Chronos Academy: Sammelband der packend-romantischen Fantasy-Dilogie »Chronos Academy« - Verena Bachmann - E-Book
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Chronos Academy: Sammelband der packend-romantischen Fantasy-Dilogie »Chronos Academy« E-Book

Verena Bachmann

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Beschreibung

**Die Mächte der Zeit** Inoris bisheriges Leben ändert sich schlagartig, als sie erfährt, dass sie magische Fähigkeiten besitzen soll. Fortan besucht sie die geheimnisvolle Chronos Academy und muss lernen, mit ihren Kräften umzugehen. Dort begegnet sie dem faszinierenden und zugleich charmanten Cestian, zu dem sie von Anfang an eine besondere Verbindung spürt. Gemeinsam entdecken sie das größte Geheimnis der Akademie und erfahren vom mystischen Tor der Zeit. Bei der Suche nach diesem magischen Ort werden nicht nur Inoris neu gewonnene Magie und ihr Mut auf die Probe gestellt, sondern auch ihr Herz. Academy Fantasy, die dich die Zeit vergessen lässt! Erlebe eine fesselnde Welt voller Magie und tiefer Gefühle. Die neue Lieblingslektüre für alle, die gern packende Fantasy mit einer großen Portion Herzklopfen lesen. //Dies ist die Gesamtausgabe der magischen Fantasy-Buchserie »Chronos Academy«. Alle Bände der Reihe: -- Chronos Academy 1: Eiswächter -- Chronos Academy 2: Feuerpakt// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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www.impressbooks.de Die Macht der Gefühle

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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2021 Text © Verena Bachmann, 2020, 2021 Lektorat: Diana Steigerwald Coverbild: shutterstock.com / © Antikwar / © Yoko Design / © Vector memory / © donatas1205 / © Stock_Good / freepik.com / © rawpixel.com / © fwstudio / © kjpargeter / © freepik Covergestaltung: Emily Bähr Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60663-8www.carlsen.de

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Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Verena Bachmann

Chronos Academy 1: Eiswächter

**Die Magie der Zeit**Inori hätte nie gedacht, dass ein Familiengeheimnis ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Sie soll magische Fähigkeiten besitzen und wird als Schülerin an der sagenumwobenen Chronos Academy aufgenommen. Doch damit sich ihre Gabe zeigt, muss sie eine lebenslange Verbindung mit einem anderen Menschen eingehen. Für Inori undenkbar! Bis sie auf den charmanten Cestian trifft, in dessen smaragdgrünen Augen sie sich ganz und gar verlieren könnte, dessen Herz aber verschlossen ist. Dabei braucht Inori ihre Fähigkeiten so schnell wie möglich, denn im Inneren der Schule gibt es ein verborgenes Portal, das nur mit Hilfe von Magie geöffnet werden kann …

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Vita

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© privat

Verena Bachmann, geb.1987 in Aschaffenburg, lebt mit Hund und Katzen in einem kleinen Dorf im schönen Spessart. Nach einem freiwilligen ökologischen Jahr absolvierte sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau und arbeitet heute in einem Unternehmen für Modeaccessoires. Die Liebe zu Büchern weckte im Grundschulalter Enid Blyton und inzwischen stapeln sich die vielseitigsten Romane in ihren Regalen. Doch trotz bunter Auswahl reichte lesen allein irgendwann nicht mehr aus und so beschloss sie ihre eigenen Gedanken ebenfalls einmal zu Papier zu bringen.

Für Nicole

Die Salatschüsseln und Kaffee eine ganz neue Bedeutung verliehen hat.

Jede Kraft geht immer einher mit einer ebenso großen Gegenkraft

3. Newtonsches Gesetz

Kapitel 1: Familiengeheimnisse

»Inori. Inori, wach auf.«

Die eindringliche Stimme meiner Mutter sowie ihr stetiges Rütteln an meiner Schulter rissen mich aus dem Schlaf. Müde rieb ich mir über die Augen und blickte in ihr besorgtes Gesicht, das nur spärlich vom Flurlicht beleuchtet wurde, das durch die halb geöffnete Tür in mein Zimmer fiel.

Dankenswerterweise hatte Mama mein Zimmer im Dunkeln gelassen.

»Mama? Was ist denn los?«, fragte ich und tastete nach meiner Brille neben dem Bett, ehe ich mich aufsetzte.

»Inori, du musst aufstehen. Bitte zieh dich an und komm runter.«

Die Stimme meiner Mutter klang angespannt. Was war los?

Die Digitaluhr auf meinem Nachtschrank zeigte 04:12 an. Es war mitten in der Nacht.

»Ist was mit Papa?«, fragte ich besorgt.

Angst legte sich wie eine stählerne Faust um mein Herz.

Bevor ich zu Bett gegangen war, hatte er vor dem Fernseher in seinem Lieblingssessel gesessen.

Nichts hatte darauf hingedeutet, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Aber warum sollte Mama mich sonst um diese Uhrzeit aus dem Bett holen, wenn ich Schule hatte?

Unsere Familie bestand nur aus meinen Eltern und mir. Andere Verwandte hatten wir nicht, zumindest waren mir keine bekannt.

Wenn etwas passiert war, aber Mama hier im Zimmer war …

»Papa geht es gut. Keine Sorge. Wir haben nur etwas Wichtiges zu besprechen«, antwortete Mama, ehe sie mein Zimmer verließ.

Etwas zu besprechen?

Jetzt hellwach erhob ich mich aus dem Bett, verschwand kurz in mein kleines Bad, das an mein Zimmer angrenzte, und schlüpfte dann in die ersten Klamotten, die in Griffweite lagen.

Ich betrat den Flur und unterdrückte nur mit Mühe einen erschrockenen Aufschrei, als ich zwei mir fremde Personen am Treppenabsatz entdeckte.

Ihre Erscheinung hatte etwas so Furchteinflößendes, dass sich in mir zwangsläufig die Frage aufdrängte, ob meine Eltern dubiosen Gestalten Geld oder etwas Ähnliches schuldeten.

Automatisch suchten meine Augen ihre Körper nach Waffen ab, aber konnten keine ausmachen.

Wobei die beiden auch sicher keine brauchten. Die Körpergröße des Mannes schätzte ich auf gute zwei Meter. Er hatte Muskeln wie ein Bodybuilder und war an den Armen bis hinauf zum Nacken komplett tätowiert.

Sein Gesicht empfand ich nicht als attraktiv, aber das lag vielleicht auch daran, dass er mich mit seinen dunklen Augen finster anstarrte. Seine Haare hatte er abrasiert, was ihm bei seiner Kopfform allerdings schmeichelte.

»Deine Eltern erwarten dich in der Küche, Inori«, zog die Frau meine Aufmerksamkeit auf sich und ich fragte mich, woher sie meinen Namen kannte.

Sie war etwas größer als ich, wobei das bei meinen 1,65 Metern auch kein Kunststück darstellte.

Ihre Haut besaß einen ebenmäßigen dunklen Teint, was es schwer machte, sie in eine Alterskategorie einzuordnen. Eventuell Mitte dreißig. Vielleicht aber auch schon über vierzig. Ihr schwarzes Haar war zu vielen kleinen Zöpfen geflochten, die ihr bis zur Taille fielen. Ihr Körper hatte zwar sehr weibliche Rundungen, aber das ärmellose Top, das sie trug, zeigte auch definierte Muskeln. Sie waren bei Weitem nicht so ausgeprägt wie bei dem Mann, aber eindeutig vorhanden. Es tat bestimmt weh, wenn sie zuschlug.

Sie lächelte mir mit ihren strahlend weißen Zähnen aufmunternd zu, die einen starken Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildeten. Ähnlich wie ihre fast gänzlich schwarzen Iriden zu den weißen Augäpfeln.

Auch wenn sie netter wirkte als der Mann neben ihr, blieb mein mulmiges Gefühl.

»Ähm … Hallo …«, fand ich meine Sprache wieder und setzte mich erneut in Bewegung.

Sie machten keine Anstalten, sich vom Fleck zu bewegen, ließen mich aber kommentarlos passieren.

Am Treppenende warf ich beiden noch einen misstrauischen Blick über die Schulter zu, ehe ich mich beeilte in die Küche zu kommen.

»Mama, wer …«, ich brach ab, als ich auf dem Hocker vor unserer Kücheninsel eine weitere Person erkannte, die ich vorher noch nie gesehen hatte.

Da war ich mir absolut sicher, denn diese Frau wäre mir in Erinnerung geblieben.

Anhand ihrer vielen Falten, die sich deutlich auf ihrer papierweißen Haut abzeichneten, schätzte ich sie auf Mitte sechzig. Ihre feuerroten Locken, die den Eindruck erweckten, als wäre ein Wischmopp auf ihrem Kopf explodiert, verstärkten ihre Blässe.

Wie ich trug sie eine Brille. Allerdings war das Gestell Pfauenfedern nachempfunden und daher nicht nur sehr auffällig, sondern echt übertrieben. Aber wenn ich den Rest von ihr betrachtete, war das wohl Absicht. Sie trug einen knielangen Bleistiftrock und dazu eine locker sitzende Bluse mit einer riesigen Schleife. Der weiße Stoff war durchgehend schwarz gepunktet und verlieh ihr das Aussehen eines großen Dalmatiners.

Ich machte mir zwar nichts aus Mode, aber das hier …

»Inori, das ist … deine Großtante Moira«, stellte meine Mutter die Frau vor, klang dabei aber äußerst widerwillig.

»Ich habe eine Großta…«, setzte ich überrascht an, wurde aber jäh unterbrochen, als Moira vom Stuhl aufsprang.

