Change Management für Konzerne - Juan Rigall - E-Book

Change Management für Konzerne E-Book

Juan Rigall

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Beschreibung

Wer in Konzernen etwas verändern will, nimmt sich viel vor. Aufgrund ihrer speziellen komplexen und trägen Organisationsstruktur sind bei jedem Veränderungsmanagement besondere Anforderungen zu beachten.

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Tarlatt, Alexander; Wolters, Georg; Goertz, Harald; Rigall, Juan; Schulte, Karsten

Change Management für Konzerne

Komplexe Unternehmensstrukturen erfolgreich verändern

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2005. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40173-7

|7|Vorwort

Wer es versucht hat, kann es bestätigen: Veränderungen in Konzernen durchzusetzen ist eine Herkulesaufgabe. Bewusstsein für Handlungsbedarf zu schaffen, alle Beteiligten auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, sich auf den Weg dorthin zu einigen und Menschen und Strukturen in Bewegung zu setzen – das ist auch in kleineren oder mittelgroßen Unternehmen eine Kunst. Das Ziel, die gewünschte Veränderung wirksam zu etablieren, bleibt deshalb oft für viele Manager unerreicht.

In Konzernen kommen weitere Herausforderungen hinzu. Große, komplexe Organisationen unterliegen eigenen Gesetzen. Eine Methodik, die sich im Mittelstand bewährt hat, kann im Konzern scheitern. Unternehmerferne Shareholder-Strukturen, disparate Vorstands- und Bereichsinteressen, verbandspolitisch geprägte Arbeitnehmervertreter, behördenartige Unternehmenskultur – der Sand, in dem zahllose Konzernprojekte verlaufen, speist sich aus vielen Quellen. Die meisten kennen es aus der Perspektive der (nicht) Betroffenen: Die Gefahr, dass sich durch vollmundig angekündigte Projekte tatsächlich vor Ort etwas ändert, ist im Großkonzern relativ gering. Als letztes Mittel bleiben dem Management deshalb häufig Rationalisierungen nach dem Gießkannenprinzip. Abgesehen von dem Flurschaden, der damit in der Regel einhergeht, ist die Wirksamkeit solcher Maßnahmen meist nur schwer zu belegen.

Dieses Buch will einen anderen Weg aufzeigen. Es wendet sich an alle, die an Veränderungsprojekten in Konzernen oder ähnlich komplexen Organisationen maßgeblich beteiligt sind – Vorstände, Projektmanager, Führungskräfte und Berater. Es will ein Leitfaden sein, der konkrete Hilfestellung gibt, wie zielorientierte Veränderungen in Großunternehmen konzipiert, organisiert, umgesetzt und abgesichert werden. Gegliedert |8|nach den verschiedenen Phasen eines Veränderungsprojektes von der Initialisierung bis hin zur Ergebnissicherung, werden Schritt für Schritt Grundlagen und Praxis erfolgreicher Projektarbeit in Großunternehmen dargestellt.

Hierzu wird im ersten Kapitel ein kurzer Blick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geworfen, denen sich Konzerne gegenwärtig stellen müssen. Es geht um die nationalen und internationalen Trends und Perspektiven, die verantwortlich sind für den immens gestiegenen Veränderungsdruck, dem sich speziell deutsche Unternehmen mittlerweile ausgesetzt sehen. Auf Basis empirischer Analysen im europäischen Kontext wird aufgezeigt, welche Chancen sich durch proaktives Aufgreifen des Handlungsbedarfes ergeben, aber auch, welche Herausforderungen es dabei zu bewältigen gilt.

Im zweiten Kapitel werden anschließend die Grundlagen erläutert, die bei der Durchführung von Veränderungsprojekten zu berücksichtigen sind. Im Zentrum aller Veränderungen in Organisationen stehen immer die beteiligten Personen. Daher gibt es generelle, menschlich-psychologische Faktoren wie zum Beispiel Wahrnehmung, Identifikation oder Reaktanz, die den Verlauf jedes Change-Prozesses nachhaltig beeinflussen und deshalb vergegenwärtigt und berücksichtigt werden müssen.

Das dritte Kapitel setzt mit der ersten Phase eines Veränderungsprojektes ein: der Vorbereitung. Lange bevor der eigentliche Startschuss für das Projekt fällt, werden im Unternehmen die ersten Weichen für Erfolg oder Misserfolg gestellt. Ein starker Sense of Urgency, das nachhaltige Commitment des Top-Managements, die angemessene Einbindung der Arbeitnehmervertreter und die richtige Projektorganisation sind hierbei wesentliche Erfolgsfaktoren.

Das vierte Kapitel befasst sich mit Funktion und Gestaltung des Konzeptes. Dass die Umsetzung nicht gelingen kann, wenn die Idee nichts taugt, versteht sich von selbst. Aber gerade in komplexen Strukturen scheitern selbst hervorragende Ideen, wenn sie nicht in eine Form gebracht werden, die alle notwendigen Elemente für eine handlungsorientierte Definition des Zielzustandes und die erforderlichen Schritte auf dem Weg dorthin enthält.

Das fünfte Kapitel hat die Phase der Umsetzung zum Gegenstand. Hier zählen vor allem eine eindeutige Rollenverteilung aller beteiligten Akteure|9|, die sich auch im Konfliktfall bewährt, und eine funktionale Maßnahmenstruktur, mit deren Hilfe die operative Umsetzung in den Einheiten effektiv gesteuert werden kann. Um auch in großen Projekten jederzeit Transparenz über den Umsetzungsstand zu haben, bietet sich für das Projektcontrolling eine Systemunterstützung an, deren Möglichkeiten und Grenzen ebenfalls an konkreten Beispielen dargestellt werden.

