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Sommer, Sonne, Hexenchaos! Direkt nach den Sommerferien ist Jules schon wieder urlaubsreif. Der Klassenlehrer verkündet ein anstehendes Praktikum! Dabei würde sie viel lieber tagelang den Jungen mit den edelsteingrünen Augen anschmachten, der plötzlich im Harzer Spezialitäten Laden ihrer Mutter aufgetaucht ist. Das erste Date mit Luis geht schrecklich schief, obwohl die Hexenclique extra Liebeszauber-Muffins gebacken hat! Verzweifelt ruft Jules den Hexen-Notstand aus und lässt sich ihr Liebesglück durch die Tarotkarten der Hobbyhexe Bianca vorhersagen. Als Jules schließlich nur Absagen auf ihre Praktikumsbewerbungen erhält und Bianca spurlos verschwindet, ist das Chaos perfekt. Die Harzer Hexenclique ist eine hexisch-freche Buchreihe für junge Mädchen ab 12 Jahren. Verzaubert, witzig und authentisch erzählt, dreht sich bei der Hexenclique alles um die erste große Liebe, Eifersucht, das anstrengende Schulleben und ums Erwachsenwerden. Natürlich nicht ohne die nötige Portion Magie vermischt mit Chaos und Katastrophen.
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Seitenzahl: 187
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Für Nani und Hannelore, meine treuesten Fans.
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
„Können wir wenigstens nicht am ersten Schultag zu spät kommen?“, hechelte ich, als wir bergauf Richtung Schule radelten. Toni war ziemlich pünktlich gewesen, nur auf Bianca hatten wir warten müssen.
„Wenn wir so hetzen, dann ist meine Frisur auch wieder dahin“, meckerte Bianca und fasste sich hektisch in ihre frisch gestylten Locken. Toni lachte und radelte noch schneller. Es war 7:59 Uhr, als wir unsere Räder an den Fahrradständern der Schule anschlossen. Ziemlich verschwitzt liefen wir in den Klassenraum, in dem unsere Mitschüler aufgeregt quasselten. Jeder wollte von seinen Sommerferien berichten, und alle waren aufgeregt.
Wie ein Sack Flöhe, dachte ich. Auch ich hatte einiges zu berichten, denn schließlich hatte ich kurz vor den Sommerferien Luis kennengelernt. Der Junge mit den edelsteingrünen Augen hatte mir gehörig den Kopf verdreht, und es hatte mich einige Lügen und sogar Geld gekostet, an ihn heran zu kommen.
„Denkst du an Luis?“, knuffte mich Bianca in die Seite. Wieso sah sie mir das immer an? War das nur ihr Hang zur Hexerei oder stand mir „verknallt“ auf der Stirn geschrieben? Ich hatte nicht viel Zeit darüber nachzudenken, denn mit einem lauten Türknallen betrat ein jung aussehender Lehrer unser Klassenzimmer.
„Wer ist das denn?“, murmelte Toni und kaute an ihrem Bleistift.
„Ich bin Herr Möhring, der neue Referendar“, stellte er sich vor. Ein Stöhnen ging durch die Klasse, gefolgt von lauten „Buuh“-Rufen. Ich fand das affig, aber vor allem die Jungs waren irgendwie noch mitten in der Pubertät. Luis war anders. Vielleicht, weil er schon ein Jahr älter war?
„Ruhig, ich werde euch noch von mir überzeugen“, lachte der Möhring und begann, eine Präsentation an unser Whiteboard zu werfen.
„Ihr habt mich zwar gerade vom Gegenteil überzeugt, aber da ihr es alle in die 12. Klasse geschafft habt, behandele ich euch ab jetzt wie Erwachsene“, erklärte er und zog die Gardinen zu. „Cool“, murmelte Toni beeindruckt.
