Lügen, Küsse und Harzer Spezialitäten - Laura Bormann - E-Book

Lügen, Küsse und Harzer Spezialitäten E-Book

Laura Bormann

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Beschreibung

Seit der geheimnisvolle Junge mit den edelsteingrünen Augen im Harzer Feinkostladen ihrer Mutter aufgetaucht ist, schwebt Jules auf Wolke sieben. Um ihn zu beeindrucken, lügt sie bis sich die Balken des Fachwerkhauses biegen. Kann sie ihre Lüge, Harzer Wanderkaiserin zu sein, aufrechterhalten? Als auch noch die Hobbyhexe Bianca in das Haus gegenüber einzieht, und Jules Liebeszauber-Nachhilfe anbietet, geht alles drunter und drüber. Die Harzer Hexenclique ist eine hexisch-freche Buchreihe für junge Mädchen ab 12 Jahren. Verzaubert, witzig und authentisch erzählt, dreht sich bei der Hexenclique alles um die erste große Liebe, Eifersucht, das anstrengende Schulleben und ums Erwachsenwerden. Natürlich nicht ohne die nötige Portion Magie vermischt mit Chaos.

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Für den Jungen mit der Mond-Augenbraue und den (fast) edelsteingrünen Augen.

Inhaltsverzeichnis

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL EINS

„Räumst du die Schlüsselanhänger wieder ordentlich zurück?“, ermahnte mich meine Mutter und ich rollte mit den Augen. „Ist das eigentlich Kinderarbeit?“, maulte ich und schüttete den Karton mit den verschiedenen Harz-Motiven vor mir aus. Ich begann, die Souvenirs an ihren richtigen Platz zu hängen. Gar nicht so einfach, denn ich musste dabei auf einer halbhohen Leiter stehen und versuchen, nicht ins Schwanken zu geraten oder das nebenstehende Regal mit allerlei Harzer Spezialitäten abzuräumen. Und bei aller Liebe, in dutzende Harzer Käse wollte ich dabei auch nicht fallen. Unser Laden war der kleinste, der in der Stadt Wernigerode die sogenannten Harzer Spezialitäten anbot. Zumindest kam es mir immer so vor, nachgemessen hatte ich natürlich nie. Der Laden bestand nur aus zwei Wänden, an denen von oben bis unten Regale hingen. Die waren mit Souvenirs, Hexenfiguren, Kühlschrankmagneten, Stoffbeuteln, Harzer Käsen (was ist die Mehrzahl von Käse?) und merkwürdigen Wurstsorten vollgestopft (bin ich ein Kulturbanause, wenn ich die nicht kenne?). In der Mitte dieser zwei Wände war ein kleiner Tresen samt mittelalterlicher Kasse, bei der man das Rückgeld noch selbst berechnen musste. Sowas von vorletztes Jahrhundert. Aber meiner Mutter gefiel das. Außerdem würde ich so Mathe üben, sagte sie gerne. Ich bezweifelte, dass mich die Fähigkeit, das Rückgeld richtig rauszugeben, durch mein Matheabitur bringen würde. Ich schaute aus der Ladentür. Es stürmte schon wieder. Vor dem Laden standen unsere Drehständer mit den Postkarten, die die Touristen rundum glücklich machen sollten. Der Brocken, das Rathaus, die Brockenbahn, das Schloss, Hexen, das Übliche eben.

Ich konnte nach all den Jahren Sklavenarbeit in diesem Laden diese Standardmotive nicht mehr sehen. Aber das war wohl mein Schicksal, als Tochter der Ladenbesitzerin. „Räum schnell die Postkartenständer rein, sonst fliegen uns alle Postkarten weg!“, rief meine Mutter und ich zuckte zusammen.

Behutsam stieg ich (Augen rollend) von der Leiter und ging nach draußen, um die schon leicht nass gewordenen Postkartenständer hereinzuholen.

„Diese Standardmotive mag sowieso keiner mehr“, grollte ich und versuchte die alten Rollen der Ständer irgendwie über den Teppich zu bekommen. Ein Ständer fiel dabei fast um, ich konnte ihn gerade noch retten. „Doch, die meisten Kunden mögen das. Und wie du weißt, versuche ich mich auch seit einiger Zeit an neuartigen Souvenirs!“, prahlte meine Ma und zeigte mir mit stolz erhobener Brust einen bunt bestickten Stofffetzen. Ich verzog das Gesicht. „Das ist eine Hülle für den Wanderpass der Harzer Wandernadel!“, erklärte sie und steckte ein Heftchen in das Stoffstück.

