Celeste - Katharina Auciel - E-Book

Celeste E-Book

Katharina Auciel

0,0

Beschreibung

Auch während ihres Aufenthaltes in ihrer alten Heimat England ist Celeste vor Überraschungen nicht gefeit. Ein ominöser Bewerber lässt nicht locker und unerwarteter Besuch taucht auf. Schließlich kehrt sie nach Dresden zurück, die Stadt, die sie trotz des einstigen goldenen Käfigs, in dem sie gefangen war, in ihr Herz geschlossen hat. An ihrer Seite steht ihr geliebter Gemahl. Kurz nach ihrer Ankunft wird dieser jedoch des Mordes verdächtigt und in Haft genommen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 342

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Auch während ihres Aufenthaltes in ihrer alten Heimat England ist Celeste vor Überraschungen nicht gefeit. Ein ominöser Bewerber lässt nicht locker und unerwarteter Besuch taucht auf. Schließlich kehrt sie nach Dresden zurück, die Stadt, die sie trotz des einstigen goldenen Käfigs, in dem sie gefangen war, in ihr Herz geschlossen hat. An ihrer Seite steht ihr geliebter Gemahl. Kurz nach ihrer Ankunft wird dieser jedoch des Mordes verdächtigt und in Haft genommen.

Die Autorin legt einen zweiteiligen Gesellschaftsroman im Umbruch der Aufklärung und der romantischen Gegenbewegung vor, dessen Handlung entsprechend der moralischen Vorstellungen und Konventionen dieser Zeit eingebettet ist.

Alle Personen und Handlungen dieses zweiteiligen Romanes sind frei erfunden.

Inhaltsverzeichnis

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ERSTES KAPITEL

Chelsea, 10. Januar 1824

Verehrter Herr Heinrich,

nun hat die Kirche entschieden – zu meinen Ungunsten. Ich bitte Sie, zweifeln Sie darum nicht an der katholischen Kirche – höchstens an den Menschen, die diese Entscheidungen herbeiführen. Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Soll heißen, aus Ungerechtigkeit wird er etwas Wertvolles hervorgehen lassen, was sich uns heute nicht unbedingt erschließt. Mittlerweile habe ich mich in dieses Schicksal hineingefunden. Ist es nicht schon eine Gnade, dass ich von diesem Herrn von Tisch und Bett getrennt leben darf, der Herr, der mir die Ehe als goldene Folterkammer vorstellte? Nun darf ich in meinem beschaulichen Chelsea leben, demnächst werde ich sogar für einige Wochen in unser geliebtes Landhaus nach Abingdon reisen. Nie erzählte ich Ihnen von diesem wunderlichen alten Haus, welches mein leiblicher Vater für seine geliebte Braut, die meine Mutter ist, kurz vor der Hochzeit erstand. Eines Tages müssen Sie es kennenlernen, lieber Herr Heinrich, Sie hätten so viel Augenschmaus, dass Sie Ihre Pinsel nicht mehr bändigen könnten. Und würden Sie all meine lieben Geschwister kennenlernen, es wäre um Sie geschehen; ein Porträt nach dem anderen würden Sie anfertigen – wie gerne würde ich Ihnen dabei über die Schulter schauen!

Liebster Herr Heinrich, so sehr vermisste ich Ihre Briefe. Sehen Sie eine Möglichkeit, mir hin und wieder aufmunternde Worte zuzusenden? Ich meinerseits möchte es auf jeden Fall regelmäßig tun, wenn Sie es gestatten. – Bis Sie eine freundliche Dame auserkoren haben, die Sie statt meiner zum Altar führen. Aber laden Sie mich bitte nicht zur Hochzeit ein! Natürlich hätte ich Greifswald gerne kennengelernt und auch, wenn eine Eheschließung der geeignete Anlass zu sein scheint, so wäre es doch keinesfalls angemessen.

Es tut mir leid, dass Sie so furchtbare Scherereien wegen mir auf sich nehmen mussten, nicht nur diese ganzen unerfreulichen Auseinandersetzungen brieflicher Art, als auch in Anhörungen, sondern ebenfalls die bitteren Folgen von Ihrem Herrn Vater aus. Ihre Mutter wird sehr leiden. Und das alles ohne einen Erfolg – wie entsetzlich! Ich schäme mich. Bitte lassen Sie mich wissen, wenn Sie sich in pekuniärer Not befinden; inzwischen besetze ich eine halbwöchentliche Anstellung als Hauslehrerin und bin finanziell recht gut gestellt. Wie gerne würde ich mich erkenntlich zeigen!

Nun muss ich mindestens vier lange Wochen auf eine Antwort von Ihnen warten, doch werde ich mich genügend ablenken können. Meine jüngste Schwester, Magdalena, ist erst fünf Jahre alt, spricht jedoch mittlerweile recht manierlich Deutsch mit mir.

Mit den dankbarsten und freundlichsten Grüßen, Ihre Celeste, geborene Williams

Nur eine Woche nachdem Celeste diesen Brief abschickte, übergab Marie der jungen Lehrerin einen Brief mit dem Absender aus Greifswald. Aufgeregt trat sie in den kleinen Salon ihrer Mutter. „Mama, schau! Ich erhalte von Herrn Heinrich einen Brief, obwohl meiner noch nicht einmal angekommen sein kann!“

„Er ist ja noch nicht geöffnet!“

„Nein, ich wollte ihn hier unten bei dir lesen, ich fürchte mich ein wenig vor seinen Zeilen – obwohl ich mir so sehr einen Brief gewünscht habe.“

Greifswald, 5. Januar 1824

Verehrteste Celeste,

nun ist die Entscheidung gefallen. Geographisch sind Sie mir zwar sehr fern, doch geistig so nah. Sie ahnen nicht, wie ich unter dieser ungerechten Entscheidung leide, insbesondere, weil ich weiß, dass Sie eine treue Katholikin sind und niemals das Urteil dieses kirchlichen Gerichtes, dass dermaßen von bösen Kräften gelenkt wurde, anfechten, geschweige denn, ihm zuwiderhandeln würden. Vielleicht fällt es mir gerade darum leicht, Ihnen nun ganz offen meine tiefe Verehrung, ja, meine herzliche Liebe zu Ihnen zu gestehen. Ich wiege mich in der Sicherheit, dass Sie sich zu nichts verpflichtet fühlen müssen. Also dürften Sie meine Zuneigung schriftlich erwidern, ohne dass Konsequenzen daraus entstehen müssen. Jeden Tag darf ich Ihnen einen oder zehn Liebesbriefe schreiben, das kann mir kein Gericht verbieten, selbst ein katholisches nicht! Nur Sie allein sind die Gebieterin in dieser Angelegenheit – und sollten Sie diese Art der Freundschaft ablehnen, lassen Sie es mich sogleich wissen und niemals mehr kommt ein Wörtchen über meine Liebe zu Ihnen auf das Papier.

