Giottos Handschrift: Ein Fall für Argyll und di Stefano - Band 1 - Iain Pears - E-Book
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Giottos Handschrift: Ein Fall für Argyll und di Stefano - Band 1 E-Book

Iain Pears

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Beschreibung

Prachtvolle Gemälde, hinterhältige Verbrechen: der schwungvolle Kriminalroman »Giottos Handschrift« von Iain Pears jetzt als eBook bei dotbooks. Er ist ein wahrer Meister seines Fachs – der Dieb, den man beim römischen Polizeidezernat für Kunstdiebstahl seit langer Zeit voller Ehrfurcht »Giotto« nennt. Gibt es nun zum ersten Mal einen handfesten Hinweis auf seine Identität? Während es zwischen den beiden rivalisierenden Chefs der Abteilung zu Gerangel kommt, was nun zu unternehmen ist – oder auch nicht –, beginnt Flavia di Stefano mit kühlem Kopf zu ermitteln. Kann ihr Verlobter, der britische Kunsthändler Jonathan Argyll, womöglich dabei helfen, den Spuren zu folgen? Als der allerdings über eine Leiche stolpert, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung … Temporeich, mit britischem Humor erzählt und dabei voller italienischem Charme – Bestsellerautorin Val McDermid ist begeistert: »Ein ebenso erhellendes wie ironisches Portrait der Kunstwelt und ihrer Abgründe!« Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Kriminalroman »Giottos Handschrift« von Iain Pears mit den charismatischen Ermittlern Flavia di Stefano und Jonathan Argyll. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 315

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Über dieses Buch:

Er ist ein wahrer Meister seines Fachs – der Dieb, den man beim römischen Polizeidezernat für Kunstdiebstahl seit langer Zeit voller Ehrfurcht »Giotto« nennt. Gibt es nun zum ersten Mal einen handfesten Hinweis auf seine Identität? Während es zwischen den beiden rivalisierenden Chefs der Abteilung zu Gerangel kommt, was nun zu unternehmen ist – oder auch nicht –, beginnt Flavia di Stefano mit kühlem Kopf zu ermitteln. Kann ihr Verlobter, der britische Kunsthändler Jonathan Argyll, womöglich dabei helfen, den Spuren zu folgen? Als der allerdings über eine Leiche stolpert, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung …

Über den Autor:

Iain Pears, geboren 1955 im englischen Coventry, studierte in Oxford und arbeitete später in Rom und Paris als Korrespondent der Nachrichtenagentur Reuters. Heute ist er als Journalist und Kunsthistoriker bekannt – und als Autor hochgelobter Kriminalromane und historischer Romane. Sein internationaler Bestseller »Urteil am Kreuzweg« wurde in 15 Sprachen übersetzt.

Bei dotbooks veröffentlichte Iain Pears die Romane »Urteil am Kreuzweg« und »Scipios Traum« sowie die Kriminalromane rund um den Kunsthistoriker Jonathan Argyll und die Kommissarin Flavia di Stefano: »Giottos Handschrift«, »Caravaggios Erben« und »Die makellose Täuschung«.

***

eBook-Neuausgabe August 2020

Die englische Originalausgabe erschien 1994 unter dem Originaltitel »Giotto’s Hand« bei HarperCollinsPublishers, England.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1994 by Iain Pears

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München; der Diana Taschenbuchverlag ist ein Unternehmen der Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/Jansonart und shutterstock/Vladimir Vostov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-003-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Iain Pears

Giottos Handschrift

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Peter Meier

dotbooks.

Kapitel 1

Den Anstoß zu dem triumphalen Feldzug, mit dem General Bottando den undurchsichtigen englischen Kunsthändler Geoffrey Forster als größten Kunstdieb seiner Generation entlarvte, gab ein in Rom abgestempelter Brief, der eines besonders schönen Morgens im späten Juli auf seinen Schreibtisch im dritten Stock der Abteilung Kunstraub flatterte. Die kuvertierte und frankierte Nachricht war hochbrisant, blieb aber zunächst liegen. Der General hielt sich wie jeden Morgen an ein starres Schema, solange er zum Improvisieren noch nicht wach genug war. Er goß die Topfpflanzen, studierte die Zeitungen und trank eine Tasse von dem Kaffee, den die Bar auf der anderen Seite der Piazza San Ignazio in regelmäßigen Abständen anlieferte.

Dann arbeitete er sich Stück für Stück durch die Post, die seine Sekretärin unter ›Eingänge‹ abgelegt hatte. Langsam nahm der Stapel vermischter Nachrichten ab, bis der General gegen 8 Uhr 45 endlich das besagte Kuvert, es war aus dünnem, billigem Papier, in die Hand nahm und mit dem Brieföffner aufschlitzte.

Sein Interesse an diesem Brief hielt sich sehr in Grenzen. Das Gekrakel der handgeschriebenen Adresse ließ auf einen recht alten Menschen schließen. Wahrscheinlich war es reine Zeitverschwendung, sich damit zu befassen. Öffentliche Einrichtungen ziehen für gewöhnlich ein Sammelsurium von Spinnern an, die auf sich aufmerksam machen wollen, und die Spezialeinheit Kunstkriminalität machte hierin keine Ausnahme. Jeder Angehörige der Einheit hatte seinen Lieblingsspinner in dieser buntscheckigen, zumeist harmlosen Schar. Bottando mochte jenen Trientiner am liebsten, der sich für die Reinkarnation Michelangelos hielt und den David für sich beanspruchte, weil die Medici ihm damals nicht genug dafür gezahlt hätten. Flavia di Stefano, deren eigenartiger Humor damit zu tun haben mochte, daß sie mit einem Engländer zusammenlebte, hatte eine besondere Schwäche für einen Mann, der immer wieder damit drohte, das Viktor-Emanuel-Denkmal in Rom mit Marmelade zu beschmieren, um die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf das schwere Los der apulischen Wühlmaus zu lenken. Am liebsten hätte sie den Mann brieflich in seinem Vorhaben bestärkt, da ihrer Ansicht nach dieses Monstrum-Monument durch so einen kulinarischen Anschlag nur gewinnen konnte und in anderen Ländern solche Aktionen aus staatlichen Kunsttöpfen gefördert wurden.

