Coaching als Führungsinstrument - Ulrich Dehner - E-Book

Coaching als Führungsinstrument E-Book

Ulrich Dehner

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Beschreibung

Coaching? Wo "normale" Führungstechniken versagen, können Führungskräfte diese Methode sinnvoll zur Personalförderung einsetzen, indem sie ihren Mitarbeitern bei schwierigen Aufgaben unterstützend zur Seite stehen. Durch einen intensiven, systematischen Prozess aus Gesprächen unter vier Augen, Arbeitsaufträgen und Vereinbarungen werden die versteckten Potenziale der Mitarbeiter freigelegt.

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www.campus.de

Dehner, Renate und Ulrich

Coaching als Führungsinstrument

So fördern Sie Mitarbeiter in schwierigen Situationen

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2004. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40058-7

|11|Einleitung

Coaching ist die effektivste Form, wie Sie als Führungskraft Ihre Mitarbeiter weiterentwickeln können, denn im Coaching stellen Sie sich gezielt auf den Mitarbeiter und seine spezielle Situation ein.

Wenn Sie sich als Führungskraft so intensiv für die Förderung Ihrer Mitarbeiter einsetzen wollen, sollten Sie jedoch unbedingt langfristig rechnen, denn Sie werden zunächst viel Zeit investieren. Immerhin eröffnet sich Ihnen damit die Chance, dass Ihr Mitarbeiter sich in einem Maß entwickelt, wie Sie beide es nicht für möglich halten. Coaching kostet fraglos Zeit, andererseits ähneln viele Teams ohne diese Förderung einer Schulmannschaft, die mit mehr oder weniger viel Spaß spielt, gelegentlich ein paar hilfreiche Tipps vom Sportlehrer bekommt, aber letzten Endes nie wirklich weiterkommt. Und das, obwohl sie viel mehr leisten könnte, wenn die Spieler von einem Coach individuell auf Wettkämpfe vorbereitet würden.

Wer den Zeiteinsatz scheut, der sollte sich klarmachen: Die Mitarbeiter, die man hat, sind die besten, die man derzeit bekommen kann – und das lohnt doch den Einsatz.

Außerdem ist zu bedenken, dass den mittleren und unteren Ebenen in Konzernen, was Unternehmenserfolg betrifft, eine weitaus größere Bedeutung zukommt, als gemeinhin angenommen wird. Ein Artikel im Wirtschaftsteil der Zeit (Nr. 20 vom 8. Mai 2002) zitiert den Wirtschaftspsychologen Oswald Neuberger von der Universität Augsburg: »Vorstände werden in ihrer Wirkung auf Erfolg oder Misserfolg maßlos überschätzt. Es mag damit zusammenhängen, dass Medien und Unternehmen personale Götter erschaffen, um eine unübersichtliche Wirtschaftswelt in den Griff zu bekommen.« Neuberger, so schreibt die Zeit, forscht seit Jahren über Führungskräfte und zitiert Studien, »die ergeben haben, dass sich höchstens 15 Prozent der Ergebnisse direkt aus dem Handeln der Spitzenleute ableiten lassen.« 85 Prozent des Unternehmenserfolges hängen also von anderen Faktoren ab! Und dabei |12|spielt die gute Arbeit der mittleren und unteren Ebenen eine entscheidende Rolle. Erfolgreiches Coaching der Mitarbeiter wirkt sich unmittelbar auf den Unternehmenserfolg aus!

In dieser Hinsicht könnten so manche großen Konzerne übrigens durchaus etwas von kleinen und mittelständischen Unternehmen lernen. Einige Mittelständler erzielen weit überdurchschnittliche Ergebnisse. Sie schaffen das, weil die Firmenleiter sich die Entwicklung ihrer Mitarbeiter auf die eigene Fahne geschrieben haben und dabei selbst sehr viel gelernt haben über Motivation, Menschenführung und Wege zum Erfolg. Wenn Manager also glauben, keine Zeit zu haben für ein systematisches Coaching ihrer Mitarbeiter, sollten sie vielleicht zunächst einmal ihr Zeitmanagement einer kritischen Prüfung unterziehen.