„Bitte nicht so ein Superman-Pädagoge“, meinte Bianca und rollte mit den Augen. Herr Möhring stellte uns mit Hilfe einer sehr professionell aussehenden Präsentation die wichtigsten Termine des kommenden Schuljahres vor. Es wirkte wie ein Business Plan, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ein Business Plan eigentlich aussah. Der Möhring schaffte es, dass die schnöden Schulthemen plötzlich wichtig wirkten.
„Leider sieht der Lehrplan nur ein Schülerpraktikum in der 9. Klasse vor, allerdings habe ich mich dafür persönlich eingesetzt, dass ihr in diesem Schuljahr einen ganzen Praktikumstag machen könnt. Natürlich bekommt ihr von einem Tag keinen kompletten Einblick in ein Berufsfeld, aber ihr werdet zweifelsohne weit über euch hinauswachsen. Es wird eure spätere Berufswahl sicher stark beeinflussen“, erzählte der junge Lehrer.
„Och nö“, stöhnte ich.
„Der Praktikumsbericht zählt dann maßgeblich zur Deutschnote. Das Wichtigste dabei ist, dass ihr selbstständig werdet. Ihr bewerbt euch also auf eigene Faust für das Praktikum.“
Toni, Bianca und ich schauten uns erschrocken an. Das klang ziemlich anstrengend. Und viel zu erwachsen.
„Ist ja nicht so, dass wir fürs Abitur lernen müssen“, meckerte Bianca und fasste sich an ihre Hexenkette, in der sich das Licht des Beamers spiegelte. Der goldene Anhänger mit der Hexe auf dem Besen war ihr Markenzeichen.
„Ich habe keine Ahnung, wo ich mein Praktikum machen will“, flüsterte ich nervös.
„Ich will…“, begann Toni, aber der Möhring unterbrach sie.
„Privatgespräche bitte vor der Tür“, sagte er in einem strengen Ton.
Wir mussten mit unseren „Privatgesprächen“ also bis zur Pause warten. Zum ersten Mal nach den Sommerferien bezogen wir wieder unsere Lieblings-Couch-Ecke im Pausenraum, da es draußen nieselte. Toni packte wie immer ihren obligatorischen Apfel aus und Bianca mümmelte an Reiscrackern.
„Wie findet ihr den Möhring?“, wollte Toni wissen. Sie hatte ihren Apfel schon fast komplett verschlungen. Ob sie sich das von den Ponys abgeguckt hatte? Ich musste grinsen.
„Er scheint nicht so langweilig spießig zu sein, wie die meisten Lehrer“, meinte Bianca.
„Ja, geschenkt, aber das mit dem Praktikum passt mir gar nicht. Wann soll ich denn noch Bewerbungen schreiben, bei all den Klausuren, die uns bald bevorstehen?“, beschwerte ich mich und packte mein Milchbrötchen aus.
„Ich finde das total cool, ich möchte unbedingt beim Tierarzt arbeiten“, sagte Toni und strahlte.
„Ich finde es auch anstrengend. Vielleicht hilft es uns ja, für unser späteres Leben. Meine letzte Tarotkartenlegung hat mir viel Veränderung in der Zukunft vorhergesagt“, meinte Bianca und spielte mit ihren Locken.
„Kann ich mein Praktikum dann bei dir machen? Als angehende Tarotkartenlegerin? Quasi ein Tag bei der mystischsten Hexe aus Wernigerode?“, witzelte ich.
„Mystisch?“
Bianca runzelte die Stirn.
„Also wenn, dann bin ich die heißeste Hexe aus Wernigerode, nicht die mystischste.“
Toni und ich guckten uns an und prusteten los.
„Wo willst du dein Praktikum machen?“, fragte Toni mich.
„Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung. Ein Tag im Laden meiner Mutter zählt wohl nicht“, überlegte ich.
„Das wäre ja langweilig, da hast du doch eh fast jeden Abend Praktikum“, meinte Bianca.
„Dann kann ich ja gleich im Outdoor-Laden meines Vaters bleiben“, ergänzte sie.