Im sechsten Kapitel geht es schließlich um die nachhaltige Absicherung des Projekterfolges. Wer daran erst beim Abschlussbericht denkt, kommt viel zu spät. Vom Start an muss die Projektarbeit durch zielorientierte Kommunikation zur Schaffung von Verständnis, Motivation und Commitment unterstützt werden. Hierzu sind in hohem Maße die Aufmerksamkeit und das Engagement des Managements gefordert. Ebenso bedarf es effektiver Anreizsysteme, präziser Qualifizierungsmaßnahmen und begleitender Coachingangebote, um Hindernisse zügig zu überwinden und der Veränderung Tiefgang und Nachhaltigkeit zu verleihen.

In den letzten drei Kapiteln werden Fallbeispiele vorgestellt, die exemplarisch veranschaulichen, wie Veränderungsprozesse in Großunternehmen erfolgreich bewältigt werden können.

Kapitel sieben berichtet vom Standortprojekt der BASF Aktiengesellschaft an ihrem Stammwerk Ludwigshafen. Die rechtzeitige Verständigung zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretern auf ein umfassendes Programm zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des weltgrößten Chemieverbundstandortes mit rund 35.000 Mitarbeitern ermöglichte es dort, einen gewaltigen Veränderungsprozess zu initiieren, in dessen Verlauf sämtliche der insgesamt 380 Produktions-, Service- und Infrastrukturbetriebe am Standort grundlegend optimiert und in ihrer Zusammenarbeit strukturell neu ausgerichtet wurden.

Kapitel acht stellt das Projekt »FOKUS« der Techem AG vor, eines europaweit führenden Dienstleistungsunternehmens der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft auf dem Gebiet der Erfassung, Verteilung und Abrechnung von Energie- und Wasserverbrauch. Auch hier zählten rechtzeitiges Handeln und ein proaktives Change Management zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren der Projektarbeit, die zu einer umfassenden Reorganisation von Zentrale und Außenorganisation, zur nachhaltigen Optimierung des Material- und Sachkosteneinsatzes und zur Neuordnung des internen Projektportfolios führte.

|10|Kapitel neun schildert eine wichtige Etappe auf dem Weg der DeTe-Immobilien AG vom internen Dienstleister eines ehemaligen Staatsunternehmens hin zum führenden europäischen Serviceanbieter rund um die Immobilie. Hier bestand die zentrale Herausforderung darin, in kurzer Zeit eine positive Ergebnissituation herbeizuführen und gleichzeitig wachsende Qualitätsprobleme zu überwinden, um langfristig profitabel Kundenzufriedenheit gewährleisten zu können.

|11|Konzernstandort D: Perspektive durch Handeln

In diesem Kapitel werden folgende Themen behandelt

Selbst- und Fremdbild der deutschen Wirtschaft: Massiver Nachholbedarf in Sachen Wettbewerbsfähigkeit

Trend zur Selbsthilfe: Aus eigener Kraft Perspektiven schaffen

Stolpersteine auf dem Weg zur Umsetzung: Misserfolgsfaktoren bei Restrukturierungen

Zu wenig Licht am Ende des Tunnels

Bei aller Kurzlebigkeit, von denen die konjunkturellen Trends in Deutschland zunehmend geprägt sind, hat sich in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts ein hartnäckiger Megatrend verfestigt, der zumindest mittelfristig auch weiterhin das Wettbewerbsklima am Standort Deutschland dominieren dürfte: Die Hoffnung auf den Aufschwung trägt nicht. Es gibt sie wohl, aber sie ist nicht belastbar. Das Licht am Ende des Tunnels ist zu schwach und zu trügerisch, als dass es wirklich Orientierung geben könnte.

Zu viele Faktoren sprechen dagegen, dass der Konjunkturmotor in Europa kraftvoll genug anspringen könnte, um auch die deutsche Wirtschaft mit aus dem Tal der vergangenen Jahre ziehen zu können. Das Wachstum bleibt schwach, und der Reformstau auf allen Ebenen ist in aller Munde. Zu groß ist der durch jahrzehntelange Fehlentwicklungen |12|verursachte Nachholbedarf, zu schwach sind die gesellschaftlichen und politischen Kräfte, von denen eine Beseitigung der strukturellen Defizite zu erhoffen wäre, und zu massiv sind die Widerstände auf allen wichtigen Veränderungsfeldern – vom Arbeitsmarkt über das Sozialsystem bis hin zur Tariflandschaft.

Diese Wahrnehmung prägt nachhaltig die Chefetagen der deutschen Wirtschaft. In Kooperation mit Droege & Comp. veröffentlicht das Handelsblatt in regelmäßiger Folge den Handelsblatt Business-Monitor, eine repräsentative Panel-Befragung an der in der internationalen Ausgabe bis zu 1.200 Führungskräfte aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien teilnehmen. In diesem Stimmungsbarometer bildet Deutschland aus der Perspektive seiner Manager beharrlich das Schlusslicht. Zwar hat sich die Beurteilung der Standortbedingungen seit Mitte 2003 kontinuierlich verbessert, aber noch immer ordnet sich Deutschland weit hinter den anderen europäischen Staaten ein. Im Dezember 2004 beurteilten 64 Prozent der befragten deutschen Manager die Standortbedingungen in ihrem Land mit »schlecht« oder »eher schlecht«. In Frankreich folgten dieser Einschätzung in Bezug auf ihr eigenes Land nur 45 Prozent, in Italien 40 und in England sogar nur 22 Prozent.

