Caravaggios Erben: Ein Fall für Argyll und di Stefano - Band 2 - Iain Pears - E-Book
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Caravaggios Erben: Ein Fall für Argyll und di Stefano - Band 2 E-Book

Iain Pears

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Beschreibung

Welches tödliche Geheimnis verbirgt das uralte Kunstwerk? Der temporeiche Kriminalroman »Caravaggios Erben« von Iain Pears als eBook bei dotbooks. Die Jagd auf die Muttergottes ist eröffnet … Das beschauliche Kloster San Giovanni auf dem römischen Aventin ist ganz sicher nicht für seine Kunstschätze bekannt – sieht man von dem einen Caravaggio-Gemälde ab, das aber möglicherweise eine Fälschung ist … Warum wird dort nun ausgerechnet ein kleines Madonnenbild gestohlen, das bei Besuchern des Klosters beliebt ist, aber keinen größeren Wert zu haben scheint? Der britische Kunstexperte Jonathan Argyll und die italienische Kommissarin Flavia di Stefano stehen vor einem Rätsel – das noch verzwickter wird, als man wenig später die Leiche eines französischen Kunsthändlers aus dem Tiber fischt … Schnell, mit ganz eigenem Humor und immer wieder überraschend: »Geschliffene Dialoge und kenntnisreiche Einblicke in die Kunstwelt – Unterhaltung auf höchstem Niveau!« New York Times Book Review Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Kriminalroman »Caravaggios Erben« von Iain Pears mit den charismatischen Ermittlern Flavia di Stefano und Jonathan Argyll. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 352

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Über dieses Buch:

Er ist ein wahrer Meister seines Fachs – der Dieb, den man beim römischen Polizeidezernat für Kunstdiebstahl seit langer Zeit voller Ehrfurcht »Giotto« nennt. Gibt es nun zum ersten Mal einen handfesten Hinweis auf seine Identität? Während es zwischen den beiden rivalisierenden Chefs der Abteilung zu Gerangel kommt, was nun zu unternehmen ist – oder auch nicht –, beginnt Flavia di Stefano mit kühlem Kopf zu ermitteln. Kann ihr Verlobter, der britische Kunsthändler Jonathan Argyll, womöglich dabei helfen, den Spuren zu folgen? Als der allerdings über eine Leiche stolpert, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung …

Temporeich, mit britischem Humor erzählt und dabei voller italienischem Charme – Bestsellerautorin Val McDermid ist begeistert: »Ein ebenso erhellendes wie ironisches Portrait der Kunstwelt und ihrer Abgründe!«

Über den Autor:

Iain Pears, geboren 1955 im englischen Coventry, studierte in Oxford und arbeitete später in Rom und Paris als Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters. Heute ist er als Journalist und Kunsthistoriker bekannt – und als Autor hochgelobter Kriminalromane und historischer Romane. Sein internationaler Bestseller »Urteil am Kreuzweg« wurde in 15 Sprachen übersetzt.

Bei dotbooks veröffentlichte Iain Pears die Romane »Urteil am Kreuzweg« und »Scipios Traum« sowie die Kriminalromane rund um den Kunsthistoriker Jonathan Argyll und die Kommissarin Flavia di Stefano: »Giottos Handschrift«, »Caravaggios Erben« und »Die makellose Täuschung«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Death and Restoration« bei Collins Crime

Copyright © der englischen Originalausgabe 1996 by Iain Pears

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe by Diana Verlag, München Zürich. Der Diana Verlag ist ein Unternehmen der Heyne Verlagsgruppe GmbH, München.

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Janson.art, U-Design und AdobeStock/Vladimir Sazonov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-004-8

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Iain Pears

Caravaggios Erben

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Peter Meier

dotbooks.

Kapitel 1

Besprechungen verlaufen auf der ganzen Welt mehr oder weniger gleich, und so ist das wohl schon seit Anbeginn. Einer hat die Zügel in der Hand, ein anderer müsste sie eigentlich in die Hand nehmen, ein dritter möchte sie unbedingt in der Hand haben. Und jeder von ihnen hat seine Parteigänger und seine Gegner. Dann gibt es noch die Unentschlossenen, die sich treiben lassen und darauf hoffen, dass die Wellen nicht zu hoch gehen. Es wird immer eine Kontroverse ausgetragen, in der die latenten Gegensätze in Erscheinung treten können. Manchmal geht es dabei um eine wichtige Streitfrage, die den Kraftaufwand rechtfertigt. Aber nicht oft.

So war es auch bei der Besprechung, die an einem Nachmittag im September in Rom stattfand, in einem weitläufigen Gebäudekomplex auf dem Aventin. Zwanzig Leute saßen in dem großen, eher kahlen Raum, zwanzig Männer zwischen fünfunddreißig und fünfundsiebzig. Es lag eine Tagesordnung mit vierzehn Punkten vor und es gab zwei Lager, die sich in allem durchzusetzen gedachten, galt es doch (für die eine Seite) die Verfechter gefährlicher und reichlich kindischer Neuerungen zu stoppen oder aber (für die andere Seite) einen engstirnigen Traditionalismus zu überwinden, der die Erfordernisse der heutigen Welt völlig außer Acht ließ. Das wird ein langer Nachmittag, dachte der Mann, der den Vorsitz führte. Er konnte nur hoffen, dass man die Diskussion nicht allzu erbittert führen würde, man hatte schließlich die letzten zwei Stunden gebetet, damit die göttliche Weisheit in die Entscheidung einfließen möge.

Dennoch war er nicht sehr zuversichtlich. Obwohl er fürchtete, sich damit am Rande der Häresie zu bewegen, wünschte er sich doch manchmal, dass Gott etwas deutlicher zum Ausdruck bringen würde, was er wollte. Dann wäre es nicht dahin gekommen, dass er, Pater Xavier Münster, befürchten musste, nicht nur der neununddreißigste, sondern womöglich auch der letzte Superior des Ordens des Johannes Battista zu sein. Er wurde ganz mutlos, als er das kampflustige Glitzern in den Augen der Mönche sah, die ihm doch theoretisch unbedingten Gehorsam schuldeten. Pater Jean hatte seine Unterlagen wie Panzerdivisionen vor sich aufgereiht und war offenbar wild entschlossen, sich ihm zu widersetzen – ohne zu wissen, mit welchen Schwierigkeiten sich sein Superior konfrontiert sah. Was unter den gegebenen Umständen aber auch besser war.

»Vielleicht sollten wir beginnen«, sagte Pater Xavier mit fester Stimme zur Versammlung der derzeit in Rom weilenden Ordensbrüder.

