Chilling Adventures of Sabrina: Hexenzeit - Sarah Rees Brennan - E-Book
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Chilling Adventures of Sabrina: Hexenzeit E-Book

Sarah Rees Brennan

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Beschreibung

Nur noch einen Sommer hat Sabrina Spellman bis zu ihrem 16. Geburtstag. Dann wird alles anders werden: Sie wird in den dunklen Hexenzirkel aufgenommen werden und allen normalsterblichen Menschen entsagen müssen. Ihren Freundinnen und ihrer großen Liebe Harvey. Wird sie das schaffen? Und liebt Harvey sie überhaupt so sehr wie sie ihn? Um das herauszufinden, lässt sich Sabrina von ihrem Cousin Ambrose zu einem gefährlichen Plan überreden: Sie wendet einen Zauber bei Harvey an. Etwas, was ihre beiden Tanten, ebenfalls Hexen, Sabrina absolut verboten haben. Nicht ohne Grund, denn plötzlich ist mehr als nur ein Leben in großer Gefahr ...

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Seitenzahl: 311

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Das Buch

Sabrina weiß, dass sich mit ihrem 16. Geburtstag alles ändern wird. Denn von da an wird sie eine richtige Hexe sein, eine besondere Schule besuchen und mit ihren bisherigen Freunden nichts mehr zu tun haben. Doch Sabrina weiß nicht, ob sie das auch will. Schließlich hat sie einen Freund, Harvey. Wenn sie ihn weiterhin trifft, wird sie sich in große Gefahr bringen. Denn eine Liebe zwischen einem Sterblichen und einer Hexe verstößt so ziemlich gegen alle Gesetze des Universums. Ist Harvey dieses Risiko überhaupt wert? Ein verbotener Liebeszauber von Cousin Ambrose soll Sabrina weiterhelfen. Doch die junge Hexe weckt damit Mächte, die selbst erfahrene Magier in Angst und Schrecken versetzen …

Die Autorin

Sarah Rees Brennan wuchs in Irland auf. Nach der Schule verbrachte sie einige Zeit in New York und im englischen Surrey, wo sie Creative Writing studierte. Mittlerweile lebt sie wieder in Irland und widmet sich dort dem Schreiben. Sarah Rees Brennan ist eine erfolgreiche, international bekannte Jugendbuch- und Fantasyautorin – sowohl durch ihre Soloprojekte als auch durch ihre gemeinsam mit Cassandra Clare geschriebenen Bestseller.

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Beate Brammertz und Ute Brammertz

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Chilling Adventures of Sabrina: Season of the Witch Scholastic Inc., New York

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Copyright © 2019 by Archie Comic Publications, Inc.

All Rights Reserved. Archie Comic is a trademark and/

or registered trademark of Archie Comic in the U.S. and/

or other countries.

German language edition published by

Verlagsgruppe Random House GmbH/Wilhelm Heyne Verlag,

by arrangement with Scholastic Inc.,

557 Broadway, New York, NY 10012, USA.

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkterstr. 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Martina Vogl

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung einer Illustration von

© 2019 Archie Comic Publications, Inc. All Rights Reserved.

Cover Art by © Adams Carvalho

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-25109-3V002

Für Kelly Link, Sinnamon Roll und, definitiv verbotenes Wort,

die in allem eine seltsame Schönheit findet. Heil Satan.

Was immer du tun kannst oder erträumst zu können,

beginne es. Kühnheit besitzt Genie, Macht und magische Kraft.

Beginne es jetzt.

– Goethe zugeschrieben –

Etwas Böses

Es war Anfang September, als wir das Mädchen am Waldrand sahen. Ihr roter Sportwagen stand unter den Bäumen geparkt, und sie trug einen grünen Mantel. Sie schien direkt einer Autowerbung zu entstammen, der kein Junge widerstehen könnte.

Ich sehe selbst auch nicht so schlecht aus. Meine Tante Hilda sagt, ich sei ein süßer Käfer, und sie findet Käfer wirklich wunderbar. Ich hätte das Mädchen im Stillen beglückwünscht, von Mutter Natur derart gesegnet worden zu sein, und wäre ohne einen weiteren Blick an ihr vorbeigegangen – hätte mein Freund ihr nicht so viele zugeworfen.

Harvey begleitete mich an jenem Tag von der Schule nach Hause. Bevor wir das Mädchen sahen, hatten wir uns beeilt, da ein Sturm aufzog. Gerade schlang sich eine Böe um uns wie eine unsichtbare Peitsche, und ich sah, wie die ersten Blätter in einem wunderschönen Strudel aus leuchtendem Grün von den Bäumen fielen. Sie glitzerten in der Luft wie ein smaragdener Regenschauer. Unvermittelt zog es mir das Herz zusammen. Der Sommer neigte sich dem Ende zu.

Eine Decke aus dichten grauen Wolken hatte sich über den Baumwipfeln ausgebreitet. Greendale war von der Sonne abgeschnitten und lag im Schatten da. Die Nacht brach früh herein.

Ich stupste Harvey an und versuchte, meine Stimme unbeschwert klingen zu lassen. »Sie ist heiß, aber hier draußen ist es arschkalt.«

»Hey, sie kann dir nicht das Wasser reichen«, sagte Harvey. »Aber ein nettes Auto.«

»Na klar, du hast das Auto angestarrt.«

»Hab ich wirklich!«, protestierte Harvey. »Brina!«

Während ich durch die frisch gefallenen Laubblätter rannte, zog der Wind beharrlich an meiner Jacke, als wären da Geister, die meine Aufmerksamkeit auf sich lenken wollten. Harvey jagte mir nach, immer noch protestierend und lachend. Wir ließen das Mädchen in Grün hinter uns.

