Metal ist nicht genug - Sontje Beermann - E-Book

Metal ist nicht genug E-Book

Sontje Beermann

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sabrina hat sich immer für unerschütterlich gehalten, doch der Musiker Ben schafft es, mit einem einzigen Song ihr Innerstes zu berühren.
Freundinnen im Heiratswahn und ein Vater, von dem sie nie gewusst hat, dass er überhaupt existiert – Sabrinas Welt steht Kopf, als sie auf einer Hochzeit Ben begegnet. Er könnte der Mann fürs Leben sein, doch ihre verschiedenen Lebensweisen lassen den Kontakt einschlafen. Bis sie sich auf der Metal Cruise erneut begegnen und keiner von ihnen die Anziehungskraft zwischen ihnen mehr leugnen kann.

295 Taschenbuchseiten.
Dieser Band ist in sich abgeschlossen und kann für sich allein gelesen werden, es ist jedoch von Vorteil, vorher Band 1 "Rache ist Metal" zu lesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



September
Prolog
Juni – Aus den Fugen
1.
2.
3.
Juli – Schritt für Schritt
4.
5.
6.
August – In der Schwebe
7.
September – Achterbahn
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
Oktober – Entscheidungen
16.
17.
18.
November - Seelenqualen
19.
Dezember – Jetzt oder nie
20.
Januar
Epilog
Danksagung und Aussicht
Rache ist Metal
Angels & Demons
Angels & Demons 2
Angels & Demons 3

 

 

Metal ist nicht genug

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

 

 

Buchbeschreibung:

Sabrina hat sich immer für unerschütterlich gehalten, doch der Musiker Ben schafft es, mit einem einzigen Song ihr Innerstes zu berühren.

Freundinnen im Heiratswahn und ein Vater, von dem sie nie gewusst hat, dass er überhaupt existiert – Sabrinas Welt steht Kopf, als sie auf einer Hochzeit Ben begegnet. Er könnte der Mann fürs Leben sein, doch ihre verschiedenen Lebensweisen lassen den Kontakt einschlafen. Bis sie sich auf der Metal Cruise erneut begegnen und keiner von ihnen die Anziehungskraft zwischen ihnen mehr leugnen kann.

 

Dieser Band ist in sich abgeschlossen und kann für sich allein gelesen werden, es ist jedoch von Vorteil, vorher Band 1 "Rache ist Metal" zu lesen.

 

 

 

 

 

 

 

Über den Autor:

Hallo, ich bin Sontje!

Ich arbeite und lebe mit meiner Familie im Herzen des Ruhrgebiets und das Schreiben ist seit Teenagerzeiten meine größte Leidenschaft.

 

Meine facettenreichen, romantischen Geschichten würze ich am liebsten mit Humor, Musik und ab und zu einer Prise aufregendem Prickeln.

 

Ich schreibe Romane, die ans Herz und unter die Haut gehen. Weil ich an die großen Gefühle und Chancen im Leben glaube!

 

 

 

 

 

 

Metal ist nicht genug

 

Change Your Color 2

 

Von Sontje Beermann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Auflage, 2019

© 2018 Sontje Beermann – alle Rechte vorbehalten.

Impressum

Sontje Beermann / Katie McLane

c/o easy-shop

K. Mothes

Schloßstr. 20

06869 Coswig (Anhalt)

 

[email protected]

https://katie-mclane.de/Weitere-Romane/Sontje-Beermann/

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Zustimmung der Autorin zulässig.

Die unerlaubte Verbreitung des E-Books ist untersagt und Diebstahl geistigen Eigentums, also strafbar. Darüber hinaus drohen zivilrechtliche Konsequenzen wie Schadenersatzansprüche.

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

September

Prolog

„Jedes Mal das Gleiche. Ich. Will. Nicht. Weg!“

Sabrina packte ihren Trolley und folgte Jasmin die Gangway hinab.

„Warum soll es dir besser gehen als uns?“ Die Platinblonde lachte.

Alexandra, Melissa, Laura, Jasmin und sie blieben zwischen dem Schiff und dem Cruise Terminal in der Hamburger HafenCity stehen und ließen den Blick noch ein letztes Mal über den blau-weißen Koloss wandern. Die Tage auf der Metal Cruise waren wie gehabt viel zu schnell vorbeigegangen, und ihr Kopf war angefüllt mit Eindrücken und Bildern, die sie in den nächsten Tagen erst noch verarbeiten musste. Darüber hinaus gab es eine Sache, die die Reise noch aufregender gemacht hatte: Alexandra, die neue Freundin in ihrer Runde.

„Bis zum nächsten Mal“, murmelte Sabrina und wandte sich ihren Freundinnen zu. „Na los, lasst uns gehen! Bevor der Abschied zu schwierig wird.“

Sie folgten dem stetigen Strom von Metalheads durch das Terminalgebäude und fanden sich davor zusammen. Draußen wie drinnen wimmelte es vor Leuten, abreisende Passagiere mischten sich mit ankommenden.

Fünf Männer gingen an ihnen vorbei zu einem schwarzen Kleinbus.

Der Letzte winkte Alexandra zu. „Hallo, Lexy!“

„Guten Morgen, Ben.“

Sabrina sah auf, es war der Typ, mit dem Alexandra vorgestern an der Bar gequatscht hatte. Ihr Blick wanderte über die schwarze Jeans und das passende T-Shirt, die sich an seinen drahtigen Körper schmiegten. Das dunkelbraune Haar fiel ihm in sanften Wellen über die Schultern.

Ihre linke Augenbraue schnellte nach oben. Hallöchen!

„Ich melde mich in den nächsten Tagen, wegen des Songs.“

„Super. Gute Heimreise!“

„Dir auch.“ Er verschwand hinter den vorangegangenen Männern im Bus.

Sabrina schürzte die Lippen. „Hm, der würde mir auch gefallen“, entfuhr es ihr.

„Vergiss es, er will keine sexuellen Abenteuer.“ Alex knuffte sie in den Oberarm.

„Dabei muss es ja nicht bleiben.“ Sie rieb über die Stelle.

Die Taxifahrer verluden ihre Koffer, die fünf Frauen fielen sich in die Arme und verabschiedeten sich. Alexandra sah sie nacheinander an, räusperte sich.

„Nochmals danke für eure Offenheit und Freundschaft. Und dass ihr mir eine Chance gegeben habt. Ich habe euch sehr viel zu verdanken.“

Sie nickten und winkten sich noch einmal zu, dann verteilten sie sich auf die Fahrzeuge.

