Charlie – Ein Schulbus hebt ab - Irene Zimmermann - E-Book + Hörbuch

Charlie – Ein Schulbus hebt ab Hörbuch

Irene Zimmermann

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Beschreibung

Zum Abheben komisch! Will traut seinen Augen kaum, als Hausmeister Freddie eines Morgens mit einem knallgelben, verbeulten Schulbus über das Internatsgelände rast. Kurzerhand springen er und seine Freunde auf. Was dann passiert, hätte keiner von ihnen erwartet: Nicht nur dass Charlie plötzlich abhebt wie eine Rakete, nein, er fängt sogar noch an zu sprechen! Und weil er die äußerst seltenen und begehrten Sprechbohnen aus dem fernen Dschungel alle gleichzeitig vertilgt hat, braucht er dringend Nachschub. Wer könnte ihm da besser helfen, als seine neuen Freunde aus dem Dreistein-Internat? Zu diesem Buch finden Sie Quizfragen auf antolin.de

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Zeit:2 Std. 40 min

Sprecher:Stephan Schad
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Zum Abheben komisch

Will traut seinen Augen kaum, als Hausmeister Freddie eines Morgens mit einem knallgelben, verbeulten Schulbus über das Internatsgelände rast. Kurzerhand springen er und seine Freunde auf. Was dann passiert, hätte keiner von ihnen er wartet: Nicht nur dass Charlie plötzlich abhebt wie eine Rakete, nein, er fängt sogar noch an zu sprechen! Und er braucht dringend Hilfe …

Lesespaß für Jungs und Mädchen ab 8!

Perfekte Kombination aus Abenteuer, Magie und Humor

Irene Zimmermann

Charlie

Ein Schulbus hebt ab

Mit Illustrationen von Tine Schulz

Wenn jemand mit Karacho um Ecken kurven konnte, dann war es Freddie.

Jeden Morgen sauste der Hausmeister mit seinem silberfarbenen Golfwägelchen durch die weitläufige Anlage des Dreistein-Internats und verteilte Klopapierrollen. Genauer gesagt: Er schmiss sie einfach vor die hübschen Backsteinhäuschen mit den roten Ziegeldächern. Denn Freddie war zwar der netteste, aber auch der faulste Hausmeister der Welt.

Gerade steuerte er auf seiner morgendlichen Tour Haus Siebenschläfer an. Dort stand Will in der offenen Tür und hatte keine Ahnung davon, dass an diesem grauen Herbstmorgen das Abenteuer seines Lebens begann. Verschlafen fuhr er sich mit beiden Händen durch seine rotblonden Stoppelhaare und gähnte so heftig, dass sein Kiefer knackte. Deshalb schaffte er es auch erst in letzter Sekunde, sich zu ducken, als aus der Fahrertür des knallgelben Busses, der soeben um die Ecke schoss, eine Klopapierrolle flog – direkt an seiner Nase vorbei – und auf der Türklinke landete.

Mit offenem Mund stand er da, kratzte sich hinter dem Ohr und überlegte angestrengt. Genauer gesagt: Er versuchte es. Doch auf die Schnelle wollte ihm keine Antwort auf die Frage einfallen, die ihn gerade bewegte: Warum, um alles in der Welt, war Freddie an diesem Morgen nicht mit seinem Golfwägelchen unterwegs? Sondern mit einem knallgelben Bus? Einem Bus, der übrigens ziemlich ramponiert aussah und dessen Stoßstange gefährlich herunterhing. Also rief Will: »Hallo, Freddie, warum bist du mit diesem Bus unterwegs und nicht mit deinem Golfwägelchen?«

Doch Freddie war bereits damit beschäftigt, die nächste Klopapierrolle startklar zu machen (für das Haus Winterschlaf nebenan), und hatte keine Zeit für lange Erklärungen. Während er die Klopapierrolle so schmiss, dass sie punktgenau auf der Türklinke landen würde, rief er: »Wenn du’s wissen willst, fahr mit!«

