6,99 €
Max LeBlue ist ein Geist, ein gefährlicher DEA-Agent. Nach der Tragödie vom 11. September gab man ihm die Chance, für tot erklärt zu werden und undercover zu arbeiten. Er witterte eine Falle - und sollte Recht behalten. Also suchte er das weite entkam nach Kanada.
Zwei Jahre später reiste er mit neuer Identität wieder in die Staaten ein. Heute ist Max LeBlue ein Computer-Troubleshooter, der tief unter dem Radar in San Francisco lebt.
Obwohl er ein überzeugter Zyniker ist, hat Max - trotz seines stahlharten Äußeren - einen gefährlichen Makel: Niemals würde er sich von einem Freund abwenden. Und als ein weltweit agierender Immobilien-Makler darauf aus ist, Jimmy Chu dazu zu bringen, sein Chinatown-Anwesen aufzugeben, kommt Max ins Spiel, um Jimmy zur Seite zu stehen. Denn das Auge des Gesetzes schaut weg... und Max findet sich wieder in einem Spießrutenlauf zwischen einem chinesischen Paten, skrupellosen Bikern und einem Serienmörder, der Nutten erwürgt - ein verzweifelter Sprint, der ihn von den unterirdischen Tunneln von Chinatown bis hin zu den Glastürmen eines korrupten Firmen-Moguls führt.
Plötzlich ist er nicht länger unsichtbar - aber noch immer allein...
Mit CHINATOWN BLUES legt Frank Lauria, der Autor der legendären DOC ORIENT-Romane, nach FOG CITY BLUES den zweiten Band um Max LeBlue vor - einen modernen Noir-Krimi der Spitzenklasse: hart, kompromisslos und spannend von der ersten bis zur letzten Seite!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
FRANK LAURIA
Chinatown Blues
Ein Max-LeBlue-Roman
Apex Crime, Band 5
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Der Autor
CHINATOWN BLUES
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Max LeBlue ist ein Geist, ein gefährlicher DEA-Agent. Nach der Tragödie vom 11. September gab man ihm die Chance, für tot erklärt zu werden und undercover zu arbeiten. Er witterte eine Falle - und sollte Recht behalten. Also suchte er das weite entkam nach Kanada.
Zwei Jahre später reiste er mit neuer Identität wieder in die Staaten ein. Heute ist Max LeBlue ein Computer-Troubleshooter, der tief unter dem Radar in San Francisco lebt.
Obwohl er ein überzeugter Zyniker ist, hat Max - trotz seines stahlharten Äußeren - einen gefährlichen Makel: Niemals würde er sich von einem Freund abwenden. Und als ein weltweit agierender Immobilien-Makler darauf aus ist, Jimmy Chu dazu zu bringen, sein Chinatown-Anwesen aufzugeben, kommt Max ins Spiel, um Jimmy zur Seite zu stehen. Denn das Auge des Gesetzes schaut weg... und Max findet sich wieder in einem Spießrutenlauf zwischen einem chinesischen Paten, skrupellosen Bikern und einem Serienmörder, der Nutten erwürgt - ein verzweifelter Sprint, der ihn von den unterirdischen Tunneln von Chinatown bis hin zu den Glastürmen eines korrupten Firmen-Moguls führt.
Plötzlich ist er nicht länger unsichtbar - aber noch immer allein...
Mit CHINATOWN BLUES legt Frank Lauria, der Autor der legendären DOC ORIENT-Romane, nach FOG CITY BLUES den zweiten Band um Max LeBlue vor - einen modernen Noir-Krimi der Spitzenklasse: hart, kompromisslos und spannend von der ersten bis zur letzten Seite!
Frank Lauria, Jahrgang 1935.
Frank Lauria ist ein US-amerikanischer Schriftsteller, Musiker, Broadway- und Film-Schauspieler.
Besondere Bekanntheit erlangte er durch die stilprägenden Okkult-Horror-Romane um Dr. Owen Orient; diese Serie besteht bis dato aus den Bänden Doctor Orient (1970), Raga Six (1972), Lady Sativa (1973), Baron Orgaz (1974), The Priestess (1978), The Seth Papers (1979), Blue Limbo (1991) und Demon Pope (2014).
Darüber hinaus schuf er die Roman-Fassungen der Filme Dark City (1998), End Of Days und Pitch Black (beide 1999). Aktuell veröffentlichte Frank Lauria den Noir-Krimi Fog City Blues (2014, der erste Band der Serie Max LeBlue-Mysteries) sowie den Vampir-Roman Melody Dawn (2015).
Im November 2011 erschien überdies das Album Lost In The Underground seiner Band Uncle Frank And The Co-Defendants.
Frank Lauria lebt und arbeitet in Kalifornien/USA.
Der Apex-Verlag widmet Frank Lauria eine umfangreiche Werkausgabe.
»Die Zeit ist unbesiegbar.«
John Wooden (legendärer Basketball Coach)
Die Zeit vergeht rasend schnell, wenn du tot bist.
Denk drüber nach - jeder Einzelne von uns ist das Endergebnis eines gigantischen Kampfes eines einzelnen Spermiums unter Millionen, um das heilige Ei zu erreichen.
Also ist jeder von uns, der geboren wird, ein Gewinner.
So sehe ich es, wenn es mir gut geht.
Wenn es mir schlecht geht, weine ich jeder zerfetzten Seele auf diesem Planeten nach.
Seht es ein, wir sind von Anbeginn an verdammt, die Gesegneten zusammen mit dem Rest von uns.
Also hängt es von der Zeit ab.
Was genau der Grund ist, warum ich jeden Tag lebe, dankbar für jede Stunde, in der ich frische Luft atme.
Denn Tatsache ist, ich bin tot.
Ich habe mein Leben bei 9/11 mit den Twin Towers gelassen und bin seither untergetaucht. Meine traurige Geschichte klingt in etwa so: Ich war DEA Agent in New York bis eine Mega-Selbstmedikation und eine schmerzliche Scheidung dazu führten, dass mich der Direktor und mein ehemaliger Freund Alvin Delaney angeklagt hat.
Dann bot mir Delaney am 11.9. einen Deal an. Agent Sam Devine - das war ich - würde offiziell für tot erklärt werden, weil er im tragischen Einsturz der Twin Towers ums Leben kam, und permanent undercover gehen.
Meine Mission: herausfinden wo die Drogen und Waffen umgeschlagen wurden. Ich würde straffrei davonkommen und wieder in meinem Job tätig sein. Die Position kam mit einigen Nebenleistungen, die sich Außendienstmitarbeiter im Regelfall nicht leisten konnten: ein exklusives Apartment, fünfzigtausend Riesen in bar, und je ein Kilo Kokain und Heroin.
Das perfekte Starterkit.
Zu perfekt.
Also verfolgte ich Delaneys Limousine nach einem unserer Treffen. Folgte ihr den ganzen Weg bis zu dem Apartmentkomplex, in dem meine Ex-Frau wohnte.
Zufall?
Tatsächlich war die lachende Frau, die an Delaneys Arm die Lobby verließ, meine Witwe Grace.
Trauerte sie? Ist Madonna Jungfrau?
Dann ergab alles einen Sinn. Jetzt, da ich tot war, konnte Grace meine Lebensversicherung und Pension kassieren, und Delaney hatte freie Fahrt bei meiner jetzt vermögenden Witwe.
Also wechselte ich die Seiten, verschwand über die Grenze nach Kanada und kreierte mit Hilfe meiner herausragenden Computerkenntnisse mein neues Ich.
Zwei Jahre später kehrte ich als Max LeBlue in die Vereinigten Staaten zurück und versuche seither friedlich in San Francisco in der Bay Area zu leben. Auf dem Weg habe ich meine schlechten Angewohnheiten weitestgehend in den Griff bekommen, aber ich genieße hin und wieder ein paar Drinks.
Heute war es wieder so weit.