Dabei tröstet es wenig, dass diese Selbsteinschätzung aus Sicht der anderen traditionell weniger drastisch ausfällt. Während Deutschland seiner eigenen Wettbewerbsfähigkeit auf der Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (sehr schlecht) im Durchschnitt eine 3,3 gibt, erhält diese im Urteil der drei anderen europäischen Staaten durchschnittlich eine 2,8. Doch im eigenen Land fehlt die Zuversicht in einen nachhaltigen Wandel der Rahmenbedingungen. Der Ausblick bleibt wenig optimistisch. Im Dezember 2004 gaben 50 Prozent der befragten deutschen Manager als erwartete Veränderung der Standortbedingungen in ihrem Land »verschlechtern« oder »gleich schlecht bleiben« an, sogar vier Prozent mehr als ein Jahr zuvor. In Frankreich, England und Italien wurde hingegen die jeweilige nationalökonomische Perspektive von durchschnittlich 65 Prozent mit »verbessern« oder »gleich gut bleiben« angegeben.

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Abbildung 1: Entwicklung von Investitionen und Mitarbeiterzahlen

Folgerichtig herrscht am Standort Deutschland auch weiterhin ein zurückhaltendes Beschäftigungs- und Investitionsklima. Seit den Rezessionsjahren 2000/2001 ist keine Erholung in Sicht. Rund die Hälfte der befragten Führungskräfte geben für ihr Unternehmen an, die Investitionen im Jahr 2005 konstant halten zu wollen; nur 32 Prozent wollen sie erhöhen. In Italien wollen hingegen 56 Prozent mehr investieren, gefolgt von Frankreich mit 47 Prozent und England mit 38 Prozent. Vergleichbare Mutlosigkeit herrscht im Blick auf die Beschäftigungszahlen. Während in Deutschland noch knapp 40 Prozent aller Unternehmen für 2005 einen Personalabbau planen, wollen in den anderen drei europäischen Ländern im Durchschnitt nur 20 Prozent ihre Mitarbeiterzahl verringern.

|14|Standort D: Reorganisationsbedarf erkannt

Ungeachtet dieser eingetrübten Perspektive sind Deutschlands Führungskräfte jedoch weit davon entfernt, resignierend die Hände in den Schoß zu legen. Auch dies wird durch die Ergebnisse des Handelsblatt Business-Monitors eindrucksvoll bestätigt. Wenn es darum geht, sich den widrigen Rahmenbedingungen aktiv zu stellen, liegen deutsche Unternehmen mit deutlichem Abstand auf Platz eins. Über 80 Prozent geben an, im Zeitraum 2003/2004 eine wichtige Reorganisation ihrer Unternehmensstruktur durchgeführt zu haben. Hier folgt auf Platz zwei Italien mit 67 Prozent, dahinter Frankreich (48 Prozent) und Großbritannien (30 Prozent). Auch bei den geplanten Projekten liegt Deutschland weit vorn. 39 Prozent aller befragten Führungskräfte geben an, auch für 2005 eine Reorganisation ihrer Unternehmensstruktur zu planen – vier Prozent mehr als noch im Vorjahr. Damit folgt Deutschland nur knapp auf Italien |15|mit 42 Prozent, während in Frankreich (22 Prozent) und Großbritannien (13 Prozent) eher weniger Handlungsbedarf gesehen wird.

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Abbildung 2: Geplante Reorganisation

|15|Ob aus rechtzeitiger Einsicht oder genötigt durch kritische Ergebnisentwicklung: besonders bei deutschen Unternehmen bleibt der Druck groß, angesichts der ausbleibenden Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung aus eigener Kraft neue Perspektiven zu schaffen. Strukturnachteile des Heimatmarktes auf der einen Seite, globale Geschäftssteuerung und -entwicklung auf der anderen Seite stellen vor komplexe Herausforderungen. Obwohl dabei auch Wachstumsthemen wieder stärker in den Vordergrund treten, bleibt die effektive Kontrolle der Ausgabenseite als grundlegende Voraussetzung für ein flexibles Reagieren in schwierigem Umfeld das führende Thema. So wird Kostensenkungsmaßnahmen auch für das Jahr 2005 im Durchschnitt eine unvermindert hohe Bedeutung beigemessen – eine Einschätzung, die auch in den anderen europäischen Ländern vermehrt geteilt wird. Als Top-Trend für Reorganisationen bis zum Ende dieses Jahrzehnts nennen 64 Prozent sowohl der deutschen als auch der französischen Manager »weitere Kostensenkung und Verschlankung«, ebenso jeweils 43 Prozent der Führungskräfte aus Großbritannien und Italien. Auf Platz zwei folgt mit 60 Prozent in Deutschland das Thema »Organisation als Wachstumstreiber«. Auf Branchenebene wird lediglich bei den Dienstleistungen mit 64 Prozent gegenüber 59 Prozent der stärkere Akzent auf Wachstum gelegt.

Kostengründe stehen auch bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland im Vordergrund. Im Vergleich zur medialen Aufmerksamkeit nimmt dieses Thema in der Empirie allerdings einen relativ niedrigen Stellenwert ein. Nur 19 Prozent der befragten deutschen Unternehmen hat in den Jahren 2002 bis 2004 Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, vorwiegend in die neuen EU-Beitrittsländer (11 Prozent), nach China (7 Prozent) und ins übrige Osteuropa (5 Prozent). Damit liegt Deutschland im Mittelfeld der vier wirtschaftsstärksten EU-Staaten. Während dieser Trend in den Planungen deutscher Unternehmen für die Jahre 2005 bis 2007 mit 22 Prozent leicht ansteigt, melden aus Frankreich, Großbritannien und Italien durchschnittlich nur noch rund 10 Prozent der Befragten Absichten zur weiteren Arbeitsplatzverlagerung in den nächsten Jahren. Ursächlich für diesen Sondertrend sind vor allem die im Vergleich zum Hochlohnstandort Deutschland besonders attraktiven Arbeitskosten |16|in den Zielländern. 83 Prozent der deutschen Unternehmen, die eine Arbeitsplatzverlagerung durchgeführt haben oder planen, geben dies als Hauptgrund an – deutlich mehr als in Frankreich (57 Prozent), Großbritannien (43 Prozent) und Italien (37 Prozent).