Wie herrlich sind meine Träume gewesen, Sie zum Traualtar zu führen, in mein malerisches Häuschen (das nur gemietet ist) zu geleiten und mit Ihnen alles zu teilen. Geliebte Celeste, es sollte nicht sein, doch verlebten wir in Dresden auch ohne das eine herrliche Zeit. Niemals zuvor durfte ich so freundliche und lustige Stunden genießen, wie mit Ihnen. Sie haben recht, es musste so kommen – alles hat seine Zeit und alles hat seine Bedeutung.

Erfreulichste und Unerreichbare, ich danke Ihnen für Ihre Freundschaft und verbleibe als Ihr innig liebender Heinrich

Jäh brach Celeste in Tränen aus. Wortlos reichte sie ihrer Mutter den Brief zum Lesen.

Anna seufzte tief. „Meine kleine Celli, es tut mir so leid!“.

Lange hielt sie ihre weinende Tochter in den Armen, bis diese sich allmählich beruhigt hatte und schließlich der Mutter den Inhalt beinahe wortwörtlich wiedergab.

George Avestone kam in den kleinen Salon und traf auf zwei trauernde Damen. Anna berichtete ihm von dem Inhalt des Briefes.

Bedenkend sah er von einer zur anderen. „Manchmal stellt Gott einen auf eine harte Probe, doch Geduld und Gleichmut zahlt sich zumeist aus.“ Sein Blick blieb an seiner Gemahlin hängen. „Viele Jahre können in das Land gehen und jede Aussicht auf die geliebte Person vollkommen fehlen.“ Er räusperte sich. „Hingegen gibt es für Celeste Hoffnung.“

Mit wehrendem Blick musterte sie ihren Stiefvater. „Was für Hoffnung?“

„Man könnte Nachforschungen anstellen und ein neues Verfahren anstrengen oder die Zeit für sich arbeiten lassen.“

„Die Zeit für sich arbeiten lassen! Soll das bedeuten, ich soll darauf hoffen, dass er früher als ich das Zeitliche segnet und Heinrich zwanzig Jahre auf mich gewartet hat?“, entgegnete Celeste bitter.

„Männer, die sich solcher Neigung hingeben und ein starkes Karrierestreben pflegen, verstricken sich oft in abseitige Geschäfte – wie er es ja bereits tat – also eine brisante Mischung.

Das heißt, über kurz oder lang wird diese Neigung durch ein ungeschicktes Verhalten oder Ähnliches offenbar. Und dann kann die katholische Kirche die Augen nicht mehr verschließen.“

Chelsea, 23. Januar 1824

Liebster Heinrich

Ihr Brief vom 5. Januar ist herzzerreißend. Nie wieder dürfen Sie mir so einen Brief schreiben. Wie sollte ich in Gleichmut und Geduld unsere Trennung überstehen. Wie wünschte ich mir so viele liebliche Briefe von Ihnen, doch muss ich dann ins Wasser gehen.

Ich bin kein Mensch, der ewig in platonischer Liebe leben kann, nein, Sie kennen mich nicht. Schreiben Sie mir weiterhin, aber kein Liebesgeflüster, es würde mir das Herz brechen und ich müsste für immer Abschied von Ihnen nehmen.

Mein Vater riet mir, mich in Geduld und Langmut zu üben, nur so kann man die Zeit des Durstens unbeschadet überstehen. Sie können mir glauben, dass mir die vier vergangenen Monate ohne jede Zeile von Ihnen schon viel abverlangten, doch trug mich die Hoffnung, Sie bald sprechen zu dürfen, nun ist es mir fürs erste für immer versagt.

Lieber Heinrich, grüßen Sie Ihre liebe Mutter von mir, sofern diese noch Gutes von mir denkt, denn ich vermute, sie musste eine harte Zeit durchleben – Gemahl und Sohn in tiefster Zwietracht. Schreiben Sie mir, wie Ihre Familie zu Ihnen steht; haben Sie Rückhalt?

Doch zumindest bei unseren lieben Freunden Marianne und Franz Brookmann.

Meine Zeit plätschert freundlich dahin; ich unterrichte meine fleißigen Schülerinnen, eine davon ist meine kleine Magdalena. Meine Eltern sind wie eh und je eine große Stütze, ebenso meine Freundin Agatha. Sie ist die glückliche Mutter von inzwischen drei Kindern.

Ihr Gatte hat mich rechtlich vertreten. Er ist sehr niedergeschlagen, weil er der Tochter seines guten Freundes und Kompagnons nicht zu ihrem Recht verhelfen konnte. Da er nicht besonders gläubig ist, hadert er mit seinem Beruf – obwohl er neben meinem Vater der angesehenste und gefürchtetste Anwalt Londons ist.

Lieber Freund, ich bitte Sie, vertrauen Sie auf Gott. Meine Mutter erklärte mir, dass er alles tut, um seine Kinder aus Schwierigkeiten wieder herauszuführen, seien es selbstgemachte oder von anderen verursachte. Lassen Sie uns an unsere gemeinsamen Stunden denken, wie herrlich haben Sie mich erquickt, wie sehr wünschte ich mir, dass Sie mich lieben – ich danke Ihnen für Ihre Liebe!

Werde ich eines Tages ein Aquarell von Greifswald in Chelsea empfangen? Oder nahmen Sie es mit der Wahrheit nicht so ernst und schwindelten mir das Blaue vom Himmel?

Verehrter Herr Heinrich, ich wünsche Ihnen erfüllenden Unterricht mit Ihren neunmalklugen Studenten, malerische Aussichten und eine stets gefüllte Geldbörse (damit Sie nicht hungern müssen).

In ewiger Dankbarkeit und größter Zuneigung, Ihre Celeste

Greifswald, 28. Januar 1824

Geliebte Celeste,

niemals möchte ich an der altehrwürdigen Lehre der Kirche zweifeln, ist sie doch von Gott selbst uns gegeben. Sie sagen, er wird etwas Wertvolles aus dieser Ungerechtigkeit hervorgehen lassen – daran möchte ich glauben!

Trotzdem zwingt mich die ungerechte Entscheidung, meine Schuld in dieser Angelegenheit zu suchen. Habe ich gegen Herrn Hofstetter falsch gehandelt? Hätte ich meinen Stiefvater verschweigen müssen? – Doch ist er maßgeblich verstrickt. Gott kann nicht wollen, dass ich über Verbrechen schweige – es war ja an gerechter Stelle. Hätte ich Sie, Verehrteste, nie kennengelernt, wäre in dieser Sache niemals ein Wort über meine Lippen gekommen. Über diese Zusammenhänge werde ich noch eine Weile nachdenken müssen – bei geeignetem Ergebnis werde ich Sie darüber in Kenntnis setzen.