Harvey, Roz, Susie und ich waren am allerersten Schultag beste Freunde geworden, so wie es bei Kindern oft der Fall ist: Fremde beim ersten Schulgong und Seelenverwandte zur Mittagszeit. Die Leute hatten behauptet, ein Junge würde irgendwann aufhören, mit Mädchen zu spielen, und wir würden Harvey im Laufe der Kindheit verlieren. Weit gefehlt.

Schon mein ganzes Leben habe ich Harvey geliebt und bin fast ebenso lang in ihn verliebt. Von ihm bekam ich meinen ersten Kuss, und ich wollte nie einen anderen.

Ich erinnere mich an einen Schulausflug in den Wald von Greendale, als wir auf einen verlassenen Brunnen neben einem Bach stießen. Harvey war so begeistert von dieser Entdeckung, dass er sich ans Ufer setzte und gleich eine Skizze von dem Brunnen anfertigte. Heimlich warf ich einen Blick auf seinen dunklen Haarschopf, der über die Seiten seines Skizzenblocks gebeugt war, und sprach einen Wunsch für ihn aus. Aber ich hatte keine Münze, die ich in den Brunnen werfen konnte, und als ich es stattdessen mit einem Kieselstein versuchte, traf ich daneben.

Es war Winter, als Harvey mich fragte, ob ich mit ihm ins Kino gehen wollte. Ich kam zum Treffpunkt und stellte zu meinem Schrecken und meiner Freude fest, dass es nur wir zwei waren. Ich war so aufgeregt, dass ich bis jetzt nicht weiß, was in dem Film passiert ist. Alles, woran ich mich erinnere, ist die sanfte Berührung unserer Hände, als wir beide nach dem Popcorn griffen. So eine einfache, unbedeutende Sache, aber seine Haut an meiner fühlte sich wie ein elektrischer Schlag an. Er streckte den Arm aus und verschränkte meine salzigen Finger mit seinen, und ich dachte mir: Genau so verbrennen Hexen.

Meine lebhafteste Erinnerung an jenen Abend ist die, als er mich nach Hause begleitete, sich am Tor zu mir herabbeugte und mich küsste. Ich schloss die Augen und war überrascht, dass sich der Apfelgarten bei dem zärtlichen Kuss nicht in blühende rote Rosen verwandelte.

Von diesem Tag an hielten Harvey und ich in der Schule Händchen, er begleitete mich jeden Tag nach Hause, und wir gingen zusammen aus. Allerdings sprach ich nie an, ob er nun hochoffiziell mein fester Freund sei. Andere nennen ihn meinen Freund, aber ich habe das nie getan … noch nicht.

Ich habe Angst, das zu verlieren, was wir bereits haben. Meine Familie sagt mir ständig, dass es nicht ewig währen kann.

Und ich fürchte, er fühlt nicht das Gleiche wie ich.

Ich weiß, Harvey mag mich. Ich weiß, er würde mir nie wehtun. Aber ich will, dass sein Herz bei meinem Anblick zu klopfen beginnt, als würde jemand Eintritt zu seiner Seele verlangen. Und ich frage mich, ob er sich mit etwas Sicherem, Vertrautem zufriedengegeben hat. Mit dem Mädchen von nebenan, nicht dem Mädchen seiner Träume.

Manchmal wünschte ich, dass er mich ansieht, als wäre ich magisch. Schließlich bin ich das ja halb: magisch.

Harvey verabschiedete sich am Tor mit einem Kuss, so wie immer. Gelegentlich kommt er natürlich mit ins Haus, um Hallo zu sagen, aber ich trenne meine Freunde und meine Familie streng voneinander. Ich schloss die Tür und steuerte auf den köstlich zuckersüßen Geruch zu, der durch die Eingangshalle wehte.

»Mein kleines Opossum, du bist zu Hause!«, rief Tante Hilda aus der Küche. »Ich koche Marmelade ein! Da sind all deine Lieblingszutaten aus dem Garten drin – Erdbeeren, Brombeeren, Eichhörnchenaugen …«

»Nein!«, rief ich aus. »Tante Hilda! Das haben wir doch besprochen!«

Ich blieb im Türrahmen zur Küche stehen und sah meine Tante halb entsetzt, halb enttäuscht an. Sie stand vor unserem schwarzen gusseisernen Herd und rührte Marmelade, die die Farbe von Blut hatte, in einem Kochtopf um, der so groß wie ein Ofen war. Sie trug eine rosarote Schürze, auf der Küss die Köchin stand.

Sie blinzelte mich an. »Sie ist köstlich, wirst schon sehen.«

»Ich bin sicher, dass ich es sehen werde«, sagte ich. »Die Frage ist nur, wird die Marmelade es auch sehen?«

Tante Hilda stand sanfte, niedliche Verblüffung ins sanfte, niedliche Gesicht geschrieben.

Meine Familie wusste einfach nichts über den sterblichen Gaumen. Als ich klein war, hatte mir Tante Zelda lange, fruchtlose Vorträge über den Umstand gehalten, wie nahrhaft Würmer seien, und dass junge Hexen in der Schweiz verhungerten.

Tante Hilda, die viel lockerer als Tante Zelda war, tat meine sonderbaren sterblichen Marotten immer mit einem Achselzucken ab. Nun trat sie zu mir und strich mir liebevoll mit der Hand, in der sie nicht den rot verfärbten Holzlöffel hielt, über die Haare. »Meine kleine Zicke. Nie willst du etwas essen, das gut für dich ist. Vielleicht ändern sich die Dinge, sobald du im Vollbesitz deiner Macht bist.«

Selbst in unserer gemütlichen Küche, in der die warme Luft mit Zucker gewürzt war, überkam mich ein Frösteln. »Vielleicht.«

Tante Hilda strahlte mich an. »Ich kann kaum glauben, dass dein sechzehnter Geburtstag vor der Tür steht. Es kommt mir wie gestern vor, dass deine Tante Zelda und ich dich entbunden haben. Du hast so süß ausgesehen, ganz mit Blut und Schleim beschmiert, und deine Plazenta war kös…«

