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Wenn aus einer Nacht so viel mehr wird ...
Für Luca gab es genau zwei Dinge im Leben: Eishockey und Frauen. Bis sein Bruder bei einem tragischen Unfall ums Leben kam, und Luca das Sorgerecht für seine kleinen Nichten und Neffen übertragen wurde. Sie sind nun seine oberste Priorität - egal wie schwer es ihm fällt, die richtige Balance zwischen seiner Rolle als alleinerziehender Vater und Eishockey-Superstar der "Chicago Devils" zu finden. Ablenkung ist das letzte, was er jetzt gebrauchen kann - und doch geht ihm Abby Daniels seit seiner leidenschaftlichen Nacht mit ihr nicht mehr aus dem Kopf ...
"Einzigartige Geschichten und tolle Charaktere, die einem noch lange im Gedächtnis bleiben!" DEVILISHLY DELICIOUS BOOK REVIEWS
Band 2 der Sports-Romance-Reihe CHICAGO DEVILS von Bestseller-Autorin Brenda Rothert
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Seitenzahl: 304
Titel
Zu diesem Buch
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Epilog
Die Autorin
Die Romane von Brenda Rothert bei LYX
Leseprobe
Impressum
BRENDA ROTHERT
Chicago Devils
ALLES, WAS ZÄHLT
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Für Luca gab es genau zwei Dinge im Leben: Eishockey und Frauen. Bis sein Bruder bei einem tragischen Unfall ums Leben kam, und Luca das Sorgerecht für seine kleinen Nichten und Neffen übertragen wurde. Sie sind nun seine oberste Priorität – egal wie schwer es ihm fällt, die richtige Balance zwischen seiner Rolle als alleinerziehender Vater und Eishockey-Superstar der »Chicago Devils« zu finden. Ablenkung ist das letzte, was er jetzt gebrauchen kann – und doch geht ihm Abby Daniels seit seiner leidenschaftlichen Nacht mit ihr nicht mehr aus dem Kopf …
Ich könnte den Wecker mit bloßen Händen in Stücke schlagen – ich bräuchte nicht mal einen Vorschlaghammer. Wie bei Alles Routine ist mein Unterbewusstsein bereit, kurzen Prozess mit dem schwarzen Kasten zu machen, der auf der gegenüberliegenden Seite meines Schlafzimmers rhythmisch und durchdringend plärrt.
Nachdem ich mich aus dem Bett gewälzt habe, streiche ich mir benommen die wirren blonden Haare aus dem Gesicht, stolpere durchs Zimmer und bringe den Wecker zum Schweigen. Vor der dunklen Holzkommode, auf der die Uhr steht, bleibe ich stehen und sammele mich. Ich bin noch so müde.
So ist das morgens meistens. Gelegentlich wache ich ohne das dumpfe Hämmern in meinem Kopf auf, mit dem mein Körper mir zu sagen versucht, dass vier oder fünf Stunden Schlaf nicht genug seien. Aber an den meisten Tagen sind die Kopfschmerzen da. Es macht mir nichts aus. So lange ich mich groggy fühle und der Kopf wehtut, weiß ich, dass ich genug geschlafen habe, um es durch den Tag zu schaffen, aber nicht genug, um Albträume zu haben. Oder überhaupt irgendwelche Träume. Seit fast drei Jahren ist es sowieso immer derselbe unerträgliche Albtraum.
Ich gehe kurz ins Badezimmer und dann in die Küche, wo eine volle Kaffeekanne auf mich wartet. Kaffeemaschinen mit Timer – die beste Erfindung aller Zeiten.
Jeden Tag um 3:52 Uhr nehme ich mir einen Becher Kaffee und kippe die Hälfte davon hinunter. Ich kriege gerade genug Koffein, dass das Hämmern in meinem Kopf aufhört. Dann trete ich in den begehbaren Kleiderschrank in meinem Schlafzimmer und ziehe mir Sport-BH, Leggings, T-Shirt, Socken und Trainingsschuhe an. Ich binde mir das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, schnappe mir meine Sporttasche und fahre mit dem Aufzug in die schicke, mit Marmorböden ausgestattete Lobby des Gebäudes hinunter und sage dem Türsteher, der gerade Dienst hat, Guten Morgen.
Von montags bis freitags ist es Chase. Samstags ist es Larry. Und sonntags ist es Diana. Die Gesichter mögen wechseln, aber ich gehe jeden Morgen durch die offene Tür und steige um 4:06 Uhr in der Frühe in einen wartenden SUV.
»Morgen, Ms Daniels«, sagt mein Fahrer.
»Guten Morgen, Ben. Wie geht es Ihnen?«
»Ich kann nicht klagen, Ma’am.«
Selbst in Manhattan ist der Verkehr zu dieser Stunde nicht besonders dicht, und Ben zieht den SUV auf die Fahrspur, ohne warten zu müssen. Genau wie jeden Tag. Dies ist unser übliches Gespräch, und da es jetzt vorüber ist, nehme ich mein Telefon aus der Sporttasche und öffne die E-Mail-App.
Wenn bei der Arbeit nichts Dringendes anliegt, schaue ich nach zehn Uhr abends nicht mehr nach Mails. Aber wegen der verschiedenen Zeitzonen warten morgens immer neue E-Mails auf mich.
Einige davon leite ich an meinen Assistenten weiter, auf ein paar andere antworte ich und spare mir den Rest für später auf. Als ich die Betreffzeile »Chicagoer Fiasko« sehe, lächele ich. Ich habe einen erfahrenen Projektmanager eingestellt, der den Aufbau meiner Firma in Chicago überwacht, und er ist jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Herausforderungen, vor die uns die drei Läden stellen, die wir dort bauen, sind größtenteils amtlicher Natur – bauplanungsrechtliche und designspezifische Fragen. Darum fahre ich auch heute wieder dorthin. Stephen ist ein sehr tüchtiger Projektmanager, aber ich mag es, in jedem Bereich meines Unternehmens mitzuwirken. So habe ich Cypress Lane in weniger als drei Jahren zu einem der erfolgreichsten Unternehmen in der Branche für Einrichtungsgegenstände aufgebaut.
