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Der Roman erschien 1925 und bildet den zweiten Teil der Löwensköld-Trilogie. Der Roman spielt im Värmland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts und handelt von der Liebe der jungen Charlotte Löwensköld zu dem Pfarrer Karl-Artur Ekenstedt. Auf Grund einer Reihe von Missverständnissen wird die Verlobung der beiden aufgelöst, und Charlotte kämpft verzweifelt und letztlich vergebens darum, sich mit Karl-Artur zu versöhnen.
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Seitenzahl: 425
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Charlotte Löwensköld
Selma Lagerlöf
In Karlstadt lebte vorzeiten eine Frau Oberst, namens Beate Ekenstedt.
Sie war aus dem Geschlechte Löwensköld von Hedeby und folglich eine geborene Freiin; sie war sehr liebenswürdig und sehr hübsch und sehr gebildet, und sie konnte Gedichte machen, die genau so ausgezeichnet waren wie die von Frau Lenngren.
Sie war klein von Gestalt, hatte aber eine sehr gute Haltung wie alle Löwenskölds. Dabei hatte sie ein höchst interessantes Gesicht und wußte jedermann schöne und angenehme Dinge zu sagen. Über ihrer ganzen Erscheinung lag ein romantischer Schimmer, und wer sie einmal gesehen hatte, konnte sie nie wieder vergessen.
Frau Beate Ekenstedt war immer ausgesucht gut gekleidet und auch stets auffallend schön frisiert; wo sie auch hinkam, immer hatte sie die schönste Brosche und das geschmackvollste Armband und den strahlendsten Brillantring. Sie hatte auch die kleinsten Füße, die ein Mensch haben kann, und ob es nun Mode war oder nicht, so trug sie doch jederzeit kleine Goldbrokatschuhe mit hohen Hacken.
Frau Beate Ekenstedt wohnte im vornehmsten Haus in Karlstadt, und das lag nicht zwischen den andern Häusern in engen Gassen, sondern am Ufer des Klarelfs, so daß die Frau Oberst von ihrem eigenen kleinen Zimmer aus auf den Fluß hinaussehen konnte. Sie pflegte auch zu berichten, daß sie in einer Nacht, als heller Mondschein auf dem Flusse lag, dicht unter ihren Fenstern den Neck auf einem Stein sitzen und auf seiner goldenen Harfe habe spielen sehen. Und niemand kam es auch nur in den Sinn, daran zu zweifeln, daß sie richtig gesehen hatte. Warum sollte auch der Neck nicht ebenso gut, wie so viele andere, der Frau Oberst Ekenstedt ein Ständchen darbringen wollen?
Alle vornehmen Reisenden, die nach Karlstadt kamen, pflegten Frau Beate Ekenstedt ihre Aufwartung zu machen. Sie waren auch sofort ganz begeistert von ihr und meinten, es sei doch hart für sie, in einer solchen Kleinstadt begraben zu sein. Es ging das Gerücht, Bischof Tegnér habe Frau Beate besungen, und der Kronprinz habe gesagt, sie besitze den Scharm einer Französin. Ja, und sogar General von Essen sowie noch andere aus der Zeit Gustavs III. mußten zugeben, daß die Festessen bei Frau Oberst Ekenstedt unvergleichlich gewesen seien, sowohl hinsichtlich der Speisen wie der Bedienung und der Unterhaltung.
Frau Beate Ekenstedt hatte zwei Töchter, Eva und Jacquette. Es waren nette und liebe Mädchen, und sie würden in der ganzen Welt bewundert und umschwärmt gewesen sein; in Karlstadt jedoch hatte niemand Augen für sie. Hier wurden sie von ihrer Mutter gänzlich in den Schatten gestellt. Wenn sie auf einem Ball erschienen, so liefen sich die jungen Herrn die Beine ab um einen Tanz mit der Mutter; Eva und Jacquette aber saßen als Mauerblümchen an den Wänden, und, wie schon gesagt, brachte nicht nur der Neck vor dem Ekenstedtschen Hause Ständchen, doch niemals sang jemand unter dem Fenster der Töchter, sondern nur immer unter dem der Frau Oberst. Junge Poeten machten Gedichte an B. E.; aber keinem fiel es ein, auch nur ein paar Strophen an E. E. oder J. E. zusammenzuschmieden. Böse Zungen behaupteten, ein Leutnant habe einmal um die kleine Eva Ekenstedt angehalten, aber einen Korb bekommen, weil die Frau Oberst meinte, er habe einen schlechten Geschmack.
Die Frau Oberst hatte auch einen Oberst, einen prächtigen, tüchtigen Mann, der überall, wohin er gekommen wäre, die größte Wertschätzung gefunden hätte, ausgenommen in Karlstadt. In Karlstadt verglich man den Herrn Oberst mit der Frau Oberst, und wenn man ihn an der Seite seiner Frau sah, die so strahlend, so ungewöhnlich, so reich an Einfällen, so prickelnd lebhaft war, dann meinte man, er sehe aus wie ein Dorfschulze. Die Gäste in seinem Hause hörten kaum hin, wenn er etwas sagte; es war, als sähe ihn überhaupt niemand. Davon war indes keine Rede, daß die Frau Oberst auch nur einem von all den Herren, die sie umschwärmten, die kleinste unziemliche Annäherung gestattet hätte. Ihr Wandel war ohne Tadel; aber ihren Mann aus seinem vergessenen Winkel hervorzuziehen, daran dachte sie allerdings nie. Sie glaubte wohl, es sei ihm lieber, unbemerkt zu bleiben.
Aber diese scharmante Frau Oberst, diese gefeierte Frau Oberst hatte nicht nur einen Mann und zwei Töchter, sie hatte auch noch einen Sohn. Und diesen Sohn liebte sie; ihn bewunderte sie, ihn stellte sie bei jeder Gelegenheit ins hellste Licht. Die Gäste im Hause Ekenstedt durften sich's nicht einfallen lassen, ihn zu vernachlässigen oder links liegen zu lassen, falls sie sich Hoffnung machten, ein andermal wieder eingeladen zu werden. Andererseits darf aber auch nicht geleugnet werden, daß die Frau Oberst Ursache hatte, stolz auf ihren Sohn zu sein. Er war nicht nur begabt, sondern hatte auch ein liebenswürdiges Wesen und ein ansprechendes Äußere. Er war weder dreist noch aufdringlich wie andere verzogene Kinder. Er schwänzte die Schule nicht und spielte seinen Lehrern keine bösen Streiche. Er war romantischer veranlagt als seine Schwestern. Ehe er das achte Jahr vollendet hatte, konnte er schon richtige nette Gedichtchen machen. Öfters erzählte er auch seiner Mutter, er habe den Neck spielen hören und die Elfen auf den Voxnäswiesen tanzen sehen. Er hatte feine Züge und große dunkle Augen, ja, er war seiner Mutter echtes Kind in jeder Beziehung.
Obwohl er das ganze Herz der Frau Oberst ausfüllte, konnte man doch nicht eigentlich sagen, daß sie eine schwache Mutter sei. Zum mindesten mußte Karl Artur Ekenstedt arbeiten lernen. Sie stellte ihn höher als alle anderen Lebewesen; aber gerade darum durfte er auch nur mit den besten Zeugnissen, die zu erreichen waren, vom Gymnasium heimkommen. Und eins wurde von jedermann bemerkt: solange Karl Artur in einer Klasse war, lud die Frau Oberst nie einen seiner Lehrer zu sich ein. Nein, niemand sollte sagen können, Karl Artur bekäme seine guten Zeugnisse, weil er der Sohn der Frau Oberst Ekenstedt sei, die so ausgesuchte Festmahlzeiten gab. Seht, das war der Stil der Frau Oberst!