Sabrina teilte sich das Taxi mit Jasmin. Sie nannten ihre Adressen, die gewünschte Reihenfolge und lehnten sich in den Sitzen zurück. Verfielen in einvernehmliches Schweigen. Sabrina sah aus dem Fenster, ihre Gedanken kehrten zu diesem Schweizer Musiker zurück. Er war ihr vorgestern in der Bar gar nicht aufgefallen, als Alexandra sich mit ihm unterhalten hatte. Und beim Konzert vorher hatten sie so weit hinten in der Menge gestanden, dass sie die Mitglieder seiner Band nicht richtig hatte sehen können. Wie hießen sie noch gleich? Ach ja, Charisma.

Dass er Alexandras Story in einen Song packen wollte, empfand sie immer noch als den absoluten Hammer! So etwas Obergeiles konnte auch nur Lexy passieren.

Na gut, sie war ja die Business Bitch gewesen, die von ihrem Team auf diese Metal Cruise verbannt worden war, zum Leiden und Lernen. Letzteres hatte sie auf jeden Fall, Ersteres nur kurz. Ihre Geschichte war es wert, erzählt zu werden, und ein Metal-Song war die richtige Form dafür. Sie war gespannt, wie dieser Ben die Kontraste einfangen und darstellen würde, die in Alexandras Veränderung aufgetreten waren.

Von der vereinsamten Frau mit Power-Fassade zum humorvollen Metalfan mit Freunden. Gekrönt davon, dass sie in diesen Ausnahmetagen unerwartet die Liebe gefunden hatte.

Nun, sie war nicht die Einzige gewesen, die ihr Herz verloren hatte.

Sabrina grinste und wandte sich zu Jasmin um, griff nach ihrer Hand. „Du vermisst Oliver jetzt schon, oder?“

Jasmin wandte ihr den Kopf zu und lächelte schmerzlich. „Ja. Schon komisch, oder? Mich hat es total erwischt und ich glaube, ihn auch. Jetzt müssen wir gucken, wie das mit der Fernbeziehung läuft.“

„So weit weg ist Berlin nun auch wieder nicht. Ich denke, ihr müsst es nur wirklich wollen.“

„Sagt die Beziehungsexpertin.“

Sabrina verzog das Gesicht. „Ja, ja, schon gut. Ich wollte dich nur aufmuntern.“

„Wart’s nur ab“, meinte Jasmin und tätschelte ihre Hand mit der anderen, „dich wird es auch noch irgendwann treffen.“

Sabrinas raues Lachen brach aus ihr hervor. „Wer’s glaubt!“

Juni – Aus den Fugen

1.

„Lexy, ich glaube, wir müssen uns mal ernsthaft unterhalten“, murmelte Sabrina und grinste. Sie griff nach ihrem Handy, schoss ein Foto von dem gestoppten YouTube-Video und schickte es per WhatsApp an Alexandra. Dann stellte sie den Laptop auf den Couchtisch, nahm die Astra-Flasche und lehnte sich auf ihrer betagten braunen Ledercouch zurück. Die Füße pflanzte sie mit gekreuzten Knöcheln direkt neben den Computer.

Sabrina trank ein paar Schlucke Bier und hatte gedanklich gerade bis acht gezählt, als ihr Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch an und flötete: „Jaaaa?“

„Bitte, sag mir, dass es außer dir noch niemand gesehen hat!“, bettelte Alexandra.

Sabrina brach in Gelächter aus. „Da geht aber jemandem der Arsch auf Grundeis, was?“

Am anderen Ende der Leitung erklang ein Stöhnen. „Ich habe Daniel von Anfang an gesagt, dass es schwierig wird, das geheim zu halten.“

„Warum tut ihr es dann?“

„Es soll eine Überraschung werden.“

„Und wann ist es soweit?“

„Bei der nächsten Metal Cruise, im Herbst. Hältst du so lange dicht?“

Sabrinas Lächeln wurde sanfter. „Natürlich, was glaubst du denn?“

Alexandra seufzte vor Erleichterung. „Ich danke dir.“

„Du kennst aber das Prinzip von YouTube, oder? Die Videos kann jeder sehen. Auch Lissy, Laura, Jasmin oder ihre Männer.“

„Ich weiß“, stöhnte Alex, „aber ich hoffe, dass sie es bis dahin nicht tun.“

„Hm“, machte Sabrina. „Vielleicht hast du ja Glück und die Mädels übersehen das letzte Wort im Titel des Videos.“

„Das da lautet?“

„Heiratsantrag.“

„Scheiße!“, fluchte Alexandra gedehnt.

„Jepp! Ich drücke euch dann mal die Daumen, dass es nicht auffliegt.“

„Vielen Dank auch!“

„Glückwunsch übrigens. Und Gruß an Daniel. Schön, dass er sich nicht mit halben Sachen zufriedengibt.“

Alexandra lachte. „Er war nur schneller als ich. Es passt einfach zwischen uns.“

„Tja, wenn’s passt, dann passt’s eben.“

„So philosophisch kenne ich dich gar nicht.“

„Nee, bin nur müde“, wich sie aus. „Und deshalb lege ich jetzt auf. Gute Nacht!“

„Dir auch, bis dann.“

Sabrina tippte auf den roten Hörer, trank ihr Bier aus und seufzte.

Ja, sie war zwar müde, aber hauptsächlich wehmütig gestimmt. Schon eine ganze Weile. Ihre Freundinnen verschwanden nach und nach in festen Beziehungen oder Ehen, selbst Alex, die erst letzten Herbst dazugestoßen war.

Nur sie war noch Single, kein potentieller Partner in Sicht. Oder eine Partnerin. Wer sollte da nicht schwermütig werden?

Scheiße, das war doch lächerlich! Sie würde direkt unter Beweis stellen, dass es nur die Überraschung gewesen war, die sie aus der Fassung gebracht hatte.

Sie rutschte von der Couch, setzte sich in den Schneidersitz und holte den Laptop auf dem Couchtisch zu sich heran. Startete das Video der letzten Metal Cruise neu.

Daniel und Alexandra betraten die Bühne auf dem Pooldeck. Der blondgelockte Sänger reichte Daniel das Mikrofon, und sobald der anfing zu sprechen, schoss die Rührung durch Sabrinas Körper. Als Daniel auf ein Knie ging, schnürte ihr der Kloß die Kehle zu. Und nach Alexandras „Ja!“ traten ihr Tränen in die Augen. Sie wischte sie mit einer heftigen Handbewegung fort.

Himmel, Arsch, was war nur mit ihr los?