»Neunundzwanzig und auf dem Gipfel des Erfolgs«, lautete die Schlagzeile der Titelstory über mich in einem bekannten Wirtschaftsmagazin.
Ich bin neunundzwanzig Jahre alt, da haben sie recht. Aber ich bin weit davon entfernt, auf irgendeinem Gipfel zu stehen. Vielmehr strampele ich im tiefsten, entlegensten Ozean der Welt im Kreis herum. Doch das mache ich sehr gut.
Ben setzt mich an der Tür meines Fitnessstudios ab, wo die getreue Schar der Sporttreibenden, die ich jeden Morgen sehe, bereits Gewichte stemmt und die Geschwindigkeit der Laufbänder hochschaltet.
»Guten Morgen, meine Liebe«, begrüßt mich meine Trainerin Percy, als ich auf eine Matte in der Ecke des Raums zusteuere.
»Morgen«, brumme ich meinerseits.
Sie reicht mir eine Edelstahlflasche, die mit Eis und Wasser gefüllt ist. Automatisch nehme ich daraus einen tiefen Zug.
»Du siehst erschöpft aus, Abby.« Percy zieht die Brauen zusammen und sieht mich finster an.
»Nur gut, dass ich dich nicht dafür bezahle, mir zu sagen, wie ich aussehe«, murre ich.
Sie seufzt und verschränkt die Arme vor der Brust. »Wie oft muss ich dir noch erklären, dass Fitness nicht nur etwas Körperliches ist? Du wirst nichts erreichen, wenn du Körper, Geist und Seele nicht als Einheit siehst.«
Wir haben dieses Gespräch schon viele Male geführt in den sechs Monaten, seit ich mit Percy trainiere, einer ehemaligen Olympialäuferin. Und jedes Mal geht es mir auf die Nerven.
»Meine Arbeit fordert mich sehr«, verteidige ich mich.
»Manchmal muss man Forderungen zum Schweigen bringen, damit man etwas Zeit für sich selbst hat.«
Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass sie es gut meint. Percy ist eine atemberaubende Frau mit makelloser, mokkafarbener Haut, kurzen Zöpfen und goldbraunen Augen. Sie ist so schlank und schön, dass sie ihren Lebensunterhalt sehr gut als Model verdienen könnte. Oder damit, Motivationsreden zu halten. Aber das Training ist ihre Leidenschaft. Obwohl ich ihr jedes Honorar zahlen würde, war es verdammt schwer, privat Termine bei ihr zu ergattern.
»Ich verstehe, was du sagst«, antworte ich in der Hoffnung, sie zu beschwichtigen. »Ich bemühe mich, alles unterzubringen, aber das Schlafen zieht meist den Kürzeren. Aber ich esse gut.«
Sie schüttelt den Kopf, die Lippen streng zusammengepresst. »Dein Körper braucht Zeit, sich zu erholen. Fitness braucht ein Fundament aus Ernährung und ausreichendem Schlaf.«
»Ich werde mir mehr Mühe geben«, verspreche ich.
Das werde ich nicht tun. Aber Percy nickt und leitet mich bei der Reihe von Dehnübungen an, mit denen wir unsere Work-outs an sechs Tagen der Woche beginnen. Sonntags soll ich mich eigentlich ausruhen, aber da trainiere ich allein. Das behalte ich allerdings für mich.
Ich bin keine Fitness-Fanatikerin. Ich habe Sport nie gemocht, doch ich liebe die fordernden Bewegungsabläufe, die Percy mir abverlangt. Ich mache Kickboxen, stemme Gewichte, mache Wheel-Flips mit Autoreifen und laufe Sprints, und mein Programm ist jeden Tag ein klein wenig anders. Es kostet mich meine ganze Energie und Konzentration, ihre rigorosen Work-outs durchzustehen.
»Richtig durchstrecken!«, brüllt sie, während ich gegen einen schweren Sack boxe, und ihr hübsches Gesicht ist jetzt verzerrt. »Fester, Abby!«
Während ich die jeweiligen Übungseinheiten zu Ende bringe, schnappe ich immer wieder hastig nach Luft. Ich mache Liegestützsprünge, Unterarmstützen und Kniebeugen, bis mein Körper sich anfühlt wie ein nasser Lappen. Percy macht keinen Small Talk während meiner Work-outs. Sie reicht mir einfach alle paar Minuten die Wasserflasche und überwacht meine Flüssigkeitszufuhr.
Am Ende unserer sechzigminütigen Sitzung wirft sie mir ein Handtuch zu, damit ich mir das Gesicht abwischen kann.
»Sieh zu, dass du heute Nacht mindestens sieben Stunden schläfst«, verlangt sie. »Wenn du morgen mit diesen violetten Ringen unter den Augen hier auftauchst, schicke ich deine Wenigkeit wieder nach Hause.«
Nickend wische ich mir den Schweiß von der Stirn und von der Brust.
»Ich muss das hier nicht machen, Abby«, mahnt Percy mich. »Ich habe eine Warteliste mit Klienten, die bereit sind, alles zu geben.«
»Verstanden.«
Ich schnappe mir meine Sporttasche und gehe angewidert zur Tür. Es ist meine eigene verdammte Angelegenheit, wie viel Schlaf ich bekomme. Ich habe nicht vor, Profisportlerin zu werden oder so etwas.
»Wie war Ihr Training, Ms Daniels?«, fragt Ben, als ich hinten in den Wagen steige. Er mustert mich im Rückspiegel.
»Es war gut, danke.« Ich begegne seinem Blick und schenke ihm mein übliches nichtssagendes Lächeln.
