Decreas, die erstmalig einen Archäologie-Workshop an unserer Schule anbieten wird.«

Kapitel 3

Ich traute mich nicht, irgendjemanden von meinen Klassenkameraden direkt anzuschauen. Ich fixierte einen Punkt hinter Schreck-Schrever an der Tafel und versuchte, das heiße Gefühl, das meinen Hals emporkroch, zurückzuhalten. Spoiler-Alarm! Es funktionierte nicht. Innerlich fand ich mich damit ab, für die nächsten Wochen zum Gespött zu werden. Mein Stand in der Klasse war sowieso schon schlecht, weil ich mit der ›merkwürdigen‹ Ellie befreundet war … Und jetzt auch noch das!

»Frau Decreas wird uns zwei Wochen lang in die faszinierende Welt der Archäologie entführen«, ratterte Schreck-Schrever herunter und klang dabei so, als wäre ein Einkauf im Supermarkt spannender als der Beruf meiner Mam. »Hat sie dir denn schon verraten, welche aufregenden Exponate sie uns mitbringen wird, Toby?«

War das sein Ernst? Meine Mutter hatte mir ja nicht mal erzählt, dass sie vorhatte, nach Bonfire Bay zu kommen. Dem hämischen Grinsen nach zu urteilen, wusste Schreck-Schrever darüber bestens Bescheid und genoss es sichtlich, mich zu quälen.

»Nein, keine Ahnung«, stieß ich hervor und fühlte sofort, wie meine Ohren noch heißer wurden. Das hier war buchstäblich die Hölle. Die Hitze zog sogar vom Boden herauf. Ich bemerkte Ellies besorgten Blick. Spürte sie das etwa auch? Sie fixierte meinen Rucksack, und ich verstand augenblicklich. Lou war wütend, und er ließ die Luft um uns herum flimmern. Hoffentlich wechselten wir bald das Thema, bevor Lou meinen Rucksack in Brand steckte.

»Zu schade. Aber dann haben wir ja etwas, worauf wir uns freuen können«, sagte Schreck-Schrever mit einem schmallippigen Lächeln. Offenbar war er enttäuscht darüber, dass ich ihm nicht mehr Futter gegeben hatte, und ließ von mir ab. Während die anderen sich allmählich wieder umwandten, suchte er bereits die Klasse nach einem neuen Opfer ab. Nur Akiko beobachtete mich weiterhin mit einem wachsamen Blick. Als sie bemerkte, dass ich sie ebenfalls ansah, schenkte sie mir ein breites Lächeln und wirbelte herum.

»Geht’s dir gut?«, flüsterte Ellie mir zu. »Wusstest du überhaupt, dass deine Mam kommt?«

Ich schüttelte wortlos den Kopf, und sofort ließ Ellie das Thema fallen. Das mochte ich an ihr. Sie verstand, wenn man nicht über etwas reden wollte. Obwohl sie es am heutigen Tag noch mehrmals versuchte. In jeder Pause schnitten sie und Lou das Thema Archäologie-Workshop an. Deswegen kürte ich Mango zum Freund des Tages. Er schlief die meiste Zeit und löcherte mich als Einziger nicht mit unangenehmen Fragen. Ich war froh, als der Unterricht endlich vorbei war.

Normalerweise ging ich nach der Schule zusammen mit Ellie in den Zaubernapf. Paps kam oft erst spätabends nach Hause, weil er so lange arbeiten musste. Er war froh darüber, dass ich nicht so oft allein war. Er wusste ja nicht, dass Lou ein Drache und immer an meiner Seite war. Und Paps wäre sicher nicht begeistert gewesen, wenn er davon erfahren hätte. Immerhin hatte Lou für ziemlich viel Unruhe gesorgt, kurz nachdem er bei uns eingezogen war … und ich hatte dafür den Kopf hinhalten müssen! Die stibitzten Pralinen hatte Paps mir verziehen, aber die Sache mit der Golduhr von Opa Henry war nicht so leicht zu lösen gewesen.