»Bitte hör auf!«

»Ach, ist dir das peinlich?«

»Nein, mir wird nur gleich übel.«

»Es war ein wunderschöner und ganz besonderer Moment. Deine arme Mutter wollte dich in einem Krankenhaus zur Welt bringen. Ist das zu fassen?« Tante Hilda schauderte. »Krankenhäuser sind unhygienisch. Ich würde niemals zulassen, dass du auch nur einen Fuß in eines setzt. Vom ersten Augenblick an warst du mein Goldschatz, und ich habe versprochen, auf dich aufzupassen. Und jetzt sieh dich einer an! Mein Baby ist erwachsen geworden und bereit, ihre Seele Satan zu überschreiben!«

Tante Hilda kniff mir sanft in die Wange und wandte sich wieder ihrer Marmelade zu. Sie summte vergnügt, als gäbe es keinen reizvolleren Gedanken auf der Welt.

Das war meine Familie: Sie liebte mich, liebte es aber noch mehr, mich zu blamieren, machte ein Riesentheater um meine Ernährung und wachte mit Argusaugen über meine Ausbildung, wollte immer das Beste für mich und erwartete so viel von mir.

Im Grunde wie in jeder anderen Familie auch – abgesehen von der Ergebenheit an den Dunklen Lord.

Tante Hildas Summen verstummte. »Hier ist alles ruhig. Deine Tante Zelda trifft sich mit Pater Blackwood, also sind es heute zum Abendessen nur wir drei. Wie geht es deinem Verehrer?«

»Er ist nicht offiziell mein Freund«, erwiderte ich. »Oder mein Verehrer, aber ihm geht’s gut.«

»Wie schön«, sagte Hilda versonnen. »Er ist ein lieber Junge. Allerdings sorge ich mich ein wenig um ihn und seinen Bruder. In einem Haushalt ohne Mutter, wo ein gefühlskalter Mann das Sagen hat, bezahlt ein Kind dafür.«

Der Gedanke an Harvey war normalerweise ein Trost, aber nicht heute.

Ich räusperte mich. »Wo steckt Ambrose?«

»Oh, dein Cousin ist oben auf dem Dach«, erklärte Tante Hilda. »Du weißt doch, wie sehr Ambrose Sommergewitter liebt.«

Ich kletterte aus dem Mansardenfenster zu meinem Cousin hinaus.

Der Himmel war schwarz, als wäre schon tiefste Nacht, und Blätter wirbelten wild durch die Luft. Ambrose stand am äußersten Rand unseres Schrägdachs und tanzte singend im letzten Sommersturm. Eine Kobra war um seine Hüfte geschlungen, ihr gewölbter Kopf genau an der Stelle, wo sich normalerweise eine Gürtelschnalle befindet, und ihre goldenen Augen glitzerten wie Juwelen. Eine zweite Kobra trug er wie ein Mikrofon, ihren schuppigen Schwanz um sein Handgelenk gewickelt. Er sang genau in ihr mit Fangzähnen bewehrtes, weit aufgerissenes Maul, während er sich im Takt wiegend hin und her drehte, als wären die Dachschräge und unsere Regenrinne eine Tanzfläche. Ambrose tanzte mit den Blättern, tanzte mit dem Sturm, tanzte mit der Dunkelheit. Blätter wirbelten um ihn wie Konfetti, der Wind zischte wie tausend Schlangen.

Ich legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief: »Ich kenne den Begriff Schlangenmensch, aber das hier ist lächerlich!«

Mein Cousin wandte sich um, und mit der Drehung erstarb die starke Böe um unser Haus. Die Illusion der Kobras verblasste. Ambrose zwinkerte mir zu.

»Ich liebe alles Symbolhafte«, erwiderte er. »Buchstäblich. Willkommen zu Hause, Sabrina. Wie geht es der bösen Welt dort draußen?«

Als ich klein war, fragte ich meinen Cousin Ambrose ständig, warum er nicht nach draußen käme und mit mir im Wald spielte. Tante Hilda erklärte meinem verständnislosen sechsjährigen Ich, dass er als Strafe im Haus gefangen sei.

»Glaub mir, das Strafmaß ist völlig ungerechtfertigt, Sabrina, und wir müssen ihn umso mehr lieben, um es wiedergutzumachen«, hatte sie mir gesagt. »Es ist ganz natürlich, dass man kleine Streiche spielt, wenn man voll jugendlichen Übermuts ist, wie Mädchen ärgern, Wagen in Karambolagen verwickeln, Matrosen ertränken, Städte niederbrennen, Zivilisationen auslöschen und so weiter. So sind Jungs nun mal.«

Es dauerte noch etliche Jahre, bis ich herausfand, was er tatsächlich angestellt hatte.

Tante Hilda war immer sehr nachsichtig mit Ambrose. Sie war nicht seine Mom, er war ein weit entfernter Cousin, aber sie war nach England gezogen und hatte sich um ihn gekümmert, als er klein gewesen war und jemanden gebraucht hatte. Die beiden hatten dort so lang gelebt, dass Tante Hilda fast ein Jahrhundert später immer noch einen englischen Akzent hatte. Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie zu ihm gereist war und den winzigen Ambrose umsorgt hatte, voller Magie und mütterlicher Liebe, vom Himmel herabschwebend wie eine satanische Mary Poppins.

Der Zauberspruch, der Ambrose an unser Haus kettete, war viele Jahrzehnte älter als ich. Mein Cousin war immer für mich da, ein freundlicher Geist in unserem Haus. In meiner Kindheit war er der perfekte Spielkamerad, ließ meine Puppen sich von selbst bewegen und meine Spielsachen im Zimmer herumfliegen. Jetzt, da ich älter war, war er mein großer und ein klein wenig verruchter Bruder, dem es nichts ausmachte, den lieben langen Tag mit mir über Jungs zu reden. Oder Mädchen, sollte ich das jemals wollen. Ambrose war das egal.

