Chasa Arquint in Scuol - Jürg Arquint - E-Book

Chasa Arquint in Scuol E-Book

Jürg Arquint

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Beschreibung

Das Unterengadin! In kaum einem anderen Tal gibt es so viele Orte mit einem historischen Dorfkern mit so gut erhaltenen Häusern. In Scuol entstanden diese in der Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg. Diese teilweise fast vierhundertjährigen «Engadinerhäuser», wie sie heute liebevoll genannt werden, zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus, auf die im vorliegenden Buch noch näher eingegangen wird. Diese wunderbaren Gebäude begeistern heute vor allem Feriengäste. Sie verbinden diese Häuser mit einem «authentischen Leben», dass sie aus weltberühmten Geschichten wie «Heidi» oder «Schellenursli» zu kennen glauben. Einheimische, die ihre Kindheit in diesen riesigen, eher dunklen und eng zusammengebauten Gebäuden verbrachten, sehen das heute etwas differenzierter. Sie denken weniger romantisch an die Zeit zurück, als sie auf einem Plumps-Klo ihr Geschäft verrichten mussten, Eisblumen am Fenster abkratzten oder auf einem mit Holz eingefeuerten Herd ein Mahl kochen durften. Sie ziehen lieber in kleinere, helle Häuser außerhalb der Dorfzentren. Feriengäste aber lieben es, sich für ein paar Tage im Jahr in diese, ach so gute alte Zeit zurück versetzen zu lassen. Das vorliegende Buch zeigt auf, wie wir bei der Restauration unseres Hauses den Spagat zwischen modernen Ansprüchen, Erhalt von historisch wertvoller Bausubstanz und einem zwar ausreichenden, aber dennoch beschränktem Budget gemeistert haben.

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Das Unterengadin! In kaum einem anderen Tal gibt es so viele Orte mit einem historischen Dorfkern mit so gut erhaltenen Häusern. In Scuol entstanden diese in der Zeit kurz nach dem Dreissigjährigen Krieg. Diese teilweise fast vierhundertjährigen «Engadinerhäuser», wie sie heute liebevoll genannt werden, zeichnen sich durch verschiedene Merkmale aus, auf die im vorliegenden Buch noch näher eingegangen wird.

Diese wunderbaren Gebäude begeistern heute vor allem Feriengäste. Sie verbinden diese Häuser mit einem «authentischen Leben», dass sie aus weltberühmten Geschichten wie «Heidi» oder «Schellenursli» zu kennen glauben. Einheimische, die ihre Kindheit in diesen riesigen, eher dunklen und eng zusammengebauten Gebäuden verbrachten, sehen das heute etwas differenzierter. Sie denken weniger romantisch an die Zeit zurück, als sie auf einem Plumps-Klo ihr Geschäft verrichten mussten, Eisblumen am Fenster abkratzten oder auf einem mit Holz eingefeuerten Herd ein Mahl kochen durften. Sie ziehen lieber in kleinere, helle Häuser ausserhalb der Dorfzentren. Feriengäste aber lieben es, sich für ein paar Tage im Jahr in diese, ach so gute alte Zeit zurück versetzen zu lassen.

Das vorliegende Buch zeigt auf, wie wir bei der Restauration unseres Hauses den Spagat zwischen modernen Ansprüchen, Erhalt von historisch wertvoller Bausubstanz und einem zwar ausreichenden, aber dennoch beschränktem Budget gemeistert haben.

Rosaria und Jürg Arquint – Scuol, im Herbst 2017

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Geschichte des Engadinerhauses

Geschichte der Chasa Arquint

Der Umbau

Die Planung

Die Umbau-Phasen

Januar 2017 - die Räumung

Februar 2017 - weitere Räumung, erste Aufbauten, viel Spitzarbeit

März 2017 - Isolationen, Rohre und Kanäle, Aufbauten, Fenster und Türen

April/Mai 2017 - es folgt ein Bauunterbruch

Juni 2017 - es geht weiter

Juli 2017 - die geplanten Ergebnisse werden immer deutlicher sichtbar

August 2017 - Schluss-Spurt

Einrichtung

Chasa Arquint - heute

Vorwort

Als Rosaria und ich im Januar 2017 das Engadinerhaus an der Porta 17 in Scuol in unseren Besitz übernehmen durften, schloss sich für mich und unsere Familie ein etwas ungewöhnlicher Kreis, welcher über mehrere Generationen reicht.