Wurde sie jetzt weich? Oder verrückt?

Ja, das musste es sein. Sie drehte am Rad.

Sie wusste nur nicht, warum.

 

*

 

Im Nachhinein fragte sie sich gelegentlich, ob ihr absonderlicher Gefühlszustand dafür verantwortlich war, dass sie den Brief anfangs nicht verkraften konnte, der sie am nächsten Tag erreichte.

Sabrina kehrte gegen Mitternacht von ihrer Schicht im Hurricane zurück, der Szene-Bar, in der sie als Barkeeperin angestellt war. Es war ein relaxter Abend gewesen, wie so oft am Mittwoch, und ihr Kollege Jens hatte sich bereiterklärt, den Kehraus allein zu machen.

In ihrem Briefkasten fand sie eine Handvoll Post, die sie in ihren Rucksack stopfte, um schnellstmöglich die drei Etagen zu ihrem offenen Dachgeschossapartment hochzulaufen. Sie öffnete die Wohnungstür und prallte vor der stickigen Hitze zurück.

Das Haus war zwar vor einigen Jahren saniert und neu gedämmt worden, aber einer Hitzewelle hatte es nichts entgegenzusetzen. Sabrina riss alle Fenster auf, ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus, die sie in einem Zug zur Hälfte leerte.

Sie kickte die Boots in die Garderobe, ging mit Flasche und Post zur Couch und warf sich darauf, schaltete die Stehlampe ein. Die Beine drapierte sie über der Rückenlehne, dann nahm sie noch einen Schluck und klemmte die Flasche zwischen Hüfte und Leder.

Bei den ersten drei Briefen handelte es sich um Werbung und Rechnungen, unspektakulärer Alltag. Der durch Brief Nummer vier in Stücke gerissen wurde.

Ein Umschlag in der Größe DIN A5, der Absender war eine Künstleragentur.

Sabrina runzelte die Stirn. Weder kannte sie diese Agentur, noch wusste sie, warum sie ihr Post schickten. Sie fuhr mit dem Finger unter die Lasche und riss sie auf. Darin kam ein kleinerer Umschlag zum Vorschein, cremefarben, auf dem in schwungvollen Großbuchstaben ihr Name stand.

Sonst nichts.

Sie drehte ihn hin und her und grübelte. Was sollte das werden?

Diesmal ließ sie beim Öffnen mehr Vorsicht walten, wollte nichts beschädigen. Sie fand zwei Bögen Papier, passend zum Umschlag. Dicht mit Kugelschreiber beschrieben, in einer nach links geneigten, ausladenden Schrift mit Schnörkeln. Im ersten Moment konnte sie nur die Unterschrift entziffern.

Chris.

Sie zog die Augenbrauen zusammen. Wer, zum Teufel, war dieser Chris?

Und warum schrieb er ihr einen Brief?

Sabrina veränderte ihre Position so weit, dass das warme Licht aus den fünf von innen goldfarbenen Lampenschirmen auf das Papier fiel. Zu ihrer Verwunderung fiel es ihr nicht schwer, die Schrift zu lesen. Der Inhalt ließ sie nach wenigen Sätzen aufkeuchen.

 

Meine liebe Sabrina,

ich weiß, ich bringe dein Leben mit diesem Brief gewaltig durcheinander, aber ich kann und will nicht länger schweigen. Ich habe es, aus Rücksicht, viel zu lange getan.

War der Schatten, der dich all die Jahre nur beobachten durfte.

Am besten sage ich es gerade heraus – ich bin dein Vater.

Stell dir jetzt bloß nicht Darth Vader vor! Auch wenn meine Stimme vielleicht ähnlich klingt, ich sehe auf jeden Fall wesentlich besser aus.

 

„Was?“ Voller Ungläubigkeit las sie den Abschnitt noch einmal, stieß ein „Pah!“ hervor.

Wollte der Kerl sie verarschen?

 

Ich kann mir vorstellen, wie unecht das alles für dich klingt. Du bist mit Mutter, Vater und Schwester aufgewachsen, aber Rita und Wolfgang waren noch kein Paar, als wir uns kennenlernten.

Es war eine wunderbar wilde Zeit, die wir miteinander verbrachten. Ich war mit meiner Band in Hamburg, wir wandelten auf den Spuren der Beatles. Rita war … nein, davon erzähle ich dir persönlich.

Ich möchte endlich mit dir reden, dich wirklich kennenlernen.

Welche Musik hörst du?

Spielst du vielleicht sogar selbst?

Wie sieht dein Leben aus?

Ich weiß, dass du Barkeeperin bist, aber nicht, ob es dir Spaß macht.

Welche Zukunftspläne hast du?

Hast du Familie? Ich konnte bisher niemanden entdecken.

Scheiße, du denkst jetzt bestimmt, ich sei ein Stalker.

Es tut mir leid, ich wollte dich nicht überfallen.

Bevor wir auf Asientour gingen, im letzten Jahr, habe ich erfahren, dass dein Stiefvater verstorben ist. Seitdem ringe ich mit mir. Ob ich dir schreibe oder nicht.

Wie du siehst, habe ich mich zu einer Entscheidung aufgerafft, auch wenn ich sie nur aus purem Egoismus gefällt habe.

Deine Mutter und ich sind immer in Kontakt geblieben, weil sie mir nicht verwehren wollte, dich wenigstens sehen zu können.

Sie hat mir deine Adresse nur unter dem Versprechen gegeben, dass ich nicht gleich vor deiner Tür auftauche, und daran werde ich mich halten.

Wenn du gleichfalls Kontakt mit mir haben willst – und das hoffe ich sehr! -, dann frag deine Mutter. Sie hat meine private Handynummer und die meines Agenten.

Vielleicht darf ich dich bald in den Arm nehmen? Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Ich warte auf deinen Anruf.

In Liebe,

Chris

 

Hatte der sie nicht mehr alle?

Sie überflog die Seiten ein weiteres Mal und blieb an einzelnen Worten hängen, die nicht in ihren Kopf wollten. Nein, nein, nein. Das war ein übler Scherz, den sich jemand mit ihr erlaubte. Wem hatte sie dermaßen auf die Füße getreten?

Ein winziger Teil von ihr protestierte gegen die Gedanken. Der Teil, der diesem Chris sofort glaubte. Alles.

Sabrina schleuderte den Brief von sich und schlug die Hände vors Gesicht. In ihr tobte ein solcher Aufruhr, dass sie nicht wusste, ob sie heulen oder schreien sollte.

2.