Bianca wohnte direkt über dem Outdoor-Wagner gegenüber. Dass unsere Eltern kleine Läden in der Einkaufsstraße in Wernigerode betrieben, verband uns.
Allerdings war der Outdoor-Laden nicht ansatzweise so klein, wie unser schmales Geschäft mit Harzer Spezialitäten und unnötigen Tourismus-Krimskrams.
„Wir tauschen einfach, du hilfst einen Tag Harzer Hexen sortieren, und ich verkaufe Wanderschuhe an ahnungslose Touristen“, schlug ich vor.
„Wo du ja mittlerweile die Expertin fürs Wandern bist?“, fragte Toni und zog ihre Augenbraue hoch.
Das erinnerte mich an Luis, auch wenn Toni ihre Augenbraue nicht ansatzweise so hochheben konnte, wie Luis seine Mond-Augenbraue. „Möchten Sie einen Schuhpanzer kaufen, mit dem Sie aussehen, wie eine echte, mystische Harzer Wanderkaiserin, um ihren Schwarm zu beeindrucken?“, äffte Bianca mich nach. Ihr schauspielerisches Talent war nicht von der Hand zu weisen.
„Ihr seid so fies“, meinte ich und schaute mich nervös im Pausenraum um. Dass ich gelogen hatte, Wanderkaiserin zu sein, nur um Luis zu beeindrucken, sollte nicht die ganze Stadt wissen.
„Apropos, wie läuft es denn mit Luis?“, erkundigte sich Bianca. Dass sie eine Vorliebe fürs Verkuppeln hatte, konnte sie mit zahlreichen Liebeszaubern und Tarotkartenlegungen in der Vergangenheit beweisen.
„Keine Ahnung“, murmelte ich.
„Wie, keine Ahnung?“, fragte Toni und warf die Reste ihres Apfels in den Papierkorb. Es klingelte, die Pause war vorbei.
Direkt nach dem ersten Schultag steuerten wir unser Lieblings-Eiscafé inmitten in der Wernigeröder Innenstadt an. Die Schulpausen reichten bei Weitem nicht, unseren Gesprächsbedarf nach den langen Ferien zu decken. Wir setzten uns auf unseren Stammplatz, von dem aus wir den direkten Blick auf das alte Rathaus hatten. Mit den zwei Türmen und dem golden verzierten Brunnen davor sah das Rathaus fast so schön aus wie das Schloss Wernigerode. Aber wirklich nur fast. Es dauerte nicht lange, bis der Kellner unsere Standard-Bestellung brachte.
„Schoko-Erdbeerbecher, Spaghetti-Eis und Bananen-Milchshake für die drei jungen Damen“, säuselte der Kellner und balancierte die Eiskreationen auf einem silbernen Tablett. Wir bedankten uns, schnappten uns Löffel und Strohhalm und begannen, uns den Magen vollzuschlagen.
„Jetzt erzähl mal bitte was mit Luis ist“, schmatzte Bianca und nuckelte an ihrem Milchshake. Warum sie sich jedes Mal gegen einen Eisbecher mit Obst, Sahne, Streuseln und Waffel und stattdessen für einen langweiligen Milchshake entschied, war mir unklar.
„Es gibt aber nichts zu erzählen“, sagte ich und bekam einen kurzen Kopfschmerz vom vielen Eis.
„Also habt ihr keinen Kontakt? Habt ihr nicht sogar Händchen gehalten?“, fragte Toni und genoss ihr Spaghetti-Eis, das schon fast geschmolzen war.
„Zeig“, sagte Bianca forsch und nahm mein Smartphone vom Tisch.
„Ist ja gut“, meinte ich und entsperrte den Bildschirm. Bianca begann, den Chatverlauf vorzulesen. Es war nicht viel, eigentlich bestand der Chat nur aus ein paar Urlaubsbildern von Luis (er war in Amerika gewesen) und meinen kurzen Bewunderungsbekundungen dazu.