Es mag zwar so aussehen, als habe hiermit wieder einmal eine neue Mode die Chefzimmer erreicht: Die Führungskraft als Coach des Mitarbeiters. Da mag der eine oder andere im Stillen vielleicht denken: »Wenn ich das schon höre: Die Mitarbeiter coachen! Wenn ich den Hund zum Jagen tragen muss, dann kann ich den Hasen auch selber beißen!« Aber Mitarbeiter zu unterstützen, sie in ihrer Entwicklung zu fördern, gehört doch seit je zu den Grundaufgaben einer Führungskraft! Coaching ist also genau das, was ein guter Chef schon immer tun sollte und worum sich gute Führungskräfte auch schon immer bemüht haben. Gute Führungskräfte wissen sehr wohl, wie sie mit etwas Training ihre Mitarbeiter fördern können.

Aber auch da wird mancher denken: »Training? Aus einem Ackergaul machen Sie kein Rennpferd – da hilft auch alles Training nichts!« Doch darum geht es gar nicht.

Natürlich wird aus einem müden Ackergaul auch mit noch so viel Training kein Rennpferd, aber das beste Rennpferd wird niemals Spitzenleistungen erbringen, wenn man es nicht trainiert! Der Begriff Coaching kommt ja ursprünglich aus dem Sport. Und wie im Sport, so sollte sich auch im Wirtschaftsleben der Coach nicht darauf beschränken, einfach nur Feedback zu geben. Oder glauben Sie, aus Steffi Graf wäre eine so erstklassige Tennisspielerin geworden, wenn ihr Coach ihr immer nur nach dem Spiel ein paar Tipps gegeben hätte, wie sie es das nächste Mal besser machen kann? Nein, ein guter Coach analysiert die Schwachstellen, erarbeitet ein Trainingsprogramm, übt mit dem Mitarbeiter und lässt ihn mit dem neu Gelernten Erfahrungen machen.

Vieles von dem, was in diesem Buch zum Thema gemacht wird, gilt in gleicher Weise für den externen Coach wie für die Führungskraft als Coach der |13|Mitarbeiter. In allererster Linie sollte ein Coach seinen Klienten oder Mitarbeiter in die Lage versetzen, die Dinge zu tun, die anstehen!

Deshalb beinhaltet ein gutes Coaching immer eine vernünftige Problemanalyse. Es ist sehr wichtig, genau zu untersuchen, welches die Ursachen für die vorhandenen Probleme sind. Der Coach muss also viele, viele Fragen stellen, um das Problem zu verstehen. Das kann so weit gehen, dass er sich im Rollenspiel bestimmte Situationen vorspielen lässt, um sie genau zu verstehen. Wenn der Coach herausgefunden hat, was alles zum Problem beiträgt, kann er schließlich daran gehen, Maßnahmen zu entwickeln, die zu einer positiven Veränderung führen, sodass das Problem gelöst werden kann.

Das bedeutet aber auf gar keinen Fall, dass der Coach nun zum Dauer-Beistandleister werden soll. Der Einwand, man könne einem Mitarbeiter schließlich nicht ewig Händchen halten, wird häufig gemacht, doch ein seriöser Coach wird immer zielorientiert arbeiten. Das gilt auch für die Führungskraft als Coach. Sie wird ein ganz bestimmtes, eng umrissenes Problem mit dem Mitarbeiter bearbeiten, das dieser bisher nicht allein bewältigen konnte. Es sollte allen klar sein: Ist das Problem gelöst, ist das Coaching zu Ende.

So, wie ein Fußballtrainer das Ziel hat, aus dem einen Spieler einen guten Stürmer zu machen, aus einem anderen einen guten Verteidiger oder einen guten Torwart, und nicht einfach nur Fußballspielen trainieren will, hat die Führungskraft als Coach das Ziel, bestimmte Fähigkeiten oder Fertigkeiten ihres Mitarbeiters zu entwickeln, die jener braucht, um seine Aufgabe so gut wie irgend möglich zu erledigen. Diese Zielorientierung ist wichtig, damit es eben nicht zu Endlos-Coachings kommt.

