Change Your Color - Sontje Beermann - E-Book

Change Your Color E-Book

Sontje Beermann

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Beschreibung

"Change Your Color" (Sammelband 1) enthält "Rache ist Metal" (2017) und "Metal ist nicht genug" (2018). - 625 TASCHENBUCHSEITEN -

RACHE IST METAL
Die Mitglieder ihres Teams verachten Alexandra für ihren rücksichtslosen Führungsstil und beschließen, ihr einen Denkzettel zu verpassen. Das Geschenk zum 10. Firmenjubiläum ist genau die richtige Gelegenheit - ein Kreuzfahrtgutschein.
Nach dem Ablegen muss sie allerdings feststellen, dass sie auf einer Metal Cruise gelandet ist. Sechs Tage Heavy Metal und seine unzivilisierten Anhänger? Auf keinen Fall!
Allerdings hat sie diese Rechnung ohne verschiedene Mitreisende gemacht. Ihre Kabinennachbarinnen, die Mittfünfzigern Barbara - und Daniel, der ihrem Kindheitshelden so verdammt ähnlich sieht und fast schon vergessene Gefühle in ihr wachruft.
Ob sie der Reise doch noch etwas abgewinnen kann?

METAL IST NICHT GENUG
Sabrina hat sich immer für unerschütterlich gehalten, doch der Musiker Ben schafft es, mit einem einzigen Song ihr Innerstes zu berühren.
Freundinnen im Heiratswahn und ein Vater, von dem sie nie gewusst hat, dass er überhaupt existiert – Sabrinas Welt steht Kopf, als sie auf einer Hochzeit Ben begegnet. Er könnte der Mann fürs Leben sein, doch ihre verschiedenen Lebensweisen lassen den Kontakt einschlafen. Bis sie sich auf der Metal Cruise erneut begegnen und keiner von ihnen die Anziehungskraft zwischen ihnen mehr leugnen kann.

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Rache ist Metal
Prolog
1.
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19.
20.
Epilog
Danksagung
Metal ist nicht genug
Prolog
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18.
19.
20.
Epilog
Danksagung und Aussicht
Noch mehr Rockstar Romance

 

 

Change Your Color

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

 

 

Buchbeschreibung:

"Change Your Color" (Sammelband 1) enthält "Rache ist Metal" (2017) und "Metal ist nicht genug" (2018).

Worum es geht, erfahrt ihr im Klappentext jeweils zu Beginn des Buches.

Und jetzt viel Spaß und Rock on!

 

 

 

 

 

 

 

Über den Autor:

Hallo, ich bin Sontje!

Ich arbeite und lebe mit meiner Familie im Herzen des Ruhrgebiets und das Schreiben ist seit Teenagerzeiten meine größte Leidenschaft.

 

Meine facettenreichen, romantischen Geschichten würze ich am liebsten mit Humor, Musik und ab und zu einer Prise aufregendem Prickeln.

 

Ich schreibe Romane, die ans Herz und unter die Haut gehen. Weil ich an die großen Gefühle und Chancen im Leben glaube!

 

 

 

 

 

 

Change Your Color

 

Sammelband 1

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage, 2020

© Sontje Beermann – alle Rechte vorbehalten.

Sontje Beermann / Katie McLane

c/o easy-shop

K. Mothes

Schloßstr. 20

06869 Coswig (Anhalt)

 

[email protected]

https://katie-mclane.de/Weitere-Romane/Sontje-Beermann/

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autorin zulässig.

Die unerlaubte Verbreitung des E-Books ist untersagt und Diebstahl geistigen Eigentums, also strafbar. Darüber hinaus drohen zivilrechtliche Konsequenzen wie Schadenersatzansprüche.

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Rache ist Metal

(Change Your Color 1)

 

 

Die Mitglieder ihres Teams verachten Alexandra für ihren rücksichtslosen Führungsstil und beschließen, ihr einen Denkzettel zu verpassen. Das Geschenk zum 10. Firmenjubiläum ist genau die richtige Gelegenheit - ein Kreuzfahrtgutschein.

Nach dem Ablegen muss sie allerdings feststellen, dass sie auf einer Metal Cruise gelandet ist. Sechs Tage Heavy Metal und seine unzivilisierten Anhänger? Auf keinen Fall!

Allerdings hat sie diese Rechnung ohne verschiedene Mitreisende gemacht. Ihre Kabinennachbarinnen, die Mittfünfzigern Barbara - und Daniel, der ihrem Kindheitshelden so verdammt ähnlichsieht und fast schon vergessene Gefühle in ihr wachruft.

Ob sie der Reise doch noch etwas abgewinnen kann?

 

Prolog

Der entscheidende Augenblick stand kurz bevor. Nach Übergabe des Umschlags gäbe es kein Zurück mehr, für keine von ihnen.

Saskias Magen rumorte.

Sie überprüfte den Eingang des Konferenzraumes und sah Dagmar im weinroten Kostüm durch die Tür treten, innehalten. Ihre Augen überflogen die knapp zwanzig Personen in dem kleinen Raum, das Sektbuffet an der Fensterseite und ihre Vorgesetzte im Hosenanzug daneben. Nachdem die ältere Teamkollegin sie entdeckt hatte, eilte sie herüber und gesellte sich zu ihr in die letzte Reihe. Den weiß verhüllten Stehtisch in der Ecke zierte, wie alle anderen, ein elegantes Gesteck in einem Glas, bestehend aus einer weißen Rose, Gräsern und weißen Kunstperlen. Der zarte Duft der vollen Blüte vermischte sich mit dem Bouquet des perlenden Sekts vor ihnen.

»Habe ich etwas verpasst?«, raunte die hagere Frau ihr zu und warf das tizianrotgefärbte Haar über ihre Schulter zurück. Ihre Finger mit den in rot und schwarz gestalteten künstlichen Fingernägeln legten sich um den Stil der ihr zugedachten Sektflöte. Sie zitterten leicht.

»Nein, der Schaufler ist noch nicht da.«

»Hast du mitbekommen, ob er die Lorenz schon zu sich zitiert hat, wegen vorgestern?«

Die junge Frau strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem Nackendutt gelöst hatte, und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht genau. Gestern Nachmittag habe ich sie aus seinem Büro kommen sehen, kurz vor Feierabend, aber die blöde Kuh hat sich nichts anmerken lassen.«

»Ich bin gespannt, ob unser Plan funktioniert.« Die Rothaarige ließ die linke Hand sinken und wischte sie an ihrem Rock ab.

Saskia bemerkte es und warf ihr einen abschätzigen Blick zu. »Glaub mir, das ist es allemal wert. Am liebsten würde ich nächste Woche Mäuschen spielen und jeden Tag zusehen, wie sie sich quält. Entkommen kann sie ja nicht.« Ihrer Stimme war der Groll deutlich anzuhören.

Dagmar hielt sich eine Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu verbergen.

Die Tür fiel vernehmlich ins Schloss, die Frauen schreckten hoch.

Der Spartenleiter Gerhard Schaufler stapfte den freigehaltenen Gang entlang zu den beiden Stehtischen, die am Kopfende des Raumes standen. Sein dunkler Anzug sah teuer aus, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich ungesund ernährte. Das Gemurmel erstarb.

Kaum hatte er den für ihn vorgesehenen Platz erreicht, winkte er ihre Vorgesetzte heran. Der Spartenleiter wandte sich um, betrachtete die versammelten Mitarbeiter und schien den Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit zu genießen. Er lächelte, räusperte sich und holte tief Luft.

»Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass Sie alle der Einladung zu diesem kleinen Jubiläumsempfang gefolgt sind. Ich möchte keine großen Reden schwingen und komme deshalb direkt zum Punkt. Unsere geschätzte Alexandra Lorenz ist auf den Tag vor zehn Jahren in unser Unternehmen eingetreten. Seit wir sie überzeugen konnten zu uns zu wechseln, hat sie sich stetig weiterentwickelt und unser Vertrauen in sie nie enttäuscht. Besonders ihre Produktlinie …«

»Blablabla …«, murmelte Dagmar und verzog das Gesicht. »Guck dir nur mal ihr Lächeln an, so kalt und falsch, es erreicht nicht einmal ihre Augen.«

Die andere Frau stimmte mit einem Nicken zu und verschränkte die Arme unter der Brust. Einige Tische schräg vor ihr drehte sich eine Kollegin zu ihr um, Saskia fing ihren fragenden Blick auf und nickte kaum merklich. Die Frau wandte sich wieder nach vorn.

»Waren alle mit unserem Vorhaben einverstanden?«, flüsterte die Rothaarige.

»Ja. Wenn die Lorenz zurückkommt, müssen wir auch alle zusammen das Donnerwetter ertragen.«

»Ist mir egal, Hauptsache sie bekommt mal den Spiegel vorgehalten.« Vorne kam es nun zum Höhepunkt, sie richtete sich auf.

»Aus diesem Grund haben der Vorstand und Ihr Team sich für ein Geschenk entschieden, das Ihnen unsere Wertschätzung verdeutlichen und Ihnen gleichzeitig die Möglichkeit geben soll, sich zu entspannen und die Batterien wieder aufzuladen. Ein kleiner Kreuzfahrt-Gutschein. Am Freitag geht es los.« Gerhard Schaufler überreichte Alexandra Lorenz den Umschlag und schüttelte der Brünetten unter Applaus herzlich die Hand.

Selbst von ihrer Position aus sah sie, wie der Rücken ihrer Teamleiterin sich versteifte und ihr Lächeln einen gequälten Zug annahm. Sie bedankte sich mit ausgesuchter Höflichkeit bei ihrem Vorgesetzten und den Kollegen.

