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Um seine Karriere (und womöglich sogar sein Leben) zu retten, muss sich Hockeystar Alexei seinen Dämonen stellen!
Nach einem Autounfall muss Hockey-Star Alexei Petrov in eine Entzugsklinik, da er betrunken gefahren war. Tut er es nicht, droht ihm das Aus für seine Karriere. Alexei ist entschlossen, so schnell wie möglich aus der Klinik wegzukommen. Doch er hat die Rechnung ohne seine Therapeutin Graysen gemacht. Diese durchschaut ihn sofort und lässt sich von seinem Charme nicht täuschen. Graysen erkennt, dass Alexei sich seinen Problemen stellen muss, um sich nicht selbst zugrunde zu richten. Dass sie dabei auf jede Menge Widerstand trifft, hat sie erwartet - womit sie nicht gerechnet hat, sind die tiefen Gefühle, die sie schon bald für den heißen Hockeyspieler entwickelt.
"Brenda Rotherts Bücher sind so viel mehr als gewöhnliche Sports Romances. Sie erfüllt ihre Geschichten mit Herz und Seele!" Saucy Southern Readers
Band 5 der Sports-Romance-Reihe CHICAGO DEVILS von Bestseller-Autorin Brenda Rothert
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Seitenzahl: 279
Titel
Zu diesem Buch
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Epilog
Die Autorin
Die Romane von Brenda Rothert bei LYX
Leseprobe
Impressum
BRENDA ROTHERT
Chicago Devils
FÜR DICH ALLEIN
Roman
Ins Deutsche übertragen von Michaela Link
Um seine Karriere (und vielleicht sogar sein Leben) zu retten, muss sich Hockeystar Alexei seinen Dämonen stellen!
Nach einem Autounfall muss Hockey-Star Alexei Petrov in eine Entzugsklinik, da er betrunken gefahren war. Tut er es nicht, droht ihm das Aus für seine Karriere. Alexei ist entschlossen, so schnell wie möglich aus der Klinik wegzukommen. Doch er hat die Rechnung ohne seine Therapeutin Graysen gemacht. Diese durchschaut ihn sofort und lässt sich von seinem Charme nicht täuschen. Graysen erkennt, dass Alexei sich seinen Problemen stellen muss, um sich nicht selbst zugrunde zu richten. Dass sie dabei auf jede Menge Widerstand trifft, hat sie erwartet – womit sie nicht gerechnet hat, sind die tiefen Gefühle, die sie schon bald für den heißen Hockeyspieler entwickelt.
Ich muss einen höllischen Kater haben. Mein Wecker klingt, als befände er sich unter Wasser, und meine Augenlider fühlen sich an, als wären sie aus Blei.
Ich versuche das Alarmsignal des Weckers auszublenden, das aus meinem Smartphone auf dem Nachttisch dringt. Als es nicht funktioniert, versuche ich, nach dem Gerät zu greifen, aber mein Arm lässt sich ebenso wenig bewegen wie meine Augenlider.
Vielleicht ist es gar kein Kater. Vielleicht liege ich gerade bewusstlos auf dem Eis? Vielleicht muss man mich auf einer Trage abtransportieren, denn ich bin offenbar absolut nicht in der Lage aufzustehen. Falls Mason McAllister mich bewusstlos geschlagen hat, werde ich dieses Arschloch allerdings fertigmachen, sobald ich wieder stehen kann. Er spielt als Flügelstürmer für Toronto, und er hat es auf mich abgesehen, seit er herausgefunden hat, dass seine Schwester mich letztes Jahr nach einem Heimspiel von ihnen mit nach Hause genommen hat.
»Ich melde mich freiwillig, ihn zu baden«, sagt eine Frauenstimme.
Ein Kichern folgt, und eine andere Frau antwortet: »Stell dich hinten an.«
Ach du Scheiße. Zwei Frauenstimmen … das kann nur bedeuten, dass dies der Morgen nach einem Dreier ist, aber so, wie es in meinem Kopf hämmert, sind das zwei Frauen mehr, als ich gerade bewältigen kann.
Ich öffne den Mund, will etwas sagen, kriege aber nur ein Grunzen zustande. Und dann, nach einer Zeit, die sich wie ein verdammtes Jahr anfühlt, bekomme ich endlich langsam meine Augen auf. Bei dem grellen Licht, das mich blendet, kneife ich sie jedoch sofort wieder zusammen.
»Na, aber hallo«, sagt die eine Frau. »Schön, dass Sie wach sind.«
Ich zwinge mich erneut, die Augen zu öffnen, und blinzle sie an. Da steht eine Frau in mittleren Jahren, mit ergrauendem Haar und einem warmen Lächeln. Ich meine … sie ist nicht direkt unattraktiv, aber sie ist eine ganze Ecke älter als die Frauen, mit denen ich mich für gewöhnlich einlasse.
Mist. Ich muss gestern Nacht wirklich gesoffen haben. Ich hoffe nur, dass ich gut im Bett war.
Als ich versuche, mich aufzurichten, kann ich mich kaum bewegen. Dies ist der schlimmste Kater, den ich jemals hatte. Vielleicht ist es eine Alkoholvergiftung. Oder hat mir jemand etwas in meinen Drink gemischt und mich so übel zugerichtet? Was immer da passiert ist, ich will nur weg hier und nach Hause, um zu schlafen und mich auszunüchtern. Nie im Leben werde ich es heute Morgen zum Training schaffen.