Natürlich hätte Will es zu gern gewusst. Allerdings dauerte Freddies Klopapierrollenrunde bestimmt viel länger als der Fußweg hinüber zu den Klassenzimmern. Was für Will wieder einmal Zuspätkommen bedeuten würde und einen Eintrag ins Klassenbuch – den dritten schon in diesem Monat. Er überlegte noch, ob es diesen Ärger wirklich wert war, als ihm die Entscheidung abgenommen wurde. Denn die Tür von Winterschlaf öffnete sich und im selben Moment lichteten sich die dicken Wolken. Die Sonne ging auf. Und von dieser Sonne bestrahlt, stand Maisie da, die schöne Maisie mit ihren langen blonden Haaren, die im hellen Morgenlicht wie Gold glänzten. Sie reckte das Kinn, schob mit einem energischen Ruck ihre eckige Brille zurecht, schritt dann entschlossen auf den Bus zu und stieg ein, als sei es das Normalste der Welt.

»Stopp!«, rief Will, der jetzt endlich aus seiner morgendlichen Erstarrung erwacht war. Aufgeregt fuchtelte er mit den Armen. »Ich will auch mit!«

Leider war Freddie da bereits angefahren. Und so blieb Will nichts anderes übrig, als hinter dem Bus herzurennen, hustend und röchelnd, denn der bollernde Auspuff stieß üble schwarze Wolken aus. Aber Will störte sich nicht weiter daran. Er dachte an Maisie. Nicht dass er in sie verliebt war. Aber er fand sie nett, sehr nett sogar.

Der Bus bog ein paarmal um die Kurve, sauste am Sportplatz vorbei und verlangsamte dann an Schlafmütze und Traumwandler. Will rannte immer noch hinterher. Egal, wie sehr er sich auch ins Zeug legte, der Bus fuhr ihm nach jedem kurzen Klopapierrollenwurf vor der Nase weg. Es war wie verhext.

Doch dann stand Maisie beim nächsten Halt an der Tür – es war vor Haus Albtraum – und sie lächelte sogar, als Will es endlich schaffte, sich in den Bus zu hieven. Völlig außer Atem sank er auf den Sitz hinter dem Fahrer. Mit einem dumpfen Geräusch schloss sich die Tür hinter ihm.

»Warum … heute … Bus?«, keuchte er. Das interessierte ihn jetzt doch.

Freddie drehte sich halb zu ihm um, wobei der Bus gefährlich ins Schlingern und beinahe in eines der vielen hübschen Blumenbeete geriet. Er grinste übers ganze Gesicht. »Guten Morgen, Will, sag bloß, du hast noch nichts davon gehört? Das ist der neuste Service des Internats. Damit unsere müden Schüler nicht mehr die paar Hundert Meter bis zum Klassenzimmer laufen müssen.«

»Oh, danke, das ist wirklich sehr nett«, sagte Will höflich.

Hinter ihm kicherte Maisie. Während er noch überlegte, was daran so lustig war, beugte sie sich nach vorn und flüsterte ihm zu: »Das glaubst du jetzt nicht im Ernst. Oder doch?«

»Ähm … Natürlich nicht«, behauptete Will und rieb sich unauffällig etwas Schlaf aus den Augen, bevor er sich mit einem breiten Grinsen zu ihr umdrehte. »Was denkst du denn!?«

Maisie lehnte sich in ihrem Sitz zurück, zuckte mit den Schultern und zwirbelte eine ihrer blonden Haarsträhnen. Will grinste immer noch. Insgeheim dachte er, dass dieser Tag bestimmt ein besonders guter Tag werden würde. Jetzt kam es nur noch darauf an, das Gespräch irgendwie am Laufen zu halten. Krampfhaft, immer noch zu ihr nach hinten gedreht, suchte er nach einer coolen Bemerkung. Vielleicht irgendwas über einen Film? Denn er hatte gehört, dass Maisies Eltern bekannte Schauspieler waren.