Coaching soll den Mitarbeiter ja gerade befähigen, selbstständiger zu arbeiten. Es kommt immer wieder mal vor, dass ein Mitarbeiter mit einer für ihn sehr schwierigen neuen Aufgabe konfrontiert wird, die ihn zunächst überfordert. Dann kann Coaching sehr sinnvoll sein, um über diese Hürde hinwegzuhelfen. Die nächste Hürde sollte er anschließend wieder selbst nehmen können. Ein Coaching bis ins Rentenalter halten wir keineswegs für ein gutes Coaching.

Nun gibt es natürlich auch Leute, die unter Coaching verstehen, eine Führungskraft dauerhaft zu begleiten und ständig als Reflexionspartner zur Verfügung zu stehen. Das kann auch sehr hilfreich sein, vor allem für Manager in Spitzenpositionen, wo ja, wie alle wissen, die Luft sehr dünn ist und viele Menschen sehr allein sind und niemanden zum Reflektieren haben – schon gar nicht jemanden, der ihnen auch einmal Widerpart bietet, Kritikpunkte |14|offen ausspricht, sie herausfordert. In unseren Augen ist Coaching jedoch mehr als reine Reflexion.

Unserem Verständnis nach umfasst Coaching im wesentlichen fünf Schritte:

Der erste Schritt ist die Auftragsklärung. Es mag zwar zunächst nicht so scheinen, aber dieser Schritt ist für ein erfolgreiches Coaching äußerst wichtig. Nur wenn der Auftrag, im Fall der Führungskraft als Coach nennen wir es das Ziel, das erreicht werden soll, sauber und klar herausgearbeitet ist, weiß man als Coach, worauf man hinarbeiten muss. Oft kommt man im Coaching allein deshalb nicht weiter, weil nicht klar ist, was eigentlich das Ziel ist.

Der zweite Schritt besteht darin, den Kontakt zum Klienten aufzunehmen und einen guten Rapport, das heißt, eine gute Verbindung zu ihm herzustellen. Ein guter Rapport ist dann erreicht, wenn beide das Gefühl haben, erfolgreich miteinander arbeiten zu können. Beim Coaching von Mitarbeitern hieße das, das nötige Vertrauensverhältnis aufzubauen, sodass der Mitarbeiter nicht etwa befürchten muss, seine vertraulichen Äußerungen in seiner Personalakte wiederzufinden.

Im dritten Schritt erfolgt die Problemanalyse. Die Problemanalyse wird sehr häufig unterschätzt, weil viele Menschen viel zu schnell glauben, das Problem verstanden zu haben. Sie stellen drei, vier Fragen und fangen danach sofort an, wie wild zu intervenieren. Wenn das klappt, ist es bestenfalls ein Zufallstreffer; meistens braucht es aber sehr viele und tiefgehende Fragen, um die Konstruktion des Problems wirklich zu verstehen. Erst, wenn ich ganz genau weiß, wie es dazu kommt, dass ganz genau dieses Problem überhaupt entstanden ist, kann ich sinnvoll intervenieren. Ansonsten handelt es sich eher um den Typ »Zufallsreparatur«, so wie man sie in Studententagen ausgeführt hat, wenn der uralte Fernseher mal wieder Mucken gemacht hat: Man hat ganz fest mit der Faust draufgehauen, dann ging es wieder für eine Weile. Ein ordentlicher Mechaniker jedoch hätte erst einmal ganz genau überprüft, woran es liegt, dass der Fernseher nicht funktioniert – und dann wäre er imstande gewesen, die Fehler dauerhaft zu beseitigen.