Ben ist ein netter Mann – ein pensionierter Feuerwehrmann, der unter der Woche als Fahrer für mich arbeitet. Er hat mein Verlangen nach Privatsphäre schnell begriffen und stellt niemals neugierige Fragen.
Wieder in meiner Wohnung dusche ich, trinke eine frische Tasse Kaffee und föhne mir das Haar. Dann frisiere ich es zu einem Nackenknoten, trage etwas Make-up auf und schlüpfe in ein anthrazitfarbenes Kostüm mit einer hellblauen Bluse darunter. Ich ziehe hochhackige Schuhe an, schnappe mir meine Tasche und gehe wieder hinunter zum Aufzug.
Auf der Fahrt ins Büro wende ich mich erneut meinen E-Mails zu, und als wir da sind und ich aus dem Wagen steige, verabschiedet Ben sich wie immer: »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Ms Daniels.«
Früher hat er versucht, um den Wagen herumzurennen und mir die Tür zu öffnen, aber ich war jedes Mal bereits ausgestiegen und ein paar Schritte weitergegangen, wenn er dort ankam, also hat er es aufgegeben. Auch in meinem früheren Leben mochte ich es nie, mich bedienen zu lassen. Und jetzt, da ich die Mittel dazu habe, heuere ich nur Hilfen an, um mir Zeit zu sparen.
In dem jüngsten Zeitschriftenartikel über mich wurde ich als »gnadenlose Verhandlungspartnerin, die härter arbeitet als alle anderen« beschrieben.
Ich, Abby Daniels. Ich musste diesen Satz zweimal lesen, weil er so gar nicht zu mir passte. Mein fünfundzwanzigjähriges Ich hätte über diese Beschreibung gelacht. Aber damals war mein Leben ganz anders.
»Die neuen Entwürfe für Chicago sind gerade reingekommen«, begrüßt mich mein Assistent Anthony, als ich in sein Büro trete, das zu meinem eigenen führt.
»Und?« Ich schaue ihn an, um seine Reaktion abzuschätzen. Er sitzt gebeugt hinter seinem Computerbildschirm und weicht meinem Blick aus.
»Na toll«, brumme ich und atme tief aus.
»Ich habe sie nur ganz kurz angesehen«, ruft Anthony mir nach, als ich mein Büro betrete.
»Aber Sie wissen bereits, dass ich sie hassen werde.«
Er antwortet nicht, denn ich habe recht. Anthony ist bei mir, seit ich Cypress Lane gegründet habe, und er kennt meinen Geschmack sehr gut.
Ich hänge meine Kostümjacke in den kleinen, mit Zedernholz ausgekleideten Wandschrank in meinem Büro, setze mich an den Schreibtisch und klappe meinen Laptop auf. Als der Bildschirm sofort mit dem Passwortfenster aufleuchtet, spüre ich einen kleinen, erregenden Kick, wie immer zu Beginn eines Arbeitstages.
Es ist Zeit, mich mit ganzer Kraft in die Arbeit zu stürzen. So viel von diesem Tag wie nur möglich den Entscheidungen zu widmen, die der Firma helfen werden, zu wachsen und zu gedeihen. Mich in der Arbeit zu verlieren, ist halb Adrenalinrausch, halb Überlebensstrategie.
Anthony kommt mit einer frischen Tasse Kaffee in mein Büro, stellt sie auf meinen großen, weißen Schreibtisch mit der Glasplatte und schaut mir über die Schulter, als ich die neuen Designs der Architekten für zwei unserer drei Chicagoer Läden öffne.
»Was zum Teufel?«, raune ich dem Bildschirm zu, als das erste Foto auftaucht.
Es ist alles aus Glas und Stahl, der Anblick modern und kalt. Meine Läden haben alle eine warme, erdige Ausstrahlung, mit Fassaden, die aus Naturstein und Holz bestehen.
»Yep«, stimmt Anthony mir zu.
Ich drehe mich zu ihm um. »Das ist so weit entfernt von dem, was wir letzte Woche besprochen haben. Was denken die sich dabei?«
»In ihrer E-Mail stand, sie versuchten Materialkosten zu sparen und sich an die städtebaulichen Verordnungen zu halten.«
»Und wer hat sie gebeten, Materialkosten zu sparen?«, verlange ich scharf zu erfahren.
Es ist eine rhetorische Frage; Anthony kennt das von mir. Er zuckt stumm die Achseln.
»Ich muss Stephen anrufen. Falls er wieder denkt, ich würde ihm einen Bonus zahlen, wenn er unter dem Budget bleibt, schmeiße ich ihn raus. Diese Sache wird langsam lächerlich.«
»Soll ich ihn an den Apparat holen?« Anthony geht auf die Tür zu, die unsere Büros miteinander verbindet.
»Nein, ich rufe ihn von meinem Handy aus an.« Ich halte beim Scrollen nach Stephens Nummer inne und hebe den Blick von meinem Telefon. »Sagen Sie, bin ich heute Abend im Palmer House?«
»Sie sind die nächsten beiden Nächte dort untergebracht. Ist das so in Ordnung?«
»Ja, perfekt. Können Sie dort anrufen und darum bitten, mir einen Kasten Wasserflaschen auf mein Zimmer zu liefern?«
»Schon geschehen.«
»Sie sind der Beste.« Ich lächele dankbar. »Um wie viel Uhr geht mein Flug?«
»Um 13:30 Uhr. Ich habe Ihre Abfahrt aus dem Büro auf 12:40 Uhr gelegt, und unterwegs zum Flughafen können Sie dann einen Spinat-Wrap essen.«
»Perfekt.«
Er nickt, und ich drücke auf die Taste, um Stephen anzurufen.
»Geben Sie mir Bescheid, wann Sie Ihr Frühstück haben möchten«, sagt Anthony noch.
Zur Antwort sehe ich ihn nur an, denn Stephen meldet sich in der Leitung.
»Hey, Boss-Lady«, sagt er mit einem Lächeln in der Stimme.