Schon als kleiner Junge fuhren wir regelmässig nach Scuol, um unsere Grosseltern zu besuchen. Die Reise von Zürich nach Scuol dauerte damals mit dem Zug etwa sechs, mit dem Auto ungefähr vier Stunden. Es war daher verständlich, dass wir unsere Nona und unseren Bazegner kaum mehr als einmal im Jahr sahen. Wenn wir sie aber besuchten, durften wir das in der Regel für mindestens eine, oft gar für zwei Wochen tun. Daher verbrachten wir unsere Ferien oft in Scuol, während alle meine Klassenkameraden ans Meer fuhren.

Nona und Bazegner wohnten an der Porta 17A. Ihre kleine Wohnung im Erdgeschoss war für sie beide ausreichend gross. Für unsere fünfköpfige Familie hätten Sie darin aber nicht einmal für eine einzige Übernachtung ausreichend Platz gefunden. Daher mieteten wir uns für unsere Ferien im Haus 17 ein, welches direkt an das Haus angebaut ist, in welchem meine Grosseltern wohnten. Das war für uns Kinder sehr praktisch. Wir konnten uns im Pyjama von Nona eine Geschichte erzählen lassen, von Bazegner den feuchten Gutenacht-Kuss empfangen und danach gleich ins Bett gehen. Wenn unsere Eltern am Morgen ausschlafen wollten, gingen wir Nona in ihrer Küche besuchen oder mit ihr in ihren Garten. Und trotzdem waren wir in dieser Zeit frei auch andere Dinge zu unternehmen. Man sass nicht während der ganzen Ferienzeit «aufeinander». Das war vor allem für Bazegner wichtig, der zwar gerne mit uns zusammen war, es aber auch schätzte, wenn wir ihn zwischendurch in Ruhe liessen.

Chasa Arquint 2016 – kurz vor der vollständigen Renovation

Die «Wohnung» im Ferienhaus an der Porta 17 war keine normale Bleibe, wie wir sie heute kennen. Wir teilten sie mit anderen, uns völlig fremden Feriengästen, auch das Bad. Beim Eintreten über den heutigen West-Balkon gelangte man in einen langen Korridor. Unsere Familie durfte die Stüva mit dem Buffet aus dem Jahr 1825 und die heutige Chadafö, die Küche benutzen. Die anderen Feriengäste weilten in der damals im Piertan gegen die Strasse eingebauten Stube und kochten im heutigen Erdgeschoss-Bad. Das kleine Gäste-WC stand beiden Parteien zur Verfügung. Ins Obergeschoss gelangten wir Kinder über die steile, schmale Treppe durch die Klappe in der Stüva, welche sich noch heute über dem Ofen befindet. Im darüber befindlichen Zimmer schliefen meine Eltern. Wir Kinder waren im heutigen Büro mit dem Treppenaufgang zum «Knechten-Zimmer» untergebracht. Das damals noch halb so grosse Bad im Obergeschoss teilten wir uns ebenfalls mit den anderen Feriengästen. Über mehrere Jahre hinweg verbrachten wir so unsere Ferien mit einer Pfarrers-Familie aus Berlin, ohne dass wir das so geplant hätten.

Unsere Grosseltern wohnten nicht ihr gesamtes Leben an der Porta 17A. Unser Bazegner wanderte 1914 beim Ausbruch des ersten Weltkrieges aus Firenze (I) ein und lebte die ersten Jahre in unserem Bürgerort Tarasp. Meine Nona reiste damals aus Bormio (I) an, um ihren Lebensunterhalt im Kurhaus Tarasp, dem heutigen Scuol Palace zu bestreiten. Dort lernte sie meinen Bazegner kennen. Nachdem sie geheiratet hatten, zogen sie mehrmals um. Mein Vater, der jüngste von zehn Kindern, verliess schliesslich als letzter das Elternhaus. Das geschah exakt an dem Tag, als Bazegner und Nona in die Porta 17A einzogen. Er logierte noch eine einzige Nacht an dieser Adresse. Er erinnert sich aber, dass er als kleiner Junge über ein Jahrzehnt lang an der Porta 17 gelebt hatte. Den Beweis dazu fanden wir im Jahr 2017 beim Umbauen, als wir auf eine Zeitung aus dem zweiten Weltkrieg stiessen, welche an seinen Bruder Rudolf adressiert war.

Als unsere Nona verstarb, waren wir bereits in einem Alter, in welchem man nicht mehr mit den Eltern in die Ferien fahren will. Ein Jahr später besuchte ich meinen Bazegner noch ein Mal. Er war seit dem Tod seiner Frau um mehr als eine Dekade gealtert. Ich sehe ihn noch heute vor meinem geistigen Auge, wie er mir weinend Beileidsbriefe aus einer übervollen Schublade zeigte, um sich danach gemeinsam mit mir mit einem «Jägermeister» zu trösten. Kurz darauf verstarb auch er. Er wollte ganz einfach nicht mehr leben, ohne unsere Nona.

