Christ und Antichrist: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Romantriologie) - Dmitri Mereschkowski - E-Book

Christ und Antichrist: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Romantriologie) E-Book

Dmitri Mereschkowski

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Beschreibung

Dieses eBook: "Christ und Antichrist: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Romantriologie)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Dmitri Sergejewitsch Mereschkowski (1865-1841) war ein russischer Schriftsteller. Bekannt wurde Mereschkowski durch eine Reihe historischer Romane und Novellen. Sein Roman Leonardo da Vinci (1901, mittlerer Teil der Trilogie Christ und Antichrist), der unmittelbar nach Erscheinen der russischen Ausgabe vielfach übersetzt wurde, erreichte weltweit - auch in Deutschland - enorm hohe Auflagen. Mereschkowski findet Erwähnung in den Tagebüchern Georg Heyms, der Leonardo da Vinci schätzte. Auch der 1896 erschienene erste Teil von Christ und Antichrist mit dem Titel Julian Apostata war zeitweise in Deutschland sehr bekannt und wurde in der Übersetzung von Alexander Eliasberg ediert. Der dritte Band der Trilogie, Peter und Alexej erschien 1905. Mereschkowskis Werke sind geprägt von der Idee eines epochenbildenden Widerstreits zwischen Christ und Antichrist und einer Vermischung dekabristischer Traditionen mit mystisch-orthodoxen Elementen und sein Schaffen stets auch politisch. In seinem Ost-West-Dualismus lehnt er das aufklärerische Westliche ab und schwärmt für einen "Osten" unter Bezug auf das Alte Testament und mystische Traditionen der ägyptischen Antike als das eschatologische "Dritte Reich".

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Dmitri Mereschkowski

Christ und Antichrist: Julian Apostata + Leonardo da Vinci + Peter und Alexej (Romantriologie)

Übersetzer: Alexander Eliasberg

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2010-9

Inhaltsverzeichnis

Julianus Apostata
Leonardo da Vinci
Peter und Alexej

Julianus Apostata

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Erster Teil
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
Zweiter Teil.
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis

I.

Inhaltsverzeichnis

Zwanzig Stadien von Cäsarea in Kappadocien entfernt, an den waldigen Vorsprüngen des Berges Argaeos befand sich in der Nähe der römischen Heerstraße eine heiße heilkräftige Quelle. Die griechische Inschrift auf einer Steinplatte mit roh ausgehauenen menschlichen Figuren meldete, daß diese Quelle einst den Brüdern Kastor und Pollux geweiht gewesen war. Die noch unversehrten Darstellungen der heidnischen Götter galten jetzt als die der christlichen Heiligen Kosmas und Damianus.

Der heiligen Quelle gegenüber, auf der anderen Seite der Landstraße, lag ein kleines Wirtshaus – eine mit Stroh gedeckte elende Hütte, mit einem schmutzigen Viehhof und einem Verschlag für Hühner und Gänse. Im Wirtshaus gab es nur Ziegenkäse, halbweißes Brot, Honig, Olivenöl und einen recht herben Landwein. Das Wirtshaus gehörte dem schlauen Armenier Syrax.

Ein Vorhang trennte die Gaststube in zwei Hälften: die eine war für das gemeine Volk, die andere für bessere Gäste bestimmt, An den rauchgeschwärzten Deckenbalken hingen geräucherte Schinken und Bündel wohlriechender Bergkräuter. Syrax' Frau, Fortunata, war eine gute Wirtin.

Das Haus stand in schlechtem Rufe. Niemand blieb dort über Nacht; es wurden auch verschiedene Schauergeschichten verbreitet, die sich in dieser Hütte zugetragen haben sollten. Syrax war aber nicht so dumm, daß man ihm etwas nachweisen könnte: er verstand es, am richtigen Platze zu schmieren, und kam immer mit heiler Haut davon.

Den Vorhang bildete Fortunatas alte verschossene Chlamys, die an zwei dünnen Säulen gespannt war. Diese Säulen waren der einzige Schmuck der Gaststube und ein besonderer Stolz des Syrax; die Vergoldung, die sie einst schmückte, war abgeblättert und wies zahlreiche Sprünge auf. Das einst grell-violette, nun aber graublaue Gewand war mit unzähligen Flecken in allen Farben und mit Spuren verschiedener Frühstücke, Mittag- und Abendessen bedeckt, die der tugendsamen Fortunata eine ständige Erinnerung an die zehn Jahre ihrer glücklichen Ehe waren.

In der besseren Abteilung hinter diesem Vorhang lag auf dem einzigen Ruhebett, das schmal und zerfetzt war, der römische Kriegertribun von der neunten Kohorte der sechzehnten Legion, Marcus Scudilo; vor ihm standen eine große zinnerne Weinkanne und mehrere Becher. Marcus war ein typischer Stutzer aus der Provinz, einer von jenen, die den übermütigen Sklavinnen und den billigen Hetären der Vorstadt den Ausruf des einfältigen Entzückens entlocken: »Welch ein schöner Mann!« Auf dem gleichen Ruhebette saß zu seinen Füßen in ehrfurchtsvoller, doch höchst unbequemer Stellung ein dicker Mann mit rotem Gesicht; es war der Centurio der achten Centurie, Publius Aquila. Er war asthmatisch, hatte einen vollkommen kahlen Schädel und spärliches, rauhes Haar, das vom Nacken nach den Schläfen zu gekämmt war. In einiger Entfernung von diesen beiden saßen auf dem Fußboden zwölf römische Legionäre, mit Würfelspiel beschäftigt.

»Beim Herkules,« rief Scudilo aus, »ich würde vorziehen, der Letzte in Konstantinopel zu sein, als der Erste in diesem Loch. Publius, ist denn das ein Leben? Sag es mir auf Ehrenwort, ist denn das ein Leben? Man hat ja hier nichts anderes in Aussicht, als das ewige Exerzieren, Kaserne und Feldlager. In diesem stinkenden Sumpf kann man verfaulen, ohne etwas von der Welt gesehen zu haben!«

»Ja, man darf wohl sagen, daß dieses Leben wenig Reiz bietet,« stimmte Publius zu. »Dafür hat man hier aber seine Ruhe.«

Der alte Centurio interessierte sich für das Würfelspiel der Soldaten; er tat so, als ob er dem Geschwätz des vorgesetzten lausche und machte ab und zu Zwischenbemerkungen; dabei verfolgte er aber aufmerksam das Spiel und dachte: »Wenn der Rote jetzt geschickt spielt, so gewinnt er mit einem Wurf die Partie.« Nur um den Anstand zu wahren, fragte Publius den Tribunen, als ob es ihn wirklich sehr interessierte:

»Warum, glaubst du, zürnt dir der Präfekt Helvidius?«

»Wegen eines Weibes, mein Freund, alles wegen eines Weibes.«

Im Anfalle geschwätziger Offenheit teilte Marcus dem Centurio geheimnisvoll und im Vertrauen mit, daß der Präfekt, »dieser alte Bock Helvidus«, auf ihn wegen einer zugereisten Hetäre, einer Lilibäerin, eifersüchtig sei; nun wolle er, Scudilo, sich mit irgendeiner wichtigen Dienstleistung das Wohlwollen des Präfekten wiedergewinnen. – In der Festung Macellum, die in der Nähe von Cäsarea lag, wurden die Vettern des regierenden Kaisers Constantius und Neffen Konstantins des Großen, Julianus und Gallus, die letzten Sprößlinge des unglückseligen Flaviergeschlechtes, gefangen gehalten. Als Constantius den Thron bestieg, ließ er aus Furcht vor Nebenbuhlern seinen Onkel Julius Constantius, den Vater von Julianus und Gallus und den Bruder Konstantins, ermorden. Noch viele andere Opfer mußten fallen. Seine Vettern verschonte er aber und verbannte sie in die entlegene Feste Macellum. Der Präfekt von Cäsarea, Helvidius, befand sich in einer recht schwierigen Lage. Er wußte, daß der neue Kaiser die beiden Jünglinge, die ihn beständig an sein Verbrechen erinnerten, hasse; er wollte den Willen des Kaisers erraten und fürchtete ihm zuvorzukommen. So lebten Julianus und Gallus in fortwährender Todesgefahr. Der schlaue Tribun Scudilo, der sich durch irgendein Verdienst beim Hofe auszeichnen wollte, hatte aus verschiedenen Andeutungen des Präfekten begriffen, daß dieser nicht die schwere Verantwortung auf sich nehmen wolle und von den Gerüchten über eine angebliche Verschwörung zur Entführung der Erben Konstantins eingeängstigt sei. So entschloß sich Marcus, mit einer Abteilung Legionäre nach Macellum zu gehen und die Gefangenen auf eigenes Risiko unter Bewachung nach Cäsarea zu bringen. Er glaubte, daß er von den beiden minderjährigen, verlassenen, vaterlosen Knaben, die dazu noch dem Kaiser verhaßt waren, nichts zu befürchten habe. Mit dieser Tat hoffte er das Wohlwollen des Präfekten Helvidius, der ihn wegen der rothaarigen Lilibäerin zürnte, wieder zu erlangen.

Marcus hatte dem Publius übrigens nur einen Teil seiner Absichten verraten und dies auch nur mit der größten Vorsicht.