Wie gerne würde ich Ihr beschauliches Chelsea kennenlernen, Ihre Eltern, Ihre Geschwister und das geliebte Landhaus Ihres leiblichen Vaters! Eines Tages stehe ich an Ihrer Tür – hoffentlich werde ich Sie antreffen!

Oh, nein, meine Auserkorene! Sie glauben doch nicht im Ernst, ich hätte Augen für irgendeine andere Dame! Lieber allein von Träumen leben, als mich von Ihnen abwenden – ich wäre ja ein Narr!

Was die Verhandlungen in der gänzlich entsetzlichen Angelegenheit betrifft, können Sie versichert sein, dass ich unbeschadet dadurch gekommen bin – ich besitze ein dickes Fell. Selbstverständlich ist mir der Zugang in das stiefväterliche Haus für immer versagt. Doch ist die Mutterliebe unverwüstlich; ich stehe in brieflichem Austausch mit ihr. Cäcilia hingegen wird eine Weile benötigen, ihren Bruder wieder freundlich gegenüber gesinnt zu sein, sie ist eben Vaters Erstgeborene – doch baue ich auf die Zeit und unsere alte Freundschaft. Ella-Luise bleibt mein Schatz, sie lässt sich nicht beirren. Mein Bruder musste mir leider den Fehdehandschuh entgegenwerfen, doch was soll man von einem angehenden Offizier erwarten, dessen Vater man verunglimpft hat. Es ist mir darum nicht besonders leid, es konnte uns nie viel verbinden, dafür sorgte Herr Othmar von Heringsdorf früh.

Finanziell bin ich unabhängig, Sie wissen, dass man mich gern für kleine, aber ertragreiche Aufträge anstellt. Trotzdem weiß ich Ihr hochherziges Angebot zu schätzen, meine Teuerste!

Haben Sie Ihrem reizenden Schwesterchen auch die deutschen Namen beigebracht? Kommt ein Heinrich in Ihren Geschichten vor, vielleicht auch eine Marianne, ein Franz und eine Edeltraut? Wie gerne würde ich lauschen!

Verehrteste Unerreichbare und Geliebteste, seien Sie versichert, Sie können sich gegen meine Briefe nicht zur Wehr setzen, es sei denn, Sie untersagen mir, Ihnen zu schreiben.

In großer Verehrung und Anhänglichkeit, Ihr Heinrich

Greifswald, 9. Februar 1824

Geliebte und holdeste Celeste,

keinesfalls möchte ich Sie in Bedrängnis bringen und werde mich darum mäßigen. Sie schreiben von Geduld – o ja, darin möchte ich mich üben! Damit ich in aller Ruhe dem Tag entgegensehen kann, an dem Herr Hofstetter in den ewigen Tod eingeht und ich um Ihre Hand anhalten darf. Und wenn es noch zwanzig oder gar dreißig Jahre andauert, ich warte. Schade nur, dass uns dann Kinder verwehrt bleiben; wie rührend wäre es gewesen, eine kleine Elsa und mindestens noch einen kleinen Albert in den Armen zu wiegen! Sie hätten auch andere Namen bekommen können, vielleicht Mary, John oder Henry?

Die Vorstellung, wie Sie ihre Schülerinnen anleiten, bezaubert mich. Was muss es für eine hübsche Szene sein – ich werde meine Fantasie sofort einfangen! Ein recht gelungenes Porträt von Ihnen hängt in meiner Stube, davon werde ich mich leiten lassen, vielleicht werde ich Ella-Luise und Edeltraut an Ihre Seite setzen.

In zwei Tagen werde ich nach Dresden aufbrechen. Während dieser vier Tage dauernden Reise habe ich meinen Skizzenblock stets parat, Sie glauben gar nicht, was für eine Wonne es ist, eine lebhafte Szene an einer Poststation einzufangen. Da fällt mir unser Abschied in Dresden ein, wäre ich nicht selbst der Protagonist gewesen, ich hätte die rührendste Szene zu Papier gebracht. Wie herrlich war Ihre Umarmung, immer noch klingt mir Ihr „Ja, Herr Heinrich“ im Ohr.

Genug in Erinnerung geschwelgt! Marianne und Franz werden mir viel Gelegenheit zu frohem Gelächter geben und in irgendeinem stillen Kaffeehaus werde ich meiner Mutter begegnen. Nein, allein, weil Sie meine Freundin sind, schätzt meine Mutter Sie – außerdem bewundert sie Ihre erstaunliche Fähigkeit, Ella-Luise in kürzester Zeit gehobenes Englisch beigebracht zu haben.

Demnächst werden Sie eine lange hölzerne Kassette empfangen, die Ihnen die schönsten Aussichten ins Haus bringt.

Leben Sie wohl, Allerduldhafteste, in großer Verehrung, Ihr Heinrich

Celeste folgte den Klängen des Violoncellos. Ihr Vater zog sich hin und wieder in den Wintergarten zurück, um zu musizieren. An diesem Tag spielte er eine Suite von Bach – ihrer Stimmung angemessen, melancholisch.

„Darf ich mich dazusetzen, Vater?“

„Es ist zu kalt, mein Kind! Warte, ich hole dir die Wolldecke aus dem Wohnzimmer.“ Bevor er das Cello zur Seite stellen und aufstehen konnte, war Celeste in das Wohnzimmer gesprungen und nahm sich die Decke.

„Spiel doch etwas Munteres, Vater, oder bist du traurig gestimmt?“

„Nein, nur nachdenklich, und dann kommt mir Bach entgegen. – Möchtest du mich begleiten?“

„Ich wollte dir nur lauschen. Spielst du aus der Suite Nr. 6 die Gavotte und die Gigue für mich?“

George Avestone suchte eine Weile in seinen Notenblättern, fand das Gewünschte, vertiefte sich in die Noten und zog den Bogen im rasanten Tempo über die Saiten.

Celeste seufzte zufrieden.

Der letzte Ton verklang.

„Ich mag mich erinnern, als ich mit Frederic in das kleine Nebengebäude von Birmingham schlich, in welchem du damals jeden Morgen diese Suiten spieltest. Mama war ganz in Plaudereien mit Tante Isabel vertieft. Es war furchtbar aufregend den leisen Tönen zu folgen und dauerte unendlich lange, bis wir die rechten Türen öffneten. Zu unserem Glück übtest du immer sehr ausdauernd.“

Ihr Stiefvater lachte über Celestes Erinnerung. „Ja, es war überhaupt eine aufregende Zeit. Tante Isabel stand kurz vor der Geburt unserer Rebecca, dein Vater gab seit Monaten kein Lebenszeichen von sich und mein Haus war mit freundlichen Kindern angefüllt.“

Nachdenklich betrachtete Celeste ihren Stiefvater. „Während des Musizierens erholst du dich, nicht wahr?“

Mit einem Lächeln gab er es zu. „Aber nicht nur das, während des Musizierens ordnen sich meine Gedanken, ohne dass ich mich darum bemühen muss. Musik ist etwas Geheimnisvolles, etwas Göttliches.“

„Mein Lautenspiel war bis Dresden eine Selbstdarstellung.