Ich zuckte mit den Schultern und kletterte vorsichtig das Schrägdach zu ihm hinunter. »Die Welt ist im Grunde wie immer.«

»Wirklich? Nach allem, was ich höre, scheint sich die Welt durchaus zu verändern. Klimawandel, Hexeraktivisten … hört sich schrecklich an.« Ambrose’ Stimme klang wehmütig. »Ich wünschte, ich könnte es mit eigenen Augen sehen.«

»Kopf hoch. Unsere Stadt ist wie immer. In Greendale ändert sich nichts.«

Statt einer Antwort summte Ambrose. »Was liegt dir auf der Seele?«

»Nichts.«

»Du kannst mich nicht anlügen, Sabrina, ich kenne dich viel zu gut. Außerdem«, sagte Ambrose, ohne die Miene zu verziehen, »habe ich dich mit einem Zauberspruch belegt, bei dem deine Nase purpurrot wird, wenn du mich anlügst.«

»Das ist ein Witz!«

Ambrose grinste. »Wirklich? Wir werden sehen. Aber erzähl mir lieber von deinen Sorgen. Schütte mir dein Herz aus. Cousin Ambrose ist ganz Ohr.«

Ich zögerte. Von unserem Hausdach aus konnte ich fast die gesamte kleine, von Bäumen umgebene Stadt sehen. Der Wald selbst erstreckte sich weit darüber hinaus, dunkel und scheinbar ewig. Ich schauderte, und Ambrose legte einen Arm um mich.

»Ist es deine satanische Taufe? Sind es deine sterblichen Freunde? Warte, nein. Ich wette, es ist Harvey.«

In meine Stimme schlich sich ein scharfer Unterton. »Wie kommst du darauf, dass es Harvey ist?«

Ambrose umarmte mich fester. »Nur eine wilde Spekulation. Ich bin wild, und ich spekuliere ständig. Und ich weiß, wie sehr du ihn magst. Auch wenn ich damit nicht andeuten möchte, dass ich die Anziehung verstehe. Ich persönlich bevorzuge meine Goldjungen mit kleinen Macken.«

Ich stupste ihn in die Seite. Ambrose lachte.

»Nun, was ist mit deinem Süßen? Steckt der Künstler in einer melancholischen Phase? Bei Satan, ich hoffe, er hat nicht angefangen, dich seine Muse zu nennen!«

Ich dachte kurz nach, bevor ich ihm eine Antwort gab. Gelegentlich war Harvey tatsächlich niedergeschlagen, als sorgte er sich zu sehr und hätte ein schweres Los zu tragen.

»Er ist manchmal traurig. Sein Dad und sein Bruder arbeiten beide in der Mine, und sein Dad drängt ihn ständig, auch ein paar Schichten zu übernehmen. Sein Dad redet sehr viel über das Familienunternehmen und das Familienerbe, aber Harvey will nicht dort unten in der Dunkelheit gefangen sein.«

»Gute Nachrichten, Harvey, der Bergbau ist ein aussterbender Industriezweig!«, sagte Ambrose. Mit nachdenklicher Stimme fügte er hinzu: »Auch wenn Dinge in unserer Stadt nicht tot bleiben.«

»Wir haben … ich komme mir blöd vor, es überhaupt zu sagen, aber wir haben ein wirklich wunderschönes Mädchen am Waldrand gesehen. Ich frage mich, ob Harvey sie hübscher als mich fand.«

»Unmöglich«, entgegnete Ambrose. »Lächerlich. Warte mal, hast du ein Foto von diesem hinreißenden Geschöpf gemacht? Zeig her, und ich sage dir die Wahrheit, vertrau mir. Nun … vertrauen kannst du mir nicht. Aber zeig’s mir trotzdem.«

Ich schubste meinen Cousin weg. »Vielen Dank auch. Du bist eine echte Hilfe.«

Wir setzten uns beide aufs Dach. Ambrose streckte die Beine aus, ich umklammerte meine Knie.

»Du glaubst, er könnte dich betrügen?«, fragte Ambrose. »Dann belege ich ihn mit einem Zauber, bei dem er glaubt, seine untreuen Augen würden schmelzen.«

»Nein! Ambrose, untersteh dich!«

Ich drehte mich zu ihm und funkelte ihn finster an. In Ambrose’ dunklen Augen blitzte für einen Moment ein noch dunkleres Funkeln auf, doch der Schatten verschwand so schnell, wie er gekommen war.

»Natürlich nicht, ich mache nur Spaß. Ich würde nur einen rasend komischen und harmlosen Zauberspruch benutzen, weil ich ein liebes Kerlchen bin. Sehe ich nicht aus wie ein liebes Kerlchen?«

Ich hob eine Augenbraue. Ambrose grinste. Mit dem Daumen vollführte ich eine Geste, als würde ich mir die Kehle durchschneiden, und Ambrose presste sich, scheinbar tief getroffen, die Hand aufs Herz.

»Ich schätze … ich wäre mir nur gern sicher, was ihn betrifft«, sagte ich. »Ich wollte immer die große Liebe finden, wie Mom und Dad. Aber für die große Liebe muss die andere Person dich genauso lieben.«

Meine Mutter war eine Sterbliche gewesen, und mein Vater einer der mächtigsten Hexer in Greendale. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sehr er sie geliebt haben muss, um sie zu heiraten und mich zu bekommen.

»Dafür gibt es einen Zauberspruch, das weißt du. Hast du ein paar Haare von Harvey?«

»Nein, habe ich nicht! Und nein, Ambrose, ich will meinen Freund und einen meiner engsten Vertrauten seit Kindheitstagen nicht mit einem Liebeszauber belegen wie ein totaler Psycho, danke der Nachfrage.«

Ich sprach in meinem strengsten und Tante Zelda-haftesten Tonfall. Ambrose vollführte eine lässige Handbewegung. Blätter flatterten auf ihn zu, als wären es Schmetterlinge, die auf seiner Handfläche landen wollten.