Ich hasse es, wenn er mich so nennt. Und ich hasse es, ihm so auf die Finger schauen zu müssen. Ich spüre bereits, dass es ein langer Tag werden wird, aber ich stürze mich mitten hinein und beschließe, vor meinem Flug so viel Arbeit wie möglich zu erledigen.
»Halt still, Onkel Luca.«
Meine Nichte Emerson schenkt mir ihren besten finsteren Blick, aber sie ist fünf und so niedlich, dass es mir ein Lächeln entlockt.
»Ich versuche es ja«, antworte ich ihr und begutachte den dunkelvioletten Nagellack, den sie mir auf die Fingernägel aufzutragen versucht.
Dass mehr Nagellack auf meiner Haut landet als auf meinen Nägeln, liegt nicht daran, dass ich nicht stillhalten kann; es ist ihre Technik. Meine zehnjährige Nichte Cora hat mit meiner »MANNiküre«, wie meine beiden Nichten es gerne nennen, begonnen, und sie dann an Emerson delegiert.
»Ich habe Joghurt gefunden!«, ruft Cora und kommt in mein Badezimmer gestürmt. »Unten drin sind Erdbeeren, aber das ist in Ordnung. Nach dieser Gesichtsmaske wirst du sehr gut riechen, Onkel Luca.«
Ich versuche, nicht die Augen zu verdrehen. Es wird besser sein als die letzte Gesichtsmaske, die sie in der Küche zusammengemixt haben und die Butter enthielt. Es war ziemlich schwierig, das Zeug unter der Dusche abzuschrubben.
»Ich muss in fünfundzwanzig Minuten zum Training aufbrechen«, rufe ich den Mädchen ins Gedächtnis. »Und ich muss vorher noch duschen. Also habt ihr noch zehn Minuten, um mich zu verschönern.«
»Wirst du mir auch die Nägel lackieren?«, fragt Cora mich.
»Na klar.«
Ich war miserabel im Nägellackieren, als ich vor gut einem Jahr zum gesetzlichen Vormund meiner beiden Nichten und meines Neffen bestellt wurde. Doch nach einiger Übung bin ich jetzt verdammt gut darin.
»Wie lange dauert es noch, bis Gram und Gramps hier sind?«, fragt Emerson, die weiter meinen Daumennagel lackiert, obwohl sie gar nicht hinsieht.
»Noch ungefähr vier Stunden bis zur Landung ihres Flugzeugs, dann vielleicht noch eine Stunde, bis sie hier sind.«
Beim Anblick ihres zahnlosen, aufgeregten Grinsens vergesse ich den Nagellack, den ich auf dem Fingerknöchel spüre.
»Emerson!«, brüllt Cora. »Du hast es ruiniert! Das sieht schrecklich aus.«
Cora greift nach dem Fläschchen mit dem purpurnen Nagellack, und Emersons glückliche Miene ist dahin.
»Gib ihn mir«, schnaubt Cora und streckt die Hand nach dem Nagellackpinsel aus. »Ich hätte dir nie erlauben dürfen, das zu tun.«
»Na, na.« Ich werfe Cora einen strengen Blick zu. »Sie hat ihr Bestes gegeben.«
Tränen fluten Coras Augen. Emerson rutscht näher an mich heran, weil sie weiß, was passiert, wenn Cora sich aufregt.
»Er wird uns keine Schönheitstage mehr machen lassen, wenn du es vermasselst!«, ruft Cora und funkelt ihre jüngere Schwester an. »Du hast alles ruiniert!«
»Du hast gar nichts ruiniert«, sage ich zu Emerson. »Und, Cora, ich habe nie gesagt, dass wir das nicht wieder tun können. Wir können einen großen Schönheitstag einlegen, wenn ich von meiner Reise zurück bin, okay?«
Cora wischt sich über die Augen und nickt, immer noch weinend. Es bringt mich um, sie so zu sehen. Als Älteste der drei trägt sie eine größere Last durch den Tod ihrer Eltern als ihre Geschwister. Wir sind jetzt seit über einem Jahr in Therapie, um nach dem Tod ihrer Mutter, meiner Schwägerin Danielle, den Übergang zu dem neuen Leben der Kinder mit mir als ihrem Vormund zu schaffen. Aber mit den klinischen Begriffen für das, womit Cora zu kämpfen hat – Ängsten und Kontrollzwängen – kann ich besser umgehen als mit ihren Zusammenbrüchen.
Die Anspannung löst sich, und Emerson beginnt mit meiner Massage, die im Wesentlichen daraus besteht, dass sie meine Schulter mit Karateschlägen bearbeitet, während Cora mir Erdbeerjoghurt ins Gesicht schmiert.
»Geht es deiner Schulter besser?«, fragt Cora.
»Yep, alles bestens.«
»Denkst du, meine Maschase hat geholfen?«, fragt Emerson hinter mir.
Sie kann manche Wörter nicht richtig aussprechen, und ich hoffe irgendwie, dass das noch länger so bleibt, weil es mich immer wieder rührt.
»Sie hat auf jeden Fall geholfen«, antworte ich ihr.
Ich habe mir gestern beim Training die Schulter gezerrt, und Cora hat bemerkt, dass ich zusammengezuckt bin, als ich abends den Müll nach draußen gebracht habe. Sie macht sich Sorgen wegen jeder Erkältung und jeder Prellung, die ich mir zuziehe. Ich kann dem Kind keinen Vorwurf daraus machen. Ihr Dad, mein Bruder Matt, ist beim Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen, und ihre Mom ist ein Jahr später an Krebs gestorben.
»Komm, lass uns dir die Nägel lackieren, Cora«, bemerke ich nach einem Blick auf meine Armbanduhr. »Ich habe nur noch fünf Minuten, bis ich unter die Dusche muss.« Ich wende mich zu Emerson um. »Kannst du den Nagellackentferner holen, Kleines?«
»Okay.« Sie rast aus dem Zimmer, dass ihre braunen Locken nur so fliegen.