Aber das konnte er sich wohl sparen, denn Maisie war aufgesprungen und rief: »Freddie, halt an!« Und dann stand sie auch schon an der Tür, die sich quietschend öffnete, und reichte mit einem strahlenden Lächeln Frank die Hand.

Frank du Bois! Seine schwarzen Locken hatte er wie immer sorgfältig nach hinten gegelt und seine dunklen Augen blitzten, als er Maisie etwas ins Ohr flüsterte. An diesem Morgen trug er eine dunkelbraune Feincordhose (mit Bügelfalte!), weißes Hemd, dunkles Sakko und Krawatte mit goldener Krawattennadel. Krawattennadel! Wer steckte sich denn so was an? Und das an einem stinknormalen Donnerstagmorgen. Total lächerlich! Aber das änderte nichts daran, dass sämtliche Mädchen im Internat für Frank du Bois schwärmten. Denn er sah einfach umwerfend gut aus. Angeblich hatte er seit Kurzem sogar einen Fanklub und Will fragte sich schon die ganze Zeit, ob Maisie womöglich auch Mitglied war.

Er verzog das Gesicht und wünschte Frank du Bois wieder einmal dorthin, wo er herkam, angeblich von irgendeinem Schloss in Frankreich. Oder dorthin, wo der Pfeffer wächst, Hauptsache, weit, weit weg.

Als Einziger hatte Frank du Bois nicht an der Aufnahmeprüfung teilgenommen. Dabei musste man zum Beispiel an einer Fototafel herausfinden, welcher Lehrer welches Fach unterrichtete. Also genau das Richtige für Will, der sich für sein Leben gern an schwierige Aufgaben machte. Dummerweise war er so aufgeregt gewesen, dass er lediglich 62 von 100 möglichen Punkten erreicht hatte – was ihn immer noch ein bisschen ärgerte. Frank dagegen war mit einer Ausnahmegenehmigung aufgenommen worden, weil sein Vater angeblich den Direktor gut kannte. Das wäre für Will, der in dieser Hinsicht großzügig war, ja noch in Ordnung gewesen. Aber er fand Frank du Bois leider furchtbar eingebildet und außerdem viel zu sehr an Maisie interessiert. Und jetzt setzten sich die beiden auch noch nebeneinander, geradeso, als würden sie zusammengehören.

Gespannt beobachtete Will, wie Frank etwas aus seiner Hosentasche zog und Maisie anbot.

»Das ist echter australischer Kaugummi«, hörte er ihn sagen. »Frag lieber nicht, wie teuer so ein Päckchen ist.«

»Hi«, nuschelte in diesem Moment jemand und tippte ihm auf die Schulter. Will fuhr herum.

Mit einem entschuldigenden Lächeln ließ Luke sich auf den Sitz neben ihm fallen. Anscheinend war er im Windschatten Franks noch schnell in den Bus geklettert. Kaum hatte er Rucksack und Sporttasche unter den Sitz geschoben, zog er auch schon seine Mundharmonika aus der Brusttasche seines karierten Holzfällerhemdes und legte los. Volle Dröhnung. Und Will direkt ins Ohr.

Will presste beide Hände auf die Ohren. Unauffällig wandte er den Kopf und linste hinüber zu Maisie, die sich gerade einen Kaugummi in den Mund steckte und dann glockenhell auflachte. Schlagartig hatte er richtig schlechte Laune und das lag nicht nur an der Mundharmonika.

»Geht’s auch leiser?«, raunzte er.

»Kein Problem«, meinte Luke achselzuckend und steckte die Mundharmonika wieder weg. Nur kurz überlegte er, dann zog er sein Mathebuch aus dem Schulrucksack und trommelte darauf herum. Was Will mindestens genauso ätzend fand wie die Mundharmonika. Und dann war da auch noch Franks laute Stimme zu hören. Von seiner Segeljacht erzählte er und davon, dass sein Vater ihm unbedingt ein Flugzeug kaufen wolle.