»Was willst du nun eigentlich tun, Scudilo? hast du denn aus Konstantinopel irgendwelche Vorschriften erhalten?«

»Ich habe keinerlei Vorschriften; niemand weiß dort etwas Bestimmtes, Aber es schwirren Tausende von Gerüchten herum. Tausende von Erwartungen, Andeutungen, Drohungen und Geheimnissen, unzählige Geheimnisse! Was man einem direkt vorschreibt, kann ja jeder Dummkopf ausführen. Nun soll man aber den stummen Willen des Kaisers erraten; nur das bringt eine entsprechende Belohnung ein. Wir wollen sehen, versuchen, raten. Jetzt heißt es entschlossen und tapfer vorzugehen, und zwar unter dem Zeichen des Kreuzes. Auf dich verlasse ich mich vollkommen, vielleicht werden wir bald bei Hofe einen Wein trinken, der süßer ist, als dieser...«

Durch das kleine vergitterte Fenster fiel der trübe Schein des regnerischen Abends herein; der Regen rauschte eintönig.

Eine dünne Lehmwand mit vielen Rissen trennte die Gaststube vom Stall; er roch nach Dünger, die Hennen gackerten, die Schweine grunzten; man hörte Milch in ein Gefäß strömen: wahrscheinlich melkte die Hausfrau eine Kuh.

Die Soldaten gerieten wegen des Spielgewinnes in Streit und schimpften im Flüsterton aufeinander. Unten an der Wand, dicht am Fußboden, wo der Lehm vom Weidengeflecht ganz abgebröckelt war, guckte die zarte und rosige Schnauze eines Ferkels herein; es war in die Enge geraten, konnte den Kopf weder vorwärts noch rückwärts bringen und winselte jämmerlich.

Publius dachte:

»Nun, vorläufig sind wir dem Viehhofe viel näher als dem Kaiserhofe.«

Seine Unruhe war gewichen. Der Tribun war von dem unendlichen Geschwätz ermüdet und langweilte sich. Er blickte auf das Fenster mit dem regnerischen Himmel, auf die dumme Schnauze des Ferkels, auf den sauren Rest des elenden Weines im Zinnbecher, auf die schmutzigen Soldaten, und eine schwere Unmut bemächtigte sich seiner.

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, der auf den ungleichen Beinen wackelte, und schrie:

»Syrax! Du Spitzbube, gottloser Schurke! Komm mal her. Was ist das für ein Wein, du Taugenichts?«

Der Wirt eilte herbei. Er hatte pechschwarzes, fein gekräuseltes Haar und einen schwarzen blauschimmernden Bart; Fortunata pflegte in Anwandlungen ehelicher Zärtlichkeit diesen Bart mit einer süßen Weintraube zu vergleichen; ein zuckersüßes Lächeln umspielte immer seine roten Lippen; er war wie eine Karikatur auf Dionysos, den Weingott, und schien durch und durch schwarz und süß.

Der Wirt schwor bei Moses und Dindymene, bei Christus und Herkules, daß sein Wein ganz ausgezeichnet sei; der Tribun aber erklärte, er wisse ganz genau, in wessen Hause der Kaufmann Glabrio aus Pamphylien ermordet worden sei, er werde den Armenier schon einmal anzeigen. Der erschrockene Wirt eilte wie der Wind in den Keller und brachte mit feierlicher Miene eine Flasche von ungewöhnlicher Form herbei: sie war breit, unten flach und hatte einen dünnen mit Schimmel und Moos umsponnenen Hals; sie sah aus, als wäre sie vor Alter ergraut. Durch den Schimmel konnte man hie und da das Glas erkennen, das undurchsichtig war und in allen Farben des Regenbogens schimmerte; auf dem Brettchen aus Cypressenholz, das am Flaschenhalse befestigt war, konnte man mit einiger Mühe die Worte entziffern: »Anthosmium« und »annorum centum«, d.h. hundertjährig. Syrax aber beteuerte, der Wein sei schon zu Kaiser Diokletians Zeiten über hundert Jahre alt gewesen.

»Ist er schwarz?« fragte publius respektvoll.

»Schwarz wie Pech und duftend wie Ambrosia. He, Fortunata, zu diesem Weine gehören die Sommerbecher aus Kristall. Und bring uns noch aus dem Eiskeller reinen weißen Schnee.«

Fortunata brachte zwei Becher. Sie hatte eine angenehme gelbliche Hautfarbe, die an fetten Rahm gemahnte, und strotzte vor Gesundheit; sie schien einen Duft ländlicher Frische, den Geruch von Stall und Milch auszuströmen.

Der Schenkwirt blickte die Flasche mit großer Andacht an und küßte ihren Hals; dann entfernte er vorsichtig das Wachssiegel und zog den Korken heraus. In die Kristallbecher wurde etwas Schnee gelegt. Der anthosmische Wein floß in einem dicken, schwarzen, duftenden Strahle heraus, und der Schnee schmolz bei der Berührung mit dem feurigen Naß; die Kristallbecher wurden trübe und liefen vor Kälte an. Scudilo, der eine höchst mittelmäßige Bildung genossen hatte, und imstande war, Hekuba mit Hekate zu verwechseln, rezitierte den einzigen Vers Martials, den er noch wußte:

Candida nigrescant vetulo crystalla Falerno.

»Warte nur, es wird noch besser!«

Syrax holte aus seiner tiefen Tasche ein winziges Fläschchen, das aus einem einzigen Stück Onyx gefertigt war, und fügte mit wollüstigem Lächeln dem Weine einen Tropfen kostbaren arabischen Cinnamons bei; der Tropfen fiel wie eine weiße Perle in den schwarzen Wein und löste sich in ihm auf; ein seltsamer süßlicher Duft erfüllte sofort das Zimmer.

Während der Tribun langsam und entzückt den Wein schlürfte, schnalzte Syrax mit der Zunge und wiederholte in einem fort:

»Alle Weine aus Biblos, Maronea, Lacene und Ikarien sind nichts im Vergleiche zu diesem!«

Die Dämmerung brach an. Scudilo gab den Befehl aufzubrechen. Die Legionäre legten ihre Panzer an, setzten ihre Helme auf und schnallten an das rechte Bein eiserne Beinschienen; darauf ergriffen sie ihre Speere und Schilde und machten sich marschbereit.

Hinter dem Vorhange saßen vor dem Herde einige isaurische Hirten, die eher wie Banditen aussahen; vor dem römischen Tribunen standen sie ehrerbietig auf. Er sah in der Tat höchst majestätisch aus; sein Kopf war ihm schwer und in seinen Adern spielte noch der feurige Wein.

An der Schwelle nahte sich ihm ein Mann in einem seltsamen morgenländischen Gewande: er trug einen weißen Mantel mit roten Querstreifen und einen hohen Kopfputz aus gewalkter Wolle, eine persische turmförmige Tiara. Scudilo blieb stehen. Der Perser hatte ein feines, schmales, mageres, olivengelbes Gesicht; in seinen durchdringenden Schlitzaugen schienen tiefe und hinterlistige Gedanken zu wohnen; alle seine Gebärden drückten Ruhe und Würde aus. Es war einer von jenen herumirrenden Astrologen, die sich stolz Magier, Chaldäer, Feuerzauberer und Mathematiker nannten.

Er begann damit, daß er dem Tribunen seinen Namen – Nohodares – nannte und mitteilte, daß er sich bei Syrax nur auf der Durchreise aufhalte: er reise aus dem fernen Anadiabena an die Gestaden des Ionischen Meeres, zu dem berühmten Philosophen und Theurgen Maximus von Ephesus. Der Magier bat um Erlaubnis, seine Kunst zeigen und dem Tribunen sein Schicksal weissagen zu dürfen.

Man schloß die Fensterläden. Der Perser machte sich auf dem Boden etwas zu schaffen und plötzlich vernahm man ein leises Knistern; alle wurden sofort still. Eine rötliche Flamme stieg einer langen, schmalen Zunge gleich aus dem weißen Rauch, der den Raum füllte. Nohodares legte eine Doppelflöte aus Rohr an seine blutleeren Lippen und begann zu spielen; es waren schmachtende, klagende Laute, die an die lydischen Trauergesänge gemahnten. Die Flamme war, gleichsam unter dem Eindrucke der Klagetöne, gelb und trübe geworden und leuchtete plötzlich in einem zarten blaßblauen Scheine auf. Der Magier warf eine Handvoll trockenes Gras ins Feuer, und ein starker angenehmer Duft zog durchs Zimmer; auch der Geruch stimmte traurig: so duften an nebeligen Abenden die welken Gräser auf den toten Steppen von Arachosien und Drangiane. Vom klagenden Flötenton herbeigelockt, kam aus einem schwarzen Kasten, der zu den Füßen des Zauberers stand, langsam eine große Schlange geschlichen; raschelnd entrollte sie ihre grünlich schimmernden elastischen Ringe. Jetzt begann der Perser ein eintöniges leises Lied, das aus der Ferne zu kommen schien; er wiederholte in einem fort das Wort: »Mara, Mara, Mara.« Die Schlange wickelte sich um seinen schmächtigen Leib und näherte, gleichsam liebkosend, ihren flachen, grünschuppigen Kopf mit zärtlichem Zischen dem Ohre des Magiers; ihre Augen leuchteten wie Karfunkel, ihre gespaltene Zunge schnellte blitzartig dicht am Ohre vorbei, als wolle die Schlange ihrem Herrn etwas zuflüstern. Der Zauberer ließ seine Flöte fallen. Die Flamme erfüllte den Raum wieder mit weißem Rauch, dem diesmal ein schwerer betäubender Geruch, der Geruch des Grabes entströmte, und plötzlich war alles erloschen. Es war dunkel und unheimlich geworden. Alle waren aufs höchste bestürzt. Als man aber die Läden wieder öffnete und das bleierne Licht der Dämmerung ins Zimmer fiel, waren die Schlange und der schwarze Kasten auf einmal spurlos verschwunden. Alle Gesichter schienen leichenblaß.