»Meine Güte, dieser Rock! Ich liebe Schottenmuster!«, rief sie begeistert, eilte auf mich zu und ergriff den Saum meines Faltenrocks.

Ich war dankbar für meine blickdichte schwarze Strumpfhose, als sie den Stoff weiter nach oben in ihre Nähe zog, um ihn zu betrachten.

Verwirrt blickte ich zu meiner Mutter.

»Nun, ich gebe zu, wir reden nicht oft über sie …«, gab sie trocken zurück.

Dabei wäre nie wohl das treffendere Wort gewesen.

Bestimmt entwand ich meiner seltsamen Großtante den Stoff und strich meinen Rock demonstrativ nach unten, was sie dazu veranlasste, sich dem Rest von mir zu widmen.

Sie legte sanft die Fingerspitzen unter mein Kinn und zwang mich mit leichtem Druck, den Kopf etwas anzuheben, um mein Gesicht nun eingehend zu mustern.

»Sieh an. Auf den ersten Blick zwar etwas unauffällig, aber ein recht hübsches Gesicht. Mmh … den Pony solltest du vielleicht rauswachsen lassen …«, riet sie mir, während sie erst an meinen Stirnfransen zupfte und dann zu meinen Haarspitzen wechselte, die mir knapp bis zu den Schultern reichten. Ich schob ihre Hand weg, was sie aber leider nicht davon abhielt, mich zu betrachten.

»Du bist sehr klein und zierlich. Wobei diese Taille und die schlanken Beine wirklich beneidenswert sind. Die Brust gehört vielleicht noch etwas mehr gepusht …«

Ich warf meiner Mutter einen fragenden Blick zu.

Was sollte das denn werden?

Davon abgesehen, dass ich einen soliden B-Cup vorweisen konnte, womit ich vollauf zufrieden war, hatte ich nicht vor, jemals eine Modelkarriere anzustreben.

»… aber ansonsten wirklich annehmbar«, schloss Moira ihre Musterung, ehe sie den Kopf in Richtung meiner Mutter drehte.

»Sie hat wenig Ähnlichkeit mit dir, Chiaki.«

Meine Mutter verzog kurz das Gesicht.

Mir wurde Moira in keiner Weise sympathischer, aber man konnte ihre Aussage auch schlecht entkräften.

Ich kannte meine Großeltern nicht, hatte auch nie Fotos von ihnen gesehen, aber es war offensichtlich, dass mindestens ein Elternteil meiner Mutter asiatischer Herkunft war.

Japanischer, wenn man die Namen von mir und meiner Mutter bedachte. Sie redete fast nie über ihre Vorfahren, aber ich wusste, dass sie mich nach ihrer Großmutter benannt hatte.

Bei mir war dieser Einfluss fast gänzlich verloren gegangen. Ich entsprach mit meinen hellblauen Augen und meinen Gesichtszügen komplett dem europäischen, genau genommen skandinavischen, Aussehen meines Vaters. Einzig seine Körpergröße, er maß etwa 1,90 Meter, und seine hellblonde Haarfarbe hatte er mir nicht vererbt.

Mein Haar war pechschwarz und von gleicher Festigkeit wie das meiner Mutter, was außer meinem Namen auch das einzig japanische Merkmal an mir blieb.

»Willst du sie weiter begutachten wie ein Rennpferd, Moira?«, meldete sich erstmals mein Vater zu Wort und machte sich nicht die Mühe, die Missbilligung aus seiner Stimme zu verbannen.

»Nicht pampig werden, Alexander. Ihr seid gerade beide nicht in der besten Position, um unhöflich zu sein«, erwiderte meine Großtante kühl, weshalb ich hellhörig wurde. Sie ließ von mir ab und setzte sich zurück auf den Hocker.

Ich machte einen Bogen um sie und trat an die Seite meiner Eltern, die am gegenüberliegenden Ende unserer Kücheninsel saßen.

»Was ist hier eigentlich los?«, schaffte ich es endlich, zu fragen.

»Nun, mein liebes Kind. Ich hatte bereits eine kurze Unterredung mit deinen Eltern und musste erfahren, dass sie dich dein Leben lang angelogen haben.«

Mein Vater räusperte sich ungehalten, woraufhin Moira genervt die Augen verdrehte.

»Na schön. Nicht direkt angelogen, aber die Wahrheit haben sie dir verschwiegen. Wen interessiert noch diese lächerliche Haarspalterei, Alexander?«

»Wovon redet sie?«, fragte ich an meine Eltern gewandt.

»Wir … also unsere Familie … besitzt eine gewisse Eigenart«, begann mein Vater langsam und blickte mir erstmals wieder in die Augen. Seine Miene drückte solches Bedauern aus, dass es mir einen Knoten im Magen verursachte.

»Eine Art Gendefekt«, führte Moira energischer fort.

»Dadurch können wir unter den richtigen Umständen eine Fähigkeit entwickeln, die man wohl gemeinhin als übermenschlich oder Magie bezeichnen würde.«

»Was?«, fragte ich ungläubig und wartete darauf, dass meine Eltern anfingen zu lachen.

Aber das taten sie nicht. Ihre Mienen blieben auffallend angespannt.

»Das ist doch ein Witz! Was soll das denn heißen? Dass wir Zauberer sind oder so was?«

»Nein. Eher Mutanten. Wie in X-Men«, antwortete Moira, als würde das alles besser machen.

»Sie sind verrückt«, entgegnete ich endlich, was ich schon die ganze Zeit dachte. Hoffentlich war eine plötzlich ausbrechende Geisteskrankheit nicht erblich.

»Eher exzentrisch«, gab Moira ungerührt zurück. »Das würde sich auch weniger verrückt für dich anhören, wenn deine Eltern sich an die Vereinbarung gehalten hätten, die sie vor siebzehn Jahren mit dem Zirkel getroffen haben.«

»Mama?«, überging ich Moira und starrte meine Mutter auffordernd an, damit sie diesem Unsinn endlich ein Ende bereitete.

Sie rieb sich über das Gesicht und wirkte auf einmal eher müde statt verärgert.

»Es gibt da diese Schule. Dein Vater und ich haben sie besucht und uns dort kennengelernt. Sie nennt sich Chronos Academy. Dort werden Leute wie wir … ausgebildet und … einander nähergebracht.«

»Was?«

Ich verstand nur Bahnhof.

»Wie Moira sagte. Wir haben diese Veranlagung, übermenschliche Fähigkeiten zu entwickeln. Das geschieht aber nicht automatisch. Es passiert erst, wenn wir eine Bindung … wir nennen es Nexus … mit einem geeigneten Partner eingehen«, führte mein Vater fort.

»Und ihr habt so eine Bindung?«, fragte ich zweifelnd, weil ich nicht glauben konnte, dass meine Eltern mir sechzehn Jahre lang irgendwelche Superkräfte verheimlicht hatten.

»Nein«, antwortete mein Vater und schüttelte langsam den Kopf.

»Das ist der Grund, warum wir von dort fort sind. Warum wir dir das alles verschwiegen haben. Es tut mir leid, Inori. Wir wollten nie etwas vor dir verheimlichen, aber …«

»Diese Partnerschaften sind nicht immer freiwillig. Der Zirkel … er steht hinter der Academy und zwingt, wenn nötig, Menschen zusammen, die er für geeignet hält«, ergriff meine Mutter wieder das Wort und blickte zornig in Moiras Richtung.

Diese erwiderte Mutters Blick ungerührt. Fast schon gelangweilt.

»Du bist schon lange nicht mehr auf dem neusten Stand, Chiaki. Das kommt eben davon, wenn man fortläuft und sich jahrelang versteckt.«

»Wir haben uns versteckt?«, fragte ich automatisch, weil es sich für mich anfühlte, als würde plötzlich ein Puzzleteil an die richtige Stelle geschoben.

Ich konnte mich nicht erinnern, jemals länger als zwei Jahre am selben Ort verbracht zu haben.

Meine Eltern hatten immer behauptet, dass wir aufgrund von Papas Arbeit so oft umgezogen waren, aber anscheinend stimmte das nicht. Das Gefühl von Zorn und Enttäuschung erfüllte mich und ich sah meine Eltern vorwurfsvoll an.

»Was ist denn der neuste Stand? Habt ihr etwa aufgehört Menschenleben aneinanderzuketten, nur um Kräfte zu entwickeln?«, entgegnete meine Mutter an Moira gerichtet, ohne auf mich einzugehen.

»Natürlich nicht. Die Freisetzung der Kräfte ist notwendig, um unsere Aufgabe zu erfüllen. Und so ignorant könnt ihr beide nicht sein, dass euch nicht klar ist, welche fatalen Folgen es hätte, wenn es den Zirkel und die Academy nicht mehr gäbe. Wir haben allerdings schon seit geraumer Zeit aufgehört diese Verbindungen zu erzwingen, wie ihr es nennt. Sie erfolgt jetzt ausschließlich auf freiwilliger Basis und mit absoluter Offenlegung der … möglichen Risiken.«

Meine Eltern stießen fast zeitgleich ein verächtliches Schnauben aus, das deutlich zum Ausdruck brachte, dass sie Moira kein Wort glaubten.

»Dann könnt ihr Inori doch auch in Ruhe lassen«, sagte mein Vater.

»Mach dich nicht lächerlich, Alexander. Gerade weil wir nichts mehr … forcieren, ist es notwendig, eine größere Auswahl zu haben.«

»Was … Was hat das zu bedeuten?«, warf ich ein. Ich wollte endlich wissen, was das alles mit mir zu tun hatte.