»He, alles in Ordnung mit dir?«, fragte Luke besorgt und Will nickte.

Der arme Luke konnte wirklich nichts dafür. Er wollte doch nur Musik machen. Luke träumte davon, Musiker zu werden. Aber seine Eltern – sie besaßen eine Fischfabrik irgendwo im Norden – hatten es ihm verboten und ihn stattdessen nach Dreistein geschickt. Denn dort unterrichtete man nur die wirklich wichtigen Fächer und vergeudete nicht die Zeit mit nutzlosem Musizieren. Doch Luke war schlau genug gewesen, eine Mundharmonika einzuschmuggeln, und er spielte wirklich gut. Aber leider auch immer und überall. Will war nicht der Einzige, der manchmal die Flucht ergriff.

»Ähm … Fährst du in den Ferien heim oder bleibst du hier?«, wollte Luke wissen.

Will tat, als habe er nichts gehört.

»Entschuldigung«, flüsterte Luke und senkte verlegen den Kopf. »Ich habe nicht dran gedacht, dass du …«

Will nickte nur. Er war nicht der Einzige, der die Ferien im Dreistein verbringen würde. Aber er war der Einzige, dessen Eltern vor Jahren spurlos verschwunden waren. Alle wussten, dass er über dieses Thema nie sprach.

»Ich bleibe in den Ferien gern im Dreistein, weil das Essen so fantastisch schmeckt.« Will grinste und verzog dann angewidert das Gesicht. »Mich würde echt mal interessieren, aus welchem Horrorkochbuch die Rezepte stammen. Wurstkuchen mit Rosenkohl. Wer erfindet denn so was?«

Luke grinste erleichtert. Eindeutig, Will war ihm nicht böse. »Was ist übrigens mit dem Igel, den du neulich gefunden hast?«, fragte er.

»Der hatte ein gebrochenes Bein. Der Tierarzt meint aber, er kommt auf alle Fälle durch.«

Der Igel war auch der Grund gewesen, warum Will in der Woche zuvor volle drei Stunden zu spät in den Unterricht gekommen war. Allein eine halbe Stunde hatte er zu Fuß zum Tierarzt gebraucht und dann noch ewig lang warten müssen.

Luke stieß ihn an: »Hast du zufällig ’ne Ahnung, warum Freddie heute mit diesem Bus unterwegs ist?«

Bevor Will antworten konnte, machte der Bus mit einem Mal einen gewaltigen Hüpfer. Will wurde unsanft nach vorn geschleudert, wo Freddie sich gerade den Hut vom Kopf riss und freundlich grüßte. Anscheinend war es einer der seltenen Tage, an denen der Direktor nicht in seinem Büro saß und darüber nachdachte, wie die Schülerinnen und Schüler des Internats schlauer werden konnten. Stattdessen kam er quer über den Rasen gerannt, direkt auf den Bus zu. Er wedelte dabei aufgeregt mit den Armen durch die Luft, als wolle er einen riesigen Schwarm Hornissen verscheuchen. Noch immer schwenkte Freddie lächelnd seinen Hut. Denn zu einem Direktor konnte man nie freundlich genug sein.

Will rappelte sich auf, rieb sich die Stirn (vermutlich würde er eine gewaltige Beule bekommen) und schlich zu seinem Sitzplatz zurück.