In seinem Abgangszeugnis vom Gymnasium in Karlstadt hatte Karl Artur die allerbeste Nummer, gerade wie Erik Gustav Geijer seinerzeit. Und das Studentenexamen zu Upsala war für Karl Artur das gleiche Kinderspiel wie für Geijer. Die Frau Oberst hatte ja den kleinen rundlichen Professor Geijer oft gesehen und ihn wohl auch als Tischherrn gehabt. Gewiß war Professor Geijer begabt und berühmt; aber sie mußte doch immer denken, Karl Artur habe einen geradeso hellen Kopf, er könne wohl auch noch einmal ein berühmter Professor werden und es so weit bringen, daß der Kronprinz Oskar und der Landeshauptmann Järta sowie die Frau Oberst Silfverstolpe nebst allen den übrigen Berühmtheiten in Upsala seinen Vorlesungen lauschen würden.
Im Herbst 1826 kam Karl Artur auf die Universität nach Upsala. Und in diesem ganzen Semester, sowie auch in allen den folgenden Jahren, schrieb er jede Woche einmal nach Hause. Und keiner seiner Briefe wurde vernichtet, Frau Beate hob sie alle auf. Sie las sie für sich immer wieder durch, und an den gewohnten Sonntagnachmittagen, wenn die Familie zusammenkam, pflegte sie den letztangekommenen vorzulesen. Und das konnte sie auch. Es waren Briefe, auf die sie mit Recht stolz war.
Frau Beate hatte die Verwandtschaft halb und halb im Verdacht, diese habe erwartet, Karl Artur werde sich etwas weniger vorzüglich zeigen, wenn er einmal von Hause weg sei. So war es Frau Beate ein Triumph, den Verwandten vorzulesen, wie Karl Artur billige möblierte Zimmer mietete und wie er, um zu Hause essen zu können, Butter und Käse selbst auf dem Markt einkaufte, wie er Schlag fünf Uhr morgens aufstand und zwölf Stunden täglich arbeitete. Und alle die ehrerbietigen Wendungen, die er in den Briefen gebrauchte, und alle die Ausdrücke von Bewunderung, die er an seine Mutter richtete! Für kein Geld hätte es sich Frau Beate nehmen lassen, dem Dompropst Sjöborg, der mit einer Ekenstedt verheiratet war, und dem Ratsherrn Ekenstedt, dem Onkel ihres Mannes, sowie den Basen Stake, die auf dem Markt in dem großen Eckhaus wohnten, vorzulesen, daß Karl Artur, der nun draußen in der Welt lebte, noch immer der Überzeugung war, seine Mutter wäre eine Dichterin ersten Ranges geworden, wenn sie es nicht für ihre Pflicht gehalten hätte, für Mann und Kinder zu leben. Nein, nicht um alles in der Welt hätte sie dieses Vorlesen unterlassen mögen, sie tat es ja viel zu gern. Sosehr sie auch an alle möglichen Arten von Huldigung gewöhnt war – diese Worte konnte sie nicht lesen, ohne daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.
Aber den größten Triumph feierte die Frau Oberst doch gegen Weihnachten, als Karl Artur schrieb, er habe das Geld, das ihm sein Vater nach Upsala mitgegeben, nicht aufgebraucht, sondern er bringe noch etwa die Hälfte davon wieder mit. Da waren der Dompropst und die Ratsherrn geradezu verblüfft, und die längste der Basen Stake schwur, so etwas sei noch nie dagewesen und werde auch niemals wieder vorkommen. Ja, Karl Artur war ein Wunder, darin stimmte die ganze Familie überein.
Gewiß fühlte sich die Frau Oberst vereinsamt, als Karl Artur den größten Teil des Jahres auf der Universität zubrachte; aber ihre Freude an den Briefen war doch zu groß, als daß sie wünschen konnte, es möchte anders sein. Wenn er eine Vorlesung des großen neuromantischen Dichters Atterbom gehört hatte, konnte er sich unglaublich interessant über Philosophie verbreiten; und wenn ein solcher Brief kam, dann konnte Frau Beate noch stundenlang von all der Größe träumen, die Karl Artur erreichen würde. Sie zweifelte gar nicht daran, daß er so berühmt werden würde wie Professor Geijer. Ja, vielleicht wurde er sogar ein ebenso großer Mann wie Karl von Linné. Warum sollte er nicht ebenso weltberühmt werden können? Oder warum sollte er nicht ein großer Dichter werden – ein zweiter Tegnér? Ach, ach, niemand kann so ausgiebig bei Tische schwelgen, wie der, so sich in Gedanken ein Festmahl gibt!
In allen Weihnachts- und Sommerferien kam Karl Artur heim nach Karlstadt, und sooft Frau Beate ihren Sohn wiedersah, erschien er ihr männlicher und schöner. Aber sonst war er in keiner Weise verändert. Er zeigte sich immer gleich liebevoll gegen seine Mutter, gleich ehrerbietig gegen seinen Vater und gleich munter und scherzhaft gegen seine Schwestern.
Zuweilen konnte die Frau Oberst auch ungeduldig werden, als Karl Artur Jahr für Jahr in Upsala weiterstudierte, ohne daß irgendein Fortschritt bemerkbar gewesen wäre. Von allen Seiten wurde ihr jedoch versichert, daß Karl Artur, wenn er das große Staatsexamen machen wolle, dazu recht ausgiebig Zeit brauche, bis er fertig sein könne. Sie solle nur überlegen, was das heißen wolle, ein Examen abzulegen und Zeugnisse zu erhalten, und zwar in allen Fächern, die an der Universität gelehrt würden, in Astronomie, Hebräisch und Geometrie. Das wolle alles seine Zeit haben. Die Frau Oberst sagte, das sei doch ein fürchterliches Examen, und darin gab man ihr recht, meinte aber, man könnte es doch nicht ändern, nur um Karl Arturs willen.
Im Spätherbst 1829, als Karl Artur im siebenten Semester in Upsala war, schrieb er zur größten Freude der Frau Oberst, er habe sich nun zu einer lateinischen Prüfung angemeldet. Es sei ja kein so besonders schweres Examen, schrieb er, aber doch ein wichtiges, denn man müsse im Lateinischen durchaus bewandert sein, wenn man zum großen Examen zugelassen werden wolle.
Karl Artur machte nicht viel Aufhebens von dieser schriftlichen Arbeit. Er sagte nur, es wäre gut, sie hinter sich zu haben. Er habe sich ja freilich nicht eingehender mit dem Lateinischen befaßt als viele andre auch, aber er dürfe doch wohl hoffen, gut durchzukommen.
In diesem Brief äußerte er auch, dies werde in diesem Semester das letztemal sein, daß er seinen lieben Eltern schreibe. Sobald ihm der Ausfall des Examens bekannt sei, wolle er sich auf den Heimweg machen. Und am letzten Tage des November hoffe er bestimmt, seine Eltern und Schwestern wieder in seine Arme zu schließen.
Nein, Karl Artur hatte gewiß nicht viel Wesens aus der lateinischen Prüfung gemacht, und darüber war er recht froh, denn, kurz gesagt, – er fiel durch. Die Professoren erlaubten sich tatsächlich, ihn durchfallen zu lassen, obwohl er in seinem Abgangszeugnis von Karlstadt in allen Fächern die beste Examensnummer gehabt hatte.
Karl Artur war eigentlich viel mehr entsetzt und überrascht, als gedemütigt. Er konnte auch seine Ansicht darüber, daß seine Art, die lateinische Sprache zu behandeln, viel für sich habe, nicht ändern. Gewiß war es sehr ärgerlich, als Unterlegener heimzukommen; aber er glaubte doch, seine Eltern, oder wenigstens seine Mutter, würden einsehen, daß seine Niederlage in gewissen Spitzfindigkeiten ihren Grund habe. Die Professoren in Upsala wollten wohl zeigen, daß sie größere Anforderungen stellten als das Gymnasium zu Karlstadt, oder sie hatten es vielleicht als Beweis von allzugroßem Selbstbewußtsein aufgefaßt, daß Karl Artur keine lateinischen Vorlesungen besucht hatte.