»Das heißt, mein liebes Kind, dass wir hier sind, um dich mit zur Academy zu nehmen, wo du schon seit Jahren sein solltest«, entgegnete Moira mit einem Lächeln, das allerdings alles andere als beruhigend wirkte.

»Mitnehmen? Ich will nicht zu dieser Academy!«, rief ich.

Der Gedanke, auf irgendeine seltsame Schule gehen zu müssen, einzig zu dem Zweck, sich verkuppeln zu lassen, um – ja was? – Magie zu erzeugen, war erschreckend.

Außerdem wollte ich nicht schon wieder auf eine neue Schule. Ich hatte in den letzten Jahren so oft wechseln müssen, dass ich mich nicht einmal mehr an jede Schule erinnern konnte, und zuletzt hatten meine Eltern versprochen …

Mein Blick fiel auf den Bauch meiner Mutter. Die kleine Rundung verriet inzwischen, dass sie sich in anderen Umständen befand. Ihr Arzt hatte ihr Ruhe verordnet, weil sie altersmäßig mittlerweile als Risikoschwangere galt.

Deshalb hatten meine Eltern versprochen, dass wir nicht erneut umziehen würden.

Wenn stimmte, was Moira sagte, und wir all die Jahre umgezogen waren, um uns zu verstecken … hatten sie uns jetzt vielleicht durch die Schwangerschaft gefunden?

Meine Mutter nahm inzwischen regelmäßig Arzttermine wahr, hatte so viele Papiere ausgefüllt, sich hier und dort anmelden und registrieren müssen, was sie früher immer weitestgehend zu vermeiden versucht hatte.

»Das steht leider nicht zur Diskussion, meine Liebe«, entgegnete Moira auf meinen Protest.

Fassungslos ging mein Blick zwischen Moira und meinen Eltern hin und her.

»Mama?«

»Ich …«, begann meine Mutter, aber Moira würgte sie herrisch ab.

»Mach nicht so ein Drama daraus, Chiaki. Zwar wäre es absolut wünschenswert, in Inori die schlummernden Kräfte zu wecken … aber niemand behauptet, dass es auch so sein wird. Wenn sich kein geeigneter Partner findet, wird eure Tochter in fünf Jahren zumindest auf eine glänzende Schulbildung zurückblicken können. Die Chronos Academy ist schließlich eine hervorragende Einrichtung, in der die Kinder gefördert, bestens erzogen und wo ihnen die notwendigen Grenzen aufgezeigt werden.«

»Ihr habt eine vier Meter hohe Mauer mit Spitzen als Übersteigschutz, die das Gelände der Schule umschließt«, entgegnete mein Vater trocken.

»Ja. Ein effektives Mittel, um Grenzen aufzuzeigen«, erwiderte Moira, als würde sie nicht verstehen, wo das Problem lag.

»Fünf Jahre?«, warf ich jedoch entsetzt ein und ignorierte das mit der Mauer. »Da werde ich einundzwanzig sein!«

Ich warf einen Blick in die Runde, der hoffentlich deutlich sagte, wie wenig mir das gefiel.

»Richtig«, antwortete Moira und ich erkannte an ihrer Miene, dass sie wieder nicht nachvollziehen konnte, wo das Problem lag.

»Ob du für eine Verbindung geeignet bist, zeigt sich meist bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr. Daher diese Altersgrenze«, erklärte mein Vater.

»Aber …«, ich runzelte die Stirn und versuchte mich im raschen Kopfrechnen.

»… als Mama mit mir schwanger war, war sie noch keine einundzwanzig.«

»Richtig. Deine Mutter wurde unverhofft schwanger und deswegen sind deine Eltern vor siebzehn Jahren an den Zirkel getreten und haben die Bitte geäußert, freigestellt zu werden. Weil es bei ihnen ja eine so große Liebe war …«, Moira machte sich gar nicht erst die Mühe, den spöttischen Unterton aus ihrer Stimme zu verbannen, »… wollten beide nicht riskieren mit einem anderen Menschen … verbunden zu werden. In Anbetracht der damaligen Umstände stimmte der Zirkel zu und die beiden durften die Schule frühzeitig verlassen. Allerdings unter der Bedingung, das Kind später in die Obhut der Academy zu geben. Ein Versprechen, das deine Eltern leider nicht gehalten haben.«

»Aber … ich möchte nicht für fünf Jahre in diese Schule gesperrt werden …«, versuchte ich es erneut.

»Du darfst in den Ferien doch nach Hause«, antwortete Moira.

»Aber ich will …«, setzte ich an, woraufhin Moira sich ruckartig erhob, sich nach vorne beugte und mir sanft über die Wange strich, ehe sie mein Kinn umfasste.

»Meine Liebe … es ist vollkommen egal, was du willst. Du gehörst jetzt zu uns. Einzig meinem Wohlwollen und dem des Zirkels ist es zu verdanken, dass wir davon absehen, deine Eltern zu bestrafen.«

»Bestrafen?«, fragte ich fassungslos und entwand ihr mein Gesicht.

»Deine Eltern haben sich nicht an unsere Regeln gehalten. Natürlich hat so etwas Folgen. Aber aufgrund des derzeitigen Zustands deiner Mutter … sehen wir von der Bestrafung ab. Das kann sich natürlich schnell ändern, wenn du nicht bereitwillig mit uns kommst und dich in die Academy einfügst.«

Ich warf meinen Eltern einen verzweifelten Blick zu. Mein Vater hatte die Hände zu Fäusten geballt, aber seine Augen ruhten auf der Hand meiner Mutter, mit der sie sich selbstvergessen über den Bauch strich.

Auch ich starrte lange auf die Rundung, ehe ich wieder den Mund öffnete.

»In Ordnung«, sagte ich und meine Stimme klang weit weg.

»Perfekt. Dann lass uns mal rasch deine Sachen packen, nach dem Frühstück geht es los«, zwitscherte Moira gut gelaunt und ging ein paar Schritte durch die Küche, ehe sie sich ohne Vorwarnung gegen die Vorhänge am Fenster schmiss.

»Dieser Stoff. Wundervoll! Ich liebe diese Retromuster!«, rief sie so laut, dass wir alle drei zusammenzuckten.

Kapitel 2: Willkommen in der Academy

Mein Leben war vorbei.

Gut, das mochte im ersten – und vielleicht auch im zweiten – Moment melodramatisch klingen, aber es fühlte sich für mich genauso an.

Vor nicht einmal sieben Stunden war mein Leben in geordneten Bahnen verlaufen. Ich hatte eine gewöhnliche Schule besucht … in nicht einmal einem Jahr meinen Abschluss machen wollen … um danach zu studieren, meine Zukunft zu gestalten …

Doch jetzt hockte ich im Hogwarts Express für Arme, der mich zur Academy für Hexerei und Zauberei bringen sollte. Der letzte Ort, an dem ich sein wollte.

Okay. Schlechtes Beispiel.

Wer würde nicht nach Hogwarts wollen?

Aber nicht auf diese seltsame Academy, über die ich bis heute noch kein einziges Wort gehört hatte.

Die Landschaft zog am Fenster vorbei, aber ich nahm nichts davon bewusst wahr. Irgendwann war sie nur noch ein lang gezogener grüner Streifen.

Nachdem sich Moira auf das Halstuch der Zugbegleiterin gestürzt und sie zu Tode erschreckt hatte, weil sie den Stoff so fantastisch fand – meine Großtante war wirklich seltsam –, döste sie nun in einer Ecke des Abteils vor sich hin.

Mein Blick fiel auf die beiden Gestalten, die mich zusammen mit Moira abgeholt hatten.

Inzwischen wusste ich, dass die Frau Amara und der Mann Ian hießen und die beiden wohl für Aufgaben herangezogen wurden, bei denen es gegebenenfalls nötig war, auch körperlich Nachdruck zu verleihen.

Angeblich waren sie diese Verbindung eingegangen, die besondere Fähigkeiten verlieh, aber bisher hatte noch keiner von ihnen irgendwelche Zaubertricks angewandt.

Doch ich war ja letztlich mehr oder minder freiwillig mitgekommen und so hatten sie sich nur darauf beschränkt, mir beim Packen zu helfen.

Also Amara hatte geholfen.

Ian hatte schweigsam vor der Tür gewartet.

Offensichtlich machte es ihm keine Freude, in der Unterwäscheschublade eines jungen Mädchens herumzuwühlen, was ich als durchaus positiv empfand. Wie Amara mir erklärt hatte, trugen die Schüler der Chronos Academy Uniformen, was einen Großteil meiner Kleidung obsolet machte.

Daher hatte ich mich stärker auf Unterwäsche, Strumpfhosen, Socken, Schuhe und andere Dinge konzentriert, von denen Amara gemeint hatte, dass ich sie brauchen würde.

Mama hatte mir beim Abschied versprochen, alles nachzuschicken, was ich vielleicht vergessen haben könnte. Diese Aussage hatte ich jedoch nur mit einem Nicken und einem dicken Kloß im Hals quittiert.

Auch wenn ein Teil von mir unheimlich sauer darüber war, dass meine Eltern mir so viel verschwiegen und mich von einer Stadt in die nächste geschleppt hatten … war der Abschied keineswegs leicht gewesen. Ich konnte deutlich an ihren Gesichtern ablesen, wie schwer es meinen Eltern fiel, mich gehen zu lassen.

Aber ein letzter Blick auf Mamas Bauch hatte mich darin bestärkt, dass es notwendig war zu gehen. Ich würde das jetzt durchziehen.