Sie lächelte, als sie bemerkte, dass es perfekt hineinpasste. „Wandernadel?“ Ich seufzte.

„Ja, die meisten Touristen mögen das, stell dir vor. Und so eine personalisierte Wanderpass Hülle mit Motiven aus dem Harz kommt sicher gut an!“ Meine Mutter meinte es wirklich ernst damit. Ich fand die Idee, die klassischen, altbackenen Harzmotive auf ein Stück Stoff zu sticken und teuer zu verkaufen nicht wirklich innovativ, riss mich aber mit dieser Meinung zusammen. Schließlich sah sie sehr glücklich mit ihrem Produkt aus. „Mach wenigstens noch was Cooles, in rosa mit Glitzer oder so?“, schlug ich vor und widmete mich wieder meiner Leiter und den Schlüsselanhängern. „Ja, warum eigentlich nicht.“

Damit sollte meine Mutter erstmal beschäftigt sein, dachte ich und seufzte. Nach der anstrengenden Schule den ganzen Nachmittag mit seiner Mutter auf so engem Raum verbringen zu müssen, war wirklich kein Spaß.

Aber aktuell konnten wir uns keine Aushilfe leisten, und ich fühlte mich auch irgendwie verpflichtet den Lebenstraum meiner Mutter zumindest etwas zu unterstützen. Auch, wenn ich es hasste. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als nach dem Abitur endlich diese kleine Stadt verlassen zu können. Berlin, München, New York, nichts was mir groß genug. Um mir irgendwann ein Leben in einer Großstadt leisten zu können, sparte ich jeden Euro, den meine Mutter für meine Arbeit springen ließ. Obwohl das nicht allzu oft vorkam. Aber ab und zu plagte sie wohl ein schlechtes Gewissen.

„Ich finde nicht gut, was da drüben entsteht“, riss mich meine Mutter aus meinen Großstadt-Tagträumen. Sie meinte den Outdoor-Laden, der am nächsten Tag im großen Ladengeschäft gegenüber eröffnen sollte. Seit Wochen liefen die Vorbereitungen dafür. Große LKWs brachten Kistenweise hoch moderne Outdoorbekleidung und Zubehör in den Laden, die Außenfassade wurde neu gestrichen (ein grelles grün) und die Fenster wurden mit Aufklebern verschönert. Heute wurde ein großes Schild angebracht, auf dem „Outdoor Wagner“ in großen Leuchtbuchstaben stand.

„Stell dir vor, wenn Outdoor Wagner auch noch auf die Idee kommt, Schlüsselanhänger oder Postkarten anzubieten, dann können wir einpacken“, sagte meine Mutter besorgt.

Ich kannte ihre Schwarzmalereien, die unseren Laden betrafen, nur zu gut.

„Das glaube ich nicht, Ma, außerdem, wenn die viele Kunden anziehen, kommen automatisch auch mehr rüber zu uns“, gab ich zu bedenken und fand mich ziemlich schlau dabei.

Wie eine kleine Unternehmensberaterin, die der alteingesessenen Ladenbesitzerin Mut machte. „Jules, ihre Unternehmensberatung mit Witz und Charme“, dachte ich und stellte mir meinen Slogan in genau den Leuchtbuchstaben vor, die gerade beim „Outdoor-Wagner“-Schild aufleuchteten. Aber das war nicht das Einzige, was mich in dem Moment blendete. Es war das Lächeln eines jungen Mannes, der in diesem Augenblick unseren Laden betrat.

KAPITEL ZWEI

„Guten Tag“, hauchte sein blendendes Lächeln. Er war nicht älter als 18 oder 19, fast noch ein Teenager.

Sein Auftreten jedoch wirkte erwachsen und selbstbewusst. Er trug einen langen, tiefblauen Wollmantel, darunter eine beige Hose (Internatsstyle, wenn ihr mich fragt), und moderne Sneaker. Die Sportschuhe verliehen seinem eher elitären Aussehen einen sportlichen Schwung. Ich erwischte mich dabei, das gut zu finden. Seine helle, makellose Haut verriet sein jüngeres Alter, zumindest interpretierte ich seine faltenlose Schönheit so. Die grünen Augen funkelten neben seinem Zahnpasta Lächeln um die Wette. Und diese Haare, schwarz wie die Nacht und leicht gelockt- ich erwischte mich bei dem Gedanken, mich sofort dort hineinlegen zu wollen. Wenigstens einmal daran riechen, oder mit einer Locke spielen. „Hallo?“, sagte der Lockenkopf. Ich zuckte zusammen.