Nohodares trat an den Tribun heran und sagte:

»Frohlocke! Deiner harrt eine große und unerwartete Gnade des göttlichen Augustus, des Kaisers Constantius!«

Einige Augenblicke lang musterte er aufmerksam Scudilos Hand; dann beugte er sich schnell zu seinem Ohr und flüsterte ihm so leise zu, daß es niemand von den Umstehenden hören konnte:

»Das Blut, das Blut des großen Cäsars auf dieser Hand!«

Scudilo erschrak.

»Wie unterstehst du dich, verfluchter chaldäischer Hund? Ich bin ein getreuer Sklave ...«

Jener blickte ihn aber beinahe spöttisch mit seinen klugen Augen an und flüsterte:

»Was fürchtest du dich? ... Nach vielen Jahren ... Und gibt es einen Ruhm ohne Mut? ...«

Die Soldaten verließen das Wirtshaus. Scudilos Herz war von Stolz und Freude erfüllt. Er näherte sich der heiligen Quelle, schlug andächtig ein Kreuz, trank von dem heilkräftigen Wasser und betete inbrünstig zu Kosmas und Damianus; denn er glaubte in der Tiefe seines Herzens, daß an der Weissagung des Persers doch etwas Wahres sein müsse. Dann bestieg er einen prächtigen kappadocischen Hengst und gab den Legionären das Zeichen zum Aufbruch. Der Fahnenträger – »Draconarius« – erhob die Fahne, einen Drachen aus Purpurstoff. Der Tribun wollte auf das Publikum, das ihm aus dem Wirtshaus gefolgt war, einen Eindruck machen. Obwohl er wußte, daß es nicht ungefährlich sei, konnte er sich doch nicht enthalten, sein Schwert zu ziehen und damit die Richtung zu der nebelbedeckten Schlucht zu zeigen. Er war von Wein und Stolz berauscht und sagte laut:

»Nach Macellum!«

Ein Flüstern des Erstaunens ging durch die Menge; es wurden auch die Namen von Julianus und Callus genannt.

Der Trompeter an der Spitze des Zuges stieß in seine kupferne »Buccina« – eine gleich einem Widderhorn gewundene Trompete.

Der gedehnte Ton der römischen Kriegstrompete zog durch die Schluchten und erweckte einen langanhaltenden Widerhall im Gebirge.

II.

Inhaltsverzeichnis

Im großen Schlafgemach von Macellum, das früher ein Schloß der kappadocischen Könige gewesen war, war es noch finster.

Der zehnjährige Julianus lag auf seinem harten Lager, dessen Bretter nur mit einem Pantherfell bedeckt waren. Der Knabe hatte sich selbst dieses harte Lager gewählt, denn sein alter Lehrer, Mardonius, hatte ihn nach den strengen Prinzipien der stoischen Weisheit erzogen.

Julianus konnte nicht schlafen. Zuweilen erhob sich ein Wind, der wie ein in eine Falle geratenes Tier in den Ritzen der Wände heulte; dann wurde es wieder still. In dieser seltsamen Stille hörte man vereinzelte große Regentropfen, anscheinend aus großer Höhe, auf die klingenden Steinfliesen fallen. Julianus glaubte zuweilen in den schwarzen Schatten des Deckengewölbes Fledermäuse rascheln zu hören. Er hörte den ruhigen Atem seines Bruders, der, ein verzärteltes und launisches Kind, auf einem weichen Lager unter einer altertümlichen verstaubten Decke, – dem letzten Überbleibsel vom ehemaligen Prunk der kappadocischen Könige, – schlief. Im Nebengemach schnarchte ihr Lehrer Mardonius.

Plötzlich ging die kleine, eisenbeschlagene Türe der Geheimtreppe mit einem leisen Knarren auf und ein Lichtstrahl blendete für einen Augenblick Julianus' Auge. Die alte Sklavin Labda trat mit einer Kupferlampe in der Hand in das Schlafgemach.

»Alte, ich fürchte mich, laß die Lampe hier.«

Die Alte stellte die Lampe in die steinerne Nische an Julianus' Kopfende.

»Du schläfst nicht? Hast du Kopfweh? ... Hast du Hunger? Der alte Sünder Mardonius gibt euch ja fast nichts zu essen. Ich habe dir Honigfladen mitgebracht. Die schmecken gut. Versuch es nur.«

Labdas Lieblingsbeschäftigung war es, Julianus zu füttern. Da es Mardonius am Tage nicht erlaubte, pflegte sie ihm die Leckerbissen nachts zuzustecken.

Die halbblinde Alte, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, trug immer ein schwarzes Nonnengewand; man hielt sie für eine Hexe, sie war aber eine gläubige und fromme Christin. Der finsterste alte und neue Aberglauben war in ihrem Kopfe zu einer sonderbaren Religion verwoben, die eher Wahnsinn zu nennen war: sie vermengte Gebete mit Zauberformeln, die olympischen Götter mit christlichen Dämonen, kirchliche Gebräuche mit Zauberei; sie war über und über mit kleinen Kreuzen, gotteslästerlichen Amuletten aus Totengebein und Kapseln mit Heiligenreliquien behangen.

Die Alte war Julianus mit abgöttischer Liebe zugetan, denn sie hielt ihn für den einzigen rechtmäßigen Erben des Kaisers Konstantin, Constantius aber für einen Mörder und Räuber der Krone.

Labda kannte genau, wie kaum ein anderer, den Stammbaum und alle uralten Familienlegenden des Hauses der Flavier. Sie hatte noch Julianus' Großvater, Constantius Chlorus, gekannt; ihr Gedächtnis bewahrte alle blutigen Geheimnisse des Hofes. Nachts erzählte sie dem Knaben alles, was ihr davon gerade einfiel. Das Herz des Knaben zuckte oft vor Dingen zusammen, die sein kindlicher Verstand noch gar nicht erfassen konnte. Mit trübem Auge, mit gleichgültiger und eintöniger Stimme erzählte sie ihm diese unendlichen Schauergeschichten, wie man sonst alte Ammenmärchen erzählt.

Labda stellte die Lampe in die Nische, bekreuzte Julianus, sah nach, ob das Bernsteinamulett auf seiner Brust noch unversehrt sei und sprach einige Beschwörungsformeln, um die bösen Geister zu vertreiben. Dann entfernte sie sich.

Julianus verfiel in einen schweren Halbschlaf; ihm war heiß; die schweren Regentropfen, die vereinzelt aus der Höhe gleichsam in ein leeres Metallgefäß fielen, quälten ihn.

Er konnte nicht mehr unterscheiden, ob er schlafe oder wache, ob es das Rauschen des Nachtwindes sei, oder ob ihm die alte, einer Parze gleichende Labda die alten, grauenvollen Familienüberlieferungen zuraune. Alles, was er je von ihr gehört, und alles, was er selbst in seiner Kindheit gesehen, vermengte sich zu einem schweren Fiebertraum.

Er sah die Leiche des großen Kaisers auf dem Paradebett aufgebahrt. Der Tote war geschminkt und gepudert; kunstvolle Perückenmacher hatten sein Haupt mit einer komplizierten vielstöckigen Frisur aus falschem Haar geschmückt. Der kleine Julianus mußte vor die Bahre treten und zum letztenmal seinem Onkel die Hand küssen. Das Kind hatte Angst; es war von dem Purpur, dem Diadem auf den künstlichen Locken und dem Prunk der im Scheine der Beerdigungskerzen funkelnden Edelsteine geblendet. Durch die betäubenden arabischen Wohlgerüche spürte er zum erstenmal im Leben den Geruch der Verwesung. Die Höflinge, Bischöfe, Eunuchen und Heerführer aber begrüßten den Kaiser, als ob er noch am Leben wäre; die Gesandten der fremden Mächte verbeugten sich vor ihm und dankten ihm nach dem prunkvollen, höfischen Zeremoniell; hohe Staatsbeamte verkündeten Edikte, Gesetze und Senatsbeschlüsse und baten den Toten um deren Bestätigung, als ob er sie hören könnte; ein schmeichlerisches Geflüster ging durch die Menge: die Leute behaupteten, er sei so erhaben, daß er durch eine besondere Gnade des Höchsten auch nach dem Tode noch die Welt regiere.

Julianus wußte, daß Konstantin seinen Sohn getötet hatte; die einzige Schuld des jungen Helden bestand darin, daß er vom Volke zu sehr vergöttert wurde; er war der Verleumdung seiner Stiefmutter zum Opfer gefallen, die den Stiefsohn mit sündiger Liebe liebte und an ihm wie Phädra an Hyppolytes Rache nahm; als es sich später herausstellte, daß die Frau des Kaisers ein frevelhaftes Liebesverhältnis mit einem der kaiserlichen Stallknechte unterhielt, wurde sie in einem heißen Bade erdrosselt. Dann kam der edle Licinius an die Reihe. Ein Mord folgte dem andern, ein Opfer forderte das andere. – Der Kaiser, von Gewissensbissen gequält, bat die heidnischen Hierophanten um Reinigung von den Sünden; sie schlugen es ihm ab. Doch gelang es einem Bischof, ihn zu überzeugen, daß nur der christliche Glaube Sakramente besitze, die ihn von solchen Freveltaten reinigen könnten. Und nun schimmerte das prächtige »Labarum«, das Banner mit dem aus Edelsteinen gestickten Monogramm Christi, über der Bahre des Sohnesmörders.

Julianus wollte erwachen, doch gelang es ihm nicht, die Augen zu öffnen. Noch immer fielen die Regentropfen, schwer und vereinzelt wie Tränen; der Wind pfiff nach wie vor; ihm schien es aber, daß es nicht der Wind sei, sondern die alte Parze Labda, die ihm Schauermärchen vom Flaviergeschlecht zuraune.