»Sechs Tage auf diesem Schiff«, murmelte Saskia und grinste bösartig. »Ich hoffe, sie dreht durch!«

 

1.

Das letzte Stück zum Cruise Center in der Hamburger HafenCity zog sich in die Länge. Das Taxi kroch seit ein paar Minuten an den Marco-Polo-Terrassen vorbei, die für einen Freitagnachmittag schon gut besucht waren. Ich beobachtete die vielen Erwachsenen jeglichen Alters, die auf den Bänken die Sonnenstrahlen genossen oder spazieren gingen. Einige Kinder schlängelten sich auf Fahrrädern oder Skateboards zwischen ihnen hindurch. Eine Gruppe von Segway-Fahrern auf Sightseeing-Tour überholte uns auf dem Bürgersteig.

Meine Finger trommelten auf den Türgriff, ich wandte mich dem Taxifahrer zu. »Wie lange wird es noch dauern? Wir sind doch schon da.«

Er deutete durch die Windschutzscheibe. »Wir müssen erst die Trucks vom Hafengelände lassen.«

Ich folgte seinem Fingerzeig und sah mehrere Vierzigtonner auf der Gegenfahrbahn, ausnahmslos schwarz und mit silbrigem Buchstaben-Logo auf den Trailern. Nacheinander wummerten sie an uns vorbei. Das Taxi rollte wieder an und ich richtete die Aufmerksamkeit auf die Deutschlandzentrale eines der weltweit größten Hersteller von Verbrauchsgütern. Mein Gehirn schaltete sofort in den Jobmodus, brachte die Produkte der Kosmetiklinie, für die ich verantwortlich zeichnete, mit den schwarzen Lkws in Verbindung. Lohnte es, ihnen ein neues Aussehen zu verpassen? Cooles Schwarz und Silber? Hm, das musste ich bei Gelegenheit genauer bewerten. Vielleicht ließen sich auf diese Weise Kunden generieren, oder sogar eine neue Zielgruppe. Ich sollte gleich nach meiner Rückkehr mit Gerhard reden.

Ich griff nach dem Smartphone und tippte eine Notiz in den Kalender. Wie gut, dass ich mein Notebook eingepackt hatte. Morgen war Seetag, da konnte ich vorab einige Ideen skizzieren.

»So, da sind wir.« Der Taxifahrer nannte den Betrag.

Ich tauschte Handy gegen Portemonnaie und reichte ihm zwei blaue Scheine. »Stimmt so.«

Wir stiegen aus, und während der Fahrer den Trolley und das Beauty Case aus dem Kofferraum holte, warf ich einen Blick in die kurze Fensterfront des Terminalgebäudes. Die schwarze Hose und der hellgraue Lederblouson saßen hervorragend, nur noch die Schluppen der weißen Bluse zurechtzupfen, perfekt! Ich fuhr mir mit einer Hand über das im hohen Dutt zusammengefasste Haar, drehte den Kopf hin und her, bis ich beruhigt war.

»Schöne Reise«, wünschte mir der Taxifahrer, ich wandte mich um, und schon war er wieder eingestiegen. Ein junger Helfer mit Warnweste trat auf mich zu und kontrollierte die bunten Gepäckbanderolen.

»Darf ich Ihren Koffer nehmen?«

»Ja, gerne. Bringen Sie ihn mir bis zum Schalter?«

»Nein, wir kümmern uns darum, dass er geprüft und aufs Schiff gebracht wird. Sie bekommen ihn dann vor die Kabine geliefert.«

Ich war irritiert. »Aha. Na gut, dann … dann nehme ich nur den kleinen mit.«

Ich schulterte die wildlederne Hobo Bag, nahm das Beauty Case an mich. Gleich darauf verschwand mein Trolley auf einem großen Rollwagen mit weiteren Koffern. Interessant.

Ich betrachtete das Abfertigungsgebäude, das aus ausgemusterten Seecontainern bestand. Es war in verschiedenen Blau- und Grüntönen angestrichen. Ein Schiff konnte ich aus meiner Perspektive nicht sehen, dafür eine dünne Abgaswolke, die fortdauernd in den Himmel strebte.

Vor dem Terminal herrschte stetiges Kommen und Gehen, Taxen, Privatwagen, Passagiere, Mitarbeiter. Die Luft war erfüllt von Abgasen, Motorengeräuschen und Stimmen. Es löste eine unterschwellige Unruhe in meiner Brust aus, und das gefiel mir nicht.

Am anderen Ende des Vorplatzes spielte ein Spielmannszug auf, Jubel brandete heran. Was war das nur für ein Stück? Es kam mir bekannt vor, hörte sich an wie ein Klassiker. Smoke on the Water? Aber diese Version hatte ich noch nie gehört. Einen Moment lang lauschte ich noch, dann stöckelte ich zum Eingang.

Dort stieß ich beinahe mit einem seltsamen Kauz zusammen, ellenlange grau-blonde Haare im Zopf, etwas längerer Bart, von oben bis unten in Schwarz gekleidet. Auf dem Shirt prangte ein Schriftzug über einem martialisch wirkenden Motiv. Ich wollte gerade aufbrausen und auf meinem Vortritt bestehen, da streckte er die Hand aus, öffnete die Tür und wies mit der anderen, die eine Bierdose hielt, hinein. »Nach Ihnen.«

Ich versuchte, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen, und nickte ihm kurz zu. »Vielen Dank.« Mit erhobenem Kinn stolzierte ich an ihm vorbei und betrat das Terminal.

Ich verlangsamte meine Schritte, um mich zu orientieren. In der spartanisch eingerichteten Halle hielten sich nur wenige Menschen auf, aber ich bemerkte sofort, dass die Personen überwiegend ähnliche Kleidung trugen wie der Mann, der mir vorhin die Tür aufgehalten hatte.

Stellte das die neue Kreuzfahrt-Etikette dar? Ich kramte in meinen Erinnerungen nach dem »Traumschiff«, fand aber immer nur Bilder von elegant gekleideten Menschen. Nun ja, vielleicht gehörten die Herrschaften hier zur Crew oder einem Musikstar, der an der Reise teilnahm.

An der gegenüberliegenden Wand entdeckte ich die Check-in-Schalter, von denen in diesem Moment einer frei wurde. Ich trat heran und sah verwirrt dem Paar nach, das die Stelle verlassen hatte und nun zur Sicherheitskontrolle strebte. Hatte ich das gerade richtig gesehen? Lugte etwa ein Gartenzwerg aus dem Rucksack des Mannes hervor, der eine schwarze Mütze und eine coole Biker-Sonnenbrille trug? Und die Figur formte mit der Hand ein Zeichen, das ich schon einmal bei Musikern bemerkt hatte, Zeigefinger und kleiner Finger nach oben gereckt, der Rest eingeklappt? Ich blinzelte und schüttelte kurz den Kopf, dann wandte ich mich der Dame am Schalter zu.

»Alexandra Lorenz.« Ich stellte das Beauty Case ab.

»Herzlich Willkommen, Frau Lorenz!«, begrüßte sie mich lächelnd. »Ihre Reiseunterlagen und den Reisepass, bitte.«

Ich griff gezielt in meine Tasche und legte ihr die gewünschten Dokumente vor. Die Mitarbeiterin der Kreuzfahrtgesellschaft erledigte zügig die Formalitäten. Ihre Freundlichkeit begeisterte mich. Welch angenehme Dienstleistungsorientierung, so musste das sein!

 

*

 

Bewaffnet mit einer kleinen, faltbaren Übersicht der Deckspläne verschaffte ich mir einen Überblick. Ich durchschritt die öffentlichen Bereiche der Decks einmal von unten nach oben, beginnend mit der untersten Ebene des Atriums, vor der Rezeption. Crew-Mitglieder in verschiedenen Uniformen liefen geschäftig durch die Gänge, Männer in gelben Reflektorjacken mit der Aufschrift »Technik« und einige Männer und Frauen in Schwarz.

Auf dem Promenadendeck entdeckte ich eine Foto- und Kunstgalerie. Sie war noch geschlossen, ich nahm mir vor, am Seetag wiederzukommen.

Ein Deck höher gab es eine Einkaufspassage und im hinteren Bereich weitere Restaurants. Neben den verschlossenen Türen hingen Menüpläne aus, die Preise enthielten. Bei den unteren Restaurants war dies nicht der Fall gewesen, ich sollte mich kurzfristig genauer über das hier herrschende Konzept informieren.

Pool- und Sonnendeck ließ ich aus, um mich schließlich an einer Bar am Heck niederzulassen, ganz oben und an der frischen Luft. Die Spätsommersonne schien angenehm warm herunter und ich freute mich, ein Plätzchen unter dem Sonnensegel ergattert zu haben. Die Sonnenbrille auf der Nase, die Beine übereinandergeschlagen, lehnte ich mich zurück und genoss die Aussicht elbaufwärts, auch wenn die vielen Baustellen rund um die HafenCity sie beeinträchtigten. Kurze Zeit später widmete ich mich dem bestellten Latte macchiato, die anderen Gäste um mich herum blendete ich, wie so oft, aus.

Stattdessen ließ ich das Gespräch mit meinem Vorgesetzten vor meinem inneren Auge ablaufen.

Gerhard hatte mich am Dienstag kurz vor Feierabend in sein Büro zitiert, und ich war ahnungslos in sein Büro eingetreten. Er kam direkt zur Sache. Eine meiner Mitarbeiterinnen hatte sich am Vortag über mich und die Art und Weise beschwert, wie ich sie auf die Fehler in ihrer Präsentation hingewiesen hatte, vor versammelter Mannschaft. Ich hatte rasch gemerkt, dass er mir keine Chance geben wollte, mich und meinen Standpunkt zu erklären. Im Gegensatz zu mir war er der Meinung, dass ich von meinem Team nicht - wie von mir selbst – immer 120% verlangen könne. Meine Erwartungen seien viel zu hoch, schließlich gäbe es noch ein Leben außerhalb der Firma und des Jobs.