Nach fünf Stunden war man fertig, die Patres wankten erschöpft aus dem Raum. Während man sonst nach solchen Besprechungen auf der Terrasse einen Aperitif nahm, fanden sich diesmal nur die paar Leute ein, die nicht allzu sehr in den unziemlichen Zank verwickelt gewesen waren. Die anderen verschwanden gleich in ihren Zellen (die trotz ihres Namens eher den Zimmern in Studentenwohnheimen glichen), um dort zu beten oder zu meditieren oder einfach vor Zorn nur zu kochen.

»Das hätten wir hinter uns«, seufzte einer der jüngsten Mönche, Pater Paul, ein großer, gutaussehender Mann aus Kamerun. Es zeugte von Selbstlosigkeit, dass er so milde gestimmt war, hatte er doch gehofft, man würde sich auch mit seinem Anliegen befassen. Aber auch diesmal hatte sein unbedeutendes Problem so weit unten auf der Tagesordnung gestanden, dass man nicht mehr dazu gekommen war.

Obwohl er nur leise vor sich hingesprochen hatte, hörte ihn der alte Pater Jean, der beim Pernod am Tisch stand. Er nickte erschöpft und blickte zu Pater Paul auf, der ihn um mehr als vierzig Zentimeter überragte. Pater Jean fühlte sich wie gerädert, solche Kämpfe kosteten viel Kraft, und manchmal wunderte und ängstigte es ihn selber, was für eine wilde Wut Pater Xaviers Reformbestrebungen in ihm aufsteigen ließen. Auf die Terrasse war er nicht etwa gekommen, weil er Gesellschaft suchte, sondern weil er dringend einen Drink brauchte, was so gar nicht seiner Art entsprach.

Da er sich in der Vergangenheit stets aus solchen Streitigkeiten herausgehalten hatte, konnte er es noch nicht so recht glauben, dass er auf einmal die Opposition anführte. Das hatte er sich nicht gewünscht. Er konnte sich einen schöneren Lebensabend vorstellen und war ja eigentlich von Natur aus ein loyaler Mensch. Seit ein Priester seine Begabung erkannt und ihn als zwölfjährigen Jungen aus der Dorfschule herausgeholt hatte, war er immer treu und ergeben gewesen.

Jetzt war auf einmal alles anders. Er war entsetzt über die Schärfe seiner Auseinandersetzungen mit Xavier. Nicht einmal auf dem Höhepunkt des Zweiten Vatikanischen Konzils, als man mit schlimmen Zweifeln und Ängsten zu kämpfen hatte, war es zu einer dermaßen unangenehmen Besprechung gekommen wie heute Nachmittag. Aber das war nicht zu ändern, denn der geistige Mittelpunkt des Ordens stand auf dem Spiel, da war er sich absolut sicher. Xavier war zweifellos ein guter Mensch und bewies Mut. Und auch unter den Heiligen hatte es viele gegeben, die ihre Absichten nicht weniger entschlossen und rücksichtslos verfolgt hatten. Zum Beispiel der heilige Bernhard und auch der heilige Ignatius, die beide nicht unbedingt dafür bekannt waren, dass sie ein Thema von allen Seiten beleuchtet hätten. Aber man lebte doch nicht mehr im Mittelalter und auch nicht im 17. Jahrhundert. Heutzutage brauchte man andere Eigenschaften. Geduld, Takt, Überzeugungskraft. Und daran fehlte es Xavier.

Pater Jean nickte traurig vor sich hin. »Fürs Erste haben wir es hinter uns«, sagte er. »Aber die Sache ist wohl leider noch längst nicht ausgestanden.«

Pater Paul zog die Augenbrauen hoch. »Warum nicht? Die Entscheidung ist gefallen. Und zwar ganz in deinem Sinne. Du müsstest eigentlich vollauf zufrieden sein.«

Paul brauchte sich nicht zu ereifern, weil er fast als Einziger auf keiner der beiden Seiten stand. Es war ihm gar nicht so ganz klar, worum es ging. Er wusste durchaus, was Anlass zu dem Streit gegeben hatte, aber mit der Ursache, die ihm zu Grunde lag, konnte er nicht viel anfangen. Und die Kraft, die man für diesen Konflikt aufbot, ließe sich doch ganz bestimmt anderswo nutzbringender verwenden.

»Die Entscheidung fiel mit einer Mehrheit von einer Stimme«, sagte Pater Jean. »Letztes Jahr – was wollte er da noch gleich durchsetzen? Ich komme jetzt nicht drauf, aber da haben ihm jedenfalls noch fünf Stimmen gefehlt. Folglich wird er das heutige Ergebnis als Fortschritt werten und nicht als Niederlage.«

Pater Paul schenkte sich Orangensaft ein und nippte an dem Glas. »O je. Wenn ich doch nur in meine Heimat zurückkehren könnte. Ich habe nicht den Eindruck, dass ich hier im Sinne des Herrn tätig bin.«

»Tja«, sagte Pater Jean mitfühlend und fragte sich, ob ein zweiter Pernod vertretbar wäre. »Du findest uns sicher ganz furchtbar, und vermutlich hast du sogar Recht. Dass dein Antrag auf Rückkehr in die Heimat wieder nicht behandelt worden ist, tut mir wirklich Leid. Vielleicht nächstes Mal. Sofern sich die Gemüter beruhigt haben. Ich werde mich dafür einsetzen.«

Ein paar Kilometer entfernt, direkt im Stadtzentrum, widmete sich eine weltliche Einrichtung ganz unaufgeregt, aber durchaus effizient der Wiederbeschaffung gestohlener Kunstschätze. Die Türflügel am Haupteingang (erst vor kurzem unnötigerweise für furchtbar viel Geld automatisiert) sausten auf und zu, weil ständig eilige Polizisten ein und aus gingen. In den fensterlosen Räumen der Registratur und des technischen Dienstes war man konzentriert bei der Sache, in den Büros der Stockwerke darüber wurden eifrig Akten studiert, Telefongespräche geführt und Schriftsätze verfasst, und aus dem Büro im obersten Stock, das in der freundlicher gesinnten Presse oft als Schaltzentrale der Abteilung Kunstraub bezeichnet wurde, drang ein leises Sägen, das nur vom hartnäckigen Brummen einer dicken Schmeißfliege gestört wurde.

Der effiziente Apparat steuerte sich selber, die Schaltzentrale war außer Betrieb. Es war ein heißer Nachmittag, und General Taddeo Bottando schlief fest.