Ich konnte Paps schließlich nicht sagen, dass seine geliebte Uhr nun ein Kompass war, der Calidragos aufspüren konnte, und dass der Kompass sich auch gar nicht mehr in unserem Besitz befand, sondern von Ricarda gestohlen worden war. Allerdings war Ricarda selbst die Lösung für das Rätsel gewesen, na ja, eigentlich ihr Handlanger Marvin. Denn nachdem die beiden verschwunden waren, hatten wir das Antiquitätengeschäft neben dem Zaubernapf, das Marvin als Versteck genutzt hatte, gründlich unter die Lupe genommen. Zwischen dem alten Plunder waren wir auf eine Golduhr gestoßen, die exakt so aussah wie die von Opa Henry. Amadeus’ Theorie war, dass Ricarda den Plan verfolgt hatte, die goldene Uhr selbst zu stehlen, bevor Lou ihr zuvorgekommen war. Einen Drachen von Drachengold fernzuhalten, war eben ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich hatte die gefälschte Uhr heimlich in die Vitrine in Paps’ Schlafzimmer gelegt. Er hatte nie wieder ein Wort über ihr Verschwinden verloren, und ich war froh darüber. Paps durfte unter keinen Umständen von den Calidragos erfahren. Ich war ja selbst noch damit beschäftigt, mich daran zu gewöhnen, mit einem Drachen verbunden zu sein.

Die magische Bindung zwischen Lou und mir war von ganz allein entstanden, weil wir füreinander bestimmt waren – zwei Puzzleteile, die ineinanderpassten –, aber die Bindung zwischen uns zu stärken, war eine ganze Menge Arbeit. Amadeus half uns dabei so gut wie möglich. Fast täglich statteten Lou und ich dem Zaubernapf einen Besuch ab.

Wenn Mensch und Calidragos eng genug verbunden waren, konnte der Mensch die magischen Eigenschaften des Calidragos nutzen. »Das funktioniert aber nicht automatisch, ihr müsst euch aufeinander einlassen – ein Team werden!«, predigte Amadeus uns nun schon seit Wochen. Dabei hatte ich gedacht, dass wir längst ein Team wären. Als uns der gemeingefährliche Zerberus angegriffen hatte, konnte ich ohne Probleme Lous Magie kanalisieren. Sein Drachenfeuer hatte mich nicht verletzt, sondern sich sogar angenehm angefühlt.

Amadeus reichte das jedoch nicht. Er war überzeugt davon, dass noch mehr Kräfte in uns schlummerten. Welche Kräfte das sein sollten und was sie bewirken würden, konnte er uns aber nicht sagen. »Das müsst ihr allein herausfinden«, war stets seine Antwort auf die Frage.

Also verbrachten wir die meisten unserer Nachmittage damit, Lous Kräften auf die Spur zu kommen, und mit jeder Menge spannendem Unterricht über die Welt der Calidragos. Es gab mehr magische Tiere, als ich vermutet hatte, auch Wesen, von denen ich noch nie in meinem Leben gehört hatte. Manche der Calidragos kamen nur in bestimmten Regionen vor, weil sie ein besonderes Klima benötigten, und über andere Calidragos war fast gar nichts bekannt.

Heute war mir aber überhaupt nicht nach Amadeus’ Gesellschaft und dem bunten Treiben im Zaubernapf zumute. Ich war nicht mal mehr scharf darauf, den neuen Bewohner kennenzulernen. Merkwürdigerweise schien es Ellie ähnlich zu gehen. Sie war ebenso wortkarg wie ich und hing ihren Gedanken nach, was überhaupt nicht zu ihr passte. Ellie war selten still und platzte meist vor unbändiger Energie. Heute passte mir ihre sonderbare Laune gut in den Kram. Ellie schaute kaum auf, als Lou und ich uns am Schultor von ihr und Mango verabschiedeten. Sie fragte nicht einmal, warum wir nicht mit in den Zaubernapf kamen.