Ich hatte mich schon lange nicht mehr so sehr geschämt wie in jenem Moment. Aber ich war stocksteif sitzengeblieben und hatte versucht, mir nicht anmerken zu lassen, dass diese Zurechtweisung schmerzte. Das Unternehmen hatte von Anfang an von meinem enormen Einsatz profitiert, in fast jeder Hinsicht. Und jetzt war es aus heiterem Himmel nicht mehr richtig, alles für die Firma zu geben?

Sein Kommentar zum Ende des Jubiläumsumtrunks stach mir zu guter Letzt wie ein Dolch in den Rücken. Ich bemerkte die Wut, die wieder in mir hochzukochen drohte. Das war eine unterschwellige Drohung gewesen, ich hatte es genau verstanden. Ich vermutete, dass Gerhard direkt im Anschluss unseren internen Counselor über die Sachlage informiert hatte, den professionellen psychosozialen Berater.

Pah! Als ob der sich damit auskannte, wie man ein zwölfköpfiges Team leitete und zu hoher Produktivität führte. Nichts wusste dieser Schnacker, gar nichts!

Ich stürzte den Rest Kaffee hinunter und setzte das Glas zurück auf den Unterteller, dass der Löffel auf dem Porzellan klirrte. Mein Magen zog zusammen, in die Wut mischte sich ein Anflug von Angst. Ich wusste nur nicht, wovor.

 

*

 

Ein sanfter Gong riss mich aus meinen trüben Gedanken.

»Liebe Gäste, unser Housekeeping-Team hat sein Bestes gegeben. Ihre Kabinen sind nun bezugsfertig und freigegeben. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Lieferung Ihres Gepäcks sich noch etwas verzögern kann. Vielen Dank.«

Wie auf Kommando durchflutete mich Erschöpfung. Nicht nur körperliche – ich war schon um 7 Uhr im Büro gewesen, um bis 14 Uhr die letzten Vertretungsanweisungen zu formulieren bzw. Aufgaben zu delegieren und dann den Urlaub antreten zu können -, sondern auch mentale. Es führte im Moment zu nichts, über die Umstände in der Firma zu grübeln. Das musste warten.

Ich nahm die Sonnenbrille ab und massierte die Nasenwurzel. Der Gedanke an ein Nickerchen vor dem Abendessen und dem Auslaufen war so verlockend, dass ich gähnte. Mit einem Blick auf den Decksplan überprüfte ich die Lage der für mich gebuchten Außenkabine. Sie lag zwar nur zwei Decks tiefer, dafür am entgegengesetzten Ende des Schiffes. Direkt unterhalb der Brücke. Ich packte meine Sachen und machte mich auf den Weg.

Durch den zur Bar gehörenden Wintergarten und das Buffetrestaurant erreichte ich das hintere Treppenhaus. Über das wiederum gelangte ich nach unten und musste dann die gesamte Länge des Kreuzfahrtschiffs überwinden. Im Gang war es unvermutet still, der dicke Teppich schluckte die Trittgeräusche, das Laufen kam einer Meditation nahe. Da machte es mir noch nicht einmal etwas aus, dass hin und wieder Koffer neben den Kabinentüren an den Wänden standen und ich diesen ausweichen musste.

Kurz vor dem vorderen Treppenhaus erscholl weibliches Gelächter, das mich zusammenfahren ließ. Es erleichterte mich, dass sie sich von mir entfernten. Ich erkannte die Tür meiner Kabine, nur noch ein paar Meter, griff in die Jackentasche und nahm die Bordkarte zur Hand. Unterdessen waren die Stimmen wieder nähergekommen, also steigerte ich das Tempo. Ein Schritt noch, dann -

In diesem Moment rammte mich irgendetwas von links, etwas mit langen Haaren und einem schweren Parfum. Ich stöhnte unwillkürlich auf und starrte die Gruppe an. Ich sah nur die einheitliche Kleidung, auch wenn die Frauen schon auf den ersten flüchtigen Blick unterschiedlicher nicht sein konnten.

»Oh, mein Gott, das tut mir so leid!«, rief diejenige, die mit mir kollidiert war. »Ist alles in Ordnung?« Sie legte mir die Hand auf den Arm, mit Mühe unterdrückte ich den Impuls, den Kontakt zu unterbrechen.

Ich konnte nur nicken, während ich sie betrachtete. Sie reichte mir ungefähr bis zu den Augenbrauen, ihre schwarzen Haare waren eindeutig gefärbt und die blauen Augen dunkel geschminkt. Sie war kurvig, ein richtiges Vollweib, und so … so …

»Okay, prima. Man sieht sich!« Sie drehte sich um und verschwand hinter ihren Mitbewohnerinnen in meiner Nachbarkabine.

… voller Energie. Und so lebenslustig, dass ich ein Ziehen spürte.

 

2.

Bis zum Abendessen hatte mein Koffer seinen Weg zur Kabine noch nicht gefunden, daher erübrigte sich die Frage nach einem Outfitwechsel. Das Nickerchen hatte mir gutgetan und Make-up und Haar nicht weiter beeinträchtigt, wie mir ein Blick in den Spiegel verriet. Ich legte etwas Parfum auf, schlüpfte wieder in mein Lederblouson, steckte die Bordkarte ein und machte mich auf den Weg ins Buffetrestaurant. Ich schlenderte zwar als eine der Ersten zwischen den Buffetinseln umher, aber auf diese Weise konnte ich vor dem Auslaufen noch in aller Ruhe zu Abend essen.

Für den Anfang entschied ich mich für eine eigene Komposition von der Wok-Station. Viel knackiges Gemüse, ein paar Garnelen, Kokosmilch, Curry und Chili, dazu ein Weißwein. Ich fand einen Tisch für sechs Personen am Ende des Raumes, direkt an der Fensterfront zur Wasserseite.

Ich genoss das Abendessen und beobachtete das Treiben im Gewerbehafen, blendete den Betrieb im Restaurant vollkommen aus. Es gelang mir sogar, keinen einzigen Gedanken an die Arbeit zu verschwenden, sondern es in meinem Kopf nur dahinplätschern zu lassen.

Umso heftiger erschrak ich, als mich jemand ansprach.

»Guten Abend. Sind hier noch vier Plätze frei?«

Ich musste deutlich zusammengezuckt sein, denn während ich den Kopf drehte, sprach die angenehm tiefe Stimme weiter. »Oh, sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.«

Mein Blick wanderte an der dunkelblau schimmernden Jeans hinauf, das passende Jackett über dem weißen Hemd mit geöffnetem Kragen, hin zu dem markanten Kinn, dem eckigen Gesicht mit hohen Wangenknochen – und den naturroten Locken. Ich japste auf.

 

*

 

Ein Samstagnachmittag vor Weihnachten, draußen ist es schon dunkel. Die Plätzchen sind im Ofen, Mama und ich haben vier Bleche davon gebacken, weil ich am Montag einige in die Schule mitnehmen will. Mein erstes Weihnachtsfest nach der Einschulung. Bald wird gewichtelt und ich bin schon furchtbar gespannt, welches Geschenk ich ziehen werde. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum ich mich beeile, die Arbeitsfläche abwische, den Lappen ausspüle und mich zu ihr umdrehe. Ich zappele vor und zurück und schaue sie bittend an.

Mama streicht mir sanft übers Haar. »Geh schon.«

Also laufe ich in mein Zimmer und werfe die Tür zu, schalte den kleinen Fernseher ein. Der bunte Ball zum Ende der Werbung verschwindet, das Zeichentrick-Bild einer Galaxie erscheint und es geht endlich los.

Ich lasse mich auf mein Bett plumpsen und kuschele mich in die vielen Kissen, genieße die Musik mit Klavier und Science-Fiction-Klängen, dann die weibliche Singstimme mit dem »Uuuuhhh«. Zum Abschluss eine männliche Stimme, die den Namen meines neuen Helden nennt: »Captain Future!«. Die Folge beginnt mit seinem Gesicht, mein Herz klopft vor Aufregung. Das schwungvolle rote Haar, die dunkleren Brauen mit dem Knick über den grauen Augen, die gerade Nase und die ernste Miene finde ich super.

Gebannt starre ich auf den Bildschirm, erlebe das Abenteuer mit ihm und seiner Mannschaft. Und mit Joan, der Regierungsagentin.

Ich seufze. Wie gern wäre ich sie! Dann könnte ich mit Captain Future zusammen das Universum retten, mit ihm ins All fliegen, die Bösewichte jagen und erschießen.

Auf meinen Wunschzettel habe ich das Captain-Future-Malbuch geschrieben. Und die Figuren. Hoffentlich erfüllen sich diese Wünsche, alles andere ist nicht wichtig.

Am Ende der Folge wird die Schlussmusik vom Fernsehsender ausgeblendet, um Werbung zu zeigen. Ich bin traurig. Wieder eine Woche warten, bis zur nächsten Folge.

 

*

 

»Alles in Ordnung?«

Die Worte brachten mich in die Realität zurück. Ich musste heftig blinzeln, um die Großaufnahme vom Gesicht meines Kindheitshelden aus der Erinnerung zu verbannen.