Erst dort habe ich Trost daraus schöpfen können. – Es war ein Entgleiten in eine andere Welt … ich wollte nicht mehr daraus erwachen. Applaus ist mir dort zuwider geworden.“ Sie lachte über sich selbst. „Wo ich zuvor so sehr danach strebte.“

„So lerntest du die wahre Tiefe der Musik erst in Dresden kennen.“

Sie nickte. „Wann lerntest du die Tiefe kennen?“

„Von Anbeginn war es meine Zuflucht. Dort konnte ich Kraft schöpfen.“

„Wovor musstest du fliehen?“, fragte sie verwundert. „Ein so vollkommener Mensch, wie du einer bist, muss doch aus einer tadellosen Familie erwachsen sein.“

Schmunzelnd sah er die junge und neugierige Dame an.

„Nicht alles ist Gold, was glänzt.“

„War es dein Vater, der dir die Suppe versalzen hat?“

„Ich durfte viel durch ihn und an ihm lernen …“, sann er laut.

„Soso, an ihm! Das klingt wieder einmal undurchsichtig und damit vielversprechend. – Ich weiß nur, dass er Richter in Birmingham war. – Was war mit ihm?“

„Er gehörte dem gleichen Club an, wie der Stiefvater des Herrn von Heringsdorf.“

Celeste horchte auf. „Was ist das für ein Club? Bislang erzähltest du mir nichts davon und Herr Heinrich ebenso wenig.“

„Eine bösartige Vereinigung, die sich Wohltätigkeit auf die Fahne schreibt. Sie tun sehr gelehrt und menschenliebend, in Wahrheit sind sie die rechte Hand des Bösen. Die bevorzugte Klientel dieses Clubs sind Menschen, welchen das Ansehen und die Karriere wichtiger sind, als die Nächstenliebe. Vordergründig veranstalten diese Geheimbünde Wohltätigkeitsbälle und speisen die Armen, doch das ist nur Fassade. In allen einflussreichen Berufen pflegen sie ihre festen Bastionen, von welchen sie ihre hinterhältigen Tentakel ausstrecken, um neue Geldsklaven zu rekrutieren, und um ihre Einflussnahme und damit ihre Macht auszuweiten und zu festigen.“

Nie zuvor hörte Celeste den abgeklärten und stets maßvollen George Avestone in solcher Bitterkeit sprechen. Es schauderte sie. „Wann erfuhrst du von diesem Club?“

„Nun, ich kann dir kein genaues Datum nennen, doch bemerkte ich spätestens mit zehn Jahren, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging, und mit fünfzehn wurde es mir deutlich. Ich hegte früh den Wunsch, Recht zu studieren, und zwar insbesondere, um meinen Vater zu widerlegen. Als Kind ist man feinfühlig und empfindet Unebenheiten – besonders in der Ehe der Eltern …“. Er brach ab und blätterte in den Noten.

Sie spürte, dass er für sein Gleichgewicht eine Grenze überschritten hatte, die er nie überschreiten wollte. Es tat ihr leid, also kam sie auf ihre eigene Angelegenheit zu sprechen. „Warum bemühen wir das Gericht nicht noch einmal, Vater?“

Der Anwalt wiegte milde den Kopf. „Die Kirche hat entschieden. Man darf die Herrschaften nicht verärgern. Es ist etwas anderes, ob ein weltliches oder ein kirchliches Gericht entscheidet. Lass noch ein wenig Zeit ins Land gehen und dann schauen wir, ob sich etwas getan hat.“

„Was sollte sich tun?“

„Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gründlich. Wir werden sehen.“

„Wie wird man über mich geurteilt haben, Vater? Darüber hast du mir nie etwas berichtet.“

„Herr Hofstetter ist das Opfer einer verwöhnten und launischen Gattin. – Ihn stört es nicht, dass die Ehe nicht aufgelöst wurde, seine Liebschaften sind auch ohnedies sündhaft …“.

„Meinst du, er sieht darin eine gerechte Strafe für mich?“

„Dieser Mann ist jenseits von irgendeiner Ordnung; die Frage ist, ob er überhaupt so viel darüber nachdenkt, dass er zu solchen Überlegungen kommen könnte.“

„Was denkst du über den Stiefvater von Herrn Heinrich?“

„Ein übler Geselle, der allein nach Einfluss und Macht strebt.

Menschenleben sind ihm nicht viel wert. Nicht das der jungen Frau Hofstetter, nicht das des Sohnes und keinesfalls das Leben des Herrn Hofstetters – alles nur Spielfiguren, die nach Belieben eingesetzt und herumgeschoben werden.“

„Glaubst du, er würde mit seinen leiblichen Kindern auch so umgehen, wenn es ihm zupassekommt?“

„Vielleicht würde er einen kleinen Moment zögern, doch letztendlich würde er auch sie auf dem Altar der Macht opfern. Es ist eine Sucht, stets nach dem eigenen Vorteil zu schauen. Hat er einmal Blut geleckt, kann er sich diesem Sog nicht mehr entziehen.“

„Und Herr Jahner? Was ist das für ein Mensch?“

„Er ist Nutznießer. Selbst würde er diese Machenschaften nicht durchführen, doch lässt er andere gerne mutig für sich vorpreschen. Zu guter Letzt ist der andere Schuld, Herr Jahner ist sozusagen ‚unwissentlich‘ in etwas hineingeraten.“

Celeste dachte über die Tragweite des soeben Gehörten nach.

„Herr Heinrich ist ein gerader Mensch, Vater. Er möchte keinem anderen Schaden zufügen, niemals, er ist sehr rücksichtsvoll. Und trotzdem ist er kein Mäuschen – er ist recht ungeniert.“

George Avestone lachte. „Das ist er. Er gefällt mir. Ich würde ihn gerne einmal persönlich kennenlernen.“

„Das möchtest du?“, entfuhr es Celeste überrascht.

„Selbstverständlich.“

„Und ich hatte den Eindruck, du bist nicht gar so unglücklich über den kirchlichen Schiedsspruch“, gestand sie verlegen.