2017 im Estrich der Porta 17 , also in der Chasa Arquint gefunden. Rudolf Arquint war ein älterer Bruder meines Vaters

Wie ist das aber mit dem «Kreis» zu verstehen, welcher durch unseren Kauf des Hauses geschlossen werden konnte? Als meine Grosseltern in Scuol lebten, waren sie eine der ganz wenigen Familien, welche über keinen eigenen Grundbesitz verfügten. Sie waren Mieter der kleinen Wohnung an der Porta 17A. Als mein Vater Mitte der Neunziger in Pension ging, erfüllte er sich gemeinsam mit meiner Mutter einen Traum, wieder nach Scuol «nach Hause» zu gehen. Wie das Leben manchmal spielt, fanden sie nach kurzer Suche ihre Traumwohnung. Sie zogen in die Porta 17A ein, ins Obergeschoss. Sie zügelten in die Wohnung, welche sich direkt über der ehemaligen Bleibe unserer Grosseltern befindet. Aber auch meine Eltern belegten diese Wohnung als Mieter.

Etwa sieben Jahren später informierte sie der damalige Besitzer, dass er das Haus verkaufen oder vielleicht auch nur renovieren wolle. Meine Eltern, welche bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatten, sie könnten ihren Lebensabend in dieser Wohnung verbringen, verloren etwas ihren Kopf. Sie konnten sich nicht entschliessen, das ihnen angebotene Haus zu kaufen, weil sie damit ihre gesamten Ersparnisse hätten investieren müssen. Zudem befürchteten sie, dass bei einem allfälligen Umbau die Mieten massiv erhöht würden. Daher zogen sie schweren Herzens aus und begaben sich zuerst ins Dorfzentrum, drei Jahre später an den oberen Dorfrand von Scuol.

Rosaria und ich besuchten meine Eltern regelmässig, nachdem diese nach Scuol gezogen waren. Meine Frau genoss diese Besuche ganz besonders, da sie im Zentrum der Stadt Zürich aufgewachsen und früher mit ihrer Familie regelmässig ans Meer gefahren war. Nun lernte sie durch mich und meine Eltern mehr und mehr die Bergwelt entdecken und lieben. Mitte der Nuller-Jahre erwähnten wir bei einem dieser Besuche ganz nebenbei, dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen würden, vielleicht in Scuol eine Ferienwohnung zu erwerben. Wenige Tage später rief mich meine Mutter ganz aufgeregt an und verkündete, dass «unser Haus» verkauft werden sollte. Zuerst verstand ich ihre Aussage falsch und bedauerte, dass sie erneut umziehen müssten. «Nein, unser Haus» insistierte sie «das Haus an der Porta». Sie begann zu erklären. Der frühere Besitzer hatte das Haus nicht umgebaut, sondern weiterverkauft, an den Sohn einer Turn-Kollegin meiner Mutter. Bei ihrer letzten gemeinsamen Turnstunde waren die beiden Frauen in der Garderobe ins Gespräch gekommen. Die Turn-Kollegin erzählte meiner Mutter, dass ihr Sohn sich scheiden lassen würde. Nebenbei erwähnte sie, dass er deshalb das Haus an der Porta wohl nicht mehr behalten wolle. Noch am selben Tag nahm ich mit ihm Kontakt auf. Als ich ihn auf seine geplante Scheidung ansprach, meinte er erstaunt, dass seine Frau und er das erst gerade vereinbart und noch niemandem erzählt hätten. «Deiner Mutter aber schon» antwortete ich und erzählte, wie seine Mutter mit meiner Mutter darüber philosophiert hatte. Anfänglich ärgerte er sich über die Schwatzhaftigkeit seiner Mutter. Ich wies ihn darauf hin, dass er es wohl unterlassen hätte, ihr zu erklären, seine Scheidung noch nicht publik zu machen. Im darauf folgenden Gespräch durften wir schliesslich feststellen, dass dieses Mütter-Geplauder sein Problem und unseren Wunsch lösen könnte. Er musste die Scheidung und den Verkauf des Hauses nicht in die Öffentlichkeit tragen und wir konnten im Jahre 2006 das Haus an der Porta 17A endlich in den Besitz unserer Familie überführen. Meine Eltern zogen überglücklich wieder in «ihre alte Wohnung» im Obergeschoss ein. Rosaria und ich richteten unsere neue Ferienwohnung in der ehemaligen Bleibe von Nona und Bazegner gemütlich ein.