»Ich meinte keinen Liebeszauber. Ich bin selbst kein großer Fan davon. Sie machen alles zu einfach, und ich mag Herausforderungen. Du und ich, Sabrina, wir sind so süß, es wäre eine Beleidigung, würde jemand einen Liebeszauber vorschlagen. Aber es gibt eine Zauberformel, die ihm die Augen dafür öffnen könnte, wie wundervoll du bist. Teenagerjungen können so blind sein. Glaub mir, ich weiß das. Ich war selbst einer.«

Ich könnte es tun. Einfache Zaubersprüche waren kein Problem für mich. Meine Tanten und Ambrose griffen mir immer gern unter die Arme. Von klein auf hatten sie mir alles über die Welt der Magie beigebracht: Ich lernte Latein und Zauberformeln, als ich noch ein Knirps war, führte Riten durch, um Glück zu haben und verlorene Dinge wiederzufinden, wuchs in dem Bewusstsein auf, dass ich mich vor Dämonen hüten musste und freundliche Geister um Hilfe ersuchen konnte. Ich studierte die Eigenschaften von Pflanzen im Wald und welche ich für Zaubertränke und Elixiere bräuchte. Aber egal, wie viel Wissen ich mir aneignete, sie behaupteten, es wäre nichts im Vergleich zu dem, was ich nach meiner satanischen Taufe lernen würde, sobald ich auf die Akademie der Unsichtbaren Künste ginge.

»Das ist verlockend«, räumte ich ein.

»Verlockungen haben das so an sich.«

Würde ich den Zauberspruch benutzen, den Ambrose vorschlug, könnte ich mir seiner sicher sein. Mir gefiel die Vorstellung von Harvey, der mich versonnen anstarrte, mit weit aufgerissenen Augen, während er alles andere um sich herum vergaß. Mir blieb nicht mehr viel Zeit, aber in diesen letzten Momenten könnte ich mir seiner sicher sein. Mühsam gelang es mir, das Traumbild abzuschütteln.

»Ich weiß nicht«, sagte ich schließlich. »Harvey mit einem Zauberspruch zu belegen, nur weil es mir gerade in den Kram passt – das fühlt sich nicht richtig an.«

»Wie du willst. Du bist ein schrecklich braves Mädchen«, sagte Ambrose. »Manchmal frage ich mich, wie du jemals eine böse Hexe werden willst.«

»Ja«, flüsterte ich in den Wind, so leise, dass nicht einmal Ambrose es hörte. »Ich auch.«

Ambrose stand auf und klopfte sich Blätter und Spuren glitzernder Schlangenhaut von der schwarzen Jeans. »Nun. Es wird langsam spät, und ich muss mich um die verstorbene Mrs. Portman kümmern, die im Balsamierungsraum auf mich wartet.«

Unsere Familie führt ein Bestattungsinstitut. Selbst Hexen müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Ambrose neigte sich vor und tätschelte mir sanft die Wange. Als ich das Kinn hob, lächelte er mich strahlend an. »Kopf hoch, Sabrina. Und gib Bescheid, wenn du es dir wegen des Zauberspruchs doch noch anders überlegst.«

Ich nickte und blieb mit dem Unwetter und meinen Gedanken auf dem Dach zurück. Das Wort spät hallte in meinen Ohren wider. Es wird langsam spät. Spät war vielleicht das furchterregendste Wort, das ich kannte.

Spätsommer. Nur noch ein paar Wochen, und dann wird es zu spät sein.

Mein ganzes Leben wusste ich, dass an meinem sechzehnten Geburtstag meine satanische Taufe anstehen, ich meinen Namen in das Buch schreiben und fortan als richtige Hexe die Akademie der Unsichtbaren Künste besuchen würde. Als kleines Kind hatte ich geglaubt, dieser Tag würde niemals kommen. Ich konnte es nicht erwarten, das Schicksal zu erfüllen, das sich meine Eltern immer für mich gewünscht hatten, und meine Tanten stolz zu machen: eine echte Hexe zu sein.

Mein Geburtstag ist an Halloween, und der Sommer neigt sich bereits seinem Ende zu. Damals hatte ich nicht bedacht, dass mein Schicksal als Hexe gleichzeitig bedeuten würde, dass ich meinem sterblichen Leben abschwören musste. Jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken: Ich würde meine Freunde verlieren, Harvey verlieren, selbst den Matheunterricht an der Baxter High. Jeden Tag hatte ich das Gefühl, als würde mir die Welt, die ich kannte, ein Stück weiter entgleiten.

Und gleichzeitig liebte ich die Magie. Ich liebte das Gefühl von Macht, das sich in meinen Adern aufbaute, und die Vorstellung, noch mehr davon zu bekommen. Ich liebte das Glücksgefühl, wenn ein Zauberspruch perfekt funktionierte, genauso, wie ich den Gedanken hasste, meine Familie zu enttäuschen.

Es war eine unmögliche Wahl, und schon bald würde ich sie treffen müssen. Darüber hatte ich mir nie den Kopf zerbrochen, als ich in meiner Kindheit Tagträumen über Magie nachgehangen hatte, oder als Harvey sich zu mir gebeugt und mich am Tor geküsst hatte.

Ich schätze, ein Teil von mir glaubte immer noch, dass dieser Tag nie kommen würde.

Ich hatte so viel Zeit damit verbracht, mir einzureden, die Zukunft läge in ewig weiter Ferne. Ich war nicht bereit dafür, dass sie jetzt da war.