Julianus träumte, er befinde sich in dem unterirdischen Erbbegräbnis seines Großvaters, inmitten der porphyrnen Särge mit dem Staube der Kaiser; der Raum ist kalt und feucht; Labda versucht, ihn in einer finstern Ecke zwischen den Särgen zu verstecken und hüllt den kranken, fiebernden Gallus in warme Decken. Plötzlich erschallt oben im Palaste durch alle Säle ein durchdringender Todesschrei. Er hallt unheimlich in den steinernen Gewölben der leeren Gemächer nach. Julianus erkennt die Stimme seines Vaters, er will ihm antworten, zu ihm eilen. Doch Labda hält den Knaben mit ihren knochigen Armen zurück und flüstert: »Sei still, sei still, sonst kommen sie noch her!« und hüllt ihn ganz ein. Dann dröhnen auf der Treppe eilige Schritte und sie kommen immer näher und näher. Labda bekreuzigt die Kinder und murmelt Beschwörungen. Es wird an die Türe geklopft und in das Gewölbe dringen Soldaten des Kaisers, mit Fackeln in der Hand; sie sind als Mönche verkleidet, und unter den schwarzen Kutten schimmern ihre blanken Panzer; Bischof Eusebius von Nikomedien führt sie an. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Antwortet, wer ist hier?« Labda drückt sich mit den Kindern stumm in den Winkel. Und wieder: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, wer ist hier?« Und dann zum dritten Male. Dann beginnen die Mörder mit ihren bloßen Schwertern zwischen den Särgen zu scharren. Labda stürzt ihnen zu Füßen und zeigt auf den kranken Gallus und auf den wehrlosen Julianus: »Fürchtet doch Gott! Was kann ein fünfjähriger Knabe gegen den Kaiser unternehmen?« Und die Soldaten zwingen alle drei, das Kreuz in der Hand des Bischofs zu küssen und dem neuen Kaiser den Treueid zu leisten. Julianus kann sich noch an das große Kreuz aus Cypressenholz mit der Gestalt des Erlösers aus Emaille erinnern? unten auf dem dunklen alten Holz sieht man noch frische Blutspuren von der Hand des Mörders, der das Kreuz hält, vielleicht war es das Blut seines Vaters oder eines seiner sechs Vettern – Dalmatius, Hannibalianus, Nepotianus, Constantius des Jüngeren und der anderen: Über sieben Leichen mußte der Brudermörder hinwegschreiten, um den Thron zu besteigen. Und dies alles war im Namen des Gekreuzigten vollbracht.

Julianus erwachte vor Grauen und vor der plötzlichen Stille: die Regentropfen fielen nicht mehr, und der Wind hatte sich gelegt. Die Lampe brannte ohne zu flackern in der Nische, wie eine unbewegliche feine und lange Zunge. Er sprang von seinem Lager auf und horchte auf das Pochen seines eigenen Herzens. Die Stille war unerträglich.

Unten erschollen plötzlich laute Stimmen und Schritte, die sich von Saal zu Saal unter den steinernen Gewölben der hallenden, leeren Gemächer verbreiteten; hier, in Macellum, wie einst dort, im Erbbegräbnis der Flavier. Julianus fuhr auf; er glaubte noch immer zu träumen. Doch die Schritte kamen näher, und die Stimmen wurden deutlicher. Er schrie auf:

»Bruder! Bruder! Schläfst du? Mardonius! Hört ihr denn nichts?«

Gallus erwachte. Mardonius, ein Eunuch mit dem gelben, aufgedunsenen, runzeligen Gesicht eines alten Weibes, kam barfuß mit zerzaustem, grauem Haar aus dem Nebenzimmer gelaufen und stürzte sofort zu der Geheimtüre.

»Es sind die Soldaten des Präfekten! Zieht euch schnell an! Wir müssen fliehen!«

Es war aber zu spät. Man hörte Waffengeklirr. Die kleine, eisenbeschlagene Tür wurde von außen abgeschlossen. Über die Steinsäulen der Treppe huschte Fackellicht, und in seinem Scheine sah man eine purpurne Drachenfahne und ein Kreuz mit dem Monogramm Christi, das auf dem Helme eines der Soldaten glänzte.

»Im Namen des rechtgläubigen, göttlichen Augustus, des Kaisers Constantius, verhafte ich, Marcus Scudilo, Tribun der Frentesischen Legion, die Söhne des Patriziers Julius, – Julianus und Gallus.«

Mardonius stellte sich mit einem bloßen Schwert in der Hand in der Türe des Schlafgemaches in militärischer Haltung auf und versperrte den Soldaten den Weg. Das Schwert war stumpf und unbrauchbar; der alte Pädagog gebrauchte es, um seinen Schülern beim Studium der Ilias den Kampf zwischen Hektor und Achilles zu demonstrieren; der gelehrte Achilles war aber kaum imstande, mit diesem Schwert auch nur ein Huhn abzuschlachten. Jetzt schwang er es nach allen Regeln der homerischen Kriegskunst vor der Nase des Publius, was diesen, da er betrunken war, ganz außer sich brachte. Er schrie den Alten an:

»Aus dem Wege, altes Aas, leere Blase, unnützer Blasebalg! Aus dem Wege, sonst durchbohre ich dich und lasse deine ganze Luft entweichen!«

Er faßte den Alten an der Kehle und stieß ihn mit solcher Kraft zur Seite, daß dieser mit dem Kopf an die Mauer anprallte und beinahe hinfiel. Scudilo eilte zur Türe des Schlafgemaches und riß sie weit auf.

Die unbewegliche Flamme der Lampe flackerte auf und erblaßte im roten Fackelscheine. Der Tribun sah jetzt zum ersten Male in seinem Leben die beiden letzten Nachkommen des Constantius Chlorus.

Gallus schien schlank und stämmig; seine Haut war aber fein, weiß und matt, wie die eines jungen Mädchens; er hatte hellblaue, gleichgültige und träge Augen und flachsblondes Haar – wie alle Nachkommen Konstantins –, das in kleinen Locken auf seinen dicken, beinahe fetten Nacken herabfiel. Trotz seiner männlichen Gestalt und des leichten Flaumes des sprossenden Bartes, schien der achtzehnjährige Gallus noch ein Knabe: seine Züge drückten kindliches Erstaunen und Angst aus, seine Lippen bebten wie die eines kleinen Kindes, das eben weinen will; er zwinkerte hilflos mit seinen von Schlaf geröteten und gedunsenen Augenlidern, bekreuzte sich und flüsterte: »Herr erbarme dich, Herr erbarme dich!«

Julianus war ein schmächtiger und blasser Knabe; sein Gesicht war unschön und unregelmäßig; sein Haar struppig und glänzend schwarz; seine Nase war zu groß, und seine Unterlippe trat zu stark hervor, wunderbar waren aber seine Augen, die seinem Gesichte einen Ausdruck verliehen, den man nie wieder vergessen konnte, wenn man es nur einmal gesehen; sie waren groß, seltsam, veränderlich, mit einem gespannten, unkindlichen Ausdruck und krankhaftem Glanz, der manchmal wahnsinnig schien. Publius, der in seiner Jugend oft Konstantin den Groß gesehen hatte, dachte sich:

»Dieser Knabe wird seinem Großvater gleichen!«

Die Angst Julianus' vor den Soldaten war gewichen: er spürte nur noch Haß. Er biß die Zähne fest zusammen, warf sich das Pantherfell vom Lager über die Schultern und richtete auf Scudilo seine durchdringenden Augen; seine vorstehende Unterlippe zitterte, in der Rechten hielt er unter dem Pantherfell verborgen einen dünnen persischen Dolch, den ihm einmal Labda geschenkt hatte; die Spitze der Waffe war vergiftet.

»Ein junger Wolf!« sagte einer der Legionäre zu seinem Kameraden, auf Julianus weisend.

Scudilo wollte bereits in das Gemach eindringen, als dem alten Mardonius ein neuer Gedanke kam. Er warf das unnütze Schwert zur Seite, klammerte sich am Gewand des Tribunen fest und schrie plötzlich mit einer unerwartet hohen Weiberstimme:

»Was tut ihr Halunken? Wie wagt ihr es, den Bevollmächtigten des Kaisers Constantius zu beleidigen? Ich bin beauftragt, diese kaiserlichen Jünglinge an den Hof zu bringen. Augustus hat ihnen wieder seine Gnade geschenkt, hier ist der schriftliche Befehl.«

»Was spricht er da? Was für ein Befehl?«

Scudilo blickte den Alten an: sein runzeliges Gesicht zeugte davon, daß er wirklich ein Eunuch war. Der Tribun hatte Mardonius noch nie zuvor gesehen, doch wußte er, in welch hohem Ansehen die Eunuchen am kaiserlichen Hofe standen.

Mardonius suchte eilig aus dem Bücherkasten, der Pergamenthandschriften der Werke von Hesiod und Homer enthielt, eine Rolle hervor und reichte sie dem Tribunen.

Scudilo entrollte das Schriftstück und erbleichte: er hatte nur die ersten Worte und den Namen des Kaisers, der sich in diesem Edikte »Unsere Ewigkeit« nannte, gelesen, aber weder die Jahreszahl, noch das Datum nachgesehen; als er das an der Rolle an Goldschnüren hängende, ihm wohlbekannte große Staatssiegel aus grünem Wachs gewahrte, wurde es ihm finster vor den Augen, und seine Knie wankten.

»Verzeih! Es war ein Fehler ...«

»Ach ihr Taugenichtse! Macht, daß ihr weiter kommt! Daß ich nichts mehr von euch höre und sehe! Betrunken seid ihr auch noch! Alles wird dem Kaiser gemeldet werden!«

Mardonius entriß den zitternden Händen des Tribunen das Schriftstück.