Ich war in meinem Apartment in Marin, ein Cottage hinter dem Haus von Organic Phil, einem ortsansässigen Ernährungsguru. Von da aus fuhr ich mit dem Fahrrad nach Sausalito und nahm die Fähre zu meinem Stadthaus, ein weitervermietetes Zimmer in North Beach, das einem unkonventionellen Physiker namens Dr. Eli Safelli gehörte.
Ich vermeide es, mit dem Auto zu fahren. Besonders in Marin, wo die Cops weiß und stockkonservativ sind. Ein verirrter Strafzettel, Blechschaden, was auch immer; wenn du auf der Straße unterwegs bist, bist du anfällig dafür, angehalten und durchsucht zu werden. Heutzutage unterhält die Strafverfolgung Datennetzwerke, die deinen Arsch in Sekunden identifizieren können.
Ich muss es wissen. Schließlich habe ich dem NYPD dabei geholfen, ein solches einzurichten.
Natürlich war meine Kreation, die ich Donna nannte - wie das Lied - primitiv im Vergleich zu innovativen Neuromantie, die von unseren lokalen Cyberschamanen praktiziert wurde. Aber ich lege Wert darauf, auf dem Laufenden zu bleiben und habe immer noch ausgewählte Kunden für meine Dienstleistungen.
So schaffe ich es, außerhalb des Netzes zu überleben.
Bis jetzt.
***
San Francisco auf dem Seeweg zu betreten ist eine große Erfahrung. Die Stadt ist ein Juwel, egal welche Maßstäbe man anlegt. In letzter Zeit jedoch verliert ihre Gier an Glanz.
Ich nippte an meinem Coffee-to-go und beobachtete, wie sich die Stadt in drei glänzenden Facetten vor mir ausbreitete, als die Fähre Alcatraz umrundete. Die erste war North Beach, eine Hügelgemeinde mit winzigen Wohnungen und kleinen Läden, eine legändere Wiege der Künste, die sich direkt an die Glas- und Stahltürme des Finanzdistrikts drängte. Im Gegensatz zu den eng beisammen liegenden Wohnungen waren diese Wolkenkratzer kunstvoll gestaltet, um sich zu ergänzen und miteinander zu interagieren.
Aber hinter der dritten Facette war nichts Kunstvolles, ein Durcheinander an riesigen Kränen und gesichtslosen Monolithen, die sich nach Süden hin ausbreiteten, wie Dinosaurier aus Beton, die jeden Quadratzentimeter des offenen Himmels verschlangen.
Ein trauriger Makel im Juwel.
Wie eine schöne Frau mit schlechten Zähnen.
Als die Fähre am Fährhaus andockte, radelte ich rüber nach North Beach und trug meinen fahrbaren Untersatz drei Stockwerke hinauf in meine Wohnung in der Walnut Street.
Eli war da, verwirrt wie immer.
»Ich habe eine wichtige Datei verloren, ich bin am Verzweifeln«, sagte er, sobald ich die Tür betreten habe. »Es ist mein Dossier über Dunkle Materie. Es ist geplant, dass ich diese Woche eine Präsentation in London halte.« Eli schaute mich anklagend an. »Es ist weg, und ich kann es nicht finden. Wo bist du gewesen? Ich habe nicht mal deine Handynummer.«
»Ganz locker, ich habe deine dämliche Datei nicht gelöscht«, brummte ich, als ich mich hinter seinen Apple setzte und zu suchen anfing. Seinen PC in Ordnung zu halten ist Teil der Abmachung zwischen Eli und mir. Er vermietet mir ein Zimmer ohne Bücher in seinem Apartment, und ich halte seine Computerausrüstung am Laufen.
Eli speichert Dateien permanent an falschen Orten ab oder löscht sie, also ist meine Gegenwart immer willkommen. Diese Datei war nicht schwer zu finden, ungeachtet Elis aufgeregtem Geplapper über seine neueste Theorie, die meine persönlichen Favoriten einschlossen: verschränkte Elektronen.
»Klingt interessant. Was ist in London los?«
Eli grinste. »Ich bin im Claridge. Eine Suite. Nach der Vorlesung besteht die Chance, dass sie mich in den Saville Club aufnehmen.«
»Heißt deine Datei zufällig »Dunkle Materie und Lichtgeschwindigkeit«?«
»Das ist sie. Du hast sie gefunden. Gott sei Dank. Jetzt kann ich beruhigt auf dem Flug schlafen. Ich fliege in der Business-Class, weißt du?«
Das ist Eli: ein brillantes Gehirn, das süchtig nach Upgrades ist.
Ich verstaute mein Fahrrad in der Ecke im Gang und ging in die Küche. Sanjin, der dritte Mitbewohner in dem mietpreisgebundenen Apartment, saß am Küchentisch. Er schrieb gerade etwas mit der Hand, der Laptop stand geöffnet neben ihm.
Er blickte nicht auf.
»Ich mache mir gerade Tee. Magst du auch?«
»Danke.«
Völlig in seine Arbeit versunken, kritzelte er weiter. Sanjin war ein mathematisches Wunderkind, und er hatte jetzt eine Professorenstelle in Berkeley. Außerdem machte er großartigen Tee.
»Ich versuche gerade, die Knoten in dieser Formel zu entwirren«, nuschelte er.
Ich erwiderte nichts darauf und schlich auf Zehenspitzen durch die Ruhmeshalle.
Plötzlich ließ er seinen Stift fallen und ging zum Herd. Gebürtig aus Delhi stammend, wuchs Sanjin in London auf und bekam schon sehr früh ein Stipendium. Jetzt war er ein junger Professor, gerade mal dreiunddreißig Jahre alt, schlank und fit mit durchdringenden dunklen Augen und einem lässigen Lächeln.
»Woran arbeitest du?«, wagte ich zu fragen.
»Schwingungsfrequenztheorie.« Er stellte zwei dampfende Tassen auf dem Tisch ab. »Ich soll darüber auf einer Fünf-Tages-Konferenz in L. A. diskutieren.«
Er nahm seinen Stift wieder zur Hand und fing wieder an zu schreiben.
»Ginge es auf dem Laptop nicht schneller?«
Sanjin zuckte mit den Achseln. »Wenn man gerade dabei ist, die Saiten des Universums zu zupfen, dann ist es besser, wenn man die Hand dazu benutzt.«
Während ich noch über diese kleine Weisheit nachdachte, duschte ich, zog mich um und ging für einen Bummel nach draußen.
***
Ein Frühlingsnachmittag in North Beach hat etwas von einem altmodischen Technicolor Musical.
Pastellfarbene Markisen, Straßencafés, eigenbrötlerische Menschen, Touristen, junge Liebespaare, Straßenmusikanten, Sonnenbadende, und Hunde, die im Washington Square Park Frisbees hinterherjagten...das alles stand kurz davor, in eine Tanznummer umzuschwenken.
Ich holte mir ein Frikadellen-Sandwich und aß es auf einer Parkbank.
Das ist immer eine gute Idee, bevor man etwas trinkt. Das lenkt deinen Körper von dem Schaden ab, den du ihm zufügen wirst.
Ich setzte meinen Weg in südlicher Richtung fort, machte eine kurze Pause für einen Espresso, bevor ich den Broadway überquerte und kurz im City Lights Bookstore vorbeischaute.
Ich kaufte eine Ausgabe von Quellcode von William Gibson. Der Titel schien perfekt zu meiner Laune zu passen. Beim Verlassen bog ich scharf rechts ab, ging durch die Jack Kerouac Alley und fand mich in Chinatown wieder.
Mein Ziel war ein Kräuter-Heil-Laden in der Jackson Street, der meinem Freund Doktor Jimmy Shu gehörte. Chiropraktiker, Akupunkturist, Naturheilkundearzt, Heiler. Jimmy hat bei mehr als nur einer Gelegenheit mein Rückgrat wieder auf Vordermann gebracht. Er lässt mich seinen Kräuterladen als Postanschrift für die paar Rechnungen, die ich jeden Monat bekomme, benutzen, und ich kümmere mich im Gegenzug um seine Website und helfe ihm dabei, sein Geschäft und seinen Versandhandel voranzutreiben.