»Geh und hol Dr. Harvey«, sagt die nicht mehr ganz junge Frau zu der anderen.
Mir fällt nun auf, dass sie beide hellgrüne Oberteile und Hosen tragen, irgendwie wie im Krankenhaus. Schlagartig wird es mir klar – ich befinde mich in einem Krankenhaus. Das Piepen kam nicht von meinem Wecker, sondern von den Apparaten, an die ich angeschlossen bin.
Das ist alles, was ich zusammenkriege. Und da ich mich nicht daran erinnern kann, wie ich hierhergekommen bin, ist mein erster Impuls der, hektisch zu überprüfen, ob alle meine Körperteile noch am Platz sind. Aber ich bin immer noch so groggy und so langsam, dass sich nichts so schnell bewegt, wie ich es will.
»Alexei, Sie befinden sich im Austin Memorial Medical Center«, sagt die Frau links von mir. »Ich heiße Sherrie und bin hier Krankenschwester.«
Ich versuche zu sprechen, aber meine Kehle ist so trocken, dass ich kein Wort herausbringe. Sherrie hält mir einen Becher mit einem Strohhalm an den Mund, und ich nehme einen Schluck und räuspere mich.
»Sie hatten einen Autounfall«, sagt Sherrie. »Sie waren jetzt ungefähr zweiundsiebzig Stunden lang in einem künstlichen Koma. Die Ärzte wollten Ihrem Körper Zeit geben, sich auszuruhen.«
Ich räuspere mich abermals und brauche meine ganze Energie, um zwei Worte herauszubringen. »Wie … schlimm?«
Sherrie lächelt. »Darüber wird der Arzt mit Ihnen reden. Versuchen Sie erst mal, sich einfach zu entspannen.«
Mein Krankenhausbett steht mit dem Kopfende leicht erhöht, und ich schaue mir meine Umgebung an. Es ist ein gewöhnliches Krankenhauszimmer, und fast jede Oberfläche ist entweder beige oder weiß. Ich bemerke ein Whiteboard, auf dem oben in blauem Textmarker mein Name steht, und das darunter gekritzelte Datum liegt vier Tage nach dem letzten Tag, an den ich mich erinnere.
Ein hochgewachsener Arzt mit kurzem, dunklem Haar kommt herein.
»Alexei, ich bin Dr. Harvey. Wie fühlen Sie sich?«
»Müde«, gestehe ich.
»Ja, das war zu erwarten.« Er greift nach dem Stethoskop, das um seinen Hals hängt. »Ich schaue Sie mir kurz an, und dann reden wir über Ihre Verletzungen.«
Er hantiert an mir herum, und ich kann nur mit Mühe die Augen offen halten. Sherrie schaut vom Fußende des Bettes aus zu, und in dem Moment wird mir bewusst, dass wir drei die einzigen Personen in diesem Raum sind.
Mein Zwillingsbruder Anton ist nicht hier. Martin und Laura, meine Adoptiveltern, ebenso wenig. Meine Trainer und Mannschaftskameraden glänzen ebenfalls verdächtigerweise durch Abwesenheit.
Schert sich eigentlich irgendjemand einen Dreck um mich? Ich habe drei verdammte Tage im Koma gelegen, und niemand ist hier, um festzustellen, ob ich aufwache oder nicht.
Typisch. Anton ist immer der Musterknabe gewesen und ich war immer der Buhmann.
Ein Autounfall … daran erinnere ich mich nicht. Als Letztes erinnere ich mich, auf dem Heimweg von einer Bar an einer Horde Kühe vorbeigefahren zu sein.
Dr. Harvey hängt sich das Stethoskop wieder um den Hals und zieht sich einen Stuhl neben das Bett. Kein gutes Zeichen.
»Sie hatten Glück«, eröffnet er mir, und in seinen dunklen Augen ist deutlich seine Missbilligung zu lesen. »Gebrochenes Handgelenk, ausgekugelte Hüfte, eine Schwellung des Gehirns und jede Menge Schnittwunden und Prellungen. Aber das sollte alles verheilen.«
Ich schaue auf mein rechtes Handgelenk, das in einem Gipsverband steckt, und komme zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt für einen Scherz darüber ist, dass ich mir nun keinen mehr runterholen kann.
»Hat irgendjemand meinen Bruder Anton angerufen?«, frage ich mit rauer Stimme. »Und meinen Trainer?«
Dr. Harvey nickt. »Ihr Trainer war immer mal wieder hier, um nach Ihnen zu sehen, und Ihre Eltern waren ebenfalls da. Sie sind in ihr Hotel gefahren, um ein wenig zu schlafen.«
»Die Carrs? Martin und Laura?«
»Ja. Sie haben gesagt, sie seien Ihre Eltern. Sie gehören doch zur Familie, oder?«
»Ja. Meine Adoptiveltern.«
»Wie fühlen Sie sich jetzt?«
Ich bringe ein einziges Grunzen freudlosen Lachens hervor. »Als hätte mich ein Lastwagen überfahren.«
»Schmerzen?«
»Eigentlich nicht, ich bin nur benommen.«
»Gut. Sie kriegen per Infusion Schmerzmittel.«
»Wann werde ich wieder spielen können?«
Der Arzt wendet den Blick ab. »Das weiß ich nicht. Es ist schwer, das genau vorherzusagen.«
»Aber Sie haben gesagt, es würde alles wieder verheilen, richtig? Ich werde wieder spielen können, wenn das hier vorbei ist?«
Er stößt einen schweren Seufzer aus. »Erst mal müssen Sie sich darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden. Und wenn Sie bereit sind, will die Polizei mit Ihnen reden.«
»Scheiße«, murmle ich.