Im vierten Schritt geht es darum, Interventionen zu entwickeln. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten für sinnvolle und hilfreiche Interventionen: Verhaltenstraining kann eine sinnvolle Maßnahme sein. So kann jemand |15|zum Beispiel mit Hilfe von Rollenspiel und Video lernen, wie er eine bestimmte schwierige Situation bewältigen kann. Manchmal besteht eine Intervention ganz einfach nur darin, dem Mitarbeiter oder Klienten bestimmte Arbeitstechniken beizubringen. Erstaunlicherweise sind es sehr häufig Planungstechniken, die vielen Menschen fehlen. Gelegentlich hilft es, Organisationsstrukturen zu verändern, um ein Problem zu lösen. Oder auch den Bezugsrahmen, in dem eine Person sich sieht und bewertet. Je nach Problem kann eine Intervention auch darin bestehen, die Ängste vor bestimmten Situationen durch gezieltes Training abzubauen. Interventionsmöglichkeiten gibt es viele, es würde den Rahmen sprengen, sie alle hier aufzuzählen.

Im fünften Schritt findet ein Maßnahmencontrolling statt. Gemeinsam überprüfen Coach und Mitarbeiter, wie die Umsetzung geglückt ist und ob die bisherigen Maßnahmen ausgereicht haben. Falls die Umsetzung nicht zufrieden stellend verlaufen ist, analysiert man gemeinsam die Ursachen und untersucht, ob die Problemdefinition denn die richtige war.

Unserer Einschätzung nach sind diese fünf Phasen, mehr oder weniger ausgeprägt, Bestandteil eines jeden guten Coachings. Ein professioneller externer Coach hat natürlich andere Möglichkeiten der Intervention als eine Führungskraft, weil er ein ganz anderes Vertrauensverhältnis aufbauen kann. Aber wenn ein paar Voraussetzungen erfüllt sind, dann funktioniert auch das Coaching zwischen Führungskraft und Mitarbeiter.

Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass ein Vorgesetzter, der seine Mitarbeiter coachen will, über eine entsprechende Vor- oder Fortbildung verfügt. Er sollte etwas von der Sache verstehen und Coaching-Kompetenz besitzen.

Denn ohne fundierte Kenntnisse wird ein »selbst gestricktes« Coaching wahrscheinlich eher Schaden als Nutzen anrichten. Gerade ein fachlich guter Chef läuft zum Beispiel schnell Gefahr, die eigenen, bewährten Rezepte einem Mitarbeiter einfach überzustülpen, egal ob sie passen oder nicht. Oder er entwickelt viel zu schnell Maßnahmen, ohne das Problem ausreichend analysiert zu haben. Diese Maßnahmen lösen dann natürlich das Problem des Mitarbeiters nicht, was wiederum dazu führt, dass der Vorgesetzte an der Kompetenz seines Mitarbeiters zweifelt – an den Maßnahmen kann es ja nicht liegen, die haben ihm ja auch immer geholfen. So entsteht ein negativer Kreislauf, der für niemanden förderlich ist. Denn eine Maßnahme kann noch so brillant sein, wenn sie nicht zum Problem passt, taugt sie nichts!

|16|Welche Qualitäten braucht ein Chef, wenn er Mitarbeiter coachen will?

Ein guter Coach sollte auf jeden Fall in der Lage sein, sich in andere Menschen hineinzufühlen, und er sollte imstande sein, schnell eine Vertrauensbasis herzustellen. Er sollte gut zuhören können. Das sind keineswegs Eigenschaften, über die man quasi von Geburt aus verfügen muss – man kann sie lernen und auch trainieren.

Außerdem braucht ein guter Coach ein Instrumentarium, um tragfähige Problemanalysen machen zu können. Und er sollte natürlich über genügend Selbsterfahrung und auch Selbstkritik verfügen, damit er erkennen kann, wann in der Auseinandersetzung mit seinem Mitarbeiter seine eigenen Probleme zum Vorschein kommen. Ein guter Coach verfügt über sehr viel Selbstreflexion und kennt seine eigenen Grenzen.