Aber das war eigentlich kein Problem. Bottando war schon relativ weit in den Sechzigern und zählte jugendlichen Elan nicht mehr zu seinen hervorstechendsten Eigenschaften; seine reiche Erfahrung machte diesen Mangel mehr als wett. Wen störte es schon, wenn er mit seinen Kräften ein wenig haushalten musste? Er behielt den großen Überblick, und sein Organisationstalent hatte die Jahre unbeschadet überstanden. Alle wussten, was er von ihnen erwartete, und alle hielten sich daran, auch wenn er sie nicht Tag und Nacht beaufsichtigte. Und falls etwas vorfiel, während er nicht zu sprechen war, konnte er sich darauf verlassen, dass jemand aus seinem Team, jemand wie Flavia di Stefano, die Situation meisterte.

So etwa hatte er seine Funktion auch zwei hohen Beamten beschrieben, von denen er heute zum Mittagessen eingeladen worden war, in ein sehr gutes, sündhaft teures Restaurant. Er war sich nicht ganz im Klaren darüber gewesen, warum er auf einmal so beliebt war, musste er doch seit Jahren nicht nur ständig um Finanzmittel kämpfen, sondern sogar um den Fortbestand der Abteilung. Aber auf einmal – vermutlich dank eines großen Erfolgs vor ein paar Monaten – mochten ihn jetzt alle unheimlich gern, und hatten schon immer große Stücke auf ihn gehalten und ihn insgeheim unterstützt in seinem Kampf gegen die Intrigen anderer. Schon komisch, dass ihm das die ganzen Jahre nicht aufgefallen war. Dennoch trug er nicht wenig dazu bei, dass eine zweite und auch noch eine dritte Flasche Chianti geleert wurde, suhlte sich dabei förmlich in Selbstzufriedenheit und hätte beinahe wie eine Katze geschnurrt vor Wohlbehagen.

Er hätte es eigentlich wissen müssen, schließlich war er ein alter Hase. Diese Umgänglichkeit! Diese Liebenswürdigkeit! Diese Hochschätzung! Aber er ließ sich einlullen von der Wärme und dem Wein. Und setzte offenbar immer noch Vertrauen in seine Mitmenschen, auch nach so vielen Jahren des Kampfes gegen Kriminelle und – was noch schlimmer war – gegen Vorgesetzte. Und so gab er sich dieses eine Mal dem törichten Glauben hin, dass sie alle auf der gleichen Seite stünden, und redete sich ein, dass seine Leistungen jetzt endlich Anerkennung finden würden.

Er war schon in einer richtig gelösten Stimmung, als der höhere der beiden Beamten – den Bottando vor vielen Jahren, sozusagen in einem früheren Leben in Mailand, per Versetzung aus seinem Umfeld entfernt hatte – sich ein wenig vorbeugte und mit einem verbindlichen Lächeln fragte: »Wie sehen Sie die Entwicklung Ihrer Abteilung, Taddeo? Auf längere Sicht, meine ich.«

Sofort hielt Bottando einen Vortrag über internationale Zusammenarbeit und regionale Einsatzkommandos, über neue Computer und neue Ermittlungstechniken und neue Gesetze.

»Und Sie selber? Wo sehen Sie Ihren Platz?«

Dass ihm bisher nichts aufgefallen war, mochte noch irgendwie angehen, aber spätestens jetzt hätten sämtliche Alarmglocken schrillen müssen. Aber er blieb völlig arglos und sprach in dem modischen Jargon, der ihm zwar geläufig geworden, aber im Grunde fremd geblieben war, von Teamarbeit und Leitungsfunktionen und Koordinierungsaufgaben.

»Ganz meine Meinung! Wie schön, dass wir uns einig sind. Das macht die Sache viel einfacher.«

Jetzt merkte er endlich, dass Vorsicht geboten war, ein Jucken im Nacken warnte ihn. Er straffte sich und sagte kein Wort.

»In allen Abteilungen werden nämlich Umorganisationen vorgenommen«, fuhr der Beamte fort, »und es werden auch neue Richtlinien für die Beförderung erlassen.«

»Ach ja? Ist mir da mal wieder was entgangen?«

Ein nervöses Glucksen. »Nein, nein. Das ist alles noch unter Verschluss. Sie sind der Erste, der davon erfährt. Weil es sein könnte, dass Sie der Erste sind, den es betrifft.«

Vorsichtiges Schweigen und hochgezogene Augenbrauen.

»Eine Strukturreform. Ich bin übrigens nicht sehr glücklich darüber.«

Und ob du darüber glücklich bist, dachte Bottando. Vermutlich hast du sie selber ausgeheckt.

»Aber zahllose Beamte haben keinerlei Aussicht auf Beförderung. In allen Bereichen kündigen die klügsten Köpfe, weil sie einfach nicht weiterkommen. Und dann muss man ja auch an Europa denken. Wir treten in eine neue Ära ein, Taddeo. Und wir sind noch nicht dafür gerüstet. Deshalb sind verschiedene Maßnahmen eingeleitet worden.«

»Was für Maßnahmen?«

»Eine Koordinierungsgruppe wird alle Abteilungen durchleuchten und sämtliche Polizeiaufgaben aufeinander abstimmen.«

Bottando nickte. Von solchen Plänen hörte er nicht zum ersten Mal. Jedes halbe Jahr meinte ein Schlauberger in irgendeinem Ministerium, er müsste seiner Karriere mit einem neuen Koordinierungskonzept auf die Sprünge helfen. Es kam aber nie viel dabei heraus.

»Und dann muss auch noch geklärt werden, wie die neuen europäischen Schutzmaßnahmen gegen Kunstdiebstahl umgesetzt und mit ihrer Abteilung verzahnt werden sollen.«

»Schutzmaßnahmen?«

»Es handelt sich dabei um ein Projekt, das zu hundert Prozent von Brüssel finanziert wird. Und unser Minister hat erreicht, dass man mit seiner Leitung einen Italiener betraut. Nämlich Sie.«

»Dann sitze ich doch nur noch am Schreibtisch und verfasse Denkschriften, die kein Mensch liest!«

»Das hängt davon ab, wie Sie die Sache anpacken. Ohne Zweifel werden Sie auf Widerstand stoßen. Bestimmt blocken viele erst mal ab. Machen Sie trotzdem etwas aus diesem Projekt!«

»Mit Leuten aus vielen verschiedenen Länder?«, fragte Bottando argwöhnisch.