Die Reise von Upsala nach Karlstadt nahm mehrere Tage in Anspruch, und Karl Artur hatte sicherlich sein Mißgeschick schon vergessen, als er am dreißigsten November in der Abenddämmerung durch das Osttor in seine Heimatstadt einfuhr. Er war sogar ganz zufrieden mit sich selbst, weil er genau an dem Tage heimkam, den er angegeben hatte. Er malte sich aus, wie seine Mutter nun am Salonfenster stehen und nach ihm ausspähen werde, während die Schwestern den Kaffeetisch richteten.
In derselben guten Stimmung fuhr Karl Artur durch die ganze Stadt, bis er aus den engen, winkeligen Gassen hinauskam und den Fluß, sowie an dessen rechtem Ufer das Ekenstedtsche Haus erblickte. Aber um alles in der Welt, was war denn darin los? Das ganze Haus war hell erleuchtet und lag so strahlend da wie eine Kirche am Weihnachtsmorgen. Und Schlitten, dicht besetzt mit in Pelze gehüllten Menschen, glitten an ihm vorbei, und zwar alle seinem Vaterhause zu.
»Sie müssen daheim ein großes Fest feiern,« dachte er, und dieser Gedanke war ihm gar nicht angenehm. Er war ja von der Reise müde und würde nun keine Zeit zum Ausruhen haben, sondern mußte sich umziehen und den Gästen bis Mitternacht Gesellschaft leisten.
Doch plötzlich wurde er unruhig.
»Wenn nur Mama nicht ein Fest veranstaltet hat, um meine lateinische Prüfung zu feiern!«
Er befahl dem Kutscher, am Nebeneingang zu halten, und stieg dort aus, um nicht mit den Gästen zusammenzutreffen.
Ein paar Minuten später wurde die Frau Oberst gebeten, sich ins Zimmer der Haushälterin zu begeben, um Karl Artur zu begrüßen, der soeben dort angekommen sei.
Frau Beate war in großer Sorge gewesen, ob Karl Artur auch rechtzeitig zum Fest erscheinen werde, und sie war überglücklich, als seine Ankunft gemeldet wurde. Rasch eilte sie zu ihm.
Aber Karl Artur begrüßte sie mit strengem Blick. Er schien nicht zu sehen, daß sie ihm die Arme entgegenstreckte. Ja, er machte nicht einmal Miene, sie zu begrüßen.
»Was geht hier vor?« fragte er. »Wozu ist gerade heute die ganze Stadt hierher eingeladen?«
Da war keine Rede mehr von »geliebten Eltern«. Karl Artur bezeugte nicht die geringste Freude über das Wiedersehen mit seiner Mutter.
»Ich dachte mir, wir wollten eine kleine Feier haben, nun du das schreckliche Examen hinter dir hast,« sagte Frau Beate.
»Du hast wohl gar nicht mit in Rechnung gezogen, daß ich auch durchfallen könnte,« versetzte Karl Artur. »Aber ich bin tatsächlich durchgefallen.«
Die Frau Oberst stand ganz bestürzt da.
Nein, der Gedanke, Karl Artur könnte durchfallen, wäre ihr allerdings niemals in den Sinn gekommen.
»An und für sich hat es auch gar nichts zu sagen,« fuhr Karl Artur fort. »Aber braucht es denn gleich die ganze Stadt zu wissen? Du hast wohl alle die Leute eingeladen, Mama, um meine Triumphe zu feiern?«
Die Frau Oberst stand noch immer wie aus den Wolken gefallen da.
Seht, sie kannte ja die Karlstädter! Diese hielten Fleiß und Sparsamkeit wohl für große Vorzüge bei einem Studenten, aber es war ihnen nicht genug. Sie erwarteten auch Preise von der schwedischen Akademie und Disputationen, die so glänzend waren, daß alle die alten Professoren unter ihren Bärten erbleichten. Die Karlstädter erwarteten geistreiche Improvisationen bei den Nationalfesten und Einladungen in die literarischen Kreise, zu Professor Geijer oder zu dem Landeshauptmann von Krämer oder zu der Frau Oberst Silfverstolpe.
So faßten die Karlstädter es auf; aber in Karl Arturs bisheriger Laufbahn hatten sie noch nichts von Glanz und Auszeichnung entdecken können, was seine hervorragende Begabung bewiesen hätte. Ja, das vermißten die Leute. Frau Beate wußte es nur allzugut, und wenn nun Karl Artur endlich eine Probe seiner Kenntnisse abgelegt hatte, so meinte sie, es könne nichts schaden, wenn man etwas Klimbim darüber machte.
Aber daß Karl Artur durchfallen könne, damit hatte sie freilich nicht gerechnet.
»Niemand weiß etwas Bestimmtes,« sagte sie endlich nachdenklich. »Niemand außer den Leuten im Hause. Die andern haben nur gehört, es handle sich um eine freudige Überraschung.«
»Dann mußt du dir nun eine solche ausdenken, Mama,« versetzte Karl Artur. »Ich will jetzt auf mein Zimmer gehen und komme nicht zu Tisch herunter. Nicht, daß ich mir einbildete, die Karlstädter nähmen es besonders tragisch, daß ich durchgefallen bin; aber ich will ihr Mitleid nicht sehen.«
»Aber was sage ich nur den Leuten?« klagte die Frau Oberst.
»Das überlasse ich ganz dir, Mama,« erwiderte Karl Artur. »Ich gehe jetzt hinauf. Die Gäste brauchen ja gar nicht zu wissen, daß ich da bin.«
Aber dies war doch zu schmerzlich und ganz unmöglich. Da sollte die Frau Oberst an der Tafel sitzen und geistreich sein, und dabei sollte sie denken müssen, daß ihr Sohn nun traurig und verstimmt in seiner Stube hockte. Sie sollte ihre Augen nicht an ihm weiden dürfen – nein, das war zu bitter für die Frau Oberst.
»Liebster Karl Artur, du mußt zum Essen herunterkommen. Es fällt mir schon noch etwas ein.«
»Was wird dir denn einfallen?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. – Doch, nun hab' ich's! Du wirst ganz zufrieden damit sein. Es soll kein Mensch auf den Gedanken kommen, das Fest sei deinetwegen angeordnet worden. Versprich mir nun, daß du dich gleich umziehst und herunterkommst.« -
Es war ein durchaus gelungenes Fest. Unter all den vielen glänzenden und wohlgelungenen Festen im Hause Ekenstedt war dies eines der erinnerungswürdigsten.
Beim Braten, als der Champagner herumgereicht wurde, kam auch wirklich die Überraschung. Der Herr Oberst erhob sich und bat die Versammelten, mit ihm auf das Wohl des Leutnant Sten Arcker und seiner Tochter Eva zu trinken, deren Verlobung er hiermit bekanntmachen wolle.
Das gab einen Jubel!
Der Leutnant Arcker war ein armer Kerl, ohne viel Aussichten auf Beförderung. Man wußte allerdings, daß er schon lange für Eva Ekenstedt geschwärmt hatte, und weil die Töchter Ekenstedt wenig Bewunderer aufzählen konnten, hatte sich die ganze Stadt lebhaft für die Sache interessiert. Aber man hatte immer geglaubt, die Frau Oberst werde dem Leutnant einen Korb geben.
Später sickerte es allerdings doch durch, wie das mit der Veröffentlichung zusammenhing. Aha, die Frau Oberst hatte die Verlobung zwischen Eva und Arcker nur zugegeben, damit niemand merken sollte, daß die den Gästen ursprünglich zugedachte Überraschung ins Wasser gefallen war!
Aber da war niemand, der die Frau Oberst darum weniger bewundert hätte. Im Gegenteil! Man sagte nur, niemand verstünde es besser, sich schweren und überraschenden Lebenslagen anzupassen als die Frau Oberst Ekenstedt.