„Cooles Foto“, las Bianca vor.
„Cooles Foto? Cool? Wie soll er denn merken, dass du Interesse hast?”, meinte sie.
„Ich dachte, meine Lügen-Aktionen waren eindeutig genug“, murmelte ich.
„Das ist ein Punkt“, warf Toni ein und mischte den Rest ihrer Eiscreme mit den weißen Parmesan-Streuseln.
„Trotzdem läuft es ja irgendwie nicht. Warum fragt er nicht nach einem Date?“, überlegte Bianca.
„Warum fragt Jules nicht?“ Toni schaute mich an.
„Männer sind halt schwer von Begriff. Frag ihn, wann er Zeit hat.“
Ich schlang den Rest meines Eisbechers herunter und verschluckte mich fast an der krümeligen Waffel.
„Das ist peinlich. Wenn er ein Date wollen würde, dann würde er doch fragen“, murmelte ich.
„Und wenn er genauso denkt?“, warf Bianca ein.
„Ich habe mich ewig lange für ihn zum Affen gemacht, mir Wanderschuhe gekauft, um ihn zu beeindrucken und die ganze Zeit gelogen. Da muss er doch mal checken, dass ich Interesse habe“, beschwerte ich mich.
„Das stimmt schon. Du solltest trotzdem fragen, damit du Klarheit hast“, meinte Bianca und zog ihre Tarotkarten aus der Hosentasche.
„Mein Bedarf an Liebeslegung ist gedeckt, danke“, sagte ich forsch.
„Ich weiß. Meiner auch, zumindest was das Langzeitprojekt Luis angeht. Langweilig! Ich will aber wissen, was uns beim Praktikumstag erwartet“, sagte Bianca und begann, die Karten zu mischen.
„Och nö“, grummelte Toni.
„Ich lege für jede von uns eine Karte, die den Tag symbolisieren wird“, erklärte sie und teilte drei Karten aus, die sie nach und nach aufdeckte. Bei mir begann sie.
„Also, Praktikum für Jules, was haben wir da.“ Mit spitzen Fingern begutachtete unsere Lieblingshexe die Karte.
„Acht Schwerter. Das bedeutet, dass du dich aus deinen Fesseln befreien wirst. Du sollst nach vorne schauen und die Vergangenheit hinter dir lassen. Und du kannst deine ganze Energie für die Zukunft nutzen“, erklärte Bianca.
„Hoffentlich ist damit nicht Luis gemeint, den ich hinter mir lassen soll“, dachte ich.
„Was hat Toni?“, fragte ich, um die Situation zu überspielen.
„Sieben Kelche“, las Toni vor.
„Vielleicht soll ich mein Praktikum bei einem Glasbläser machen?“, lachte sie.
„Die Karte steht für deine vielen Träume und dafür, dass du sie verwirklichen sollst. Es ist Zeit, deinen Träumen nachzugehen.“
Toni runzelte die Stirn und aß dann die Reste ihrer Eis-Spaghetti.
„Also ich weiß nicht. Zukunft, Vergangenheit, Träume, das ist schon wieder alles so horoskopisch“, meckerte sie.
Bianca warf ihr einen Todesblick zu.
„Und was sagt deine Karte?“, fragte ich, um die Situation zu deeskalieren. Ich hob die letzte Karte hoch und erschrak. Auf der Karte war ein Skelett, reitend auf einem Pferd, zu sehen.
In geschwungenen Buchstaben stand:
„Der Tod“, auf der Karte geschrieben.
„Das ist der Tod“, stotterte ich. Toni riss die Augen auf.
„Heißt das, Bianca stirbt beim Praktikum?“
Doch Bianca lachte nur.
