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Das kleinste Buch über das Land mit den meisten Einwohnern der Welt Warum gehen Taxifahrer in China mit einem Vierer-Nummernschild unweigerlich pleite? Wieso bekommt man, wenn man "Gemischte Schlangenhaut" bestellt, häufig nur einen handelsüblichen Quallensalat serviert? Und wo sorgt die Große Unterhose für Aufsehen? Das und vieles mehr verrät Ostasien-Expertin Francoise Hauser in ihrem Buch über das Reich der Mitte. Kurioses, Spannendes, Wissenswertes – kompakt verpackt in einem kleinen Buch über ein riesiges Land.
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Seitenzahl: 251
Francoise Hauser
China für die Hosentasche
Was Reiseführer verschweigen
FISCHER E-Books
Die Straßen voller Radfahrer, sozialistische Architektur aus subtropisch vermodertem Beton, die Menschen im blauen Mao-Anzug, vor Schreck erstarrend beim Anblick eines Ausländers: Das war China 1989, im Jahr meines ersten Besuchs. Als ich 1992/93 zum Auslandsstudium nach Nanjing ging, war es schon ein wenig bunter: Die ersten Diskotheken und Privatrestaurants öffneten, das Angebot der Läden und Kaufhäuser wurde größer, ja sogar eine ganz passable Pizzeria gab es schon. Nur die Überraschung beim Anblick einer Langnase war geblieben. 1997 – ich hatte zwischenzeitlich andere Orte in China besucht, nicht aber Nanjing – weigerte ich mich, den Langstreckenbus in Nanjing zu verlassen: Niemals war diese Metropole die Stadt, die ich vier Jahre zuvor verlassen hatte. Als wenn ich mich so mir nichts, dir nichts von einem Busfahrer veräppeln lassen würde! Aber sie war es doch. Praktisch über Nacht war ein Meer von Hochhäusern aus dem Boden geschossen, ich fand das Wohnheim, in dem ich ein Jahr gewohnt hatte, nicht mehr. Und an den Anblick von Ausländern hatte man sich auch schon gewöhnt. In dieser Taktung geht es bis heute weiter: Bei jedem Besuch zeigt sich mir ein neues Land, moderner, schnelllebiger, bunter. Langweilig wird es in China also nicht, auch nicht bei der dritten, vierten oder fünfundzwanzigsten Reise. Ich bin den Chinesen dankbar, dass sie sich immer wieder die Mühe machen, mich zu verblüffen: Dinge, die vor wenigen Jahren noch so typisch chinesisch schienen, ohne die man sich das Land und die Menschen gar nicht vorstellen konnte, hat man im Vorübergehen schnell mal über Bord geworfen: Fahrräder? Sieht man heute auf den großen Straßen beispielsweise kaum noch. Geblieben sind dennoch viele Kuriositäten und Eigenheiten, die den ausländischen Besucher vor Rätsel stellen und hinter denen oft eine überraschende Geschichte steckt. Eine ganze Reihe davon finden Sie in diesem Buch, genauso wie Fakten und Erklärungen, die vielleicht das eine oder andere Mysterium lüften.
Anmerken möchte ich noch: China ist unglaublich schnelllebig! Nirgendwo sonst sind Zahlen so schnell obsolet, werden so atemberaubend schnell neue Projekte angestoßen. Für jede Regel gibt es eine Ausnahme, jede Aussage über China lässt sich irgendwie und irgendwo widerlegen. Das Land ist einfach so groß und vielfältig, dass es fast schon anmaßend ist, alle 1,4 Milliarden Menschen über einen Kamm zu scheren. All jenen, die China ganz anders erlebt haben als ich, kann ich nur beipflichten – auch sie haben recht. In China ist Platz für viele Wahrheiten, die sich sogar widersprechen dürfen, ohne an Wahrheitsgehalt zu verlieren.