Wenn sich jemand etwas gegen die Frau Oberst von Ekenstedt hatte zuschulden kommen lassen, so erwartete diese stets, daß der Missetäter kommen und sie um Verzeihung bitten werde. Wenn diese Zeremonie überstanden war, dann vergab sie alles von ganzem Herzen und war nachher ebenso freundlich und zutraulich wie zuvor.
Während der ganzen Weihnachtsfeiertage hoffte sie, Karl Artur werde sie um Verzeihung bitten, weil er an jenem Festabend, an dem er von Upsala gekommen war, so hart mit ihr geredet hatte. Sie fand es ja verständlich, daß er sich in der ersten Hitze hatte hinreißen lassen; aber sie konnte nicht begreifen, daß er sein Unrecht gar nicht einzusehen schien, obwohl er inzwischen Zeit genug zum Nachdenken gehabt hatte.
Aber Karl Artur ließ die Weihnachtsfeiertage vorübergehen, ohne ein Wort des Bedauerns oder der Reue zu äußern. Er unterhielt sich wie gewöhnlich mit Einladungen und Schlittenpartien und war daheim liebenswürdig und aufmerksam. Aber er sagte die paar Worte nicht, auf die Frau Beate wartete. Unbemerkt von den andern richtete sich eine unsichtbare Mauer zwischen Mutter und Sohn auf, und so kamen sie einander nicht mehr richtig nahe. Mangel an Liebe oder zärtlichen Reden war auf keiner Seite zu bemerken, aber das trennende Etwas war dennoch vorhanden.
Als Karl Artur wieder nach Upsala zurückgekehrt war, hatte er nur noch den einen Gedanken, seine Niederlage wieder gutzumachen. Wenn die Frau Oberst eine schriftliche Abbitte erwartet hatte, so sah sie sich getäuscht. Karl Artur schrieb nur noch über seine lateinischen Studien. Jetzt hatte er bei zwei Dozenten lateinische Vorlesungen belegt, ging auch Tag für Tag in die Hörsäle und war außerdem noch Mitglied eines Vereins, in dem man sich in lateinischen Disputationen und im Reden übte.
Er schrieb die hoffnungsvollsten Briefe heim, und die Frau Oberst antwortete in dem gleichen Geist. Aber dennoch war sie seinetwegen ängstlich. Er war unartig gegen seine eigene Mutter gewesen und hatte sie nicht um Verzeihung gebeten. Dafür blieb doch am Ende die Strafe nicht aus.
Nicht, daß sie ihrem Sohne diese Strafe gewünscht hätte. O nein, sie flehte zu Gott, er möchte ihm dieses kleine Vergehen nicht zurechnen, sondern alles vergessen sein lassen. Auch versuchte sie ihrem Herrgott zu erklären, daß alles ihre Schuld gewesen sei. »Ich allein bin dumm und eitel gewesen und wollte mit seinen Fortschritten prahlen,« sagte sie. »Nicht er verdient Strafe, sondern ich allein.«
Trotzdem fuhr sie fort, in jedem Briefe nach den Worten zu suchen, nach denen sie sich so sehr sehnte. Da aber diese Worte nie kamen, wurde sie immer unruhiger. Sie hatte das Gefühl, daß Karl Artur niemals Glück in seinen Arbeiten haben könne, solange er ihre Verzeihung nicht erhalten hatte.
Eines schönen Tages gegen Semesterschluß erklärte die Frau Oberst, sie wolle nach Upsala reisen und ihre gute Freundin Malla Silfverstolpe besuchen. Die beiden hatten einander im letzten Sommer bei den Gyllenhaals auf Kavlås getroffen und sich da so eng befreundet, daß die gute Malla Frau Beate gebeten hatte, im Winter nach Upsala zu kommen, damit sie die Bekanntschaft ihrer literarischen Freunde mache.
Ganz Karlstadt stand auf dem Kopfe, weil die Frau Oberst eine solche Reise gerade während des Tauwetters unternehmen wollte. Hier hätte der Oberst die Erlaubnis verweigern müssen, das war die allgemeine Ansicht. Aber der Herr Oberst war ans Jasagen gewöhnt, und so reiste die Frau Oberst ab.
Die Reise war schrecklich, ganz wie die Karlstädter vorausgesagt hatten. Mehrere Male blieb der Wagen im Schmutze stecken, so daß er mit Stangen wieder herausgehoben werden mußte. Einmal brach eine Feder und ein andermal die Wagendeichsel. Doch die Frau Oberst kämpfte sich durch. Klein und schwach war sie, aber tapfer und lustig, und Gastwirte und Roßknechte, Schmiede und Bauern, mit denen sie zu tun hatte, wären durchs Feuer für sie gegangen. Es war, als wüßten sie alle, wie notwendig es war, daß sie nach Upsala kam.
Natürlich hatte die Frau Oberst zwar Frau Malla Silfverstolpe ihre Ankunft angekündigt, nicht aber Karl Artur, ja, sie hatte Frau Silfverstolpe gebeten, ihn nichts davon wissen zu lassen. Sie fände es so nett, ihn zu überraschen, schrieb sie.
Als Frau Beate bis nach Enköping gelangt war, gab es einen neuen Aufenthalt. Es waren nur noch ein paar Meilen bis Upsala, aber ein Rad war losgegangen, und ehe dieses wieder befestigt war, konnte man nicht weiterfahren. Frau Beate war in schrecklicher Unruhe. Sie war ungewöhnlich lange unterwegs gewesen, und die lateinische Prüfung konnte jeden Tag stattfinden. Und sie fuhr doch nur nach Upsala, um Karl Artur Gelegenheit zu geben, sie zuvor noch um Verzeihung bitten zu können. Sie war überzeugt, daß ihm keinerlei Studien und keine Vorlesungen helfen könnten, ehe dies geschehen war. Er würde unfehlbar wieder durchfallen – ganz unfehlbar.
Sie hatte keine Ruhe in dem Zimmer, das der Gastwirt ihr angewiesen. Unaufhörlich lief sie die Treppe hinunter und über den Hof, um nachzusehen, ob der Schmied das Rad noch nicht gebracht habe.
Auf einem dieser Gänge sah sie ein Gefährt mit einem Studenten auf der Bank neben dem Kutscher in den Hof einfahren, und der Student, der nun heruntersprang, das war ja – nein, sie konnte ihren Augen nicht trauen – das war ja Karl Artur!
Er trat auf seine Mutter zu, schloß sie aber nicht in seine Arme, sondern ergriff ihre Hand, drückte sie an seine Brust und schaute mit seinen schönen, träumerischen Kinderaugen tief in die ihrigen.
»Mama,« sagte er, »vergib mir, daß ich an jenem Winterabend so häßlich zu dir war, als du das große Fest gegeben hast, um meine lateinische Prüfung zu feiern.«
Ach, das war fast ein zu großes Glück, um Wirklichkeit zu sein!
Frau Beate machte ihre Hand frei, schlang die Arme um Karl Artur und küßte ihn, wieder und immer wieder. Sie verstand nichts, sie wußte nur, daß sie ihren Sohn wiederhatte, und fühlte, daß dieser der glücklichste Augenblick ihres Lebens war.
Dann zog sie ihn mit sich ins Haus, und nun kam die Erklärung.
Nein, er hatte seine Arbeit noch nicht gemacht, die Prüfung sollte am nächsten Tage stattfinden. Aber trotzdem war er auf dem Wege nach Karlstadt zu ihr.