»Stürze mich nicht ins Verderben! wir sind ja Brüder und sündige Menschen. Ich beschwöre dich im Namen Christi!«

»Ich weiß gut, was ihr nicht alles im Namen Christi treibt, ihr Taugenichtse! Hinaus mit euch!«

Der arme Tribun gab das Zeichen zum Rückzug. Mardonius ergriff wieder sein stumpfes Schwert und fuchtelte damit, einem Helden aus der Ilias nicht unähnlich, herum. Nur der betrunkene Centurio wollte ihn noch angreifen und schrie:

»Laßt mich, laßt! Ich will diese alte Blase durchbohren und sehen, wie sie platzen wird!«

Der Betrunkene wurde von seinen Kameraden mit Gewalt fortgeführt.

Als die Schritte verhallt waren und Mardonius sich überzeugt hatte, daß die Gefahr vorüber sei, lachte er laut auf; das ganze welke, weibliche Gesicht des Kastraten zitterte vor Lachen; er vergaß seine ganze Pädagogenwürde, hüpfte auf seinen schwachen, nackten Beinen, die vom Nachtgewand kaum verhüllt waren, und schrie voller Entzücken:

»Kinder, meine Kinder, Ruhm und Preis sei dem Hermes! Schön haben wir sie angeführt! Mein Edikt ist schon seit drei Jahren aufgehoben und ungültig. Was das doch für Narren sind! ...«

Vor Sonnenaufgang schlief Julianus noch fest und ruhig ein. Als er später munter und in guter Laune erwachte, leuchtete bereits der blaue Himmel durch das vergitterte hohe Fenster des Schlafgemaches herein.

III.

Inhaltsverzeichnis

Am Morgen gab es Unterricht im Katechismus. In der Religion wurde Julianus von einem anderen Lehrer, einem arianischen Priester, unterrichtet. Der Mönch Eutropius hatte knochige, immer feuchte und kalte Hände und helle, traurige Froschaugen; er war hoch und mager wie eine Hopfenstange und ging immer gebückt. Er hatte die unangenehme Manier, ab und zu seine Hände zu belecken, mit ihnen über die spärlichen grauen Haare an den Schläfen zu fahren und schließlich die Finger so ineinander zu falten, daß die Glieder krachten. Julianus kannte ganz genau die Reihenfolge dieser Bewegungen, und dies fiel ihm auf die Nerven. Eutropius trug eine schwarze, schmutzige, geflickte Kutte und behauptete, die schlechte Kleidung aus christlicher Demut zu tragen; tatsächlich tat er es nur aus Geiz.

Diesen Lehrer hatte Eusebius von Nikomedia, der geistliche Vormund des Julianus, ausgewählt und nach Macellum geschickt.

Der Mönch verdächtigte seinen Zögling einer »geheimen Widerspenstigkeit des Geistes«, die, wie er behauptete, Julianus mit ewiger Verdammung bedrohe, wenn er sich nicht bessere. Eutropius wurde nicht müde, von den Gefühlen zu predigen, die der Knabe seinem Wohltäter, dem Kaiser Constantius, entgegenbringen sollte. Bei jeder Gelegenheit, ob er das neue Testament erläuterte, oder das arianische Dogma oder einen Propheten durchnahm, alles lief immer auf das eine hinaus: »heilige Demut und kindlicher Gehorsam« waren die Wurzeln aller Dinge. – Alle Taten der christlichen Demut und Liebe, alle Opfer der Märtyrer wurden von ihm nur als Stufen, die den Triumphator Constantius zum Throne führten, betrachtet, während der arianische Mönch von den Wohltaten sprach, die der Kaiser seinem Neffen erwiesen hätte, starrte der Knabe seinen Lehrer zuweilen durchdringend an; er wußte, was der Mönch in diesen Augenblicken dachte, und auch dieser wußte, was in der Seele des Knaben vorging. Doch sprachen sie nie davon.

So oft aber Julianus bei der Aufzählung der alttestamentarischen Patriarchen oder mitten in einem Gebet stecken blieb, faßte ihn Eutropius stumm, dach mit einem wollüstigen Ausdruck in seinen Froschaugen, mit zwei Fingern, gleichsam liebkosend, am Ohre; und der Knabe fühlte, wie zwei harte und scharfe Fingernägel sich in sein Fleisch einschnitten. Eutropius hatte trotz seines scheinbar finsteren Wesens einen spöttischen und in seiner Art lustigen Charakter; er gab seinem Schüler die zärtlichsten Namen, wie »mein Teuerster«, »Erstgeborener meiner Seele«, »mein geliebtester Sohn«, und spottete zugleich über dessen kaiserliche Abstammung; jedesmal, wenn er ihn am Ohr kniff und der Knabe vor Schmerz erbleichte, fragte der Mönch in ehrerbietigem Tone:

»Geruhen vielleicht kaiserliche Majestät eurem einfältigen und demütigen Sklaven zu zürnen?«

Und dann beleckte er wieder seine Handflächen, glättete die Haare an den Schläfen, ließ die Fingergelenke knacksen und bemerkte dazu, daß bösartige und faule Knaben mit der Rute behandelt werden sollten, wie es auch in der Heiligen Schrift heiße: »Die Rute erleuchtet den finsteren und widerspenstigen Geist.« Er sagte es nur, um den »teuflischen Geist des Hochmuts« in Julianus zu demütigen: der Knabe wußte, daß Eutropius es nie wagen würde, seine Drohung zu erfüllen; und auch der Mönch war davon überzeugt, daß der Knabe eher sterben, als sich züchtigen lassen würde; und doch redete der Lehrer oft und ausführlich von der notwendigen Strafe.

Als einmal am Schlusse der Unterrichtsstunde die Rede auf eine dunkle Stelle in der heiligen Schrift kam, erwähnte Julianus die Antipoden, über die er etwas von Mardonius gehört hatte. Vielleicht tat er es auch absichtlich, um den Mönch aus der Fassung zu bringen. Der aber begann laut mit seiner hohen Fistelstimme zu lachen, wobei er sich die Hand vor den Mund hielt.

»Wer hat dir, Teuerster, von den Antipoden erzählt? Ich alter Sünder muß wirklich lachen. Ich weiß wohl, daß beim alten Narren Plato davon die Rede ist. Glaubst du wirklich, daß es Menschen gibt, die mit den Füßen aufwärts herumspazieren?«

Eutropius begann die gottlosen und ketzerischen Lehren der Philosophen durchzunehmen: die Annahme, daß es nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene Menschen gäbe, die mit den Füßen aufwärts gehen und so das Firmament verspotten, sei doch höchst schändlich und gotteslästerlich. Als aber Julianus, der sich durch ein solches Urteil über die von ihm so sehr geliebten Philosophen verletzt fühlte, die Rede auf die Kugelgestalt der Erde brachte, hörte Eutropius plötzlich zu lachen auf und geriet in solche Wut, daß er über und über rot wurde und mit den Füßen zu stampfen begann. »Nur von dem Heiden Mardonius kannst du solche gottlosen Lügen gehört haben!«

Wenn er in Wut geriet, begann er immer zu stottern und zu spucken; sein Speichel kam dem Knaben giftig vor. Der Mönch erging sich in wütenden Beschimpfungen über alle großen Gelehrten der Hellas; er hatte vergessen, daß er nur ein Kind vor sich habe und hielt eine lange Strafpredigt; Julianus hatte nämlich seine empfindlichste Stelle getroffen. Den alten »vor Alter blödsinnigen« Pythagoras beschuldigte er schamloser Frechheit; von den Lügengeschichten Platos glaubte er kein Wort verlieren zu müssen: seine Lehren nannte er einfach »ekelhaft«, die Lehren des Sokrates »unsinnig«.

»Lies nur einmal bei Diogenes Laertius über Sokrates nach!« sagte er giftig zu Julianus. »Da wirst du erfahren, daß er ein Wucherer gewesen war und den schändlichsten Lastern, von denen es sich gar nicht zu reden ziemt, gefröhnt hat.«

Am gehässigsten sprach er jedoch über Epikur:

»Ich glaube nicht, daß Epikur einer ernsthaften Widerlegung bedarf: die viehische Lust, mit der er sich aller Art schändlicher Genüsse hingab, und die Gemeinheit, die ihn zum Sklaven seiner Wollust machte, beweisen zur Genüge, daß er kein Mensch, sondern ein Vieh gewesen ist.«

Als er sich etwas beruhigt hatte, begann er ein sehr schwieriges Dogma der arianischen Lehre zu beweisen, wobei er die »ketzerische« orthodoxe Kirche ebenso unflätig beschimpfte, wie vorhin die Weisen des Altertums.

Durchs Fenster kam in das Zimmer ein frischer Lufthauch aus dem nahen Garten. Julianus stellte sich so, als ob er den Ausführungen des Mönches aufmerksam folge; in Wirklichkeit war er mit ganz anderen Dingen beschäftigt; er dachte an seinen geliebten Lehrer Mardonius, an seine weisen Reden und an das gemeinsame Lesen im Homer und Hesiod; wie anders waren diese Unterrichtsstunden als die des Mönches!