„So ein Unsinn. Die Karte des Todes kündigt das Ende eines Abschnitts oder einer Lebensphase an. Das kann schmerzhaft sein, oder erleichternd. Irgendwas muss sterben, damit man weiter nach vorne blicken kann. Im übertragenen Sinne“, erklärte sie. Wir nickten. Diese Tarotlegung war nicht wirklich hilfreich.
„Irgendwie habe ich nach der Tarotlegung noch weniger Lust auf das Praktikum als vorher“, meinte ich und winkte dem Kellner zu, damit wir bezahlen konnten.
„Ah, die jungen Damen hexen wieder! Hex hex, viel Trinkgeld für mich heute, hex hex?“
Wir prusteten los. Dass der Kellner so einen Humor hatte, war uns neu.
„Wussten sie, dass der Brocken eigentlich der Blocksberg ist?“, begann Bianca ihn zu belehren. Toni und ich rollten mit den Augen.
Auf dem Nachhauseweg fasste ich mir ein Herz und schrieb Luis.
„Wir müssen übrigens ein Praktikum machen, für einen Tag“, textete ich, samt einem Smiley, der die Zunge rausstreckt. Eine Stunde später, als ich gerade die letzten Harzer Hexen in die Regale unseres Ladens sortierte, kam die Antwort.
Mein Herz schlug immer höher, wenn ich den Nachrichtenton meines Handys hörte.
„Das klingt cool. Wo wirst du dein Praktikum absolvieren?“, las ich.
„Ich habe absolut keine Ahnung“, antwortete ich.
Beim Abendbrot erzählte ich meiner Mutter vom bevorstehenden Schuljahr und vom Praktikum. Sie wollte auch alles über den neuen Lehrer, Herrn Möhring wissen. Neuen Lehrkräften gegenüber war sie immer skeptisch.
„Du kannst dein Praktikum natürlich auch im Laden machen“, schlug sie vor.
„Ich helfe ständig im Laden. Wie soll ich da was Neues lernen? Außerdem, ich glaube nicht, dass ich nach dem Abitur den Laden weiterführen möchte“, meinte ich und stocherte in meiner Lasagne herum.
„Ich weiß“, murmelte meine Ma, und damit war das Gespräch beendet. Ein Gespräch mit Luis kam an diesem Abend auch nicht mehr zustande. Mürrisch und genervt ging ich ins Bett.
In den nächsten Schultagen war das bevorstehende Praktikum das Thema Nummer 1 in der Schule. Alle erzählten davon, wo sie ein Praktikum machen wollten, was sie später studieren und wie viel Geld sie verdienen würden. Bianca schien von diesen Oberflächlichkeiten magisch angezogen, obwohl sie doch sonst immer hexisch-tiefgründig unterwegs war.
Ich fand mich mal wieder in der Deutschstunde vom Möhring wieder, und mal wieder war das Praktikum Unterrichtsthema.
Heute stand Lebensläufe schreiben auf dem Plan. Auch wenn in unseren Schulleben nicht viel passiert war, sollten wir haarklein genau aufschreiben, wann wir auf welche Schule gegangen waren und welche Noten wir hatten. Wenigstens war es eine Abwechslung zu den öden Gedichtinterpretationen, die wir sonst machen mussten.
An zusammengeschobenen Tischen erarbeiteten wir in Kleingruppen unsere Lebensläufe. Natürlich bestand meine Gruppe aus Toni und Bianca. Mit skeptischem Blick kam der Möhring an unseren Tisch und las unsere Lebensläufe quer. Bei Toni geriet er ins Stocken.
„Du willst dich also beim Tierarzt bewerben?“, fragte er. Toni nickte strahlend. Ein anderer Beruf kam für sie niemals infrage.
„Und dir ist bewusst, welche Anforderungen der Beruf mit sich bringt? Selbst der Beruf der tiermedizinischen Fachangestellten?“
Wir schauten Herrn Möhring an. Worauf wollte er hinaus?
„Ja, ich denke schon, und ich bringe viel Erfahrung mit Tieren, vor allem Pferden mit“, erklärte Toni nervös.