Abgesehen von der Arbeitsplatzverlagerung richten deutsche Unternehmen ihre Hoffnungen durchaus verstärkt auf das Auslandsgeschäft. Dabei sind sie im europäischen Vergleich dort überdurchschnittlich profitabel. Zur Jahresmitte 2004 beurteilten 35 Prozent der im Handelsblatt Business-Monitor befragten Führungskräfte aus Deutschland ihr Auslandsgeschäft im Vergleich zum Branchendurchschnitt als überdurchschnittlich profitabel – deutlich mehr als in den übrigen drei Ländern, wo im Mittel nur 22 Prozent dieses Urteil treffen. Darüber hinaus erweist sich dabei Größe als Vorteil: Über alle vier Länder sehen die Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten zu 30 Prozent die Profitabilität ihres Auslandsgeschäftes über dem Branchendurchschnitt, bei Unternehmen mit 500 bis 1.000 nur zu 22 Prozent.

Entsprechend setzt rund die Hälfte (49 Prozent) der befragten deutschen Unternehmen bis 2010 auf eine Ausweitung ihrer Aktivitäten außerhalb des Heimatlandes, insbesondere in Osteuropa und in Asien. Die daraus resultierenden Geschäftserfolge generieren allerdings neue Anforderungen an die Unternehmensstrukturen, denen sich bei weitem nicht alle dieser Unternehmen bereits ausreichend gewachsen sehen: Immerhin 18 Prozent der befragten Führungskräfte aus Deutschland schätzen ihr eigenes Unternehmen diesbezüglich als schlecht oder eher schlecht vorbereitet ein. Hier wiederum besteht bei größeren Unternehmen (über 1.000 Beschäftigte) mit 21 Prozent mehr Nachholbedarf als beim Mittelstand (500 bis 1.000 Beschäftigte) mit 11 Prozent.

Aber auch an dieser Stelle wird die Bereitschaft deutlich, sich der Herausforderung aktiv zu stellen. 28 Prozent wollen aufgrund der angestrebten Expansion ihrer Auslandsaktivitäten binnen Jahresfrist signifikante Veränderungen ihrer Organisationsstruktur einleiten – also deutlich mehr als diejenigen, die sich diesbezüglich Nachholbedarf attestieren.

Gemeinsam bestätigen diese Ergebnisse trotz schwieriger Rahmenbedingungen in Deutschland einen Trend, der durchaus Zuversicht begründen kann: Deutsche Unternehmen reagieren auf die anhaltenden konjunkturellen Herausforderungen insgesamt weder passiv noch mit der |17|Flucht ins Ausland. Im Gegenteil: Sie sind erkennbar stärker als viele ihrer Wettbewerber aus den europäischen Nachbarländern darauf bedacht, ihre Hausaufgaben zu machen und sich am Heimatstandort durch rechtzeitige proaktive Anpassung ihrer Unternehmensstrukturen auf die widrigen ökonomischen Verhältnisse einzustellen.

Gute Vorsätze, schwierige Verwirklichung

Trotz solcher ermutigenden Signale ist in den vergangenen Jahren ein weiteres Phänomen deutlich geworden, auf das vor allem bei großen Unternehmen zunehmend geachtet wird: Selbst frühzeitiges Problembewusstsein und proaktives Gegensteuern können nicht verhindern, dass sich in vielen Fällen die Verwirklichung der guten Vorsätze weitaus schwieriger darstellt als erwartet – auch wenn dies von den beteiligten Managern nur ungern eingestanden wird. Über 50 Prozent der vom Handelsblatt Business-Monitor befragten Führungskräfte, in deren Unternehmen in 2003/2004 eine Reorganisation durchgeführt wurde, geben an, dass dabei nicht alle der zu Beginn gestellten Ziele erreicht oder die Zielerreichung sogar deutlich unterschritten wurde. Die Kosten für solche fehlgeschlagenen Reorganisationen beziffern die betroffenen Manager in Deutschland eher zurückhaltend: 60 Prozent schätzen sie auf unter 1 Prozent ihres Umsatzes. Über die Hälfte ihrer europäischen Kollegen rechnen hingegen mit Kosten zwischen einem und mehr als 5 Prozent des Umsatzes – möglicherweise eher eine Frage der offenen Problemkommunikation als tatsächlich empirisch begründet. Dabei zählen zu der Gruppe mit mehr als 5 Prozent Umsatzkostenanteil 8 beziehungsweise 9 Prozent der Befragten aus Italien und Großbritannien, in Frankreich sind es sogar 16 Prozent. Hochgerechnet auf die Grundgesamtheit der befragten Unternehmen ergeben alle Angaben zusammen die Summe von 45 Milliarden Euro für fehlgeschlagene Reorganisationen – eine Zahl, die den Stellenwert des Problems deutlich vor Augen führt.