Nach einer viel zu kurzen Nacht, erfüllt von Grübeleien und Gefühlschaos, warf sie ihre Klamotten in die Sporttasche und rannte regelrecht aus dem Haus. Die Trainingsräume ihres Boxvereins öffneten in einer Stunde, sie musste dringend auf etwas einschlagen.

Sabrina eilte zur U-Bahn-Station, die Treppe hinab und aus einem Impuls heraus auf die andere Seite des Bahnsteigs. Die Bahn fuhr in diesem Moment ein.

Sie ließ sich auf einen freien Sitzplatz fallen, stellte die Tasche zwischen ihren Füßen ab. Mit den Fingern kämmte sie ihre lila Locken nach hinten und fasste sie mit einem Haargummi zusammen. Die Luft war schon jetzt unerträglich und trieb ihr den Schweiß aus sämtlichen Poren.

Ein paar Haltestellen später stieg sie in Winterhude aus und marschierte zwei Straßen weiter auf den weißen Jugendstilwohnblock zu, in dem ihre Mutter wohnte, seitdem ihr Ehemann verstorben war.

Seltsam, Sabrina konnte Wolfgang nicht mehr als ihren Vater bezeichnen.

Als ob sie nur darauf gewartet hätte.

Sie klingelte und rannte die Treppen zum ersten Stock hinauf.

„Hallo, Mama!“ Sie blieb vor ihrer Mutter stehen.

„Sabrina!“ Rita Merz wirkte unangenehm überrascht, wie sie die Hand an ihren Hals legte und sie mit aufgerissenen Augen anstarrte.

Sabrina zog die Augenbrauen zusammen, ihr Misstrauen war geweckt. „Ist irgendwas?“

„Nein, nein, ich habe dich nur nicht erwartet. Was machst du hier?“

Sabrina trat einen Schritt auf sie zu. „Ich muss dringend mit dir reden, ich habe gestern …“

„Rita? Ist sie das?“ Die heisere und gleichzeitig raue Männerstimme erklang aus der Küche, kam näher.

Sabrina versuchte, über die Schulter ihrer Mutter hinweg etwas zu sehen, und erstarrte, als er in ihr Blickfeld kam. Rita trat einen Schritt zurück.

Sie wusste sofort, dass es dieser Chris sein musste, der da ein paar Meter von ihr entfernt stand. Dunkelbraunes Haar mit ersten silbernen Fäden, grünbraune Augen, ausgeprägte Züge. Sie hatte das Gefühl, in den Spiegel zu sehen. Er trug helle Jeans, ein Shirt und darüber ein weiß-schwarzes Holzfällerhemd ohne Ärmel.

Scheiße, hatte sie ihre Vorliebe für diese Hemden etwa von ihm geerbt?

„Sabrina, hallo!“ Jetzt klang seine Stimme zittrig und dünn.

Die Situation schnürte ihr die Kehle zu, lastete auf ihrer Brust.

Sabrina starrte ihre Mutter an, voller Wut und widerstrebender Gefühle. Sie wollte sie beschimpfen, ihr Vorwürfe machen, öffnete sogar den Mund. Doch es kam nichts heraus.

Stattdessen übernahmen ihre Beine das Kommando, sie trugen sie rückwärts, zur Treppe.

Rita streckte die Hand nach ihrer älteren Tochter aus. „Nein, Sabrina, bleib!“

Doch sie hörte nicht, bewegte sich weiter auf die Treppe zu.

Chris schob sich an ihrer Mutter vorbei, kam auf sie zu. „Sabrina …“

Seine Stimme versagte und Sabrina löste sich aus der Trance und lief davon.

 

*

 

Sabrina wischte sich mit dem Unterarm eine Locke aus der Stirn, nahm die Fäuste hoch und die Malträtierung des Boxsacks wieder auf. Linke und rechte Gerade, eine Doublette, Gerade, Gerade, Schwinger. Ein Schritt zurück. Und das Ganze von vorn. Bis sie nur noch Geraden auf den Sack abfeuerte, auf ihn eindrosch, als wolle sie ihm den Inhalt herausprügeln.

Dabei hätte sie lieber verbal auf ihre Mutter eingeschlagen.

Wenn Chris nicht log, wie hatte sie ihr all die Jahre ihren Vater vorenthalten können?

Vielleicht hätte das alles geändert.

Sie quälte den Boxsack, bis das Adrenalin abgebaut war, und fiel ausgepowert auf die Knie. Sie keuchte, der Schweiß lief in Strömen über ihren Körper. Aber es ging ihr besser.

Sabrina erhob sich, streifte die Handschuhe ab und ging auf zittrigen Beinen unter die Dusche. Dort wurde sie ruhiger und versuchte, ihre Gedanken in klare Bahnen zu lenken. Bevor sie über weitere Schritte nachdenken konnte, musste ihre Mutter erst einmal ein paar Fragen beantworten. Die Verlockung, ihre Erinnerungen zu durchforsten, war da, aber sie weigerte sich.

Mit der Sporttasche über der Schulter trat sie schließlich auf die Straße, griff nach ihrem Handy. Sie hatte eine Nachricht von ihrer Mutter erhalten.

 

Komm zu mir und lass uns einen Kaffee trinken, dann können wir reden. Allein.

 

*

 

Die Wohnungstür flog auf, und das Erste, was Sabrina an ihrer Mutter sah, war Erleichterung.

Rita stieß die Luft aus, ließ ihre Tochter eintreten und warf die Tür zu. Dann zog sie sie in ihre Arme. „Komm her, Süße!“, murmelte sie in ihr Haar und drückte sie.

Sabrina ließ die Tasche zu Boden rutschen und erwiderte die Umarmung für einen Augenblick, bevor sie sich löste.

„Du hast was von Kaffee geschrieben.“

Rita nickte. „Wie wäre es mit Eiskaffee auf dem Balkon?“

Sabrina zuckte die Schultern und folgte ihr in die Küche, lehnte sich gegen den Türrahmen. Die Arme unter der Brust verschränkt kaute sie auf ihrer Unterlippe, sah ihrer Mutter bei der Zubereitung zu und wusste keinen Anfang zu machen.

„Eis oder Milch?“

„Eis.“

Zum Schluss gab Rita noch Sahne obendrauf, steckte Trinkhalm und lange Eislöffel in die Gläser und drehte sich damit um. Sie bedeutete Sabrina mit einem Kopfnicken, auf den Balkon vorzugehen.