Ab und zu gehen wir auch auf ein paar Drinks aus.
Aber als ich seine Räumlichkeiten betrat, schien Jimmy mich nicht zu erkennen.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er mit flacher Stimme.
Da fiel mir der große Asiate auf, der in einem silbergrauen italienischen Anzug mit Texas Stiefeln, Schweizer Uhr und französischer Sonnenbrille vorgab, die Kräuter und Wurzeln hinter dem Tresen zu inspizieren. Er kam mir nicht vor wie der Bio-Typ, also setzte ich alles auf eine Karte.
»Ja.« Ich ging näher an die Verkaufstheke. »Ich brauche etwas Ginseng.« Eine undeutliche spannungsgeladene Wolke füllte den Raum mit statischer Elektrizität. Ich ignorierte sie. »Ah, und etwas frischen Ingwer.«
Die beiden Männer standen stocksteif da, angriffsbereit wie zwei Katzen mit Katzenbuckel.
Eine Sekunde später griff Jimmy unter die Theke. »Ja, wir haben Ginseng.«
Im selben Augenblick drehte sich der Asiate um, und ich sah etwas Metallisches in seiner Hand. Eine stupsnasige Automatik.
»Die Hände dorthin, wo ich sie sehen kann«, sagte er ruhig.
Die Waffe war auf Jimmy gerichtet.
Ich ging einen Schritt zurück. »Es ist wohl gerade ungünstig?«
Der Mann lachte. »Für dich vielleicht.«
Falsche Antwort.
Eine der vielen Tugenden eines Hardcover Romans ist, dass er eine prima Waffe abgibt.
Meine kurze, schnelle Rückhanddrehung erwischte ihn mit der scharfen Kante des Buches direkt unter der Sonnenbrille und brach ihm die Nase. Während das Blut sein Hemd befleckte, schwankte er rückwärts und ließ sich auf ein Knie fallen, aber er hielt die Waffe weiterhin oben.
Kein gutes Zeichen. Offensichtlich ein Profi.
Eine Hand bedeckte seine Nase, während seine Pistole zwischen mir und Jimmy hin und her wanderte, als ob sie herausfinden wollte, wen sie zuerst abknallen sollte. Aus meinem Augenwinkel heraus sah ich, wie Jimmy eine .38er unter der Tresen hervorholte.
Außerdem sah ich ein Mündungsfeuer aus der Kanone des Mannes und lag schon halb auf dem Boden, als ich den Schuss hörte. Als mein Bauch den Holzboden berührte, hörte ich einen weiteren Schuss.
Mit klingelnden Ohren rollte ich mich herum und sah Jimmy mit erstauntem Gesichtsausdruck hinter dem Tresen stehen, starrte ungläubig auf den noch rauchenden Lauf seiner .38er.
Ich blinzelte durch den Rauch.
Die Sonnenbrille des Mannes war weg und einen Augenblick lang dachte ich, der blutige Klecks in der Mitte seines Gesichts wäre die Schusswunde, die ihn umgebracht hatte. Weil er regungslos dalag, die Automatik immer noch fest in seinen leblosen Fingern.
Dann sah ich das Blut aus einem Loch in seiner Brust sickern. Ich beobachtete den dunklen Fleck, wie er sich über sein silbernes Jackett ausbreitete und stand langsam auf.
»Oh, Scheiße«, sagte Jimmy mehr zu sich selbst, »Scheiße.«
Eine betäubende Erschöpfung erstickte den Adrenalinschub, und ein kurzer Schauer kroch durch meine Knochen.
In der Tat, oh, Scheiße.
Hier schlendere ich durch Chinatown, um meine Post abzuholen, und innerhalb von nur zehn Minuten werde ich zum Komplizen eines Mordes an einem Mann, dem ich nie zuvor begegnet bin. Mein sorgfältig konstruiertes Haus aus Personalausweisen war gerade dabei, in sich zusammenzufallen.
»Scheiße, tut mir leid«, sagte ich. »Vielleicht habe ich überreagiert.«
Ich kaufte mir das selbst nur zur Hälfte ab, aber ich musste Jimmy dazu bringen, sich zu konzentrieren.
Er schaffte es nicht.
»Jimmy.«
Mein scharfer Ton lenkte seine Aufmerksamkeit weg von der Leiche.
Er kam mir überrascht vor.
»Du solltest jetzt besser den Laden abschließen.«
Jimmy nickte und ging zur Tür, die .38er hatte er immer noch in der Hand. Er hängte ein Schild in die Tür, das vermutlich »Geschlossen« auf Chinesisch bedeutete und kam zurück.
»Willst du die Polizei anrufen? Ich werde aussagen, dass es Notwehr war.«
Ich bereute die Worte bereits, als ich sie sagte, weil ich mir über die Konsequenzen, die folgen würden, im Klaren war. Aber in meiner Welt lässt man einen Freund nicht hängen. Ja, das ist eine bescheuerte Einstellung für einen Kerl wie mich, aber es ist alles, was ich habe.
Also war es schon eine Erleichterung für mich, als Jimmy sagte: »Keine Polizei.«
»Hast du große Plastiktüten da?«
»Was?«
»Du willst doch kein Blut auf deinem Boden haben.«
»Oh«, sagte er abwesend. Er ging in den hinteren Teil des Raumes und kehrte mit einem geblümten Duschvorhang wieder zurück. Passend.
Aus meinen Gesichtsporen sickerte kalter Schweiß, und ich zitterte immer noch leicht, als ich ihm half, die Leiche des Mannes auf den Plastikvorhang zu hieven. Wir wickelten ihn ein, wie er war, eine Hand immer noch die Waffe umklammernd, und dann zogen wir die Leiche in das Hinterzimmer, wo Jimmy immer seine Patienten behandelte.
Wir machten eine Pause. Ich zündete mir eine Zigarette an und fragte mich, ob Jimmy irgendwo was Alkoholisches versteckt hatte.
»Kann ich mir eine schnorren?«, fragte Jimmy mit gezerrter Stimme.
»Du rauchst?«
»Jetzt, ja.«
Ich gab ihm Feuer. »Willst du darüber reden, was gerade passiert ist?«
»Die neue Dreizahl.«
»Dreizahl?«
»Bauunternehmer, Zangen, Politiker.«
Ich deutete auf den leblosen Körper. »Zu welcher Sorte gehörte er?«
»Auftragskiller der Bauunternehmer.«
Er zog an seiner Zigarette und hustete.
»Etwas Alkohol könnte deine Kehle befreien.«
»Ja, gute Idee.«
Er durchstöberte einen Aktenschrank und fischte eine Flasche mit chinesischem Etikett heraus. Er nahm einen Schluck und reichte sie mir.
Der Fusel schmeckte wie hundert Prozent reiner Alkohol und brannte sich seinen Weg durch meine Speiseröhre in meinen Bauch, wo er wie ein unterseeischer Vulkan brodelte.
»Wow, was ist das?«, fragte ich, als sich meine Stimmbänder wieder erholt hatten.
Jimmy lachte beinahe. »Chinesischer Mondschein.«
Was auch immer, es half definitiv, meine zerstreuten Nerven wieder zu sammeln.
»Denkst du, dass der Typ hier war, um dich umzubringen?«
»Diesmal vielleicht nicht. Er bedrohte stattdessen meine Familie.« Die Vehemenz durchschnitt seine ruhige Stimme wie eine Rasierklinge.