Fläche: ca. 9,6 Millionen km2
Ausdehnung Nord-Süd: 4500 km
Ausdehnung Ost-West: 4200 km
Einwohner: rund 1,4 Milliarden
Nachbarländer: 14
Anzahl der wilden Pandas: 1864 (Zensus 2014)
Anzahl der wilden Elefanten: ca. 250
Küstenlänge: 14000 km
Niedrigste gemessene Temperatur (in Mohe): –52,3 °C
Höchste gemessene Temperatur (in Turfan): 50,3 °C
Zahl der Millionenstädte: ca. 150
Zahl der von Menschen gepflanzten Bäume in den letzten 20 Jahren: 35 Milliarden
Prozent des nicht trinkbaren Grundwassers: ca. 60
Zahl der Fahrstühle und Rolltreppen: ca. 3,8 Millionen
Ausländer in China: ca. 900000, die meisten davon in Guangzhou, Shanghai und Beijing
Durchschnittliche Lebenserwartung: 76 Jahre
Devisenreserven: 3220000000000 USD
Goldreserven: 1762 Tonnen
»Dumme Frage«, mag da manch einer denken, immerhin braucht man nur den Atlas aufzuschlagen, um China zu finden. Doch die Volksrepublik ist nicht das einzige Land, das die Bezeichnung »China« trägt. Neben der Volksrepublik China Zhōnghuá rénmín gònghéguó中华人民共和国 ist in europäischen Atlanten auch die Insel Taiwan als Republik China Zhōnghuá mínguó中華民囯 eingezeichnet. Hongkong Xiānggǎng香港 und Macau Àomén澳门 wiederum gehören zwar politisch mittlerweile zur Volksrepublik, besitzen aber als Sonderverwaltungszonen noch einen Sonderstatus und werden farblich abgehoben dargestellt. Geht es nach der Volksrepublik, gehören nicht nur sie zum Staatsterritorium, sondern auch Taiwan – ein Anspruch, der lange Zeit auch umgekehrt galt und für Spannungen sorgte. Auch diverse andere Inselgruppen wie die Spratly Islands oder die Paracelsius-Inseln zählt man in Beijing selbstverständlich dazu, was bei etlichen Nachbarländern zu Verstimmungen führt.
Auch wenn man das volksrepublikanische Staatsgebiet selbst betrachtet, bleiben Fragen offen: Hier gibt es gleich eine ganze Reihe von Regionen, wie beispielsweise Tibet oder die Autonome Provinz Xinjiang, deren Bewohner sich nicht alle zwingend als Chinesen verstehen und oft eine andere Muttersprache sprechen. Die Tibetfrage ist sowieso ein Garant für emotionale Diskussionen. Die Erstellung einer simplen Karte kann daher schon zu diplomatischen Verwicklungen führen: Je nachdem, wie man beispielsweise Taiwan einzeichnet, also als Teil der Volksrepublik oder als eigenen Staat, fühlt sich eine der beiden Seiten garantiert auf den Schlips getreten.
Dazu kommt eine weitere Frage: Wie soll man mit den Regionen umgehen, die zwar kulturell chinesisch geprägt sind, aber nicht zu China gehören? Im Ausland fällt oft der Begriff »Greater China«, eine geschickte Definition, die nicht nur das chinesische Festland beinhaltet, sondern eben auch all jene Gebiete, in denen die chinesische Kultur eine entscheidende Rolle spielt, also Taiwan, Singapur, Hongkong und Macau, ohne dass sich daraus eine politische Aussage ergibt. Manchmal sind – je nachdem, wer diesen Begriff benutzt – fälschlicherweise sogar die von Chinesen besiedelten Gebiete Malaysias, Indonesiens oder Thailands gemeint, in denen die chinesischen Gemeinschaften eine wichtige wirtschaftliche Rolle spielen. In den südostasiatischen Ländern macht man sich damit jedoch keine Freunde.
Auch der Begriff »Chinese« lässt sich nicht so einfach definieren, denn es gibt feine Unterschiede, die aus chinesischer Sicht von großer Bedeutung sind. Dabei spielen kulturelle Identität und Aussehen eine wichtige Rolle, aber auch die Frage, ob man in China geboren wurde. Nicht zuletzt stellt sich die Frage: Wie »chinesisch« muss man sein, um als Chinese zu gelten? Ab welchem Grad der Assimilierung zählt man als Bürger eines anderen Staates? US-Amerikaner chinesischer Abstammung stellen in China oft mit Erstaunen fest, dass sich niemand darum schert, dass sie sich selbst als Amerikaner empfinden, und sie selbstverständlich als Chinesen wahrgenommen werden. Die Schätzungen, wie viele Auslandschinesen es gibt, schwanken daher je nach Quelle erheblich: Zwischen 35 und 60 Millionen sollen es sein.