»Geht es dir gut?«

Wahnsinn, sogar die Stimme klang ähnlich! Oder bildete ich mir das alles nur ein? Ich blinzelte noch einmal und starrte ihn an. Wie gut, dass er die Gänsehaut auf meinen Armen nicht sehen konnte.

»Oh, ja, alles in Ordnung, danke. Ja, die anderen Plätze sind noch frei. Bitte!«

»Okay, danke.« Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, streifte das Jackett ab und hängte es über die Stuhllehne. »Meine Kumpel kommen gleich, ich gehe schon mal zum Buffet. Also, bitte die Plätze freihalten, ja?« Er lächelte und verschwand nach meinem Nicken.

Nach einigen Sekunden des Staunens konnte ich mich wieder dem Essen zuwenden, trank einen großen Schluck Wein. Warum hatte ich mich ausgerechnet jetzt an meine Lieblingszeichentrickserie erinnert? War die Ähnlichkeit von Aussehen und Stimme des fremden Mannes mit meinem Kindheitshelden der Auslöser gewesen?

Ich schüttelte energisch den Kopf. Schluss mit diesem Unfug, was sollte das? Ich benahm mich total kindisch. Ich spießte eine Garnele auf und schob sie mir in den Mund.

Kurze Zeit später kehrte der große Rothaarige mit einem Teller und einem Bier zurück, einen zweiten Mann im Schlepptau. Dessen Gruß beantwortete ich nur mit einem Nicken, musterte ihn aber unauffällig. Er überragte den Rothaarigen, kratzte bestimmt an der Zwei-Meter-Marke. Er hatte hellblondes, kurzes Haar und einen top trainierten Oberkörper. Die Muskeln schienen das hellblaue Hemd sprengen zu wollen.

»Na, auf jeden Fall war Malena total eifersüchtig, sie wäre am liebsten selbst mitgefahren. Wie gut, dass wieder Schule ist«, sagte der Blonde. Die beiden Männer stießen mit ihrem Bier an und widmeten sich ihren Tellern.

»Haben wir euch endlich gefunden, ihr Penner!«, polterte es. Ich sah erschrocken auf. Der Umgangston, der hier herrschte, war mir etwas zu rüde.

Hinter den beiden Männern an meinem Tisch standen nun zwei weitere. Der erste, der gesprochen hatte, war ein Durchschnittstyp in schwarzem Anzug und mit zurückgegeltem, dunklen Haar. Er schlug dem Rothaarigen und dem Blonden jeweils auf eine Schulter.

Der Rothaarige stand auf. »Mann, Markus, endlich!« Die beiden umarmten sich kurz und schlugen sich gegenseitig auf den Rücken. »Hallo, Daniel«, erwiderte der Gegelte.

Der blonde Hüne hatte sich auch erhoben.

»Sven, altes Haus!«, rief dieser Markus jetzt, und sie umarmten sich ebenfalls. »Ich habe echt gedacht, wir sind die Einzigen, die noch keine Reisekleidung tragen.«

Der Hüne schüttelte den Kopf. »Wir sind auch gerade erst angekommen, und der Hunger war größer.«

Der Rothaarige, Daniel, hatte sich dem dahinterstehenden Mann zugewandt. Dieser trug ebenfalls Jeans sowie weißes Hemd und sein mausbraunes Haar in einem modernen, beidseitigen Undercut. Aus dem gepflegten Vollbart rund um das spitze Kinn blitzte ein zurückhaltendes Lächeln hervor. Sie schlugen jeweils mit der Rechten ein, zogen sich ran und klopften sich gegenseitig auf die Schulter.

»Hey, Oliver.«

»Hallo, Daniel.«

Der Lackaffe schlug dem Bärtigen mit dem Handrücken vor die Brust. »Komm, wir holen uns etwas zu Essen.« Sie verschwanden im stetigen Strom der Leute. Mir fiel auf, dass sie in Hemd und Anzug aus der Menge hervorstachen, deshalb musterte ich die anderen Männer und Frauen genauer. Sie trugen fast alle schwarze Kleidung, zum größten Teil T-Shirts, wie ich es vorhin unten am Terminal gesehen hatte. Was war denn hier los? Wer waren diese ...

Die Nachzügler kehrten zurück und rissen mich aus meinen Überlegungen. Sie nahmen neben den ersten beiden Platz, wobei nur der mit Vollbart mir höflich zunickte. Ich erwiderte sein Lächeln kurz. Na, wenigstens hatte nur der Lackaffe keine Manieren.

Sie begannen, über ihren letzten Arbeitstag zu reden, durcheinander und ohne Punkt und Komma. Sie stöhnten darüber, was sie noch alles hatten erledigen müssen – nervige Finanzierungsgespräche beim Lackaffen, ein dringendes kundenbezogenes Customizing im Warenwirtschaftsprogramm bei dem Vollbartträger, Fristen beim Blonden und dem Rothaarigen.

Dann wechselte das Thema zu einem Musikfestival, aber schon bald verschwamm alles für mich zu einem Brei, ich konnte weder folgen noch Einzelheiten heraushören. Im Endeffekt interessierte es mich nicht, schließlich kannte ich diese Typen nicht, aber ich empfand es als unhöflich. Oder war das normal in einem Buffetrestaurant auf einem Kreuzfahrtschiff? Nun, ab morgen wollte ich die Bedienrestaurants ausprobieren.

Ich zog mich in meine eigene Welt zurück und aß stumm weiter, wie gewöhnlich. Am Ende trank ich mein Glas aus, schob den Stuhl nach hinten und erhob mich.

»Einen schönen Abend noch«, wünschte ich in die Runde.

Sie redeten und lachten, nur der Rothaarige rief mir ein knappes »Bis dann« zu.

Wie unhöflich! Ich presste die Lippen zusammen, straffte den Rücken.

Dann eben nicht, ihr Rüpel!

 

*

 

Man hatte mich auf dem Jubiläumsumtrunk mit manchem Tipp zu meiner Kreuzfahrt versorgt. Einen davon befolgte ich. Das Auslaufen sollte auf dem obersten Deck und vorn am schönsten sein, am besten in der Nähe des Nebelhorns, Typhon in der Fachsprache. Leider schien ich mich auf dem Weg zum Sonnendeck auf Deck 14 verlaufen zu haben, den Weg über die vorderen Aufzüge fand ich nur nach mehrmaliger Konsultation meines kleinen Decksführers.

Viele andere Passagiere strebten ebenfalls nach oben. Ich trat auf Deck 12 durch die Tür und stand vor einer Wand aus schwarzgekleideten Kehrseiten, ich stockte. Verdammt, ich musste nachher dringend herausfinden, was es mit dieser seltsamen Kleiderordnung auf sich hatte.

Ich wandte mich nach links und der nächstgelegenen Treppe nach oben zu. Von der Mitte des Schiffs wehten Musikfetzen heran, es klang mittelalterlich, mit Dudelsack und Flöte.

Du meine Güte, wer traf hier nur die Musikauswahl?

Oben angekommen schlenderte ich bis zur vordersten Reling. Es hatten sich bereits einige Passagiere hier versammelt, aber in der Mitte fand ich eine Lücke. Eine frische Brise schlug mir entgegen, so dass ich den Reißverschluss der Jacke hochzog und mich dann an die Reling lehnte.

»Hey, bist du nicht unsere Kabinennachbarin?«

Ich drehte den Kopf nach links. Tatsächlich, neben mir stand die Schwarzhaarige, die mich fast umgerannt hatte. Ich nickte.

»Hi, ich bin Melissa.« Sie streckte mir die Hand entgegen.

»Alexandra«, antworte ich und ergriff sie nach kurzem Zögern.

»Bist du das erste Mal dabei?« Sie stützte sich wieder mit beiden Ellbogen auf.

»Ja. Sieht man das?«

Sie musterte mich von unten bis oben und grinste. »Nein, gar nicht.«

Die Ironie rief in mir ein Gefühl von Trotz hervor, ich wandte mich ihr zu. »Ich wundere mich schon die ganze Zeit, warum alle nur Schwarz tragen, und so viele Shirts mit martialischen Motiven. Hat das einen besonderen Grund?«

Melissa starrte mich an, schien total perplex, dann brach sie in Gelächter aus. »Guter Witz, echt!«

Das Typhon machte jegliche Erwiderung meinerseits zunichte, ich zuckte zusammen und hielt mir die Ohren zu, bis das dreimalige Signal verklang.

»Los geht’s!«, rief Melissa aufgeregt. Ich sah nach rechts, zur Landseite, und konnte sehen, dass wir uns in Bewegung gesetzt hatten. Ein Musikstück ertönte, ruhig, mit Akkordeon-Anteil. Die Männerstimme mit dem warmen, tiefen Timbre kam mir bekannt vor. Sie sang von der See, der großen Freiheit und der Sehnsucht im Herzen, voller Melancholie.

Mich packte ein seltsames Gefühl, eine Mischung aus Aufregung, Aufbruchsstimmung und Reisefieber, ich fühlte die Gänsehaut am ganzen Körper. Es hatte etwas Erhabenes, auf diesem Ozeanriesen den Fluss hinab zu fahren, auf einer Höhe mit den Hausdächern am Ufer.

Wir glitten an der HafenCity vorbei, danach an der Elbphilharmonie. Ich nahm alles in mich auf, die verschiedenen Architekturen, die Menschen auf ihren Balkonen oder auf den Gehwegen. Ein tolles Gefühl, die Stadt einmal aus einer bisher ungekannten Perspektive betrachten zu können. An den Landungsbrücken erklang das Typhon erneut dreimal. Ein Ausflugsdampfer neben uns tutete zurück, dann kam von uns und wieder dem Dampfer jeweils ein weiteres, einzelnes Signal. Unten winkten die Leute uns zu und alle hier oben erwiderten es.