Im Jahr 2005 zeigte eine repräsentative Befragung, dass die Strategien des aktiven Veränderungsmanagements nach Angaben von gut der Hälfte (51%) aller befragten Führungskräfte in deutschen Unternehmen ab 100 |18|Beschäftigten eine »sehr große« oder »große« Bedeutung haben (Handelsblatt Business-Monitor vom April 2005). Für die Einschätzung der Bedeutung von Change Management ist in starkem Maße die Unternehmensgröße ausschlaggebend: Während Entscheider aus kleineren Unternehmen (bis 500 Beschäftigte) nur zu 44 Prozent angeben, Change Management hätte für Sie eine wichtige oder sehr wichtige Bedeutung, sind es bei Führungskräften in mittelgroßen Unternehmen (500 bis 5.000 Beschäftigte) schon 61 Prozent und in Großunternehmen gar 77 Prozent.

Droege & Comp. hat bereits 2003 in einer Studie auf Basis einer repräsentativen Umfrage bei 480 Managern deutscher Unternehmen die wichtigsten Ursachen für die ungenügende Zielerreichung von Projekten eingehend untersucht. An vorderster Stelle rangiert hier der geringe Professionalisierungsgrad des Projektmanagements – obwohl 67 Prozent der befragten Manager dieser Organisationsform hohe Bedeutung mit steigender Tendenz beimessen. Mangelnde Lieferkultur, ungenügendes Projektcontrolling und das Fehlen quantifizierter Projektziele führen die Liste der Misserfolgsfaktoren an. Weitere gravierende Defizite werden ins insbesondere bei der Unterstützung durch das Top-Management und der  |19|Projektorganisation gesehen. Berücksichtigt man die hohe Ressourcenbindung und das häufig nicht unerhebliche Potenzialvolumen der Projekte – bei den befragten Unternehmen durchschnittlich 7,4 Prozent der Mitarbeiterkapazitäten und 11,6 Prozent der Gesamtkosten –, so gibt dies einen weiteren Hinweis auf den beträchtlichen Schaden, der deutschen Unternehmen durch mangelhaftes Projektmanagement Jahr für Jahr entsteht.

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Abbildung 3: Künftige Bedeutung des Themas Change Management

|19|Auf Konzerne und andere Großunternehmen trifft dies in besonderem Maße zu. So belegen die Studienergebnisse, dass mit steigender Unternehmensgröße der Zielerreichungsgrad in der Umsetzung sinkt. Der Trend verläuft linear von 45 Prozent bei Unternehmen mit weniger als 100 Millionen Euro Jahresumsatz auf 25 Prozent bei Unternehmen mit bis zu 80 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Je größer das Unternehmen, desto schwieriger die Umsetzung. Mittelständische Unternehmen sind hier durch ihre größere Transparenz und flacheren Hierarchien deutlich im Vorteil. Für Konzerne besteht hingegen Nachholbedarf. Es gilt, die besonderen Spielregeln der Konzernwelt zu kennen und zu nutzen. In den folgenden Kapiteln werden die wichtigsten Grundlagen und erprobte Methoden vorgestellt, um umfangreiche Veränderungsvorhaben auch in komplexen Strukturen erfolgreich ins Ziel zu führen.

|20|Veränderung – die selbstverständliche Herausforderung

In diesem Kapitel werden folgende Themen behandelt

Gezielte Anreize zur Überwindung erstarrter Routine schaffen und kontrollierte Veränderungserfahrungen fördern

Häufige Fehlerquellen auf dem Weg vom Hören (Konzept) zum Handeln (Umsetzung) durch präventive Maßnahmen minimieren

Typische Phasen von Veränderungsprozessen bei der Gestaltung des Projektverlaufs berücksichtigen

Widerstand richtig einordnen und ihm angemessen begegnen

Das einzig Beständige ist der Wandel. Das gilt auch und gerade in der Unternehmenswelt. Wer heute als Führungskraft in einem Großunternehmen tätig ist, hat die immer dringlicher gewordene Notwendigkeit kontinuierlicher Veränderung längst verinnerlicht. Mit »Veränderung« ist dabei allerdings nicht planloses Verändern von Bestehendem nur um der Veränderung willen gemeint. »Veränderung« bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr: kontrollierte, ganzheitliche Weiterentwicklung eines Unternehmens mit dem Ziel kontinuierlicher Optimierung. Solcher Veränderung wohnt ein natürlicher Reiz inne: Sie schafft Abwechslung, gibt Raum für Kreativität und ermöglicht neue Erfolgserlebnisse. Gleichzeitig ist Veränderung paradoxerweise die einzige Möglichkeit, einen positiven Zustand auf Dauer zu erhalten. Denn unabhängig vom eigenen Verhalten verändert sich die Umwelt, und zwar in zunehmendem Tempo. Was heute zeitgemäß ist, wird ohne Innovation und Weiterentwicklung übermorgen antiquiert sein. Auf |21|Dauer wird nur der erfolgreich sein, der seiner Umwelt einen Schritt voraus ist.

Insofern: Veränderung – eine Selbstverständlichkeit. Auch der konkrete Veränderungsbedarf liegt häufig auf der Hand oder ist zumindest unterschwellig im Bewusstsein der meisten Betroffenen längst präsent. An guten Ideen mangelt es ebenfalls selten. Das Ziel ist klar, ein Konzept schnell zu Papier gebracht – jetzt muss es nur noch »gemacht« werden.

Aber statt der Umsetzung folgen Probleme. Daten werden nicht geliefert, Ressourcen fehlen, Termine werden nicht eingehalten. In zähen Diskussionen mit den betroffenen Einheiten wird die Analyse angezweifelt und das Konzept in Frage gestellt. Das Projekt kommt nicht in Fahrt, es stockt an allen Fronten. Der Widerstand nimmt die vielfältigsten Formen an: von Apathie über Feilschen bis hin zu offenem Protest.