Was im Dunkeln geschieht

Wir sind der geheimnisvolle Wald, wir sind die Bäume, die sich unter tausend Monden silbern verfärbt haben, wir sind das Flüstern, das durch das abgestorbene Laub weht. Wir sind die Bäume, an denen Hexen aufgehängt wurden. Die Galgenbäume sind Zeugen und die Erde, die Hexenblut getrunken haben, sie können zum Leben erwachen. Es gibt Nächte, in denen der Wald Zeuge von Liebe wird, und Nächte, in denen wir den Tod bezeugen.

Das Mädchen in Grün, das die junge Halbhexe gesehen hatte, wartete auf einen Jungen. Er tauchte endlich auf, im Unwetter. Viele Paare umarmen sich unter unseren Bäumen, sie aber taten es nicht. Treffen zwischen Liebenden enden oft im Streit der Liebenden.

»Verlass dieses Kaff, und komm mit mir«, drängte sie ihn. »Ich gehe nach L.A. und werde ein Star.«

Der Junge lächelte verhalten, reuevoll, den Blick auf den Boden gerichtet. »Behaupten das nicht alle, die nach L.A. wollen? Dass sie ein Star werden. Nur ein einziges Mal möchte ich hören, wie jemand sagt, dass er nach L.A. will, um Kellner zu werden.«

»Zumindest werde ich irgendetwas sein«, fauchte sie. »Was wirst du sein, wenn du hierbleibst? Willst du dein ganzes Leben ein Loser sein?«

Der Junge hob den Kopf und starrte sie einen langen Moment an. »Schon möglich«, sagte er schließlich.

Er drehte sich um und verschwand, die Hände tief in den Taschen. Sie rief ihm hinterher, ihre Stimme ein herrischer, zorniger Befehlston. Er gab keine Antwort.

Sie war zu wütend, um ins Auto einzusteigen. Sie stürzte sich in den Wald und in den Wind. Ihr hellgrüner Mantel blähte sich hinter ihr, während sie lief, und ihre Kapuze fiel von ihren glänzenden Haaren. Der Wind verwandelte unsere Äste in lange Finger, die nach ihrer Kleidung griffen, und Klauen, die über ihre Haut kratzten. Sie kam vom Weg ab und verirrte sich in unserem Wald. Es ist so leicht, sich in unserem Wald zu verlaufen.

Sie taumelte auf eine kleine Lichtung, durch die ein heller Bach verlief.

Wir hätten sie warnen können. Doch das taten wir nicht.

Der Bach schimmerte wie eine Silberkette, die auf den Erdboden gelegt worden war. Der heulende Wind kräuselte die Wasseroberfläche nicht.

Das Mädchen näherte sich, die Stirn vor Verwirrung gerunzelt, dann erblickte sie im silbrigen, blank polierten Wasser ihr eigenes Spiegelbild. Sie sah nicht die Kratzer in ihrem Gesicht oder ihre zerzausten Haare. Im Wasserspiegel verfügte sie über den Zauber, der sonst nur einer Fremden innewohnte. Sie sah jemanden, der an der Oberfläche makellos war, jemanden, der einem weismachte, dass die wunderschöne Lüge der Perfektion wahr sein könnte. Jemanden, den man einmal sah und nie wieder vergaß.

Sie vergaß den Wind und den Wald und die Welt. Sie sah nur sich selbst. Sie hörte nur das Lied der Sirenen.

Das ist der Ruhm, auf den du immer gewartet hast. Du bist für genau das hier geboren. Du musst nichts weiter tun, als die Arme ausstrecken und es dir nehmen. Es ist deine Bestimmung, besonders, wunderschön und einzigartig zu sein; nur du verdienst dieses Geschenk, nur du, nur du …

Als die Hände aus dem Wasser nach ihr griffen, streckte das Mädchen ihre eigenen aus, begierig nach der Umarmung.

Der Bach verschluckte sie in einem, grüner Mantel und alles. Der kurze Kampf trübte kaum das ruhige silberne Gewässer. Dann war das Mädchen verschwunden.

In der Welt der Lebenden waren die letzten Worte über sie: Sie kann dir nicht das Wasser reichen. Keine wünschenswerte Grabinschrift, aber das spielt kaum eine Rolle.

Jetzt ist dieses verlorene Mädchen überhaupt nichts mehr: nichts als das Echo eines Seufzers, der inmitten von Sommerlaub verhallt. Ein Echo zu hinterlassen ist Tradition. Unser Wald ist voller Echos.

Menschen verbringen ihr gesamtes Leben damit, auf den Beginn von etwas zu warten, und stattdessen kommen sie nur an ein Ende.

Nun, über Enden darf man sich nicht beschweren. Jeder bekommt eines.

Der einsame Ort

Ich liebte es, zur Schule zu gehen. Es war nicht so, dass ich die Baxter High liebte, das rote Backsteingefängnis, in dem unser Football-Team und seine Cheerleader, die Baxter High Ravens, die althergebrachte Hackordnung aufrechterhielten (von daher passte das mit den Raben eigentlich ganz gut). Aber ich liebte meine Freunde, und ich hatte immer Spaß mit ihnen.

Jedenfalls normalerweise.

Wir hatten einen besonderen Tisch in der Cafeteria. Der Erste von uns, der dort ankam, reservierte ihn, und die Leute erwarteten fast schon, uns dort vorzufinden, das unzertrennliche Quartett: Susie in ihren unförmigen Kapuzenpullis, die den Augenkontakt mit den Football-Deppen entweder mied oder sie trotzig anfunkelte. Roz mit ihrem verträumten Blick und ihren klaren Meinungen. Und Harvey und ich, immer nebeneinander. Normalerweise quatschten wir vier während des ganzen Mittagessens miteinander.

Keiner von uns sprach sonderlich viel über unsere Familien. Susies Onkel hatte wohl Probleme. Harveys Dad war ein Problem. Und Roz’ Dad war Reverend Walker. Es war heikel, eine beste Freundin zu haben, deren Dad Pastor war, wenn man zwei Tanten hatte, denen jederzeit ein beiläufiges »Heil Satan« herausrutschen konnte.