»Gehst du heute Abend auf ein Date?«, fragt Cora mich, sobald wir allein sind.
Meine Eltern bestehen immer darauf, dass ich mir ein wenig Zeit für mich selbst nehme, wenn sie kommen, um mir mit den Kindern zu helfen. Normalerweise bin ich mit Arbeit eingedeckt, weil die Eishockeysaison das mit sich bringt, und ich muss viel reisen, aber einmal habe ich mir ein Hotelzimmer genommen, mir ein paar nicht jugendfreie Filme angesehen und am nächsten Tag ausgeschlafen. Heute Abend werde ich mir Mühe geben, geselliger zu sein, denn ich hinke wirklich hinterher damit, Freundschaften zu pflegen, seit ich die Kids habe.
»Nein, ich gehe nur mit Vic und Anton essen und danach etwas trinken.«
Cora nickt. »Fahr nur nicht mehr Auto, wenn du etwas getrunken hast.«
»Niemals. Wenn nötig, nehme ich ein Uber nach Hause.«
Sie schaut auf ihre Nägel hinab, als ich den Lack auftrage, ihre Miene ist ernst.
»Geht es dir gut?«, frage ich sie.
Es entsteht eine Pause, bevor sie bejaht.
»Was ist los, Schätzchen? Ich merke doch, wenn etwas mit dir nicht stimmt.«
Sie sieht zu mir auf. »Ich will nicht, dass Gram traurig ist.«
Verdammt. Ich hasse es, was diese Kinder durchgemacht haben. Meine Eltern sind oft hergekommen, um mir mit den Kindern zu helfen, als Danielle krank war. Ich hatte sie und die Kids zu mir ins Haus geholt, damit ich für sie da sein und die Pflege für Danielle organisieren konnte. Der Verlust meines Bruders war für meine Eltern immer noch frisch, und allein beim Anblick der Kinder brach meine Mutter immer wieder in Tränen aus. Ich weiß, dass sie ihnen keinen Kummer machen wollte, aber sie hat es getan.
»Diesmal wird Gram nicht traurig sein«, erkläre ich Cora. »Sie freut sich wirklich darauf, schöne Sachen mit euch zu unternehmen.«
»Ich gehe nicht auf das Dach von dem Gebäude da hoch.«
»Sie werden dich nicht dazu zwingen. Sag ihnen einfach, dass du Angst hast, dann besuchen sie etwas anderes als den Sears Tower mit euch, okay?«
»Ich habe keine Angst«, verteidigt Cora sich. »Ich finde es nur blöd.«
»Okay. Dann … sag es Gram und Gramps einfach. Es wird in Ordnung sein.«
Sie wirft mir einen ernsten Blick zu, und ihre braunen Augen sind groß. »Ich bin froh, dass wir bei dir sind und nicht bei ihnen. Du weinst nie.«
Bei ihren Worten bleibt mir praktisch das Herz stehen. Ich habe nach Matts und Danielles Tod mehr geweint als in meinem ganzen achtundzwanzigjährigen Leben zuvor. Um den großen Bruder, den ich über alles geliebt habe, um seine Frau, die es überlebt hat und stark geblieben ist, nur um dann von einer Krebserkrankung hinweggerafft zu werden, obwohl sie drei kleine Kinder hatte, die sie brauchten. Und um die am Boden zerstörten Kinder, die sie zurückgelassen haben. Cora kennt die Wahrheit jedoch nicht, weil ich all meine Tränen allein vergossen habe, in der Privatsphäre meines Schlafzimmers.
»Ihr habt viele Menschen um euch, die euch lieb haben«, versichere ich Cora.
»Wenn du stirbst, werden wir dann bei Gram und Gramps wohnen?«
»Ich gehe nirgendwohin. Mach dir darum keine Sorgen.«
Nachdem man Danielle mitgeteilt hatte, dass sie nur noch wenige Monate zu leben habe, waren meine Eltern, bereits gramgebeugt wegen Matts Tod, verblüfft zu erfahren, dass ihre Enkelkinder nach Danielles Tod in meine Obhut gegeben würden und nicht in ihre. Himmel, ich war ebenfalls verblüfft. Meine Eltern wissen, was sie tun, und sie sind Rentner. Was mich betrifft, ich bin NHL-Spieler und Junggeselle. Ich bin völlig ungeeignet, drei Kinder großzuziehen. Ich habe versucht, Danielle das zu erklären, aber sie hat darauf beharrt, dass sie und Matt sich einhundertprozentig sicher gewesen seien, dass ich der Richtige sei.
»Es ist alles weg«, sagt Emerson, die mit einer leeren Flasche Nagellackentferner ins Badezimmer kommt.
»Weg?« Ich ziehe besorgt die Brauen hoch.
»Willst du, dass ich nach der anderen Flasche suche?«, fragt Cora, während ich ihren letzten Nagel lackiere.
»Ja, danke. So kann ich nicht zum Training gehen.«
Ich stehe auf und erhasche einen Blick auf mich im Badezimmerspiegel. Mein Gesicht ist mit weißem Joghurt und Erdbeerglibber bedeckt. Kopfschüttelnd beuge ich mich vor, um den Joghurt über dem Waschbecken abzuspülen, dann ziehe ich mir mein T-Shirt über den Kopf.
Die Mädchen verlassen den Raum, und ich schließe die Tür und drehe das Wasser auf. Als ich meine Shorts und meine Unterhose ausziehe, wogt der Dampf schon oben aus der gläsernen Duschkabine.
Duschen und schlafen sind so ziemlich die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich noch Ruhe habe. Die Kids reden immerzu, rennen, lachen und brüllen. Doch das ist gut so. Sie still den Tod ihrer Mutter betrauern zu sehen, war das Härteste, was ich je durchgemacht habe. Und da ich ein ziemlich großes Haus am Stadtrand besitze, können sie so viel Lärm machen, wie sie wollen.