Der dominante Blick von Herrn Möhring brachte sie aus der Fassung. Gleichzeitig spielte sie mit ihren dunklen Haaren, was ich eigentlich nur von Bianca kannte.
„Du weißt schon, dass deine Leistungen in Biologie, Mathematik, Physik und Chemie unterdurchschnittlich sind? Und du gerade in diesen Bereichen richtig gut sein musst?“, meinte der Lehrer und blätterte in Tonis Zeugnissen.
„Ja, aber“, war das Einzige, was Toni noch herausbrachte.
„Was weiß er schon“, flüsterte ich, als der Möhring bereits bei der nächsten Gruppe stand.
„Außerdem ist ja noch zwei Schuljahre Zeit, bis zum Abitur. Und das sind doch die Noten, die am Ende zählen“, meinte Bianca. Toni seufzte. Der Schultag war für sie gelaufen.
„Wie läuft es mit Luis?“, fragte Bianca, um die Aufmerksamkeit von Toni weg zu lenken.
„Themawechsel!“, murrte ich, denn es war immer noch kein Gespräch zwischen Luis und mir zustande gekommen. Von einem Date ganz zu schweigen. Ich vermisste seine edelsteingrünen Augen und seine wuscheligen Locken sehr. Die Vorstellung, dass ich ihn nie wieder sehen könnte, löste in mir eine traurige Stimmung aus. Ich fühlte mich wie der Tod. Zumindest wie diese Tarotkarte.
„Ihr macht Gesichter wie sieben Tage Regenwetter“, meinte Bianca und fasste sich an ihre Hexenkette.
„Also gut, nochmal Themawechsel. Wie ihr ja vielleicht schon gespürt habt, die letzten Tage, bewegen wir uns auf eine Halbschatten-Mondfinsternis zu“, erklärte sie. Natürlich hatten wir das nicht gespürt. Ich hatte zwar ebenfalls ein Interesse für Biancas übernatürliche Zaubereien, aber eigentlich nur, wenn ich einen praktischen Nutzen aus ihnen ziehen konnte.
„Spürt ihr nicht diese negative Energie, die hier seit einigen Tagen herrscht?“
Toni und ich grinsten. Wenigstens halfen Biancas Ausführungen, unsere schlechten Gedanken zu vertreiben.
„Vielleicht ist Herr Möhring eigentlich ein Werwolf und spätestens zur Mondschatternis ist er verwandelt“, lachte Toni.
„Halbschatten-Mondfinsternis!“, verbesserte Bianca sie.
Ich prustete los.
„Ich kann scheinbar nicht erwarten, dass ihr die höhere Magie ernst nehmt. Trotzdem würde ich die Mondfinsternis gerne nutzen, um unsere Wünsche für das Praktikum zu manifestieren“, referierte unsere Lieblingshexe.
„Ich weiß doch nicht mal, wo ich das Praktikum machen will“, meckerte ich.
„Ja, vielleicht weißt du es danach. Und Toni kann ja auch etwas Magie gebrauchen“, meinte Bianca.
„Wenn deine Hexereien meine Noten verbessern und die Möhre wegzaubern, dann bin ich dabei“, sagte Toni. Wir kicherten eine Weile darüber, dass Toni für Herrn Möhring den Spitznamen Möhre eingeführt hatte und machten Wortwitze. Das war zwar ziemlich albern, aber gute Wortwitze waren auch irgendwie Deutschunterricht, fand ich.
Am Wochenende fand ich mich mit Toni und Bianca auf dem Reiterhof am Stadtrand wieder. Toni jobbte dort seit einer Weile. Sie kümmerte sich liebevoll um die Ponys, leitete Ausritte für Touristen an und mistete den Stall aus. Da sie manchmal kräftemäßig an ihre Grenzen kam, half ich ihr soweit es meine Heuallergie zuließ. Bianca war ziemlich neu in unserer Pferdemädchenwelt und nicht ganz freiwillig mitgekommen. Wie man Ponys, Pferde und alles was damit zu tun hat nicht interessant finden konnte, war mir ein Rätsel.