»Was wollte er?«
»Sie wollen dieses Gebäude hier.«
»Sie?«
»New World Developers.«
Ich machte mir eine geistige Notiz, um nachzusehen, wer diese Leute waren, und nickte in Richtung der Leiche. »Wir können ihn nicht so hier liegen lassen.«
Jimmys normalerweise unbewegte Miene sackte ab. »Ich muss mir was einfallen lassen.«
Dankbar für die betäubende Wirkung des Alkohols setzte ich mich in den gepolsterten Ledersessel und wartete. Jimmys Therapieraum beinhaltete auch eine Massageliege, diverse Heizlampen, eine bewegliche Ablage mit kleinen Flaschen gefüllt mit Ölen und Zaubertränken, einen Kühlschrank, und einen riesigen, altmodischen Apothekerschrank, der mindestens hundert kleine Schubladen enthielt. Mein Sessel stand hinter einem schwarzen Mahagonitisch. Jimmy hatte sich mit gesunkenem Kopf auf der Massageliege niedergelassen.
Ich rauchte meine Zigarette und wartete. Jimmy war schmächtig mit großen, fähigen Händen und ehrwürdiger Zuversicht. Er war Anfang vierzig mit scharfen Gesichtszügen und intelligenten Augen. Als er seinen Kopf hob, waren seine Augen getrübt.
»Heute spät nachts kann ich ihn wegbringen.«
Ich schaute auf meine Uhr. Es war beinahe 18 Uhr.
»Was machen wir bis dahin?«
»Ich muss zurück nach Hause, sichergehen, dass meine Frau und meine Tochter okay sind. Du musst nicht zurückkommen.«
»Glaubst du, dass du den Kerl alleine bewältigen kannst?«
Jimmy sprang von der Liege auf. »Du hast mir bereits genug geholfen, Max.«
»Weißt du schon, wo du ihn entsorgen willst?«
»Noch nicht.«
»Ich treffe dich hier um 23 Uhr.«
Jimmy schaute auf die Leiche und schüttelte dann traurig seinen Kopf. »Nein. Triff mich bei Mr. Bing's.«
***
Die Straßen waren voll von Bewohnern der Nachbarschaft, die gerade von der Arbeit nach Hause zurückkehrten. Viele hatten Tüten mit Mitnahme-Essen bei sich. Die Restaurants waren bereits in vollem Betrieb und Touristen liefen herum, auf der Suche nach einem General Tso's Chicken.
Immer noch fassungslos schnappte ich mir den 12er Pazifik Bus und ließ mich nieder für die lange Fahrt zur Mission. Ich mag Busse. Geben mir Zeit zum Nachdenken. In diesem Fall dachte ich darüber nach, warum ich in diese Scheiße von einem sich abzeichnenden Gefecht mit hineingezogen wurde. Ich habe niemanden erschossen. Tatsächlich war der eine Treffer, den ich gelandet habe, eine reine Selbstverteidigungsmaßnahme gegen einen bewaffneten Mann.
Okay, ich könnte wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden, aber der alte Delaney würde auf mich warten, um mich aufzufressen und meine Knochen auszuspucken, in dem Moment, als ich den Gerichtssaal verließ.
Auf der anderen Seite, wenn ich Jimmy dabei half, die Leiche zu entsorgen, wären wir beide aus dem Schneider. Zumindest solange, bis sich unser unbekannter Bauunternehmer sich zu fragen beginnt, wo sein Kampfhund abgeblieben ist. Dann würde Jimmy ein weiterer Besuch abgestattet werden, oder vielleicht sogar Schlimmeres.
Nicht dein Problem, sagte ich mir. Ja, richtig.
Es war noch etwas früh für exzessives Trinken, und das unliebsame Geschäft, das mich später noch erwartete, dämpfte meine Feiertagsstimmung. Ich war längst überfällig zu meinem Treffen mit meiner Freundin Nina in der Bar, wo sie später am Abend noch arbeiten musste.
Ich stieg an der Fünfzehnten und der Mission aus, und machte mich auf den Weg zur Valencia Street. Vor ein paar Jahren war dieses Ghetto das Hoheitsgebiet von Künstlern, Junkies, Latino Gangmitgliedern, radikalen Buchhandlungen, Storefront Organisationen, Rocker Bars, großartigen, billigen Burritos und niedrigen Mieten. Sozusagen das East Village West von San Francisco.
Und beide Viertel hat über die Jahre das gleiche Schicksal getroffen.
Gentrifizierung.
Besser bekannt unter dem Namen Kastration.
Um ehrlich zu sein: Ein paar der Änderungen sind nutzerfreundlich. So zum Beispiel die Erschaffung von Parklets wie z. B. Fahrradständern vor dem Four Barrel, einem Kaffeegiganten. Für all diejenigen, die erst noch gentrifiziert werden würden, ist ein Parklet eine einfache Holzterrasse quer über zwei Parkplätzen, um Platz zu schaffen, damit sich Leute hinsetzen konnten.
Dieses hier ist möbliert mit Tresen und Stühlen, damit die Massen der zwanzig oder mehr Leute Platz hatten, um ihre Laptops abzustellen und ihren überteuerten Kaffee im Freien trinken zu können. Nicht wie diese alten Mission Cafés mit ihren zerschlissenen Couches, Schachbrettern auf den Tischen, Bücherregalen, zeitunglesenden Leuten und Dollar Espresso.
Da liegt der Hund begraben. Das Emporium fängt bei drei Dollar für den Hauskaffee an und arbeitet sich hoch bis sechs oder sieben Dollar, für all diejenigen, die sich lieber ein handgerührtes Gebräu in die Kehle schütten.
Das Parklet war überfüllt mit arroganten, jungen technisch Begabten, also machte ich einen auf Oldschool. Ich ging ein paar Blocks weiter zu einem Café namens Muddy Waters, holte mir den Kaffee des Tages für einsfünfundsiebzig, und setzte mich an einen Fenstertisch. Rücken zur Wand, Blick auf die Straße. Alte Gewohnheiten eines Undercover-Drogenfahnders. Ich nippte an meinem Kaffee und schlug mein neues Buch auf. Als ich zu lesen anfing, fiel mir auf, dass die Buchecken mit roter Tinte gefärbt waren. Da dämmerte es mir, dass es nicht etwa rote Tinte, sondern Blut von jemandem war, der kürzlich dahingeschieden ist.
Ich las etwa eine Stunde lang, bevor ich mich wieder auf den Weg machte. Ich entschuldigte mich bei Bill Gibson und ließ den Roman unbeendet zurück.
DNA kann eine Schlampe sein.
Busfahrt, Kaffee, langer Spaziergang: Nichts davon zerstreute das Gefühl der Vorahnung, das wie ein Geier mit scharfem Blick über mir schwebte. In wenigen Stunden würde ich Jimmy Shu dabei helfen, eine Leiche zu entsorgen.
Kostenlos.
Nicht gerade das hellste Licht im Hafen.
Es war beinahe 20 Uhr, aber Nina würde ihre Schicht schon angefangen haben. Auf meinem Weg hielt ich an einer Taqueria an, um mir einen Burrito und mein obligatorisches Bier zu genehmigen. Außerdem bestellte ich einen Burrito zum Mitnehmen.
Das Lone Palm hatte alle Annehmlichkeiten einer guten Bar. Es lag abseits, hatte gedimmtes Licht, wurde von interessanten Leuten besucht, und die Barkeeper spielten gute Musik.
Außerdem hatte es eine Barkeeperin mit einem Weltklasse Hintern. Meine wichtige Lady Nina.
Im Augenblick war Nina ziemlich schlecht auf mich zu sprechen.
Vor ein paar Jahren habe ich ihr geholfen, ihre Cousine aus den Fängen einer Bikergang zu befreien, die sie entführt hatte. Außerdem habe ich auch Nina gerettet. Dabei kamen wir uns ziemlich nahe.
Nachdem sich alles etwas gesetzt hatte, haben wir einen langen, faulen Urlaub in Mexiko verbracht, und da kamen wir uns noch näher. Nina hat sogar meinen Namen auf ihrem wunderbaren Hintern tätowiert.
Das Problem war, dass ich mit zu vielen Dämonen zu kämpfen hatte, die ich nicht mit ihr teilen konnte.
Nina wusste, dass ich eine Ex-Frau hatte, wusste aber nur sehr wenige Details. Sie war sehr geduldig gewesen, aber ich machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass ich vorhatte, Junggeselle zu bleiben.