Ja, ein wirklich schönes Gefühl. Mit jeder Minute freute ich mich auf diese neue Erfahrung, vielleicht gelang es mir sogar, zum ersten Mal seit langem abzuschalten und mich zu erholen.

Melissa und ich blieben am längsten an der Reling stehen, erst hinter Blankenese gingen wir zusammen hinunter. Wieder wehten Musikfetzen herüber, diesmal von der härteren Sorte.

»Was ist denn hier nur los?«, meinte ich und drehte mich nach ihr um. »Diese Musik ist doch nicht normal.«

Melissa lachte. »Doch, ist sie. Oder was glaubst du, wo du hier bist?« Sie öffnete ihre schwarze Kapuzenjacke und zum Vorschein kam ein Scorpions-T-Shirt. Okay, die kannte sogar ich.

Die Musik verstummte, ein Tusch ertönte.

»Welcome Metalheads«, rief eine raue Stimme ins Mikrofon. Die Menge johlte. »Willkommen zur fünften Metal Cruise!« Diesmal jubelten die Leute noch lauter und länger.

Mir stockte der Atem. Das konnte doch nicht sein!

»In einer guten Stunde starten wir mit dem Eröffnungskonzert, hier oben auf dem Pooldeck. Für die, die kein Programm haben – es gibt noch reichlich an der Rezeption und beim Merchandising im Konferenzraum auf Deck 6. Da könnt ihr euch einen Überblick verschaffen, was wir diesmal alles zu bieten haben. Und bis dahin genießt die Ausfahrt mit unserer Hymne, das gute Wetter und das Bier!«

Die Decks antworteten mit einem Grölen, dann erklang wieder Musik aus den Lautsprechern.

Ein Teil der Menge um uns herum löste sich auf, ich blieb stocksteif stehen. Das musste ein Fehler sein, ich befand mich auf dem falschen Schiff! Ich wusste nicht, wie es hatte passieren können, aber ich war auf dem falschen Schiff. Ein Irrtum, ein riesengroßer Irrtum!

Meine Gedanken wirbelten im Kreis, wiederholten sich, bis mir schwindelig wurde.

»Geht es dir nicht gut? Du bist ganz blass.« Melissa legte mir eine Hand auf den Arm, ich sah sie an. »Du zitterst ja.«

Ich schluckte krampfhaft. »Das kann nicht sein, ich bin hier falsch. Das ist ein totales Missverständnis!«, stieß ich hervor, mir versagte die Stimme.

»Was dachtest du denn, wo du hier bist?«, wiederholte sie ihre Frage von vorhin.

»Ich habe diese Reise geschenkt bekommen, sie soll nach Norwegen gehen.«

Ich sah, dass sie die Lippen zusammenpresste und tief durchatmete.

»Ich muss zur Rezeption, das kann alles nicht sein«, murmelte ich vor mich hin und lief zum Aufzug hinüber. Melissa stieg mit ein. »Ich muss hier weg. Ich muss meinen Chef anrufen.«

Auf Deck 5 angekommen marschierte ich zur Rezeption am mittleren Treppenhaus, in meine Erschütterung mischte sich Wut, und dieses Gemisch brodelte in mir hoch. Eine der Mitarbeiterinnen war verfügbar. Sie stand hinter dem weißgrauen Marmor und lächelte mir entgegen. Zum Glück, sonst hätte ich nicht für mich garantieren können.

»Guten Abend! Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich muss sofort von Bord, ich bin hier falsch.« Ich legte die Hände auf den Tresen, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Sie schien verwirrt. »Aber wir haben längst abgelegt, Sie können nicht mehr von Bord.«

»Ich bin hier falsch, haben Sie das nicht verstanden? Ich habe eine Kreuzfahrt nach Norwegen geschenkt bekommen, und die findet nicht mit diesem Schiff statt.« Ich tippte mit der Fingerspitze mehrmals vor ihr auf den Marmor.

»Nennen Sie mir doch bitte Ihren Namen und Ihre Kabinennummer.«

»9006, Alexandra Lorenz.«

Die Rezeptionistin tippte, dann wanderte ihr Blick konzentriert über den Bildschirm. »Also, ich kann hier nicht erkennen, dass es eine Verwechslung oder Ähnliches gab. Die Buchung erfolgte über ein Reisebüro in Hamburg. Ah ja, und Sie sind über die Warteliste reingerutscht, für eine Stornierung. Sehr kurzfristig sogar.« Sie sah mich an.

Ich erstarrte, mein Herz hämmerte. »Das muss eine Verwechslung sein!«, stieß ich hervor.

»Nein, tut mir leid. Für Sie wurde explizit diese Reise gebucht.«

Zorn schlug über mir zusammen, mir wurde heiß und übel. Die Hände um die Marmorkante gekrallt trat ich einen Schritt zurück und beugte mich vor, versuchte, normal zu atmen. Ich starrte auf die weißen Marmorrauten zu meinen Füßen, unterbrochen von grauen Vierecken.

Das musste ein schlechter Scherz sein!

Eine Hand legte sich auf meinen Rücken und strich sanft darüber. »Ist dir nicht gut? Willst du dich hinlegen?« Ich sah auf und in Melissas Gesicht. Sie schien besorgt.

»Nein, verdammt«, ich richtete mich auf, »ich will hier weg!«

Die junge Frau hinter dem Tresen ließ sich von meiner erbosten Miene nicht beeindrucken. »Wie gesagt, wir haben längst abgelegt. Sie können erst übermorgen wieder von Bord, in Le Havre. Aber für die Rückreise müssen Sie dann leider selbst aufkommen.«

Sah man mir an, dass ich kurz davor war zu explodieren? Ich fühlte mich, als würde mir der Dampf zu den Ohren herauskommen. Wortlos wandte ich mich um, marschierte zum nächsten Treppenhaus und zog das Smartphone aus der Innentasche des Blousons. Ein Deck höher trat ich auf das Promenadendeck hinaus, das Telefon bereits am Ohr. In der Firma nahm niemand ab, kein Wunder an einem Freitagabend.

Nacheinander versuchte ich es bei Gerhard Schaufler, meiner Vertreterin und zwei Kolleginnen aus dem Team. Nichts. Überall erreichte ich nur sofort die Mailbox.

Meine Hände zitterten, als ich das Telefon wieder wegsteckte und mich dann an der Reling festhielt. Ich saß hier fest. Zusammen mit mehr als zweitausend Irren.

 

3.

Wieder streichelte Melissa mir über den Rücken. »Ich habe ja schon ein wenig mitbekommen, aber magst du mir erzählen, was passiert ist?«

Ich wich zurück und musste mich erst zusammenreißen, bevor ich ein Wort herausbrachte.

»Ich hatte am Dienstag mein zehnjähriges Firmenjubiläum, es gab einen kleinen Umtrunk. Mein Chef hat mir einen Reisegutschein überreicht, von Vorstand und Team. Eine kleine Kreuzfahrt nach Norwegen, wie er sich ausdrückte.« Ich lachte auf.

»Aber du bist hier gelandet.«

»Ja. Und zwar mit Absicht, es ist keine Verwechslung oder Fehlbuchung.« Ein Grummeln stieg in meiner Kehle auf, ich schlug mit der Faust auf die Reling.

Ihre Hand stockte und sie lachte laut auf. »Wem bis du denn auf den Schlips getreten?«

Ich starrte sie an, wie sie die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. »Was sagst du da?«

»Na, das ist doch offensichtlich! Dir wollte jemand eins auswischen.«

Oder mein gesamtes Team.

Ich wollte es nicht hören, aber sie sprach meine innersten Befürchtungen aus. Es war beschämend und fühlte sich an wie ein Tritt in die Nieren. Meine Beine zitterten, ich ließ mich in die Hocke sinken und lehnte mich rücklings an die Reling. Melissa setzte sich neben mich, schubste mit der Schulter gegen meine.

»Komm schon, du wirst es genießen! Wir Metalheads sind ein toller Haufen.«

»Das kann nicht dein Ernst sein, das ist nicht meine Welt!«, hielt ich dagegen und sah sie an. In ihren Augen las ich Mitgefühl, sie tätschelte meine Hand auf dem Boden.

»Klar ist das mein Ernst. Lass erst einmal alles auf dich zukommen, du wirst schon sehen, es wird Spaß machen. Die Leute sind toll, die Musik ist genial und die Kreuzfahrt sowieso.«

Ich schüttelte den Kopf, sah zu dem Rettungsboot hinauf, das direkt über uns hing, und konnte es nicht glauben. In meinen Schläfen begann es zu pochen.

»Du kommst jetzt mit zu meinen Mädels. Wir trinken etwas und feiern zusammen, und morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«

Ich resignierte und stand mit ihr auf. Ja, trinken klang verlockend. Sich betrinken und alle Gedanken auslöschen. Melissa griff nach meiner Hand und zog mich hinein zum Fahrstuhl.

»Ich habe eine Idee: Dreh den Spieß doch einfach um!«, meinte sie und drückte auf den Rufknopf.

»Wie meinst du das?«

»Ganz einfach: Zeig deinem Team den Stinkefinger und mach die Tour zu deinem besten Urlaub überhaupt!«

 

*

 

Wir trafen Melissas Freundinnen an der Bar am Heck, an der ich nachmittags schon gesessen hatte. Sie steuerte direkt auf den Tresen zu, zog mich an der Hand hinterher. Ich ließ es einfach geschehen.