»Ich überlasse es lieber denen, Ihnen alles zu erklären …«
Ich falle ihm ins Wort. »Nein, sagen Sie es mir einfach. Was ist passiert?«
»Soweit ich das verstanden habe, sind Sie mit fast hundertzwanzig Kilometern pro Stunde von der Straße abgekommen und dann etwa vierhundert Meter über den Acker eines Bauern gerast … bevor Sie in seine Scheune gekracht sind.«
»Das erklärt die Kühe«, murmle ich.
»Wie bitte?«
Ich will ihm antworten, aber es kostet mich meine ganze Kraft, nur die Augen offen zu halten.
»Ruhen Sie sich ein wenig aus«, rät er mir und steht auf. »Entscheidend ist, dass Sie noch einige Tage hier sein werden, und wenn alles gut verläuft, werden Sie danach in die Physiotherapie entlassen.«
Ich bin nicht nur außerstande, ihm zu antworten, ich kann nicht einmal mehr die Augen offen halten.
Schlaf überwältigt mich.
Diesmal ist es leichter, aufzuwachen. Ich blinzle, als meine Augen sich an das Licht im Zimmer gewöhnen. Dann zucke ich beim Klang einer lauten, unangenehmen Frauenstimme zusammen.
»Sie sind ein Vollidiot«, tönt sie vom Bildschirm des Fernsehers, der unter der Decke an der mir gegenüberliegenden Wand installiert ist.
Ich richte mich auf und versuche herauszufinden, wo die verdammte Fernbedienung ist.
»Gut, Sie sind wach«, sagt ein Mann, der auf einem Stuhl in der Ecke meines Zimmers sitzt. »Dachte ich mir doch, dass Judge Judy das vielleicht fertigbringt.«
Er steht auf und kommt an mein Bett. Ich registriere das sorgfältig gekämmte Haar und den schicken Anzug und versuche zu ergründen, wer er ist.
»Sind Sie Polizist?«, frage ich mit immer noch rauer Stimme.
Er zieht die Brauen hoch und wirkt amüsiert. »Nein. Ich bin Olivier Durand.«
Verwirrt verziehe ich das Gesicht. »Der Besitzer der Chicago Devils?«
»Genau der.«
»Schlafe ich noch?«
Durand lacht und zieht seinen Stuhl an mein Bett. »Nein, warum?«
»Ich … kann mir einfach nicht erklären, warum mein Bruder nicht hier ist, dafür aber der Eigentümer seiner Mannschaft.«
»Anton ist ziemlich sauer auf Sie, Alexei.«
Ich lache höhnisch. »Also hat er stattdessen Sie zu mir geschickt?«
»Nein.« Durands Gesichtsausdruck wird ernst. »Die Comets haben den Vertrag mit Ihnen aufgelöst, als sie von dem Unfall erfahren haben.«
Mein Herz hämmert immer schneller, wie ein Maschinengewehr. »Aufgelöst?«
»Ja.«
»Ich bin ihr bester Mittelstürmer. Nie und nimmer würden die …«
Durand zieht ein Handy aus seiner Tasche und reicht es mir. »Sie können gern Tim anrufen, wenn Sie eine Bestätigung wollen.«
Als er den Eigentümer der Comets namentlich erwähnt, wird der ganze Mist real. Durand hat keinen Grund, mich anzulügen. Ich schlage sein Angebot mit einer knappen Handbewegung aus und befehle meinem Herzen, sich zu beruhigen.
»Sie können sich nach Ihrer erfolgreichen Entziehungskur bei deren Minor-League-Team melden«, sagt Durand.
Ich werfe ihm einen absolut entsetzten Blick zu. Ich kann nicht glauben, dass meine Mannschaft mich hat fallen lassen – noch nie ist ein Stürmer auf diese Weise einfach aus dem Team entlassen worden.
»Ich werde für die Schäden bezahlen«, sage ich, immer noch ungläubig. »Für die Scheune, in die ich gekracht bin, und was immer da noch war. Ich versuche nicht, mit irgendetwas davonzukommen. Denken die das etwa?«
»Es geht nicht um die Scheune.« Durands Tonfall ist glatt, unbeteiligt.
»Habe ich sonst noch etwas getan? Der Arzt hat mir nur erzählt, ich hätte eine Scheune gerammt.«
Durand seufzt leise. »Das stimmt, und Ihr Blutalkoholtest hat ergeben, dass Sie das Dreifache des gesetzlichen Limits intus hatten.«
»Scheiße.«
»Überrascht Sie das?« Durand zieht eine Braue hoch.
Ich zögere, bevor ich antworte: »Ich weiß es nicht.«
»Das sollte Sie nicht überraschen. Zeugen haben ausgesagt, Sie hätten in dieser Bar so viel Wodka heruntergekippt, dass es ein Pferd umgehauen hätte.«
»Wessen verdammte Angelegenheit ist es, wie viel ich trinke? Das geht nur mich etwas an«, brause ich auf.
Er zuckt die Achseln. »Es geht niemanden etwas an, solang es Ihnen nichts ausmacht, Ihren Führerschein abzugeben und für die Huntsville Hustlers zu spielen.«
»Gott im Himmel.« Ich wende angewidert den Blick ab.