Blick von Bellavista 2009 und 2015 – Chasa Arquint unten rechts mit und ohne Anbau an der Porta 17A

Ein Jahr später wurde die Firma, in welcher ich in leitender Stellung tätig war, in einen Übernahme-Kampf verwickelt. Es hätte meine siebte Übernahme werden sollen, welche ich in meiner beruflichen Laufbahn miterleben durfte. Sechs Mal waren für mich genug. Ich kündigte und begann mich auf dem Arbeits-Markt umzusehen, bis Rosaria mich an einem gemütlichen Abend fragte, ob ich wirklich erneut vom einen Hamster-Rad auf das nächste hinüberspringen wolle. Wir hätten keine Verpflichtungen mehr und könnten uns doch einmal eine Auszeit gönnen, jetzt, wo wir über eine Ferienwohnung in Scuol verfügen würden.

Wir wohnten damals im Aargau in einem riesigen Haus mit zwölf Zimmern. Wir verkauften es und zogen im März 2008 in unsere kleine Drei-Zimmer-Ferienwohnung nach Scuol, ohne konkreten Pläne, mit gerade mal so viel Mobiliar, wie wir zum Leben benötigten. Alles andere verkauften, verschenkten und räumten wir. Ich eliminierte unter anderem etwa fünfundzwanzig Anzüge, fünfzig Krawatten und hundert Hemden. Zum Schluss blieben noch sieben grosse Mulden, welche wir der Kehricht-Verbrennung übergaben.

Die Porta 17A, der ehemalige Tablà, kurz vor Erstellung des Neubaus—rechts vom Haus ist die Profilierung sichtbar. Links angebaut die Chasa Arquint an der Porta 17.

Im darauffolgenden Jahr erwarben wir im Nachbar-Dorf Ramosch ein ziemlich baufälliges Haus mit einem angebauten «Tablà», einer grossen Scheune und einer schönen Baulandreserve. Bereits bei der ersten Besichtigung war uns aufgefallen, über welches Potential diese vermeintliche «Bruchbude» verfügte. Ich entschloss mich, einen Umbau in Angriff zu nehmen. Die ersten Erfahrungen mit «selber Handanlegen» zeigten aber bald, dass meine handwerklichen Fähigkeiten kaum ausreichten, meine Ziele ohne Unterstützung zu erreichen. Ich durfte aber feststellen, dass mein Vorstellungs-Vermögen und die Zusammenarbeit mit Profi-Handwerkern zu guten Ergebnissen führten.

Dies ermutigte uns, auch den Ausbau des «Tablàs» in Angriff zu nehmen, welcher schliesslich mit drei weiteren Wohneinheiten abgeschlossen werden konnte. Ein weiteres Jahr später bauten wir ein anderes altes Haus mit Tablà in Ramosch um und realisierten dort sechs hübsche Ferienwohnungen. Darauf folgten weitere Umbauprojekte, bei welchen wir einige in unserem Besitz behielten, um sie zu vermieten. Andere veräusserten wir.

Im Jahre 2010 begann unsere Stube mit Dokumenten zu Umbauprojekten über zu quellen. Wir wohnten ja nur in einer Drei-Zimmerwohnung, wo ich mir in einer Ecke des Wohnzimmers ein Büro eingerichtet hatte. Die Situation mit diesem Wohn-/Arbeits-Zimmer behagte uns nicht mehr, zumal wir Sitzungen mit Baupartnern und Kunden an unserem grossen Küchentisch abhielten. Wir überlegten, wie wir diese Konstellation angenehmer gestalten konnten. Ausser Frage stand, dass wir wegen Eigenbedarf meine Eltern ausquartieren würden. Einen radikalen Umbau unseres Hauses wollten wir ebenfalls vermeiden, weil dadurch historische Bausubstanz zerstört worden wäre. Schliesslich entschieden wir uns, einen Anbau zu realisieren. Da das Haus in der historisch wertvollen Dorfkernzone steht, zwangen uns die bestehenden Bauvorschriften, den Neubau in das Dorf-Bild einzubetten. Im weiteren mussten wir berücksichtigen, dass wir nicht «alt» bauen durften. Das neue Gebäude sollte als solches erkennbar sein und durfte nicht als Nachbau eines Engadinerhauses oder eines Tablàs gestaltet werden. Zudem sollte es vom alten Haus mindestens zwei Meter entfernt und von der Strasse zurückversetzt werden.

Eine eigenwillige Maisonette-Wohnung im Tablà in Ramosch