»Hey, wen bringst du denn da mit?« Die Frage kam von einer derb wirkenden Frau mit schulterlangen lila Locken. Sie trug verschlissene schwarze Jeans, eines dieser martialischen T-Shirts und darüber ein schwarzweißes Holzfällerhemd mit aufgekrempelten Ärmeln.

»Das ist Alexandra, sie wohnt in der Kabine neben uns.« Melissa manövrierte mich auf den einzigen freien Barhocker. »Sie hat gerade erfahren, dass sie als eine Art Bestrafung mit uns fährt.«

»Wie bitte?«

»Warte, ich erzähle es euch gleich. Was willst du trinken?«, fragte sie mich.

Ich wandte mich dem Barkeeper zu und bestellte einen Gin Tonic.

»Okay, fangen wir mit der Vorstellungsrunde an. Das hier ist Sabrina.« Melissa deutete auf die Frau mit dem lila Haar. Sie tippte mit zwei Fingern an eine imaginäre Mütze.

»Das ist Jasmin -« Eine zierliche Frau mit platinblonder Mähne und Nasenpiercing, von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet, nickte mir zu. »- und das hier Laura.« Noch ein Vollweib, das kurze schwarze Haar top gestylt.

Melissa, Sabrina, Jasmin, Laura. Melissa, Sabrina, Jasmin, Laura …

Dass ich versuchte, mir ihre Namen zu merken, verwirrte mich.

Der Barkeeper stellte die Getränke hin und Melissa erhob den Bierbecher. »Also, dann, auf eine geile Metal Cruise!« Wir stießen mit einander an und tranken.

Die Mischung hatte es in sich, hier wurde nicht mit dem Alkohol im Longdrink gegeizt. Ich leerte mein Glas in einem Zug und bestellte noch einmal dasselbe.

»Jetzt rück schon raus mit der Sprache, was genau ist denn nun passiert?« Jasmin warf das Haar zurück über die Schulter.

Melissa fasste meine überaus beschämende Sachlage kurz zusammen.

»Puuuuh«, machte die kurvige Laura und strich sich das Haar im Nacken glatt. »Wenn meine Mädels im Salon so etwas mit mir abziehen würden, wäre ich auch ganz schön fertig.«

Ich fühlte mich verstanden, bekam aber gleich den nächsten Schlag in die Magengrube.

»Du musst eine ganz schöne Bitch sein, wenn deine Leute dir so etwas einbrocken.« Sabrinas Stimme klang rauchig und kühl. Sie hob herausfordernd das Kinn, fixierte mich.

Was für eine schonungslose Ehrlichkeit! Ich schluckte.

»Sabrina«, rief Melissa, »sei doch mal ein bisschen taktvoller!«

»Nein, lass nur«, unterbrach ich sie und bemühte mich darum, die Fassade aufrecht zu erhalten. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Ich stürzte das Getränk hinunter und bestellte ein drittes Glas.

»Volltreffer.« Ein feines Lächeln umspielte Sabrinas Mundwinkel.

»Trotzdem könntest du das etwas weniger hart formulieren.« Jasmin stieß ihr einen Ellbogen in die Rippen, lächelte sie aber an.

Ich versuchte, von mir abzulenken, sah von einer zur anderen. »Kennt ihr euch schon lange?«

»Ein paar Jährchen,« meine Melissa.

»Von der Schule?«

»Nee, aus Lauras Friseursalon. Da haben wir festgestellt, dass wir den gleichen Musikgeschmack haben. Seitdem fahren wir zusammen zu Festivals und so. Auf Metal Cruise sind wir schon zum dritten Mal.«

Ich nickte.

Laura sah auf die Uhr. »Lasst uns rübergehen, das Konzert fängt gleich an.«

Wie auf Kommando leerten sie ihre Gläser und stellten sie auf der Theke ab.

»Viel Spaß«, wünschte ich, prostete ihnen noch einmal zu.

»Nichts da!« Melissa hakte mich unter und zog mich vom Barhocker. »Du kommst mit uns.«

»Nein, wirklich, ich störe doch nur, das ist nichts für mich.«

»Keine Widerrede.«

»Echt, Lissy, lass sie doch, wenn sie nicht will.« Diese Sabrina schien mich mit ihren Augen zu sezieren.

»Sie hat aber zu wollen, das soll ihre beste Zeit werden.« Sie lief mit mir los und beugte sich kurz darauf zu meinem Ohr. »Und außerdem glaube ich gar nicht, dass du solch eine Bitch bist.«

Ich biss mir auf die Zunge. Kein Kommentar.

 

*

 

Faktisch wechselten wir nur zur nächsten Bar. Oder zumindest in die Nähe davon.

Unten, vor der Bühne am Pool, feierten die Gäste, das Bier floss in Strömen. Es wirkte wie ein eckiger Kessel, rund um den Pool voller Menschen, Licht und Musik. Bei uns, ein Deck höher, standen merklich weniger Passagiere, gaben ansonsten aber das gleiche Bild ab - feiern und Bier trinken. Meine Kabinennachbarinnen machten da keine Ausnahme.

Mein Anteil bestand aus Mittrinken, ich kannte weder die Musik noch reizte sie mich zum Mitfeiern. Dafür lauschte ich Gesprächsfetzen um mich herum. Zum Beispiel den Fachsimpeleien über die Vorzüge und musikalischen Talente der ausschließlich männlichen Bandmitglieder (meine Kabinennachbarinnen) oder den Erlebnissen auf dem offenbar besten Metal-Musikfestival namens »Wacken« (eine gemischte Gruppe neben uns). In meinem Hinterkopf regte sich etwas, das Wort hatte ich schon einmal gehört.

Nach gut einer Stunde verklang der letzte Akkord im Applaus, und dreißig Minuten später sollte der Top-Act des heutigen Abends folgen, eine bekannte Rockröhre, dem Jubel nach zu urteilen.

Melissa zerrte mich mit nach unten, vor die Bühne, und ich versuchte krampfhaft, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Die Wirkung des Alkohols setzte ein. Endlich!

Wilde Gitarrenriffs erklangen und ein Wirbelwind aus Leder, Silberschmuck und platinblondem Haar erschien. Ich blinzelte und musterte Jasmin aus zusammengekniffenen Augen. Irrte ich mich oder ahmte sie den laufenden Meter da vorne auf der Bühne nach?

»Du müsstest sie eigentlich kennen«, rief Melissa mir ins Ohr. »Sie war Ende der Achtziger total erfolgreich mit ihrer damaligen Band.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

Doch als ich diese rauchig-kratzige Powerstimme hörte, wusste ich, dass ich sie von früher kannte. Das Publikum kam in Fahrt, grölte mit, ich sah vereinzeltes Headbangen. Ein oder zwei der Songs konnte ich sogar zeitlich zuordnen, da musste ich die vierte oder fünfte Klasse besucht haben.

Um mich herum sah ich schließlich, teilweise verschwommen, nur noch ein Meer aus Schwarz und fliegenden Haaren, erhobenen und im Takt wippenden Händen. Der Alkohol hatte meinen Kopf angenehm leicht gemacht, die Gedanken zerstoben und ich fühlte mich von allen Vorkommnissen losgelöst. So stand ich da, in der Rechten mein halb leeres Glas, die Linke unter den anderen Arm geklemmt, den Blick ins Nichts gerichtet. Ich fühlte mich wie ein Baum, der leicht im Wind wogte.

Oder bewegte sich das Schiff? Gab es auf der Elbe Wellen? Jetzt schon?

Egal, ich ließ mich in dieser Schwerelosigkeit treiben.

Erst als Melissa mich anstieß und mit einem Grinsen beide Daumen nach oben streckte, stellte ich mit Befremden fest, dass ich im Takt mit nickte und mit der Fußspitze auf den Boden tappte.

 

4.

Die Automatiktüren glitten auseinander, ich trat hinaus an die frische Luft. Die Sonne stand knapp über dem Horizont und am Himmel fanden sich nur vereinzelte Wattewölkchen. Es sah nach einem schönen Tag aus. Die Freidecks waren noch menschenleer, wunderbar!

Nach ein paar Stretching-Übungen fummelte ich mir Stöpsel in die Ohren und suchte auf meinem Smartphone nach dem Album »Opus« von Schiller. Im Gegensatz zur Mehrheit genoss ich beim Laufen besonders ruhige Musik, nicht zu laut, so konnte ich optimal entspannen. Mit einem Tippen startete ich die Wiedergabe und verstaute das Telefon in der Oberarmtasche, dann trabte ich gemütlich auf dem Jogging-Parcours auf Deck 12 los.

Die Nachwirkungen vom gestrigen Abend und dem dazugehörigen Alkoholgenuss machten sich durch leichte Kopfschmerzen bemerkbar, und ich hoffte, dass sie sich nach dem Laufen verflüchtigten. Automatisch wandten sich meine Gedanken der Ausgangssituation zu und in mir kochte alles wieder hoch. Heute kam noch eine Gefühlsnuance dazu. Unsicherheit? Angst?

Wie sollte ich das hier nur durchstehen? Ich musste dringend im nächsten Hafen von Bord.

Am liebsten wollte ich mich vor den Barbaren an Bord verstecken. Gleichzeitig fühlte ich mich eingeengt. Egal, wie oft ich darüber nachdachte, es zeichnete sich keine Lösung ab. Demnach drehten meine Gedanken sich im Kreis, und das machte mich langsam aggressiv.

Ich versuchte, mich mit Nachdruck auf das Laufen und die Musik zu konzentrieren, und in den meditationsähnlichen Zustand überzugehen, aber es wollte mir nicht gelingen.