Die hausseitige Hälfte des Balkons lag bereits im Schatten. Sabrina ließ sich in einen der Rattansessel fallen, streckte die Füße von sich und nahm dankend ein Glas entgegen. Sie löffelte etwas Sahne und Eis aus dem kalten Kaffee, zerkleinerte die Eiscreme und fing an, alles durchzurühren.

„Nun lass es schon raus, du hast bestimmt unzählige Fragen“, seufzte ihre Mutter.

Sabrina sah sie an. „Er hat nicht gelogen, oder?“

Rita schüttelte den Kopf.

Sabrina spürte die gedämpfte Hitze in ihrem Bauch und war froh, dass sie die Wut abgebaut hatte, sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen.

„Warum hast du mir nie die Wahrheit gesagt?“

„Ich hatte eine Abmachung mit deinem … mit Wolfgang. Er hat mich geheiratet, dich als sein Kind angenommen und sich um uns gesorgt. Unter der Voraussetzung, dass ich Chris nie wiedersehe und du niemals die Wahrheit erfährst.“

„Wie konntest du dich dermaßen erpressen lassen?“, erboste Sabrina sich.

Rita biss sich auf die Unterlippe. „Das waren andere Zeiten, wenn auch besser als in den Siebzigern. Außerdem hatte ich nicht den Mut, als alleinerziehende Mutter zu leben.“

„Wenn ich Chris richtig verstanden habe, wollte er doch zu mir stehen.“

„Ich hatte Angst, Süße! Angst vor dem unbeständigen Leben mit einem Musiker, vor der Öffentlichkeit und davor, dass er mich vielleicht gar nicht liebte.“

Sabrina schüttelte den Kopf, saugte an ihrem Halm und sah hinaus auf die grüne Oase im Innenbereich des Wohnblocks. Sie konnte diese Denkweise absolut nicht nachvollziehen.

„Wie habt ihr euch kennengelernt?“, wollte sie schließlich wissen.

„Harrisson waren für ein paar Wochen in Hamburg, sie …“

„Wer sind Harrisson?“, unterbrach Sabrina.

„Chris‘ Band. Also, sie waren für ein paar Wochen in Hamburg und tingelten durch die Clubs, so wie die Beatles in den Sechzigern. Ich war eine derjenigen, die fast jeden Abend vor der Bühne standen und abrockten. Ihre Musik war der komplette Gegensatz zu dem, womit man im Radio überschwemmt wurde. Und ich habe deinen Vater angehimmelt, im Gegensatz zu den anderen Mädchen. Die schwärmten nur für den Sänger.“

Rita lächelte und machte eine Pause, um von ihrem Eiskaffee zu trinken.

Sabrina musterte ihr Gesicht, es wirkte entspannt und glücklich, vielleicht wegen der Nostalgie, die durch ihre Erzählungen aufkam.

„Hat er dich aufgerissen?“ Ach, verdammt, sie hatte nicht so schroff klingen wollen.

Ihre Mutter reckte das Kinn. „Zieh es nicht in den Schmutz, so war es nicht!“

Einen Augenblick funkelten die Frauen sich an, dann senkte Sabrina den Blick und entschuldigte sich.

Rita stieß die angehaltene Luft aus. „Es waren die schönsten Wochen meines Lebens. Ich war noch frei, genoss die Musik, die Stadt. Dein Vater nahm mich mit auf Partys oder wir saßen einfach an der Elbe und haben etwas getrunken. Mal mit, mal ohne die anderen Jungs von Harrisson. Nur der Frontsänger, Jo, war einer von den Aufreißertypen und jeden Abend mit einer anderen im Arm unterwegs.“

„Was heißt ‚noch‘ frei?“ Eine unschöne Vorahnung keimte in Sabrinas Brust auf.

Ihre Mutter schluckte sichtlich. „Unsere Eltern hatten Wolfgang und mich einander vorgestellt, ein paar Wochen vorher.“

„Sag mir nicht, sie haben eure Ehe eingefädelt!“, stieß Sabrina hervor, riss die Augen auf.

„Doch, so war es. Deine Großeltern waren erzkonservativ, genauso wie meine Schwiegereltern.“

„Zu der Zeit? Willst du mich verarschen?“

Rita biss die Zähne zusammen und sah ihr in die Augen. „Ja, ich gebe es zu, ich war schwach. Ich stand unter ihrer Fuchtel und habe mich nicht getraut, mich zu wehren. Als ich Wolfang dann gesagt habe, ich sei schwanger, habe ich trotz meiner Ängste gehofft, dass er sich abwendet. Ich habe ihn zwar gemocht, aber ich wollte einen Mann heiraten, den ich wirklich liebte. Dann hat er mir diesen Vorschlag gemacht, nur Gott weiß, warum.“

Sie trank das Glas aus und stellte es auf den Tisch.

Sabrina betrachtete sie und erinnerte sich an die vielen Kleinigkeiten, die sie von ihrem Stiefvater hatte erdulden müssen. Sticheleien, herablassende Blicke, zusammengepresste Lippen, Kälte.

„Deswegen hat er mich nicht geliebt, oder?“ Sie musste flüstern, zu mehr fehlte ihr die Kraft.

Rita seufzte. „Am Anfang hat er sich liebevoll um dich gekümmert, er war dir ein guter Vater.“

„Das bezweifle ich“, ätzte Sabrina. „Du musst mich mit Marie verwechseln.“

„Habe ich einen Grund, dich anzulügen?“, platzte es aus ihrer Mutter hervor. „Oder es im Nachhinein zu beschönigen? Ich weiß sehr genau, wie er war, besonders dir gegenüber. Es begann mit der Schulzeit, als du Chris immer ähnlicher wurdest. Er hat sich versperrt, es dich spüren lassen, dass du nicht seine leibliche Tochter bist. Und ich habe ihn dafür gehasst.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte vor sich hin, Tränen in den Augen.

Der Anblick schmerze Sabrina so sehr, dass sie ihr Glas wegstellte, vor ihrer Mutter auf die Knie ging und den Kopf in ihren Schoß legte, die Arme um ihre Beine geschlungen. So wie sie es als Kind getan hatte.

„Ach, Mama, es tut mir so leid“, seufzte sie und schloss die Augen.

„Mir auch, meine Süße. Mir auch.“ Rita strich ihr übers Haar und den Rücken.

„Wie hat es sich geäußert, dass ich meinem Vater immer ähnlicher wurde?“

Sie lachte. „Ihr steht zweifellos auf die gleiche Musik und Holzfällerhemden.“

Sabrina hockte sich auf die Fersen und sah sie an. „Und sonst?“

Rita betrachtete ihr Gesicht. „Du meinst, außer der offensichtlichen Ähnlichkeit?“

Sie nickte.