Wenn jemand Erfahrung damit hatte, auf eine neue Schule zu wechseln, dann ja wohl ich.

Auch wenn ich es nie gern tat, denn es fiel mir schwer, auf Leute zuzugehen.

Ich brauchte immer sehr lange, bis ich auftaute, und wenn es so weit war, hatte man mich meist schon als unfreundlich oder auch arrogant abgestempelt, weswegen ich in den ganzen Jahren kaum Freundschaften geschlossen hatte.

Ich hatte zwar noch nie ein Internat besucht, aber ich ging davon aus, dass es dort auch nicht anders sein würde.

Es gab sicher beliebte und unbeliebte Schüler und da ich noch nie zu den beliebten gezählt hatte, würde ich mich auch dort möglichst unauffällig verhalten, um nicht ins Visier der Schüler zu geraten, die dort den Ton angaben.

Meine bisherigen Erfahrungen in diesem Bereich reichten nämlich von Liebesbriefen, die zur Belustigung aller in meinem Namen verschickt worden waren, bis zu meinem Kopf in einer Toilettenschüssel.

Daher hatte ich – bevor die Gefahr bestand, auch noch mit Schweineblut überschüttet zu werden –, gelernt mich so unauffällig wie möglich zu verhalten, sodass einige meiner Mitschüler sogar überrascht darüber gewesen waren, dass wir dieselben Kurse besucht hatten.

Zu gern hätte ich noch etwas mehr über die Chronos Academy erfahren, aber keiner meiner drei Begleiter hatte das Wort an mich gerichtet, seit wir in diesen Zug gestiegen waren. Während Moira vor sich hin döste, schienen die anderen beiden ihren Gedanken nachzuhängen und ich beschloss es ihnen gleichzutun, da sich die vorbeiziehende Landschaft auch nach über einer Stunde kaum verändert hatte.

***

»Inori, wir steigen gleich aus«, weckte mich Amaras sanfte Stimme.

War ich nach dem wenig schmackhaften Essen im Speisewagen etwa erneut im Abteil eingeschlafen?

So viel schlief ich doch sonst nie.

Desorientiert sah ich mich um, bis mein Blick wieder auf das Fenster fiel, hinter dem ich jetzt nichts anderes als Dunkelheit sah.

Es war schon dunkel? Wie lange waren wir gefahren?

Und wo war diese Schule? Am Arsch der Welt?

Ich spürte, wie der Zug langsamer wurde, und drehte mich wieder zu den anderen um.

Ian hatte bereits meinen Koffer ergriffen und wartete außerhalb unseres Abteils auf dem Gang.

Moira zupfte an der Schleife ihrer Bluse und nur Amara schenkte mir ihre Aufmerksamkeit, lächelte mir aufmunternd zu.

»Sind wir schon da?«, fragte ich sarkastisch, warf noch einen kurzen Blick aus dem Fenster, in dem ich einzig mein Spiegelbild erkennen konnte, und erhob mich dann ebenfalls.

»Fast«, antwortete Moira.

Fast? Was hieß fast?

Das erfuhr ich, als wir den menschenleeren Bahnhof betraten, an dem außer uns niemand ausstieg – eventuell waren wir aber auch die letzten Passagiere im ganzen Zug gewesen –, und mein Blick auf einen großen dunklen Wagen fiel.

»Einsteigen«, brummte Ian und deutete auf die Rückbank.

Mir fiel auf, dass er das Wort zum ersten Mal direkt an mich gerichtet hatte, und ich fragte mich, ob er mich vielleicht nicht mochte.

Oder Menschen im Allgemeinen.

Aber ich ging nicht weiter darauf ein, sondern kletterte auf die Rückbank des SUV.

Ian startete den Wagen, lenkte ihn vom Parkplatz und wir fuhren erneut eine gefühlte Ewigkeit durch die Dunkelheit.

Arsch der Welt erschien mir plötzlich als nicht passend genug.

Dabei beunruhigte mich noch nicht einmal die Fahrtzeit, sondern die Tatsache, dass wir nur eine einzige Kleinstadt durchquerten und ich danach kaum mehr etwas anderes zu sehen bekam als weitläufige Wiesen und dichte Wälder.

Diese Schule schien verdammt abgelegen zu sein und mir kam unwillkürlich der Gedanke, dass manche Horrorfilme auch so anfingen.

Mit einem Gebäude in einer menschenleeren Gegend …

»Da sind wir«, verkündete Moira, als wir von der Straße abbogen und das Waldstück hinter uns ließen.

Ich spähte am Fahrersitz vorbei, doch auch wenn ich mir sicher war, dass der Anblick bei Tag eindrucksvoll sein musste, konnte ich jetzt kaum etwas erkennen, außer dass es ein wirklich großes Gebäude mit einem hoch aufragenden Uhrenturm war.

Ich war in Architektur überhaupt nicht bewandert, weshalb ich nicht wusste, ob die Bezeichnung Villa oder eher Herrenhaus zutraf … Vielleicht war es auch ein kleines Schloss … wobei mich der Uhrenturm an eine Kirche erinnerte … Auf jeden Fall handelte es sich bei der Academy um eine große, künstlerisch gestaltete Anlage, die fast schon antik wirkende Straßenlaternen leider nur sehr spärlich beleuchteten.

Ian fuhr den Wagen direkt vor den Eingangsbereich und als wir ausstiegen, fiel mein Blick auf den Garten, den ich unbedingt einmal bei Tag sehen wollte.

Selbst im schwachen Licht der Laternen war zu erahnen, wie aufwendig hier jemand alles gestaltet hatte.

Das war schon wieder etwas, das mir gefiel, sodass ich Moira und den anderen mit etwas weniger Widerwillen folgte.

»Hübsch, nicht?«, meinte Amara und ich konnte ihr nicht widersprechen, als wir in den Eingangsbereich traten.

Ein riesiger kristallener Lüster erhellte die Halle, der in mir sofort den Wunsch erweckte, hier nicht Putzfrau sein zu müssen, ebenso wie der petrolfarbene Teppich, der sich über den gesamten Boden und die Treppenstufen erstreckte. Ob sie bei dieser Fläche Saugroboter einsetzten?

Dafür, dass es sich hierbei um eine Schule handeln sollte, war der Teppich makellos sauber.

Genau genommen schien hier alles auf Hochglanz poliert worden zu sein, wenn ich das dunkle Holz betrachtete, das die Wände überzog.

Fünf Wege führten von unserem jetzigen Standort durch das Haus. Ebenerdige Flure rechts und links sowie eine große Flügeltür direkt gegenüber, die von zwei Treppen flankiert war, die in die oberen Stockwerke führten.

Ian stellte meinen Koffer neben mir ab und verschwand dann kommentarlos in den Gang zu meiner Rechten.

»Wir melden uns dann mal zurück«, informierte Amara meine Großtante, zog einen kleinen Zettel aus ihrer Hosentasche und hielt ihn ihr entgegen.

»Kleidergröße … Schuhgröße … Du hast an alles gedacht, perfekt. Danke, meine Liebe«, antwortete Moira, als sie den Zettel überflog.

Offensichtlich hatte Amara mir aus mehreren Gründen beim Packen geholfen, aber so ganz verstand ich den Sinn nicht.

»Mach dir keine Sorgen, Inori, dir wird es hier gefallen«, versprach mir Amara, was ich mit einem nichtssagenden Lächeln quittierte, ehe sie sich verabschiedete und Ian folgte.

»Gut. Du wartest hier und ich schaue, wo wir dich unterbringen«, sagte Moira, ging in den linken Gang und verschwand dort durch die erste Tür.

Ich blieb noch einen Moment unschlüssig stehen, dann schlenderte ich etwas umher und begann mir die ins Holz geschnitzten Verzierungen des Treppengeländers und der Wandvertäfelung anzusehen.

Mit den Fingern fuhr ich vorsichtig über das edle Holz und versuchte auszublenden, wie unheimlich diese Stille in dieser großen Halle wirkte.

Wieso war hier bloß niemand?

Ich trug keine Armbanduhr, aber war es inzwischen wirklich so spät? Wie lange hatte diese Zugfahrt denn gedauert?

Ich drehte mich zurück zur Eingangstür und erst jetzt fielen mit die zwei mannshohen Gemälde auf, die zu beiden Seiten davon hingen.

Es war keine moderne Kunst, die ich persönlich nicht verstand, sondern mit schönen Farben gemalte Bilder in opulenten, goldfarbenen Rahmen.

Das eine zeigte einen lichtdurchfluteten Wald mit einem mittelalterlichen Brunnen, das andere eine alte Frau im Profil, die gehüllt war in einen langen graublauen Mantel und eine große Sanduhr in den Händen hielt.

Das Bild mit der Frau fand mehr mein Interesse und ich trat näher, um es im Detail zu betrachten.

Im Hintergrund waren lauter Zahnräder zu erkennen, die Körner in der Sanduhr waren fast bis zur Hälfte hindurchgelaufen und inzwischen war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob das Bild wirklich eine alte Frau zeigte.

Das Gesicht war so gezeichnet, dass sich nicht eindeutig erkennen ließ, welches Geschlecht die Person darauf besaß.

Vielleicht sollte das Bild aber auch gar keinen Menschen zeigen. Lange, spitze Ohren lugten zwischen den langen silbergrauen Strähnen hervor.

Ich betrachtete gerade die dünnen goldenen Linien, die den Mantel zierten, als mich jemand grob an den Oberarmen packte.

Sofort stieß ich einen erschrockenen Schrei aus, wirbelte herum und fiel bei dem Versuch, Platz zwischen mir und meinem Angreifer zu schaffen, auf den Hintern.