Bottando lehnte sich also zurück, faltete den Brief auseinander und las ihn flüchtig. Dann las er ihn noch einmal, diesmal gründlicher, und runzelte die Stirn, als versuche er sich vergeblich an einen Traum zu erinnern.

Er telephonierte mit Flavia in ihrem Büro und bat sie, sich den Brief ebenfalls anzusehen.

Sehr geehrter, hochgeschätzter Herr, begann die Briefschreiberin, ich schreibe Ihnen, um ein Geständnis abzulegen. Ich war in den Diebstahl eines Gemäldes verwickelt, das sich im Besitz des Palazzo Straga in Florenz befand. Dieses Verbrechen, zu dem ich mich voll und ganz bekenne, ereignete sich im Juli 1963. Möge Gott mir vergeben, ich selbst kann es mir nicht verzeihen. Ihre Maria Fancelli

Flavia kam in Bottandos Büro und überflog den Brief ohne großes Interesse. Sie ging ihn noch einmal durch, um zu prüfen, ob ihr nichts entgangen war. Dann strich sie sich die langen blonden Haare aus der Stirn, rieb mit der flachen Hand nachdenklich über den Nasenrücken und gab ihr Urteil ab:

»Pah! Das hat doch nichts zu sagen!«

»Wer weiß? Vielleicht doch.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Wissen Sie, das Alter bringt auch gewisse Vorteile mit sich«, sagte er feierlich. »Zum Beispiel die bruchstückhafte Erinnerung an eine graue Vorzeit, die einem jungen Ding wie Ihnen völlig fremd ist.«

»Ich bin letzte Woche dreiunddreißig geworden.«

»Gut – einem mittelalten Ding wie Ihnen, wenn Ihnen das lieber ist. Palazzo Straga. Da war doch was ...« Bottando tippte sich mit dem Bleistift an die Zähne, runzelte die Stirn und hob den Blick zur Decke. »Hm«, machte er. »Straga ... Florenz ... 1963. Ein Bild. Hm.«

Dann saß er eine ganze Weile einfach nur da und schaute versonnen aus dem Fenster. Flavia ließ sich geduldig ihm gegenüber nieder und wartete darauf, daß er sie an seinen Gedanken teilhaben ließ.

»Ha!« sagte er mit einem erleichterten Lächeln, als sein Gedächtnis nach einigen weiteren Minuten endlich wieder spurte. »Ich hab's. Wären Sie so nett, einen Blick in die Ausschußkammer zu werfen, meine Liebe?«

›Ausschußkammer‹ war die verunglückte Bezeichnung für die Besenkammer im Keller, die als letzte Ruhestätte für hoffnungslose Fälle diente. Sie war mit Akten von Verbrechen vollgestopft, bei denen die Aufklärungschancen gegen Null tendierten.

Flavia stand auf. »Sie haben ein phänomenales Gedächtnis«, sagte sie und fügte skeptisch hinzu: »Meinen Sie wirklich?«

Bottando machte eine lässige Handbewegung. »Wir werden ja sehen, was Sie finden«, sagte er zuversichtlich. »Wissen Sie, mein Gedächtnis läßt mich nie im Stich. Alte Elefanten wie ich ...«

Für Flavia hieß das, ab in den Keller, wo sie dicke Staubschichten aufwirbelte und ihre Kleidung ruinierte. Eine halbe Stunde später tauchte sie sehr schlechtgelaunt wieder aus der Besenkammer auf, obwohl sie fündig geworden war.

Als sie mit ihrer dicken Akte in das Büro ihres Chefs trat, wollte sie sich gleich beschweren, wurde aber durch anfallartiges Niesen daran gehindert.

»Gesundheit«, sagte Bottando.

»Das ist Ihre Schuld«, beklagte sie sich. »Da unten herrscht das reinste Tohuwabohu. Wenn nicht ein ganzer Aktenstoß umgekippt wäre, hätte ich die richtige nie gefunden.«

»Aber Sie haben sie gefunden.«

»Bloß nicht da, wo sie hingehört hätte, sondern ganz woanders. In einem riesigen Aktenbündel mit der Aufschrift ›Giotto‹. Was hat man sich denn darunter vorzustellen?«

»Ah!« rief Bottando. »Deshalb kam mir das so bekannt vor. Giotto!«

»Giotto?«

»Eines der ganz großen Genies seiner Zeit«, sagte der General mit zuckenden Mundwinkeln.

Flavia streifte ihn mit einem irritierten Blick.

»Nicht der Giotto, den Sie meinen«, erläuterte Bottando. »Ich spreche von einem äußerst scharfsinnigen Herrn, dessen Kühnheit einem den Atem verschlägt, der fast übermenschliche Fähigkeiten besitzt und sich anscheinend unsichtbar machen kann, und den es, Gott sei's geklagt, gar nicht gibt.«

Für dieses rätselhafte Gerede strafte ihn Flavia mit einem sehr finsteren Blick.

»Giotto ist das Hirngespinst eines geruhsamen Sommers vor ein paar Jahren«, fuhr er fort. »Damals, als aus Mailand dieser Velásquez verschwunden war. Wann war das noch gleich? Ach ja, 1992.«

Damit hatte er Flavias Interesse geweckt. »Das Porträt aus der Sammlung Calleone?«

»Ja. Praktischerweise war die Alarmanlage defekt. Jemand ging rein, hängte das Bild ab und verschwand damit. Still und leise. Das Porträt eines Mädchens namens Francesca Arunta. Zwei Jahre sind eine lange Zeit, aber bisher ist es nirgends wieder aufgetaucht. Es gibt kein Foto davon, aber es soll ein wunderschönes Bild sein.«

»Wie bitte?«

»Nein. Kein Foto. Erstaunlich, nicht wahr? Leute gibt's! Aber das kommt sogar ziemlich oft vor. Jedenfalls hat mich das auf die Idee mit Giotto gebracht. Aus einem Haus voller Bilder wird genau das gestohlen, das als einziges nie fotografiert worden ist. Aber es gibt wenigstens aus dem 19. Jahrhundert einen Druck von dem Gemälde. Da drüben.«

Er zeigte auf das Schwarze Brett an der Wand, an das Fotos von spurlos verschwundenen Gemälden, Skulpturen und sonstigem Krimskrams geheftet waren. Halb verdeckt von der Abbildung eines goldenen Kelchs aus dem 14. Jahrhundert, der vermutlich längst zu Barren eingeschmolzen war, hing dort die eselsohrige Fotokopie eines Gemäldedrucks. Die Kopie war so schlecht, daß vor Gericht wohl wenig damit anzufangen gewesen wäre, vermittelte aber immerhin eine ungefähre Vorstellung von dem Bild.