„Das denkst du von mir?“, fragte er betroffen. „Ich sehe dich nicht gerne leiden – doch wenn ich alles getan habe, muss ich annehmen, was kommt.“

„Dürfen wir Sie, verehrte Madame Avestone und verehrter Herr Avestone, mit Ihrer Tochter in der kommenden Woche zu einem Dinner einladen?“

Frau Rosewood war in der Konzertpause an das Ehepaar Avestone herangetreten, denn ihr Neffe drängte sie, ihm die Familie des hervorragenden Soloviolinisten vorzustellen. Bereits im vergangenen August während des letzten Konzertes war dem jungen Herrn die entzückende Dame an der Seite der Madame Avestone aufgefallen. Zu gerne wollte er diese zurückhaltende Tochter des angesehenen Anwaltes kennenlernen. Wenigstens gelang es ihm, sich in Geduld zu üben, was nicht unbedingt seine Stärke war, und auf die nächste Darbietung des erlesenen Ensembles im privaten Kreis gewartet.

Mit Unbehagen hatte George Avestone das Gefallen des jungen Mannes an seiner Stieftochter beobachtet, meinte jedoch, Herrn Donovan beim nächsten halbjährlich stattfindenden Kammerkonzert nicht anzutreffen, da dieser seine Tante nur unregelmäßig in London besuchte.

Madame Avestone wandte sich an ihren Gemahl. „Wie fügt es sich zeitlich in deine Arbeit, George?“ Sie wollte nicht unhöflich sein, Frau Rosewood unternahm in den vergangenen Jahren bereits öfter den Versuch, nähere Bande zu ihr und ihrem Gemahl zu knüpfen, was leider durch die Geburt Magdalenas und die turbulenten Vorkommnisse jeweils verhindert worden war. Nun war Magdalena alt genug, um den Abend allein mit Betsy zu verbringen, und die aufregenden Zeiten hatten hoffentlich mit Celestes Fall ihr Ende gefunden.

Sie schmunzelte über sich selbst. ‚Nein, lieber Gott, du hältst gewiss noch viele Überraschungen für mich bereit.‘

Die Ausrede, zu sehr eingespannt zu sein, konnte er nicht vorbringen; seit sie zu viert in der Kanzlei arbeiteten, durfte er sich unverschämt viel Zeit für seine Familie nehmen. „Nun ja, verehrte Frau Rosewood, diese freundliche Einladung wartet schon lange auf uns. Und stets wurde sie durch äußere Umstände verhindert. Ich denke, die Zeit ist gekommen, Ihnen endlich eine Zusage machen zu dürfen“, resümierte der Anwalt entgegenkommend.

Frau Rosewoods rundes Gesicht erglänzte zufrieden. „Wenn es Ihnen recht ist, schlage ich den kommenden Mittwoch vor.“ Sie wandte sich an ihren auffallend schönen und elegant gekleideten Neffen. „Kommt dir dieser Tag gelegen, Daniel?“

„Ausgezeichnet! Ich fühle mich geehrt, dass diese Einladung während meines Londoner Aufenthaltes stattfindet.“ Höflich verneigte er sich.

Der Anwalt wandte sich an seine Stieftochter, die unberührt neben ihm stand und mit ihren Gedanken offenbar ganz woanders weilte. „Celeste, ist dir der Mittwoch recht?“

Zerstreut kam Celeste in die Gegenwart zurück. „Der Mittwoch?“ Sie dachte an ihren Unterricht. Am Montag und Freitag gab sie Lautenunterricht, die Lektionen in Literatur und Geschichte erteilte sie dienstags und donnerstags. „Wenn der Abend nicht zu lang wird, denn am Donnerstag muss ich bereits um neun Uhr bei Familie Lorenzo sein.“ An ihrer schlichten Erklärung bemerkten die Umstehenden, dass sie nicht im Bilde war, warum diese zeitliche Absprache stattfand. Behutsam klärte Anna ihre Tochter auf. „Frau Rosewood hat uns am Mittwoch zum Dinner eingeladen.“

Celeste sah Frau Rosewood freundlich an. „Ah ja, das ist schön. Ich danke Ihnen für diese Einladung, meine Eltern und ich werden gerne kommen.“

Am selben Abend machte George Avestone es sich noch für ein halbes Stündchen in Annas Schlafzimmer bequem. „Es ist gut, dass wir Frau Rosewoods Einladung endlich annehmen konnten. – Doch behagt mir die Anwesenheit ihres Neffen nicht.“

„Warum? Denkst du, er möchte Celeste kennenlernen?“

„Während des letzten Sommerkonzertes war er auch unter den Gästen. – Von meinem Standort habe ich sein Gefallen an ihr deutlich beobachten können.“ Er seufzte. „Schade, dass Celeste durch ihre Lehrtätigkeit nicht stärker eingebunden ist, sonst hätte sie mit gutem Recht die Einladung ablehnen können.“

„Was befürchtest du? Sie ist verheiratet. Und sie nimmt diesen Stand sehr ernst.“

„Sie ist jung, sie ist tief verletzt worden und ich hege Befürchtung, dass sie bei hartnäckiger Werbung nicht widerstehen kann. – Einfach aus der Natur heraus und aus Sehnsucht nach Anerkennung.“

Anna dachte eine Weile über diese Gründe nach. „Dieser junge Mann rief in keiner Weise Neugier in ihr hervor, obwohl sie grundsätzlich eine wissbegierige Person ist. Mein Eindruck ist sogar, dass sie ihn noch nicht einmal wahrnahm.

– Sie ist mit ihren Gedanken immer wo anders, ich vermute beinahe, sie ist in Dresden, bei ihren Freunden.“

Erstaunt musterte er seine Gattin. „In Dresden? An dem Ort ihrer Qualen?“

„Vor einigen Monaten erklärte sie mir, dass sie Dresden liebe.

Sie verknüpfe diese Stadt mit Herrn von Heringsdorf und ihren Freunden – nicht mit Herrn Hofstetter. Der Ort ihrer Qualen ist die Wohnung in der Friedrichsallee und Hamburg.“

„Bemerkenswert.“

Beide versanken in Überlegung. Anna dachte an die beiden vor Zuneigung überströmenden Briefe des Herrn von Heringsdorf, die Celeste ihr im Sommer vorlas. George dachte an das zähe Ringen mit den Verteidigern des Herrn Hofstetter; er konnte kaum glauben, dass seine Stieftochter freundliche Gefühle für diese tückische Stadt empfand. – Er lächelte, nein, der Ort konnte wahrlich nichts für die hinterhältigen Machenschaften der Logenbrüder.

„Also siehst du mit ruhigem Gemüt auf das Dinner in vier Tagen?“, versicherte er sich.

„Selbstverständlich kann ich es nicht voraussehen, doch scheint sie mir unempfänglich. Wir müssen es im Auge behalten. Ich kenne Herrn Donovan nicht.“

Nach dem sonntäglichen Kirchbesuch, man saß beim ausgedehnten Frühstück, ließ der Anwalt seinen Blick über Celestes Hände streifen – und vermisste ihren Ehering.

„Du musst mit ihr sprechen, Anna“, kam er auf seine Beobachtung zurück, als Celeste mit Lenchen das Esszimmer verlassen hatte. „Du musst ihr nahelegen, den Ring zu tragen und sich vollkommen zurückhaltend zu verhalten …“.