Für gewöhnlich unterhielten wir uns über Bücher und Kinofilme, Fernsehserien und Kunst. Harvey hatte so viel über die Superhelden des Goldenen Zeitalters zu sagen wie ich über Horror-Klassiker.

Heute aß Harvey nichts und redete noch weniger.

»Was ist mit ihm los?«, zischte Susie, als Harvey sein unberührtes Tablett zurückbrachte. »Er scheint sich für nichts zu interessieren. Nicht mal für Sabrina!«

Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht. Roz stieß Susie mit dem Ellbogen kräftig in die Seite.

»Es ist nichts«, sagte ich. »Wir alle haben manchmal einen schlechten Tag. Ich bin sicher, morgen ist er wieder wie ausgewechselt.«

Als Harvey mit mürrischer Miene zurück an den Tisch kam, legte ich ihm den Arm um den Hals und verwuschelte ihm liebevoll das Haar.

»Aua!«, rief Harvey. »Sabrina, du hast mir Haare ausgerissen!«

»Wow«, sagte ich. »Habe ich nicht. Ich habe nur ganz normal und gefühlvoll mit deinem Haar gespielt.«

»Sabrina, hast du da etwa ein paar Strähnen in der Hand?«, wollte Roz wissen.

Ich versteckte die Haare. »Manchmal sind meine Gefühle etwas zu stark.«

Harvey, Roz und Susie starrten mich entgeistert an. Manchmal fragte ich mich, wie sie mich ansehen und wie sonderbar sie mich wohl finden würden, wenn sie die Wahrheit wüssten.

Egal, was gerade mit Harvey los war, er begleitete mich trotzdem wie immer nach Hause. Leider bedeutete das auch, dass ihn der Anblick von ein paar Mädchen im Wald in seinen Bann schlug. Mal wieder.

»Hey, Brina«, sagte Harvey und nickte zu der Gruppe im Wald. »Kennst du die?«

Heute waren es drei Mädchen. Sie alle trugen Kleider aus dunklem Stoff mit spitzenbesetzten Kragen und Ärmelaufschlägen, allerdings mit kurzen Röcken, wie sexy Quäkerinnen. Ein Junge war bei ihnen, in dunkler Kleidung und mit dunklen Haaren, aber sein Gesicht war von hier aus nicht zu sehen.

»Ich glaube nicht«, sagte ich, doch es war gelogen. Ich erkannte die Mädchen, selbst aus der Entfernung. Es war ein Hexentrio, das bereits die Akademie der Unsichtbaren Künste besuchte. Wir waren schon ein paarmal aneinandergeraten. Prudence, Dorcas und Agatha waren wunderschön, mächtig und nicht sonderlich beeindruckt von der Vorstellung, dass eine Halbsterbliche auf ihre heiß geliebte Schule kommen sollte. Sie nutzten jede Gelegenheit, um mir deutlich zu verstehen zu geben, dass ich ihnen weit unterlegen war.

Jetzt gaben sie mir sogar das Gefühl, unterlegen zu sein, ohne mich auch nur gesehen zu haben. Ohne es auch nur zu versuchen.

Den Jungen kannte ich nicht. Er war wahrscheinlich ein Sterblicher, mit dem sie spielten. Prudence, Dorcas und Agathas höchste Pflicht bestand darin, Pater Blackwood und Satan treu zu dienen, und zu ihrem Vergnügen quälten sie sterbliche Männer.

»Ja«, sagte Harvey. »Ich habe sie hier auch noch nie gesehen. Sie müssen von außerhalb sein.«

»Wirst du von nun an jeden Tag andere Mädchen auschecken?«, neckte ich ihn. »Könntest du dir kein netteres Hobby aussuchen, wie Schach spielen oder Motten sammeln? Motten sammeln finde ich sehr sexy.«

»Ich habe sie nicht ausgecheckt«, beschwerte sich Harvey. »Das würde ich niemals tun. Es ist nur so, dass ich manchmal Fremde sehe und mich frage, wie wohl ihr Leben sein mag. Dann denke ich darüber nach, wie es wäre, Greendale zu verlassen und ein völlig anderes Leben zu führen. Zerbrichst du dir über so etwas nie den Kopf, Sabrina? Dass sich dein Leben radikal ändern könnte?«

»Vielleicht, manchmal«, sagte ich leise.

Harveys Blick war auf ein weit entferntes Bild gerichtet, das niemand außer ihm sah. In gewisser Hinsicht verfügte er über ebenso viel Magie wie ich. Mein Künstler, mein Visionär, der seine Träume auf Papier bannen und sie der Welt zeigen wollte. Er starrte nicht zu den Hexen im Wald, und er sah nicht mich an.

Wenn Harvey von weit entfernten Orten träumte, fragte ich mich, ob er auch an mich dachte. War ich in seinem Rückspiegel, während er seine große Flucht antrat und unsere Stadt und sein Leben hinter sich ließ?

Als ich die Hexen im Wald beäugte, drehte sich der dunkelhaarige Junge um, und ein grünes Blatt neben seinem Kopf fing unter seinem Blick Feuer. Das Blatt verwandelte sich in funkelnde Glut und zerfiel dann zu Dunkelheit. Die Asche wurde vom Wind verweht.

Sieh mal einer an! Vielleicht war der Junge doch kein Sterblicher, mit dem sie spielten. Hexer waren seltener als Hexen, aber da waren Ambrose und Pater Blackwood und natürlich mein Vater. Jetzt hatte ich einen vierten gesehen. Bestimmt würde ich viele kennenlernen, sobald ich die Akademie der Unsichtbaren Künste besuchte.

Doch ich konnte nicht zulassen, dass Harvey Hexen sah, die im Wald Magie benutzten. Ich packte seine Hand und zog ihn weiter.