„Das sanfte Gemüt innen und die leichte Kratzbürstigkeit außen. Nur dass die bei dir viel stärker hervortritt. In der Pubertät artete es in Aufsässigkeit aus, Rebellion.“

„Wundert dich das?“

„Nein, meine Süße, das hat es noch nie.“

Sabrina fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Mann, das muss ich erst einmal verarbeiten. Mir schwirrt der Kopf.“

Rita strich ihr über den Arm und nahm ihre Hand. „Du kannst jederzeit zu mir kommen, ich werde dir alle Fragen beantworten. Und ich könnte mir vorstellen, dass Chris ebenso dazu bereit ist.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann das noch nicht, ich muss erst mal damit klarkommen.“

„Er wird warten, Sabrina. Das hat er schon immer.“

3.

Ben zog den letzten Ton des Abschluss-Licks in die Länge und setzte synchron zum Schlagzeug den Schlusspunkt.

„Wäutsguet!“, rief Frank und trat vom Mikrofon zurück. „Ich würde sagen, wir machen Schluss und gönnen uns noch eine Auszeit, oder?“

Ben nickte, packte die E-Gitarre am Hals und zog den Gurt über den Kopf, stellte sie in ihre Halterung.

„Ich muss nachher unbedingt nochmal meine Gitarre stimmen“, murmelte Steffen, stellte seine Bassgitarre in die Halterung daneben und kratzte sich das Ziegenbärtchen.

„Mann, hör auf, Alter!“ Markus lachte und verpasste ihm einen spielerischen Tritt in den Hintern. „Mehr als 100% geht nicht.“ Seine Gitarre bekam den letzten freien Ständer.

„Dann sind es eben nur 99%, na und?“ Curt steckte seine Drumsticks in die Gesäßtasche seiner Cargohose, legte den beiden je einen Arm um den Nacken und führte sie von der Bühne. Steffen grummelte vor sich hin.

Frank grinste und warf ihm einen Blick zu. „Was ist? Bist du nicht zufrieden?“

Er schlug Ben auf die Schulter und sie folgten den drei Jüngeren.

„Doch, alles gut“, wich er aus. „Denkst du daran, dass wir beide nach dem Konzert noch zur Hochzeit von Alexandras Freunden fahren?“

„Klar, alles cool.“

Sie verließen den Club, stiegen in den Van und Hannes fuhr sie ins Hotel.

Curt betrachtete sein Abbild im getönten Seitenfenster und fuhr mit den Fingerspitzen die Stacheln seiner Irokesenfrisur nach.

„Alter, du bist eitler als ein Pfau“, lästerte Markus und kicherte.

„Hey, das muss alles perfekt sitzen! Das gehört zum Image.“

„Ja, klar. Wie sieht es mir dir aus“, wandte Markus sich an Steffen. „Bist du heute Abend dabei? Eine Runde über die Reeperbahn?“

Bevor der antworten konnte, schaltete Frank sich ein. „Aber Uta darf nichts davon erfahren, sonst fährt sie nur noch mit uns auf Tour!“

Die vier Männer lachten und blödelten weiter herum, doch ihm war nicht danach.

Ben starrte aus dem Fenster und versuchte, den Grund für seine latente Unruhe herauszufinden. Die war schon einige Male aufgetaucht, seitdem er dreißig geworden war, aber in den letzten Monaten tat sie es häufiger. Und das gefiel im nicht, denn der Stapel mit den gefühlsbetonten Kompositionen wuchs beständig.

Vielleicht sollte er sich demnächst ein langes Wochenende ausklinken und irgendwo entspannen. Es fand sich bestimmt eine Zeitlücke zwischen zwei Festivalauftritten.

Vor dem Hotel angekommen verabredeten sie mit Hannes, wann sie abgeholt werden wollten, und fuhren hinauf. Sobald Ben und Frank das gemeinsame Zimmer betraten, zog der Leadsänger das Handy aus der Gesäßtasche seiner Jeans. Es war sein tägliches Ritual, seine Frau Jenny anzurufen, die zu Hause in Bern auf ihn wartete.

Ben und Frank kannten sich seit der Schule und hatten Charisma gegründet. Ben war dabei gewesen, als Frank Jennifer kennen- und liebengelernt hatte, er war sogar sein Trauzeuge gewesen. Sie war Franks Ruhepol und Ausgleich und insgeheim beneidete Ben seinen Freund um diese Beziehung.

Normalerweise machte es ihm nichts aus, aber heute würde er das liebevolle Telefonat nicht aushalten.

„Schönen Gruß“, flüsterte er deshalb, griff nach seinem Gitarrenkoffer und fuhr nach oben auf die Dachterrasse.

Ben steuerte den separaten VIP-Bereich an, in dem sich zu dieser Zeit niemand aufhielt und ließ sich an dem hintersten Tisch unter einem Schirm nieder. Er packte Akustikgitarre und Notenbuch aus, bestellte einen Ingwer-Eistee und zupfte ein wenig an den Saiten herum, bis ihm dieser gebracht wurde.

Zur Vorsicht stellte er auf seinem Handy den Alarm ein, trank einen Schluck und widmete sich seinem Instrument. Er dachte an Franks Ehe und fragte sich, ob auch er eines Tages die Richtige finden würde. Die eine, die er heiraten und bis an sein Lebensende lieben wollen würde.

Seine Finger nahmen die Schwingungen auf und verwandelten die Gefühle in Töne und Harmonien, eine Melodie. Und dabei hatte er die Unbekannte immer vor Augen, eine Silhouette, in diffusem Licht.

 

*

 

Nachdem sich alle am Buffet den Bauch vollgeschlagen hatten, ging man zum gemütlichen Teil des Abends über und wechselte dafür auf die Terrasse. Der DJ legte das erste tanzbare Set auf und forderte Melissa und Tom auf, als Brautpaar den Tanz zu eröffnen. Die Hochzeitsgesellschaft begleitete sie mit Applaus. Dann bat der DJ auch die Trauzeugen und Elternpaare aufs Parkett und viele andere Gäste folgten.

An Sabrinas Tisch blieben nur Oliver, Jasmin und sie selbst zurück.

„Wie wäre es mit einem Schälchen Erdbeeren?“ Oliver beugte sich zu Jasmin und küsste sie auf die Schläfe.

Die grinste. „Mach gleich eine ordentliche Schale draus!“

Er lachte, erhob sich und schlenderte zum Buffet.