»Du Närrchen,« sagte sie, »wolltest du in vierundzwanzig Stunden nach Karlstadt und wieder zurück reisen?«
»Nein,« versetzte er, »ich hatte alles aufgegeben; aber ich wußte, dies müßte durchaus geschehen. Ohne deine Verzeihung wäre mir doch nichts geglückt.«
»Aber, mein Junge, dazu hätte es doch nur des allerkleinsten Wörtchens in einem Briefe bedurft.«
»Das habe ich dunkel und unklar während des ganzen Semesters gefühlt,« fuhr Karl Artur fort. »Ich war ängstlich; alle Zuversicht hatte mich verlassen, ohne daß ich merkte, weshalb. Erst heute nacht ist mir ein Licht darüber aufgegangen. Ich hatte das Herz verwundet, das mit so viel Liebe für mich schlägt. Es war mir klar, daß ich nicht mit Erfolg arbeiten könnte, bevor ich nicht meine Mutter um Verzeihung gebeten hätte.«
Die Frau Oberst saß am Tische. Die eine Hand legte sie über ihre Augen, die voll Tränen standen, die andere streckte sie ihrem Sohn entgegen.
»Das ist wunderbar, Karl Artur,« sagte sie. »Sprich weiter!«
»Nun ja,« begann er. »Neben mir wohnt ein anderer Värmländer, namens Pontus Friman. Er ist ein Pietist und verkehrt nicht mit andern Studenten, deshalb war ich noch nie mit ihm in Berührung gekommen. Aber heute in aller Frühe ging ich zu ihm auf sein Zimmer und sagte ihm, wie es um mich stehe.
›Ich habe die liebevollste Mutter, die man haben kann,‹ sagte ich. ›Aber ich habe sie verletzt und nicht um Verzeihung dafür gebeten. Was soll ich nun tun?‹«
»Und was antwortete er?«
»Er sagte nur: ›Fahr schleunigst zu ihr!‹ Ich erklärte ihm, dies wäre mein heißester Wunsch, aber morgen müsse ich pro exercitio schreiben, und meine Eltern würden ein solches Versäumnis gewiß nicht billigen. Friman wollte aber nichts davon hören.
›Reise schleunigst!‹ sagte er. ›Denk an nichts als an eine Versöhnung mit deiner Mutter! Gott wird dir helfen.‹«
»Und dann bist du abgereist?«
»Ja, Mama; ich reiste, um mich dir zu Füßen zu werfen. Aber kaum saß ich im Wagen, da kam ich mir auch schon unglaublich albern vor. Ich hatte die größte Lust, wieder umzukehren; und das wußte ich ja wohl, deine Liebe würde mir verzeihen, auch wenn ich noch ein paar Tage in Upsala bliebe. Aber ich fuhr dennoch weiter. Und Gott half mir. Ich fand dich hier; zwar weiß ich nicht, wie du hierhergekommen bist, aber seine Hand muß dich geführt haben.«
Tränen benetzten das Antlitz von Mutter und Sohn. War es denn nicht ein Wunder, das ihretwillen geschehen war?
Sie fühlten, daß eine liebende Vorsehung über ihnen waltete; und auch die Größe der Liebe, die sie verband, empfanden sie stärker als je zuvor.
So saßen sie eine Zeitlang beisammen in dem Wirtszimmer. Dann schickte die Frau Oberst Karl Artur nach Upsala zurück und trug ihm auf, die gute Malla Silfverstolpe zu grüßen und ihr zu sagen, daß aus dem Besuch der Mutter für dieses Mal nichts würde.
Denn der Frau Oberst lag rein gar nichts daran, nach Upsala zu kommen. Das Ziel ihrer Reise war nun erreicht. Sie wußte jetzt, daß Karl Artur die Prüfung bestehen werde. So konnte sie ruhig heimkehren.
Ganz Karlstadt wußte, daß die Frau Oberst religiös war. Sie ging in den Gottesdienst genau so regelmäßig wie der Pfarrer, und an den Werktagen hielt sie morgens und abends eine kleine Andacht mit ihrer ganzen Hausgenossenschaft.
Sie hatte auch ihre Armen, die sie nicht nur an Weihnachten mit Gaben bedachte, sondern auch während des ganzen Jahres. Verschiedenen bedürftigen Schuljungen gab sie Mittagessen, und die alten Weiber im Armenhause pflegte sie am Beatentage mit einer großen Kaffeevisite zu erfreuen.
Aber keiner Seele in Karlstadt und am allerwenigsten der Frau Oberst selbst kam der Gedanke, daß es Gott unangenehm sein könne, wenn sie mit dem Dompropst und dem Ratsherrn und der ältesten ihrer Basen Stake an den Familiensonntagnachmittagen ein freundliches Spielchen Boston machte. Und niemandem fiel es auch nur im Traum ein, es könnte eine Sünde sein, wenn die jungen Damen und Herren, die sich bei Obersts einzustellen pflegten, in dem geräumigen Salon ein kleines Tänzchen machten.
Weder die Frau Oberst noch irgendein anderer Karlstadter hatte jemals ein Wörtchen davon gehört, es sei verdammenswert, an einem festlichen Mittagessen ein Glas guten Wein zu reichen oder, ehe es geleert wurde, einen Tischgesang anzustimmen, den meistens die Wirtin selber gedichtet hatte. Auch war keinem bekannt, daß der liebe Gott Romanlesen und Theaterbesuch übelnehme. Die Frau Oberst liebte es auch, Liebhabertheater ins Werk zu setzen und selbst dabei mitzuwirken. Es wäre ihr eine große Entbehrung gewesen, auf dieses Vergnügen verzichten zu müssen. Sie war ja wie für die Bühne geschaffen, und die Karlstadter pflegten zu sagen, wenn Frau Torslöw nur halb so gut spiele wie Frau Beate Ekenstedt, so könne man sich nicht wundern, daß alle Stockholmer in sie vernarrt seien.
Aber Karl Artur Ekenstedt war noch einen ganzen Monat in Upsala zurückgeblieben, nachdem er die schwierige lateinische Arbeit glücklich vollendet hatte, und während dieser Zeit war Pontus Friman sein hauptsächlichster Umgang gewesen. Friman aber war ein aufrichtiger, strenger und beredter Anhänger der pietistischen Richtung, und Karl Artur konnte sich seinem starken Eindruck nicht entziehen.
Von einer tatsächlichen Erweckung oder Bekehrung war zwar keineswegs die Rede; aber jedenfalls genügte es, ihn über die weltlichen Freuden und Vergnügungen, die er daheim fand, zu beunruhigen.
Es ist leicht zu verstehen, daß gerade damals ein unbeschreiblich warmes, vertrauliches Verhältnis zwischen Mutter und Sohn bestand, und so sprach Karl Artur auch freimütig mit Frau Beate über alles, was ihm Anstoß erregte. Und seine Mutter kam ihm auf alle mögliche Weise entgegen. Da es ihn betrübte, sie Karten spielen zu sehen, schützte sie am nächsten Familienmittag Kopfschmerzen vor und ließ den Herrn Oberst ihren Platz am Bostontisch einnehmen. Denn daß der Dompropst und der Ratsherr um ihre Partie gebracht werden sollten, das war ganz undenkbar.
Und da Karl Artur das Tanzen nicht mehr leiden konnte, so unterließ sie auch dies. Als wie gewöhnlich am Sonntagabend die Jugend sich einfand, erklärte sie, sie sei nun fünfzig Jahr alt und fühle sich wirklich zu betagt, um noch zu tanzen. Als sie dann aber die enttäuschten Gesichter sah, wurde sie gerührt und setzte sich an den Flügel, um ihnen selbst bis nach Mitternacht zum Tanze aufzuspielen.
Karl Artur brachte ihr Bücher, die sie lesen sollte, und sie nahm sie dankbar entgegen und fand sie schön und erbaulich.
Aber immer nur so feierliche pietistische Bücher zu lesen, das brachte die Frau Oberst doch nicht fertig. Sie war eine gebildete Frau und in Fühlung mit der Weltliteratur, und so begab es sich eines Tages, daß Karl Artur Byrons Don Juan zwischen den Andachtsbüchern fand, in denen Frau Beate las. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab, und seine Mutter fühlte sich besonders gerührt, weil er keinen Vorwurf äußerte. Am folgenden Tage packte sie alle ihre Bücher in eine Kiste und stellte sie auf den Speicher.