Verwundert lächelte diese. „George, deine Besorgnis ist rührend. So kenne ich dich gar nicht. – In dem Jahr ihrer Ehe ist sie wahrhaftig gereift und auch die vergangene Auseinandersetzung in dieser Angelegenheit öffnete ihr für vieles die Augen. Glaubst du nicht, dass sie sich all dieser schwerwiegenden Dinge bewusst ist?“

George rang mit sich. „Sie ist von anderer Art als du, liebste Anna. Du kannst nicht von dir auf sie schließen. Sie ist … leidenschaftlich in allen Empfindungen …“.

„In einem Punkt hast du recht; sie kann leidenschaftlich sein.

Aber erst, wenn sie sich die Sache reichlich überlegt hat.

Durch ihre Jugend und ihren Stolz zog sie oftmals die falschen Schlüsse und setzte sich entsprechend für die falschen Dinge ein. Mittlerweile ist sie vorsichtig geworden und überdenkt die Angelegenheiten mehrmals, bis sie ein Urteil fällt.

– Natürlich kann ich meine Hand für sie nicht ins Feuer legen, doch ist mein Eindruck in den letzten Monaten dieser.“

Zur Begrüßung wurden das Ehepaar Avestone mit Tochter in einen Salon geführt. Celeste war für diese Einladung dem Anlass entsprechend, jedoch unauffällig gekleidet. Der Aufforderung ihrer Mutter, den Ehering zu tragen, war sie selbstverständlich nachgekommen.

Frau Rosewood gab sich größte Mühe, die ersehnten Gäste vorzüglich zu bewirten, zusätzlich machte es ihr eine besondere Freude, dass sie auch ihren Neffen damit beglücken durfte. Er war das einzige Kind ihres Bruders, der sie des Öfteren für einige Wochen im Jahr beehrte. Sie selbst hatte keine Kinder und war zudem seit zehn Jahren Witwe; insofern ließ sie all ihre Liebe diesem zugeneigten Neffen angedeihen. Obwohl er erst fünfundzwanzig Jahre alt war, besetzte er bereits eine leitende Stelle im Eisenverhüttungswesen in Newcastle upon Tyne.

Celeste bemühte sich, den Gesprächen zu folgen, doch glitten ihre Gedanken zu gern in die Ferne, besonders, da sie die rechtlichen Angelegenheiten der ältlichen Dame nicht besonders fesselten. Herr Donovan war ihr gegenüber aufmerksam, doch nicht aufdringlich. Sie fand in angenehm, doch nicht bedeutend.

„Sie sind Lehrerin, Fräulein Avestone?“, fragte er.

Zerstreut sah sie ihn an, begriff, dass er tatsächlich sie meinte, und gab Antwort. „Ja, so kann man es nennen, eigentlich bin ich Erzieherin, doch unterrichte ich in Chelsea Laute und in einer anderen Familie die Töchter in Literatur und Geschichte …“. Sie gab sich einen Stoß. „Mein Name ist übrigens Hofstetter … ich bin verheiratet.“ Nicht aufgrund ihres Standes kostete sie es Überwindung, sondern des mit Entsetzen behafteten Namens wegen. Deutlich sah sie Enttäuschung, doch ebenso Verwunderung im Gesicht des jungen Mannes. Plötzlich schien er ihr nicht mehr so unbedeutend.

Rasch war er Herr seiner Empfindungen und fragte mutig weiter. „Der Name hört sich nicht Englisch an.“

Sie lachte höflich. „Nein, mein Gemahl ist Deutscher.“

„Verzeihen Sie die Frage, doch wenn eine junge Dame verheiratet ist, wird der Gemahl sie doch nicht des Öfteren allein ausgehen lassen. Ist er nicht in England?“

Celeste zwinkerte keck. „Er ist ein namhafter Ingenieur in Deutschland. Tatsächlich leben wir gemeinsam in Dresden, doch leitet er zurzeit ein bedeutendes Bauvorhaben in Hamburg. Da er sehr eingespannt ist, verbringe ich diese Zeit in meiner Heimat.“ Er nickte, doch entdeckte sie einen leichten Zweifel in seinem Gesicht. „Kennen Sie Deutschland?“,

fragte sie, um mögliche Gedanken seinerseits zu zerstreuen.

„Nein, Gott bewahre! Ich bin noch nie auf dem Kontinent gewesen. Geschäftliche Reisen unternehmen – dem Himmel sei Dank – andere Mitarbeiter aus der Verhüttungsgesellschaft.“

„Deutschland ist wunderschön! Sie versäumen etwas, wenn Sie sich nicht über den Kanal getrauen, das dürfen Sie mir getrost glauben.“

„Aber Sie sind ja auch nach England zurückgekehrt“, erwiderte er forschend.

Celeste lachte amüsiert. „Aber nur für eine gewisse Weile, mein Herr, sobald ich erlöst bin, werde ich wieder nach Deutschland aufbrechen.“

„Erlöst? Wie ist das zu verstehen?“

Sie stutzte einen Augenblick. „Na, ich meine … sobald mein Gemahl die Brücke fertigstellen konnte, werde ich zurückkehren.“

„Er wird Sie gewiss vermissen.“

„Bestimmt. – Haben Sie auch eine Verlobte, Herr Donovan“, lenkte sie nun deutlich von ihrer Person ab.

Verlegen, doch mit einem gewissen Charme lächelte er.

„Nein, ich bin ledig.“

„Gewiss ringen nicht wenige Damen um Ihre Gunst.“

„Ihre Annahme ist freundlich, Frau Hofstetter, doch fehlt mir offenbar die Zeit, das zu bemerken.“

„Nun ja, wenn Sie Ihren Urlaub in London verbringen und nicht an Ihrem Heimatort, geben Sie sich und diesen Damen auch keine Chance.“

George Avestone gelang es kaum, der Unterhaltung der beiden jungen Menschen nicht zu lauschen. Er musste feststellen, dass Herr Donovan recht hartnäckig war, Celeste ihm jedoch genügend Festigkeit entgegenhielt. Außerdem war ihm ihr erstaunlicher Wunsch nicht entgangen, sobald wie möglich nach Deutschland zurückzukehren.

Nach dem delikaten Essen wurde Mocca serviert und Frau Rosewood bot den Gästen eine Kostprobe ihres musikalischen Könnens auf dem Piano forte dar. Während des Musizierens ließ der Neffe hin und wieder einen heimlichen Blick über die bemerkenswerte Frau Hofstetter gleiten. – Auch dies entging dem Anwalt nicht. Schließlich mahnte er zum Aufbruch, da er und seine Tochter sich am nächsten Morgen den zeitlich eingeteilten Anforderungen des Berufslebens stellen mussten.