Die beiden Beamten zuckten die Schultern. »Es wird Ihre Aufgabe sein, ein Konzept auszuarbeiten, einen Haushaltsplan aufzustellen und sich Ihre Mitarbeiter auszusuchen. Aber die Zusammensetzung Ihres Teams muss natürlich ausgewogen sein.«

»Also doch Leute aus allen möglichen Ländern?«

»Ja.«

»Und wo soll dieses Musterbeispiel für europäischen Unsinn angesiedelt werden?«

»Im Grunde wäre es in Brüssel am besten aufgehoben. Es gibt ...«

»Da geh ich nicht hin«, knurrte Bottando. »Da regnet es doch ununterbrochen.«

»Es gibt aber auch gute Gründe«, fuhr der Beamte fort, »die gegen Brüssel sprechen.«

»Welche?«

»Wenn man dort Geld ausgibt, kommt es Belgien zugute, wenn man es hier ausgibt, kommt es uns zugute. Außerdem gibt es bei uns die meisten Kunstschätze. Und die meisten Kunstdiebstähle. Wir dringen also sehr darauf, dass das Projekt hier angesiedelt wird.«

»Und meine Abteilung?«

»Sie behalten die Leitung, delegieren die tägliche Arbeit aber natürlich an jemand anderen.«

Bottando ließ sich gegen die Lehne fallen. Seine Heiterkeit hatte sich längst verflüchtigt.

»Darf ich um Bedenkzeit bitten?«

»Das ist viel zu wichtig, als dass Rücksicht auf private Vorlieben genommen werden könnte. Sie müssen es machen, sonst wird ein anderer ausgesucht. Und in einer Woche sollten Sie in Brüssel darlegen können, wie Sie dieses Projekt realisieren wollen. Sie haben also keine Zeit zu verlieren.«

Bottando wusste nicht recht, ob er sich geschmeichelt oder gekränkt fühlen sollte. Als er wieder in seinem Büro war, versuchte er das Problem zu durchdenken, beschlief es dann aber erst einmal, wie üblich.

Nicht der beste Zeitpunkt für einen anonymen Hinweis auf einen bevorstehenden Kunstdiebstahl.

Jonathan Argyll schlenderte am Abend um halb sieben quer durch die Innenstadt nach Hause. Trotz seiner Müdigkeit fand er ein gewisses Vergnügen an dem hektischen Treiben der Leute, die es eilig hatten, zum Abendessen nach Hause zu kommen. Am Vormittag hatte er seine Vorlesung gehalten, was nicht mehr so aufregend war, seitdem ihn kein Lampenfieber mehr plagte und er wusste, wie niedrig die Erwartungen der Hörer waren. Dann hatte er sich in seinem Büro, einem Raum von der Größe einer Besenkammer, zwei Stunden lang seiner Studenten erwehrt, die mehr oder weniger verzweifelt bei ihm auftauchten und ihm die Zeit stahlen. Ob sie auch noch später abgeben durften? Ob er Kopien austeilen würde, damit sie sich nicht in die Bibliothek setzen mussten?

Er wies alle ihre Bitten zurück. Vor neun Monaten hatte er den Kunsthandel an den Nagel gehängt und aufs Geratewohl einen Zeitvertrag als Dozent für die Kunst des Barock unterschrieben. Und war dann doch einigermaßen überrascht gewesen, als er Charakterzüge an sich entdeckte, von denen er gar nichts geahnt hatte: Er war auf einmal sehr autoritär und schimpfte auf die heutigen Studenten. Wer den Fehler beging, seine Vorlesungen zur römischen Kunst und Architektur von 1600 bis 1750 zu belegen, hatte nichts zu lachen.

Der Barock. Die Gegenreformation. Bernini und Borromini, Maderno und Pozzo. Sehr bedeutende Künstler. Und er sah gar nicht ein, warum er bei der Vorlesung Dias vorführen sollte. Doch nicht in Rom! Er ließ die Faulpelze lieber Fußwanderungen machen. Montags schickte er sie allein los, Mittwochs ging er mit. Das diente der geistigen und der körperlichen Ertüchtigung. Mens sana in corpore sano.

Noch mehr überraschte es ihn, dass er seine Sache gut machte. Die törichten Eltern berappten ja viel Geld, um ihrem Nachwuchs eine gewisse Kultiviertheit angedeihen zu lassen. Und einige Studenten konnte er tatsächlich mit seiner Begeisterung für die ausgefalleneren Aspekte der Ikonographie des Barock anstecken. Einige wenige, wohlgemerkt. Angesichts der bunt zusammengewürfelten Studentenschar fanden das seine Kollegen aber schon sehr beachtlich.

Und das Schönste an der Sache war, dass er sich eigentlich auf nichts vorzubereiten brauchte. Schwierigkeiten bereitete ihm nur die Frage, was er weglassen sollte. Und das Korrigieren. Das war allerdings deprimierend.

»Die mittelalterlichen Mönche haben sich gegeißelt, wir korrigieren Aufsätze.« So der Dekan, ein Renaissance-Spezialist, als er einmal ins Philosophieren gekommen war. »Es tut weh und es ist demütigend, aber es gehört nun einmal dazu. Und es dient in gewisser Weise der Läuterung – man wird dabei mit der Sinnlosigkeit seines Daseins konfrontiert.«

Wenn man davon einmal absah, hatte seine Tätigkeit nur einen Haken: Sein akademischer Ehrgeiz, der sich längst geschlagen gegeben hatte, wurde wieder wach. Dabei hatte er eigentlich nur in die Lehre ausweichen wollen, bis die Flaute auf dem Kunstmarkt vorbei war. Aber jetzt war er eben doch sehr angetan von seiner neuen Arbeit, wenn auch nicht unbedingt wegen der Studenten. Er hatte sogar seine Dissertation, die während seiner Zeit als Kunsthändler ganz in Vergessenheit geraten war, unter einer dicken Staubschicht hervorgeholt. Es reizte ihn auf einmal wieder sehr, als Autor in Erscheinung zu treten. Er hatte nichts Großartiges im Sinn. Ein kleiner Artikel mit einer stattlichen Anzahl von Fußnoten, vielleicht eher zu einem etwas abgelegenen Thema. Das wäre doch für den Anfang genau das Richtige und ein guter Grund, mal wieder in den Archiven zu stöbern. Zumal alle anderen ohnehin an einer Publikation arbeiteten. Wenn er mit einem Kollegen zum Mittagessen ging, kam irgendwann unweigerlich die Frage: »Woran arbeiten Sie?« Er hätte gern eine vernünftige Antwort darauf gehabt.

Aber woher nehmen? Schon seit mehreren Monaten war er jetzt auf der Suche, hatte sich bisher aber für kein Thema begeistern können. Zu allgemein oder zu speziell oder bereits untersucht. So war das eben in der heutigen akademischen Welt. Trotzdem bemühte er sich eifrig weiter.