Und wie ein Arzt, der auf den ersten Blick die Symptome einer Grippe erkennen können muss, sollte er Problemmuster parat haben, um nicht jedes Mal wieder ganz von vorn anfangen zu müssen, sondern gleich die richtigen Fragen stellen zu können. Außerdem sollte er einen ganzen Handwerkskasten an Interventionsmöglichkeiten besitzen. Und ein Coach, auch ein Chef als Coach, braucht die nötige professionelle Distanz.

Ein Coach muss sich zwar weitgehend auf den Klienten einstellen, um eine gute Beziehung zu ihm herzustellen, aber er braucht trotzdem genügend Distanz, um den Überblick nicht zu verlieren. Er darf sich auch nicht von den Geschichten, die sein Klient ihm erzählt, einwickeln lassen, sondern muss immer nach den Mustern suchen, die in den Geschichten stecken, sonst findet er genauso wenig wie sein Klient den Ausweg aus der Geschichte.

Ein Coach muss ein gutes Verständnis der inneren, psychologischen Dynamik seines Klienten haben, um zu erkennen, wie sie zum Problem beiträgt, wie sie aber auch zur Lösung beitragen kann. Doch auch von der Dynamik, die in einem Team herrscht, sollte er etwas verstehen, von den psychologischen Spielen, die in einem Team gespielt werden.

Obwohl diese Aufzählung noch nicht einmal vollständig war, lässt sich schon erkennen, dass ein guter Coach eine ganze Menge können muss. Das Wichtigste davon wollen wir Ihnen in diesem Buch vermitteln.

Führungskräfte sind häufig mit einer Fülle von komplexen Problemen konfrontiert. Wenn die Zahl der Probleme oder ihr Komplexitätsgrad zuviel werden, so führt das zu einem Phänomen, welches der Psychologe Dietrich Dörner in seinem Buch Die Logik des Misslingens beschreibt: Menschen, die Probleme in komplexen Situationen lösen müssen, begehen häufig den Fehler, |17|sich nicht mehr um die wirklich dringenden Probleme zu kümmern, sondern nur noch um jene, von denen sie am meisten verstehen, sodass die dringendsten Probleme unter Umständen einfach liegen bleiben! Der beste Spieler eines Teams versteht am besten den Umgang mit den Problemen des Spiels – deswegen lösen so viele Führungskräfte am liebsten die Probleme ihrer Mitarbeiter und nicht diejenigen, die eigentlich anstehen.

Dem Coach einer wirklich guten Mannschaft stellt sich diese Schwierigkeit jedoch nicht, weil er auf keinen Fall besser spielt als seine Leute, sondern eher schlechter. Seine Stärken liegen eben auf einem ganz anderen Gebiet. Sein Wissen ist nicht nur Spielerwissen, sondern vor allen Dingen Wissen darüber, wie er aus jedem seiner Spieler das Beste machen kann. Dazu muss man wissen, wie man jemanden mit guten Anlagen am besten fördert, wie man ihn über schwierige Hürden bringt, wie man ihn motiviert und seine Leistungsfähigkeit erhöht. Das zu können erfordert, wie gesagt, einiges an psychologischem Wissen. Es erfordert auch die Fähigkeit, ein Feedback so zu geben, dass der andere es annehmen kann, und viel Einfühlungsvermögen.

Mit diesem Buch wollen wir einen Einblick geben in die psychologischen Theorien, die ein Coach zum Verständnis der menschlichen Verhaltensweisen braucht. Wir werden auch vermitteln, worauf es bei einem guten Feedback ankommt. Einfühlungsvermögen jedoch kann man nicht aus einem Buch lernen, es entsteht durch den Wunsch, andere Menschen zu verstehen, durch Nachdenken und Übung!