»Dieser Fall war für uns ziemlich unangenehm«, fuhr er fort. »Nicht zuletzt, weil der alte Calleone uns kräftig eingeheizt hat. Aber unsere Informanten konnten uns nicht weiterhelfen. Wir hatten es weder mit einem alten Bekannten noch mit dem organisierten Verbrechen zu tun – und doch mit einem Vollprofi. Aus lauter Verzweiflung habe ich in sämtlichen unerledigten Fällen nach Anhaltspunkten gesucht. Das Ergebnis war eine ganze Liste von Bildern, von denen es auch keine Fotos gab und die auf ähnliche Weise gestohlen worden waren. Die Akte ist so dick, weil ich mich richtig in die Sache hineingesteigert habe. Ich hatte sogar schon Ermittlungen eingeleitet, als ich endlich merkte, daß an der Sache nichts dran war.«

»Für mich hört sich das recht plausibel an«, sagte Flavia, setzte sich und legte die Akte neben sich auf das Sofa. »Sind Sie sicher, daß Sie falsch lagen?«

»Oh, in der Theorie war an meinen Überlegungen nichts auszusetzen, aber daran sieht man nur, was von Theorien zu halten ist. Dummerweise hätte das nämlich bedeutet, daß ein Mann, den ich übrigens Giotto taufte ...«

»Warum ausgerechnet Giotto?«

Bottando lächelte. »Weil meine imaginäre Figur ein wahrer Meister seines Fachs und ein Mann von großer Bedeutung schien, über den wir praktisch nichts wußten. Ein bißchen eben wie bei Giotto. Und das hätte bedeutet, daß diese Kopfgeburt für über zwei Dutzend Diebstähle verantwortlich war, die mindestens bis ins Jahr 1963 zurückreichten und in vier verschiedenen Ländern verübt wurden, wobei immer Bilder entwendet wurden, von denen es keine Fotos gab – und von denen kein einziges je wieder aufgetaucht ist. Ohne daß in über einem Dutzend Spezialeinheiten anderer Länder irgendwer auch nur etwas von der Existenz dieses Mannes ahnte. Und ohne daß jemals ein Hehler oder ein Käufer abgesprungen wäre und Informationen geliefert hätte.«

»Hmm.«

»Und dann ist ohnehin alles wie eine Seifenblase geplatzt, als ich nämlich erfahren habe, daß die Carabinieri schon ein halbes Jahr vorher einen Diebstahl aufgeklärt hatten, der mir Giottos Handschrift zu tragen schien. Der Täter war Giacomo Sandano. Sie erinnern sich?«

»Der weltschlechteste Dieb?«

»Richtig. Er hat einen Fra Angelico aus Padua gestohlen und sich natürlich dabei erwischen lassen. Sandano konnte aber kaum Giotto sein. Sonst hätte er schon im Alter von dreieinhalb Jahren im Palazzo Straga zuschlagen müssen. Einmal ganz abgesehen davon, daß der Mann so dumm ist, daß er mit allem, was er anfängt, unweigerlich in kürzester Zeit auffliegt. Damit war meine Theorie widerlegt, und ich habe das ganze Material in die Ausschußkammer gepackt, wo es schon ein paar Jahre lang verstaubt ist und wo es wohl am besten gleich wieder hinwandert ...«

»Guten Morgen, General.«

Zuerst war die Stimme zu vernehmen, dann schob sich die zugehörige Gestalt ins Büro – ein kleiner, stämmiger Mann mit einem überlegenen, amüsierten Lächeln, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit einer wohlgenährten Siamkatze hatte. Bottando setzte eine verbindliche Miene auf, die Flavia, die ihn ziemlich gut kannte, mühelos als falsch durchschaute.

»Guten Morgen, Dottore«, sagte der General. »Schön, Sie zu sehen.«

Leute wie Dottore Corrado Argan brachten große Organisationen offensichtlich in regelmäßigen Abständen hervor, um ihren Bediensteten das Leben zu vergällen. Er hatte als Kunsthistoriker begonnen, was er ständig als Ausweis seiner Intellektualität ins Feld führte, aber weil die italienischen wie die ausländischen Universitäten so vernünftig waren, ihn nicht anzustellen, zog es ihn bald in die Verwaltung, genauer gesagt in die beni artistici, die unübersichtliche Behörde, die für das künstlerische Erbe Italiens zuständig war.

Als er bereits mehrere Bereiche dieser vortrefflichen Organisation ins Chaos gestürzt hatte, wandte er sich der Verbrechensbekämpfung zu, weil ihn die Empörung darüber, daß andauernd kleine Stückchen des Kulturerbes abhanden kamen, auf den Gedanken brachte, daß ein wirksamer Kampf gegen das Verbrechen vor allem auf die stimulierende und zentrierende Wirkung eines überragenden Intellekts angewiesen war.

Er war nicht der erste, der sich einbildete, etwas bewirken zu können, und man mußte ihm lassen, daß er mit Feuereifer bei der Sache war, aber das machte ihn natürlich nur noch unausstehlicher. Bottando war daran gewöhnt, daß Leute von außerhalb mittels Eingaben Polizeiaktionen forderten und Strategien vorschlugen. Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, den Verfassern stets für ihre großartigen Vorschläge zu danken – und keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden.