Ich erkannte Unmengen von Haaren, was mich unliebsam an den Film The Ring oder vielleicht war es auch The Grudge erinnerte. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sich der Haarvorhang etwas verschob und ein einzelnes weit aufgerissenes Auge offenbarte, das mich gruselig anstarrte.

Mein Blick wanderte ängstlich an der Gestalt nach unten. Auf Höhe der Hüfte gingen die Haare in einen schwarzen Faltenrock über. Schlanke Beine in dunklen, kniehohen Strümpfen standen vor mir.

Ein Mädchen. Was die Begegnung nicht weniger unheimlich machte.

Bevor ich etwas sagen konnte, ließ es sich einfach nach vorne auf die Knie fallen, legte seine Hände auf meine Schultern und schob das Gesicht unangenehm nah vor meines.

»Das Geheimnis … liegt hinter den Bäumen …«, flüsterte die Fremde in eindringlichem und … ein bisschen hysterisch klingendem Tonfall und jetzt erkannte ich neben dem Auge noch ein schlankes Kinn und dünne Lippen.

»Was?«, fragte ich verständnislos und lehnte mich so weit wie möglich nach hinten, damit sie mir nicht mehr so nah war.

»Lanre, lauf nicht immer weg!«, ertönte eine Stimme über uns, gefolgt von raschen Schritten, die näherkamen.

Gleich darauf erschien ein weiteres Mädchen, sicher eine Schülerin der Academy, deren Anblick mir sofort Unbehagen bescherte.

Nicht weil sie so gruselig wirkte wie das Mädchen, das sich noch immer an mich klammerte, sondern weil sie so verdammt hübsch war.

Sie war groß gewachsen, besaß eine schlanke Figur und ellenbogenlanges, hellblondes Haar, bei dem ich keinen Ansatz sehen konnte … Anscheinend war dieses schöne Blond ihre Naturhaarfarbe, die sie wie eine zum Leben erwachte Barbiepuppe wirken ließ, und damit genau wie die Art Mädchen, die mir bisher immer den Schulalltag zur Hölle gemacht hatten.

»Huch, wer bist du denn?«, fragte sie überrascht, als sie mich entdeckte. Sie musterte mich neugierig mit ihren rehbraunen Augen, die umrahmt waren von beneidenswert langen Wimpern. Ob die echt waren?

Ich öffnete den Mund, aber bevor ich etwas erwidern konnte, beugte sich die Blonde nach unten, ergriff sacht die Schultern der Dunkelhaarigen und zog sie sanft, aber bestimmt von mir weg und auf die Füße.

»Entschuldige. Lanre, komm schon, du machst ihr ja noch Angst«, sagte sie ruhig zu dem Mädchen, das leicht nach vorne gebeugt, aber vollkommen reglos neben ihr stehen blieb. Lanres Arme – zumindest ging ich davon aus, dass sie so hieß – hingen schlaff an ihrem Körper herunter, als hätte sie von einer Sekunde auf die nächste sämtliche Kraft verlassen, und ihr Haar verdeckte wieder gänzlich ihr Gesicht.

»Ähm … Inori. Ich heiße Inori«, stellte ich mich vor, als die Blonde sich mit einem freundlichen Lächeln wieder mir zugewandt hatte und ich wieder auf die Beine gekommen war.

»Bist du eine neue Schülerin?«, fragte sie, als wäre das äußerst ungewöhnlich.

»Könnte man so sagen …«, antwortete ich, woraufhin sich ihr Gesicht erhellte und sie mir ein strahlendes Lächeln schenkte. Es verwunderte mich, hinter mir kein Blitzlichtgewitter von Fotografen wahrzunehmen, die dieses perfekte Zahnpastalächeln für die Ewigkeit festhalten wollten.

»Wie cool! Dann willkommen in der Academy. Ich bin Chloe und das ist Lanre. Sorry, wenn sie dich erschreckt hat. Sie neigt dazu, sich anzuschleichen.«

»Schon okay …«, gab ich langsam zurück.

»Chloe? Was macht ihr hier unten?«, mischte sich Moira ein.

»Verzeihung, Mistress Conroy. Lanre ist wieder herumgegeistert. Ich wollte sie gerade zurückbringen.«

Moira ließ den Blick aufmerksam über das Mädchen wandern.

»Verstehe …«, sagte sie langsam, dann wandte sie sich wieder an Chloe.

»Aber perfekt, dass du da bist.«

Sie deutete auf mich.

»Das ist Inori. Sie teilt sich ab heute das Zimmer mit euch.«

»Was?«, entfuhr es mir überrascht, während Chloe die Nachricht nur mit einem leichten Stirnrunzeln aufnahm.

»Okay … gut … dann … komm doch gleich mit«, wandte sich Chloe nach kurzer Zeit wieder an mich und ich fragte mich, ob sie die Nachricht ärgerte oder nicht.

Ich warf Moira einen unschlüssigen Blick zu, den sie auffordernd erwiderte, woraufhin ich meinen Koffer holte und Chloe folgte, die Lanre neben sich führte.

Wir nahmen die rechte Treppe, ignorierten die Tür, die tiefer in den ersten Stock führte, und gingen eine weitere Treppe nach oben. Und dann noch eine. Bei jeder Treppenstufe fühlte sich mein Koffer schwerer an.

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Chloe, die den dritten Stock schon erreicht hatte, während ich auf der Mitte der Treppe eine kurze Pause eingelegt hatte.

»Nein … danke. Geht schon«, antwortete ich, atmete aber schon deutlich schwerer.

Ich erklomm die letzten Stufen und unterdrückte ein Wimmern, als ich die weiteren Treppen sah, die nach oben führten.

»Keine Sorge, wir sind da«, informierte mich Chloe lächelnd.

Sie öffnete die nächstgelegene Tür und plötzlich nahm der Geräuschpegel zu, als wäre ich aus einem schalldichten Zimmer direkt in ein Kaufhaus getreten.

Der Raum erinnerte mich wegen seiner Größe im ersten Moment an einen Ballsaal. Von der Decke hingen tropfenförmige Kristalllampen herab, links von der Tür war ein Kamin in die Wand eingelassen worden und direkt in Blickrichtung gab es einen Erker mit einer gemütlich aussehenden Sitzecke.

Was natürlich nicht die einzige Möblierung war. Der Boden war hier mit einem violetten Teppich ausgelegt, es gab mehrere Tische, Stühle, Bücherregale, kleine Schränke, ein großes Sofa, bequem wirkende Sessel und überall tummelten sich Jugendliche in meinem Alter.

Ich konnte keinen einzigen unbesetzten Platz ausmachen und eine kleine Gruppe hockte sogar auf dem Boden und spielte dort Karten.

Einige Köpfe drehten sich in unsere Richtung und erinnerten mich unangenehm an die Panik, die ich immer verspürte, wenn ich ein Referat oder Ähnliches vor Leuten vortragen musste.

»Das ist der Gemeinschaftsraum des dritten Stocks. Hier dürfen wir uns bis zweiundzwanzig Uhr aufhalten, danach ist Bettruhe. Komm, ich zeig dir aber erst einmal unser Zimmer.«

»Okay«, antwortete ich kleinlaut und folgte Chloe mit gesenktem Kopf durch den Raum.

Die nächste Tür führte in einen Flur, auf dessen linker Seite in regelmäßigen Abständen Türen abgingen, während direkt gegenüber je ein Gemälde an der Holzvertäfelung hing.

Bei dem siebten Gemälde blieb Chloe stehen.

Ich betrachtete das fantasievolle Kunstwerk eines jungen Mädchens mit langem, grünlich schimmerndem Haar, dessen Kleidung mich an die einer Miko, einer japanischen Tempeldienerin, erinnerte. Meine Mutter besaß so ein Kleidungsstück, obwohl ich sie nur ein einziges Mal darin gesehen hatte. Die Frau auf dem Bild hielt mit geschlossenen Augen einen kreisrunden Spiegel in den Händen, während im Hintergrund Splitter auf sie niederregneten.

Auch wenn das Bild von Weiß- und Grüntönen dominiert wurde und das Gesicht des Mädchens traurig wirkte, war es toll gezeichnet und zeugte von dem Talent des Künstlers oder der Künstlerin.

»Hereinspaziert«, verkündete Chloe und öffnete die Tür.

Auch wenn es mich nicht begeisterte, dass ich mein Schlafzimmer künftig mit anderen teilen musste – sechzehn Jahre als Einzelkind legte man eben nicht einfach so ab –, war ich doch erfreut, das Zimmer genauso edel eingerichtet vorzufinden wie den Rest des Hauses. Mir blieb sogar ein Stockbett erspart.

»Also das Bett …«, Chloe deutete zur rechten Seite, »… ist deins«, fügte sie hinzu. »Die Tür gleich daneben führt ins Badezimmer und …«, sie deutete auf den Schrank, der fast eine ganze Zimmerwand einnahm,»… knapp die Hälfte davon und die Kommode neben deinem Bett sind noch frei. Die kannst du für deine Sachen nehmen.«

»Okay. Danke.«

»Kein Problem. Also, Lanre, Zeit fürs Bett. Geh ins Bad und mach dich fertig«, sagte Chloe und Lanre gehorchte wortlos.

Ich sah ihr nach, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

»Was … ähm … Was hat sie denn?«, fragte ich vorsichtig.

»Ach, lange Geschichte. Erzähle ich dir ein andermal«, winkte Chloe ab, schlenderte zu dem Bett, das meinem am nächsten stand, und ließ sich darauf sinken.