Nein, es war ganz deutlich, die Frau Oberst versuchte so entgegenkommend zu sein, als es in ihrer Macht stand. Sie war ja klug und einsichtsvoll und wußte, daß es nur eine vorübergehende Schwärmerei bei Karl Artur sei, die mit der Zeit schon wieder verschwinden würde, und zwar um so sicherer, je weniger Widerstand er fände. Auch war es glücklicherweise Sommer; alle vermöglichen Karlstadter waren verreist, große Gesellschaften waren daher ganz von selbst ausgeschlossen. Man belustigte sich mit unschuldigen Wanderungen durch Gottes freie Natur, oder mit weiten Ruderpartien auf dem schönen Klarelf, mit Beerenpflücken und Gesellschaftsspielen im Freien.
Gegen Ende des Sommers sollte nun auch Eva Ekenstedt mit ihrem Leutnant Hochzeit machen, und die Frau Oberst war wirklich etwas bange, wie das ablaufen würde. Sie fühlte sich gezwungen, eine großartige, prächtige Hochzeit auszurichten.
Denn das war ganz klar, wenn Evas Hochzeit nicht mit allem Pomp und Staat gefeiert wurde, dann hieß es wieder, die Frau Oberst habe eben kein Herz für ihre Töchter.
Glücklicherweise schien jedoch ihr bisheriges Entgegenkommen einen beruhigenden Einfluß auf Karl Artur gehabt zu haben. Er setzte nicht nur den zwölf Gängen bei Tisch nebst Sandtorten und Konfekt keinen Widerstand entgegen – nein, er protestierte nicht einmal gegen den Wein und die andern Getränke, die von Göteborg bezogen wurden. Auch hatte er nichts gegen die Trauung im Dom einzuwenden, noch gegen die Girlanden, mit denen die Straßen, durch die der Brautzug kam, geschmückt wurden, und ebensowenig gegen die Pechfackeln am Flusse hin. Er nahm sogar selber an den Vorbereitungen teil und arbeitete gerade wie jeder andere Sterbliche im Schweiße seines Angesichts, Kränze zu binden und Fahnen aufzustecken. Nur an einer Sache hielt er unwandelbar fest, nämlich daß bei der Hochzeit nicht getanzt werden sollte. Und das hatte ihm Frau Beate auch versprochen. Sie glaubte, ihm dieses weitgehende Entgegenkommen schuldig zu sein, da er sich so geduldig in alle anderen Anordnungen gefügt hatte.
Der Oberst und die Töchter hatten es mit schwachen Einwendungen versucht. Sie meinten, man wisse ja gar nicht, was man dann mit allen den jungen Offizieren und den jungen Karlstadter Mädchen anfangen solle, die man eingeladen hatte und die natürlich erwarteten, die ganze Nacht hindurch tanzen zu dürfen. Aber die Frau Oberst entgegnete, mit Gottes Hilfe werde es doch ein schöner Abend werden, und die Leutnants und die jungen Mädchen sollten in dem Garten spazierengehen, die Regimentsmusik anhören, die Raketen gen Himmel steigen sehen und den Widerschein der Pechfackeln auf dem Wasser bewundern. Sie glaubte, all dieses werde so wunderschön sein, daß niemand andere Vergnügungen vermisse. Und sicherlich sei dies eine würdigere Einweihung des jungen Ehestandes, als in einem Ballsaal herumzuhüpfen.
Der Oberst und die Töchter fügten sich wie gewöhnlich, und so blieb der Familienfriede ungestört.
Am Hochzeitstage war alles bereit und in Ordnung. Nichts ging schief. Man hatte mit dem Wetter Glück, und die Trauung in der Kirche nebst den vielen Reden und den Trinksprüchen bei Tische wickelten sich glatt ab. Frau Beate hatte ein schönes Hochzeitskarmen gedichtet, das bei Tisch gesungen wurde; die Musikkapelle des Värmlandregiments war im Anrichtzimmer aufgestellt und blies bei jedem neuen Gang einen flotten Marsch. Die Gäste fanden, daß alles reichlich und festlich zuging, und waren in der muntersten und behaglichsten Stimmung, solange die Mahlzeit währte.
Nachdem man aber vom Tisch aufgestanden und der Kaffee getrunken war, überfiel die ganze Gesellschaft eine eigentümliche, unwiderstehliche Lust zum Tanzen.
Die Mahlzeit hatte nämlich um vier Uhr begonnen, und da alles so ausgezeichnet eingerichtet war und auch die Aufwärter und das Gesinde den Anordnungen genau nachgekommen waren, hatte sich das Festessen nicht länger als bis sieben Uhr hingezogen. Es war wirklich sonderbar, daß zwölf Gänge mit allen den Tischreden, Fanfaren und Festkarmen nur drei Stunden in Anspruch genommen hatten. Die Frau Oberst hatte gemeint, man würde bis acht bei Tische sitzen, aber diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt.
Also, es war erst sieben Uhr, und vor Mitternacht ging man nicht auseinander, davon konnte keine Rede sein. Die Gäste wurden bedenklich, wenn sie an die vielen öden Stunden dachten, die noch vor ihnen lagen.
»Wenn wir doch tanzen dürften!« seufzte alles im stillen; denn die Frau Oberst war so vorsichtig gewesen, ihre Gäste im voraus davon in Kenntnis zu setzen, daß nicht getanzt werden sollte. »Womit können wir uns denn unterhalten? Es ist ja entsetzlich, stundenlang sitzen und ohne sich zu rühren schwatzen zu müssen!«
Die jungen Mädchen betrachteten ihre leichten hellen Kleider und ihre weißseidenen Schuhe. Alles war aufs Tanzen eingerichtet. Und wenn man einmal so gekleidet war, dann kam die Tanzlust ganz von selbst. Man konnte einfach an nichts anderes mehr denken.
Die jungen Offiziere vom Värmlandregiment waren ja auch als Ballkavaliere sehr gesucht. Im Winter wurden sie zu so vielen Bällen eingeladen, daß sie deren beinahe überdrüssig wurden und man sie nur mit Mühe und Not zum Tanzen bringen konnte. Während des Sommers aber hatten keine großen Tanzfestlichkeiten stattgefunden, und so waren die Herren Leutnants ausgeruht und bereit, einen ganzen Tag durchzutanzen, wenn es sein mußte, und sie sagten auch, sie hätten noch selten so viele hübsche Mädchen beisammen gesehen. Und was war das auch für eine Einrichtung, junge Offiziere und junge Schönheiten einzuladen und sie nicht miteinander tanzen zu lassen?
Aber nicht nur die Jugend vermißte den Tanz. Auch die alten Damen und Herren fanden es schade, daß die Jugend sich nicht bewegen durfte und man nicht zusehen konnte. Die beste Musik von ganz Värmland stand zur Verfügung. Hier war der herrlichste Tanzsaal. Warum in aller Welt sollte man nicht ein Tänzchen machen?
Die gute Beate Ekenstedt war doch bei aller Liebenswürdigkeit immer ein wenig selbständig. Sie dachte wohl, mit ihren fünfzig Jahren könne sie nicht mehr mittanzen, und darum sollten nun auch ihre jungen Gäste nur herumsitzen und die Wände zieren.
Die Frau Oberst sah und hörte und merkte, daß alle Welt mißvergnügt war, und für eine so vorzügliche Wirtin wie sie, die allezeit gewöhnt war, jedermann vergnügt und zufrieden bei ihren Festen zu sehen, war dieser Zustand unsäglich bitter, ja unerträglich.
Sie wußte, daß am nächsten Tag und noch an vielen, vielen folgenden Tagen die Ekenstedtsche Hochzeit besprochen und als Beispiel der größten Langweiligkeit, die man jemals hatte mitmachen müssen, herangezogen werden würde.