Wenn er keine Arbeiten korrigieren musste. Er konnte, als er über den Ponte Garibaldi ging, den Blick auf die Isola Tiburtina gar nicht richtig genießen, weil er in Gedanken schon bei den fünfzehn abgegebenen Aufsätzen über jesuitische Bauprojekte war. Aber es hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel wenn sich alle zu einem Aufsatz aufgerafft hätten. Und einige der abgegebenen Arbeiten waren offenbar sehr kurz ausgefallen. Theoretisch waren ihm die fleißigen Studenten natürlich lieber, aber wenn ihre Fleißarbeiten dann vor ihm lagen, ärgerte er sich nur noch über die blöden Streber, die unbedingt ganze Bände schreiben mussten. Aber das war nicht zu ändern. Er würde heute Abend ein paar Stunden opfern müssen, um ihre Elaborate zu lesen, und er würde versuchen, ganz ruhig zu bleiben, wenn jemand Raffael zum Papst machte oder Bernini zu Michelangelos Lehrer in der Bildhauerkunst.

Dabei wäre es heute möglich, einen richtig netten Abend mit Flavia zu verbringen, die hoch und heilig versprochen hatte, ganz früh nach Hause zu kommen und zu kochen, wozu sie schon seit Wochen keine Zeit gefunden hatte. Seit sie zu der Einsicht gelangt waren, dass sie eigentlich auch heiraten könnten, da sie ja ohnehin wie ein Ehepaar lebten, und seit er dank seiner neuen Stelle nicht mehr ständig von beruflichen Sorgen geplagt wurde, war das Leben richtig schön. So schön, wie es eben sein konnte, wenn die Lebensgefährtin nie wusste, wann sie nach Hause kommen würde.

Aber es war ja nicht ihre Schuld. So war das eben bei der Polizei. Manchmal fand er es dennoch sehr ärgerlich, dass beispielsweise ein gestohlener Kelch wichtiger war als er, selbst wenn es sich um ein Wunder der toskanischen Handwerkskunst aus dem 16. Jahrhundert handelte. Und so ging das doch ständig! Die Diebe ruhten sich offenbar nie aus. Hatten sie nie das Bedürfnis, sich einen ruhigen Abend zu machen und die Beine hochzulegen?

Aber heute kam sie nach Hause, sie hatte es ihm vor weniger als einer halben Stunde gesagt. Er freute sich darauf und hatte unterwegs schon alles eingekauft, was sie zu einem gepflegten Essen brauchten. Mit einem kleinen Freudensprung bog er in den Vicolo di Cedro ein.

Und begegnete Flavia. Die ihm einen flüchtigen Kuss gab. Und unfroh lächelte.

»Du gehst noch mal ins Büro, stimmt's?«, sagte er vorwurfsvoll. »Diesen Blick kenne ich doch.«

»Ja, leider. Aber es dauert nicht lange. Ich bin bald wieder zu Hause.«

»Mensch, Flavia! Du hast doch versprochen ...«

»Es kann nicht lange dauern.«

»Es dauert doch immer lange.«

»Ich kann nichts dafür, Jonathan. Da ist plötzlich ein kleines Problem aufgetaucht. Aber das ist schnell gelöst.«

Seine Fröhlichkeit hatte sich verflüchtigt.

»Dann korrigiere ich eben erst mal die Aufsätze.«

»Gute Idee. Wenn du das hinter dir hast, bin ich längst wieder zu Hause. Dann machen wir es uns gemütlich.«

Als er die Treppen hinaufstieg, sagte er im ersten Stock guten Abend zu der alten Signora und nickte im zweiten Stock kühl, aber höflich einem jungen Burschen namens Bruno zu, der eine Vorliebe dafür hatte, die Abendluft mit schrecklich lauter und furchtbar schlechter Musik zu verpesten. Auf dem Weg zum dritten Stock tastete er nach dem Schlüsselbund. Schon komisch, dachte er. In der Musik verhielt sich Lautstärke und Qualität offenbar umgekehrt proportional zueinander. In seiner Jugend war ihm das gar nicht aufgefallen.

Zwei Stunden später, als er das Korrigieren hinter sich hatte, war Flavia noch nicht aufgetaucht. Drei Stunden später, als er gegessen hatte, war sie immer noch nicht da. Vier Stunden später ging er ins Bett.

Kapitel 2

»Wann ist der Anruf gekommen?«, fragte Flavia entgeistert. Sie war gerade erst in ihrem Büro eingetroffen und überflog die kurze Zusammenfassung des anonymen Anrufs.

Der Trainee, ein junges Mädchen, das Giulia hieß und aussah, als sollte es eigentlich noch Schulaufgaben machen und der Mutter beim Abwasch helfen, lief rot an. War es etwa ihre Schuld, wenn ein Anruf kam und niemand da war, dem sie es melden konnte?

»Ungefähr um fünf«, sagte sie. »Sie waren nicht da, ich bin also ins Büro des Generals gegangen.«

»Was hat er gesagt?«

»Gar nichts«, entgegnete sie zögernd. »Er hat geschlafen.«

»Und Sie wollten ihn nicht wecken. Sie hätten ihn ruhig anstupsen können. Aber woher sollen Sie das wissen? Sie sind ja noch ganz neu hier. Regen Sie sich nicht auf. Es ist nicht Ihre Schuld.«

Flavia seufzte. Manchmal musste man sich schon einen Ruck geben, um fair zu bleiben. Sie hatte gute Lust gehabt, das Mädchen anzuschreien.

»Okay. Lassen wir das. Demnach haben Sie den Anruf entgegengenommen?«

Das Mädchen nickte. Es hatte den Eindruck, dass das Schlimmste überstanden war. »Es war alles sehr unpräzise.«

»Keiner unserer Informanten? Kein Kennwort?«

»Nein. Nur die Mitteilung, dass für die nächsten Tage ein Einbruch geplant ist. Im Kloster San Giovanni.«

»Was ist da zu holen? Steht San Giovanni auf unserer Liste? Haben Sie im Computer nachgesehen?«

Giulia nickte erleichtert. Gottseidank hatte sie daran gedacht. »Da ist vor ein paar Jahren schon mal eingebrochen worden.« Sie nahm ein Blatt Papier, das der Computer vor einer Stunde ausgedruckt hatte.

»Aber da ist eigentlich nur sehr wenig zu holen. Das Kloster besitzt zwar viel goldenes und silbernes Kirchengerät, aber das liegt zum größten Teil in einem Banktresor. General Bottando hat das nach dem letzten Einbruch angeregt. In unserer Liste ist nur ein einziges Objekt verzeichnet, das einiges wert sein dürfte. Ein Gemälde von Caravaggio. Es gilt als eines seiner bedeutenden Werke, wenn auch nicht als eines seiner besten. Andererseits wird aber auch die Ansicht vertreten, dass es gar nicht von Caravaggio stammt.«

»Ist es versichert?«

»Hier steht nichts von einer Versicherung.«

»Haben Sie in dem Kloster angerufen?«

»Da meldet sich niemand.«

»Wo liegt das denn eigentlich?«

»Auf dem Aventin.«

Flavia sah auf ihre Uhr. Verflixt. Das würde Jonathan gar nicht gefallen. Er hatte ja Recht, wenn er sich beschwerte.