»Komm schon«, drängte ich. »Ich muss nach Hause. Es ist wichtig.«

Als ich zu Hause war, rannte ich geradewegs die Treppe hinauf und ohne anzuklopfen ins Zimmer meines Cousins.

Ambrose hob den Blick von seinem zerlesenen Exemplar von Oscar Wildes Salome, und seine Augenbrauen wanderten ebenfalls aufwärts. »Sabrina, es hätte sein können, dass ich nicht salonfähig bin. Damit will ich nicht sagen, dass ich jetzt salonfähig bin, jedenfalls nicht im moralischen Sinne, aber zumindest trage ich eine Hose.«

Er trug eine seidene Pyjamahose und einen roten Samtmorgenmantel, also nicht gerade Straßenkleidung. Allerdings ging er ja auch nie auf die Straße.

»Deine Hose interessiert mich nicht, Ambrose! Das hier ist wichtig.«

»Für viele Menschen sind meine Hosen ein faszinierendes und fesselndes Thema«, behauptete Ambrose. Er rollte sich vom Bett, zog die mit goldenen Quasten geschmückte Schärpe an seinem Morgenmantel fester und steckte einen getrockneten Tollkirschenzweig zwischen die Seiten seines Buchs.

Ich keuchte immer noch schwer von dem Sprint nach Hause und die Treppe hinauf. Ich schien nicht zu Atem kommen zu wollen, stieß die Worte aber dennoch aus.

»Lass uns den Zauberspruch ausprobieren!«

Ambrose’ Gesichtszüge erhellten sich. »Fantastisch! Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang in den Wald? Wir brauchen ein paar spezielle Zutaten, denn das ist eine ganz spezielle Zauberformel. Cousinchen, hast du eine Probe von Harveys Haaren bekommen?«

Ich nickte.

Ambrose lächelte. »Gut. Dann haben wir also Harveys Haare, die Kerze, das Seil, den Lavendel, den Rosmarin und den Huflattich, aber wir brauchen noch ein paar Myosotis, nachts gepflückt. Wie ich höre, wächst die Blume bei uns im Wald.«

Der Wald war tödlich, teuflisch und tief. In früheren Zeiten hatte es in Greendale Hexenprozesse gegeben, genau wie in Salem, doch der Horror in Greendale wurde unter den Tisch gekehrt und geriet in Vergessenheit. Hexen waren in diesem Wald gestorben, und die Galgenbäume standen noch immer.

Nachts hatte ich die Waldwege nie verlassen, um Zutaten für einen Zauberspruch zu sammeln, aber vielleicht war es an der Zeit, dass ich es tat. Ich sollte mich mit der Nacht vertraut machen.

»Im Wald …«, sagte ich. »Sicher.«

Mir blieb nicht viel Zeit, bevor mein Leben sich verändern würde, und wenn es geschah, musste ich bereit sein.

Prudence, Dorcas und Agatha spazierten ständig durch den Wald. Ich gehörte in diesen Wald. In ein paar wenigen Wochen würde ich ganz genauso eine Hexe sein wie sie.

Ich musste mich allein in den Wald wagen, da es Ambrose nicht gestattet war, mich zu begleiten. Zu meinem großen Glück hatte ich eine leise Ahnung, wo ich das Gesuchte finden würde.

Harvey hatte mir die Zeichnung von dem alten Brunnen geschenkt, auf den wir bei unserem Klassenausflug im Wald gestoßen waren. Ich hatte das Bild nach Hause mitgenommen, um es in Ehren zu halten. Als ich nun von Ambrose’ Zimmer in meines rannte und nach der Zeichnung suchte, fand ich sie fein säuberlich gefaltet in der Schublade meines Schreibtischs. Nachdem ich das Bild auseinandergefaltet und glattgestrichen hatte, sah ich sofort, woran ich mich zu erinnern geglaubt hatte: Bleistiftstriche, durch Harveys talentierte Hand in lebende Blumen verwandelt. Ich sah die winzigen Blütenblätter der Myosotis, eingebettet in hohes Gras an den Ufern des kleinen Baches.

Es fühlte sich wie ein Zeichen an.

Es fühlte sich weniger wie ein Zeichen an, als ich einige Zeit später draußen im Wald war. Der Wind wütete nicht mehr so stark wie nachts zuvor, doch der Nachhall des sommerlichen Unwetters reichte aus, um meinen Mantel und meine Kleidung aufzublähen. Nur mit großer Anstrengung kam ich voran, und jeder Baum wurde zu einem Feind. Die Äste bogen sich so heftig im Wind, dass ich fürchtete, sie könnten brechen, und sobald sie sich bewegten, zuckten ihre Schatten auf mich zu.

Über mir sah ich nichts weiter als wogende Dunkelheit. Tiere könnten sich in diesen Ästen verstecken, sprungbereit auf der Lauer, und Leichen könnten von den Ästen baumeln. Es gab keine Wegweiser in den Tiefen des Waldes. Es gab nur einen Schatten nach dem anderen, zwischen denen man sich irgendwie seinen Weg suchen musste.

Ich aber fand meinen Weg.

Der verlassene Brunnen, den ich mit Harvey gefunden hatte, wirkte nicht mehr so einladend wie damals bei Tageslicht. Er ließ mich nicht mehr an die Erfüllung von Wünschen oder das Entdecken der ersten Liebe denken. Der Brunnen schien nichts als ein Steinkreis zu sein, dessen dunkles Auge zum leuchtenden Auge des Mondes hinaufstarrte.

Vielleicht war mir der Brunnen beim ersten Mal nur so wunderschön vorgekommen, weil ich ihn mit Harvey zusammen gesehen hatte. Mir fiel ein Zitat aus einem Stück über die Magie des Waldes ein: Sie sieht mit dem Gemüt, nicht mit den Augen, und ihr Gemüt kann nie zum Urteil taugen. Drum nennt man ja den Gott der Liebe blind.