Durand räuspert sich. »Hören Sie, ich muss meinen Flieger zurück nach Chicago erwischen, daher werde ich mich kurzfassen. Ich bin Ihrem Bruder zuliebe hier. Er ist ein guter Mensch, den ich als Freund betrachte, und er ist außerdem mein bester Spieler und Mannschaftskapitän. Also ist mir sein Gemütszustand wichtig.«
Ich verdrehe die Augen. »Bei dem verbalen Gewichse würde ihm bestimmt einer abgehen.«
Durands Blick verdüstert sich. »Ich werde Sie aus Austin abholen, wenn Sie meinen Bedingungen zustimmen. Und wenn Sie das tun, dann wird dies das letzte Mal sein, dass Sie so mit mir sprechen.«
»Bedingungen?«
»Sie haben die Wahl, Alexei. Sie können in das Beckett Recovery Center außerhalb von Chicago gehen und das dortige Entzugsprogramm absolvieren, und dann, sobald Sie die ärztliche Freigabe haben, für die Devils spielen. Oder Sie können eben für die Hustlers spielen.«
»Oder ich kann in den Ruhestand gehen.«
»Können Sie sich das leisten?«
Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. »Ja, ich trinke viel, aber es ist nicht so, als hätte ich ein teures Drogenproblem. Ich habe den größten Teil von dem, was ich verdient habe, gespart.«
Ich habe mehr als zwanzig Millionen Dollar auf der Bank, aber das geht ihn nichts an. Außerdem würde es für einen Milliardär wie Durand wahrscheinlich nicht nach einer allzu großen Summe klingen.
Durand zuckt die Achseln. »Na schön. Dann gehen Sie in den Ruhestand.«
Ich schnaube und schaue zur Decke. »Nein. So will ich nicht abtreten.«
»Sie haben einen langen Weg vor sich, wenn Sie mein Angebot annehmen.« Durands Ton ist jetzt freundlicher. »Das Programm in Beckett ist hart, und Sie müssen es erfolgreich abschließen, um in meine Mannschaft aufgenommen zu werden. Selbst dann werden Sie vielleicht nie wieder derselbe sein, nachdem Sie sich die Hüfte ausgekugelt haben. Und nachdem Sie das Programm abgeleistet haben, müssen Sie sich immer noch Ihren Platz in der Mannschaft verdienen.«
»Ich kapiere es«, sage ich bitter. »Ich bin mir sicher, mein Bruder würde voll darauf abfahren, mich in der dritten Reihe in seiner Mannschaft zu sehen.«
Durand steht auf. »Wenn Sie das denken, dann kennen Sie Ihren Bruder wirklich nicht.« Er geht zur Tür. »Ich hoffe, Sie clean und trocken in Chicago zu sehen, Alexei. Das hoffe ich wirklich. Aber dies ist ein einmaliges Angebot. Wenn Sie Beckett abbrechen oder irgendwelche weiteren Public-Relations-Katastrophen verursachen, ist der Deal vom Tisch.«
Mein Kiefer verkrampft sich, und ich starre zur Decke. »Wird Anton vorbeikommen, oder ist er zu beschäftigt?«
»Er hat gesagt, er könne Sie jetzt nicht besuchen, er sei zu wütend. Aber er hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er will, dass Sie sich verdammt noch mal wie ein Mann benehmen und diese Chance ergreifen, die ich Ihnen biete.«
»Ist vermerkt«, antworte ich tonlos.
Durand verlässt den Raum, und ich lehne mich in meinem Krankenhausbett zurück, ohne Judge Judy, die aus dem Fernseher brüllt, überhaupt noch zu hören.
Nie und nimmer werde ich in einer Minor League spielen, also ist meine Entscheidung wohl getroffen.
Entzug. Was für ein Mist. Ich glaube nicht, dass eine verdammte Entziehungskur irgendetwas in Ordnung bringt, und es gibt ohnehin nichts an mir, das in Ordnung gebracht werden müsste. Ich habe es einen Abend lang mit dem Wodka übertrieben und mich hinters Steuer gesetzt, was ich nicht hätte tun sollen – so was kommt vor.
Aber wenn ich erst lernen muss, wegen meiner Gefühle rumzuheulen, um zum Eishockey zurückkommen zu dürfen, werde ich es tun. Ich kann die Welt genauso gut verarschen wie alle anderen es tun.
Es ist mir egal, welche Verletzungen ich habe, ich weiß bereits, dass ich nicht nur wieder Eishockey spielen werde – ich werde besser denn je zurückkehren. Denn von all dem Mist, der gerade auf mir lastet, werde ich eins ganz bestimmt nicht zulassen: Antons Sozialfall zu sein.
»Du hast keinen Kaffee mitgebracht.« Ich funkle Amelia an, meine Mitbewohnerin. »Willst du, dass ich dich – ermorde?«
Sie schaut von dem Putensandwich auf, das sie sich gerade belegt, und verzieht das Gesicht. »Entschuldige. Ich wusste, dass ich etwas vergessen habe, als ich gestern Abend einkaufen war.«
Ich betrachte seufzend die leere Kaffeedose und beuge mich vor, um an den wenigen Krümeln zu schnuppern, die auf dem Boden übrig geblieben sind. Es riecht himmlisch. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich den Finger in die Dose gesteckt und herausgefischt, was noch da ist.