Weniger gut kam er damit zurecht, wenn jemand von außerhalb in seinen Bereich eindrang, ein Büro bezog, Tag für Tag die Arbeit der Abteilung genau beobachtete und Berichte verfaßte. Aber genau das machte der widerliche Argan nun schon seit sechs Monaten. Er las alle Akten, nahm mit der Pfeife im Mund und einem arroganten Grinsen im Gesicht an Besprechungen teil, kritzelte Notizen, die er niemand sehen ließ und brummte vor sich hin, daß man sich in der Abteilung keinen hinreichend holistischen Begriff von der Polizeiarbeit machte.

Es kam Bottando teuer zu stehen, daß er sich, ausnahmsweise einmal, der Gefahr reichlich spät gestellt hatte, weil er den völlig überspannten Argan viel zu lange nicht ernst nahm. Erst als seine Sekretärin spätabends auf eigene Faust spionieren ging und ihm anschließend Fotokopien von unzähligen Berichten und Memoranden gab, die Argan an hochgestellte Persönlichkeiten geschickt hatte, war klar, was Argan im Schilde führte.

Kurz gesagt: Er legte sich mächtig ins Zeug, um Bottando zu beerben. Seiner Argumentation zufolge war dem internationalen Verbrechen nicht mehr mit altmodischen Polizeimethoden (gemeint war: mit Polizeibeamten wie General Taddeo Bottando) beizukommen, sondern nur mit einer effizienten Organisation, an deren Spitze ein Fachmann für Personalmanagement und Ressourcenallokation stand (gemeint war natürlich Corrado Argan).

Der Krieg war ganz im stillen und in kultivierten Formen ausgebrochen. Am liebsten hätte Bottando den Mann gleich vor die Tür gesetzt, aber dafür war es jetzt zu spät: Wenn er ihn jetzt einfach hinauswarf, setzte er sich dem Vorwurf aus, etwas vertuschen zu wollen. Statt dessen fütterte er ihn mit möglichst vielen Fehlinformationen, um ihn vielleicht irgendwann als Tölpel hinstellen zu können. Argan ließ sich davon jedoch nicht beirren, da ihm als Kunsthistoriker die Tatsachen ohnehin nicht so wichtig waren.

Auf Bottandos Seite standen die Polizisten, die in übereifrigen Amateuren sehr zu Recht eine Gefahr sahen. Auf Argans Seite standen die Vewaltungsleute, die felsenfest davon überzeugt waren, daß sich das Niveau einer Organisation einzig und allein nach der Zahl der Verwaltungsstellen bemaß. Bottando war sich durchaus der Tatsache bewußt, daß sie am Geldhahn saßen.

Bottandos Gegenoffensive lief schon seit einem Monat ins Leere. Argan hatte alle zündenden Wörter besetzt – Wörter wie Effizienz, Erfolg und Kosten-Nutzen-Relation –, und Bottando wußte immer noch nicht, wie er dem Mann entgegentreten konnte, ohne alt, muffig und engstirnig zu wirken. Es blieb ihm daher nichts anderes übrig, als voller Ingrimm auf einen Fehler seines Gegners zu lauern. Wenn seine Geduld bisher nicht belohnt worden war, lag das vor allem daran, daß Argan im Grunde gar nichts tat, also auch keine Fehler machen konnte. Er beobachtete nur andere Leute und hatte im nachhinein leicht kritisieren.

»Wie geht es uns denn heute morgen?« fragte diese wandelnde Beleidigung für jeden guten Polizeibeamten. »Kurz vor der Aufklärung eines Falls? Ich habe gerade rein zufällig ihren faszinierenden Diskurs über die Ermittlungsarbeit gehört.«

Bottando warf ihm einen finsteren Blick zu. »Hoffentlich fanden Sie ihn instruktiv.«

»Sehr sogar. Was sagen Sie denn zu dem Kunstraub bei dieser etruskischen Fundstätte letzte Nacht?«

Die Nervensäge warf immer gleich am Morgen einen Blick in die Berichte aus der zurückliegenden Nacht, um den Anschein zu erwecken, daß er stets auf dem laufenden sei. Bottando war heute noch nicht dazugekommen.

Dennoch sagte er gleichmütig: »Tja ... Solange uns noch kein Bericht darüber vorliegt, was im einzelnen gestohlen wurde, können wir nicht viel machen.« Mit diesem Statement konnte man eigentlich nichts falsch machen.

»Ich finde, darauf können wir nicht warten. Bei so einem schönen Fall macht es immer einen guten Eindruck, wenn man sofort aktiv wird. Wir müssen schließlich auch an das Image der Spezialeinheit denken. Wenn Fundstätten von herausragender historischer Bedeutung geplündert werden und unser Kulturerbe Schaden leidet ...«

Er redete drauflos, als hätte er eine Klasse Fünfjähriger zu unterweisen. Wie Bottando einmal einem mitfühlenden Kollegen vom Korruptionsdezernat erklärt hatte, spielte sich Argan bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Lehrer auf und agierte dabei außerdem weniger als Polizist denn als Werbemann. Es war ihm ziemlich egal, wie die Einheit arbeitete, wenn sie nur gut ankam.

Argan kam immer mehr in Fahrt, und Bottando sagte schließlich energisch: »Der Fall fällt noch nicht in unsere Zuständigkeit. Es sei denn, Sie wollen sich profilieren, indem Sie in fremden Revieren wildern. Ich kann ja mal bei den Carabinieri anrufen und sagen, daß Sie den Fall persönlich übernehmen möchten ...«

»Ach nein. In solchen Dingen haben Sie mehr Erfahrung«, sagte Argan, der viel zu gewieft war, um auf ein so durchsichtiges Manöver hereinzufallen.

»Und worum geht es bei Ihrer Besprechung mit dieser reizenden Signorina?«

Bottando lächelte, da er sah, daß die reizende Signorina mit den Zähnen knirschte. Argan ließ seinen Charme spielen, um ihm seine Leute abspenstig zu machen. Da war er bei Flavia allerdings an die Falsche geraten. Bei einigen anderen war sich Bottando da nicht so sicher ...