Obwohl wir an der Hauptstraße entlanggingen, an der Lou sich immer versteckt hielt, konnte er es heute nicht lassen. Er schob seine lange Schnauze aus dem Rucksack und legte seinen Kopf von hinten auf meine Schulter. Kurzzeitig begnügte Lou sich damit, heiße Luft in mein Ohr zu pusten, aber dann platzte es doch aus ihm heraus. »Schreck-Schrever ist ein Mistkerl.«

»Wem sagst du das?«, meinte ich achselzuckend.

»Ich hätte ihm am liebsten die grauen Nasenhaare verbrannt«, schnaubte Lou.

Ich erwiderte nichts. Stumm trottete ich die Straße entlang und hoffte, dass Lou das Thema fallen lassen würde. Aber den Gefallen tat er mir nicht.

»Schreck-Schrever ist gar nicht das Problem, oder?«, nahm er nach einigen Minuten den Faden wieder auf.

»Nope«, meinte ich seufzend und trat gegen eine auf dem Boden liegende Kastanie. Die schreckliche Sommerhitze hatte sich verzogen, und der Herbst schritt voran. Endlich war wieder Hoodie-Zeit! Ich beobachtete, wie die Kastanie auf die Straße rollte und von einem Auto überfahren wurde … ups.

»Dein Paps hat nichts in die Richtung gesagt, dass deine Mam zu Besuch kommt?« Ich schüttelte den Kopf. Paps erkundigte sich immer mal nach Mam, aber da sie oft im Ausland und schwer zu erreichen war, hatte ich ja selbst nicht viel Kontakt zu ihr. Entweder war die Internetverbindung zu schlecht, oder der Zeitunterschied kam uns in die Quere. Alle paar Wochen schrieb sie mir eine ausführliche Mail oder eine Postkarte. Zu einem Videocall kamen wir selten. Mein letzter Stand war, dass sie an einer Ausgrabung in Island teilnahm, wo sie an irgendeinem Vulkan herumbuddelten.

Den Rest des Heimwegs beendeten wir schweigend. Lou wusste, dass ich nicht gerne über meine Mam sprach, auch wenn es ihn vermutlich unter den Krallen juckte, zu erfahren, warum. Aber da ich nicht mal gerne selbst darüber nachdachte, war ich noch lange nicht dazu bereit, mit Lou über sie zu sprechen.

Als wir in die ruhigere Vorortgegend kamen, flatterte Lou aus meinem Rucksack heraus und hüpfte vor mir über den Boden. Ein Rentnerpaar warf mir zwar einen merkwürdigen Blick zu, weil ich mit meiner Schildkröte spazieren ging, aber ich nickte ihnen freundlich zu, und sie sagten nichts zu mir. Einfach so tun, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich kickte erneut gegen eine Kastanie, und Lou jagte ihr mit ausgefahrenen Krallen hinterher. Er war wie eine sonderbare Mischung aus einem Labrador und einer Elster. Lou sammelte für sein Leben gern glänzende Dinge und brachte sie zu mir. Kastanien funkelten zwar nicht, aber sie aktivierten dennoch seinen Sammlertrieb. Wie ein Eichhörnchen flitzte er umher und lieferte seine Beute bei mir ab. Dafür kletterte er an mir empor und stopfte die Kastanien in alle Jeans-, Hoodie- und Jackentaschen, die er finden konnte.

»Meinst du nicht, es reicht langsam?«, fragte ich, als die ersten Kastanien aus den übervollen Taschen quollen und zurück auf den Boden purzelten.

»Vermutlich«, schnaubte Lou aus empört geweiteten Nüstern.