Mardonius pflegte den Homer nicht zu lesen, sondern nach der Art der alten Rhapsoden zu singen; so oft er das tat, bemerkte Labda lachend, daß er »wie ein Hund vor dem Monde heule«. Es sah in der Tat höchst komisch aus: der alte Eunuch pflegte jeden Versfuß im Hexameter eindringlich zu betonen und im Takt beide Arme zu schwingen; sein runzliges Gesicht drückte dabei ungeheure Würde aus. Die feine Weiberstimme stieg dabei immer höher. Julianus bemerkte gar nicht, wie häßlich und lächerlich der Alte in solchen Augenblicken war; ein kalter Schauer des Entzückens überlief seinen Rücken; die göttlichen Hexameter rauschten und flossen dahin wie Wellen: er sah den Abschied Hektors von Andromache, Odysseus, der sich auf dem einsamen Strande der Insel der Kalypso nach seinem heimatlichen Ithaka sehnte, und sein kindliches Herz empfand süße Sehnsucht nach Hellas, dem Vaterlande der Götter, dem Vaterlande aller, die die Schönheit anbeten. Die Stimme des Lehrers zitterte vor Rührung, und Tränen liefen über seine gelben Wangen.

Manchmal erzählte ihm Mardonius von der Weisheit, von der strengen Tugend und von dem Tode der Freiheitshelden. – Wie anders waren doch diese Reden, als die des Eutropius! – Er erzählte ihm die Lebensgeschichte des Sokrates, und so oft er auf die Verteidigungsrede des Philosophen vor dem Volke von Athen zu sprechen kam, sprang er auf und rezitierte die Rede aus dem Gedächtnisse; sein Gesicht nahm einen ruhigen, etwas verächtlichen Ausdruck an: man glaubte nicht den Angeklagten, sondern den Richter des Volkes zu hören; Sokrates bat nicht um Gnade; die ganze Macht und alle Gesetze des Staates seien hinfällig vor der Freiheit des menschlichen Geistes; die Athener können ihn wohl töten, doch nie die Freiheit und das Glück seiner unsterblichen Seele nehmen. – Und so oft dieser Skythe, dieser Barbare, dieser von den Ufern des Borysthenes gekaufte Sklave das Wort »Freiheit« ausrief, glaubte Julianus darin eine Schönheit zu fühlen, vor der alle Schönheit der homerischen Gestalten verblaßte. Er blickte seinen Lehrer mit weitgeöffneten, beinahe wahnsinnigen Augen an und bebte in seliger Verzückung.

Der Knabe erwachte aus seinen Träumen, als er die knochigen kalten Finger des Mönches an seinem Ohre fühlte. Die Katechismusstunde war zu Ende. Er kniete nieder und sprach das Dankgebet. Kaum war er den Eutropius los, als er in seine Zelle lief, eines seiner Lieblingsbücher ergriff und damit in den Garten eilte, um es da ungestört lesen zu können. Es war ein verbotenes Buch: das Symposion des verruchten und gottlosen Plato. Auf der Treppe stieß er zufällig mit dem eben fortgehenden Eutropius zusammen.

»Wart' einmal, Teuerster! Was für ein Buch hat da deine kaiserliche Majestät?«

Julianus blickte ihn ruhig an und reichte ihm das Buch.

Der Mönch las auf dem Pergament-Einband den mit großen Buchstaben geschriebenen Titel: »Episteln des Apostels Paulus« und gab das Buch, ohne es aufzuschlagen, dem Knaben zurück.

»So ist es recht! Denke immer daran, daß ich die Verantwortung vor Gott und dem erhabenen Kaiser für dein Seelenheil trage. Lies keine ketzerischen Bücher, insbesondere nicht Werke jener Philosophen, deren eitle Weisheit ich dir heute aufgedeckt habe.«

Es war die gewohnte List des Knaben: verbotene Bücher pflegte er in Pergamenthüllen mit unschuldigen Titeln zu stecken. Julianus hatte von seiner frühesten Kindheit an lügen und heucheln gelernt, und zwar mit einer Vollkommenheit, wie sie sonst Kindern nicht eigen ist. Besonderen Genuß machte es ihm, den Mönch Eutropius zu betrügen. Oft heuchelte, log und betrog er ohne besondere Not, rein aus Gewohnheit; er befriedigte und stillte so seinen Haß und Rachedurst. Aber den Mardonius betrog er nie.

Unter den zahllosen müßigen Dienern und Mägden, die in Macellum hausten, gab es immer Zwischenträgereien, Verleumdungen, Intrigen, Ränke und Angebereien. Die Dienerschaft, die sich vor dem Hofe gern auszeichnen wollte, beobachtete die in Ungnade gefallenen kaiserlichen Brüder auf Schritt und Tritt, bei Tag und bei Nacht.

Von den ersten Tagen seiner frühesten Kindheit an hatte Julianus täglich den Tod erwartet und sich allmählich an diese ständige Angst gewöhnt; er wußte, daß ihn bei jedem seiner Schritte im Hause und im Garten Tausende von Augen beobachteten. Der Knabe hörte und sah verschiedene Dinge, mußte sich aber so stellen, als ob er nichts sähe oder verstünde. Einmal fing er einige Worte aus dem Gespräch zwischen Eutropius und einem von Constantius gesandten Spion auf; im Verlaufe dieses Gespräches nannte der Mönch Julianus und Gallus »kaiserliche Ferkel«. Ein anderes Mal hörte der Knabe, als er zufällig an den Küchenfenstern vorbeikam, wie der Koch, ein alter Säufer, den Gallus durch irgend etwas aus der Fassung gebracht hatte, zu seiner Geliebten, einer Sklavin, die gerade das Geschirr abwusch, sagte: »Gott sei mir gnädig, Priscilla, ich wundere mich nur, warum man sie bis heute noch nicht erwürgt hat!«

Als Julianus nach der Katechismusstunde aus dem Hause lief und das Grün der Bäume sah, atmete er wie erlöst auf. Der ewige Schnee auf der gespaltenen Spitze des Argäos hob sich blendend vom blauen Himmel ab. von den nahen Gletschern kam ein kühler Hauch. Durch das undurchdringliche Dickicht der südlichen Eichen mit glänzendem, schwarzgrünem Laube liefen Alleen; hier und da fiel ein Sonnenstrahl durch das Dickicht und flimmerte im grünen Platanenlaube. Der Garten war an einer Seite von keiner Mauer begrenzt und endete an einem Abgrund. Unten zog sich bis zum Horizont, bis zu dem Antitaurischen Gebirge eine Wüste hin. Sie atmete gleichsam unerträgliche Hitze aus. Im Garten aber rauschten kühle Bäche und Wasserstürze, sangen Springbrunnen und rieselten Quellen unter Oleandergesträuch. Macellum war vor vielen Jahrhunderten die liebste Zufluchtstätte des prunkliebenden und halb wahnsinnigen kappadocischen Königs Ariarathes gewesen.

Julianus begab sich mit seinem Plato zur einsamen Grotte, die in der Nähe des Abgrundes lag. Hier stand die Statue eines bockbeinigen, die Schalmei blasenden Pans und vor dieser ein kleiner Altar. In einer Marmormuschel rieselte Wasser, das aus einem Löwenrachen strömte. Der Eingang zur Grotte war dicht mit gelben Rosen verwachsen; zwischen ihnen durch fiel der Blick auf die graublauen Hügel der Wüste, die sich wie Meereswellen rundeten und in der Ferne verloren; die ganze Grotte war von dem Duft der Teerosen erfüllt. Es wäre hier unerträglich schwül gewesen, wenn nicht der eiskalte Wasserstrahl gewesen wäre. Der Wind brachte weiße und gelbe Rosenblätter herbei und streute sie auf den Boden und in das Wasser. In der warmen Dämmerung vernahm man nichts als das Summen der Bienen.

Julianus lag auf dem Moose und las in seinem Buche; vieles verstand er allerdings nicht, aber der ganze Reiz lag darin, daß das Buch verboten war.

Als er genug gelesen hatte, tat er den Plato wieder in den Einband der Episteln des Apostels Paulus und legte ihn zur Seite; dann näherte er sich mit leisen Schritten dem Altare des Pan und nickte dem lustigen Gotte wie einem alten Spielgenossen zu. Darauf schob er den Haufen des dürren Laubes zur Seite und holte aus dem Inneren des Altares, der durchbrochen und mit einem Deckel verdeckt war, einen sorgfältig in ein Tuch gewickelten Gegenstand heraus. Er packte ihn vorsichtig aus und stellte ihn vor sich hin. Es war das Werk seiner Hände: ein prachtvolles Modell eines Schiffes, eine »Liburnische Trireme«. Dann ließ er das Schiff auf dem Wasser des Brunnenbeckens schwimmen; die Trireme schaukelte auf den kleinen Wellen. Alles war fertig: das Schiff hatte drei Masten, vollständiges Takelwerk und Ruder, einen vergoldeten Bug und Segel, die er aus einem von Labda geschenkten Seidenfetzen verfertigt hatte; nur das Steuerruder fehlte. Der Knabe machte sich sofort an die Arbeit. während er an einem Brettchen herumschnitzte, blickte er ab und zu durch die Rosenhecke in die Ferne, auf die wellenförmigen Hügel der Wüste. Über seinem Spielzeug vergaß er bald alle Beleidigungen und Demütigungen, die er täglich erdulden mußte, vergaß seinen Haß und die Todesangst, in der er ständig lebte. Er stellte sich vor, er sei der irrende weise Odysseus, der sich in einer einsamen Höhle hoch über dem Meere ein Schiff baue, um in seine geliebte Heimat zurückkehren zu können. – Aber dort, wo zwischen den Hügeln die weißen Dächer von Cäsarea wie Schaum auf den Wellen des Meeres schimmerten, sah er ein Kreuz, das kleine, funkelnde Kreuz über der Basilika. Und dieses Kreuz störte ihn in seinen Gedanken. Das ewige Kreuz! Er bemühte sich, nicht hinzublicken und vertiefte sich ganz in die Arbeit an seiner Trireme.