Mein Blick fiel auf die Heizung unterhalb des Fensters und für einen Moment kam in mir die unsinnige Frage auf, ob sie ebenfalls aus Holz bestand.

Es sah zumindest so aus, allerdings wurde mir rasch klar, dass der Heizkörper einfach farblich passend zum Rest gestrichen worden war. Keine Ahnung, wie viel Geld in diesem Gebäude steckte, aber es musste eine Menge sein, und mit jeder Sekunde, die ich länger hier verweilte, kam ich mir vor, als wäre ich zu Besuch bei altem Landadel.

»Also, erzähl doch mal. Wie kommt es, dass du so plötzlich hier aufgetaucht bist?«, fragte Chloe und stützte sich mit neugieriger Miene am Bettrahmen ab.

Auf meinen fragenden Blick fügte sie hinzu: »Na ja, normalerweise kommt man direkt nach dem Kindergarten an die Academy. Es kam noch nie jemand in deinem Alter … mitten im Schuljahr hierher, das ist … ungewöhnlich.«.

Gut, das erklärte die verwunderten Blicke der anderen im Gemeinschaftsraum.

»Lange Geschichte … Meine Eltern … nun, sie wollten nicht, dass ich auf diese Schule komme. Ich wusste bis vor ein paar Stunden noch nicht einmal von ihr«, antwortete ich ehrlich.

»Wirklich? Erzähl!«, hakte Chloe nach, doch ein Klopfen an der Tür ersparte mir die Antwort.

Chloe wirkte zwar nett, aber das hatten andere Mädchen an meinen alten Schulen auch im ersten Moment und die Erfahrung warnte mich, zu viel von mir preiszugeben.

Die Tür öffnete sich und eine Gestalt trat herein, deren Kopf viel zu groß für ihren zierlichen Körper wirkte.

Was allerdings einzig und allein an ihren Haaren lag.

Sie besaß silberblonde Locken, die ihr bis zu den Ellenbogen reichten und bei denen ich das Bedürfnis unterdrücken musste, mit der Hand hineinzugreifen, um zu fühlen, ob diese auch so weich waren, wie sie aussahen.

Sie selbst war von ungewöhnlicher Schönheit.

Ihr Mund war klein, ihr Kinn spitz und ihre Haut von so hellem Teint, dass sie zusammen mit den hellblauen Kulleraugen einer Porzellanpuppe glich.

Am auffallendsten war jedoch die Farbe ihrer Augenbrauen und ihrer Wimpern. Sie waren leuchtend rot.

»Lucrezia?«, fragte Chloe, als die Fremde im Türrahmen stehen blieb und mich einen langen Moment schweigend anstarrte.

»Tatsächlich … eine Neue …«, antwortete sie, als ob sie es nicht glauben könnte, trat dann komplett ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Jetzt fiel mir der Stapel Wäsche auf, den sie sich unter den Arm geklemmt hatte.

»Mistress Conroy hat mich gebeten dir die Schuluniformen zu bringen.«

Lucrezia trat an mein Bett und ließ die fünf Wäschepakete darauf fallen, jedes mit einer rosafarbenen Schleife verschnürt.

Sie deutete auf eines, bei dem ich nur die Farben Weiß und Blau erkennen konnte.

»Das ist für Feierlichkeiten. Die drei für den normalen Unterricht«, sie deutete auf die Pakete, die aus weißem und schwarzem Stoff zu bestehen schienen, »und das ist für den Sportunterricht.«

Nun wies sie auf das hellgraue Paket, das ich problemlos als einen Freizeitanzug erkennen konnte.

»Danke«, gab ich tonlos zurück und starrte die verschnürte Wäsche an.

»Ich glaube, Inori gehört nicht unbedingt zu der gesprächigen Sorte«, hörte ich die amüsierte Stimme von Chloe und als ich den Kopf hob, nahm ich Lucrezias fragenden Blick wahr, den sie Chloe zuwarf. Diese erhob sich von ihrem Bett und schlenderte zu uns herüber.

Sie griff nach einer der Schleifen, was Lucrezia ihr gleichtat, und gemeinsam öffneten sie die Wäschebündel.

Die drei identischen enthielten ein kurz- sowie ein langärmliges weißes Hemd, eine lange und kurze schwarze Hose sowie einen Faltenrock, wie ihn Chloe und die anderen Mädchen trugen. Dazu noch eine schwarze Krawatte und einen ebenso dunklen Blazer.

Die Uniform für Feierlichkeiten sah deutlich anders aus.

Das langärmlige Hemd war hellblau-weiß gestreift, Blazer und Weste ganz in Weiß gehalten, während der ausgestellte Rock, der mir etwa bis zum Knie reichen würde, dunkelblau mit einem weißen Überwurf war. Eine dunkelblaue Krawatte gehörte ebenfalls zu dem Outfit und ich musste zugeben, dass das alles schon ziemlich schick aussah.

Ich hatte noch nie eine Schuluniform tragen müssen, aber damit würde ich wohl zurechtkommen.

Kapitel 3: Alles ist anders, nichts hat sich geändert

Nachdem Chloe, die eindeutig ein Morgenmensch war, mich mit einem lautstarken: »Guten Morgen, Sonnenschein!«, aus dem Bett geträllert hatte, brauchte ich eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich so weit fertig gemacht hatte, um unter Menschen gelassen zu werden.

Obwohl ich sehr friedlich geschlafen hatte, fühlte ich mich wie erschlagen. Als ob mir jegliche Energie abhandengekommen wäre.

Was die Schuluniform anging, entschied ich mich aufgrund der Temperaturen für das kurze Hemd und die kurze Hose, da es unter dem Blazer sicher warm genug werden würde, und kombinierte meine Wahl mit dunklen Overknee-Strümpfen. Vor dem Spiegel stellte ich fest, dass ich mit der Schuluniform nicht nur klarkommen würde, sondern sie mir auch noch schmeichelte.

»Es läuft eigentlich immer gleich ab. Zwischen halb sieben und acht gibt es Frühstück, um Viertel nach acht beginnt der Unterricht. Mittagspause ist unter den Jahrgängen etwas versetzt, unsere ist um halb eins, während Abendessen für alle immer um achtzehn Uhr stattfindet«, erklärte Chloe, während ich ihr durch die Korridore folgte, die zum Frühstückssaal führten.

Dabei kamen wir auch an den beiden Gemälden am Eingang vorbei und ich musste daran denken, wie Lanre mich am vorherigen Abend erschreckt hatte.

Als ich heute früh das Bad verlassen hatte, war sie bereits verschwunden gewesen. Chloe wollte auch weiterhin nichts über Lanre erzählen, aber irgendetwas schien mit dem Mädchen ganz und gar nicht in Ordnung zu sein.

Wenn ich allerdings an Moira dachte, könnte es an dieser Academy auch zum Standardverhalten gehören, seltsam zu sein.

Wir betraten den großen Speisesaal, in dem bereits reges Treiben herrschte.

Ein Junge, der in der Nähe der Tür an einem großen, kreisrunden Tisch saß, wurde auf uns aufmerksam, erhob sich von seinem Stuhl und kam auf uns zu.

Mir fiel direkt auf, dass er für einen Jungen recht klein war. Ich schätzte, er war höchstens fünf Zentimeter größer als ich. Trainiert wirkte er nicht, aber sein Körper war schlank und er hatte ein ansprechendes Gesicht mit angenehmen, wie nannte man das noch … aristokratischen Gesichtszügen … Dazu dunkelblondes Haar und sanfte rehbraune Augen.

»Guten Morgen, mein Schatz«, grüßte er Chloe, die sich etwas nach unten beugen musste, um ihn zu küssen.

Der oberflächliche Teil von mir war von diesem Anblick ehrlich verwundert, denn obwohl Mutter Natur die beiden offensichtlich mit Schönheit gesegnet hatte, wirkte ihr gemeinsamer Anblick dennoch irgendwie … unpassend.

Ich war so daran gewöhnt, dass Mädchen wie Chloe mit großen, heißen Sportlertypen liiert waren, dass ich die dämliche Miene nicht unterdrücken konnte, als Chloe den Jungen als ihren festen Freund Adam vorstellte.

»Adam, das ist Inori. Sie ist neu und … offen gestanden, viel mehr weiß ich auch noch nicht von ihr. Aber das wird sich sicher bald ändern«, sagte Chloe gut gelaunt und deutete zu dem Tisch, an dem Adam gerade noch gesessen hatte. Von den übrigen zwei Personen, die dort gerade frühstückten, erkannte ich Lucrezia wieder.

»Das ist unser Tisch. Also dort sitzen wir eigentlich immer.«

Chloe drehte sich schwungvoll und zeigte zur nächsten Wand, an der sich voll beladene Tische entlangreihten, wie ich es von Hotels mit Frühstücksbuffet kannte.

»Teller sind dort drüben. Hol dir, was du magst, und setz dich dann zu uns. Dann kannst du uns ja ein bisschen was von dir erzählen.«

Der Gedanke begeisterte mich nicht gerade, aber mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen nickte ich, ehe ich mir etwas zu essen holte. Die Auswahl war riesig, doch obwohl ich seit der Zugfahrt gestern nichts mehr gegessen hatte, verspürte ich keinen Hunger.

Dieses flaue Gefühl im Magen überkam mich immer am ersten Schultag, sodass ich inzwischen eigentlich daran gewöhnt sein sollte.

Tja, die Empfindungen am ersten Tag an einer neuen Schule blieben wohl immer gleich.

Hoffentlich würden meine Erfahrungen an der Academy schöner werden, als ich es bisher kannte.