„Guten Tag“, stotterte ich und zupfte mir nervös meine Haare zurecht. „So ein süßer kleiner Laden, ich wusste gar nicht, dass ihr so viel im Sortiment habt“, meinte er und schaute sich im Laden um. Dabei wirkte er mehr wie jemand, der die Inventur machen wollte, als ein Tourist.

„Sind Sie Tourist?“, war das Einzige, was mir Sinnvolles einfiel. Mein Herz pochte, ich zuppelte immer noch nervös an meinen Haaren.

„Ich? Nein, meinem Vater gehört das Hotel Hexenblick“, erklärte er und inspizierte weiter jedes Regal. Einerseits wirkte diese Erklärung unglaublich arrogant auf mich. Schaut her, ich bin der Sohn eines Hotelbesitzers, des größten und teuersten Hotels in der Gegend, dachte ich und rümpfte meine Nase. Andererseits - er kam von hier. Er lebte also hier. Wir können also heiraten. Aber wieso kannte ich ihn dann nicht aus der Schule?

„Das Hotel Hexenblick, kennst du das?“, fragte er nach, weil ich auf seine Angeberei nichts geantwortet hatte. Was auch, dachte ich. Entweder einen schnippischen Kommentar über seine Angeberei oder doch gleich der romantische Heiratsantrag? Etwas anderes wäre aus meinem Mund wohl nicht herausgekommen.

„Ja, klar, natürlich. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“, lenkte ich das Gespräch von seinem Hotel weg.

„Oh bitte, sag du. Ich denke, ich bin nicht viel älter als du und wenn mich jemand Siezt, fühle ich mich schon alt“, witzelte er charmant und lächelte. Jetzt sind wir schon beim Du, also quasi Freunde, also fast zusammen, also wirklich fast verheiratet, dachte ich und ordnete erneut nervös meine Haarsträhnen.

„Ich bin Junior Hotel Manager und versuche gerade, das Online-Marketing unseres schönen Hotels anzukurbeln“, referierte er und ich rollte innerlich mit den Augen.

Meine erste Einschätzung bezüglich der arroganten Angeberei bestätigte sich langsam. Mein Herz jedoch pochte unbeirrt weiter.

Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte. Der Junior Hotelmanager nahm mir die Antwort allerdings ab, indem er fröhlich weiter plapperte und in unseren Regalen wühlte.

„Ach genau, da ist, was ich gesucht habe. Die Harzer Wandernadel, perfekt“, murmelte er und zog ein kleines Heft aus dem Regal.

„Das ist nicht die Nadel, das ist das Heft um die Stempel zu sammeln“, sagte ich und schaute ihn an. „Wie? Ja klar natürlich. Haha, du siehst, Wandern ist wirklich nicht meine Stärke“, lachte er und knuffte mich an der Schulter. Wie elektrisiert fühlte sich das an. Als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Also meine Schulter, also als hätte ich meine Schulter kurz in eine große Starkstrom Steckdose gehalten. Ein Wunder, dass ich das überlebte. Ob es sich lohnte, dafür zu sterben? Energetisiert von der kurzen Berührung schaltete ich in Lichtgeschwindigkeit in meinen Flirtmodus. Zwar war der noch nicht allzu erprobt, schließlich hatte ich noch nie einen Freund gehabt, aber man lernt ja aus Film und Fernsehen. Irgendwie musste ich ihn beeindrucken, dachte ich. Aber was beeindruckte einen Junior Hotel Manager? Irgendwas mit Geld, und Unternehmertum bestimmt. Oh und scheinbar Wandern. „Ach Wandern, ich liebe Wandern“, erwischte ich mich beim druckreifen Lügen. Ich hasste Wandern in Wahrheit.

„Wirklich? Fantastisch! Vielleicht komme ich auf dich zurück“, sagte er und legte das Heft der Harzer Wandernadel auf den Tresen an der Kasse. Was auch immer das bedeutete. Er komme darauf zurück? Auf meine Lüge? Ich spürte, dass unser Gespräch kurz vor dem Ende stand und versuchte krampfhaft, es zu verlängern. Da fiel es mir wie ein Blitz ein. Die Stoffstücke!