Aber Bianca nahm ja auch lieber Milchshakes als Eisbecher.
„Das ist Stiefel, das Pony, das diese schlimme Kolik hatte, oder?“, fragte unsere Lieblingshexe und Toni und ich lachten. Wieso konnte sie Stiefel auf der Koppel nicht wiedererkennen?
„Etwas traurig, dass sie dich nicht mehr kennt, wo sie doch zusammen mit Toni dein Leben gerettet hat“, flüsterte ich Stiefel zu, während ich ihn von der Wiese führte.
„Erinnere mich nicht daran“, meinte Toni und schnappte sich Merlin. Der Haflinger Merlin war Tonis Seelenverwandter, wenn man bei Ponys von Seelenverwandten sprechen konnte.
Sein temperamentvolles Gemüt war bisher nur von Toni zu besänftigen gewesen. Der Wallach war das Pony, das die Herde anführte. Somit war Merlin auch der perfekte Anführer für die Touri-Ausritte.
„Ich glaube nicht, dass ich reiten will“, sagte Bianca und nahm wieder mehr Abstand zu den Ponys.
„In deinem Sommerkleid ist das auch nicht ratsam“, lachte ich und schloss den Zaun hinter Merlin und Stiefel.
Am Putzplatz angekommen, begannen Toni und ich die beiden Ponys hingebungsvoll zu putzen. Bianca inspizierte die Putzkiste, in der sich tausende Bürsten in den unterschiedlichsten Formen, Härtegraden und Farben befanden.
„Stiefel besitzt mehr Haarbürsten als ich“, bemerkte sie und angelte nach einer weichen Bürste. Es staubte.
„Muss ich wirklich mithelfen?“, murrte sie mit Blick auf ihr weißes Kleid.
„Hast du nicht letztens gesagt, du willst auch reiten lernen, wegen der energetischen Verbindung mit Pferden und dem großen Magnetfeld, das sie erzeugen?“, sagte ich und striegelte Stiefels Rücken in einer rhythmischen Handbewegung. Die sanfte Massage schien ihm zu gefallen. Toni kratzte derweil Merlins Hufe aus. Er tippelte etwas unruhig auf seinen Hufen und wieherte. Wahrscheinlich rief er nach seiner Herde.
„Also Merlin sagt, dass er kein Magnet ist“, lachte Toni und beruhigte ihn wieder.
„Nein, Pferde sind nicht magnetisch in dem Sinne, glaube ich. Sie haben einfach ein großes Herz, was ein Magnetfeld erzeugt. Menschen fühlen sich deswegen in der Gegenwart von Pferden besonders wohl“, erklärte Bianca und seufzte.
„Das stimmt auch, das mit dem Wohlfühlen. Allerdings finde ich, dass Pferde etwas kleiner sein könnten. Mehr wie Hunde?“, ergänzte Bianca und näherte sich Stiefel. Wir einigten uns darauf, dass Bianca Stiefel fürs Erste sanft überstriegeln sollte. Alles Weitere würde sie dann später lernen, in ihrem Tempo. Ihre leichte Angst vor Pferden konnte sie nicht verstecken. Ich fand es irgendwie witzig, dass unsere sonst so taffe Hexe vor dem so braven Stiefel Angst verspürte. Aber da war wohl jeder anders, und jedem machte etwas anderes Angst. Wir schnappten uns die frisch geputzten Ponys und gingen spazieren. Toni und ich wollten Bianca nicht davongaloppieren, und auch die Ponys genossen ein entspanntes Programm. Genug Trubel hatten sie dank der Touristen sowieso immer.