Vor allem bei den Treibern und Mentoren eines Projekts trifft eine solche Reaktion immer wieder auf Unverständnis. Eigentlich müssten die angestrebten Verbesserungen allen einleuchten. Die Maßnahmen wurden eingehend erklärt, unvermeidbare Härten so weit wie möglich abgemildert. Aber von Aufbruchstimmung keine Spur. Die erhoffte Leistungssteigerung rückt in weite Ferne, im Gegenteil: unproduktive Reibereien halten vom Tagesgeschäft ab. Das Unternehmen ist mit sich selbst beschäftigt.

Es wäre verkehrt, die Ursachen für solche Szenarien zuerst beim jeweiligen Veränderungsvorhaben mit seinen spezifischen Inhalten und der Art und Weise seiner Durchführung zu suchen. Verantwortlich sind vielmehr zunächst eine Reihe genereller Phänomene, die auf der Ebene der beteiligten Personen liegen. Zentraler Faktor aller Veränderungen in Organisationen ist immer der Mensch. Je größer das Unternehmen, desto eher wird diese Tatsache von der vermeintlichen Eigengesetzlichkeit der Strukturen überlagert. Aber auch und gerade komplexe Strukturen sind von Menschen geschaffen, und Menschen sorgen für ihre Erhaltung – oder für ihre Veränderung. Deshalb spielt grundlegendes Verständnis für psychologische Phänomene und Zusammenhänge hier eine Schlüsselrolle. Daher bietet das folgende Kapitel manchem Leser vielleicht nur wenige elementar neue Einsichten, eher vermeintlich Selbstverständliches. »Selbst verständlich«, d. h. ohne spezifisches Fach- oder Vorwissen nachvollziehbar, sind solche psychologischen Faktoren der Veränderung in der Tat. Für |22|effektives Change Management nutzbar werden sie jedoch erst, wenn sie aktiv im Bewusstsein verankert und handlungsorientiert auf konkrete Projektsituationen bezogen sind. Hierzu sollen die folgenden Ausführungen beitragen.

Veränderung lernen: Die »Komfortzone« verlassen

So selbstverständlich Veränderung ist, für jede betroffene Person bleibt sie gleichzeitig immer aufs Neue eine Herausforderung: Veränderung fordert heraus aus der individuellen »Komfortzone«. Als Gewohnheitstier braucht der Mensch solch einen überschaubaren Bereich vertrauter Elemente, von dem aus er seiner Arbeit nachgehen kann. Das angekündigte Projekt betrifft vielleicht nur einen kleinen Teil seiner bisherigen Zuständigkeiten, aber in seiner Wahrnehmung bedroht es tendenziell seine gesamte Komfortzone: die stabile Beziehung zu den Mitarbeitern, das bewährte Arrangement mit den Kollegen, die gesicherte Positionierung beim Vorgesetzten, das geregelte Gehalt, die Urlaubspläne und so weiter. In immer größeren Kreisen bis hinein in den Privatbereich sieht er plötzlich bislang verlässliche Dinge in Frage gestellt. Sein Widerstand gegen das neue Projekt ist daher zunächst irrational und diffus. Weil er sein vertrautes Arbeits- und Lebensumfeld insgesamt bedroht sieht, verweigert er sich auch Veränderungen in Teilbereichen.

Das Drei-Zonen-Modell

Um dies zu überwinden, muss er dazu bewegt werden, seine Komfortzone für eine Weile bewusst zu verlassen. Was dies bedeutet, lässt sich durch das Drei-Zonen-Modell verdeutlichen. Es stammt aus der Erlebnispädagogik und hilft zur Veranschaulichung elementarer Zusammenhänge menschlichen Verhaltens, die auch im Unternehmenskontext relevant sind. Damit stellt es einen ersten Schritt in Richtung zielgerichteter Veränderungsvorhaben dar. In diesem Modell ist die »Komfortzone« umgeben von der so genannten »Lernzone«, und diese wiederum von der |23|so genannten »Panikzone«. In der Lernzone können neue Situationen probiert und Erfahrungen gesammelt werden. Insofern steht sie positiv für Abwechslung, Spannung, Herausforderung und neue Chancen. Gleichzeitig ist diese Zone allerdings mit gewissen Unsicherheiten und Risiken verbunden. Wer sich hier aufhält, kann nur noch begrenzt auf seine bereits vorhandenen Kenntnisse und eingeübten Fähigkeiten zurückgreifen. Er muss auf seine Lernfähigkeit vertrauen, auf seine persönlichen Potenziale und auf seine Energie, diese zu erschließen, wenn es darauf ankommt.

Abbildung 4: Das Drei-Zonen-Modell

Wird dieses Vertrauen überstrapaziert und gewinnen Unsicherheiten und Risiken die Oberhand, ist die Grenze zur äußersten Zone überschritten: der Panikzone. Hier ist das Element konstruktiver Herausforderung umgeschlagen in Überforderung. Die Kontrolle über die Situation ist verloren, das Element der Bedrohung dominiert vollständig die Gefühle. Lähmende Angst verhindert selbstbestimmtes Lernen. Alles Streben gilt der Flucht zurück in die Geborgenheit der Komfortzone.

Wichtig ist: In der Komfortzone zu verbleiben bedeutet langfristig Stillstand. Um zu lernen und sich weiterzuentwickeln, muss man aus ihr heraustreten. Das gilt auch und gerade im Unternehmensumfeld. Ziel ist es deshalb, zum bewussten Verlassen der Komfortzone zu bewegen, um kontrollierte Ausflüge in die Lernzone zu unternehmen – ohne dabei |24|jedoch in die Panikzone abzugleiten. Dieser Schritt ist ein Lernprozess, der bewusst vollzogen und eingeübt werden kann – und muss. Je länger man in konstanten und auf Beständigkeit ausgerichteten Umweltbedingungen verweilt, desto größere Überwindung kostet es, sich neuen Erfahrungen auszusetzen und damit den Verlust vertrauter Elemente seiner Komfortzone zu riskieren.