„Wenn du das Heft kaufst, würde ich dir dazu unsere neueste Innovation empfehlen, eine individualisierbare Wanderpasshülle mit regionalen Motiven! Und schützt natürlich das Heft vor Feuchtigkeit und dem Wetter beim Wandern“, verkaufte ich die Innovation meiner Mutter. Die bekam zum Glück vom ganzen Spektakel nichts mit, weil sie im Hinterraum fleißig an genau dieser Innovation weiter nähte. Aber ein Exemplar lag zu meiner Freude schon auf dem Tresen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich jemals über dieses Ding freuen würde.

„Wie niedlich, das wäre perfekt für die Social Media Kampagne!“, erwiderte er und griff nach der Stoffhülle. Wenn ich das Ding sofort verkaufe, sehe ich ihn nie wieder, dachte ich und strengte mich an, noch einen guten Gedanken zu fassen. Dabei hatte ich es eben schon ausgesprochen.

„Na dann würde ich aber empfehlen, dass ich deinen Namen darauf sticken lasse, für die Personalisierung“, erklärte ich stolz. Dann musste er wieder kommen, und ich würde seinen Namen erfahren.

„Weißt du was, ich unterstütze diese Idee.“

Wie geschwollen der Herr von und zu Hotel sich doch ausdrückte. Ich nahm mir einen Notizzettel und begann mit meiner Befragung.

„Welches Motiv möchtest du? Welche Farben magst du? Lieber weichen Stoff oder Kunstleder? Und wie heißt du?“, ermittelte ich.

„Bist du Single?“, hätte ich am liebsten zusätzlich gefragt. Ich nuckelte nervös an meinem Bleistift. Es sollte ein bisschen verführerisch aussehen. Er lachte aber nur.

„Die Silhouette vom Brocken, davor die Hexe, das passt gut zum Hotel Hexenblick“, begann er.

Wie oft will er dieses blöde Hotel eigentlich noch erwähnen?, dachte ich, schrieb aber fleißig mit. „Lieber weicher Stoff, das gefällt mir besser“, fuhr er fort. So weich wie seine Haare, und vermutlich sein Herz, schoss es mir in den Kopf und ich floss dahin.

„Farblich gerne etwas in grün oder braun, naturnah“. So grün wie seine Augen, natürlich. „Und ich heiße Luis. Ohne o.“ Mein Gehirn setzte aus. Wie schrieb ich jetzt seinen Namen? Lewis? Louis? Ach nein, ohne o. Luis?

„L-U-I-S“, buchstabierte er, weil er meine Verwirrung scheinbar bemerkte. Mist.

Ich musste souveräner wirken. „Das wird aber zwei Tage dauern, weil meine M-“, ich stockte.

Wie uncool wäre es, wenn ich jetzt von meiner Mutter sprechen würde? Er zog die Augenbrauen hoch. Wobei, eigentlich nur eine. Aber die konnte er bis zum Mond hochziehen, sodass es mir schauderte. Wenn er das sein Leben lang so tun würde, würde er als alter Mann bestimmt asymmetrische Falten haben, dachte ich. Ich zwang mich, meinen Satz zu vollenden. Es gab nur eine Lösung.

„Meine Mitarbeiter schaffen es erst in 3 Tagen, wegen der hohen Auflage“, log ich und hatte Angst, dass sich die Holzbalken unseres Fachwerkhauses von dieser Lügerei biegen würden. Das taten sie jedoch nicht.

„Ach, sag nicht, dir gehört der Laden?“, fragte Luis, immer noch mit der Mond-Augenbraue. Ich nickte, starb aber innerlich wegen dieser dreisten Lüge. Wenn diese Lüge zu unserer Hochzeit führen würde, ist das sicher okay, dachte ich.

„Das ist ja genial. So jung und schon Unternehmerin. Beeindruckend. Ich komme dann wahrscheinlich nochmal auf dich zu“, erzählte Luis begeistert. Alles wozu ich noch imstande war, war erneutes Nicken. Und beten, dass meine Mutter nicht plötzlich hereinschneite. Was meinte er denn immer damit, auf mich zuzukommen?

„Das Heft nimmst du aber schon heute mit?“, erkundigte ich mich, da ich das Gespräch mittlerweile beenden wollte. Bevor diese Lügen aufflogen, wollte ich mich lieber unter meiner Bettdecke verkriechen.