Nun setzte sich Frau Beate zu den Alten. Sie entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, erzählte ihre besten Geschichten und hatte die glänzendsten Einfälle. Aber ach, sie zündeten nicht! Man hörte ihr kaum zu. Da war keine noch so alte und langweilige Frau unter den Gästen, die nicht dachte, wenn sie einmal das Glück haben sollte, eine Tochter zu verheiraten, so sollte ganz gewiß alt und jung tanzen dürfen.
Die Frau Oberst machte sich an die Jugend. Sie schlug Gesellschaftsspiele im Garten vor. Aber man starrte sie nur an. Spiele im Freien bei einer Hochzeit! Wäre sie nicht die Frau Oberst Ekenstedt gewesen, man hätte ihr ins Gesicht gelacht.
Als das Feuerwerk abgebrannt wurde, boten die Herren den Damen den Arm, und man spazierte hinunter ans Flußufer. Aber die jungen Paare schlichen nur so dahin und hoben kaum die Augen hoch genug, um die Raketen steigen zu sehen. Sie wollten nun eben für das Vergnügen, wonach sie sich sehnten, keinen Ersatz anerkennen.
Der Vollmond stieg empor, wie um das glanzvolle Schauspiel noch zu verschönen. An diesem Abend erschien er nicht wie eine Scheibe – nein, nein, er rollte am Himmel herauf rund wie ein Ball, und ein witziger Kopf behauptete, er sei aufgeschwollen vor lauter Verwunderung darüber, so viele stattliche Offiziere und so viele schöne junge Mädchen da unten mit düsteren Blicken in das Wasser hineinstarren zu sehen, gleich als gingen sie mit Selbstmordgedanken um. Halb Karlstadt stand draußen am Gartenzaun, um die Pracht mitanzusehen. Sie sahen die jungen Leute langweilig und mißvergnügt herumschleichen und meinten, dies sei doch die kümmerlichste Hochzeit, die sie jemals geschaut hätten.
Die Kapelle des Värmlandregiments tat ihr Bestes. Aber da die Frau Oberst verboten hatte, Tänze zu spielen, weil sie fürchtete, die Jugend sonst nicht mehr im Zaume halten zu können, waren nicht genügend Programmnummern da, und die einzelnen Stücke mußten immer wiederholt werden.
Es wäre nicht recht, wenn man behaupten wollte, die Stunden schlichen dahin. Nein, die Zeit stand einfach still. Die Minutenzeiger auf allen Uhren bewegten sich in demselben langsamen Tempo wie die Stundenzeiger.
Vor dem Ekenstedtschen Hause lagen auf dem Fluß ein paar große Kähne, und auf einem dieser Kähne saß ein musikliebender Schiffer und spielte eine Bauernpolka auf einer quietschenden selbstgemachten Fiedel.
Aber alle die armen Menschen, die sich in dem Ekenstedtschen Garten herumquälten, konnten diesen Tönen nicht widerstehen, denn es war doch jedenfalls Tanzmusik, und eiligst schlichen sie sich durch die Gartenpforte hinaus, und im nächsten Augenblick sah man, wie sie sich auf dem teerigen Deck einer Klarelfschute in der Bauernpolka schwenkten.
Die Frau Oberst bemerkte die Flucht und das Tanzen sehr bald, und es war ihr klar, daß man die feinsten Mädchen von Karlstadt nicht auf einem schmierigen Frachtboot tanzen lassen durfte. Sie ließ die jungen Leute sofort auffordern, wieder hereinzukommen. Aber sie hatte gut Frau Oberst sein, selbst der jüngste Leutnant dachte nicht daran, Order zu parieren.
Da gab Frau Beate Ekenstedt das Spiel verloren. Jetzt war sie Karl Artur so weit entgegengekommen, als man es verlangen konnte. Jetzt hieß es, das Ansehen des Hauses Ekenstedt zu retten. Sie befahl die Regimentsmusik herauf in den großen Saal und ließ eine Anglaise spielen.
Gleich darauf stürmten auch schon die Tanzlustigen die Treppe herauf, und nun wurde getanzt. Das wurde ein Ball, wie man noch keinen gesehen hatte. Alle die vielen, die vorher gewartet hatten und vor Sehnsucht fast vergangen waren, suchten jetzt die verlorene Zeit wieder einzuholen. Das war ein Drehen und Wenden und Stapfen und Pirouettieren! Da gab es keine Müden und Unwilligen. Selbst das häßlichste und langweiligste Mädchen blieb nicht sitzen.
Auch die Alten konnten nicht stille sitzen, und das schlimmste war, die Frau Oberst selber – ja, man stelle sich das vor! – die Frau Oberst, die nicht mehr tanzen und auch nicht mehr Karten spielen wollte, die ihre weltlichen Bücher auf den Speicher geschafft hatte – diese Frau Oberst konnte auch nicht mehr stille sitzen. Leicht und luftig schwebte sie im Tanze umher, und sie sah ebenso jung – nein, noch jünger aus als ihre Tochter, die Braut. Die Karlstadter waren ganz glücklich, daß sie ihre fröhliche, scharmante, geliebte Frau Oberst wiederhatten.
Und die Freude schlug immer höhere Wogen; die Nacht war schön und lebensvoll geworden, und der Fluß schimmerte im Mondenschein, und alles war, wie es sein sollte.
Aber der beste Beweis dafür, wie stark der Zauber der Fröhlichkeit das ganze Haus beherrschte, war wohl, daß sogar Karl Artur mitgerissen wurde. Plötzlich konnte er gar nicht mehr verstehen, was Böses und Sündhaftes daran sein sollte, wenn man sich mit andern jungen und sorglosen Menschen nach der Musik im Takte wiegte. Es war doch nur natürlich, daß Jugend, Gesundheit und Frohsinn einen solchen Ausdruck fanden. Wenn er es jetzt noch für eine Sünde gehalten hätte, würde er auch nicht getanzt haben. Aber an diesem Abend kam ihm alles kindlich, lustig und unschuldig vor.
Doch gerade, als Karl Artur mitten in der Anglaise mittanzte, blickte er zufällig nach der offenen Saaltür, und in der Türöffnung sah er ein bleiches, von schwarzem Haar und Bart umrahmtes Antlitz, sowie ein Paar große, sanfte Augen, die in schmerzlicher Verwunderung an ihm hingen.
Er hielt mitten im Tanze inne. Erst glaubte er ein Gespenst zu sehen; dann erkannte er jedoch seinen Freund Pontus Friman, der ihm versprochen hatte, ihn in Karlstadt zu besuchen, und nun gerade an diesem Abend angekommen war.
Karl Artur trat aus der Reihe der Tanzenden und eilte dem Angekommenen entgegen, und dieser zog ihn wortlos mit sich hinab ins Freie.
Schagerström hat einen Heiratsantrag gemacht! Der reiche Schagerström auf Groß-Sjötorp.
Nein, ist's möglich, Schagerström war auf Freiersfüßen gegangen?
Ja, es ist wahrhaftig wahr, Schagerström hat um ein Mädchen geworben.
Aber wie in aller Welt ist das denn gekommen, daß Schagerström einem Mädchen einen Antrag gemacht hat?
Nun, die Sache ist die: In der Propstei von Korskyrka war ein junges Mädchen, namens Charlotte Löwensköld. Sie war etwas verwandt mit dem Propst und diente der Frau Propst als Gesellschafterin, und außerdem war sie mit dem Hilfsgeistlichen in der Propstei verlobt.
Aber was hat sie denn mit Schagerström zu tun?