»Die reizende Signorina und ich legen gerade das Tagesprogramm fest«, sagte Bottando.

»Mit sowas?« sagte Argan verächtlich und hob den Brief auf.

»Ich muß wirklich darum bitten, daß Sie meine Post nicht ohne meine Erlaubnis lesen.«

»Tut mir leid.« Mit einem Lächeln, das keine Spur von Bedauern verriet, legte Argan den Brief wieder auf den Schreibtisch und ging zum Sofa. Als er sich setzte, stand Flavia auf. »Sie werden sich jetzt doch nicht mit einem dreißig Jahre alten Fall befassen wollen?«

»Alle Fälle sind wichtig«, sagte Bottando salbungsvoll.

»Aber manche sind wichtiger als andere. Man befaßt sich doch nicht mit alten Geschichten und verschließt die Augen vor einem Raub der vergangenen Nacht ...«

Als ob man an eine Wand reden würde, dachte Bottando.

»Wie oft muß ich das noch erklären? Die Sicherstellung von Kunstwerken hat eine höhere Priorität als die Verhaftung der Täter, und wenn wir ein Gemälde wiederbeschaffen können, spielt es keine Rolle, ob es letzte Nacht oder vor dreißig oder vor hundert Jahren verschwunden ist. Lassen wir uns eine Gelegenheit entgehen, weil wir Hinweise zu alten Fällen nicht beachten, ist das eine schwere Pflichtversäumnis.«

Argan lenkte verdächtig bereitwillig ein. »Gewiß, General. Sie sind der Chef«, säuselte er und verschwand. Erst als er sich einigermaßen beruhigt hatte, merkte Bottando, daß auch ein großer Teil des Giotto-Materials verschwunden war.

»Nein, das klingt gar nicht gut«, stimmte Jonathan Argyll zu. Flavia und er hatten es sich in ihrer Wohnung auf dem Balkon gemütlich gemacht. Die Sonne ging unter, es wurde endlich kühler. »Den müßt ihr loswerden.«

Flavia hatte beim Essen viel von Corrado Argans Niederträchtigkeiten erzählt. Sie kam nicht von diesem Thema los, weil sie fast den ganzen Vormittag dafür gebraucht hatte, ihren Chef zu besänftigen und davon zu überzeugen, daß mit einem kühlen Kopf mehr zu erreichen war als mit wutentbranntem Herumgestampfe.

»Was für ein Bild war es denn überhaupt?« fragte Argyll und beschloß, den Abwasch noch eine Weile hinauszuschieben. »Lohnen sich da überhaupt Ermittlungen?«

»Keine Ahnung. Eine Madonna mit Kind. Angeblich ein Uccello, aber ob das stimmt, kann ich dir nicht sagen. Es gibt kein Foto von dem Bild, und die Beschreibungen sind nicht besonders gut.«

»Es ist ja wirklich sehr lobenswert, daß ihr euch damit beschäftigt.«

»Dabei geht es in erster Linie um Interessenpolitik. Argan will nicht, daß Bottando die Sache weiterverfolgt. Wenn er es trotzdem tut, beweist er damit, daß er das Sagen hat. Doch weil er so getönt hat, daß man bei der Suche nach verschwundenen Bildern nicht ruhen und nicht rasten darf, muß er natürlich auch eine gewisse Aktivität entfalten.«

Argyll nickte, stand auf und stellte das schmutzige Geschirr aufeinander, weil heute einfach zu viele Fliegen herumschwirrten. »Früher oder später trägt ihm das Ärger ein«, sagte er weise. »Muß er denn unbedingt so aggressiv sein?«

»Man merkt, daß du nie bei einer großen Organisation gearbeitet hast«, antwortete Flavia mit einem wissenden Lächeln. »Argan ist ein Dummkopf, aber er hat ein ungeheures Selbstvertrauen und macht auf Leute, die sich nicht auskennen, großen Eindruck. Deshalb trägt man ihm eine leitende Stellung nach der anderen an, und alle anderen müssen viel Zeit darauf verwenden, ihn einigermaßen in Schach zu halten.«

»Da bin ich schon lieber Freiberufler.«

»Im Gegensatz zu dir bekommen wir unser Gehalt aber auch dann, wenn wir nicht viel tun. Bei Argan ist es sogar so, daß er um so mehr bekommt, je weniger er tut.«

Damit hatte sie einen wunden Punkt berührt. Argyll war zwar nach wie vor davon überzeugt, daß es Leute gab, die wenigstens eines seiner Bilder kaufen wollten, aber es war verdammt schwierig, sie zu finden. So schwierig, daß er sich ernsthaft, wenn auch mit umwölkter Stirn, Gedanken über Alternativen machen mußte. Und dann hatte ihm auch noch eine internationale Universität in Rom, an der jungen Leuten ein Einblick in Kunst und Kultur vermittelt wurde, einen Brief geschrieben. Da sich einer ihrer Kunsthistoriker in letzter Minute davongemacht hatte, um eine bessere Stelle anzutreten, hatten sie sich an Argyll gewandt. Ob er ein paar Jahre lang den Unterricht von Caracci bis Canova übernehmen würde?

Flavia sah hierin die Lösung all seiner Probleme, aber er war sich da nicht so sicher. Schließlich hatte er viel Energie investiert, um als Kunsthändler Fuß zu fassen. Wenn er jetzt aufgab, sah es so aus, als sei er gescheitert, und das schmeckte ihm überhaupt nicht. Außerdem hatte er den Eindruck, daß man sich beim Unterrichten sein Geld sauer verdienen mußte.

Abgesehen davon war es schon ziemlich deprimierend. Er konnte sich zwar finanziell über Wasser halten, aber der Sprung in die nächsthöhere Liga wollte ihm einfach nicht gelingen. Ohne das nötige Startkapital war das aber auch nicht so einfach. Schon seit Wochen und Monaten zerbrach er sich den Kopf darüber, und hatte schließlich beschlossen, nach England zu fliegen und seinen früheren Arbeitgeber und Mentor um Rat zu fragen.