Diesmal nickte er und ich nannte den Preis. Außerdem ließ ich ihn gleich die Hülle im Voraus bezahlen, damit er auch wirklich wiederkommen würde. Bis dahin müsste ich nur meiner Mutter den Laden abluchsen und irgendwie Wandern zu meinem Hobby gemacht haben. 3 Tage, das wird knapp. Luis bezahlte -natürlich- mit einer Kreditkarte und bedankte sich. Ich packte sein Heft samt Abholschein für die Hülle in unsere schönste Papiertüte und drückte es ihm etwas länger als nötig in die Hand. Der nächste Stromschlag. Diesmal an meinem Daumen. Die Haare an meinem ganzen Körper stellten sich auf und tanzten wild. „Danke. Hat mich gefreut“, lächelte Luis und ging aus dem Laden. Seine grünen Augen funkelten. Es hatte ihn gefreut. Es hatte ihn gefreut. Wie sehr ihn erst die Hochzeit freuen würde? Ich seufzte. 3 Tage. Ich hatte 3 Tage, um mein komplettes Leben zu ändern.

KAPITEL DREI

Nachdem der letzte Nachmittag im Laden meiner Mutter in meinen Gedanken ein ziemlich verknalltes Chaos angerichtet hatte, schien es mir fast unnötig, am nächsten Morgen in die Schule zu gehen. Ich tat es trotzdem, aber nur, um meiner besten Freundin Toni von Luis zu erzählen. Mein Plan, ihr direkt vor der ersten Stunde von meinem Crush zu erzählen, scheiterte an Tonis Unpünktlichkeit.

Ich versuchte, während der Mathestunde via Zeichensprache auf mein Herzensthema aufmerksam zu machen, da Toni an der anderen Seite des Klassenraums saß. Frau Palstek hatte uns auseinandergesetzt, da wir ihrer Meinung nach zu wenig Mathe und zu viele „Jungsgespräche“ im Kopf hatten.

„Das ist für die 11. Klasse sehr kindisch und inakzeptabel“, meckerte sie oft. Das fanden wir nicht. Jungs waren sehr viel spannender als Schule.

Nach dem Klingeln der Pausenglocke stürmte ich auf Toni zu.

„Was sollten deine Grimassen?“, fragte sie und kramte einen grünen Apfel aus ihrer Schultasche. Ich griff mir meine Bärchen-Brotdose (peinlich, ich weiß) und wir verzogen uns in eine Couchecke im Pausenraum.

„Du kannst dir nicht vorstellen, in welch blöde Situation ich mich gebracht habe“, begann ich das Gespräch. Ich erzählte ihr jedes Detail. Von Luis, seinem Zahnpasta Lächeln, den grünen Augen, dem Hotel Hexenblick und mehrfach von seinen flauschigen Haaren, in die ich mich reinlegen wollte.

„Okay zusammengefasst: Du hast einen süßen, aber bisschen arroganten Typen kennengelernt, von dem du nichts weißt, außer dass er Junior Manager in diesem Schnösel Hotel ist und irgendwas mit Wandern und Social Media macht?“, fasste Toni die Situation zusammen. Ich nickte.

„Und um ihn zu beeindrucken, hast du vorgegeben, dir würde der Laden gehören und Wandern ist dein größtes Hobby?“ Sie lachte. Ich lachte. Und weinte gleichzeitig innerlich.

„Wenn du das so sagst, klingt das ziemlich blöd“, meinte ich und verzog das Gesicht.

„Aber es ist blöd!“ Toni schmiss mir ein Kissen an den Kopf. Auf diesem Kissen hatten bestimmt schon Generationen von Schülern gesessen und die Krümel ihrer Pausenbrote in die Textilien geschmiert. Igitt. Ich holte aus und schmiss das Kissen zurück. „Was willst du tun? Die Lügen aufklären und in Kauf nehmen, dass der Schnösel Manager die komplett normale, nicht wandernde, liebenswerte, bodenständige Jules verprellt oder ein Kennenlernen auf Lügen aufbauen?“ Warum war sie so schlau?, dachte ich.

„Naja, ist es wirklich eine Lüge, dass mir der Laden gehört? Schließlich bin ich Einzelkind und die einzige Erbin. Ich habe also nur in Hinblick auf den Zeithorizont gelogen“, verteidigte ich meine Strategie.

„Du hast einen Schuss“, erwiderte Toni lachend. „Und dass du Wandern magst, war auch eine zeitlich verschobene Lüge, weil du direkt heute Wanderschuhe kaufen und an drei Tagen Harzer Wanderkaiserin wirst?“ Ich nickte. Das war doch die Lösung.