»Wir sind eh da«, sagte ich und nickte zu dem grün lackierten Gartentor, das unsere Einfahrt flankierte. Paps hatte sich erst letztes Wochenende hinreißen lassen, endlich mal ein paar Reparaturen am Haus vorzunehmen. Das Gartentor in neuem Glanz erstrahlen zu lassen, hatte dabei ganz oben auf seiner Liste gestanden. Er hätte es aber auch gleich ölen können, dachte ich, als ich es aufstieß und das laute Kreischen des Metalls ertönte. Während Lou seine Flügel ausbreitete und zur Haustür flog, fummelte ich mit einem nervösen Ziehen in der Magengegend den Briefkastenschlüssel aus meinem Rucksack hervor. Es war albern, aber seit ich Post von der Gilde erhalten hatte, rechnete ich jeden Tag mit einem zweiten Brief, einem neuen Hinweis … mit irgendwas!

Ich schloss den Briefkasten auf, und es flatterte mir zwar kein weiterer Brief der Gilde, dafür aber eine Postkarte meiner Mam entgegen. Das Bild auf der Vorderseite zeigte einen kristallblauen Fjord. Ich drehte die Postkarte herum. Es stand nur ein Satz auf der Rückseite:

Schau in deine Mails!

 

Ich liebe dich, Mam

Ich beeilte mich, ins Haus zu kommen, kickte meine Sneaker von den Füßen und schmiss Jacke und Rucksack neben die Garderobe. Aufräumen konnte warten. Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief ich nach oben in mein Zimmer und drückte den Anschaltknopf meines in die Jahre gekommenen Laptops.

»Toby? Ist was passiert?« Lou kam mir hinterhergeflattert und landete auf meinem Kopf. Wortlos hielt ich ihm die Postkarte entgegen. »Auweia.«

Ungeduldig sah ich dem Ladebildschirm zu. In Momenten wie diesen verfluchte ich mich dafür, dass ich keinen besseren PC hatte, aber ich brauchte ihn nur zum Zocken mit Anton, und dafür reichte er noch. Ich kramte mein Smartphone aus der Tasche, aber die Mail-App aktualisierte nicht. Was war denn hier los? Hatte sich die komplette Technik gegen mich verschworen? Ungeduldig tippte ich auf dem Touchscreen herum, aber das sich nervig um sich selbst drehende Ladesymbol wollte nicht verschwinden. So ein Mist, dass ich mein Smartphone bei unserem Abenteuer in den Sommerferien geschrottet hatte. Paps hatte mir ein neues zu Weihnachten versprochen, und bis dahin sollte ich sein altes als Ersatz benutzen. Das Ding war so überholt, dass es mit fast allem überfordert war.

Während ich mich über das Handy ärgerte, war mein Laptop vor Anstrengung summend und ratternd hochgefahren. Noch bevor sich der Desktop richtig aufgebaut hatte, klickte ich ungeduldig auf die Mail-App. Ich scrollte durch den Spam, bis mir Mams Name ins Auge fiel. Die Mail war schon fast eine Woche alt. Ich sollte da öfter reinschauen, aber andererseits waren E-Mails so was von out.

»Stopp! Da ist sie!«, brüllte Lou.

»Jaja, hab sie gesehen!« Ich öffnete die Mail und überflog die Zeilen.

Hallo, mein Liebling,

bevor ich dir lang und breit erzähle, wie es bei mir momentan läuft, habe ich erst mal tolle Neuigkeiten! Der Leiter deiner neuen Schule hat bei mir angefragt, ob ich an euren Projektwochen dieses Jahr teilnehmen möchte. Sie fragen einige Eltern mit außergewöhnlichen Berufen an. Ich habe selbstverständlich sofort zugesagt. Die Ausgrabung hier auf Island ist so gut wie abgeschlossen, trotzdem werde ich vermutlich erst kurz vor Beginn der Projektwochen in Bonfire Bay eintreffen. Die Planung läuft zwar schon seit einigen Wochen, aber ich wollte dich mit meinem Besuch überraschen. Sei nicht sauer auf deinen Vater, weil er es dir nicht gesagt hat, ich habe ihn darum gebeten. Ich freue mich so unglaublich auf dich. Ich habe schon ein Zimmer in einer schnuckligen kleinen Pension am Hafen angemietet, auf unbestimmte Zeit!