Nun, Charlotte Löwensköld war ein frisches, frohes, offenherziges junges Mädchen, und in dem Augenblick, wo sie ihren Fuß auf die Schwelle der Propstei setzte, ging es wie ein frischer Hauch durchs ganze Haus. Der Propst und seine Frau waren alt und gleichsam zu ihren eigenen Schatten geworden; aber Charlotte flößte ihnen neues Leben ein. Der Vikar aber war dünn wie ein Zwirnsfaden und so fromm, daß er fast nicht zu essen und zu trinken wagte. Den Tag über versah er seinen Dienst, und nachts lag er vor seinem Bett auf den Knien und beweinte seine Sünden. Er zählte sich schon zu den Verlorenen; aber Charlotte Löwensköld hinderte ihn daran, sich vollends ganz aufzureiben.
Aber was hat dieses alles mit – -?
Man muß wissen, daß der Vikar, als er zum erstenmal in die Propstei von Korskyrka kam, ganz frisch ordiniert und mit allem, was zu seinem Dienst gehörte, noch ganz unbekannt war. Da half ihm Charlotte Löwensköld, sich zurechtzufinden. Sie hatte ihr Lebtag in einem Pfarrhause gewohnt und war mit allem in Betracht Kommenden auf dem laufenden; nun lehrte sie den Vikar sowohl Kinder taufen als auch im Kirchengemeinderat das Wort führen. Und dabei verliebten sie sich ineinander und waren nun schon fünf Jahre verlobt.
Aber auf diese Weise kommen wir ja ganz von Schagerström ab ...
Eine ganz hervorragende Eigenschaft von Charlotte Löwensköld war, daß sie für andere alles so gut einzurichten und anzuordnen verstand. Kaum war sie also mit dem Vikar verlobt, als sie auch schon heraushatte, daß seine Eltern mit der Wahl dieses Berufes gar nicht einverstanden waren. Sie hätten es viel lieber gesehen, wenn ihr Sohn sich den Magistertitel erworben hätte, um dann auf den Lizentiaten und Doktor der Philosophie zu studieren. Er war auch wirklich fünf Jahre in Upsala gewesen, hatte dann das Kandidatenexamen dort gemacht, und im siebenten Jahr wäre er Magister geworden – aber gerade da hatte er umgesattelt und das theologische Examen gemacht. Seine Eltern waren wohlhabend und ein wenig ehrgeizig. Es war ihnen nicht lieb, ihren Sohn eine so anspruchslose Laufbahn einschlagen zu sehen. Seit er Geistlicher geworden war, hatten sie ihn beständig mit Bitten bestürmt, doch noch weiter in Upsala zu studieren; aber dazu war er nicht zu bewegen gewesen. Charlotte Löwensköld sah wohl ein, daß er mit einem höheren Examen weit bessere Aussichten auf Beförderung haben würde, und so schickte sie ihn nach Upsala zurück. Und da er der ärgste Büffler war, den man sich vorstellen kann, so war er in vier Jahren fertig gewesen. In dieser Zeit hatte er nicht nur das Lizentiatenexamen gemacht, sondern auch seinen philosophischen Doktor.
Aber was in aller Welt hat Schagerström damit ...
Charlotte hatte sich die Sache so ausgerechnet: Wenn ihr Verlobter nur erst promoviert hätte, dann würde er sich um eine Stelle als Lektor an einem Gymnasium bewerben, mit der ein so ansehnliches Gehalt verbunden wäre, auf das sie hätten heiraten können. Und sollte er unbedingt Pfarrer werden wollen, so konnte er nach einigen Jahren, wie es der Brauch war, auf ein großes Pastorat befördert werden. Dies war die Laufbahn des Propstes von Korskyrka und noch vieler anderer gewesen. In diesem Falle ging es jedoch nicht so, wie Charlotte sich's ausgedacht hatte, denn ihr Verlobter wollte sofort Geistlicher werden und die gewöhnliche Pfarrerlaufbahn einschlagen. Deshalb kehrte er noch einmal als Vikar nach Korskyrka zurück. Und obwohl er Doktor der Philosophie war, verdiente er noch nicht einmal so viel wie ein Stallknecht.
Ja, aber Schagerström ...
Es ist ja begreiflich, daß Charlotte Löwensköld, die nun schon fünf Jahre auf ihren Verlobten gewartet hatte, damit nicht zufrieden war. Doch freute sie sich, als er nach Korskyrka zurückgeschickt wurde. Er wohnte in der Propstei, so sah sie ihn täglich, auch war sie der Ansicht, sie werde ihn schon noch dazu bringen können, Lektor zu werden, wie sie ihn auch dazu gebracht hatte, seinen Doktor zu machen.
Aber bei dem allem hören wir ja gar nichts von Schagerström!
Nun ja, weder Charlotte Löwensköld noch ihr Bräutigam hatten das allermindeste mit Schagerström zu tun. Er gehörte einer ganz andern Art von Menschen an. Sein Vater war ein hoher Beamter in Stockholm, er selbst war reich und hatte dazu noch die Tochter eines värmländischen Hüttenbesitzers geheiratet, die Erbin von so vielen Bergwerken und Grubenfeldern, daß ihre Mitgift auf mehrere Millionen geschätzt werden konnte. Zuerst hatte Schagerström in Stockholm gewohnt und nur in den Sommermonaten die Bergwerke im Värmland besucht; aber nachdem seine Frau in den ersten Jahren im Wochenbett gestorben war, hatte er sich ganz nach Groß-Sjötorp bei Korskyrka zurückgezogen. Er betrauerte seine Frau aufs tiefste und vermißte sie überall und konnte es nicht ertragen, irgendwo zu wohnen, wo er mit ihr zusammengelebt hatte. Er zeigte sich auch kaum je bei einer Gesellschaft, aber, um die Zeit doch herumzubringen, übernahm er die Verwaltung der vielen Gruben; das Herrenhaus auf Groß-Sjötorp baute er um und verschönte es, so daß es der prächtigste Sitz im ganzen Kirchspiel wurde. Ganz einsam war er aber nicht; er hielt sich eine große Dienerschaft und lebte wie ein Grandseigneur; Charlotte Löwensköld wußte wohl, daß sie ebenso leicht das Siebengestirn vom Himmel herabholen und in ihren Brautkranz flechten könnte, als Schagerströms Frau werden.
Nun gehörte Charlotte Löwensköld zu den Menschen, die immer gleich sagen, was ihnen durch den Kopf geht. Und eines Tages bei einer Gesellschaft in der Propstei, wozu viele Gäste gebeten waren, wollte es der Zufall, daß Schagerström mit seinem prächtigen schwarzen Viererzug und dem betreßten Lakaien auf dem Bock neben dem Kutscher am Hause vorüberfuhr. Natürlich sprang alles an die Fenster, um Schagerström nachzusehen, solange noch ein Schimmer von ihm zu erhaschen war. Als er ganz verschwunden war, wandte sich Charlotte Löwensköld an ihren Verlobten, der weiter zurück im Zimmer stand, und rief so laut, daß alle Anwesenden es hören konnten: »Das sag' ich dir, Karl Artur, so lieb ich dich auch habe – wenn Schagerström um mich anhält, nehm' ich ihn!«
Jedermann wußte recht gut, daß Charlotte niemals Schagerström bekommen konnte, und so lachten alle herzlich. Und der Bräutigam lachte mit, denn das wußte er, Charlotte hatte diesen Ausspruch nur getan, um die Gäste zu belustigen. Sie selber sah aus, als ob sie über das, was ihr so herausgefahren war, bestürzt wäre; aber es war doch nicht ganz sicher, ob sie nicht einen kleinen Hintergedanken dabei gehabt hatte. Sie wollte vielleicht den guten Karl Artur ein wenig aufrütteln und ihm den Gedanken an das Lektorat nahelegen.
Schagerström war noch tief in seine Trauer versenkt und dachte an keine zweite Ehe. Aber durch seine Arbeit, die ihn mit vielen Menschen in Verbindung brachte, bekam er bald allerlei Bekannte und Freunde, die ihm zuredeten, sich wieder zu verheiraten. Er lehnte es ab, da er viel zu unliebenswürdig und langweilig sei, als daß ihn irgendein Mädchen haben wollte, und legte den Versicherungen