»Dann sollte ich da wohl auf dem Heimweg vorbeigehen«, sagte sie lustlos. »Damit wenigstens darauf geachtet wird, dass überall abgeschlossen ist. Haben wir hier noch jemanden, der das Kloster im Auge behalten kann?«

Giulia schüttelten den Kopf. »Niemand. Außer mir.«

»Sie müssen hier die Stellung halten. Aber vielleicht kann heute Nacht in regelmäßigen Abständen ein Streifenwagen am Kloster vorbeifahren. Und da Sie sowieso die ganze Nacht hier rumsitzen, könnten Sie eigentlich auch diese ganzen Listen mit verdächtigen Personen durchgehen ..., diese Listen mit Leuten eben, die auf dem Flughafen, in Hotels oder sonstwo aufgefallen sind. Vielleicht ist etwas Interessantes dabei. Okay?«

Pater Xavier saß noch über den Schreibarbeiten, die nach Besprechungen nun einmal anfallen. Er empfing Flavia in seinem Büro und hörte ihr aufmerksam zu.

»Gehen bei Ihnen nicht ständig solche Anrufe ein?«

Sie zuckte die Schultern. »Ziemlich oft, aber selten mit so genauen Angaben. Daher wäre es töricht, den Anruf einfach zu ignorieren. Ich hielt es jedenfalls für besser, Sie davon zu unterrichten, damit Sie auf der Hut sind. Es kann natürlich gut sein, dass gar nichts passiert, aber wenn Sie den Caravaggio für eine Weile an einen sicheren Ort bringen lassen könnten ...«

»Ich glaube nicht, dass das nötig ist«, sagte Pater Xavier lächelnd. »Zurzeit dürfte jeder potenzielle Dieb sich eines Besseren besinnen, sobald er einen Blick auf das Gemälde geworfen hat.«

»Warum?«

»Es wird gerade restauriert. Von Daniel Menzies, einem amerikanischen Gentleman. Er leistet sehr gründliche Arbeit. Und im gegenwärtigen Stadium, sagt er, ist es ganz normal, dass Leute, die nichts vom Restaurieren verstehen, einen Schreck bekommen. Ohne Zweifel weiß er, was er tut, aber das Bild ist momentan wirklich in einem erbärmlichen Zustand. Er hat die Leinwand aus dem Rahmen genommen und nicht nur den Schmutz entfernt, sondern auch sehr viel Farbe, weil die offenbar aus dem 19. Jahrhundert stammt. Es scheint zurzeit eigentlich gar nichts zu geben, was man stehlen könnte.«

»Und sonst?«

Der Priester dachte eine Weile nach und schüttelte dann den Kopf. »Uns ist hier vieles lieb und teuer, aber für jemand Fremden ist das alles nicht viel wert. Wissen Sie, dass es hier schon einmal einen Einbruch gegeben hat?«

Flavia nickte.

»Eine schmerzliche Erfahrung«, fuhr er fort. »Wir hatten stets Wert darauf gelegt, dass die Kirchentür zur Straße hin unverschlossen blieb. Manche Leute aus dem Viertel ziehen die Klosterkirche der hiesigen Pfarrkirche vor. Aber seit dem Einbruch bleibt die Tür verschlossen. Das war einer der ersten Streitfälle, die ich als Superior zu lösen hatte. Die zweite Tür, zum Klosterhof hin, ist ebenfalls abgeschlossen.«

»Haben Sie eine Alarmanlage?«

»Nein. Zu so trivialen Mitteln zu greifen, wurde als unziemlich abgelehnt. Ich war anderer Ansicht, aber in solchen Angelegenheiten hat der Konvent das letzte Wort.«

Sie stand auf. »Vielleicht hat sich nur jemand einen Spaß erlaubt, aber ich hielt es für besser ...«

Er nickte und stand auf, um sie hinauszubegleiten. »Das war sehr liebenswürdig von Ihnen, Signorina. Zu so später Stunde! Ich sorge dafür, dass alle nötigen Vorkehrungen getroffen werden.«

Flavia war froh, dass ihr Arbeitstag zu Ende ging. Auf dem Heimweg rief sie noch schnell bei Giulia an, um zu erfahren, ob noch etwas vorgefallen war. Dabei wusste sie genau, dass sie das eigentlich nicht tun sollte. Es gab nichts Schlimmeres als Vorgesetzte, die sich in alles einmischten und einem ständig über die Schulter sahen. Das brachte einen nicht weiter und verunsicherte einen nur. Ihr selber war es als Jugendlicher doch auch nicht anders gegangen. Trotzdem gab sie einem unguten Gefühl nach.

»Gibt es etwas Neues?«

»Nein. Ich bin die ganzen Listen durchgegangen. Und auch die Hinweise von Händlern. Es ist nichts Wichtiges dabei.«

»Und was gibt es Unwichtiges?«

»Auch nicht viel. Mir ist eigentlich nur aufgefallen, dass gestern Abend eine Frau in Rom angekommen ist, die etwas mit einem Ihrer Fälle im letzten Jahr zu tun hatte. Sie war aber in nichts Illegales verwickelt. Ganz im Gegenteil. Sie hat als Zeugin ausgesagt.«

»Wie heißt sie?«

»Mary Verney.«

Flavia drehte sich regelrecht der Magen um, wie immer, wenn sie merkte, dass ein Debakel drohte, das eher noch ein glücklicher Zufall abwenden könnte als polizeilicher Sachverstand.

»Irgendwie muss ihr Name in den Grenzschutz-Computer geraten sein. Warum, weiß ich nicht.«

»Wissen Sie, wo sie ist?«

»Nein. Aber ich kann ja mal versuchen, ob ich es herausfinde, wenn es wichtig ist.«

»Und ob es wichtig ist. Betrachten Sie es als nächtlichen Zeitvertreib. Rufen Sie alle Hotels in Rom an, wenn es sein muss. Je früher Sie fündig werden, desto besser.«

»Wer ist das denn?«

»Eine alte Bekannte von mir. Und eine ganz raffinierte Frau. Sie wird Ihnen gefallen.«

»Ach ja, Mary Verney«, sagte Bottando, als Flavia am nächsten Morgen mit ihm sprach. »Die englische Landadlige. Was finden Sie daran so interessant? Sie hat uns letztes Jahr doch nur Beweismaterial gegen Forster geliefert. So sagten Sie doch, nicht wahr? Oder war das doch nicht alles?«

»Als wir mit ihrer Hilfe achtzehn Gemälde sichergestellt hatten, war ich gerne dazu bereit, die Ermittlungen einzustellen.« Flavia fühlte sich nicht sehr wohl in ihrer Haut. »Nachdem denn alle Berichte geschrieben waren, bin ich allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass sie selber die meisten dieser Bilder gestohlen hatte.«

»Darüber haben Sie nie ein Wort verloren«, sagte Bottando und ließ mithilfe der hochgezogenen linken Augenbraue eine gewisse Verwunderung erkennen.