Sabrina streifte den schwarzen Blazer ab, hängte ihn über die Stuhllehne und richtete die Spaghettiträger des lila Seidentops. Die Hitze war in den eleganten Klamotten noch viel weniger erträglich und sie war froh, dass Laura ihr die Locken für die Hochzeit hochgesteckt hatte.

Sie stupste Jasmin mit dem Ellbogen an und lächelte. „Hast du vielleicht ein kleines Geheimnis? Du hast noch nicht einen Tropfen Alkohol getrunken und seltsame Gelüste.“

Jasmin errötete und nickte. „Aber bitte verrate es noch keinem, Lissy und Tom sollen ihre Hochzeitsfeier genießen. Wir wollen es ihnen erzählen, bevor wir gehen.“

Sieh an, schon das zweite Geheimnis, das sie bewahren sollte! Sabrina tat, als verschlösse sie ihren Mund, und schlang die Arme um ihre Freundin.

„Ich freue mich so für dich! War es geplant?“

„Nein, und ich hatte totalen Schiss, es Oliver zu sagen. Aber er hat sich gefreut wie ein Schneekönig. Als ob er nur darauf gewartet hätte.“

„Ich hätte nie gedacht, dass aus dem Rummachen auf der Cruise mal etwas so Ernstes wird.“

„Ich auch nicht, aber unser Glück ist perfekt.“ Jasmin hielt ihre linke Hand hoch, an dessen Ringfinger ein schmaler Silberring mit Steinchen funkelte.

„Nein!“, stieß Sabrina hervor und ergriff ihre Hände. „Wann ist es soweit?“

„Die Hochzeit ist am letzten Augustwochenende. Reich schon mal Urlaub ein!“

Sie lachten zusammen. Sabrina sah das Glück in den Augen ihrer Freundin und ihr Lächeln wurde wehmütig.

„Du hast es verdient, weißt du?“

Jasmins Lächeln verblasste. „Was belastet dich? Du bist den ganzen Tag nicht bei der Sache.“

Bevor Sabrina antworten konnte, sah sie auf. Oliver trat neben Jasmin, stellte ihr eine Schale Erdbeeren auf den Tisch und machte Anstalten, sich hinzusetzen.

Seine Verlobte legte ihm eine Hand auf den Arm. „Kannst du uns noch etwas allein lassen?“

Oliver warf Sabrina einen Blick zu und nickte. „Ich bin an der Bar.“ Mit einem Kuss auf ihre Stirn verabschiedete er sich.

Jasmin schob die Schale ein Stück in Sabrinas Richtung, so dass sich beide davon bedienen konnten, und nahm sich direkt eine der prallen, roten Früchte. Sie kaute, schaute ihre Freundin an und hob zur Aufforderung die Brauen.

Sabrina trank ihr Bier aus, atmete tief durch und erzählte so knapp wie möglich von den Veränderungen der letzten Tage.

„Ich bin immer noch durch den Wind“, schloss sie und steckte sich ebenfalls eine Erdbeere in den Mund.

„Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Jasmin lachte auf. „Mann, das ist hart. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen würde, dass meine Welt auseinanderbricht. Ich wünschte, du hättest jemanden an deiner Seite.“

Sabrina zuckte die Schultern und schwieg. Leider war dem nicht so.

„Wie geht es jetzt weiter? Wirst du Chris treffen? Willst du ihn kennenlernen?“

Sabrina seufzte. „Ich weiß es nicht“, flüsterte sie. „Es ist ja nicht so, dass ich ihn hassen würde oder so. Er hat keine Schuld an diesem Mist. Aber im Moment habe ich Angst, ihm gegenüberzutreten.“

„Warum?“

„Ich weiß es nicht genau. Er wirft halt alles über den Haufen.“

Jasmin schloss sie in die Arme und drückte sie. „Wenn du reden möchtest, ruf an!“

 

*

 

Die meiste Zeit über saß Sabrina am Tisch und beobachtete ihre Freunde beim Feiern. Zu vorgerückter Stunde kam Jasmin angelaufen und zerrte sie an der Hand auf die Tanzfläche.

„Der DJ legt gleich Metal auf, angefangen mit ‚Engel‘. Komm schon, die anderen drei wollen ihre Performance von der Cruise wiederholen und ich will mitmachen!“

Gesagt, getan. Alexandra, Melissa, Laura, Jasmin und Sabrina legten einen gekonnten Karaoke-Auftritt hin und ernteten lautstarken Beifall. Dann mischten sie sich in die Menge und rockten ab. Zum ersten Mal an diesem Tag dachte sie nicht an Chris oder ihre Mutter, sondern genoss nur das Hier und Jetzt. Schließlich klang das Set in einer Ballade aus und sie konnte sehen, dass Alexandra zum DJ ging und ihm etwas ins Ohr rief.

„Okay, zusammen, ich bekomme gerade eine Info, dass jetzt nochmal alle zur Toilette oder eine Zigarette rauchen können, dann kommt die nächste Überraschung. Bis gleich!“

Sabrina ging zur Bar am Rande der Terrasse und tupfte sich mit einer Serviette den Schweiß aus dem Gesicht, bestellte ein Bier. Sie trank es zur Hälfte aus und beobachtete zwischen den Leuten hindurch, was auf der Tanzfläche passierte.

Alex begrüßte zwei Männer mit einer herzlichen Umarmung, einer davon trug einen Gitarrenkoffer. Daniel und der DJ brachten zwei Barhocker und Mikrofone, dazu ein kleineres für die Gitarre. Die Männer nahmen Platz, der Gitarrist prüfte sein Instrument, sie schienen sich abzusprechen.

Sabrina nahm ihr Glas und trat näher, an den Rand der Tanzfläche, an dem nach und nach sämtliche Gäste eintrudelten. Sie musterte die Musiker, die beide in schwarze Jeans und schlichte schwarze Hemden gekleidet waren. Der Sänger strich sich das schwarze kinnlange Haar nach hinten. Der Gitarrist kam ihr bekannt vor. Das lange braune Haar fiel ihm in Wellen um die Schultern, rahmte ein eckiges Gesicht mit markanter Kinnlinie ein.

Sie versuchte, mehr von ihm zu erkennen, um ihn zuordnen zu können, schaffte es jedoch nicht, da er auf sein Instrument konzentriert war.

Alexandra und Daniel traten auf die Tanzfläche und ihre Freundin nahm das Mikrofon vom DJ entgegen.

„Wo ist das Brautpaar?“, fragte sie und reckte den Hals. Von hinten ertönten Rufe.