Mit Argyll zusammenzuleben war in letzter Zeit wohl nicht die reine Freude gewesen. Mit Flavia zusammenzuleben aber auch nicht. Daß er wenig verdiente, war ihr egal. Daß er zu keinem Entschluß kam, war ihr überhaupt nicht egal. Sie hatte sein ständiges Gegrübel satt. Der Brief von der internationalen Universität lag schon fast zwei Wochen unbeantwortet herum. Warum brachte er es nicht endlich hinter sich? Früher oder später mußte er sich ja doch entscheiden.

»Was hat es denn mit diesem Giotto auf sich?« fragte er, um dem Gespräch eine weniger unangenehme Richtung zu geben.

»Eigentlich gar nichts. Er ist der Phantasie des Generals entsprungen, als ihm dieser gestohlene Velásquez zu schaffen machte.«

»Dieser Velásquez, von dem er vor ein paar Jahren einen Druck an seinem Schwarzen Brett hängen hatte? Gab's wegen dem nicht mit dem Ministerium Ärger?«

»Doch. Der Besitzer verfügte eben über beste Beziehungen. Bottando hatte ein paar Dutzend Diebstähle ausgemacht, die alle dieselbe Handschrift zu tragen schienen. Immer wurden aus Häusern mit alten Sammlungen Bilder gestohlen, die seit Jahrzehnten, manchmal seit Jahrhunderten nicht mehr auf den Markt gekommen waren. Schlecht katalogisiert und in vielen Fällen niemals fotografiert. Kleine Bilder von hohem Wert, meist aus der Hochrenaissance. Alle mit Expertenblick ausgewählt und mit großem Geschick gestohlen: keine Gewalt, keine Anzeichen eines Einbruchs, keinerlei Beschädigungen. Der Täter war stets nur wenige Minuten im Haus, wußte genau, was er wollte, wurde nie gestört und hat immer nur ein Bild gestohlen. Die Sache war einen Versuch wert, aber Bottando hat sie dann zu Recht ad acta gelegt.«

»Klingt doch ganz plausibel. Warum schwenkte er um?«

»Weil das alles seinem Ersten Satz des Kunstdiebstahls widerspricht, wonach Kunstdiebe nicht sehr brillant sind. Was völlig stimmt. Kunstdiebe sind habgierig, ungeduldig, tolpatschig und meistens nicht sehr intelligent. Sie machen Fehler, reden zu viel und werden von Komplizen verpfiffen. Sie schaffen keine dreißigjährige Karriere als Dieb, bei der sie sich nie übernehmen, nie einen Fehler machen, nie dem Falschen trauen und nie der Versuchung erliegen, sich mit ihren Errungenschaften zu brüsten. Die meisten arbeiten sowieso längst für das organisierte Verbrechen; Einzelgänger unter den Dieben sind fast schon ausgestorben. Giotto war ein Hirngespinst, und Bottando ist viel zu klug, um so einem Unsinn aufzusitzen. Du kennst ihn ja. Übrigens – du bist mit Kaffee kochen dran, nicht?«

Kapitel 2

Das Haus im Stadtteil Parioli, in dem der lästige Brief geschrieben worden war, erwies sich als abgeschiedenes, nobles und bestimmt nicht billiges Pflegeheim für die gutsituierten Alten und Kranken der Hauptstadt.

Bevor sie es betrat, musterte Flavia das Gebäude eingehend. Sie war ziemlich früh gekommen, um nach Möglichkeit den Rückweg hinter sich zu bringen, bevor die Hitze unerträglich wurde. Aus der krakeligen, unsicheren Handschrift hatte sie nicht unbedingt auf polierte Türen, gewienerte Marmorfußböden und eine Atmosphäre effizienter, freundlicher und kostspieliger Betreuung geschlossen.

Als erste Hürde erwies sich die Rezeption, wo ihr eine kompetent wirkende Empfangsdame fröhlich mitteilte, daß noch nicht Besuchszeit wäre. Flavia wies sich mit ihrer Dienstmarke aus, aber das änderte nichts daran, daß keine Besuchszeit war. Als ihr Flavia auseinandersetzte, daß sie – Hausordnung hin, Hausordnung her – dringend mit Signora Fancelli sprechen müsse, schaltete sich ein Priester ein, der gerade an der Rezeption vorbeikam.

Nachdem er sich als Pater Michele vorgestellt und der Empfangsdame versichert hatte, er werde sich um die Besucherin kümmern, fragte er Flavia: »Hat sie Ihnen geschrieben?«

»Sie hat meinem Chef geschrieben«, antwortete Flavia. »Er hat mich hergeschickt, um mit ihr zu reden.«

»Da bin ich aber froh. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Es hat sie sehr gepeinigt.«

Flavia nickte, und Pater Michele geleitete sie zur Tür hinaus, wobei er ihr erklärte, daß sich im Sommer die meisten Heimbewohner – er sprach von ›Gästen‹ – in den Garten hinausschieben ließen, um die Sonne zu genießen.

»Es ist erstaunlich, wieviel Sonne die alten Herrschaften vertragen«, sagte er, als sie den Weg überquerten und auf eine kleine Baumgruppe zugingen. »Wenn man schon vor Hitze verschmachtet, verlangen sie noch nach einem Pullover.«

»Signora Fancelli muß finanziell gutgestellt sein, wenn sie hier wohnt«, sagte Flavia und überlegte sich, was der Diebstahl eingebracht haben könnte.

»O nein. Sie ist bettelarm.«

»Aber wie ...«

»Wie ich höre, kommt ihr Sohn in Amerika für die Kosten auf. Sie ist vor ein paar Monaten bierhergekommen, als sie nicht mehr allein zurechtkam. Und ich muß Ihnen leider sagen, daß sie auch hier sterben wird. Sie bereitet sich schon auf ihr Ende vor.«

Er deutete auf eine zerbrechliche Gestalt, die im Rollstuhl saß und ins Leere starrte.