Im chinesischen Kulturraum unterscheidet man zwischen:
Wörtlich »Mensch des Reichs der Mitte«, also Staatsbürger Chinas, aber nicht zwingend chinesischer Ethnie. Auch Uighuren aus Xinjiang, Tibeter und beispielsweise Mongolen der Inneren Mongolei gehören dazu, denn sie haben einen chinesischen Pass. Bezeichnet man einen Singapurer Chinesen als Zhongguoren, macht man sich in der Regel nicht beliebt – er ist schließlich Singapurer!
Die meisten Chinesen gehören der Ethnie der Han an: Sie sind es, die wir als »Chinesen« bezeichnen und deren Kultur wir als »chinesisch« empfinden. Mit 91,6 Prozent machen sie den größten Teil der Bevölkerung aus.
So werden Chinesen bezeichnet, die in China geboren wurden, aber im Ausland leben.
auch: háiwài huárén 海外华人
Das sind Überseechinesen, die eine andere Staatsbürgerschaft als die chinesische besitzen, meist aber noch Chinesisch sprechen und in der chinesischen Kultur verwurzelt sind. In Südostasien bezeichnen sich meist all jene so, die von ihrer Umwelt als Chinesen wahrgenommen werden, so wie beispielsweise die malaysischen Chinesen, die bereits seit Generationen dort ansässig sind.
Dieser Sammelbegriff umfasst alle, die irgendwie chinesischer Abstammung sind, auch wenn sie sich vielleicht selbst eher einer anderen Kultur angehörig fühlen, eine andere Staatsangehörigkeit besitzen und oft auch des Chinesischen nicht mächtig sind. Äußerlich erkennt man sie dennoch als »Chinesen«.
De facto werden diese Bezeichnungen in der Literatur und im chinesischen Alltag jedoch munter durcheinandergeworfen und auf Deutsch meist mit »Überseechinesen« übersetzt. Auch mit den genauen Definitionen hält man sich im Alltag kaum auf: In den Augen der meisten Chinesen ist »Huáqiáo«, wer danach aussieht und chinesische Vorfahren hat.
Land
chinesische Einwohner
Indonesien
7.500.000
Thailand
7.000.000
Malaysia
6.400.000
USA
3.800.000
Singapur
2.800.000
Kanada
1.600.000
Peru
1.300.000
Kambodscha
1.200.000
Vietnam
1.200.000
Philippinen
1.100.000
Myanmar
1.100.000
Russland
1.000.000
Afrika gesamt
1.000.000
Frankreich
700.000
Südkorea
700.000
Australien
670.000
Japan
650.000
UK
500.000
Kasachstan
300.000
Italien
200.000
Indien
190.000
Laos
185.000
Vereinigte Arabische Emirate
180.000
Brasilien
150.000
Neuseeland
150.000
Niederlande
145.000
Panama
130.000
Spanien
130.000
Kuba
110.000
Deutschland
105.000
Argentinien
100.000
Jamaika
70.000
Costa Rica
63.000
Saudi-Arabien
45.000
Surinam
40.000
Brunei
40.000
Die Ethnie der Han macht, wie gesagt, rund 91,6 Prozent aus. Die restlichen 8,4 Prozent gehören zu ethnischen Minderheiten (oft als Minoritäten shăoshù mínzú少数民族 bezeichnet) – das sind immerhin mehr als 100 Millionen Menschen! 56 anerkannte nationale Minderheiten gibt es insgesamt, deren Kultur sich teils erheblich von der der Han unterscheidet. Dazu gehören Völker wie die Miao und die Zhuang, aber auch die Uighuren und Mongolen. Prinzipiell ist es nicht von Nachteil, einen Minoritäten-Status zu besitzen, hier und da werden die Minoritäten sogar bevorzugt, zum Beispiel bei der Studienplatzvergabe oder bei der Geburtenpolitik (Die Ein-Kind- beziehungsweise inzwischen Zwei-Kind-Politik galt und gilt für die Minoritäten nicht). Politischen Einfluss besitzen sie, von einigen Aspekten der kulturellen Selbstverwaltung abgesehen, jedoch nicht: Da sie meist in den strategisch wichtigen, aber dünn besiedelten Randgebieten Chinas wohnen, reagiert die Regierung allergisch auf allzu große Autonomiebestrebungen – wollte man alle vorrangig von Minoritäten bewohnten Gebiete von China abtrennen, blieben nicht einmal 40 Prozent des volksrepublikanischen Territoriums übrig.