»Du musst dir abgewöhnen, so lange aufzubleiben«, mahnt Amelia, bevor sie ihr Sandwich in zwei Hälften schneidet.
Was ich muss, ist Kaffee trinken. Aber Amelia und ich wohnen seit unserem ersten Collegejahr – inzwischen also seit acht Jahren – zusammen, daher spreche ich das nicht aus, weil ich weiß, dass sie immer das letzte Wort haben muss.
Stattdessen öffne ich eine Flasche Eistee und mache mir mein eigenes Mittagessen fertig. Heute ist Aufnahmetag, was bedeutet, dass ich ab Mittag nicht mehr viel Zeit für eine Pause haben werde. Ich entscheide mich ebenfalls für ein Putensandwich und ein paar kleine Brezeln.
Gerade packe ich meine Mahlzeit und eine weitere Flasche Eistee in meine Tasche, als Amelia sagt: »Ich mache Rührei, willst du auch etwas?«
»Nein, aber trotzdem danke.«
»Eine Scheibe Toast? Ich habe noch Zeit, ihn zu machen, während ich auf die Eier warte.«
Das ist ihr Friedensangebot dafür, dass sie den Kaffee vergessen hat. Ich nicke und antworte: »Klar, das wäre schön.«
»Heute ist Aufnahmetag, stimmt’s?«, fragt sie.
»Ja.«
»Das bedeutet also, dass du mit dem Rockstar fertig bist?«
Ich nicke. »Endlich.«
»Du hast dein Bestes getan«, sagt sie geistesabwesend.
Solche Sachen sagen wir immer zueinander, daher kommt es uns ganz selbstverständlich über die Lippen. Wir haben uns in einem Sommerkurs nach unserem ersten Jahr an der Northwestern kennengelernt, hatten beide Soziologie als Hauptfach und hofften, die Welt zu verändern.
Und vielleicht haben wir die Welt nicht neu erschaffen, aber wir möchten beide glauben, dass wir zumindest das Leben einiger Menschen verändert haben. Wir zwei haben verschiedene Pfade eingeschlagen – Amelia hat ihren Bachelor-Abschluss sofort genutzt, um in einer Privatpraxis als Therapeutin zu arbeiten, und ich bin weiter zur Uni gegangen und habe dann eine Stellung im Beckett Recovery Center angenommen.
»Ich schätze, er wird wieder auf Tournee gehen«, entgegne ich, lehne mich an die Theke und trinke meinen Tee.
Ich denke immer noch an Ashton Banks, den Rockstar, dem ich während des vergangenen Monats zu helfen versucht habe, von seiner Drogensucht loszukommen. Doch am Ende wollte er einfach nicht. Er geht auf die sechzig zu und hat wegen seiner Fehlentscheidungen den Kontakt zu seiner gesamten Familie verloren. Wenn ihn das nicht zur Vernunft gebracht hat, dann bin ich mir nicht sicher, ob überhaupt etwas das kann.
»Nun, er war trocken, als er Beckett verlassen hat«, bemerkt Amelia. »Vielleicht wird irgendetwas von dem, was du gesagt hast, hängen bleiben.«
Ich werfe ihr ein trauriges Lächeln zu. »Das hoffe ich. Er wird nicht mehr sehr lange leben, wenn er nichts ändert.«
Ich habe Amelia nie erzählt, dass mein »Rockstar-Patient« Ashton Banks war. Wir reden zwar über unsere Patienten, erwähnen aber nie ihre Namen, um ihre Persönlichkeitsrechte nicht zu verletzen.
»Während meiner Mittagspause werde ich Kaffee besorgen«, verspricht Amelia.
»Das kann ich auch machen. Ich muss ohnehin noch ein paar andere Sachen kaufen.« Ich stoße mich von der Theke ab. »Und jetzt sollte ich besser unter die Dusche springen.«
Ich denke immer noch an Ashton Banks, während ich darauf warte, dass das Wasser heiß wird. Er schien ein wirklich netter Mann zu sein, der inzwischen seit vierzig Jahren Drogen nahm und sich einfach keinen anderen Lebensstil vorstellen konnte.
Hätte ich mehr tun können? Habe ich zu sehr den bösen Bullen gespielt und zu wenig den guten? Diese Fragen stelle ich mir unter der Dusche nicht nur, wenn ein Patient es nicht durch das Programm schafft – ich stelle sie mir auch, während ich mit der Hochbahn zur Arbeit fahre, nachts im Bett liege und an die Decke starre oder beim Einkaufen durch die Gänge des Ladens wandere.
Meine Arbeit ist mein Leben. So will ich es haben, aber es trifft mich dann auch schwer, wenn ich das Gefühl habe, einem Patienten gegenüber versagt zu haben.
Während ich meine Arme mit nach Kokosnuss duftendem Duschgel einseife, versuche ich mir vorzustellen, dass ich die Schuldgefühle abwasche, die ich wegen Ashton noch habe. Statistisch gesehen sind die Erfolgschancen bei der Heilung von Suchtkrankheiten mager, aber ich lege mich trotzdem für jeden Patienten ins Zeug, damit er es entgegen aller Wahrscheinlichkeit schafft.
Nicht jeder schafft es, das weiß ich, aber es ist trotzdem hart, wenn es schiefgeht. Es ist außerdem eine Sache, wenn manche Patienten bösartig und gemein sind, aber wenn ich bei anderen den Schmerz in ihren Augen sehe – wie sehr sie sich wünschen, ihre Dämonen zu bezwingen –, dann ist das schlimm.