„Mit Ponys spazieren ist nicht schlecht“, meinte Bianca und folgte uns beiden und den zwei Ponys mit Sicherheitsabstand. Dann machte sie mit ihrem Smartphone ein Foto. Toni und ich, die beiden Ponys und die hügelige Landschaft des Agnesbergs im Hintergrund, das hatte schon was.
„Für Luis“, meinte Bianca und sendete mir das Foto auf mein Smartphone.
„Wie läufts denn“, fragte sie neugierig.
„Ich kann dich leider gerade ganz schlecht verstehen“, schrie ich nach hinten, da sie immer noch Sicherheitsabstand hielt.
„Schrödingers Katze!“, schrie Bianca zurück. Ich verstand nur Bahnhof.
Am Reiterhof angekommen, versorgten wir die Ponys mit frischem Müsli, Leinöl, Vitaminpellets und saftigen Möhren.
Das war Tonis Spezialmischung für glückliche Ponys.
„Wer ist Schrödingers Katze“, fragte ich Bianca.
„Also die Katze auf dem Hof heißt Lilly“, sagte Toni und kraulte Merlin am Hals, während er genüsslich seine Spezialmischung kaute.
„Lest ihr eigentlich Bücher?“, bemerkte Bianca spitzfindig und lachte.
„Sie hält uns für blöd“, meckerte ich.
„Naja, Bücher übers Reiten. Und weiße Kleider als Reitoutfit kommen da nicht drin vor“, sagte Toni zum Gegenangriff.
„Luis ist Schrödingers Katze“, erklärte unsere Hexe dann.
„Als Tarotkarte?“, fragte ich erschrocken. Bianca hatte schon einmal eine sehr zutreffende Legung über Luis gemacht.
„Ach Mensch, Schrödingers Katze ist irgendein Experiment. Es geht darum, dass eine Katze in einem Karton ist, und solange du den Karton nicht öffnest, weißt du nicht, ob es der Katze gut geht. Und aus Angst, dass es ihr nicht gut geht, öffnest du den Karton nicht. Aber so erfährst du auch nicht, wenn es der Katze gut geht. Und deswegen ist sie quasi beides“, referierte sie und nutzte dabei ihre Hände, um es anschaulich zu erklären.
„Luis ist wirklich diese Katze“, meinte Toni anerkennend. Ich verstand nur Bahnhof.
„Ihm geht es doch gut“, murmelte ich und kratzte die Reste aus Stiefels Futtereimer zusammen, um sie ihm dann aus meiner flachen Hand zu geben. Er leckte die Reste auf, was auf meiner Hand ziemlich kitzelte.
„Ich glaube Bianca meint, dass du Luis endlich fragen sollst, was das mit euch ist. Solange du nur wartest, ob er nach einem Treffen fragt, ist er diese Katze.“
Toni packte die mittlerweile leeren Futtereimer zur Seite und begann, den Putzplatz mit dem alten Stallbesen zu fegen.
„Lass uns Schrödingers Katze töten!“, sagte Bianca entschlossen. Ich zuckte so doll zusammen, dass auch Stiefel sich erschreckte.
„Bitte was“, murmelte ich. Toni und Bianca schienen sich sehr einig zu sein.
„Du musst Luis nach einem Treffen fragen. Wenn er nein sagt, weißt du Bescheid, wenn er ja sagt, ist alles gut. Wo ist dein Handy?“
Bianca schaute sich suchend um.
„Nein, ich will Luis’ Katze am Leben behalten“, murrte ich. Doch Bianca hatte mein Handy schon im Putzkasten von Stiefel gefunden.
„Wir wollen nur dein Bestes“, sagte Bianca mit leuchtenden Augen. Sie fragte Toni nach meinem Passwort, um mein Smartphone zu entsperren. Ich schaute Toni flehend an, in der Hoffnung, sie würde es ihr nicht verraten.
„Ich will echt nur dein Bestes“, murmelte Toni und tippte das Passwort ein. Tolle Freundin. Ich sollte dringend mein Passwort ändern.