Ambivalente Konzernroutine

Auf Konzernstrukturen trifft dies in besonderem Maße zu. Je komplexer eine Organisation ist, desto stärker ist ihr Bestreben, Routinen auszubilden. Es ist geradezu eine ökonomische Notwendigkeit, jede Veränderung möglichst bald in einen eingeschwungenen Zustand zu überführen, um reibungslose Abläufe zu erreichen und durch Lerneffekte und intelligente Arbeitsteilung aus der Größe der Organisation Wettbewerbsvorteile zu ziehen. Hinzu kommt, dass die oft beträchtlichen Kosten von Veränderungen in großen Organisationen – sowohl einmaliger Installationsaufwand als auch fixe Kosten z. B. durch Neueinstellungen – wieder »hereingeholt« werden müssen, bevor erneute Veränderungen angedacht werden können. Einmal etablierte Lösungen, selbst wenn sie sich bald als wenig geeignet erweisen sollten, sind daher in großen Organisationen schnell verriegelt. Dieses so genannte »Lock-in-Phänomen« wirkt sich auch auf das Bewusstsein von Führungskräften und Mitarbeitern aus. Was zählt, ist die effektive Integration, nicht das permanente Offenhalten für neue, bessere Konzepte. Hauptsache, es »läuft« im eigenen Verantwortungsbereich – häufig nicht wegen, sondern eher trotz des Eingebundenseins in zahlreiche Veränderungsprojekte, die vom Tagesgeschäft abhalten.

Der Reiz des Nutzens

Es gibt zwei wesentliche Anreize, die eigene Komfortzone zu verlassen: Zum einen die natürliche Neigung zum Lernen, zum anderen die Angst vor Verlust von Vertrautem. Beide sind auch für Veränderungsprojekte |25|relevant und können gezielt gefördert werden – mit relativ geringem Aufwand, nämlich im Wesentlichen durch die richtige Kommunikation.

Ursprung der natürlichen Neigung zum Lernen ist das Streben des Menschen nach Abwechslung und die Faszination durch alles Neue. Dazu zählen auch neue Erfahrungen, Erkenntnisse und Fähigkeiten. Dahinter steckt vor allem der Nutzen, den man sich vom Neuen erhofft. Dem entgegen stehen das Risiko und die Anstrengung, die je nach Art des Lernens mit diesem verbunden sind. Hier lässt sich bei Veränderungsprojekten ansetzen. Das Verlassen der Komfortzone fällt umso leichter, je überschaubarer das Risiko möglicher Verluste erscheint. Es ist deshalb wichtig, die beabsichtigte Veränderung so deutlich wie möglich einzugrenzen und explizit zu benennen, was alles beim Alten bleiben wird. Dies kann zugleich mit der expliziten Bestätigung dessen verbunden werden, was am bisherigen Zustand positiv war und erhalten oder sogar ausgebaut werden soll.

Eine professionelle, offensive und beharrliche Kommunikation des Projektnutzens – so konkret und spezifisch wie möglich – stellt einen wichtigen Erfolgsfaktor dar. »Was nützt uns die Veränderung?« muss die zentrale Leitfrage der Kommunikation auf allen Ebenen sein. In der Regel liegt dieser Nutzen allerdings auf übergeordneter Ebene und betrifft das Gesamtwohl des Unternehmens, das nicht selten sogar in Konkurrenz mit den Interessen einzelner Einheiten steht. Auch hierfür kann eine Führungskraft durchaus aufgeschlossen sein. Für sie steht jedoch letztlich ihr persönlicher Vorteil an erster Stelle. Fällt diese individuelle Bilanz negativ aus, sollten zumindest die angestrebten Veränderungen absehbar kompatibel mit dem bestehenden Arbeitsumfeld sein. Das Neue, das vom Ausflug in die Lernzone mitgebracht wird, muss sich nach der Rückkehr in die eigene Komfortzone integrieren lassen, damit sich das Tagesgeschäft – möglichst besser als bisher – wieder in die erforderliche Routine einstellen kann.

Konkret braucht es in großen Organisationen oft einiges Einfühlungsvermögen, um zu erkennen, auf welcher Ebene die individuellen Stolpersteine für die Betroffenen liegen. Der direkte Durchgriff, über den eine effektive Projektorganisation verfügen sollte, ist aus dieser Perspektive mit einem gewissen Risiko behaftet, weil er tendenziell eine Missachtung der individuellen Verflechtungen der Umsetzungsverantwortlichen |26|fördert. Es wäre fatal, wenn die Betroffenen bei einer Unterstützung des Projektes zu befürchten hätten, auf anderer Ebene dadurch Nachteile zu haben. Schädliche Nebenwirkungen hinsichtlich kollegialer Akzeptanz, Karriereperspektive und ähnlichen Aspekten müssen ausgeschlossen oder minimiert werden. Je stärker Flexibilität und Veränderungsbereitschaft im Wertekanon eines Unternehmens etabliert sind und tatsächlich gelebt werden, desto höher wird das persönliche Engagement sein.