»Das ist sie. Ich werde Sie mit ihr alleinlassen. Sie dürfen nicht denken, daß mit dem Körper auch der Geist hinfällig geworden ist. Sie schweift manchmal ab, weil die Schmerzmittel sie schläfrig machen, aber sie kann noch klar denken. Regen Sie sie bitte nicht allzu sehr auf.«

Hoffentlich schläft sie nicht, dachte Flavia, als sie an den Rollstuhl herantrat. Der Priester hatte zweifellos recht; die alte Frau war offensichtlich schwer krank. Man merkte es an ihrer fahlen, kranken Haut, den streichholzdünnen Armen und dem sehr gelichteten Haar. Auch geistig war sie nicht so rege, wie Flavia gehofft hatte, aber sie unternahm sichtlich eine große Anstrengung, um sich zu konzentrieren, als sie angesprochen wurde.

»Signora Fancelli?« fragte Flavia. »Ich komme wegen Ihrem Brief. Wegen dem Gemälde. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Ach ja«, sagte sie, hob den Blick und versuchte sich auf Flavia zu konzentrieren. »Dann habe ich Ihnen also geschrieben? Das ist schon lange her, nicht wahr?«

»Sie wollten mit diesem Brief einen Diebstahl auf sich nehmen. Ich muß sagen, das kommt mir sehr unwahrscheinlich vor.«

»Es hat die ganzen Jahre mein Gewissen schwer belastet, was ich getan habe«, sagte sie. »Ich bin froh, daß ich mit Ihnen sprechen kann. Was immer es mich kostet.«

Bei dem Gesundheitszustand der alten Dame und hinsichtlich der Geschwindigkeit der italienischen Justiz konnte man davon ausgehen, daß es sie nicht viel kosten würde. Jedenfalls nicht in dieser Welt. Sehr alt war sie noch nicht, vielleicht Anfang sechzig. Aber man sah, daß sie nicht mehr lange zu leben hatte.

»Wollen Sie es mir erzählen?«

Ein langes Schweigen trat ein, bis sie ihre Gedanken wieder sammeln konnte. »Ich wußte gar nicht, was ich da tat. Sonst wäre es auf keinen Fall so weit gekommen. Ich war arm, aber immer anständig. Hoffentlich glauben Sie mir das.«

Flavia nickte geduldig, da sie sonst nicht viel tun konnte.

»Meine Eltern waren arm, und ich war ledig und hatte niemand, der sich um mich kümmerte. Ich mußte von der Schule abgehen und wurde Dienstmädchen – eigentlich eher Putzfrau. In einer Schule für Ausländer, die von Signora della Quercia geleitet wurde, und später auch bei der Familie Straga. In Florenz war das. Hab' ich das schon gesagt?«

Obwohl es noch nicht einmal elf Uhr war und ein Baum Schatten spendete, wurde es bereits heiß. Die Wärme hatte längst keine belebende Wirkung mehr, da das Frühjahr in einen glühend heißen Sommer übergegangen war. Flavias Kopf sank immer tiefer, und ihre Gedanken schweiften ab. Sie begann zu schwitzen. Das war ihr unangenehm und hielt sie vermutlich davon ab, vollends einzunicken.

»Ich muß zugeben, daß ich nach einem Ehemann Ausschau gehalten habe«, sagte die Frau, irgendwo weit links von Flavias schwindendem Bewußtsein. »Heutzutage braucht man sich darüber keine Sorgen mehr zu machen, aber wenn man damals mit achtzehn noch nicht verheiratet war, dachten die Leute, mit der stimmt was nicht. Ständig wurde ich ausgelacht. Die alte Jungfer. Aber ich war romantisch veranlagt. Ich wollte nicht irgendeinen Ehemann, ich wollte mich Hals über Kopf in einen flotten, aufregenden Mann verlieben. Und es gab einen Mann, der sich viel bei den Dienstmädchen herumtrieb. Geoffrey hieß er. Geoffrey Forster. Ein Engländer. Sah sehr gut aus und war sehr charmant. Reich. Behauptete er wenigstens. Er redete ständig von berühmten Leuten wie von seinen besten Freunden, gab viel Geld aus und fuhr schnelle Autos. Als er sich ausgerechnet um mich bemühte, fühlte ich mich natürlich geschmeichelt und machte mir Hoffnungen. Ich habe mir eingebildet, er liebe mich. Noch nie hatte mich jemand so umworben. Aber es war natürlich nur ein Traum, der bald vorbei war.«

Aus reiner Höflichkeit – das Erzählen war für die alte Frau offensichtlich eine große Kraftanstrengung – nickte Flavia bedächtig und bekundete Interesse am Fortgang der Geschichte.

»Er hat gefragt, ob ich mit ihm ein Wochenende in der Schweiz verbringen wollte. Ich habe natürlich ja gesagt und wäre gar nicht auf die Idee gekommen, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Bis dahin war ich noch nie aus der Toskana herausgekommen, und daß ich nun in die Schweiz fahren und in einem Nobelhotel wohnen würde, kam mir einfach traumhaft vor. Ich habe mir eingebildet, daß das bloß ein kleiner Vorgeschmack auf die ganzen Reisen wäre, die wir miteinander unternehmen könnten. Da hatte ich schon das Gefühl, daß ich schwanger war, müssen Sie wissen.«

Auf einmal sprach sie in einem scharfen, verbitterten Ton. Das weckte Flavias Interesse und riß sie aus ihrem Dämmerzustand. Sie betrachtete Signora Fancelli aufmerksam, sagte aber kein Wort, um sie nicht zu unterbrechen.

»Er nahm ein Paket mit«, sagte sie. Sie zeichnete die Umrisse mit den Händen nach und ließ sie erschöpft sinken. Demnach war es mehr oder weniger quadratisch, knapp fünfzig Zentimeter lang und breit.