Wenige Tage später erhielt Celeste einen Brief. Schon während des Entgegennehmens der Post, bemerkte sie das Fremde. Tatsächlich, die Handschrift war ihr unbekannt. Auf dem Weg in ihr Zimmer, suchte sie nach Anhaltspunkten, wer der Schreiber sein könnte, es schien ihr eine männliche Schrift. Es war englische Handschrift. Oben in ihrem Zimmer setzte sie sich an ihren Schreibtisch und öffnete das Kuvert.

London, 2. März 1824

Verehrte Frau Hofstetter

Verzeihen Sie, dass ich die Unverfrorenheit besitze, Sie mit einem Brief zu behelligen. Ihre beherzte Art während des Besuches bei meiner Tante ermutigt mich, die Freundschaft zu Ihnen zu suchen.

Unverblümt sagten Sie mir, ich würde den Damen keine Chance geben, würde ich jeden Urlaub in London verbringen. Auf der einen Seite haben Sie natürlich recht, doch andererseits meine ich, in London viel eher auf eine entsprechende Dame treffen zu können.

Während des letzten Sommerkonzertes sah ich Sie das erste Mal, obwohl ich diese Konzerte bereits des Öfteren mit meiner Tante besucht habe. Entweder waren Sie damals noch zu jung oder eben aus anderen Gründen nicht anwesend. Leider gelang es im Sommer nicht, Ihre Eltern und damit Sie einzuladen, wie ich hörte, ist Ihr Herr Vater außerordentlich beschäftigt. Was für ein Glück war es, Sie dieses Mal kennenlernen zu dürfen. Nun musste ich bedauerlicherweise erfahren, dass Sie verheiratet sind. Doch frage ich: Ist es tatsächlich unstatthaft eine schlichte Freundschaft zu einer Dame zu pflegen, obwohl sie verheiratet ist? Sie besitzen so viel Kenntnis von den Dingen des Lebens – sogar auf den Kontinent sind Sie umgesiedelt und verbringen die Zeit, die der Gemahl abkömmlich ist, bei ihren Eltern auf der Insel – womöglich rührt Ihre Lebenserfahrung auch von Ihrem Beruf. Glauben Sie mir, aufgrund dieser ausgewogenen Vorzüge, wäre es mir eine Freude, eine Brieffreundschaft zu Ihnen zu pflegen. Zwei Wochen bin ich noch im Hause meiner Tante, dann werde ich mich wieder auf die weite Reise nach Newcastle machen.

Seien Sie herzlich und aufrichtig gegrüßt, Ihr Daniel Donovan

Nachdenklich las sie die Zeilen ein zweites Mal. Sie schmunzelte; was war das für ein seltsamer Mensch. Glaubte er wahrhaftig, man könne zwischen den Geschlechtern eine Freundschaft pflegen, ohne dass einer von beiden Hoffnungen hegte? Einerseits fühlte sie sich geschmeichelt, andererseits stieß sie dieses unstatthafte Ansinnen ab. Sollte sie sich diesen Spaß gönnen? Inwieweit meinte er es ernst; inwieweit machte er sich Hoffnungen, sie als verheiratete Frau zu gewinnen?

Selbstverständlich offenbarte sie ihm nicht die volle Wahrheit – bis an ihr Lebensende würde sie von ihrem Gatten getrennt leben. Gab sie ihm an jenem Dinner irgendwelche Anzeichen, dass ihre Ehe unglücklich war? Sicherlich nicht!

Würde sie ihm falsche Hoffnungen machen, würde sie auf seine Bitte eingehen? Dieser Dummkopf! Sie wollte ihm zeigen, was er anrichtet, machte er verheirateten Damen den Hof.

Ursprünglicher Kampfesgeist erwachte in ihr, der seit ihrer Ehe in einen tiefen Schlummer gefallen war.

Chelsea, 4. März 1824

Verehrter Herr Donovan,

ich weiß nicht, was genau Sie zu Ihrem Ansinnen führte, doch möchte ich Ihnen von vornherein deutlich bekunden, dass es tatsächlich unstatthaft ist!

Glauben Sie wirklich, ein Mann und eine Frau im blühenden Alter könnten eine Freundschaft pflegen, wie zwei Burschen oder zwei Mädchen? Niemals! Entweder würde einer der beiden heimlich in Liebe entbrennen und tief leiden, weil der andere es als pure Kameradschaft ansieht oder der eine von beiden wird alles daransetzen, den anderen zur Liebe zu verführen und damit möglicherweise eine bestehende Ehe zerstören. Da Sie wissen, dass ich verheiratet bin, ist ihre Absicht die letztere. Zudem ist Ihnen bekannt, dass mein Gemahl sich in der Ferne befindet, also hoffen Sie wahrscheinlich, auf ein einsames Herz zu treffen.

Wer führte Sie moralisch in die Irre? Konnte Ihre Mutter Ihnen diese Vorgehensweise empfohlen haben? So etwas kann nur eine rachsüchtige Frau, die ihresgleichen ein geordnetes Leben nicht gönnt und auch das Seelenheil des eigenen Sohnes nicht wünscht.

Ich kenne Sie zwar kaum, doch stelle ich mir beim besten Willen Ihre Mutter nicht so vor. Ist es also Ihr Vater, der Ihnen das anempfiehlt? Niemals könnte ein Vater, der seine Gattin in Ehren hält, den eigenen Sohn ins Verderben stoßen wollen. Das kann nur ein Vater, der selbst ein verworfenes Leben führt und den Sohn mit sich reißt, um nicht allein unterzugehen. Auch solch einen Vater kann ich mir nicht an Ihrer Seite vorstellen. Also müssen es Ihre Freunde sein, die Sie schlecht beraten, oder verdorbene Literatur, der Sie anheimgefallen sind.

Erkunden Sie Ihr Gewissen – wollen Sie tatsächlich mich und sich selbst ins immerwährende Unglück stürzen? Denn das wäre letzten Endes das Ziel. Und das ist ein kurzes Glück niemals wert.

Verehrter Herr Donovan, ich habe nichts zu verlieren, darum darf ich Ihnen so unverblümt schreiben. Eine persönliche Eigenart von mir, die Sie ja offensichtlich schätzen.

Sollten Sie noch das Bedürfnis nach einem Briefwechsel verspüren – nur zu, meine Messer sind gewetzt!

Mit freundlichem Gruß, Celeste Hofstetter

Am nächsten Tag durfte Celeste endlich den Brief ihrer Sehnsucht öffnen. Noch war es ihr nicht gelungen, geordnete Zukunftspläne vorzunehmen; für das Erste wollte sie Tag für Tag entgegennehmen, gleich was der liebe Gott für sie vorsah. Nie zuvor hatte sie die Geschicke des Lebens so ausgeglichen hinnehmen können. Der, den sie liebte, war bis auf weiteres unerreichbar. Vor zwei Jahren wäre sie an diesem Wissen verzweifelt, hätte sich aufgebäumt und gekämpft.