Nachdem ich mich letztlich für etwas Obst entschieden hatte, ging ich zurück zu Chloe.

Ihr Freund hatte ihr offensichtlich schon Frühstück bereitgestellt, weswegen sie es sich nicht selbst hatte holen müssen.

Während ich mich auf den freien Platz neben Chloe sinken ließ, fragte ich mich, wie lange die beiden wohl schon ein Paar waren. So wie sie Händchen hielten, sich anlächelten und Küsschen austauschten, wirkten sie wie frisch Verliebte.

»Und? Gut geschlafen?«, fragte Lucrezia, woraufhin ich meine Aufmerksamkeit ihr und dem Mädchen daneben zuwandte.

Lucrezias Sitznachbarin hatte zwar nicht diese auffälligen roten Wimpern und Augenbrauen, aber die Ähnlichkeit war frappierend.

Sie mussten Geschwister sein, vielleicht sogar Zwillinge. Wenn auch nicht eineiig.

»Ja, danke«, antwortete ich.

»Das ist meine Schwester Sancha«, stellte Lucrezia das Mädchen neben sich vor. Ein heller Haarreif mit perlenbesetzten Katzenohren zierte ihre Locken.

»Freut mich. Ich bin Inori«, stellte ich mich ebenfalls vor.

»Willkommen. Meine Schwester hat mir gestern schon von dir erzählt. Woher …«

Sancha unterbrach sich, als eine Gruppe Jungs sich an den Tisch gesellte.

Der Anblick der vier verunsicherte mich, denn ihre Erscheinung erinnerte an eine Boyband. Doch meine Erwartung, hinter ihnen zahlreiche Paparazzi und kreischende Mädchen zu finden, wurde nicht erfüllt. Trotzdem bekam ich das Gefühl, am falschen Tisch zu sitzen, und die wachsende Anzahl hübscher Menschen um mich herum schüchterte mich langsam ein.

Dass jeder von ihnen mich neugierig musterte, nachdem er sich gesetzt hatte, machte es nicht besser und instinktiv versuchte ich, mich klein zu machen.

»Was wollt ihr denn hier?«, fragte Lucrezia misstrauisch, ehe sie von ihrem Brötchen abbiss.

»Wir dachten, wir beehren euch heute mal mit unserer Anwesenheit und bringen damit etwas Licht und Liebe in euer tristes Leben«, entgegnete einer der Jungs. Er grinste und auch wenn sein Lächeln anziehend wirkte, erschien es mir berechnend.

Es war ihm eindeutig bewusst, dass er gut aussah, und er wusste es in Szene zu setzen. Das dunkelblonde Haar sah aus, als wäre er nur einige Male mit den Fingern hindurchgefahren, um es sich aus dem Gesicht zu streichen, aber ich war ziemlich sicher, dass er den Effekt mit einer Menge Pflege- und Stylingprodukten aufrechterhielt. Wie die anderen hatte er eine sportlich-schlanke Figur und konnte neben dem hübschen Gesicht mit einer auffälligen Augenfarbe punkten.

Die Iriden besaßen einen interessanten Braunton, der fast ein wenig rötlich wirkte. Wie die Blätter eines Herbstbaums.

»Wie selbstlos von euch. Ich wüsste nicht, wie wir den Tag sonst überstanden hätten«, entgegnete Chloe sarkastisch, ehe sie auflachte. »Komm schon, Matt. Gib einfach zu, dass ihr neugierige Tratschtanten seid!«

Damit wandte sich Chloe mir zu.

»Inori, darf ich vorstellen? Das ist Matt. Er ist ein Aufreißer. Fall am besten gar nicht erst auf ihn rein, erspart dir eine Menge Ärger.«

Matt öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Chloe überging ihn einfach.

»Aiden«, sie deutete zu demjenigen, der äußerlich am auffälligsten war. Aidens Haare waren dunkelrot und sahen wunderschön weich aus. Er hatte sie im Nacken zusammengebunden und sie reichten ihm fast bis zu den Ellenbogen.

Seine Haut war blass und auf der geraden Nase ließen sich ein paar schwache Sommersprossen erkennen. Er hatte ein intelligent aussehendes Gesicht und flaschengrüne Augen, die den perfekten Kontrast zu seinem roten Haar bildeten.

»Sully«, fuhr Chloe fort, worauf dieser sie unterbrach.

»Eigentlich Henry Sullivan, aber meine Freunde nennen mich Sully«, erklärte er.

»Du darfst mich natürlich auch Sully nennen«, fügte er rasch hinzu, als auf seine Worte einen Moment lang eine unangenehme Stille geherrscht hatte.

Die vier wirkten, als wären sie zusammengewürfelt worden, damit für jeden Geschmack etwas dabei war … die Attraktivität ließ sich bei keinem von ihnen leugnen.

Dennoch wirkte Sully auf mich im zweiten Moment eher niedlich statt anziehend.

Er war etwas kleiner als seine Freunde und besaß weiche Gesichtszüge, weshalb er auch sehr viel jünger als die anderen wirkte.

Alles an ihm, von den großen blauen Augen über die sanften Gesichtszüge bis hin zum strubbeligen schwarzen Haar, wirkte einfach niedlich.

»Und das ist mein Bruder Cestian«, vollendete Chloe die Vorstellungsrunde.

Chloe und ihr Bruder schienen im selben Alter zu sein und erneut fragte ich mich, ob es sich vielleicht um Zwillinge handelte.

Wie bei seiner Schwester hatte Mutter Natur ganze Arbeit geleistet.

Sein blondes Haar war etwas heller als Chloes und seine Iriden erstrahlten nicht braun, sondern in einem leuchtenden Grün. In diesem Licht konnte man es sogar als smaragdfarben bezeichnen.

Seine Gesichtszüge waren überwiegend weich statt kantig, aber es war bereits abzusehen, was für ein attraktiver Mann in ein paar Jahren aus ihm werden würde.

Er erinnerte mich an einen Jungen aus einer meiner alten Schulen. Auch er war ähnlich gut aussehend gewesen, bei den Mädchen beliebt und ich hatte ihn eigentlich immer als nett empfunden. Zumindest bis zu dem Tag, an dem ihm in meinem Namen ein Liebesbrief überreicht worden war.

Zuerst hatte ich es gar nicht mitbekommen, doch dann fingen meine Mitschüler an über mich zu tuscheln und zu kichern. Bevor ich richtig wusste, was vorging, stand ebenjener Junge schon vor mir, um mir lautstark mitzuteilen, dass ich überhaupt nicht sein Typ war und er mich zum Kotzen fand.

Ihm war allein der Gedanke, ich könne Interesse an ihm haben, so unangenehm, dass er vor allen Schülern klarstellen musste, dass er nichts für mich übrighatte.

Die Zurückweisung selbst verletzte mich nicht, der Brief stammte schließlich nicht von mir und ich mochte den Jungen auch nicht in dieser Weise.

Aber dass jemandem nur der Gedanke, von mir gemocht zu werden, so extrem zuwider war, hatte mich dann schon getroffen.

Und es hatte mir erneut gezeigt, wie wichtig den Leuten die eigene Beliebtheit sein und was diese aus einem machen konnte.

»Jungs, das ist Inori. Seid nett zu ihr und benehmt euch … na ja … einfach besser als sonst«, fügte Chloe in strengem Tonfall hinzu.

»Wie das klingt. Wir sind immer nett«, entgegnete Matt.

»Mein Bruder ist nett. Ihr anderen seid gewöhnungsbedürftig«, antwortete Chloe.

»Oh, aber wenn Cestian der nette Zwilling ist, macht dich das dann nicht …«, begann Aiden grinsend.

»Zum hinreißenden Zwilling. Ganz recht«, entgegnete Chloe und streckte Aiden die Zunge raus, was dieser mit einem Lachen quittierte.

»Keine Sorge. Hier sind eigentlich alle nett«, wandte sich Sancha plötzlich an mich, die anscheinend meine angespannte Haltung bemerkt hatte. Obwohl ich mir Mühe gab, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich völlig fehl am Platz fühlte.

»Eigentlich?«, fragte Cestian amüsiert.

»Die Hexen von Eastwick ausgenommen. Wo stecken die drei überhaupt?«, fügte Sancha hinzu und sah Cestian abwartend an.

»Die Hexen von … Du redest immer noch von meiner Freundin. Das ist dir schon bewusst, oder?«, antwortete Chloes Bruder und zog die Augenbrauen nach oben.

»Ja. Die Hexen von Eastwick. Dein fehlgeleiteter Frauengeschmack ändert daran auch nichts«, gab Sancha ungerührt zurück.

»Inori«, eine Berührung an meiner Schulter ließ mich herumfahren und ich blickte in Amaras sanftes Gesicht.

»Ich müsste dich mal kurz entführen. Kommst du bitte mit?«

Mit einem Nicken schob ich meinen Stuhl zurück und ließ meinen unberührten Teller stehen.

»Der Unterricht?«, fragte Chloe.

»Findet für Inori erst statt, wenn sie den normalen Check-up durchlaufen hat«, antwortete Amara.

Ich warf ihr einen fragenden Blick zu, während die anderen verständig nickten, als wüssten sie genau, wovon sie sprach.

Amara und ich hatten die Tür beinah erreicht, als wir beide zur Seite treten mussten, um drei Mädchen durchzulassen, die in den Speisesaal traten, als wären Scheinwerfer auf sie gerichtet.

Das mussten die drei sein, die Sancha erwähnt hatte.