»Was drin war, hat er mir nicht verraten. Er hat nur gesagt, er wolle einem Freund einen Gefallen tun. Ich habe gleich gewußt, daß das nicht stimmt. Naiv wie ich war fand ich außerdem, daß Liebende keine Geheimnisse voreinander haben sollten. Deshalb habe ich das Paket im Zug aufgemacht. Nur so weit, daß ich hineinblinzeln konnte.

Es war ein Bild der Heiligen Jungfrau aus dem Palazzo Straga. Ich erkannte es sofort, weil es mir im Palazzo immer so gut gefallen hatte. Ich habe die Verpackung wieder zugeklebt, und später ist Geoffrey mit dem Bild weggegangen und ohne Bild zurückgekommen.«

»Was hat er damit gemacht?«

»Das weiß ich nicht. Wir wohnten in einem herrlichen Hotel. Ich habe mir eingebildet, daß ich nun wirklich ein Leben in großem Stil führen könne und war viel zu verliebt, um Fragen zu stellen.«

»Und dann?«

»Dann sind wir nach Florenz zurückgefahren, und vielleicht eine Woche danach habe ich zu Geoffrey gesagt, daß ich schwanger bin.«

»Er war wohl nicht gerade überglücklich?«

Sie schüttelte den Kopf. »Es war schrecklich«, sagte sie. »Er hat mich schrecklich beschimpft und herumgebrüllt, ich solle verschwinden, damit habe er nichts zu schaffen. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn es im Palazzo Straga nicht ein herzensgutes Dienstmädchen gegeben hätte.«

Flavia ging die Geschichte in Gedanken noch einmal durch. Im großen ganzen paßte alles recht gut zusammen: Bei dem Uccello, der aus dem Palazzo Straga gestohlen worden war, handelte es sich um ein Madonnenbild; man ging davon aus, daß das Gemälde ins Ausland verschoben worden war; es war um die Zeit herum gestohlen worden, von der Signora Fancelli sprach. Bei ein oder zwei Einzelpunkten hatte Flavia allerdings Zweifel ...

»Woher wußten Sie denn, daß das Bild gestohlen war?«

Erstaunt runzelte die Alte die Stirn. »Ich habe es erfahren, als ich zurückgekommen bin. Da wußten es schon alle. Wissen Sie, im Palazzo hatte ein Ball stattgefunden. Die Signora lud nämlich einmal im Jahr alle ihre Schülerinnen ein. Bei diesem Ball muß er es gestohlen haben.«

»Und Sie haben nichts gesagt? Wollten Sie es diesem Mann denn nicht heimzahlen?«

Sie brachte ein spöttisches Lachen zustande. »Genau das hätten alle gedacht. Die will es ihm doch nur heimzahlen. Wer hätte mir schon geglaubt? Ich wußte ja nicht, wem er das Bild gebracht hatte. Außerdem hatte ich Angst, man könnte mich auch einsperren. Wäre er überführt worden, hätte er bestimmt behauptet, daß ich seine Komplizin war.«

»Haben Sie diesen Forster je wiedergesehen?«

»Ich habe in Rom eine neue Stelle angetreten. Dort habe ich mein Kind bekommen und zu Verwandten nach Amerika geschickt. Wissen Sie, das war damals alles nicht einfach. Ganz anders als heute.«

Flavia spürte, daß es hier irgendwo Ungereimtheiten in der Geschichte gab, aber die alte Frau schien noch etwas sagen zu wollen. Da sie dann aber doch nicht mehr weiterredete, fragte Flavia: »Und nun haben Sie uns geschrieben. Darf ich fragen, warum?«

Signora Fancelli verwies mit einer Geste auf ihre Hinfälligkeit, als sei die Frage damit erschöpfend beantwortet. »Pater Michele hat mir dazu geraten, weil er meinte, das würde mein Gewissen erleichtern. Und das tut es auch.«

»Sehr schön. Wir müssen natürlich überprüfen, was Sie mir erzählt haben.«

»Und wird das Konsequenzen haben?«

Flavia schüttelte den Kopf. »Um Himmels willen, nein. Höchstens, wenn Sie sich das alles ausgedacht haben ...«

»Ich spreche nicht von mir. Wird es für ihn Konsequenzen haben? Für Forster?« Plötzlich sprach ein Haß aus ihr, der Flavia beinahe zusammenzucken ließ.

»Wir werden ermitteln. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Aber vielleicht könnten wir jetzt Ihre Aussage zu Protokoll nehmen ...«

Kaum hatte Flavia in ihrem Büro ihre Tasche fallenlassen, als sie auch schon von Bottando in ein kleines Restaurant entführt wurde, um die Angelegenheit beim Mittagessen zu besprechen.

»Geoffrey Arnold Forster«, berichtete sie, »wurde am 23. Mai 1938 in England geboren, er ist also fünfundfünfzig. Er hat braune Augen und ist circa eins fünfundachtzig groß.«

Skeptisch hob Bottando die Augenbrauen. »Das muß ja eine sehr erstaunliche alte Dame sein, wenn sie das nach über dreißig Jahren noch so genau im Kopf hat.«

»Dachte ich zuerst auch. Aber es ist nicht ganz abwegig. Anscheinend hat sie die Angaben aus seinem Paß abgeschrieben, bevor sie sich zerstritten haben, weil sie nicht wollte, daß das Feld unter ›Vater‹ in der Geburtsurkunde ihres Kindes leerblieb.«

»Dann muß sie geahnt haben, daß er sie sitzenläßt?«

Flavia zuckte die Schultern. »Ich würde sagen, das war eine ganz vernünftige Vorsichtsmaßnahme. Sie war arm, ungebildet, schwanger und nahezu zehn Jahre älter als er. Na, jedenfalls haben wir jetzt ganz genaue Angaben zur Person – fragt sich nur, ob wir sie nutzen. Wegen eines Verbrechens, das sechsunddreißig Jahre zurückliegt, kann man natürlich schnell mal nach Parioli fahren, aber man muß sich schon überlegen, ob man ein internationales Amtshilfeersuchen stellt und nach England fliegt. Vielleicht lebt der Mann ja gar nicht mehr.«