„Kommt her, ihr beiden, los, los! Hier, nach vorne, in die erste Reihe.“

Melissa und Tom schlängelten sich durch die Menge und blieben schräg vor Sabrina stehen.

„So, ihr beiden. Daniel und ich haben noch ein extra Geschenk für euch. Ben und Frank von Charisma werden ein paar ihrer Songs zum Besten geben, vor allem aber einen ganz besonderen. Nachdem Ben letztes Jahr diesen großartigen Song über meine Veränderung geschrieben hat, kam mir die Idee eines eigens für euch kreierten Titels. Ben und ich haben viel über euch geredet, Fotos betrachtet … und am Ende ist eine überwältigende Ballade entstanden, die zu euch passt wie die Faust aufs Auge. Hier also Charisma mit eurem Song, ‚Dragons‘.“

Die beiden verließen unter Applaus die Fläche und Sabrina hatte wieder freie Sicht.

Ben also. Ja, sie erinnerte sich an ihn, hatte ihn nur zweimal kurz auf der Cruise gesehen. Einmal neben Alex an der Bar und einmal, als sie von Bord gingen.

Das Licht wechselte zu mehr Wärme. Es wurde still, und Ben zupfte die ersten Töne, Frank stieg mit einem „Mmmhh“ ein. Nach dem Intro folgte ein Schlag Pause, dann setzten Melodie und Text ein.

Sabrinas Augen weiteten sich und sie starrte auf Bens Hände. Der Song und das Instrument ließen etwas in ihr schwingen, zogen ihr Innerstes in einen Strudel. Sie konnte nicht begreifen, was da mit ihr geschah. War ihr der Alkohol zu Kopf gestiegen?

Zum Refrain setzte Bens Stimme ein und bannte sie. Ihr Blick hob sich und begegnete seinem. Die dunkelbraunen Augen sahen bis in ihre Seele, lockten und bezauberten sie. Alles Andere rückte in weite Ferne, sogar die Zeit.

Sie hörte nicht einmal mehr den Text, so gefangen war sie von der Musik.

Was tat er mit ihr?

Ihr Herz hämmerte wie wild gegen die Rippen.

Wie aus dem Nichts verklang der Song in Beifall. Sabrina blinzelte, erwachte aus dem bizarren Zustand und bekam gerade noch mit, dass Melissa auf die Musiker zustürmte. Unter Tränen bedankte sie sich bei ihnen mit einer festen Umarmung, Tom mit einem Handschlag.

Sabrina nutzte den Tumult und zog sich zurück. Sie brauchte dringend einen Whisky. Oder zwei oder drei.

 

*

 

Es kam Ben wie eine Ewigkeit vor, bis das Brautpaar von ihnen abließ und an den Rand der Tanzfläche zurückkehrte. Seine Augen überflogen die Leute, suchten die Unbekannte mit den lila Locken.

Nichts, keine Spur.

Sie spielten ein paar ihrer Songs und er behielt die Gäste im Blick. Aber sie tauchte nicht mehr auf. Nach dem letzten Titel hätte er am liebsten vor Erleichterung aufgeseufzt, jetzt konnte er aktiv werden.

Ob sie diese Verbindung zwischen ihnen ebenfalls gespürt hatte? Niemals zuvor hatte er ein ähnliches Erlebnis gehabt, er musste dem nachgehen. Er konnte sie nicht verschwinden lassen, ohne ein paar Worte mit ihr gewechselt zu haben.

Oder hatte er sie sich nur eingebildet?

Ben verstaute seine Gitarre und den Koffer neben dem DJ-Pult, dann gingen Frank und er zur Bar. Sie fanden einen Platz an der linken Ecke, nahmen ihr Bier entgegen und prosteten sich zu.

„Wie lange willst du bleiben?“, fragte Frank. „Wir müssen morgen zeitig zum Flughafen.“

Ben nickte und leckte sich den Schaum von der Oberlippe. „Ich weiß, aber jetzt lass uns erst einmal entspannen.“

Es dauerte nicht lange, bis sich einige der Gäste um sie scharten und hauptsächlich Frank mit Fragen löcherten. Ben lächelte, so war das immer mit den Leadsängern. Er drehte sich mit dem Rücken zur Bar, stützte einen Ellbogen auf und suchte systematisch die Terrasse ab.

Mehrmals.

Ohne Erfolg.

„‚Dragons‘ ist ein echt magischer Song“, ertönte es unvermittelt hinter ihm.

Ben rüstete sich für Small Talk über seine Musik und drehte sich zur Bar um. Sein Herz stolperte und schlug umso schneller weiter.

Da war sie.

„Das Gefühl hatte ich gerade auch“, murmelte er und starrte in ihre grünbraunen Augen, die nur von Wimperntusche betont wurden. Zwei ewige Sekunden lang.

Er streckte ihr die Hand über die Ecke des Tresens entgegen, lächelte. „Ich bin Ben.“

„Sabrina.“ Sie schüttelte seine Hand mit kraftvollem Griff und erwiderte sein Lächeln.

Dann hob sie ihr Glas und prostete ihm zu. Ben erwiderte den Gruß und trank von seinem Bier, musterte den Tumbler in ihrer Hand. Sie nahm einen ordentlichen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, verzog den Mund. Und er konnte nur auf ihre ungeschminkten Lippen starren.

„Hast du eine Zigarette?“, fragte sie.

„Sorry, ich rauche nicht.“

„Sehr löblich.“ Sie trank das Glas aus und bestellte Nachschub. „Ich eigentlich auch nicht, aber es passt so gut zu einem Whisky.“

Er runzelte die Stirn. Betrank sie sich?

„‚Change Your Color‘ finde ich übrigens auch super, du hast Alexandras Veränderung ziemlich gut getroffen.“

„Ist ja auch eine interessante Geschichte. Seid ihr schon lange befreundet?“

Ihr rauchiges Lachen verursachte ein Kribbeln in seinem Bauch. „Nein, wir haben uns auch auf der Cruise kennengelernt. Und ich muss zugeben, dass ich ihr zuerst sehr feindlich gegenüberstand.“ Sie bedankte sich bei dem Barkeeper für das Getränk.

„Warum?“

Sabrina nippte an ihrem Whisky. „Ich arbeite als Barkeeperin in einer Szene-Bar auf St. Pauli und habe schon so manche Business Bitch an meinem Tresen sitzen gehabt. Ich kann nicht behaupten, dass ich diese … Personen mag.

---ENDE DER LESEPROBE---