Die Mädchen waren auffallend gut aussehend, was mich an dieser Schule schon gar nicht mehr überraschte. Hätte ich beim Frühstücksbuffet nicht bemerkt, dass es auch ganz durchschnittlich aussehende Schüler an dieser Schule gab, hätte ich mir echt Sorgen gemacht, an eine Modelschule verfrachtet worden zu sein.

»Guten Morgen, Lorelei«, grüßte Amara. Ihre Stimme hatte einen deutlich spöttischen Klang.

Als würde sie die drei nicht gerade ernst nehmen.

Die Blondine, die in der Mitte stand, wandte uns ihre genervte Miene zu.

»Mistress«, antwortete sie, als wäre es eine lästige Pflicht, Amara zur Kenntnis zu nehmen.

Sie schnickte eine ihrer goldblonden Locken über die Schulter, ehe sie flankiert von den beiden anderen Mädchen weiterstolzierte.

Ich konnte nur schwer den Blick von ihnen lösen. Wie sie liefen, sah einfach … albern aus. Dieses übermäßige Schwingen ihrer Hüften …

Als würden sie über einen Laufsteg wackeln.

»Inori, kommst du?«, zog Amara meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und ich folgte ihr nach draußen.

»Wohin gehen wir?«

»Zum Krankenflügel. Unsere Ärztin wird dich kurz untersuchen, etwas Blut abnehmen … nichts Schlimmes.«

»Wieso?«

»Wir sammeln viele Daten, um die Chance zu erhöhen, passende Parteien für einen Nexus zu finden«, erklärte Amara und ich fühlte mich augenblicklich wie eine Zuchtstute, die man testete, ob sie die besten Gene mitbrachte.

»Was ist das bloß mit dieser Partnerschaft?«, fragte ich laut, mehr an mich selbst gerichtet als an Amara.

»Das erfährst du alles noch.«

Ich folgte Amara eine Treppe nach oben und durch mehrere Flure, bis sie unvermittelt vor einer der Türen stehen blieb.

»Warte bitte einen Moment. Ich muss noch etwas holen«, sagte sie und verschwand kurz darauf hinter der Tür.

Unschlüssig blieb ich stehen und blickte mich in dem beinah menschenleeren Flur um, bis ich Lanre entdeckte, die bewegungslos vor einem hohen Fenster stand und nach draußen starrte.

Langsam ging ich auf sie zu, aber sie zeigte keinerlei Regung.

Obwohl ihr langes Haar heute mit einer Haarspange nach hinten gesteckt war, fielen ihr noch genug Strähnen ins Gesicht, um sie wirr aussehen zu lassen.

»Lanre? Alles in Ordnung?«, fragte ich leise, als ich neben ihr stand.

Im ersten Moment reagierte sie nicht auf mich. Sie starrte weiter aus dem Fenster und ich folgte ihrem Blick, konnte aber nichts Fesselndes ausmachen.

Es bot sich nur ein Ausblick auf nebelverhangenen Wald.

Dann, ganz langsam, drehte Lanre ihr Gesicht in meine Richtung und schaffte es, diese einfache Bewegung total unheimlich wirken zu lassen.

Ihr dunkles Auge fokussierte sich auf mich und ich unterdrückte das Bedürfnis, vor ihr zurückzuweichen.

Sie verzog die schmalen Lippen zu einem Lächeln und ich musste schwer schlucken.

»Niemand kann den Lauf des Schicksals ändern«, sagte sie nun.

Dann begann sie wie ein kleines Kind zu kichern und drehte sich wieder zum Fenster.

»Einer nach dem anderen«, setzte sie in kindlichem Tonfall fort und kicherte erneut, was mich dann doch veranlasste, ein paar Schritte vor ihr zurückzuweichen.

Ich hatte keine Ahnung, was mit diesem Mädchen los war, aber es begann, mir eine Heidenangst einzujagen.

Kapitel 4: Das Meer der Zeit

Dankbar schloss ich zu Amara auf, als diese zurück in den Flur trat. Ein Blick über die Schulter zeigte, dass Lanre immer noch aus dem Fenster starrte und leise vor sich hin kicherte.

»Was stimmt denn nicht mit ihr?«, fragte ich, aber entweder hatte Amara mich nicht gehört oder sie ignorierte meine Frage einfach.

Ich folgte ihr durch zwei Gänge und über eine Treppe und bekam langsam die Befürchtung, dass ich mich ohne einen Lageplan hier niemals zurechtfinden würde.

Meine Begleitung öffnete die nächste Tür und plötzlich änderte sich das gesamte Ambiente.

Während der Rest des Hauses in dunklem Holz gehalten war, leuchtete dieser Bereich in sterilem Weiß.

Wände, Türen, die Decke und der gekachelte Boden strahlten so reinweiß, dass ich meine Augen verengte, um nicht geblendet zu werden. Es gab, abgesehen von den silbernen Türklinken, keine anderen Farben in diesem Flur und ich bekam das unangenehme Gefühl, dass mir das Schicksal einer Laborratte bevorstand.

»Da rein.« Amara deutete auf die nächste Tür, doch noch bevor ich reagieren konnte, wurde sie aufgestoßen und ich starrte auf eine üppige Oberweite. Die Krawatte verriet mir, dass es sich bei der Person ebenfalls um eine Schülerin handeln musste.

Langsam hob ich den Blick und starrte in das Gesicht der Fremden.

Ihr Haar war kurz und von undefinierbarer Farbe. Nicht wirklich braun, aber blond auch nicht. Es wirkte eher grau. Ihre Haut hatte diese Bräune, die mich mehr Solariumbesuche vermuten ließ als wirklichen Sonneneinfluss und ihr Körper war unfassbar durchtrainiert.

Ich betrachtete kurz das Pflaster, das quer über ihrem Nasenrücken klebte, während sie mich durch graue Augen finster zu Boden starrte.

»Bernadett. Hast du dich wieder verletzt?«, fragte Amara besorgt und musterte das Mädchen von oben bis unten.

»Nur ein Kratzer. Nicht der Rede wert«, antwortete Bernadett und trat an uns vorbei.

»Du trainierst zu viel«, sagte Amara, aber ihr Gegenüber reagierte nicht, woraufhin Amara mich in den Raum geleitete.

»Eri, ich habe Inori dabei«, rief sie in das Zimmer, wo sich ein Schatten hinter einem weißen Vorhang bewegte.

Das Untersuchungszimmer hatte durch die Möbel zumindest etwas Farbe erhalten und sah ähnlich aus, wie ich es von anderen Ärzten kannte, was mich etwas beruhigte.

Eine Frau, die ich auf das Alter meiner Mutter schätzte, trat hinter dem Vorhang hervor. Sie hatte die Hände tief in den Taschen ihres knöchellangen Arztkittels vergraben und musterte mich neugierig, ehe sich ein amüsiert wirkendes Lächeln auf ihr Gesicht schlich.

»Soso. Das ist also die Kleine von Chiaki«, sagte sie und ihre Stimme hatte einen überraschend tiefen Klang.

Vor allem im Zusammenhang mit ihrer dünnen, beinah knochigen Gestalt.

Ihre Haut war bleich, die kastanienbraunen Locken hatte sie zu einem lockeren Dutt gebunden und ihre dunklen Augen lagen tief in den Höhlen, was ihr, gerade für eine Ärztin, ein ungesundes Aussehen verlieh.

»Wie geht es deiner Mutter?«, fragte sie, schob den Vorhang zur Seite und bedeutete mir, mich auf die Untersuchungsliege zu setzen.

»Gut«, antwortete ich wahrheitsgemäß, aber überrascht darüber, dass sie meine Mutter zu kennen schien.

»Freut mich zu hören. Ich bin Doktor Eris Fields. Eine alte Schulfreundin deiner Eltern.«

Da ich nicht genau wusste, was ich mit dieser Information anfangen sollte, nickte ich nur.

»Ich werde dich untersuchen und ein paar Proben von dir nehmen. Blut und solche Dinge. Ist das in Ordnung?«

»Habe ich denn eine Wahl?«, fragte ich etwas mürrischer als beabsichtigt, was die Ärztin wieder lächeln ließ.

»Nein, nicht wirklich«, entgegnete sie und wies mich an, meinen Arm frei zu machen und ihn ihr entgegenzustrecken.

Ich hatte zwar keine Angst vor Spritzen, aber ich konnte auch nicht behaupten sie zu mögen. Daher verzog ich das Gesicht, als sie mit der Nadel meine Haut durchstach, um mir Blut abzunehmen.

»Wie fühlst du dich, seit du hier bist?«, fragte sie und kurz überlegte ich, ob sie vielleicht auch ein psychologisches Gutachten erstellen wollte.

Was sollte ich antworten? Verwirrt, unsicher, einsam, überfordert?

Ich hatte keine Lust, einer Fremden diese Gefühle zu offenbaren, daher beschränkte ich mich auf das Körperliche.

»Müde«, gab ich zu, obwohl es mich verwunderte, da ich fast die komplette Zugfahrt hierher geschlafen hatte und auch am gestrigen Abend eigentlich sofort ins Bett gegangen war.

»Das ist ein gutes Zeichen«, antwortete Doktor Fields zu meiner Überraschung, während sie die Ampulle wechselte, um mir noch mehr Blut abzunehmen.

»Was, warum?«

»Weil es bedeutet, dass du über die richtigen Gene verfügst und Chronos deine Energie in sich aufnimmt. Bei ganz normalen Menschen geht das nicht.«

Ich antwortete nicht darauf, aber keiner der Frauen schienen die Fragezeichen zu entgehen, die sicherlich um meinen Kopf schwebten.