Nina war jedoch eine Latina, und ihre Geduld brach aus wie der Mount St. Helens.
Gegenwärtig war sie in der Gletscher-Phase. Sie sprach mit einem jungen Paar am Ende des Tresens und tat so, als würde sie nicht sehen, dass ich hereinkam.
In der Hoffnung, ihren Widerstand zu schmelzen, ließ ich den in Alufolie eingewickelten Burrito über die Theke gleiten. Ninas Augen wanderten von dem Burrito zu meinem schwachen Lächeln und dann wieder zurück zu ihren Kunden.
Still saß ich da und wartete, bis ich an der Reihe war.
Ich war jedoch kurz davor, mich aufzuregen. Es war so schon ein verdammt beschissener Tag gewesen. Und okay, ich wollte keine feste Beziehung mit ihr, aber wie machte das plötzlich einen schlechten Kerl aus mir?
Ninas Stimme durchbrach meinen Ärger.
»Hallo, Max.«
»Hi.«
»Was trinkst du heute?«
»Pátron.«
Sie goss eine beträchtliche Portion Tequila ein, und als ich einen Zwanziger auf den Tresen legte, schob sie ihn zurück.
»Danke für den Burrito, Max. Das war nett von dir.«
Ich zuckte mannhaft mit den Schultern und hob mein Glas. »Auf dich, mein Kind.«
Mein Trinkspruch wurde ignoriert. Ein Kunde am Ende des Tresens erregte Ninas Aufmerksamkeit und sie ging hinüber.
Der Pátron verbrannte ein wenig von der Anspannung. Der Riemen um meinen Bauch gab ein klein wenig nach und ich nahm meinen ersten tiefen Atemzug, seit ich Jimmys Geschäft betreten hatte. Es fühlte sich so gut an, dass ich gleich noch einen nahm.
Nina kam in mein Blickfeld. »So frisch ist die Luft hier drin nicht, Max.«
Sie aß den Burrito.
»Du hast Recht. Gießt du mir nochmal nach?«
»Nur, wenn du versprichst, ihn langsam zu trinken.«
Ich hob meine Hand. »Hiermit schwöre ich.«
Sie schaute mich lange an, honigfarbene Augen suchten mein Gesicht ab, dann ging sie weg.
Während ich mich fragte, was das war, nippte ich brav an meinem Pátron.
Wenn man von der grauenvollen Aufgabe, die vor mir lag, einmal absah, fing ich an, mich besser zu fühlen. Die Bar füllte sich langsam mit ungebundenen Hipstern, die gerne tranken und Dinge besprachen. Die Mädchen waren attraktiv und die Jungs trugen lange Hosen. Ich beobachtete Nina dabei, wie sie professionell Drinks mixte und servierte, und hörte den Eagles zu, wie sie mich im Hotel California begrüßten. Als ich meinen Tequila zur Hälfte geleert hatte, entschied ich mich, auf eine Zigarette nach draußen zu gehen.
Die Straße war ruhig. Ich ging vom Eingang weg und zündete mir eine an.
Nach ein paar grüblerischen Zügen freute ich mich, dass Nina ebenfalls nach draußen kam und mir Gesellschaft leistete.
»Ich dachte, du hättest aufgehört.«
Sie verschränkte ihre Arme, als ob ihr kalt wäre.
»Ich rauche nur noch zu besonderen Gelegenheiten. Hast du eine übrig?«
Wir standen ein paar Augenblicke stumm im Halbdunkel. Dann drehte sich Nina um und sah mich erneut mit diesem suchenden Blick an.
»Max...Max, ich glaube, wir sollten uns nicht mehr sehen. Nur für eine Weile.«
Was zum Teufel?
Mein innerlicher Aufzug stürzte plötzlich fünfzig Stockwerke in die Tiefe und drückte mir die Luft aus meinem Magen.
»Gibt...es einen anderen?«, war alles, was ich zusammenbrachte.
Sie sah weg. »Nichts in der Art. Ich habe über uns nachgedacht, und es ist das Beste. Ich brauche viel mehr, als du mir im Moment geben kannst.«
Es spielt keine Rolle wie hart, kalt, cool, gefährlich, berühmt, reich, mächtig, gebildet, stark, gutaussehend, oder clever man ist. Wenn dir eine Frau mal unter die Haut geht, wirst du wieder zu einem Abschlussballdate und schwitzt in deinem geliehenen Smoking.
Und ich war keine Ausnahme.
Meine Kehle war wie zugeschnürt, mein Herz hämmerte, und meine Gefühle heulten wie ein Hund, der sich verirrt hatte.
»So mir nichts dir nichts.«
»Nein, nicht so mir nichts dir nichts, Max«, sagte sie sanft. »Du hast mich nicht verstanden.«
»Was meinst du?«
»Es tut mir leid, Max. Ich muss wieder zurück zur Arbeit.«
Das habe ich verstanden.
Sie ließ die Zigarette fallen und trat sie aus. Das war jetzt eine Metapher.
Als ich sie dabei beobachtete, wie sie rein ging, fühlte ich mich so einsam wie an dem Tag, an dem ich obdachlos wurde, ein namenloser Flüchtling. Wie betäubt ging ich los, bis ich ein Taxi sah und ließ mich zurück nach North Beach fahren.
Der krönende Abschluss eines perfekten Tages.
Zurück im Ghetto schaute ich im Specs vorbei und fand einen Platz in der Ecke der Bar wo ich in Selbstmitleid und Tequila schmoren konnte. Bis ich mich an die gefährliche Aufgabe erinnerte, die mir bevorstand. Gefühle sind eine Sache. Aber diese Leiche war ein harter Brocken.
Ich entschied mich daher für eine Margherita und schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde bis zu meinem Treffen mit Jimmy. Zeit, mein Pokerface aufzusetzen.
Die nächsten sechzig Minuten saugte ich an meinem Drink und fertigte eine ausgeklügelte To-do-Liste an, die ich auf eine Papierserviette kritzelte. Ich bestellte einen Kaffee und ging die Liste erneut durch. Dann ging ich auf eine Zigarette nach draußen und verbrannte die Serviette.
Alte Gewohnheiten.
Mr. Bing's ist eine Kellerbar die Jack Kerouac Alley am Rand von Chinatown runter. Die Musik ist laut, die Getränke sind billig, und die Kundschaft ist brisant. Touristen, Stricher, Nutten, chinesische Gelehrte, Stripperinnen aus den umliegenden Clubs, Durchreisende, und Leute mit Problemen...wie ich.
Ich war früh dran, aber es schien gerade Spitzenzeit zu sein. Der Boss lief gerade auf der Jukebox und jeder hier war Born to Run, dazu bestimmt, zu flüchten. Ein weißhaariger Kerl laberte gerade ein paar üppig zurechtgemachte Damen an, zwei Chinesen in Anzügen waren in eine hitzige Diskussion vertieft, und der Barkeeper servierte drei Touristinnen in Tanktops, die sich über alles und jeden lustig zu machen schienen, Bier.
Der Barkeeper war ein kleiner, flinker Asiate mit einem breiten Grinsen, der sofort zu mir herüberkam, als ich mich setzte.
Ein weiterer Drink hätte vielleicht meine Fähigkeiten gedämpft, wenn nach den Ereignissen des Tages überhaupt noch welche im Dienst waren. Also ging ich einen Kompromiss ein.
»Pátron pur und eine Coca-Cola.«
Der Barkeeper grinste. »Kein Pátron. Wie wäre es mit Hornitos?«
»Klar.«
Ich hatte ohnehin nicht vor, den Tequila zu trinken. Es war die Cola, die ich brauchte.
Als die Drinks vor mir abgestellt wurden, kam Jimmy. Er sah müde aus.
»Ich nehme das gleiche«, sagte er und nahm auf dem Hocker neben mir Platz.
Er wartete, bis ihn der Barkeeper bediente und er rückte von mir ab, bevor er sprach.