Nein, sie wollte sich fügen. Obgleich ein gemeinsames Leben mit Heinrich nicht in Frage kam, gab ihr gerade seine Zuneigung Zuversicht.

ZWEITES KAPITEL

Greifswald, 19. Februar 1824

Meine holdseligste Braut im Geiste,

kürzlich hörte ich ein Lied aus dem Munde eines fahrenden Sängers. Ich meinte, er lese meine Gedanken und fasse sie in eine Melodie. Ich gab ihm so viel Geld, dass er es mir so vorsinge, dass ich es notieren konnte. Hier kann ich Ihnen nur die Strophen niederschreiben, aber eines Tages, Tiefgeliebteste, werde ich es Ihnen als Schlummerlied ins Ohr säuseln! Aber dann wird es nicht mehr nötig sein, dann ist meine Sehnsucht erfüllt, gleich wie viel Jahrzehnte ich auf diesen Augenblick warten muss.

Warum bin ich nicht der Rasen, der empfängt in schöner Nacht seine Schäferin zum Schlafe, den die Liebe gut bewacht? Warum bin ich nicht die Brise, streichelnd über ihren Bauch, unter ihrem Fuß die Wiese und in ihrem Mund der Hauch? Warum bin ich nicht die Welle, die im Schoße sie empfängt? Warum bin ich nicht die helle Kette, die sie um sich hängt? Warum bin ich nicht der Spiegel, der ihr schönes Antlitz zeigt, ihren Augen dieses Siegel, ihre Pracht entgegenneigt? Warum bin ich nicht die Meise, die sie froh und heiter macht? Immer wieder singt sie leise. „Küsse, küsse Tag und Nacht“. Warum bin ich nicht das Hündchen, das auf ihren Knien liegt? Dieses kleine feuchte Mündchen, das sich nahe an sie schmiegt. Warum bin ich nicht die Laute, über die ihr Finger schwillt? Zärtlich klingt mir die vertraute Stimme, die das Herz erfüllt; nur das Zupfen dieser Schönen nähme mich sogleich hinfort, alle meine Saiten tönten mit den ihren im Akkord.

Warum bin ich nicht die Spindel? Ich könnte ja immer bei ihr steh‘n und in einem süßen Schwindel würde ihre Hand mich dreh‘n. Warum bin ich nicht der Rocken, den sie feuchtet mit dem Mund? Ich wär‘ ja nie so vertrocknet, wäre glücklich und gesund. Warum kann ich nicht im Fluge eines Traums ihr Herz ersteh‘n? Warum kann ich nicht vom Truge in die Wahrheit übergeh‘n? Aber Ehrgeiz hat auf Erden meine Brust so stolz geschwellt. Alles möchte ich gerne werden, alles was ihr wohlgefällt.

Es hat eine zärtlich sehnsüchtige Melodie, ach, meine Geliebte, warum nur bin ich Ihnen so fern! – Verzeihen Sie mir, doch musste ich Ihnen nochmals meine Liebe bekunden; nun wird meine Feder nur noch frohsinnig schreiben! Franz möchte mich Ende März in Greifswald besuchen, obwohl Brookmanns im Mai ihr erstes Kindlein erwarten … meine Feder schweigt darüber, Geliebte … ich freue mich für Franz und Marianne!

Man trug mir ein Angebot für einen Lehrstuhl in Leipzig an. Es ist ein bedeutend honoriertes Amt, aber ich werde es ablehnen müssen.

Niemals könnte ich in dieser großen Stadt ohne meine beschauliche See leben. Eine große Stadt ist nur mit Ihnen erträglich, meine duftende Wiese im Sonnenschein. Ich genieße die Freiheit, mich gegen den Mammon zu entscheiden; ohne Gemahlin und Kinder kann ich von der Hand in den Mund leben. Lieber lebe ich ärmlich und dafür glücklich.

Meine Erquicklichste, mir fehlt ein Brief von Ihnen! Wann erhalte ich ihn? Was geschieht in dem Hause Avestone? Wie sind Lenchens Fortschritte im Deutschen, was macht Ihre Lautenschülerin und haben Sie Ihre Mädchen bereits von den siegreichen englischen Schlachten gegen Napoleon berichtet oder haben Sie, forsche Frau, ihnen verschworen von den Untaten Elisabeth I. geflüstert, so wie Sie mich über die Wahrheit unterrichteten?

Schreiben Sie mir alles ausführlich! Wie wundervoll ist es, all die Szenen vor meinem inneren Auge erstehen zu lassen und wenn sie mir deutlich sind, auf das Papier zu bringen.

Letzthin schrieb Cäcilia mir einen versöhnlichen Brief. Leider kann man bei ihr nie Gewissheit haben, denn sie ist sehr wetterwendisch.

Kennen Sie dieses deutsche Wort? Es bedeutet, dass diese Person je nach voreingenommenem Empfinden einer Sache geneigt oder nicht geneigt ist, entweder aus Angst oder um bestimmte Ziele zu erreichen. Ich habe ihr freundlich geantwortet, ohne zu viel preiszugeben. Sie weiß nicht, dass ich mit Ihnen brieflich in Verbindung stehe; Brookmanns hüten sich, irgendetwas auszuplaudern.

Meine reich geschmückte Blumenwiese, in himmlischen Gedanken an Ihre liebreichen Worte und Ihren bezaubernden Anblick werde ich diesen Brief beschließen.

Ihr ewig liebender und treuer Heinrich

Chelsea, 5. März 1824

Mein geliebter Heinrich,

wäre ich nicht außerordentlich dumm, sollte ich Ihnen ernsthaft verbieten, mir so herrliche Briefe zu schreiben? Welche Frau erhält so viele Liebesbeteuerungen? Halten Sie nicht ein damit und wenn mir mein Herz zerbricht! Nein, es würde zerbrechen, würden Sie mir nicht mehr schreiben …

Ach, Heinrich, selbstverständlich sind Sie frei, in nichts sind Sie mir verpflichtet, ich bin eine verheiratete Frau … Genug der Beteuerungen. – Sie möchten von Lenchens Deutschkenntnissen wissen:

Meine geliebte Mama wirft uns bereits strafende Blicke zu, denn sie liebt es nicht, wenn wir in ihrer Gegenwart in fremder Sprache sprechen. Natürlich hat sie recht, aber da bin ich ein wenig wie mein verstorbener Papa, er neckte sie gern, dann findet sie nämlich keine Worte, weil sie so artig ist. Manchmal muss ich sie herausfordern, das hält sie jung … Das ist nicht wahr, die Liebe meines Stiefvaters hält sie jung und der neckt sie niemals.