»Julianus! Julianus! Wo steckt er denn? Es ist Zeit zur Kirche. Eutropius läßt dich in die Kirche rufen!«

Der Knabe fuhr auf und versteckte sein Schiff eilig in die Höhlung des Altars; dann brachte er sein Haar und seine Kleidung in Ordnung. Kaum hatte er die Grotte verlassen, als sein Gesicht wieder den undurchdringlichen, unkindlichen Ausdruck von Heuchelei annahm; es war so, als hätte ihn plötzlich das Leben verlassen.

Eutropius packte mit seiner knochigen, kalten Hand die Hand des Knaben und führte ihn in die Kirche.

IV.

Inhaltsverzeichnis

Die arianische Basilika des heiligen Mauritius war fast gänzlich aus den Steinen eines zerstörten Apollotempels erbaut.

Der heilige Hof, das Atrium, war von allen vier Seiten von Säulen umgeben. In der Mitte rieselte ein Springbrunnen, an dem die rituellen Waschungen vorgenommen wurden. In einer der Seitenkapellen befand sich ein alter Sarkophag aus dunklem, geschnitzten Eichenholz; er enthielt die Reliquien des heiligen Mama. Eutropius veranlaßte Julianus und Gallus, einen steinernen Sarg für die wundertätigen Gebeine zu bauen. Bei Gallus, der diese Arbeit als eine angenehme Leibesübung auffaßte, ging die Arbeit gut vorwärts. Doch bei Julianus fiel die Mauer immer wieder ein, was Eutropius damit erklärte, daß der heilige Mama das Werk des Knaben, der von teuflischem Hochmut besessen sei, verwerfe.

Um den Sarkophag drängten sich Kranke, die Heilung erflehten. Julianus wußte, wie es gemacht wurde: ein arianischer Mönch hielt eine Wage in der Hand, und die Pilger, die oft aus den entlegensten Dörfern kamen, ließen sich von ihm mitgebrachte Stücke leinener, seidener und wollener Stoffe mit der größten Genauigkeit abwiegen; darauf legten sie die Stoffe auf den Sarkophag und beteten viele Stunden lang, oft ganze Nächte durch; dann ließen sie die Stoffe wieder abwiegen und das Gewicht mit dem ursprünglichen vergleichen; wenn der Stoff schwerer geworden war, so bedeutete es, daß das Gebet Gehör findet: die Gnade des Heiligen wurde wie nächtlicher Tau von der Seide, Wolle oder Leinewand aufgesogen und verlieh dem Gewebe die Kraft, beliebige Krankheiten zu heilen. Oft blieb aber das Gebet unerhört, der Stoff wollte nicht schwerer werden, und in solchen Fällen blieben die Pilger oft tage-, wochen- und monatelang an der heiligen Stätte. Eine alte arme Frau, mit Namen Theodula, kam immer und immer wieder her: die einen hielten sie für verrückt, andere für eine Heilige; seit vielen Jahren verbrachte sie Tage und Nächte am Sarge des Heiligen; ihre kranke Tochter, um deren Genesung sie ursprünglich gebetet hatte, war längst gestorben, Theodula betete aber nach wie vor über einem alten, verblichenen Fetzen.

Aus dem Atrium führten drei Türen in das Innere der Basilika: die eine in die Männerabteilung, die zweite in die Frauenabteilung, und die dritte in die Abteilung für Mönche und den Klerus.

Julianus trat mit Gallus und Eutropius in die mittlere Türe. Er bekleidete das Amt eines »Anagnosten«, eines Vorlesers an der Basilika. Er trug ein langes, schwarzes Gewand mit weiten Ärmeln; seine mit Öl gesalbten Haare wurden von einem schmalen Band zusammengehalten, damit sie ihm beim Lesen nicht in die Augen fielen.

Mit demütig gesenkten Augen schritt er durch die Reihen der Andächtigen. Sein bleiches Gesicht nahm fast unwillkürlich den Ausdruck einer erheuchelten, doch längst zur Notwendigkeit und Gewohnheit gewordenen frommen Demut an.

Er bestieg die hohe arianische Empore.

Die Fresken an der einen Wand stellten das Martyrium der heiligen Euphemia dar: der Henker hatte die Heilige am Kopfe gefaßt und hielt diesen nach rückwärts; ein anderer hatte ihr den Mund mit einer Zange aufgerissen und goß aus einer Schale etwas – vermutlich flüssiges Blei – hinein. Daneben war ein anderes Martyrium der gleichen Heiligen dargestellt: sie war mit den Händen an einem Baume aufgehängt, und ein Henker hobelte mit einem Marterwerkzeug ihre jungfräulichen, beinahe kindlichen Glieder. Darunter war eine Inschrift angebracht: »Mit dem Blute deiner Märtyrer, o Herr, wird die Kirche geschmückt wie mit Purpur und Seide.«

Auf der gegenüberliegenden Wand waren die Sünder in den höllischen Flammen dargestellt; über ihnen aber das Paradies mit den Heiligen und Märtyrern; einer von diesen pflückte von einem Baum eine wunderbare Frucht, ein andrer sang und schlug die Laute, ein dritter lehnte sich über eine Wolke und blickte mit stillem Lächeln auf die Qualen der Hölle hinab. Unten war eine Inschrift: »Da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Die Kranken hatten inzwischen den Sarkophag des heiligen Mama verlassen und drängten sich in die Kirche; da gab es Lahme, Blinde, Krüppel, Gelähmte, Kinder, die auf Krücken gingen und wie Greise aussahen, Besessene und Irrsinnige; die bleichen Gesichter mit den entzündeten Augenlidern drückten stumpfe, hoffnungslose Demut aus. So oft der Chor eine Pause machte, hörte man in der Stille die tiefen Seufzer der schwarzgekleideten Kirchenwitwen – der Kalogerien – und das Klirren der schweren Eisenketten, mit denen sich der alte Pamphilius zur Selbstkasteiung behangen hatte. Dieser Greis, der seit vielen Jahren mit keinem Menschen gesprochen hatte, lallte immer das gleiche Gebet vor sich hin: »Herr! Herr! Gib mir Tränen, gib mir Zerknirschung, laß mich immer an den Tod denken!«

Die Luft war hier warm und schwül wie in einem Grabgewölbe und erfüllt von dem Geruche des Weihrauches, der Wachskerzen, dem Qualme der Lampen und den Ausdünstungen der Kranken.

An diesem Tage mußte Julianus aus der Apokalypse vorlesen.

Vor ihm zogen die schrecklichen Gesichte der Offenbarung vorbei: das fahle Pferd, des Name Tod hieß, flog durch die Wolken, die Völker der Erde trauerten in der Vorahnung des jüngsten Tages; die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack und der Mond wie Blut; und die Menschen sprachen zu den Bergen und Felsen: »Fallet über uns, und verberget uns vor dem Angesichte des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. Denn es ist kommen der große Tag seines Zornes, und wer kann bestehen?« – Auch alte Prophezeiungen wurden wiederholt: »Und in denselbigen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden; werden begehren zu sterben, und der Tod wird vor ihnen fliehen.« – Es erklang der Schrei: »Selig sind die Toten!« und dann kam ein blutiges Gemetzel unter den Völkern; und die Trauben der Erde fielen in die große Kelter des Zornes Gottes, und die Kelter ward getreten, und das Blut ging bis an die Zäume der Pferde, durch tausendsechshundert Feld Wegs. Und die Menschen lästerten Gott im Himmel vor ihren Schmerzen und vor ihren Drüsen und taten nicht Buße für ihre Werke. Und der Engel sprach mit großer Stimme: »So jemand das Tier anbetet und sein Bild, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken, der lauter eingeschenkt ist in seines Zornes Kelch; und wird gequält werden mit Feuer und Schwefel vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. Und der Rauch ihrer Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier haben angebetet und sein Bild.«

Julianus war zu Ende und verstummte; in der Kirche war eine tiefe Stille eingetreten; in der erschrockenen Menge waren nur tiefe Seufzer, das Aufschlagen der Köpfe an dem steinernen Fußboden und das Klirren der Ketten des Irrsinnigen vernehmbar. »Herr! Herr! Gib mir Tränen, gib mir Zerknirschung, laß mich immer an den Tod denken!«

Der Knabe blickte zu dem großen Halbkreis zwischen den Säulen des Kuppelgewölbes hinauf: es war ein arianisches Christusbild aus Mosaik – ein finsteres, drohendes, hageres Antlitz mit goldenem Heiligenschein und einem Diadem, das dem der byzantinischen Kaiser glich; die lange, schmale Nase und die streng zusammengepreßten Lippen verliehen dem Heiland etwas Greisenhaftes; mit der Rechten segnete er die Welt, in der Linken hielt er ein Buch mit der Inschrift: »Friede sei mit euch! Ich bin das Licht der Welt!« Es saß auf einem prächtigen Throne, und ein römischer Kaiser – Julianus glaubte in ihm Constantius zu erkennen – küßte seine Füße.