Die Wurzeln des »Sense of Urgency«

Der zweite wesentliche Anreiz zum Verlassen der eigenen Komfortzone neben der natürlichen Lust zum Lernen ist die Angst vor ihrem Verlust. Wenn eine so drastische Veränderung der äußeren Umstände abzusehen ist, dass wesentliche Elemente der vertrauten Situation gefährdet sind, verlässt man in der Regel lieber selbst seine Insel der Geborgenheit, bevor man von ihr vertrieben wird. Vor allem, wenn die Aussicht besteht, sie durch rechtzeitige Anpassung noch retten zu können. An dieser Stelle setzt der »Sense of Urgency« an, der als elementare Voraussetzung für effektives Change Management im Folgenden eine zentrale Rolle spielen wird. Im Modell der Komfortzone besteht die Kunst der Schaffung eines wirksamen »Sense of Urgency« letztlich darin, mit den Betroffenen dosierte mentale Ausflüge in ihre Panikzone zu unternehmen. Wer hier die richtigen Mittel kennt und das angemessene Maß findet, kann erfolgreich zur Eigeninitiative animieren und muss nicht auf gefährliche Druckmittel wie Angst und Erpressung zurückgreifen.

|27|Checkliste Komfortzone: Worauf kommt es an?

Ist die Notwendigkeit für Veränderung allen Beteiligten bewusst?

Wurde der Handlungsbedarf durch Darstellung der Risiken fehlender Anpassung verdeutlicht?

Sind Anreize zum Verlassen der persönlichen Komfortzone vorhanden?

Ist der Umfang beabsichtigter Veränderung deutlich benannt und abgegrenzt?

Wurden positive Komponenten des Status quo angemessen gewürdigt?

Wurde der Nutzen der geplanten Veränderung herausgearbeitet und klar kommuniziert?

Wurden individuelle Benachteiligungen durch geplante Veränderungen geprüft und minimiert?

Gesagt – getan? Sechs Stufen auf dem Weg zum Handeln

Das Modell der Komfortzone beschreibt die grundsätzliche Disposition des Menschen gegenüber Veränderungen und zeigt Möglichkeiten für unterstützende Handlungsansätze auf. Im nächsten Schritt geht es nun um das konkrete Vorhaben und dessen Realisierung. Gesetzt, eine allgemeine Veränderungsbereitschaft ist gegeben, das Ziel steht fest und die Aufgaben sind verteilt: Was tun, wenn statt »gesagt – getan« sich nach dem Sagen nichts tut?

Tatsächlich liegen zwischen dem »Gesagt« und dem »Getan« eine Reihe von Stufen, die im besten Fall schnell, reibungslos und unbewusst genommen werden – aber eben nur im besten Fall. Bleibt die intendierte Aktion aus, liegt es meist an konkreten Störungen im Verlauf dieser Stufen, die sich durch gezielte Prävention und Korrektur mindern oder beseitigen lassen.

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Abbildung 5: Sechs Stufen auf dem Weg zum Handeln

Gesagt ist selten gemeint

Der Anfang dieses Prozesses wird durch Kommunikation dominiert, und Kommunikation ist bekanntlich in hohem Maße störungsanfällig. Schon auf dem Weg von der Idee zum Konzept, genauer: zur kommunizierten Form des Konzeptes, lauern die ersten Fallen. Der gesamte Prozess der Konzepterstellung bis hin zur Erarbeitung der Kommunikationsprodukte (Charts, Redetexte, Broschüren etc.) muss intensiv dafür genutzt werden, die Idee selbst auf ausreichende Klarheit und Konkretheit zu prüfen. Was sich nicht in einfachen Worten beschreiben lässt, ist auch oft für die Umsetzung noch nicht genügend konkret oder prägnant ausgearbeitet. Das Konzept muss alle erforderlichen Elemente enthalten, um unmittelbar zur Umsetzung anzuleiten. Das Gesagte muss eine lebendige Vision des Gemeinten vermitteln – ein hoher Anspruch, weil mit dem Vorgang der Verschriftlichung jede Idee unvermeidlich an Substanz verliert. Vieles lässt sich nicht in Worte fassen. Erschwerend kommt hinzu, dass es fast immer eine, häufig sogar mehrere divergierende »Hidden Agendas« der beteiligten Parteien gibt. Die eigentliche Idee soll den Betroffenen »anders verkauft|29|« werden, um unangenehme Wahrheiten und negative Konsequenzen verschweigen zu können. Hier liegt sicher eine der größten Versuchungen bei Veränderungsvorhaben. Doch der langfristige Schaden solcher Taktiken übersteigt den kurzfristigen Nutzen um ein Vielfaches. Der zu betrügende »Kunde« ist nicht nur sehr viel schwieriger zu überreden, sondern wird zwangsläufig früher oder später mit der Ware unzufrieden sein – und sich ein entsprechendes Urteil über den Verkäufer bilden.

Hier ist in erster Linie der Mut der leitenden Projektverantwortlichen gefragt. Vieles vermeintlich Unsagbare lässt sich durchaus konstruktiv kommunizieren, ohne dabei der Wahrheit Gewalt anzutun. Auch wenn sich nie ganz vermeiden lässt, dass nicht alles Gemeinte auch so gesagt werden kann, muss die Differenz zwischen beidem immer im Bewusstsein bleiben und sollte so klein wie möglich gehalten werden. Offene, direkte Kommunikation ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die gewünschte Veränderung auch tatsächlich zu erreichen.

Hören und Wahrnehmung

Nach dem »Gesagt« kommt das »Gehört«. Der eigentliche Stolperstein auf dieser Stufe ist weniger das (akustische) Hören als vielmehr die selektive Wahrnehmung. Denn durch professionelle Organisation lässt sich relativ einfach sicherstellen, dass alle Kommunikationsmaßnahmen vollständig durchgeführt sind und die erforderliche Abdeckung erreicht ist.