Dem Titel nach zu urteilen, den ich hörte, musste ich schon einige Runden gelaufen sein, da nahm ich die anderen Frühaufsteher bewusst wahr. Etwas später sah ich dann den einen Jogger, der mir auf seiner Runde entgegenkam. Erst beim zweiten Mal erkannte ich ihn, den Rothaarigen vom gestrigen Abendessen, das Double meines Kindheitshelden.

Mein Herz schien einen Hüpfer zu machen und das Tempo anzuziehen. Was war das denn jetzt?

Bei der dritten Begegnung trabte er auf der Stelle, bis ich ihn erreicht hatte, und schloss sich mir an.

»Hallo, guten Morgen!«, rief er. »Wir kennen uns doch von gestern Abend, beim Abendessen, oder?«

Ich nickte und zog den linken Ohrhörer heraus, um ihn besser zu verstehen.

»Ich bin Daniel. Und du?«

»Alexandra.« Was tat ich hier? Warum verriet ich ihm meinen Namen?

»Ich habe dich gestern gar nicht bei den Konzerten gesehen. Warst du nicht da?«

»Doch.« Ich fühlte mich unsicher, solchen Small Talk hatte ich schon lange nicht mehr führen müssen. Zumindest nicht privat.

»Und? Wie hat es dir gefallen?«

Ich zuckte die Schultern.

»Hey, nicht so viel Begeisterung!« Er lachte auf, es ließ meinen Magen vibrieren. »Bist du auch das erste Mal bei der Cruise dabei?«

»Überhaupt bei solch einer … Veranstaltung.« Im Grunde hatte ich nicht abfällig klingen wollen, und dieser Daniel reagierte mit einem Stirnrunzeln darauf.

»Wie meinst du das?«

»So, wie ich es gesagt habe.«

»Du gehst also nicht zu Festivals.«

»Nein.«

»Konzerte?«

»Selten. Aber nicht in diesem Genre.«

Wir wichen zwei Joggern aus, deren Gruß wir erwiderten.

»Jetzt bin ich verwirrt. Was machst du dann hier?«

»Lange Geschichte, unwichtig.«

Er schwieg eine halbe Runde.

»Okay, dann lass uns über dich reden.«

»Ich möchte lieber in Ruhe laufen.« Nein, über mich wollte ich absolut nicht sprechen.

»Auch gut.«

Ich rechnete damit, dass er Reißaus nahm oder sich zurückfallen ließ. Weit gefehlt, er trabte immer noch neben mir her. Ich steckte den Ohrhörer ein, um ihn auszublenden.

Erst beim Abschluss-Stretching nahm ich ihn wieder wahr, versuchte aber, ihn zu ignorieren.

Ich schaltete die Musik ab, wickelte das Ohrhörerkabel ums Handy und marschierte in Richtung Aufzug.

»Wollen wir noch ein Wasser zusammen trinken?«

Ich zögerte, sah ihn an. Himmel, genau genommen wollte ich nur meine Ruhe haben. Seine Ähnlichkeit mit Captain Future schien aber eine Art von Faszination auf mich auszuüben, anders konnte ich meine gegenteilige Entscheidung nicht deuten.

»Von mir aus.«

Wir blieben an der Bar neben den Türen zum Innenbereich und dem mittleren Treppenhaus stehen, und Daniel bestellte zwei Wasser mit Zitrone. Er reichte mir mein Glas und stieß mit seinem dagegen. »Prost!«

Er lächelte mich an und trank ein paar Schlucke. »Ich hoffe, wir sehen uns heute Abend.«

Eine Hitzewelle überrollte mich. »Keine Ahnung«, brachte ich hervor, stürzte das Wasser hinunter und rannte davon.

 

*

 

Nach einer ausgiebigen Dusche nahm ich mir das Benötigte aus dem Koffer, Jeans, Bluse, Ballerinas. Das Auspacken lohnte nicht, wenn ich den Kahn morgen in Le Havre verließ. Keine Minute länger als nötig wollte ich hierbleiben, und auf irgendeine Weise käme ich schon nach Hause. Ich checkte meine Mails, immer noch nichts.

Zum Frühstück wählte ich eines der Bedienrestaurants. Ich bestellte Latte macchiato, nahm gerne ein Glas Sekt dazu und ließ mir eine kleine Auswahl vom Servierwagen zusammenstellen. Außer mir waren nur zwei Pärchen anwesend, die nicht viel älter sein konnten als ich, und ich genoss die Stille und den zuvorkommenden Service.

Ich fühlte mich herrlich entschleunigt und träumte zum Fenster hinaus. Die sanften Wellen spürte man hier drinnen kaum, auch nicht, wenn sie unter mir gegen das Schiff brandeten und durchschäumt zurückprallten.

Es fiel mir schwer, mich von diesem besänftigenden Anblick loszureißen und wieder aufzutauchen. Aber nachdem einer der Kellner mir höflich mitteilte, dass die Frühstückszeit in wenigen Minuten endete, blieb mir nichts anderes übrig.

Ich holte mein Buch aus der Kabine, schlenderte hinauf in den Wintergarten zwischen Buffetrestaurant und Außenbar. Ich ließ mich in einen freien Sessel sinken, streckte die Beine von mir und starrte zu den Oberlichtern hinaus.

Schließlich seufzte ich und griff nach meinem Handy, um im Internet nach einer Bahnverbindung nach Hamburg zu suchen. Kein Empfang.

Ich schloss die Augen und stöhnte genervt auf. Wie hatte ich nur dermaßen blöd sein können? Dass es auf hoher See keinen Empfang gab, hätte mir klar sein müssen. Vielleicht gab es ja einen Internetzugang an Bord, auch wenn dies zusätzliche Kosten verursachte. Ich nahm mir vor, mich an der Rezeption danach zu erkundigen. Doch zunächst zog ich die Füße hoch und machte es mir gemütlich, griff nach meinem Buch.

Nur wenige Sätze später ließ sich jemand mir gegenüber in den Sessel plumpsen, ich sah auf. Sabrina ließ die Arme über die Seitenlehnen baumeln, legte die Unterschenkel auf dem niedrigen Tisch zwischen uns ab und kreuzte die Knöchel. Die Skelett-Hand auf ihrem Shirt streckte mir den Mittelfinger entgegen.

»Na?« Ihr Grinsen war süffisant.

Ich biss die Zähne zusammen und bog den Rücken durch. »Was gibt’s?«

»Schon eine Heimfahrt gefunden?«

»Wohl kaum, auf hoher See.«

»Ach jaaa!« Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Hier nützt dir dein feines Smartphone ja nichts.«

»Bist du nur hier, um mich zu provozieren?«

»Vielleicht.«

»Habe ich dir irgendetwas getan?« Nur mit Mühe konnte ich den Zorn unterdrücken.

Sie zuckte mit den Schultern und schürzte die Lippen. »Nein. Ich mag dich nur nicht.«

»Du kennst mich überhaupt nicht.«

»Möchte ich auch nicht. An meiner Bar sehe ich schon genug Business Bitches wie dich. Das muss ich nicht auch noch privat haben.«

»Sag endlich, was du mir zu sagen hast!«, fauchte ich und fixierte sie. Ich war nicht bereit, als Erste den Blickkontakt zu unterbrechen.

Sabrina nahm die Beine vom Tisch und beugte sich vor. »Es wäre besser, wenn du dich von uns fernhältst. Du gehörst nicht dazu, selbst wenn du es wolltest.«

Sie stand auf und schlenderte hinaus aufs Freideck.

Ich schluckte und starrte ihr nach. Das Gefühl in meiner Brust überraschte und ärgerte mich. Es schmerzte.

 

*

 

Nach einigen Minuten holte mich die Ankündigung der Seenotrettungsübung zurück in die Realität. Ich blinzelte und versuchte, mich an die Info an der Kabinentür zu erinnern, dann schaute ich auf der Bordkarte nach. Ich musste ins Theater, also nahm ich meine Sachen und machte mich direkt auf den Weg dorthin. Die Schwimmwesten lagen nicht auf der Kabine, sondern auf den Musterstationen. Die Ausgabe erfolgte nur im Notfall.

Unten angekommen entdeckte ich beim vorderen Treppenhaus einige Internet-Terminals und entschied mich, nach der Übung die Preise zu eruieren.

Vor dem Eingang des Theaters hatten zwei Crewmitglieder Posten bezogen. Sie hielten je ein Lesegerät in Händen, vor das jeder Passagier seine Bordkarte halten musste.

Ein Piepen ertönte, die Offizierin bedankte sich, und ich gelangte mit einem Strom aus Metalheads ins ausgeleuchtete Theater. Es fiel klassisch zur Bühne hin ab und war in Creme- und Brauntönen gehalten. Die Sitzreihen füllten sich stetig, auch die Balkone ein Deck höher. Ich bemerkte Melissa und ihre Freundinnen und wandte mich in die entgegengesetzte Richtung, fand einen freien Platz am Rand der vorletzten Reihe.

»Ist hier noch frei?«, fragte ich und deutete auf den schmalen Streifen Sitzbank.

»Klar doch!« Die Anwesenden rückten etwas zusammen, ich setzte mich.

Ich sah über die ruhige Menge im Zuschauerraum hinweg zur Bühne. Einige Crewmitglieder aus verschiedenen Bereichen mit angelegten Rettungswesten hatten dort Aufstellung genommen. Am Bühnenrand stand ein Offizier mit Mikrofon, blickte abwechselnd zu den Eingängen und dirigierte die Eintretenden zu noch freien Lücken auf den Bänken.

In einer der vordersten Reihen kam Gesang auf, schwoll an und rollte wie eine Welle heran, bis schließlich alle außer mir in What shall we do with the drunken sailor einstimmten.