Ich melde mich, sobald ich in Bonfire Bay angekommen bin. Das Netz hier ist fürchterlich.

Ich liebe und drücke dich,

Mam

»Na, das kann ja was werden«, murmelte Lou in meine Haare.

Ich nickte wortlos. Einerseits freute ich mich auf meine Mam. Wir hatten uns seit Anfang der Sommerferien nicht mehr gesehen, und ich vermisste sie inzwischen schrecklich. Andererseits stand das erste Treffen meiner Eltern nach der Scheidung an, und ich hatte keine Lust auf Drama. Außerdem war da ja auch noch diese andere Sache …

Mam war immer viel arbeiten gewesen, und irgendwelche Ausgrabungen zu besuchen, war oft wichtiger, als bei ihrer Familie zu sein. Paps hatte zwar nie darüber gesprochen, aber ich vermutete, das war einer der Gründe, warum sie jetzt getrennte Wege gingen. Ich hatte mich nie getraut, Mam zu sagen, wie enttäuscht ich von ihr war. Genau genommen hatte ich noch nie jemandem davon erzählt. Und Mam hatte immer so getan, als wären wir eine ganz normale intakte Familie. Ich kannte sie … sobald sie hier ankam, würde sie wie immer so tun, als wäre sie nicht Monate fort gewesen, nur damit wir uns nicht stritten. Das war ihre Masche.

Hoffentlich würde es zumindest in der Schule nicht allzu peinlich werden. Klar, Mams Beruf war eine coole Sache, aber sie war trotzdem eine Mutter, die plötzlich in der Schule auftauchte. Das konnte entweder ein Erfolg oder eine Katastrophe werden. Eins war sicher: Ich würde mit Sicherheit bei keinem Workshop meiner Mam mitmachen!

Kapitel 4

»Oh, aber warum nicht?«, jammerte Ellie. »Archäologie ist total spannend!«

»Du kannst ja mitmachen«, sagte ich achselzuckend. »Aber ich nicht!«

Ellie, die eben gerade noch ihre Nase genüsslich in die Sonne gereckt hatte, sah mich jetzt mit finsterer Miene an.

Es waren die ersten Sonnenstrahlen seit Tagen. Das Wetter hatte sich in letzter Zeit meiner Stimmung angepasst und uns nur Regen beschert. Aber heute hatten sich die Wolken zur Abwechslung verzogen, und wir konnten die große Pause draußen verbringen. Ellie und ich saßen im Schneidersitz auf einer der Tischtennisplatten und besprachen zum tausendsten Mal das Drama mit den Projektwochen. Mango und Lou trieben sich verborgen auf dem Schulhof herum, und so hatte ich in der Diskussion zum ersten Mal die Oberhand. Denn alle drei beharrten darauf, dass wir den Kurs meiner Mam besuchen sollten. Heute war der letzte Tag, an dem wir uns eintragen konnten. Ich hatte gehofft, dass der Kurs schnell voll sein würde, aber offenbar warteten die meisten bis zum letzten Tag, um sich zu entscheiden. Kaum jemand hatte sich schon für irgendeinen der Workshops angemeldet.

»Ich dachte, wir wollten das zusammen machen?«, quengelte Ellie.

»Jaha, können wir auch machen … Aber nicht Archäologie!«

Wir lieferten uns ein Blickduell, bis Ellie seufzend wegsah. »Alles andere klingt aber so langweilig!«, grummelte sie.

Ich kannte diese Stimmlage. Sie war kurz davor, sich geschlagen zu geben. Jetzt fehlte nur noch ein kleiner Stoß in die richtige Richtung.