eine eigene Sprache
territoriale Geschlossenheit des Siedlungsgebiets
einheitliches Wirtschaftssystem
Zusammengehörigkeitsgefühl
Allerdings trifft dies nicht auf alle Minoritäten zu. So unterscheiden sich die Hui, die muslimischen Han-Chinesen – sprachlich kein bisschen von der Mehrheit.
Name
Anzahl in Mio.
Hauptsiedlungsgebiet
Dai
1,2
Yunnan
Kasachen
1,5
Xinjiang
Li
1,5
Hainan
Hani
1,6
Yunnan
Koreaner
1,8
Jilin, Heilongjiang, Liaoning
Bai
2,0
Yunnan, Guizhou
Yao
2,8
Guangxi, Hunan
Bouyei
2,9
Guizhou
Dong
2,9
Guizhou, Hunan, Guangxi
Mongolen
6,0
Innere Mongolei, Liaoning
Tibeter
6,3
Tibet, Sichuan, Qinghai
Tujia
8,3
Hunan, Hubei, Guizhou, Chongqing
Yi
8,7
Yunnan, Sichuan, Guizhou
Miao (Hmong)
9,4
Guizhou, Hunan, Yunnan
Uighuren
10,0
Xinjiang
Mandschu
10,4
Liaoning, Hebei, Heilongjiang, Jilin
Hui-Chinesen
10,6
Ningxia, Gansu, Xinjiang, Henan, Qinghai, Yunnan
Zhuang
17,0
Guangxi, Yunnan
Einige der großen Minderheiten, so wie beispielsweise die Uighuren, Mongolen und Tibeter, leben in klar abgegrenzten Siedlungsräumen, die aus diesem Grunde als sogenannte autonome Gebiete zìzhìqū自治区 den Provinzen gleichgestellt sind. Der Unterschied liegt jedoch in einer gewissen kulturellen Autonomie: So erhalten Kinder beispielsweise in der Grundschule Unterricht in ihrer Muttersprache. Insgesamt gibt es fünf autonome Gebiete: Xinjiang, Ningxia, die Innere Mongolei, Tibet und das Gebiet der Zhuang als Teil der Provinz Guangxi.
Für Menschen chinesischen Ursprungs lautet die Antwort definitiv: Ja! Nach chinesischer Auffassung sind sie ja ohnehin Chinesen, die Staatsangehörigkeit reflektiert dann quasi nur noch die Tatsachen. Für alle anderen heißt es: theoretisch ja. De facto erhalten jedoch nur wenige hundert Menschen im Jahr die chinesische Staatsbürgerschaft. Einerseits scheint der Andrang nicht übermäßig groß zu sein, zum anderen sind die Kriterien nicht einfach zu erfüllen: Man muss in einem engen Verhältnis zu einem chinesischen Staatsangehörigen stehen (zum Beispiel durch Heirat) und in China leben oder einen anderen »legitimen Grund« haben. Was dies sein könnte, führt das Staatsangehörigkeitsgesetz allerdings nicht aus – eine größere Investition in China ist da sicher nicht von Nachteil.
Volksrepublikanische Chinesen, die aus eigenem Willen eine andere Staatsbürgerschaft annehmen, verlieren die chinesische. Vorausgesetzt natürlich, sie sind so naiv, dies in China öffentlich zu verkünden.