Nach dem ersten Refrain klatschten und johlten die Passagiere. Der Offizier auf der Bühne grinste, und ich konnte es mir auch nicht verkneifen.

»So, ich bekomme gerade das Zeichen, dass alle da sind, die Stimmung ist auch gut, dann können wir ja anfangen.«

Er erklärte den Ablauf, dann verlosch das Licht und der Sicherheitsfilm startete. Im Anschluss führten die Crewmitglieder noch einmal das korrekte Anlegen der Rettungswesten vor.

»Bis der Kapitän die Übung für beendet erklärt, haben Sie noch einmal die Gelegenheit, das Anlegen selbst zu üben, unter Anleitung. Wer möchte, kann jetzt zu uns auf die Bühne kommen.«

Die ersten standen auf und strebten die Stufen hinauf. Die Crew reichte ihnen Westen, und ich verfolgte noch einmal konzentriert den Ablauf.

Wieder kam vorne Gesang auf, einige Arme schwenkten hin und her. Ich erkannte den Refrain des ABBA-Songs SOS sofort und war überrascht, dass die Anwesenden sich nicht nur in ihrem eigenen Musik-Genre auskannten.

Die Stimmung war gelöst, eine La-Ola-Welle schwappte von links nach rechts durchs Theater, und selbst die Crew machte mit.

Ein Gong ertönte, der Kapitän bedankte sich für die Aufmerksamkeit und beendete die Übung. Applaus brandete auf, der Offizier hob noch einmal das Mikrofon.

»Auch von mir ein Dankeschön für eine der besten Seenotrettungsübungen, die ich je erleben durfte. Haben Sie noch einen schönen Tag auf See.«

Wieder Applaus, dann allgemeiner Aufbruch. Ich sprang auf und lief noch vor der Menge aus dem Theater. Am nächsten Internet-Terminal nahm ich den Kartenständer zur Hand und studierte die Preise. Ein bekanntes Lachen ließ mich aufblicken.

Melissa und ihre Freundinnen verließen das Theater in Richtung Treppenhaus. Ich beobachtete ihr Miteinander. Sabrina hob den Kopf, erblickte mich und funkelte mich aus zusammengekniffenen Augen an. Ihr Gesicht wiederholte den letzten Satz, den sie in der Bar vorhin zu mir gesagt hatte.

Seltsamerweise löste das ein lange nicht mehr empfundenes Gefühl in mir aus.

Und das machte mich nervös.

 

*

 

Um die Unruhe zu bekämpfen, versuchte ich es mit Abwechslung und suchte mir einen Platz auf dem Freideck. Es waren zwar schon einige Liegen belegt und die Whirlpools hatten auch die ersten Gäste des Tages, aber es herrschte eine angenehme Ruhe an Deck. Trotzdem wollte ich weit weg von allem sein und lief hinauf zum obersten Sonnendeck, auf dem ich gestern das Auslaufen erlebt hatte. An der rechten Seite – ich rief mir das kleine Kreuzfahrer-ABC vom Kabinenschreibtisch ins Gedächtnis, also steuerbord - gab es etwas Schatten und nur noch eine freie Liege. Daneben saß eine schlanke Frau in mittlerem Alter mit kurzem grauen Haar, mit Gel in alle Richtungen gezupft. Es sah aus, als ob sie einen bequemen Hausanzug trug, natürlich in Schwarz, und sie strickte versunken vor sich hin.

»Ist der Platz noch frei?« Ich blieb vor ihrer Liege stehen, sie sah auf und ich deutete hinüber.

»Aber sischer doch, Liebelein. Setz disch ruhisch zu mir.«

Sie strahlte mich an und ihr gemütlicher, rheinländischer Akzent haute mich um, ich erwiderte ihr Lächeln. Keine Ahnung warum, aber ich fand die Dame süß. Ich ließ mich neben ihr nieder und schlug das Buch auf der ersten Seite auf.

»Isch bin Barbara.« Sie streckte mir die Hand rüber und ich ergriff und schüttelte sie.

»Alexandra.«

»Watt liest du denn da?« Barbara griff wieder zu ihren Nadeln und ließ sie tanzen. Ich konnte nur zusehen und staunen, in welcher Geschwindigkeit sie die Maschen produzierte.

»Äh«, machte ich und schlug den Buchdeckel zu, »einen Irving, den ich noch nicht gelesen habe.«

Sie neigte den Kopf, um den Titel lesen zu können. »Ah, ein sehr jutes Buch, isch empfehle es jerne, wenn misch mal jemand nach meiner Meinung fragt. Hast du alle anderen schon jelesen?«

»Ja, fast alle. Arbeitest du in einer Buchhandlung?«

»Nein, in der Zentralbibliothek von Kölle.«

»Interessant! Wie ist es da so?«

»Es ist der schönste Beruf der Welt, mitten zwischen so vielen Büchern, immer wieder Kundenkontakt… isch kann mir nichts Besseres vorstellen.« Sie zog Wolle nach.

Ich wandte mich ihr zu. »Ich würde ja zu gerne wissen …«, begann ich und dann fragte ich sie über die Arbeit in einer Bibliothek aus. Wir sprangen von einem Thema zum anderen, blieben bei Literatur im Allgemeinen hängen. Barbara schien ein fast unerschöpfliches Wissen über Bücher zu besitzen, faszinierend.

Ich fühlte mich von Minute zu Minute wohler in ihrer Gegenwart, sogar geborgen. Wie bei einer Mutter. Ich verscheuchte den Gedanken.

»Du erstaunst mich«, meinte ich schließlich, »du bist so voller Gegensätze!«

Sie legte ihr Strickzeug nieder. »Was jenau meinst du?«

»Nun ja, du bist Metalfan, sonst wärst du nicht hier.« Sie nickte. »Aber du bist auch so belesen und du strickst! Das wäre das letzte Hobby, das ich einem Metalfan zusprechen würde.«

Barbara lachte herzlich. »Isch würde nicht sagen, dass Stricken meinem Musikjeschmack entjegensteht, eher im Jegenteil.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Nun, Metal ist nischt nur ein Musikjeschmack, es ist eine Lebenseinstellung. Sein eijenes Ding machen. Irgendwer hat herausjefunden, dass die Anhänger dieser Musikrichtung intelligenter sind. Das soll daran liegen, dass sisch die anderen Kinder und Jugendlichen weniger mit ihnen abjejeben haben und Metalfans dadurch jeistisch mehr aufnehmen und lernen konnten. Hier findet man also die Verbindung zur Literatur. Stricken hinjegen ist nicht nur Yoga für die Hände, sondern auch sehr jut fürs Gehirn, für die Verbindung zwischen linker und rechter Hirnhälfte. Also – wer schlau ist, strickt.«

»Wie lange bist du schon Metalfan?«

»Seit der ersten Stunde des Metal, glaube isch. Isch habe mit Led Zeppelin und Black Sabbath angefangen. Und wie sieht es bei dir aus?«

»Oh, ich bin gar kein Metalfan«, wich ich aus.

»Was machst du dann hier?«

Seltsam, die nächste Person, die mir dieselbe Frage stellte. Also erzählte ich Barbara von den Umständen und wunderte mich am Ende darüber. Was hatte sie nur an sich, dass ich mich ihr so schnell geöffnet hatte?

Sie hörte bis zum Ende zu und schürzte in Gedanken versunken die Lippen.

»In deine beruflichen Anjelegenheiten möchte isch misch nicht einmischen, auch wenn isch glaube, dass du etwas zu überdenken hast. Aber jenerell würde isch das genauso sehen wie deine Kabinennachbarin. Wir Metalfans sind ein nettes Völkchen, sehr gelassen und unaufgeregt.«

»Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen.« Ich lachte.

»Siehst du! Natürlisch jibt es Ausnahmen, wie überall, aber wir sind keine Monster oder unzivilisiert, auch da eher das Jegenteil. Gib den Leuten hier eine Chance.«

Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen. »Vielleicht hast du Recht, vielleicht sollte ich wirklich einmal etwas tun, das ich sonst nicht mache. Notgedrungen.«

»Es wird dir juttun.« Barbara legte mir eine Hand auf den Arm. »Isch denke, am Ende wirst du so viel Abstand und innere Ruhe jewonnen haben, dass du deine berufliche Situation realistisch und neutral betrachten kannst.«

War es das? Eine Chance, meine Welt gerade zu rücken? Sollte ich bis zum Schluss hierbleiben? Mein Leben in Hamburg war dermaßen durchgetaktet und gleichförmig, dass ich noch nie daran gedacht hatte, etwas Neues auszuprobieren. Es gab keinen Grund, aus meinem Schema auszubrechen, es war alles perfekt für mich. Zumindest hatte es den Anschein. Und ich hatte es nie in Frage gestellt, warum auch?

Zum ersten Mal seit Langem dachte ich ernsthaft über meine Gesamtlage nach. Ich kam zu der Erkenntnis, dass ich die letzten Jahre nur stumpf vor mich hingearbeitet und hingelebt hatte.

Ich fühlte, wie mich Zuneigung zu dieser Frau durchflutete, die mir mit einem simplen Rat Möglichkeiten aufzeigte. Ich wünschte, meine Mutter wäre wie sie.

Ich fasste einen Entschluss. »Kannst du mir erzählen, wie das hier bei der Metal Cruise läuft?«

Barbara lächelte. »Sischer. Was jenau möchtest du denn wissen?«

»Na ja, was ist denn hier so los?«

Sie griff in ihre Stricktasche und holte ein Programm hervor, das sie mir reichte. »Du kannst meins haben, unten jibt es noch jenug.«

Ich faltete den Flyer auseinander, überflog die Punkte und lauschte ihren Erklärungen.