»Was klingt langweilig?«, unterbrach uns aus dem Nichts Akikos neugierige Stimme. Ich zuckte ein wenig zusammen, als ich mich zu ihr umdrehte. Wo zur Hölle war sie denn auf einmal hergekommen? Fragend sah Akiko zwischen Ellie und mir hin und her. Der Anhänger um ihren Hals glitzerte in der Sonne.

»Archäologie«, antwortete ich.

»Unsinn«, widersprach Ellie. »Das ist der einzige Workshop, der einigermaßen cool klingt.«

»Finde ich nicht«, sagte Akiko und schwang sich neben uns auf die Tischtennisplatte. »Ich wollte mich für den Chemie-Workshop eintragen. Ein bisschen herumexperimentieren klingt spaßig. Meint ihr nicht auch?«

Ich griff nach dem Strohhalm und nickte begeistert. »An Chemie hatte ich auch gedacht!«

»Du hast ne Vier in Chemie«, warf Ellie ein.

»Deswegen will ich ja genau in den Workshop … um meine Note zu verbessern«, zischte ich in ihre Richtung.

»Das ist eine gute Idee«, sagte Akiko lächelnd. »Ich gehe gleich an den Aushängen vorbei. Soll ich uns beide für Chemie anmelden?«

»Ja, das wäre super!« Endlich war mal jemand auf meiner Seite!

»Cool, ich freu mich drauf.« Mit diesen Worten sprang sie wieder auf die Füße. »Bis später.«

Ich sah ihr nach, wie sie mit wehenden Haaren davonging, bis Ellie mir einen Klaps gegen den Hinterkopf gab.

»Was sollte das denn?« Fassungslos sah sie mich an.

»Was?«, fragte ich so unschuldig wie möglich.

»Ja, das wäre super«, äffte sie mich nach.

»Ja? Wäre es auch! Alles ist besser, als mich zwei Wochen von meiner Mutter unterrichten zu lassen!« Ich hatte sowieso die Sorge, dass es irgendwie komisch zwischen uns werden würde, da mussten wir nicht auch noch gezwungenermaßen im Workshop zusammensitzen. Aber das konnte ich Ellie natürlich nicht sagen … und Lou und Mango auch nicht.

»Ach, geht es denn hier wirklich noch um deine Mam?«, fragte Ellie mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Um was denn sonst, hm?«

»Keine Ahnung. Vielleicht um die nervige Neue, die ständig überall auftaucht und meint, sich einmischen zu müssen?«

»Du sagst es! Sie ist neu … sie will nur Freunde finden.«

»Ich weiß ja nicht«, widersprach Ellie mir. »Irgendwas an ihr kommt mir komisch vor. Ich traue ihr nicht.«

»Du traust ihr nicht? Meinst du, sie führt was im Schilde?«, sagte ich und konnte den Sarkasmus in meiner Stimme nicht unterdrücken.

»Vielleicht«, meinte Ellie. »Und wenn ja, dann werde ich herausfinden, was«, fügte sie hinzu.

»Wenn du meinst«, erwiderte ich.

Ellie antwortete nicht darauf. Den Kopf auf ihre angezogenen Knie gestützt, schnalzte sie gedankenverloren gegen ihren neuen Schneidezahn. Den alten hatte sie bei einer Rangelei zwischen einem Zerberus und einer Sphinx verloren, und Amadeus hatte darauf bestanden, dass sie vor Beginn des Schuljahres zum Zahnarzt ging, um ihn ersetzen zu lassen. Ich ließ Ellie mit ihren Gedanken allein und begnügte mich damit, in meinem Chemiebuch zu blättern und mir die anstehenden Experimente anzuschauen. Schließlich hatte Ellie nicht unrecht: Ich war eine Niete in Chemie. Als es zur nächsten Stunde klingelte, sprang ich auf die Füße und schwang mir meinen Rucksack über die Schulter. Erwartungsvoll sah ich Ellie an.