Ich wasche mich schnell, steige aus der Dusche, reibe mir mein kurzes, braunes Haar trocken und wische mit kreisförmigen Handbewegungen den beschlagenen Spiegel frei. Dann schaue ich genau hinein, um festzustellen, ob ich mich rasieren muss.
Yep. Die Bartstoppeln haben eine Länge, bei der ich mich normalerweise rasieren würde, aber heute bin ich in Eile. Ich werde mich rasieren, wenn ich später vom Training zurückkomme.
»Onkel Luca!«, ruft Cora durch meine geschlossene Badezimmertür.
»Ich bin nicht angezogen, bleib draußen. Gib mir eine Minute.«
Als die Kinder gerade bei mir eingezogen waren, ist Jack einmal in mein Zimmer geplatzt, als ich gerade aus der Dusche kam, und hat einen guten Blick auf mich erwischt. Er war entsetzt, hat es aber trotzdem geschafft zu fragen, ob er auch eines Tages so aussehen würde.
Er war zu dem Zeitpunkt sieben, vor einem guten Jahr, und ich musste mich unbeholfen durch seine Fragen nach Körperbehaarung und Penissen manövrieren. Mein Bruder Matt hätte es genossen, mich bei diesem Gespräch schwitzen zu sehen. Anschließend habe ich darüber nachgedacht, wie sehr ich mir gewünscht hätte, bei einem Bier mit ihm darüber zu lachen.
»Wir haben keinen Nagellackentferner mehr«, verkündet Cora durch die Tür.
»Was?« Ich runzele die Stirn und betrachte die geschlossene Badezimmertür, während ich mich anziehe. »Wir hatten bei unserem letzten Schönheitstag noch jede Menge davon.«
»Emerson hat die Flasche nicht zugeschraubt, deshalb ist der Nagellackentferner ausgetrocknet.«
»Himmelarsch«, murmele ich und schaue hinab auf den dunkelvioletten Nagellack, mit dem meine Nägel, meine Knöchel und meine Fingerspitzen beschmiert sind.
»Das ist ein böses Wort«, kommentiert Cora.
»Ich habe ›Barsch‹ gesagt.«
»Nein, hast du nicht, Onkel Luca.«
»Ich muss diesen Nagellack loswerden!«
»Ich habe dir etwas Wasserstoffperoxid mitgebracht«, sagt Cora mit brutal verstümmelter Aussprache. »Vielleicht wird das funktionieren?«
Es funktioniert nicht. Als Sheila, meine Babysitterin, eintrifft, habe ich vielleicht gerade noch genug Zeit, bei einer Drogerie vorbeizufahren, neuen Nagellackentferner zu besorgen und es rechtzeitig zum Training zu schaffen. Ich rufe einige schnelle Abschiedsworte, steige in meinen Escalade und trete aufs Gas.
Aber der Verkehr ist mörderisch. Ich klopfe mit dem Daumen auf mein Lenkrad und rechne nach. Wenn ich in die Drogerie flitzen kann und schnell wieder rauskomme … schaffe ich es. Mit knapper Not.
Unser Coach hat uns letztens eine Mordspredigt über das Zuspätkommen gehalten. Und ich bekomme auch keine Sonderbehandlung, weil ich ein alleinerziehender Vater bin.
Ich werde einfach so schnell wie möglich meine Handschuhe überstreifen müssen, damit keiner der Männer meine lila Nägel sieht. Ich kann es nicht riskieren, zu spät zu kommen.
Es ist ein solider Plan, aber er scheitert auf geradezu epische Weise, als ich in den Umkleideraum komme, die Hände zu Fäusten geballt, und unser Torwart, Jonah, mir einen Proteinriegel reicht. Ohne nachzudenken, greife ich danach.
»Was zum Teufel ist das?«, fragt er und grinst erheitert.
Ich stoße einen schweren Seufzer aus. »Verpiss dich. Zu Hause ist Schönheitstag.«
»Schönheitstag?«
Gelächter schallt durch die Umkleide.
»Hast du auch eine Pediküre bekommen, Prinzessin?«, brüllt jemand.
»Es war für die Mädchen«, knurre ich.
»Trägst du da drunter einen Spitzentanga?«, heult Vic.
»Warte, bis du Kinder hast. Du wirst schon sehen.«
»Ich denke, ich werde es schaffen, Kinder zu haben, und nicht mit lila Fingernägeln zum Training zu erscheinen.«
An diesem Punkt ignoriere ich ihn, so gut ich kann. Ich stopfe meinen Kram in mein Schließfach und mache mich bereit fürs Training. Vic schweigt, bis ich meine Schlittschuhe zuschnüre.
»Kommst du trotzdem heute Abend mit?«
Ich sehe zu ihm auf. »Ja, warum sollte ich nicht mitkommen?«
Er zuckt die Achseln. »Zu müde, eins der Kinder ist krank, die Babysitterin schafft es nicht …«
»Dieser Scheiß passiert tatsächlich, Mann. Ich erfinde das alles nicht.«
»Ich kapiere es. Also steht unsere Verabredung?«
»Ja. Wo treffen wir uns?«
»In der Bar im Palmer House.«
Ich werfe ihm einen verwirrten Blick zu. »Was zum Teufel soll das denn?«
»Ich versuche, jemandem über den Weg zu laufen, der dort wohnt.«
»Wem?«
Er schaut nach rechts und links, um sicherzugehen, dass niemand zuhört, bevor er sagt: »Kristen Moore.«
»Der Schauspielerin?«
»Ja. Wenn sie genauso heiß ist, wie sie auf dem Bildschirm aussieht, werde ich euch Jungs nachher vielleicht stehen lassen.«
»Das würdest du tun.«
Er grinst. »Scheiße, ja, das würde ich. Treffen wir uns dort um sechs?«
»Okay.«
»Und, Luca, sieh zu, dass du diesen Mist auf deinen Nägeln vor heute Abend loswirst.«
Der erste Schluck Weißwein rinnt geschmeidig die Kehle hinunter. Mehr Entspannung geht bei mir nicht – diese wenigen Sekunden, in denen ich den Geschmack des einen Glases Wein genieße, das ich mir jeden Abend erlaube.