»Da konnte ich ihr schon nichts mehr beweisen. Und wenn ich es früher versucht hätte, wären wir nicht an die Bilder herangekommen. Beides war nicht zu haben.«

Bottando nickte. Er hätte sich auch nicht anders entschieden, konnte ihr jetzt also schlecht Vorhaltungen machen.«

»Aber hätte man ihr nicht doch irgendwie das Handwerk legen müssen? Jetzt ist sie ja offenbar wieder auf Tour.«

»Das war nicht zu erwarten. Sie ist ja nicht mehr die Jüngste und müsste eigentlich einen Haufen Geld haben.«

Bottando nickte erneut. Flavia hatte den Eindruck, dass er nur mit halbem Ohr zuhörte.

»Jetzt ist sie jedenfalls in Rom«, bemerkte Bottando. »Wollen Sie ein Verhör mit ihr anstellen?«

Flavia schüttelte den Kopf. »Nein. Es käme ja doch nichts dabei heraus. Und es ist ja auch nicht auszuschließen, dass sie nur eine harmlose Urlaubsreise macht. Außerdem brauchen wir nicht zu erklären, was gegen sie vorliegt, solange wir nicht offiziell tätig werden. Aber es gefällt mir nicht, dass sie sich in Rom aufhält. Und ich finde, sie sollte ruhig wissen, dass sie nicht unerkannt geblieben ist. Ich könnte mich einfach nur auf einen Drink mit ihr treffen. Das hätte die gleiche Wirkung wie ein Verhör. Sie wohnt im Hotel Borgognoni. Wenn Sie damit einverstanden sind, rufe ich sie heute Morgen noch an. Und lasse sie beschatten.«

Jetzt wurde Bottando hellhörig und runzelte die Stirn. »Das können wir uns nicht leisten, dazu haben wir zu wenig Leute. Und wenn wir jemanden hätten, wäre diese Geschichte in San Giovanni schon noch wichtiger.«

»Aber ...«

»Nichts zu machen. Das heißt, Sie können Giulia haben. Es wird Zeit, dass sie aus dem Büro herauskommt. Außerdem können wir bei ihr die Kosten dem Ministerium in Rechnung stellen. Als Aufwendung für ihre Ausbildung. Ein bisschen Praxis wird ihr gut tun. Sie soll ruhig den ganzen Tag vor San Giovanni Posten stehen ...«

»Sie ist schon dort.«

Bottando sah sie an. »Aha«, sagte er. »Nun gut. Und Sie soll ruhig auch mal Mrs. Verney beschatten. Dann wird ihr nach ein paar Tagen so langsam dämmern, was es mit der Polizeiarbeit auf sich hat. Aber sonst wird niemand eingesetzt.«

Es stimmte ja, sie konnten nicht gleich zwei Leute entbehren. Schon dadurch, dass Giulia im Büro fehlte, hatten alle anderen viel Papierkram zu erledigen. Sie erklärte sich also mit einem Kopfnicken einverstanden, obwohl es sie sehr nervös machte, dass Mrs. Verney in Rom war.

»Gut«, brummte Bottando. »Gibt es sonst noch was?« Seine Sekretärin schob sich zur Tür herein und legte ihm eine dicke Akte auf den Schreibtisch. »Danke«, sagte er, schob die Akte in ein Schubfach und knallte es zu. »Wenn nichts mehr anliegt, geh ich jetzt einen Kaffee trinken.«

Flavia blieb in der Tür stehen und sah ihn forschend an. »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Sie scheinen heute Morgen nicht in bester Verfassung zu sein. Liegt Ihnen das Essen von gestern Abend noch schwer im Magen?«

Er schnitt eine Grimasse und gab nach kurzem Zögern der Versuchung nach. »Kommen Sie wieder rein und nehmen Sie Platz«, sagte er seufzend. »Ich will es Ihnen erzählen.«

»Scheint nichts Gutes zu sein«, meinte sie und setzte sich in den Sessel.

»Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Man wird mich wohl befördern.«

Flavia sah ihn fragend an. »Eine Beförderung ist doch in der Regel eindeutig positiv. In diesem Fall nicht? Halten Sie es für wahrscheinlicher, dass man Ihnen gratulieren kann oder dass man Sie bedauern muss?«

»Ich weiß es nicht. Man stellt mich offenbar vor die Alternative, Beförderung oder Rausschmiss – mit all den Konsequenzen für meine Bezüge und meine Pension. Man will mich zum Direktor einer neuen Behörde machen, deren Sinn und Zweck wohl nur darin besteht, dem europäischen Steuerzahler Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich habe schon ein bisschen herumtelefoniert, es zeichnet sich kein Ausweg ab.«

Sie lehnte sich zurück, dachte nach und biss dabei auf ihren Daumennagel. »Aber Sie bleiben uns als Leiter der Abteilung erhalten?«

»Er nickte. »Jedenfalls nominell. Und damit wären wir bei Ihnen.«

»Ach ja?«, fragte sie wachsam.

»Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder bleiben Sie hier und leiten für mich die Abteilung. Oder Sie helfen mir, diesen neuen europäischen Unsinn aufzubauen. Dann sind Sie die Untergebene eines Engländers oder Holländers oder was weiß ich. Und haben noch viel mehr Verwaltungskram zu erledigen als bisher. Aber natürlich verdienen Sie enorm viel. Steuerfrei, versteht sich. Und haben klarer geregelte Arbeitszeiten.«

»Wozu raten Sie mir?«

Er zuckte die Schultern. »Das müssen Sie sich selber überlegen. Ich hoffe, dass Sie mir so oder so erhalten bleiben.«

»Wann muss ich mich entscheiden?«

Er machte eine ausladende Geste, als hätte sie alle Zeit der Welt, und sagte dann: »Am Wochenende? Ich muss Sie leider drängen, sonst kann ich nicht planen. Während der Woche können Sie schon mal üben. Ich muss Denkschriften verfassen. Sie sollten davon ausgehen, dass Sie auf sich gestellt sein werden. Und bis diese Sache über die Bühne ist, beobachtet uns das Ministerium mit Argusaugen. Wenn Sie alle Einbrüche in die Nationalgalerie und die Kunstsammlung des Staatspräsidenten vereiteln könnten, wäre ich Ihnen dankbar. Und dasselbe gilt natürlich für Einbrüche, von denen wir im Voraus in Kenntnis gesetzt wurden.«