»Das wird ein wunderwunderschöner Tag heute!«, hörte er Freddie vergnügt rufen. Er musste Vollgas gegeben haben, denn der Bus beschleunigte und bog scharf nach rechts ab. Und dann nach links. Und wieder rechts …

Nicht nur Will schrie auf. Wunderwunderschöner Tag? Danach sah es nun allerdings überhaupt nicht aus. Sie waren mittlerweile kreuz und quer durch die prächtig angelegten Rosenbeete gerast, die auf jedem Hochglanzprospekt des Dreistein-Internats prangten, und hielten jetzt genau auf den Direktor zu. Mit weit ausgebreiteten Armen, einen entschlossenen Ausdruck im Gesicht, hatte er sich mitten auf dem Kiesweg aufgebaut. Will schluckte und schloss lieber mal die Augen. Actionfilme am frühen Morgen waren nicht so sein Ding …

Als er kurz darauf vorsichtig blinzelte, sah er, dass der Direktor sich mit einem beherzten Sprung in den Goldfischteich in Sicherheit gebracht hatte.

»Verdammt!«, schimpfte Freddie und setzte seinen Hut wieder auf.

Ihm war wohl gerade klar geworden, dass Hutwinken hier nichts mehr half. »Ich muss diesen verflixten Bus wieder in den Griff bekommen.«

Im Rückspiegel konnte Will Schweißperlen auf seiner Stirn erkennen. Mit beiden Händen umklammerte Freddie das Lenkrad und brüllte: »Alles festhalten!«

Und endlich, nach einem Schlenker in die erst vor wenigen Tagen angelegte Buchsbaumhecke, kam der Bus mit quietschenden Bremsen direkt an der Einfahrt zum Stehen.

»Wenn ich den Kerl erwische, der mir diesen verdammten Bus auf dem Schulgelände abgestellt hat!«, schnaubte Freddie.

Er war kalkweiß – ganz im Gegensatz zum Direktor. Der stand mit hochrotem Kopf und triefend nassem Anzug draußen vor der Bustür und hämmerte mit den Fäusten dagegen. Dabei brüllte er. Vermutlich war es etwas Unfreundliches, denn sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Aber außer »Unverschämtheit« und »Frechheit« und »Kündigung« war nichts zu verstehen, denn der Motor heulte immer wieder auf.

Will hörte Freddie irgendetwas sagen, es klang wie ganz ruhig, ganz ruhig. Er überlegte, ob der Hausmeister mit sich selbst sprach oder eher mit dem Direktor, der gerade mit beiden Händen die Tür aufstemmte.

Der Motor gab jetzt ein merkwürdig glucksendes Geräusch von sich, fast so, als würde er kichern. Freddie nahm seinen Hut ab, wischte sich mit dem Taschentuch über Stirn und Nacken und setzte den Hut wieder auf. Dann stieg er aus und verkündete mit lauter Stimme: »Jetzt knöpf ich mir aber mal diesen verdammten Motor vor!«

Doch dazu kam er nicht mehr. Denn unvermittelt machte der Bus einen gewaltigen Satz und Freddie hechtete zur Seite. Das Letzte, was Will von ihm sah, war sein schwarz-weiß karierter Hut, der von einem heftigen Windstoß quer über den Rasen getrieben wurde und schließlich im Goldfischteich versank.

Während der Motor erneut und noch lauter aufheulte, nahm der Bus gewaltig Tempo auf. Er raste durch die von wuchtigen Eichen begrenzte Einfahrt, schoss die graue Landstraße entlang, die sich wie ein schnurgerades Band vorbei an Wiesen und Feldern zog, und wurde schneller und immer schneller …