Meine neue Gruppe von Patienten verdient es allemal, dass ich mein Bestes gebe. Diese Arbeit ist emotional belastend, und etliche meiner Kollegen machen vor der Aufnahme neuer Gruppen eine Pause, um seelisch aufzutanken.
Aber ich nicht. Wohin sollte ich auch gehen? Was sollte ich tun? Ich bin bis über beide Ohren verschuldet wegen meiner Studentendarlehen, daher kann ich es nicht wirklich rechtfertigen, mir freizunehmen.
Ich bin mit dem Duschen fertig und trockne mir meine wilde Mähne langer, dunkelblonder Locken, während ich mich einmal mehr frage, warum ich mir nicht einen praktischen, kurzen Haarschnitt verpassen lasse. Ich binde es mir ohnehin meistens zu einem Pferdeschwanz zusammen. Und mein letztes Date liegt mehr als ein Jahr zurück, es ist also nicht so, als würde ich irgendjemanden zu beeindrucken versuchen.
Ich ziehe mir meine schwarze Lieblingshose an, dazu eine weinrote Bluse, und trage etwas leichtes Make-up auf, dann schnappe ich mir auf dem Weg zur Tür hinaus meinen Toast und meine Provianttüte.
»Du bist gut genug, du bist klug genug, und verdammt noch mal, die Leute mögen dich!«, ruft Amelia mir nach.
Das sagt sie immer zu mir, wenn ich für den Tag fortgehe, seit ich an der Uni war. Wir haben eine Schwäche für Saturday-Night-Live-Wiederholungen.
Mein Weg zum Bahnsteig des El Train ist an diesem frühen Novembermorgen kühl. Ich knöpfe meinen Wollmantel zu und streife meine Handschuhe über, während ich die Dreiviertelmeile dorthin so schnell wie möglich hinter mich bringe.
Als ich die Treppe zum Bahnsteig hinaufgehe, stöbere ich in meiner Schultertasche nach den Notizen mit den Einzelheiten zu den vier Patienten in meiner neuen kleinen Gruppe. Ich hatte eigentlich vor, sie mir am Wochenende durchzulesen, aber der Sog von Netflix war zu stark. Obwohl ich während der Fahrt mit dem Zug Zeit haben werde, sie zu lesen, dauert es für gewöhnlich die ganze erste Woche tatsächlicher Interaktion, um mir ein Bild von den neuen Patienten zu machen.
»He, Süße, Sie haben das da fallen lassen«, sagt eine Männerstimme hinter mir, und ich spüre eine Hand auf meiner Schulter.
Ich bin gerade auf der obersten Treppenstufe angelangt und drehe mich zu einem eleganten Mann in einem dunklen Anzug um, der mich angrinst. Sein Haar ist adrett zurückgekämmt, und sein Lächeln ist so strahlend, dass es für eine Zahnpastareklame taugen würde.
»Vielen Dank«, sage ich und nehme die Ohrhörer entgegen, die er mir hinhält.
Sie müssen mir aus der Umhängetasche gefallen sein, als ich nach den Notizen gewühlt habe. Ich stopfe sie in eine Manteltasche und setze meinen Weg fort, als der Mann mir erneut eine Hand auf die Schulter legt.
»Kann ich vielleicht helfen?«, fragt er mich. »Ich könnte Ihre Tasche tragen, wenn Sie wollen. Als Gegenleistung will ich nichts außer Ihrer Telefonnummer.«
Wieder lässt er das perfekte Grinsen aufblitzen. Ich winde mich innerlich. Er erinnert mich an all die Männer, mit denen ich ausgegangen bin und bei denen ich das Gefühl hatte, dass ich sie mögen sollte. Gut aussehend, mit Sicherheit berufstätig, selbstbewusst und wohlerzogen.
Und doch … möchte ich am liebsten wegrennen. Denn ich spüre, dass seine guten Manieren mit Hintergedanken verbunden sind. Glaubt er wirklich, er würde flachgelegt werden, nur weil er meine Ohrhörer aufgehoben hat? Und fasst er regelmäßig Frauen einfach an, die er gar nicht kennt, und spricht sie mit »Süße« an? Kein Mann, mit dem ich zusammen sein wollen würde.
»Ich komme schon zurecht, danke«, sage ich knapp.
Sein Grinsen erstirbt, und er zuckt die Achseln, zieht im Geiste bereits weiter. Ich schiebe den Gurt meiner Tasche auf meiner Schulter höher und halte auf dem Bahnsteig Ausschau nach Ernie. Er steht nicht an seinem gewohnten Platz, und ein Stich der Sorge durchzuckt mich, als ich durch die Menge spähe, um nach dem kahlköpfigen kleinen Mann zu suchen.
Ich lächle, als ich ihn mit dem Rücken an einen Stahlpfeiler gelehnt dasitzen und Zahnseide benutzen sehe. Ernie ist sehr besorgt um die Gesundheit seiner Zähne, wie er mir schon mindestens ein Dutzend Mal erzählt hat. Er sagt gern, er habe zwar kein Zuhause und keinen Verstand, aber er habe noch immer alle seine Zähne, und das sei auch etwas wert.