»Alles ist bereit...glaube ich. Mein erstes Mal.«
»Ich habe eine Liste von Dingen angefertigt, die wir heute Abend gebrauchen könnten«, sagte ich und lehnte mich zu ihm hinüber. Ich ging die Sachen in Gedanken durch, als die Musik von Sympathy for the Devil zu Thriller wechselte.
Jimmy nickte. »Ich habe alles davon.« Er kippte seinen Tequila runter und sah mich an. »Das hab ich jetzt gebraucht. Ich habe gerade mein kleines Mädchen ins Bett gebracht.«
Ich deutete auf meinen Schnaps. »Den kannst du auch haben.«
Er hielt inne, dann leerte er das Glas.
»Bist du bereit?«
Ich versuchte, beruhigend zu wirken, aber ich hatte die Gewissensbisse eines Mitangeklagten.
»Ich habe einige Vorbereitungen getroffen.«
»Dann lass uns loslegen.«
Jimmys Vorbereitungen waren beeindruckend. Die Leiche lag noch da, wo wir sie zurückgelassen hatten, aber es stand eine große Sackkarre daneben. Jimmy reichte mir die Gummihandschuhe, um die ich ihn gebeten hatte, und ich wickelte die Leiche teilweise aus. Vorsichtig, damit sich das getrocknete Blut nicht irgendwie verflüssigte, fingerte ich die Geldbörse des Mannes aus seiner Jackentasche.
Jimmy brachte mir auch den kleinen Staubsauger, nach dem ich verlangt hatte. Ich saugte damit behutsam über die Leiche, um Spuren von Kräutern aus Jimmys Laden zu beseitigen. Heutzutage ist die Forensik sehr fortgeschritten. Man braucht nur fernzusehen.
Als ich den Leichnam wieder einwickelte, zog Jimmy einen leeren Koffer herbei und stellte ihn auf der Sackkarre ab. Dann hoben wir den Toten auf und legten ihn im Koffer ab.
Da überraschte mich Jimmy wirklich.
»Hier entlang«, sagte er, als er die Karre durch eine Tür schob.
Die Tür führte in einen langen, unbeleuchteten Tunnel, der nach abgestandenem Wasser roch.
Jimmy ging voraus, der Strahl seiner Taschenlampe durchstach das feuchte Dunkel.
»Hier in Chinatown gibt es jede Menge solcher Tunnel«, erklärte er, »während der Prohibition waren diese sehr praktisch. Dieser hier führt genau in meine Lagerhalle gegenüber der Straße.«
Als wir vornübergebeugt gingen, klang das leise Poltern der Transportrollen der Sackkarre in der Enge wie ein Klagelied bei einer Beerdigung. Der Tunnel war lang und mein Rücken fing an, sich zu versteifen als Jimmy eine Tür aufsperrte und die Karre in einen Raum zog, der mit Fässern und Kisten, die ordentlich mit Etiketten in chinesischer Schrift versehen waren, vollgestellt war.
»Mein Van ist vorne geparkt. Ich gehe raus und mache die Tür auf.«
Bis hierher hatte sich Jimmy gute Noten für seine Leistungen verdient.
Ich wartete, bis die Seitentür des Vans offen war und schob dann die Sackkarre nach draußen. Wir packten den Koffer an gegenüberliegenden Seiten und hoben ihn in das Fahrzeug. Er war schwer und mein Rücken fing ernsthaft an, zu protestieren.
Jimmy verstaute die Karre im Inneren und zog die Tür zu, dann gingen wir zurück, um seine Lagerhalle abzuschließen. Als ich in den Van einstieg, überprüfte ich die Straße. Jimmys kleines Lager befand sich in der Grant Street, die um diese Zeit nahezu verlassen war. Wir haben den Leichnam unterirdisch beinahe einen Block weit transportiert.
Jimmy startete den Motor und fuhr langsam los. Ich überprüfte den Seitenspiegel. Keiner war zu sehen. Der Transport hat keine drei Minuten gedauert. Alles lief glatt, bis wir die Aufmerksamkeit eines Verkehrspolizisten erregten.
»Wo bringen wir den Kerl hin?«
Jimmy schüttelte mit seinem Kopf. »Über den Teil hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vorschläge?«
Ich habe darüber nachgedacht. »Ja. Fahr in Richtung Süden zur 208.«
»Was ist da?«
»Devil's Slide.«
Jimmy spannte seinen Kopf an, als ob er sich unsicher wäre. »Nicht viel Spielraum. Wir werden schnell arbeiten müssen.«
»Das werden wir. Nimm die Pacifica Ausfahrt.«
Zwanzig Minuten südlich von San Francisco gelegen ist Pacifica eine ländlich am Meer gelegene Gemeinde, wo die Leute am Pier angeln und die Surfer den Strand regieren. An einem klaren Tag würde man einen oder zwei Drachen über dem stahlblauen Wasser kreisen sehen.
Pacifica ist außerdem die Heimat des Sea Bowl, einem Luxus-Bowlingcenter mit einem riesigen Parkplatz. Jimmy bog auf den Parkplatz ein und hielt am hinteren Ende an. Wir gingen beide in den hinteren Teil des Vans, zogen die Leiche aus dem Koffer und legten sie neben der Seitentür ab.
Als das erledigt war, verließen wir den Parkplatz des Sea Bowl und fuhren langsam in südlicher Richtung zur Half Moon Bay. Der zwölf Meilen lange Abschnitt beginnt als kurvige Bergstraße durch ein bewaldetes Gebiet und endet in einer engen, zweispurigen Fahrspur, die sich um den Abgrund einer Klippe schlängelte.
Zweihundert Meter weiter unten kracht die schwere Brandung gegen spitzige Felsen und das einzige, was dich davon abhält, hinabzustürzen, ist eine lächerlich niedrige Leitplanke.
Denk dir dazu noch die regelmäßigen Matschpfützen, die mit dem Regen kommen, und du weißt, warum das Ding hier Devil's Slide heißt.
Es war eine klare Nacht und das Bisschen Verkehr auf der Straße war ersichtlich. Im Augenblick war da keiner.
»Jetzt.«
Auf mein Kommando hielt Jimmy den Wagen an und schaltete das Licht aus. Wir verließen das Fahrzeug wie eine Boxenmannschaft, zogen die Seitentür auf und öffneten den Plastikvorhang, in den der Körper eingewickelt war. Das Blut war getrocknet, aber es klebte, was beim Lösen ein Geräusch machte, als ob man Klebeband entfernte. Die Kanone war immer noch in seinen steifen Fingern. Ich stupste die Waffe zaghaft an, aber der Griff des toten Mannes ließ nicht locker. Sei's drum.
Ich nahm ihn bei den Schultern, Jimmy bei den Beinen und wir beförderten ihn aus dem Van.
»Auf drei«, grunzte ich auf meinen Rücken achtend.
Wir schwangen die Leiche einmal, zweimal und dann über die Leitplanke. Er prallte an den Felsen weit unter uns ab und verschwand in der dröhnenden Brandung. Neunzig Sekunden später waren wir auf dem Weg in Richtung Half Moon Bay.
Sobald wir das Ende des kurvigen Abschnitts erreicht hatten, drehten wir um und fuhren zurück in die Stadt. Unterwegs entsorgten wir unsere Einweghandschuhe, den blutigen Duschvorhang und den Koffer. Außerdem leerten wir den Inhalt des tragbaren Staubsaugers aus.
Das Letzte war die Geldbörse.
Der Name auf dem Führerschein war Peter Ng und er lebte in Oakland.
Ich schrieb mir die Nummer seines Führerscheins auf, sowie die auf seinen Kreditkarten. Dann entsorgte ich die Karten in einem Abwasserkanal. Das einzige was ich behielt, war die Visitenkarte, die hinter seinem Führerschein steckte.
Der Firmenname darauf lautete New World Investments, der Name darunter Taylor Kingston. Er war CEO. Auf der Rückseite der Karte stand eine handgeschriebene Telefonnummer mit einer 301er Vorwahl - Beverly Hills.