Und heute Abend wird es mir im Palmer House serviert, meinem Lieblingsort, wenn ich in Chicago bin. Die prächtige Lobby des Hotels, das Personal, das unglaubliche Essen … ich liebe es, und es fühlt sich langsam an wie ein zweites Zuhause bei all den Reisen, die ich wegen der neuen Läden schon hierher unternommen habe.
Während ich darauf warte, dass mein Abendessen kommt, widme ich mich den E-Mails, die ich heute bekommen habe. Anthony hat alles beantwortet, was er beantworten konnte, was hilfreich ist. Alles Übrige ist eine Mischung aus Dingen, bei denen er sich nicht sicher war, ob er sich in meinem Namen äußern sollte, und x-beliebigen, unwichtigen Sachen. Es muss ein hektischer Tag im Büro gewesen sein, denn normalerweise kümmert er sich auch um Letzteres.
Nach der Reise hierher und den hiesigen Meetings ist es das erste Mal, dass ich meine E-Mails durchgehe. Sieht so aus, als hätte mein Börsenmakler gute Nachrichten für mich, außerdem bin ich zur diesjährigen Met Gala eingeladen, und ich habe »Viele Gute Chance zu Doppelgroßer Penis«. Ich bin mir nicht sicher, wie diese letzte E-Mail durch die Firewall rutschen konnte.
Ich wische über den Bildschirm, um Nachrichten abzuspeichern und zu löschen, und halte gelegentlich inne, um eine zu lesen, bis meine Suppe und mein Salat kommen. Nach einem Lächeln und einem Dankeschön an meinen Kellner mache ich mich sofort über meine Mahlzeit her. Diese Champignoncremesuppe ist die beste, die ich je gegessen habe, und ich bestelle sie jedes Mal, wenn ich hier bin.
Es ist nicht meine erste Wahl, allein in einem Restaurant zu sitzen, weshalb ich es vorziehe, im Lobby- und Barbereich hier im Hotel zu essen. Hier herrscht ständig Trubel, und man hört immer im Hintergrund die Stimmen anderer Gäste. Ich kann einfach in der Menge verschwinden und mein Soloding durchziehen, ohne aufzufallen. Obwohl ich auf Reisen manchmal Männer kennenlerne und eine Nacht mit jemandem verbringe, habe ich im Moment von Menschen eher die Nase voll.
»Wow, ich wusste gar nicht, dass die einem hier draußen Mahlzeiten servieren«, bemerkt eine Männerstimme direkt hinter mir.
Ich schaue von meinem Telefon auf und sehe neben mir am Tresen einen Mann sitzen, obwohl überall jede Menge Plätze frei sind. Er beugt sich dicht vor, um meinen Teller zu begutachten.
»Ja, wenn Sie darum bitten, machen die das«, sage ich und richte den Blick wieder auf mein Handy.
»Hi, ich bin Will.«
Stumm seufze ich. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich habe nichts gesagt oder getan, das ein Signal aussendet, ich sei offen für Anmache. Ich kümmere mich lediglich um meine eigenen Angelegenheiten.
»Hi.« Ich sehe ihm schnell in die Augen und wende mich dann wieder meinem Telefon zu.
»Also … Sie, ähm … treffen sich hier mit jemandem?«
»Nein, ich bin beruflich hier. Ich muss eine Menge E-Mails beantworten.«
»Wie heißen Sie?«
Will versteht offensichtlich keinen Wink mit dem Zaunpfahl. Es ist nicht mal so, dass er unattraktiv wäre oder so etwas; um ehrlich zu sein, ich habe gar nicht darauf geachtet. Mir ist heute einfach nicht nach so etwas zumute. Und selbst wenn mir danach zumute wäre, mag ich keine aufdringlichen Männer, die offensichtlich nur versuchen, irgendwo zu landen. Jedenfalls mag ich das nicht in meinem Privatleben. Mit weniger aufdringlichem Umwerben kann man mehr erreichen.
»Ich bin nicht interessiert«, sage ich sanft und werfe ihm einen freundlichen Blick zu. »Es liegt nicht an Ihnen. Ich hatte nur gerade einen wirklich langen Tag.«
Er lacht höhnisch. »Sie brauchen sich deswegen nicht gleich wie ein Miststück zu benehmen. Ich habe Sie nicht angemacht, ich habe nur versucht, nett zu sein.«
»Ja, Sie scheinen wirklich nett zu sein.« Ich straffe die Schultern und wende mich wieder meinem Abendessen zu.
»Scheiße, was haben Sie denn für Probleme?«, fragt Will aufbrausend.
Er versetzt mir einen Stoß gegen die Schulter – nicht sehr fest –, aber trotzdem. Trotzdem.
Instinktiv weiche ich vor ihm zurück. Ich will gerade ein paar Dinge vorschlagen, die er sich in den Hintern schieben kann, als jemand mir zuvorkommt.
»Scheiße, was haben Sie für Probleme, Mann?«, knurrt jemand mit tiefer Stimme und versetzt Will einen Stoß.
Dieser Stoß ist fester – Will fällt fast von seinem Hocker.
»Wer zum Teufel sind Sie?« Mit glasigen Augen schaut Will zwischen mir und dem Mann hin und her, der mir offenbar zu Hilfe gekommen ist. »Sie haben gesagt, Sie wären allein hier.«
Sein vorwurfsvoller Ton gilt mir – als hätte ich ihn irgendwie hereingelegt.
»Sie haben zwei Sekunden, sich zu verpissen, Arschloch«, sagt der zweite Mann.