»Kommst du?«

»Geh schon mal vor«, sagte sie abwesend und wühlte nach irgendwas in ihrer Tasche. Ihre langen geflochtenen Zöpfe fielen nach vorne und verdeckten ihr Gesicht.

Ich zögerte. War sie etwa sauer auf mich? Ich wollte doch nur meiner Mam aus dem Weg gehen, das hatte nichts mit unserer Freundschaft zu tun. »Ellie, ich …«, setzte ich an.

»Alles gut. Geh nur«, unterbrach sie mich. »Schreck-Schrever macht dich zur Schnecke, wenn du zu spät kommst.«

Wo sie recht hatte …

»Beeil du dich aber auch«, sagte ich, bevor ich mich umwandte und in Richtung Klassenzimmer verschwand.

Ellie kam nicht pünktlich zum Unterricht und kassierte dafür einen grimmigen Blick von Schreck-Schrever. Aber das schien ihr völlig egal zu sein, mit vor Aufregung roten Wangen rutschte sie auf ihren Platz neben mir. »Du wirst es nicht glauben«, wisperte sie mir zu.

Alarmiert sah ich von meinem Heft auf. »Was ist passiert?« War etwas mit dem Zaubernapf?

»Ich hab Neuigkeiten«, teilte Ellie mir mit zitternder Stimme mit.

»Und welche?«, drängte ich.

»Sicher, dass du sie wissen willst?«, hakte Ellie nach, auch wenn sie so aussah, als würde sie gleich platzen, wenn sie ihre Neuigkeiten nicht loswerden würde.

»Na logisch«, meinte ich stirnrunzelnd. »Warum auch nicht?«

»Weil es um sie geht.« Vielsagend nickte Ellie in Akikos Richtung.

Überrascht folgte ich ihrem Blick. Akiko hatte den Kopf auf die Hand gestützt und war Schreck-Schrever zugewandt, der einige Fragen an die Tafel schrieb.

»Du willst immerhin mit ihr befreundet sein, und wenn ich es dir sage, na ja, dann vielleicht nicht mehr«, fügte Ellie hinzu.

Okay, jetzt hatte sie mich. Was hatte Ellie über Akiko herausgefunden?

»Komm, hau schon raus«, animierte ich meine Freundin.

»Sie hat dich auf die Liste des Chemie-Workshops gesetzt«, sagte Ellie langsam, jedes Wort mit Bedacht wählend.

»Ja und? Das sollte sie ja auch machen«, flüsterte ich. »Das ist die große Enthüllung?«

»Lass mich ausreden! Sie hat dich auf die Liste für den Chemie-Workshop gesetzt, aber sich selbst hat sie für Archäologie eingetragen … und zwar nicht erst heute. Ihr Name steht ganz oben auf der Liste. Sie muss sich schon vor Tagen draufgeschrieben haben.« Triumphierend sah Ellie mich an, während ich ihre Worte sacken ließ.

Akiko hatte uns also gesagt, dass sie Archäologie langweilig fand und mit mir den Chemie-Workshop machen wollte, obwohl sie sich schon längst für Archäologie angemeldet hatte? Warum hatte sie das getan? Weil sie sichergehen wollte, dass sie und ich nicht im selben Workshop waren? Aber dafür hätte sie nichts tun müssen … ich wollte ja sowieso nicht bei Archäologie dabei sein. Wozu diese überflüssige Lüge? Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich Akikos Hinterkopf. Sie schob sich eine dunkle Strähne, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte, zurück hinters Ohr. Etwas blitzte am oberen äußeren Rand ihrer Ohrmuschel auf. Was war das? Trug Akiko etwa ein Piercing? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, etwas zu erkennen. Da war doch irgendwas Blaues, nein, etwas Rosafarbenes, oder war es doch gelb?

»Also, was sagst du dazu?«, riss Ellie mich aus meinen Überlegungen und erinnerte mich an den eigentlichen Grund, warum ich Akiko wie ein Volldepp angaffte.