»Ich brauche einen Drink«, sagte Jimmy.
Er fand einen Parkplatz in Chinatown und bevor ich aus dem Van stieg, leuchtete ich den hinteren Teil des Vans nochmal mit der Taschenlampe aus.
»Sieht sauber aus«, sagte ich. »Alles okay bei dir?«
»Wie ich bereits sagte, ich brauche einen Drink.«
Wir gingen ins Specs und fanden im hinteren Teil einen Tisch. Zum Teil Museum und unkonventionell, ist das einer der letzten richtigen Läden in San Francisco. Das Beste daran ist jedoch, dass es halbwegs anonym ist.
Jimmy bestellte Cognac. Ich blieb beim Tequila. Er leerte sein Glas. Und ich tat es ihm gleich.
»Ich schulde dir was, Max«, sagte Jimmy, als wir auf eine weitere Runde warteten.
»Aus dir spricht der Alkohol.«
»Nein, im Ernst, Max. Wenn du nicht hereingekommen wärst...wie auch immer, ich bin dir einen riesen Gefallen schuldig. Oder noch besser - einen lebenslangen Gefallen.«
Die Bedienung kam an, was mir eine Antwort ersparte.
Jimmy trank das meiste seines Cognacs und lehnte sich nach vorne. »Du wusstest heute Abend wirklich, was du tust.«
»Du warst aber auch ziemlich gut vorbereitet.«
»Ja, ich transportiere meine Ware durch den Tunnel hin und zurück, aber du«, er lehnte sich näher herüber, »du kanntest jedes noch so kleine Detail.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Militärausbildung.«
»Beim Militär lernen sie dir nichts über Forensik.« Er lehnte sich noch näher herüber. »Ist das der Grund, warum du deine Post zu mir schicken lässt?«
»Ich gehe meiner Ex-Frau aus dem Weg.« Das stimmte zum Teil.
Jimmy kippte den Rest seines Cognacs runter. »Meine Adresse ist deine Adresse, Max. Jetzt und für immer.«
Seine Augen strahlten und ich erkannte, dass der Rausch seinen sinkenden Adrenalinspiegel von neuem befeuerte. Was mich betrifft, meiner ist verschwunden, oder vielmehr stark abgefallen, in einen Abgrund in der Mitte meiner Brust - an deren Stelle eigentlich mein Herz sein sollte.
Ich hatte geschafft, es abzuwenden, aber jetzt gab es keine Entschuldigung mehr. Meine Aufgabe war erledigt, jetzt war es an der Zeit, meinem Leben ins Gesicht zu blicken.
Da gab es nichts.
Ninas plötzliche Trennung ließ mich von der einzigen menschlichen Verbindung, die ich hatte, abdriften. Ließ mich ohne Helm im Weltraum zurück. Und das Allerschlimmste war, wenn ich so darüber nachdachte, dass sie Recht hatte.
Jede halbwegs gesunde Frau hätte mich bereits vor Jahren verlassen. Sicher, ich hab ihr Leben gerettet, aber seit dem Augenblick habe ich emotionalen Abstand zu ihr gehalten. Sie hatte mich noch nicht einmal in meiner Wohnung in North Beach besucht, was mich an etwas erinnerte. Ich hatte gehofft, dass wir heute Abend dorthin gehen würden.
»Geht's dir gut, Max?«
Ich blickte von meinem Glas auf. Jimmys glasige Augen schielten mich besorgt an.
Ich lachte. »Ich denke gerade über eine verschwundene Person nach.«
Er nickte. »Damit kenne ich mich aus.«
Sorry, Jimmy, dachte ich, du hast eine Frau, eine Tochter und ein Geschäft. Du hast keine Ahnung, wie es im Weltraum zugeht. Noch nicht.
»Früher oder später werden die New World Developers einen Suchtrupp losschicken«, sagte ich, um das Thema zu wechseln.
Das machte ihn schlagartig nüchtern.
»Ich mache mir um meine Familie Sorgen. Auf mich kann ich aufpassen.«
»Können sie irgendwo unterkommen, bis das hier vorüber ist?«
Er lächelte mich traurig an und schüttelte mit seinem Kopf. »Wir beide, meine Frau und ich, sind hier geboren. Wir zahlen unser Apartment ab, und Christine geht hier zur Schule. Außerdem helfen wir unseren Eltern, die auch in Chinatown leben. Ich kann nirgendwo hin, Max.«
»Eines musst du tun.«
»Und das wäre?«
»Besorge dir eine neue Waffe. Entsorge die alte.«
»Ja, sicher, natürlich. Jetzt weißt du was ich meine, Details.«
Ich zog die Nase hoch und schüttelte mit dem Kopf. »Das ist das Standardvorgehen bei Verbrechen. Siehst du denn nicht fern?«
»In letzter Zeit nur das Kinderprogramm. Was mich daran erinnert: Sie stehen früh auf.«
»Geh nach Hause. Es war ein harter Tag.«
Er nickte erschöpft. »Das war es. Aber, Max...?«
»Ja?«
»Wo bekomme ich eine neue Waffe her?«
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wir sprechen darüber, wenn ich meine Post hole.«
Er stand auf, um zu gehen. »Morgen dann?«
»Ich werde morgen nicht viel unterwegs sein«, sagte ich mit einem Mindestmaß an Bestimmtheit. »Übermorgen, okay?«
»Ich sehe dich dann, Max.« Er schüttelte meine Hand. »Und danke.«
Ich sah ihm dabei zu, wie er mit hängenden Schultern und vornübergebeugtem Kopf ging, sein Körper unter der Last von Sorgen begraben. Heim und Familie war ein zweischneidiges Schwert. Was mich betrifft, ich bin bereits auf meine Klinge gefallen.
Jimmy war weg, meine Pflichten waren erfüllt, jetzt konnte ich mich in aller Ruhe meinem nach innen gerichteten Ärger hingeben. Gemeinhin war das als grausame Depression bekannt.
Ich trank noch ein paar Tequilas, ärgerte mich über meine Unfähigkeit, die Situation mit Nina zu entspannen. Ärgerte mich darüber, dass ich in einer Situation gefangen war, die mich davon abhielt, Nina hinterherzulaufen, anstatt sie gehen zu lassen. Wütend darüber, freiwillig die Leichen anderer Menschen zu entsorgen.
Es musste offensichtlich sein, denn die Stammkunden wichen meinem Blick aus. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte, dass ich nicht betrunken wäre und stritt mit der Bedienung, als sie sich weigerte, mir einen weiteren Doppelten zu bringen. Ich entsinne mich, dass ich zum Golden Boy Pizza ging, als ich die Bar verließ.
Woran ich mich nicht mehr erinnern kann, ist, wie oder wann ich nach Hause gekommen bin.
»Ich wurde so schwer verbrannt, dass ich noch immer rauche.«
Angela Strehli (Blues-Sängerin)
Es war spät am Morgen, als ich aufwachte.
Aber ich war nicht im Bett.
Ich lag auf dem Boden neben meinem Bett. Irgendwie hatte ich es geschafft, mich in eine Decke zu wickeln und ein Kissen unter meinen dröhnenden Schädel zu stopfen. Als ich mich langsam aufrichtete, wurden meine Rippen von einem scharfen Schmerz durchbohrt. Ich musste mich auf alle viere rollen, um auf meine Matratze zu klettern.
Ich sog vorsichtig tief die Luft ein und war erleichtert, als ich feststellte, dass keine meiner Rippen gebrochen war. Ich zog mein Shirt aus und entdeckte einen großen blauen Fleck auf meiner Brust. Mein Gehirn fühlte sich auch an, als wäre es von Hämatomen überzogen. Ich legte mich zurück und versuchte, mich zu erinnern.
Eine Stunde später öffnete ich meine Augen. Meine Kopfschmerzen hatten oberste Priorität, und ich hatte Hunger. Wie auch immer, Frühstück kam nicht in Frage. Ich humpelte ins Badezimmer und duschte lang und heiß. Dann kurz und kalt und nahm ein paar Aspirin.