Will taxiert ihn. Er ist groß, mit breiten Schultern und drohendem Blick. Will schnappt sich sein Glas vom Tresen und eilt davon, und als er einige Schritte entfernt ist, schaut er über seine Schulter, um sicherzugehen, dass ihm niemand folgt.
»Was für ein Arschloch«, sagt der hochgewachsene Mann neben mir. Er sieht zu mir herunter. »Ist alles okay bei Ihnen?«
Es ist alles okay. Glaube ich. Ich meine, es war okay. Was diesen Will betrifft, ist alles okay. Aber dieser Typ, der mich gerade ansieht und auf eine Reaktion wartet, hat die blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Das ansehnlichste Gesicht, auf das mein Blick je gefallen ist. Er hat ein Gesicht, mit dem er gut für J. Crew modeln könnte, und er hat einen CrossFit-Body.
»Es geht mir … gut, ja«, bringe ich heraus.
Seine Mundwinkel zucken ein ganz klein wenig in die Höhe. »Sind Sie sich sicher?«
Mein Herz rast. Noch nie hatte ein Mann eine solche Wirkung auf mich, nur beim Ansehen. Er ist höllisch sexy, aber da ist noch etwas anderes, von dem ich den Blick einfach nicht abwenden kann. Seine saphirblauen Augen sind so … aufrichtig.
Ich schlucke hörbar und nicke. »Ja. Danke, dass Sie eingegriffen haben, das war nett von Ihnen.«
Er deutet auf einen nahen Tisch, an dem zwei Männer sitzen und uns beobachten. Sie sind beide ebenfalls außerordentlich attraktiv, aber nicht so wie dieser Typ. Niemand könnte dieses Prachtexemplar von einem Mann übertreffen.
»Hören Sie, ich hänge nur mit meinen Kumpeln ab und werde noch ein Weilchen hier sein. Wenn Sie möchten, dass ich Sie später nach draußen begleite, um ein Taxi heranzuwinken oder so was, nur für den Fall, dass dieser Typ immer noch in der Nähe ist, lassen Sie es mich einfach wissen.«
Ich schaue auf seinen Ringfinger. Nichts. Bingo.
»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?« Lächelnd drehe ich mich zu ihm um und schlage die Beine übereinander in der Hoffnung, dass er einen Blick riskiert. »Um mich bei Ihnen zu bedanken?«
Seine Brauen zucken vor Überraschung in die Höhe. »Oh, Sie brauchen nicht …«
»Tut mir leid«, lache ich und schüttele den Kopf. »Sie sind mit Ihren Freunden hier, und da versuche ich, Sie ihnen wegzustehlen. Ich sage Ihnen was, ich werde die Rechnung für Ihren Tisch übernehmen. Und nochmals vielen Dank.«
Sein Lächeln wird etwas breiter. »Nein, tun Sie das nicht. Wir trinken die richtig guten Sachen.«
»Das macht mir nichts aus.«
Er hält meinen Blick sekundenlang fest. Die Stille zwischen uns ist dabei erotischer als alle Worte, die irgendjemand je zu mir gesagt hat.
»Ich sage Ihnen was«, erwidert er. »Ich würde liebend gern einen Drink mit Ihnen nehmen, aber ich übernehme die Rechnung. Ich sehe diese beiden Trottel dahinten ohnehin jeden Tag bei der Arbeit.«
Ich schenke ihm ein schüchternes Lächeln, und mein Herz hämmert vor Aufregung. »Ich kann Ihnen aber nicht erlauben, mich zu retten und mir einen Drink zu spendieren.«
Bei seinem Grinsen kocht mein Blut. Diese perfekten weißen Zähne und das Grübchen in einer seiner mit Bartstoppeln bedeckten Wangen könnten gut meinen Slip in Brand stecken.
»Vertrauen Sie mir, das können Sie«, sagt er mit dieser tiefen Stimme, bei der meine Brustwarzen jetzt schon steinhart werden. »Vielleicht macht es Ihnen ja sogar Spaß.«
»Hm.« Ich lasse den Blick über seinen Körper wandern, und mein Puls hämmert auf eine Weise, wie er es noch nie zuvor getan hat. »Ich denke, Ihnen könnte es sogar auch Spaß machen.«
Selbst sein kurzes, tiefes Lachen ist sexy. »Davon bin ich überzeugt.«
»Ich bin Abby.« Ich strecke ihm die Hand hin.
Als er seine Hand in meine legt und sie schnell schüttelt, wird mir von der Wärme und Kraft, die ich spüre, für eine Sekunde schwindelig.
»Luca«, stellt er sich seinerseits vor, ohne mich aus den Augen zu lassen.
Luca. Der Name passt zu ihm. Und ich bin mir sicher, sein Nachname tut es ebenfalls, obwohl ich ihn nicht zu kennen brauche oder ihn kennen will. Ich gehe auf keine zweiten Dates. Himmel, ich gehe nicht mal auf erste Dates. Aber eine einzige Nacht mit heißem Sex? Das tue ich gelegentlich, und ich hoffe wirklich, dass sich dies zu einer dieser Nächte entwickeln wird.
Ich schiebe meinen Teller beiseite, und wir ziehen an einen gemütlichen Ecktisch um. Es ist definitiv ein Anlass für ein zweites Glas Wein, das ich bei unserem Kellner bestelle. Luca bestellt ein Guinness, und als der Kellner gegangen ist, erzähle ich Luca vom Guinness-Rindereintopf-Rezept meines Dads.
»Klingt phänomenal«, antwortet er grinsend. »Wie ist es mit Ihnen, kochen Sie?«
»Nicht wirklich.«
Zwei Männer in den Zwanzigern nähern sich unserem kleinen Tisch, einer mit einer aufgeregten Miene und der andere mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck.
»Mr Campbell?«, sagt der Aufgeregte. »Könnten wir schnell ein Foto schießen?«
Der andere sieht Luca mit einem zaghaften Lächeln an. »Entschuldigen Sie die Störung.«