»Ja, ist schon merkwürdig«, sagte ich mit abwesender Stimme.

»Nur merkwürdig? Willst du mich veralbern? Das ist total weird!«

Ich zuckte mit den Schultern, löste aber meinen Blick nicht von Akiko.

»Hallo? Erde an Toby!« Ellie stupste mich in die Seite.

»Ja, okay, du hast recht«, gab ich nach und wandte mich endlich von Akiko ab, um Ellie einen Blick zuzuwerfen. »Es ist total weird.«

»Ja, oder? Warum mischt sie sich ungefragt in unser Gespräch ein und tischt uns dann auch noch so eine dreiste Lüge auf? Ich sag doch, mit der stimmt irgendwas nicht!«

»Und hast du mit deinem unübertroffen detektivischen Gespür schon eine Theorie, was sie vorhat?«

»Lass den Sarkasmus, Toby«, meinte Ellie stirnrunzelnd. »Wir müssen immer auf der Hut sein. Es geht nicht um uns, sondern …«, Ellie senkte ihre Stimme so sehr, dass ich Mühe hatte, ihre nächsten Worte zu verstehen, »… um die Calidragos. Wir sind für ihren Schutz verantwortlich.«

»Ellie«, seufzte ich. »Du bist viel zu misstrauisch. Glaubst du echt, dass diese Workshop-Sache was mit den Calidragos zu tun hat?«

»Nein«, gab sie zähneknirschend zu. »Aber irgendwas an Akiko ist trotzdem seltsam. Mein Bauchgefühl irrt sich bei so was nicht, Toby. Ich beweise dir, dass da was faul ist, und dann kann ich dir sagen …«

»Sind die zwei Herrschaften dann endlich mal fertig mit ihrem endlosen Geschwafel!«, unterbrach eine donnernde Stimme unser Geflüster.

Ellie und ich hatten bis eben gerade die Köpfe zusammengesteckt. Erschrocken schossen wir senkrecht in die Höhe. Schreck-Schrever hatte sich vor uns aufgebaut. Seine Augenbrauen bildeten eine strenge Linie, und sein Kopf hatte die Farbe einer überreifen Tomate angenommen. Jetzt bloß kein Augenkontakt, jegliche Provokation würde zum sofortigen Ausbruch des Vulkans führen.

»’tschuldigung«, nuschelten Ellie und ich. Mein Blick klebte förmlich auf der Tischplatte. Mein Herz raste. Dieser Mann konnte einen besser in Angst und Schrecken versetzen, als es jeder Schwerverbrecher jemals könnte. Ich würde es lieber noch einmal mit La Primera aufnehmen, als eine weitere Sekunde dem Zorn von Schreck-Schrever ausgesetzt zu sein.

»Wenn ich noch ein einziges Wort von euch höre, dann …«

Doch wir würden nie erfahren, was er dann mit uns tun würde, denn in diesem Moment krachte etwas mit einem lauten Rums von außen gegen eines der Fenster. Schreck-Schrever, sowieso schon auf hundertachtzig, wirbelte wutschnaubend herum und stürmte wie ein Rhinozeros, das man am Schwanz gezogen hatte, zum Fenster.

»Wer zum Teufel war das?«, brüllte er und riss fast das Fenster aus den Angeln, als er es gewaltsam öffnete. Er streckte seinen roten Kopf heraus und schaute suchend auf den Schulhof.

Während ich versuchte, mein heftig schlagendes Herz zu beruhigen, stupste Ellie mich an und nickte zum anderen Fenster hinüber. Ich folgte ihrem Blick. Auf dem Schulhof wuchsen einige hohe Bäume, und auf einem der Äste, die dicht neben den Fenstern hingen, blitzten ein orange-grünes Federkleid und dunkelblaue Schuppen zwischen den herbstlich braunen Blättern hindurch. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht und vertrieb die Angst vor Schreck-Schrever.