»Guten Morgen, Miss Graysen«, begrüßt Ernie mich, als er mich näher kommen sieht. »Wunderschöner Tag in ›Windy City‹, nicht wahr?«
»Guten Morgen, Ernie. Es könnte schlimmer sein, stimmt’s?«
Er grinst mich vom Boden aus an und deutet auf einen Styroporbecher, der neben ihm auf dem Bahnsteig steht. »Ich habe heißen Kaffee, und die Sonne scheint; das ist meiner Meinung nach ziemlich perfekt.«
El Train kündigt seine Ankunft mit einem herannahenden Grollen an. Ich greife in meine Manteltasche und hole einen Proteinriegel mit Schokoladenstückchen heraus. Ernie strahlt über das ganze Gesicht, als ich ihm den Riegel reiche.
»Jetzt habe ich auch ein Mittagessen! Dieser Tag wird immer besser. Vielen Dank, Miss Graysen.«
Ich nicke ihm mit einem schnellen Lächeln zu und winke noch, während ich zum Zug gehe. Es ist zu laut, als dass Ernie mich jetzt noch hören könnte. Dies ist unser tägliches Ritual. Manchmal lehnt er den Proteinriegel ab, wenn er für den Tag bereits etwas zu essen hat, aber für gewöhnlich nimmt er ihn.
Der Zug fährt los, und ich halte mich an einer Stange fest, meine Gedanken noch immer bei Ernie. Ich weiß, dass es alles andere als ideal ist, obdachlos zu sein, aber ich bewundere seinen Optimismus. Er hat nicht viel, doch er beklagt sich nicht. Etwas so Simples wie ein Proteinriegel macht ihn glücklich.
Viele meiner Patienten könnten sich von Ernie ein Scheibchen abschneiden. Das Beckett Recovery Center ist eine schicke, luxuriöse Entzugsklinik, die sich nur die Wohlhabenden leisten können. Wir haben Gourmetköche, Personal Trainer und Mitarbeiter für einen umfassenden Service. Viele Entzugskliniken geben Patienten ein Zimmer mit einer Pritsche und einem Stuhl darin – und vielleicht mit einem Fenster, wenn sie Glück haben. Beckett ist eher wie ein Fünfsternehotel.
Und doch begegne ich regelmäßig Patienten, die allen anderen außer sich selbst die Schuld an ihrer Situation geben. Es gibt die, die Beckett als eine gute Gelegenheit begreifen, das Programm zu schaffen und ein gesünderes Leben zu führen. Aber diejenigen, die es als Gefängnis betrachten, sind eine echte Herausforderung.
Ich lasse mich auf einen freien Sitz fallen, hole die Patientenakten aus meiner Tasche und lese in einer davon. Es ist Zeit, mehr über meine neue Gruppe zu erfahren. Werden sie die harte Arbeit leisten, die erforderlich ist, um trocken oder clean zu werden, oder werden sie bei jeder Frage, die ich ihnen stelle, die Augen verdrehen? Normalerweise kann ich das schon auf Grundlage der Aufnahmegespräche erkennen.
Und nach dem, was ich gerade lese, wird dies eine sehr interessante Gruppe werden.
Der Vortragssaal des Beckett Recovery Centers ist nicht für Menschen auf Krücken gemacht.
Zwischen meinem Sitz und dem vor mir ist nicht genug Platz, um mein ganzes Gewicht so auf meine Krücken und mein gutes Bein zu verlagern, dass ich aufstehen kann.
Zähneknirschend stemme ich mich hoch und balanciere mich mit der Kraft meines Oberkörpers auf einer Krücke aus, während ich versuche, die andere richtig hinzustellen. Irgendwie schaffe ich es, mich aufzurichten, ohne hinzufallen.
Das Hüftgelenk, das ich mir bei dem Autounfall ausgekugelt habe, tut verdammt weh, auch noch drei Wochen danach. Ich musste alle Schmerzmedikamente absetzen, bevor Beckett mich als Patienten aufnehmen wollte, und ich vermisse das Zeug wirklich, das die Ärzte mir gegen den Schmerz in der Hüfte verabreicht haben, was immer es war.
Aber ich konnte nicht länger im Bett liegen. Die Eishockeysaison ist bereits im Gange, und es funktioniert nicht für mich, nur zuzusehen. Also habe ich, was meinen Schmerzpegel angeht, geflunkert, um schneller in die Entzugsklinik zu kommen.
Ich habe den Krankenschwestern und Ärzten gegenüber behauptet, ich sei so weit, die Hüfte werde mit jedem Tag besser. Doch in Wirklichkeit mache ich mir Sorgen darum. Mit jedem Tag, den ich nicht trainiere, geht es mit meiner körperlichen Form bergab. Für einen Profisportler ist das nicht gut. Ich war schon früher gelegentlich verletzt, aber nie so schwer. Es wird eine Menge Physiotherapie nötig sein, um meine Hüfte wieder so hinzukriegen, wie sie vorher war.
Dafür werde ich tun, was immer nötig ist. Ich muss in der Lage sein, auf dem gleichen Niveau zu spielen wie vor dem Unfall. Ich wäre viel besser dran, hätte ich mir die Schulter statt der Hüfte ausgerenkt.
Aber nun humple ich auf Krücken umher, und die Aussicht, Arthritis in meiner Hüfte zu bekommen, trifft mich ungefähr vierzig Jahre zu früh. Ganz zu schweigen davon, dass ich mir ernsthafte Sorgen mache, ob ich jemals wieder in der Lage sein werde, eine Frau richtig zu vögeln.