„Ja, das ist eine Möglichkeit“, murmelte ich. „Du bist ja total verknallt und nicht mehr zurechnungsfähig! Weißt du, wie viele Stempel man für die Wanderkaiserin braucht? 222! Ich habe bei 100 aufgehört.“ Ich schluckte. Das war ziemlich viel. An drei Tagen wohl unmöglich, außer ich hätte Zauberkräfte.

„Kann man so ein Heft nicht irgendwo schon mit Stempeln kaufen?“, überlegte ich.

„Klar, wenn du wegen Urkundenfälschung angezeigt werden willst, ist das sicher möglich.“ Na toll. „Ich will ja auch nicht weiter lügen. Ich will nur eine Möglichkeit für ein weiteres Kennenlernen schaffen“, meinte ich seufzend.

„Wenn er der Richtige ist, brauchst du dich auch nicht zu verstellen“, gab Toni zu Bedenken.

Ja, wenn das Leben ein Bilderbuch wäre, dann würde ich meinem Traumprinzen wahrscheinlich direkt in der nächsten Schulstunde begegnen. Und die Hochzeit wäre dann noch vor der letzten Stunde. Es gongte. Die Realität holte uns wieder ein. Ich packte mein Pausenbrot zurück in meine Bärchen Dose, denn zum Essen war ich bei diesem wichtigen Gespräch nicht gekommen. Toni pfefferte gekonnt die Reste ihres Apfels in den Mülleimer.

„Apropos Wanderschuhe. Du musst nachher Stiefel reiten. Er wird immer dicker und träger. Um 15 Uhr beim Stall?“ Toni hetzte in die Klasse. Ich rannte hinterher.

„Okay, na gut“, sagte ich und setzte mich zurück auf meinen Platz. Eigentlich hatte ich mit meinem Nachmittag andere Pläne gehabt.

Wandern üben, oder so. Und Luis in meinen Tagträumen anschmachten. Zu einem Ausritt auf den Agnesberg konnte ich jedoch nicht nein sagen. Und Stiefel war zwar das faulste und dickste Pony, das ich kannte, aber auch das süßeste.

Ich fuhr nach der Schule direkt mit dem Bus zum Reiterhof. Vorher hastete ich noch kurz nach Hause, um meine Schultasche gegen meine Reitklamotten zu tauschen. Ich war leider nicht so ein Pferdemädchen wie Toni, da mich meine Heuallergie oft zu Pausen zwang. Solange ich mich von den Heuraufen fernhielt und nicht allzu viel Staub einatmete, genoss ich die Zeit mit den Ponys aber sehr. Toni war bereits am Stall und wirkte beschäftigt. Sie jobbte nach der Schule beim Reiterhof, der fast nur Haflinger hielt und Reiten für Touristen anbot. Zusätzlich fuhren die Hofinhaber die Touristen auch in Kutschen auf das Schloss Wernigerode oder den Brocken, wobei der Brocken für die Pferde ganz schön anstrengend war. Für diese Fahrten gab es Bolli und Mac, zwei gutmütige Kaltblüter.

Toni kümmerte sich um die Touristenausritte, sattelte und putzte die Ponys vorher und nachher und sorgte dafür, dass möglichst wenige Touristen beim Ausreiten vom Pferd fielen. Der ihr viel wichtigere Teil des Jobs war jedoch das Training der Ponys, weil diese durch die ungeübten Touristen etwas abstumpften. Da sie zeitlich mit allem ziemlich überfordert war, half ich ihr ab und zu dabei. Meine Reitkünste waren zwar nicht so ausgefeilt wie Tonis, allerdings schlug ich mich wohl besser als die Touris.

„Ich sattel noch kurz Suleica und Pineapple ab, und dann holen wir Stiefel und Merlin“, rief Toni mir mit einem Sattel auf den Armen zu. Ich nickte und streichelte Suleica, die neben Pineapple draußen auf dem Anbinde Platz war.

„Meinst du nicht, ich könnte Wandern lernen?“, fragte ich Toni und gab ihr die Trense von Suleica. Sie wusch die Trense in einem Eimer sauber.

„Ach Jules, erstens muss man Wandern nicht lernen, sondern einfach machen und zweitens, er ist es sicher nicht wert.“

Ich rollte mit den Augen. Wir putzten die beiden Haflinger kurz ab und führten sie zurück zur