China ist ziemlich groß und zieht sich über mehr als 60 Längengrade. Am westlichsten Zipfel des riesigen Reiches geht die Sonne daher rund fünf Stunden früher unter als am östlichen Ende. Eigentlich müsste China nach den gängigen Konventionen also in fünf Zeitzonen eingeteilt sein. De facto gilt im gesamten Land jedoch Beijinger Zeit. Da wundert es wenig, dass manch ein Ort im Westen einfach inoffiziell eine eigene Zeit eingeführt hat, was den Reisenden nicht selten in Verwirrung stürzt, denn Läden öffnen dann nach lokaler Zeit, während sich die Züge und Flüge natürlich nach Beijinger Zeit richten.
Bei der Planung einer Chinareise kommt man um Klimadiagramme nicht herum, denn die Unterschiede sind gewaltig. Während im Norden ein kühl gemäßigtes Klima dafür sorgt, dass im Winter knackige –30 °C keine Seltenheit sind, kann man auf der südlichen Insel Hainan das ganze Jahr über baden, denn sie liegt bereits in den Tropen. Überraschend ist: Von wenigen Regionen abgesehen, kommt man in China bequem mit zwei Jahreszeiten aus: Sommer und Winter. Der Wechsel vollzieht sich innerhalb weniger Tage, so dass man bei einer einwöchigen Beijing-Reise im Oktober den ersten Tag im T-Shirt schwitzt und den letzten im Wintermantel friert.
Fast scheint es, China wünsche sich doch noch eine weitere Jahreszeit, und zumindest der Südosten und Osten des Landes haben einen guten Kandidaten dafür: den Pflaumenregen méiyǔ (梅雨), benannt nach der zeitgleichen Pflaumenreife. Mit Niederschlägen von bis zu 1000 mm innerhalb weniger Tage (zum Vergleich: So viel misst man in Deutschland nichtmal im Jahr) setzt er zwischen Ende April und Juni immer wieder ganze Landstriche unter Wasser. Mit spektakulären Bildern von großflächigen Überschwemmungen schafft er es dann sogar bis ins europäische Fernsehen. Schuld am Regen ist eine Art Patt-Situation zweier Fronten: Die kontinentalen Luftmassen des Nordostmonsuns und die warme und feuchte Luft des pazifischen Südwestmonsuns treffen hier aufeinander und bilden eine stabile Front, deren Tiefdruckgebiete viel Regen bringen. Hier und da wird der Pflaumenregen auch als 霉雨 geschrieben. Dann wird er zwar genauso ausgesprochen, bedeutet aber »Schimmelregen«, und das aus gutem Grund, denn die hohe Feuchtigkeit lässt so ziemlich alles schimmeln, was nicht zu 100 Prozent aus Plastik besteht.
Chinas längster Fluss ist im deutschsprachigen Raum unter vielen Namen bekannt, die nur wenig mit dem chinesischen Original gemein haben. Dort läuft er unter Chángjiāng 长江, wörtlich »langer Fluss«. Das ist ziemlich zutreffend, denn mit rund 6300 Kilometern ist er in der Tat der längste Fluss Chinas. Der internationale Name Yangzi stammt übrigens von der eher wenig bekannten lokalen Bezeichnung Yangzi杨子 ab, die sich jedoch nur auf den Unterlauf bezieht. Je nach Umschrift wird daraus dann Jangtse oder Yangtse. Manche hängen auch noch das Wort kiang an, was wiederum die alte Umschrift des Wortes jiāng江, also »Fluss«, ist.
In China gilt der Chángjiāng als Grenze zwischen Nord- und Südchina. Lange genug war er das im wahrsten Sinne des Wortes: Bis 1956 gab es keine einzige Brücke über den Yangzi, und selbst bis in die 1990er Jahre wurden gerade einmal drei Brücken gebaut, ein Großteil des Verkehrs wurde weiterhin per Fähren abgewickelt. Heute überspannen rund 30 Brücken den Yangzi.