Kapitel 3

Dan Menzies arbeitete auf eine sehr überlegte und peinlich genaue Art, die sich weder mit seiner massigen Gestalt noch mit seinem Ruf zu vertragen schien. Er hatte zwar eine Vorliebe für theatralische Gebärden und übertriebene Metaphern, aber wenn er an einem Bild saß, machte er sich ganz ruhig und vorsichtig ans Werk. Normalerweise hatte er natürlich viele Leute unter sich, dann bediente er sich einer militärischen Ausdrucksweise und trat als Befehlshaber auf, also durchaus nicht, wie seine feinsinnigeren Kollegen, als Leiter eines Teams. Bei Großprojekten, in die man viel Geld steckte, war er so etwas wie ein General Patton der Kunst, lief von einem zum anderen und bedachte alle mit Befehlen, Ratschlägen und Anfeuerungen. Hier, in dieser Kirche, war er dagegen allein. Er empfand es als eine Wohltat und hatte den Eindruck, dass er nicht nur das Bild restaurierte. Zum ersten Mal seit vielen Jahren arbeitete er wieder ganz auf sich gestellt, nur er und die Farben, und versuchte sich mit dem Skalpell und seinen chemischen Substanzen an eine instinktive Vorstellung dessen heranzutasten, was der Künstler im Sinn gehabt hatte. Während er über das Bild gebeugt saß, gar nicht merkte, wie die Stunden vergingen und kaum spürte, wie sein Rücken zu schmerzen begann, war er auf einmal unsagbar glücklich. Das muss ich unbedingt öfter tun, sagte er sich, als er Schluss machte, weil das Licht zu schlecht geworden war. Jedes Jahr ein Bild ganz für mich allein. Er reckte sich und wusch die Hände. Oder wenigstens jedes zweite Jahr.

Hätten seine Kollegen ihn so erlebt, hätte es ihnen wohl die Sprache verschlagen. Diese in sich gekehrte Gelassenheit passte so gar nicht zu seinem normalen Auftreten. Man kannte ihn als Showman, der unbedingt bei jeder Gelegenheit im Rampenlicht stehen musste. Es hatte ihm in gleichem Maße Beifall und Kritik eingebracht, dass er sich so publikumswirksam – oder, wie manche sagten, so großspurig – daran machte, Bilder wieder zum Leben zu erwecken. Damit konnte er existieren. Auf einem Markt mit starker Konkurrenz gehörte die Show nun einmal zum Geschäft. Und bei der eigentlichen Arbeit gab er sein Bestes, ganz unabhängig davon, wie er sich in Szene setzte, um dem Publikum zu gefallen. Es war ihm aber auch ein echtes Bedürfnis, dass man ihn gern hatte, und da er sich eigentlich für einen ganz sympathischen Kerl hielt, konnte er es nie ganz begreifen, warum seine Kollegen und Konkurrenten sich so unfair verhielten. Ihm ging die Kunst zur Verstellung eben völlig ab. Wenn er nach seiner Ansicht gefragt wurde, hielt er nie mit seiner Meinung hinter dem Berg und in sehr vielen Dingen hatte er sehr äußerst dezidierte Ansichten. Was konnte er dafür, dass unter seinen Gegenspielern ein paar Dummköpfe waren?

Er hielt sich in Rom auf, weil er nicht daran glaubte, dass Qualität sich von allein durchsetzte. Auch der Beste ging leer aus, wenn er sich nicht mächtig ins Zeug legte. Stets war er fest entschlossen, einen wichtigen Auftrag an Land zu ziehen, und deshalb war er sogar schon ein halbes Jahr früher angereist, um präsent zu sein. Soviel Zeit musste er eben investieren. Diesen dubiosen Caravaggio restaurierte er, damit er etwas zu tun hatte. Außerdem war es ein gutes Werk, das genau für die richtige Publicity sorgte, und es lieferte eine plausible Erklärung für seinen Aufenthalt in Rom, der es ihm erlaubte, mit den richtigen Leuten zu reden, während sie sich ihre Meinung bildeten. Wenn er diesen Auftrag bekam, stellte das einen Höhensprung seiner Karriere dar. Er gedachte sich von niemandem aufhalten zu lassen.

Plötzlich merkte er, dass jemand hinter ihm stand und ihm zusah. Diese verdammten Touristen, dachte er irritiert. Er versuchte konzentriert weiterzuarbeiten und schaffte es auch eine Weile, aber dann arbeitete er wohl doch so verbissen, dass er schließlich sogar einen kleinen Fehler machte. Jetzt reichte es ihm.

»Mensch, hau ab!«, rief er wütend, fuhr herum und starrte mit zusammengekniffenen Augen einen kleinen Mann an, der ganz schön dumm aus der Wäsche guckte. Was für ein stupider Blick. Mein Gott!

»Es tut mir Leid ...«

»Davon hab' ich nichts! Verschwinden Sie! Wie sind Sie überhaupt reingekommen?«

»Ich bin ...«

»Sie haben hier nichts zu suchen! Gibt es in Rom etwa nicht genug Sehenswürdigkeiten, die der Öffentlichkeit zugänglich sind? Müssen Sie unbedingt hier eindringen?«

»Ich bin doch gar nicht ...«

»Jetzt gehen Sie endlich!«

Als der Bursche einfach stehen blieb, verlor Menzies die Beherrschung. Er sprang auf, packte den kleinen Mann, der kaum halb soviel wog wie er, am Arm, schleppte ihn zum Hauptportal und nahm auf dem Weg dorthin einen riesigen Schlüssel vom Haken. Er schloss auf, öffnete die Tür ein Stück weit und schob den Mann hinaus.

»Auf Wiedersehen«, sagte er mit sarkastischem Unterton, als der lächerliche Wicht in das helle Sonnenlicht blinzelte. »Aber lieber erst im nächsten Jahrhundert.«

Giulia, die schon den ganzen Tag auf den Stufen vor der Kirche saß, machte ganz unauffällig ein Foto von Menzies, der einem Mann freundlich nachzuwinken schien. Notwendig wäre das nicht gewesen, aber sie langweilte sich zu Tode. Es hatte sich sonst nämlich rein gar nichts getan. Schon seit Stunden konnte sie ungestört darüber nachdenken, ob die Polizei wirklich das Richtige für sie war. Jetzt notierte sie sich so präzise wie möglich, was vorgefallen war, und ließ kein Detail aus.