»He, Mann. Du bist ja auch ›Grau zwo‹.« Ein Typ, der ungefähr in meinem Alter zu sein scheint, zeigt auf das Schild an meiner Brust, während wir in der Schlange warten, um aus dem Saal zu kommen. Lachend fügt er hinzu: »Das klang gerade wie ›graut’s vor‹, stimmt’s?«
Ich lese das Namensschild an seiner Brust, auf dem der gleiche Kleingruppenname wie bei mir steht: Grau 2.
»Ich bin Joe Randolph«, stellt er sich vor, hält mir die Hand hin, zieht sie aber sofort wieder zurück. »Tut mir leid, ich schätze, mit den Krücken kannst du niemandem die Hand schütteln.«
Ich nicke ihm stattdessen zu. »Hey, Joe. Ich bin Alexei Petrov. Freut mich, dich kennenzulernen.«
Er stößt einen Atemzug aus und wirkt nervös, während die Schlange langsam zu den Türen des Saals vorrückt. »Und … warst du schon mal in einer Entzugsklinik?«
»Nein. Du?«
Er nickt. »Aber Mann, ich hoffe wirklich, dass es funktioniert, denn ich dachte echt, ich würde an den Entzugserscheinungen sterben. Warst du schon mal im Säuferwahn?«
»Im was?«
»Delirium tremens. Das fing an, als ich im medizinischen Flügel dieser Einrichtung war und den Entzug durchgemacht habe. Ich hatte die verrücktesten Halluzinationen. Hab gedacht, riesige Bären-Ninjas würden versuchen, mich umzubringen.«
»Das ist total abgedreht, Mann.«
Joe nickt, und wir schaffen es endlich bis zur Tür. »Ich will nie wieder einen Bären sehen.«
»Wie viel hast du davor getrunken?«, frage ich ungläubig.
Er zuckt die Achseln. »Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht einmal. Offensichtlich eine ganze Menge.«
»Krass.«
»Wir sollen uns in Raum 117 einfinden«, sagt er und zeigt auf ein Schild. »Da geht’s lang.«
»Wenn ich irgendwelche Entzugserscheinungen hatte, dann habe ich zu der Zeit wahrscheinlich im Koma gelegen«, gestehe ich.
»Dann hattest du Glück.«
Ich ziehe eine Braue hoch und sehe Joe an. »Findest du wirklich?«
Mit einem verlegenen Grinsen antwortet er: »Nein, wohl nicht … Hast du eine Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer bekommen?«
»Nicht wirklich. Aber ich musste dem Mann, dessen Scheune ich geschrottet habe, die doppelte Summe des tatsächlichen Schadens bezahlen, den ich angerichtet habe. Und ich musste hierherkommen, um die Anzeige zu vermeiden.«
»Dann hattest du wohl irgendwie Glück. Es hätte erheblich schlimmer kommen können. Ich meine, du wirst bestimmt wieder gesund und kommst von den Krücken weg.«
»Ja«, räume ich ein. »Es hätte schlimmer sein können.«
Joe fährt sich mit einer Hand durch sein zotteliges dunkles Haar und hält mir die Tür zu Raum 117 auf. Er scheint ein netter Bursche zu sein. Wenn ich, um wieder Eishockey spielen zu dürfen, nichts anderes zu tun brauche, als ein paar Wochen mit Typen wie ihm zu verbringen, dann werde ich damit fertig.
Der Raum, den wir betreten, ist sehr schlicht im Vergleich zum Rest des Beckett Recovery Centers, das wie eine luxuriöse Jagdhütte gestaltet ist. Aber hier drin gibt es nur weiße Wände, dunkle Holzböden und einen Haufen im Kreis aufgestellter Sessel.
Davon abgesehen stehen auf einem Tisch in der Ecke ein gläserner Wasserkrug und kleine Pappbecher bereit, daneben noch zwei Schachteln mit Papiertaschentüchern, sonst nichts.
Papiertaschentücher – für den Fall, dass wir weinen? Innerlich lache ich höhnisch. Über Gefühle spreche ich nicht gern mit Menschen, die ich kenne, geschweige denn mit wildfremden Personen. Und Gefühle werden ohnehin überbewertet. Ich verfüge über eine kleine Auswahl an emotionalen Zonen: gechillt, sauer, geil und aufs Spiel konzentriert – und das war’s auch schon.
»Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz«, sagt eine Frau, die in einem der Sessel sitzt. »Es sind jetzt alle da, also können wir anfangen.«
Wow. Als sie von kleinen Gruppen gesprochen haben, haben sie wirklich kleine Gruppen gemeint. Hier sind nur die Frau, die die Gruppe leitet, zwei weitere Frauen, Joe und ich anwesend.
Ich gehe auf meinen Krücken zu einem der freien Sessel, lehne sie dagegen und setze mich vorsichtig hin. Und dann ziehe ich Bilanz.
Die Frau, die die Gruppe leitet, hat langes, blondes und lockiges Haar. Sie hat einen hübschen, kurvenreichen Körper, aber ihre Brille mit dem dunklen Gestell und die Bluse verraten mir, dass sie ein zugeknöpfter Typ ist. Aber kein Ehering. Perfekt. Die müsste ich total gut umgarnen können. Ich habe bei der großen Versammlung eben erfahren, dass ich diesen Ort dann verlassen darf, wenn sie entscheidet, dass ich genügend Fortschritte gemacht habe, um das Programm erfolgreich abzuschließen. Und um das so schnell wie möglich zu tun, plane ich, ihr zu erzählen, was immer notwendig ist.