Nördlich des Yangzi wird traditionell geheizt, südlich davon nicht. Diese Regel stammt noch aus kaiserlichen Zeiten und wurde 1949 von den gerade an die Macht gekommenen Kommunisten übernommen. Aus Kostengründen planten sie nur für Nordchina ein Heizungssystem. Das Geld war knapp, und im Süden ist es schließlich warm, oder? Bis vor wenigen Jahren hielt man sich geradezu biblisch daran, völlig unabhängig von den Temperaturen, so dass die Bewohner der Stadtteile südlich des Flusses bibbernd zuschauen konnten, wie in den Stadtteilen nördlich des Flusses die Schornsteine rauchten. Dort dürfen sich die meisten Bewohner über eine anständige Heizung oder einen Anschluss an die Fernwärme freuen, wenn auch nicht unbedingt über die dazu passende Isolierung, so dass viel Wärme wieder verlorengeht. Im Süden gibt es heute immer öfter Klimaanlagen, die nicht nur im Sommer kühlen, sondern auch im Winter zumindest eine Placebo-Dosis Wärme versprechen und die Luft entfeuchten.
Ob und wie der Süden beheizt werden soll, ist im Übrigen eine Kontroverse, die in China immer wieder in den Medien hochkocht. Man darf getrost davon ausgehen, dass es immer die Südchinesen sind, die das Thema aufs Tapet bringen.
Ähnlich wie Nanjing zählen auch die Megastädte Chongqing und Wuhan zur nahezu heizungslosen Zone am Yangzi auf der Grenze zwischen Nord und Süd. Rein statistisch gesehen dürfen sich die Bewohner dennoch über eine ordentliche Durchschnittstemperatur freuen, denn alle drei Städte gelten (zu Recht) als Backöfen Chinas. Temperaturen weit über 40 °C sind im Sommer eher die Regel als die Ausnahme. Wer dort wohnt, sollte mit Extremtemperaturen umgehen können.
Er ist gelb, staubig und verwandelt sich bei Regen blitzschnell in Schlamm – und doch ist der Löss-Boden so etwas wie der Urkeim der chinesischen Zivilisation. Seine Feinkörnigkeit verrät die Herkunft des Löss sofort: Als Flugstaub brachte ihn der Wind in der letzten Eiszeit aus den innerasiatischen Steppen nach China und lagerte den nährstoffreichen Boden bis zu 200 Meter hoch im Bergland der Provinzen Gansu, Shanxi, Shaanxi und Henan ab. Der Boden ist extrem fruchtbar, leicht zu bearbeiten und speichert auch die Feuchtigkeit gut. Dummerweise sind große Teile der Löss-Gebiete seit Jahrhunderten, wenn nicht sogar Jahrtausenden, nur noch spärlich bewachsen. Wälder, die den Boden halten könnten, gibt es schon lange nicht mehr. Regnet es in den Löss-Gebieten, waschen ihn die Wassermassen blitzschnell von den Hängen. Der Gelbe Fluss Huánghé黄河 verdient sich hier in den Löss-Bergen seinen Namen und bringt die abgetragene Schlammfracht bis zum Gelben Meer.
Weil er ihnen sprichwörtlich immer wieder um die Nase weht. So wie der Löss-Boden nach China gelangte, so wird er oft auch wieder abgetragen: per Wind. Wenn im Frühjahr (und manchmal auch im Herbst) Stürme über China hinwegfegen, bringen sie Unmengen von gelbem, feinem Sand mit sich und lassen die Hauptstadt unter einer gelben Wolke verschwinden. Meist tun sie dies ohne Vorwarnung und bringen den Verkehr innerhalb von Minuten zum Erliegen. Oft ist der Spuk so schnell vorüber, wie er aufgetaucht ist, an anderen Tagen harren die Menschen stundenlang aus, bevor sie sich wieder ins Freie wagen. Der bisher spektakulärste Sandsturm brach im Jahr 2006 über Beijing herein und lud innerhalb weniger Stunden 300000 Tonnen Sand über der Hauptstadt ab.
Blickt man heute am Unterlauf auf den Gelben Fluss Huánghé黄河, ist es nur schwer vorstellbar, dass er als »Kummer Chinas« in die Geschichte einging: Einst ein mächtiger Strom, verkümmert er in trockenen Jahren zu einem kläglichen Rinnsal. Ihn deswegen zu unterschätzen wäre jedoch fatal. Mit seinen 5460 Kilometern Länge führt der Gelbe Fluss einmal quer durch Nordchina und durchquert dabei die Löss-Gebiete, wo er eine immense Fracht an Schlamm aufnimmt. Sobald er in die Ebene eintritt,