Jemand kreischte. Maisie …? Frank …? Oder Luke, der sich an Wills Arm festklammerte? Will brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass auch er selbst laut kreischte. Undeutlich glaubte er, Maisies Stimme zu hören, voller Panik. Und Frank, der immer wieder »Anhalten, anhalten!« brüllte. Wovon natürlich nichts besser wurde. Im Gegenteil! Will schien es, als würde der Bus jetzt erst recht an Geschwindigkeit zulegen. Was, wenn irgendwo eine Kreuzung kam? Eine rote Ampel? Will spürte, wie ihm übel wurde. Irgendetwas musste geschehen, und zwar sofort. Nur was? Hastig löste er sich aus Lukes Klammergriff, zog ihm die Mundharmonika aus seiner Brusttasche und drückte sie ihm in die Hand. »Spiel was!«, rief er. Vielleicht würde das Luke ja beruhigen. Dann schlängelte er sich an ihm vorbei, nach vorn, auf den durchgesessenen Fahrersitz, wo er ratlos auf das Armaturenbrett mit all seinen Hebeln und Knöpfen starrte. Die Nadel des Drehzahlmessers zitterte im roten Bereich, ebenso die Temperaturanzeige, und dann gab es noch ein paar Lämpchen, die hektisch rot blinkten und deren Bedeutung er nicht kannte. Lediglich eines war klar: Hier herrschte echt Alarmstufe Rot!

Versuchsweise bewegte er das Lenkrad ein wenig nach rechts, lenkte aber sofort wieder zurück, als sie von der Straße abkamen und direkt auf ein Birkenwäldchen zusteuerten. Also musste man bremsen. Das war ja wohl das Einfachste der Welt. Fast hätte er gelacht. Warum war er denn nicht gleich darauf gekommen? Das riesige Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert, stemmte er sich mit aller Kraft gegen das mittlere der drei Pedale. Der Bus ruckelte ein wenig, geradeso, als hätte er sich verschluckt. Und er schien langsamer zu werden.

Während Will noch überlegte, was Maisie wohl dazu sagen würde, dass er dieses Teufelsding zum Stehen gebracht hatte, wurde es totenstill im Bus …

Aber nur für einen Augenblick. Dann ertönte ein seltsames Geräusch. In Wills Ohren klang es wie ein lautes Jaulen und eine noch stärkere Kraft als zuvor presste sie in die Sitze. Sekundenbruchteile später hob der Bus ab und kurz darauf war er auch schon zwischen den Wolken verschwunden.

Keiner sagte ein Wort. Die panischen Schreie waren längst verstummt. Niemand kreischte oder schluchzte mehr. Schweigend, mit bleichen Gesichtern, hingen die Kinder reglos in ihren Sitzen.

Will starrte auf das graue Wolkenmeer, das sich unter ihnen erstreckte. Ab und zu tat sich eine Lücke auf und gab den Blick frei auf die Landschaft, eine Spielzeuglandschaft mit Wiesen und Wäldern, Seen und Flüssen und Dörfern; einmal konnte Will sogar eine Burg ausmachen. Ihm fiel die Modelleisenbahn ein, mit der er früher gern gespielt hatte. Nur konnte man die anhalten – im Gegensatz zu diesem Bus. Der flog unbeirrt, egal, welches Pedal Will trat, welchen Hebel er betätigte.

Wenigstens war der Flug inzwischen ruhiger geworden und Wills Magen entkrampfte sich langsam. Hinter sich hörte er Luke leise auf der Mundharmonika spielen, nicht sonderlich melodisch, aber immerhin, und Will ruckelte mit der rechten Hand den Rückspiegel zurecht, bis er Frank im Blickfeld hatte. Einen Frank, der schlaff in seinem Sitz hing und eindeutig grün im Gesicht war. Will verkniff sich ein Grinsen. Aber wo zum Teufel steckte Maisie? Sie hatte vorhin doch noch neben Frank gesessen. Wo …

»Könntest du jetzt wieder damit aufhören?«, hörte er in diesem Moment ihre Stimme direkt neben sich.

Schuldbewusst ließ Will den Rückspiegel los. Maisie lehnte lässig an der Tür, aber das täuschte. Ihre schmalen Augenbrauen waren hochgezogen und ihre Stimme hatte schneidend geklungen. Als Will sie fragend anschaute, stieß sie ein ärgerliches »Du Trottel!« aus. »Der Spaß ist ab sofort zu Ende«, fügte sie hinzu. »Außerdem schreibt Frank in fünf Minuten eine Mathearbeit. Er möchte ungern zu spät kommen.«