Mobil, wenn auch nicht beweglich, zog ich mich an und ging raus.
Es war nach zwölf Uhr mittags und in North Beach war das Mittagessen in vollem Gange. Mario's hat guten, starken Kaffee, also habe ich mir einen großen Coffee to go besorgt, mich nach draußen gesetzt und über die Ruinen meines Lebens nachgedacht.
Außer allem anderen war mein Blackout besorgniserregend. Das ist der Trugschluss, wenn man seine Probleme wegtrinken will. Du wachst auf, fühlst dich wie Scheiße, deine alten Probleme sind immer noch da, aber du weißt, dass du ein neues hast.
So viel zum Thema verfickte Moralpredigt.
Die Wahrheit ist, dass mir das Leben unter den Füßen weggezogen wurde. Wieder einmal.
Nina war die Frau, nach der ich mich mein Leben lang gesehnt habe, obwohl ich es nicht einmal wusste. Anscheinend hatte mein früheres nettes Benehmen in ihr eine längere Lebensdauer. Um ehrlich zu sein, hatte ich Nina nur die Hälfte meiner Person gezeigt. Die ganze Person war giftig.
Für uns beide.
Ich konnte sie nicht dem Bösen aussetzen, das in meiner Welt lauerte.
Somit war ich am Arsch.
»Max.«
Die weibliche Stimme löste einen wahren Ereignisregen aus: Freude, Erleichterung, Dankbarkeit und elende Enttäuschung, als ich erkannte, dass es nicht Nina war.
Ich brauchte eine Sekunde, bis ich die blonde Frau erkannte, die mich anlächelte. Leslie war die Cocktail-Serviererin im Spec's. Sie hatte uns in der Nacht zuvor die Drinks serviert. Das Lächeln war beruhigend, aber ich war skeptisch. Ich wusste immer noch nicht, was gestern zwischen Sperrstunde und meinem Nachhausekommen, das mich mit schmerzenden Rippen aufwachen ließ, geschehen war.
»Leslie, was ist los?«, fragte ich vorsichtig.
»Danke für letzte Nacht. Das war großartig.«
Für einen angeschlagenen Moment fragte ich mich, ob wir im Bett gelandet sind. Selbstverständlich war Leslie entzückend mit langen blonden Locken, und intelligenten blauen Augen, aber an diesem Punkt brachte ich nichts Komplizierteres als einen Handschlag zusammen.
»Großartig? Normalerweise bin ich durchschnittlich.«
»Oh, komm schon, Max. Die meisten Typen wären nicht so eingeschritten. Du bist ein wahrer Kavalier.«
Eine Serie von verschwommenen Bildern brannte sich langsam in mein Bewusstsein. Ich trete aus dem Spec's in den Vorhof und zünde mir eine Zigarette an. Leslie steht draußen und spricht mit einem großen Kerl mit einem Pferdeschwanz. Offensichtlich macht ihr die Unterhaltung keinen Spaß. Sie dreht sich weg und geht zurück nach drinnen. Er packt sie am Arm.
Sie zieht ihren Arm weg. Er packt sie wieder und reißt ihr am Kopf. Fest.
Es war nicht der Alkohol, der meinen Blackout verursacht hatte. Es war die unkontrollierbare Wut, die dafür sorgte, dass ich über die Jahre zum Namen The Preacher - der Prediger gekommen bin.
»Oh, er war dein Freund?«
»Wäre er gern. Schlechte Nachrichten. Aber ich denke, du hast ihn davon überzeugt, sich dauerhaft von mir fernzuhalten.«
»Oh, und wie?«, fragte ich zaghaft, um nicht zu weit zu gehen.
»Er bildet sich ein, er wäre schlimm, weil er mal geboxt hat. Aber du hast seinen besten Schlag abgefangen und ihn zu einer Brezel geformt, bevor du ihm in seinen Arsch getreten hast.«
»Hoffentlich hatte ich nicht allzu viele Zuschauer. Es täte mir...äh, leid, wenn ich dich blamiert hätte.«
»Max, sei nicht dumm. Es ging alles so schnell, ich war die Einzige, die etwas davon mitbekommen hat.« Ihr Gesicht leuchtete, und ich erkannte Schwärmerei in ihren kornblumenblauen Augen.
Nina sah mich immer so an.
»Willst du einen Kaffee oder so?«
Ich wollte nicht, aber ihr klagender Ton traf ins Schwarze.
Ich hatte bereits meinen Frauenanteil enttäuscht, also sagte ich: »Klar.«
»Magst du das Trieste?«
»Ja, gute Entscheidung.«
Das Trieste ist ein weiteres Überbleibsel aus den goldenen Zeiten. Tradionsreich ist das Café im Dreieck, wo Grant auf Columbus trifft, angesiedelt. Es befindet sich direkt gegenüber der Church of Saint Francis, das durch das schöne Gedicht von Lawrence Ferlinghetti bekannt geworden war. Jeden Samstagnachmittag traten verschiedene Opernsänger vor einem großen Publikum auf. Dieser Ort war eng und gefüllt mit alten Künstlern, was es zu einem Abenteuer machte, einen Tisch zu finden. Sie servieren jedoch starken, guten Kaffee und frisches Gebäck, von dem ich beides brauchte, um meine vernebelten Sinne zu schärfen.
Wir fanden im hinteren Teil einen Tisch, wo wir ziemlich ungestört waren, denn im Trieste schaut jeder jeden an und doch sieht hier einen niemand.
Leslie plauderte, während ich mein Plunderstück aß, und ich tauchte hier und da in die Unterhaltung mit ein. Ich erfuhr, dass sie ihren Abschluss an der Bennington gemacht hatte, und einen kurzen Ausflug in PR machte, wobei sie mit örtlichen Prominenten wie Sean Penn und Metallica in Kontakt kam. Sie erzählte das alles sehr bescheiden, und ich erwischte mich dabei, wie ich von ihrer furchtlosen Intelligenz verzaubert wurde, ganz zu schweigen von ihrer reifen Sinnlichkeit.
Aber ich war in Gedanken nur bei Nina.
Und dann, als der Zucker und das Koffein die Asche meines Hirns entzündeten, erinnerte ich mich an den Toten, den ich über die Klippe der Devil's Slide entsorgt hatte. Ich machte mir eine geistige Notiz, mich an den Computer zu setzen und seine Personenstatistik auszugraben.
»Also, was machst du in den kommenden Tagen, Max?«
»Oh, du weißt ja, ich bin ein Technik-Nerd. Privatkunden, viel Arbeit von zu Hause aus, solche Sachen.«
Sie war gerade drauf und dran zu fragen, wo ich wohnte, bis ich die Unterhaltung abgelenkt hatte.
»Ich würde mich freuen, wenn ich deine Website updaten dürfte.«
Als ich es sagte, bemerkte ich, dass es sich anhörte wie eine Anmache eines Technikfreaks.
Leslie näherte sich mir und legte ihre Hand auf meine. Es fühlte sich an wie kaltes Wasser auf Wüstensand. »Du hast mir bereits mehr als genug geholfen«, sagte sie leise, ihr rosa Mund verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Aber vielleicht könnten wir Dienstleistungen austauschen?«
Ihre heisere Stimme versprach einen verheißungsvollen Nachmittag. Was sie nicht wusste, war, dass ihr Held ein böser Schurke in einer verbeulten Rüstung war, die von den vielen Niederlagen knirschte.
»Ja, das klingt super«, antwortete ich und tat so, als ob ich ihre Absicht dahinter nicht verstanden hätte.
Ein paar Minuten später trank Leslie ihren Kaffee aus und sagte, dass sie losmusste. Wir versprachen uns, dass wir uns E-Mails schreiben würden. Ich wartete, bis sie weg war, dann ging ich direkt nach Hause, um herauszufinden, wer der verstorbene Peter Ng wirklich war.