Doch unten im Halbdunkel stand, von einer einzigen, kleinen Lampe erleuchtet, ein Marmorsarkophag aus den ersten christlichen Jahrhunderten. Er war mit Darstellungen kleiner, zarter Nereiden, Panther und lustiger Tritonen geschmückt; neben diesen waren auch Moses, Jonas mit dem Walfisch und Orpheus, wie er mit den Tönen seiner Leier die wilden Tiere bändigt, dargestellt; ein Olivenzweig, eine Taube und ein Fisch – einfältige Symbole eines kindlichen Glaubens – und zwischen diesen der Gute Hirte, mit dem Lamm auf den Schultern, dem verirrten und wiedergefundenen Lamm – der Seele des Sünders. Dieser barfüßige Jüngling schien freudig und einfach, sein bartloses Gesicht war demütig und mild, wie das eines armen Landmannes. Das Lächeln einer stillen, inneren Freudigkeit umspielte seine Lippen. Julianus schien es, daß jetzt niemand mehr den Guten Hirten kenne oder sehe; mit diesem kleinen Bildwerk aus einer alten Zeit war für ihn ein ferner Traum seiner Kindheit, dessen er sich oft erinnern wollte und nicht konnte, verknüpft. Es schien ihm, als ob der Jüngling mit dem Lamm auf den Schultern ihn, und nur ihn allein, geheimnisvoll und fragend anblicke. Und Julianus flüsterte das Wort, das er einst von Mardonius gehört hatte: »Der Galiläer!«

In diesem Augenblick fielen durch das Fenster schräge Sonnenstrahlen, und sie zitterten in der Wolke des Weihrauches; das finstere, drohende Antlitz Christi flammte plötzlich in goldenem Scheine auf und schien über den Weihrauchwolken zu schweben. Der Chor fiel feierlich ein:

»Es schweige jede menschliche Kreatur, und stehe in Furcht und Zittern und denke an nichts Irdisches. Denn der König der Könige und der Herrscher der Herrschenden kommt in die Welt, um sich zu opfern und seine Gläubigen zu speisen. Engel schreiten ihm voraus, mit aller Gewalt und Kraft, vieläugige Cherubin und sechsflügelige Seraphim. Sie verhüllen ihre Gesichter und singen: Halleluja! Halleluja! Halleluja!«

Das Lied brauste wie ein Sturm über den Köpfen der Betenden.

Das Bild des barfüßigen Jünglings, des Guten Hirten, trat in weite Ferne zurück, doch blickte sein Antlitz Julianus noch immer fragend an. Und das Herz des Knaben krampfte sich zusammen, nicht aus Andacht, sondern aus Grauen vor diesem Geheimnisse, das er in seinem ganzen späteren Leben nicht zu lösen vermochte.

V.

Inhaltsverzeichnis

Als er aus der Basilika nach Macellum heimgekehrt war, holte er sofort die nun fertige, sorgfältig in ein Tuch gehüllte Trireme hervor und schlich sich mit dem Spielzeug, von niemandem bemerkt, hinaus; Eutropius war für einige Tage verreist. Er lief an der Mauritiuskirche vorbei zum nahen Tempel der Aphrodite.

Der Hain der Göttin grenzte an den Friedhof der christlichen Kirche. Streitigkeiten, Feindseligkeiten und sogar Prozesse zwischen den beiden Gemeinden hörten nie auf. Die Christen verlangten die Zerstörung des Götzentempels. Der Priester Olympiodores hatte sich mehrmals beschwert, daß die Kirchenwächter nachts heimlich uralte Cypressen im heiligen Haine gefällt und auf Aphroditens Boden Gräber für christliche Leichen gegraben hätten.

Julianus trat in den Hain. Ein warmer, harziger Duft umfing ihn, denn die Mittagssonne hatte aus der grauen, faserigen Rinde der Cypressen duftende Harztropfen gesogen. Julianus glaubte in dem Halbdunkel Aphroditens Hauch zu spüren.

Zwischen den Bäumen standen weiße Statuen; auch ein Eros war da, der seinen Bogen spannte und dem jemand, vermutlich einer der Kirchenwächter, zum Spott den marmornen Bogen abgeschlagen hatte: die Waffe der Liebe lag nun mit den beiden Armen des Gottes im Grase zu seinen Füßen; der armlose Knabe aber zielte noch immer mit keckem Lächeln, das eine dicke Beinchen etwas vorgestreckt.

Julianus betrat das kleine Wohnhaus des Oberpriesters Olympiodores. Die Zimmer darin waren klein und eng, beinahe wie in einem Puppenhaus, doch gemütlich. Man sah keinerlei Luxus, weder Teppiche, noch Silbergerät; alles machte eher einen ärmlichen Eindruck; die Fußböden waren mit einfachen Steinen ausgelegt; die Bänke und Stühle waren aus Holz; einige billige Amphoren aus gebranntem Ton bildeten den einzigen Schmuck. Aber jede Kleinigkeit zeugte hier von hohem Geschmack. Der Griff einer einfachen Küchenlampe stellte in alter, kunstvoller Arbeit den Gott Poseidon mit dem Dreizack dar. Julianus konnte zuweilen stundenlang die schlanken Formen einer einfachen tönernen Amphora betrachten, die billiges Olivenöl enthielt. Alle Wände waren mit flüchtigen Fresken geschmückt: hier sah man eine Nereide, auf einem schuppigen Meerpferd reitend, dort eine tanzende, junge Göttin in einem langen Peplum mit wehenden Falten.

In diesem von Sonnenlicht durchfluteten Häuschen schien alles zu lachen: an den Wänden lachten die Nereiden, die tanzenden Göttinnen, die Tritonen und selbst die schuppigen Meerpferde; auch der kupferne Poseidon auf dem Lampengriff lachte; das gleiche Lachen spielte auch auf den Gesichtern der Hausbewohner; ihre Heiterkeit war ihnen angeboren; wenn sie nur zwei Dutzend wohlschmeckender Oliven, ein weißes Weizenbrot, einige Weintrauben und Becher mit Wasser verdünnten Weines hatten, so kam es ihnen wie ein Festmahl vor, und die Frau des Oberpriesters, Diophane, hing zum Zeichen der festlichen Stimmung einen Lorbeerkranz an die Haustüre.

Julianus trat in das Gärtchen. Unter freiem Himmel plätscherte ein Springbrunnen, und daneben stand zwischen Narzissen, Tulpen, Akanthus und Myrten eine kleine Bronzestatue des beflügelten Hermes; er lachte, wie alles im Hause, und schien im Begriffe zu sein, auf und davon zu fliegen.

Im leichten Schatten der Vorhalle spielten Olympiodores und seine siebzehnjährige Tochter Amaryllis das zierliche attische Spiel, den »Kottabus«: auf einem kleinen in die Erde gerammten Pfahl war ein beweglicher Querbalken in der Art eines Wagebalkens angebracht; an seinen beiden Enden hing je eine kleine Schale, und unter jeder Schale stand ein Gefäß mit Wasser und einer kleinen Figur aus Kupfer; die Aufgabe bestand darin, daß man aus einer gewissen Entfernung aus einem Becher etwas Wein in eine der beiden Schalen schleudern mußte, so daß diese sich senkte und die kleine Kupferfigur berührte.

»Spiele nun, spiele! Jetzt ist die Reihe an dir!«

»Eins, zwei, drei!«

Olympiodores schleuderte und traf die Schale nicht; das Mädchen lachte hell auf; die kindliche Ausgelassenheit des älteren, leicht ergrauten Mannes, der vom Spiele ganz hingerissen war, machte einen höchst seltsamen Eindruck.

Das Mädchen warf mit einer schönen Bewegung des nackten Armes ihre lilafarbene Tunika zurück und schleuderte ihren Wein; die Schale des Kottabus schlug klirrend an.

Amaryllis klatschte in die Hände und lachte auf.

Plötzlich sah sie Julianus, der noch in der Türe stand. Beide eilten ihm entgegen und begannen, ihn zu umarmen und zu küssen. Amaryllis schrie:

»Diophane! wo steckst du nur? Sieh' nur, welch ein Gast! Schnell, schnell!«

Diophane kam aus der Küche herbeigelaufen.

»Julianus, mein liebes Kind! Was hast du? Du siehst etwas heruntergekommen aus. Wir haben dich so lange nicht gesehen ...«

Strahlend vor Freude fügte sie hinzu:

»Freut euch, meine Kinder! Heute wollen wir ein Festmahl bereiten: ich werde Rosenkränze winden, drei Barsche braten und süßen Ingwerkuchen backen ...«

In diesem Augenblicke kam eine junge Sklavin herbei, die Olympiodores zuflüsterte, eine reiche Patrizierin aus Cäsarea sei eingetroffen, die den Priester der Aphrodite in einer wichtigen Sache sprechen wolle. Olympiodores ging hinaus.

Julianus und Amaryllis vertieften sich in das Kottabusspiel.

Da erschien unhörbar auf der Schwelle ein zehnjähriges, blasses, schlankes und blondes Mädchen; es war die jüngste Tochter des Olympiodores, Psyche. Sie hatte große, blaue, traurige Augen und schien die einzige im Hause zu sein, die am Dienste der Aphrodite und an der allgemeinen Fröhlichkeit nicht teilnahm. Sie lebte ihr eigenes Leben für sich, blieb ernst, wenn alle lachten, und nie kannte man die Ursache ihrer Freude oder Trauer. Der Vater hielt sie für ein unheilbar krankes, elendes Geschöpf, und glaubte, daß seine Feinde, die Galiläer, sein Kind aus Rache mit ihrem bösen Blick behext hätten. Die schwarzlockige Amaryllis war die Lieblingstochter des Vaters, doch die Mutter verwöhnte insgeheim das kranke Kind; sie liebte es eifersüchtig und leidenschaftlich, obwohl ihr sein inneres Wesen fremd blieb.

Psyche besuchte hinter dem Rücken des Vaters die Basilika des heiligen Mauritius. Die Mutter vermochte weder mit Liebkosungen und Bitten, noch mit Drohungen sie davon abzuhalten. Der Priester war an seiner Tochter verzweifelt und hatte sich von ihr losgesagt. So oft man von ihr sprach, wurde sein Gesicht finster und nahm einen gehässigen Ausdruck an. Er behauptete, durch die Gottlosigkeit des Mädchens brächte ein Weinberg, der früher von Aphrodite mit reicher Ernte gesegnet wurde, in der letzten Zeit weniger ein; denn das kleine, goldene Kreuz, das das Kind am Halse trug, genüge schon, um den Tempel zu entweihen.