|19|Der Chef als Coach – Chancen und Grenzen

Das Ziel jedes Coachings sollte es sein, den Mitarbeiter zu selbstständigem Handeln zu befähigen. Daher die wichtigste Maxime gleich zu Beginn: Der Coach darf nicht auf das Spielfeld! Auch wenn der Coach die Führungskraft ist, muss er seinen Mitarbeiter das Spiel, also seine Aufgabe, allein machen lassen. Die Arbeit eines Coachs besteht darin, die Schwächen des Mitarbeiters zu analysieren und ein geeignetes Training zu entwickeln, um den Mitarbeiter gezielt zu fördern. Die Führungskraft als Coach lernt, eine passiv anmutende Rolle einzunehmen, nämlich Fragen zu stellen statt Anweisungen zu geben. Wer seine Mitarbeiter lediglich als Funktionsträger betrachtet, wird als Coach nicht viel Erfolg haben. Denn Vertrauen entwickelt sich nur auf der Grundlage gegenseitiger Achtung. Vertrauen braucht überdies Information, deshalb ist es wichtig, dem Mitarbeiter deutlich zu machen, was er von einem Coaching zu erwarten hat. Fördern und Entwickeln braucht mehr soziales Fingerspitzengefühl als Anordnen. Die wichtigsten sozialen Kompetenzen, über die eine Führungskraft verfügen sollte, um das Vertrauen des Mitarbeiters zu erringen, sind

die Fähigkeit, gutes Feedback geben zu können,

Diskretion,

Einfühlungsvermögen,

die Zurückhaltung, dem Mitarbeiter im Gespräch den nötigen Raum zu lassen,

aktives Zuhören

die Einsicht, die Stärken des Mitarbeiters ausreichend zu würdigen.

Wer im Grunde nichts von einem Mitarbeiter hält, kann ihn auch nicht coachen. Denn das führt auf dem Weg der Self-fulfilling-Prophecy nur zu einem Misserfolg. Gerade Coaching-Anfänger neigen dazu, die Wirksamkeit des eigenen Tuns zu verkennen. Aus Angst, das Coaching könnte doch nicht zum |20|gewünschten Erfolg führen, verunsichern sie den Mitarbeiter – und das hemmt den Coaching-Prozess.

Vor dem Coaching sollte bedacht werden, was das Coaching für den Mitarbeiter bedeuten kann. Wird Coaching als Nachhilfe betrachtet? Oder haben Mitarbeiter, die noch nicht gecoacht werden, Angst, zu kurz zu kommen? Ist etwa ein Personalabbau geplant? Dann wäre es ratsam, auf ein Coaching von Mitarbeitern zunächst zu verzichten. Sowohl für die Führungskraft als auch für die Mitarbeiter wären die damit verbundenen Unsicherheiten zu groß. Coaching verfolgt ja das Ziel, ein beim Mitarbeiter vorhandenes Entwicklungspotenzial zu aktivieren. Ein Coaching, das darauf abzielt, jemanden zur Führungskraft zu machen, der gar keine sein will, ist jedoch ebenso fruchtlos, wie einen Mitarbeiter durch Coaching auf eine Kompetenzstufe zu bringen, für die in der Firma gar keine Jobs vorhanden sind.

Wenn es im Coaching-Prozess klemmt, weil die Führungskraft mit Eigenschaften des Mitarbeiters nicht klar kommt oder sich gar über ihn ärgert, könnten Projektionen die Ursache sein. Eine Projektion liegt dann vor, wenn man ein Verhalten bei einem anderen ablehnt, das man bei sich selbst nicht wahrhaben will. Eine Führungskraft mit den gleichen Schwierigkeiten wie der Mitarbeiter hat beim Coaching nicht viel Aussicht auf Erfolg. Denn wenn er Lösungswege hätte, wäre das Problem für ihn keines mehr. Es ist kein Kunstfehler, sich und dem anderen einzugestehen, dass es mit der Zusammenarbeit nicht so klappt, wie man sich das wünscht, und deshalb ein Coaching zu beenden. Manchmal findet man zu jemandem einfach nicht den richtigen Zugang. Ein Kunstfehler wäre es jedoch, das dem anderen anzulasten. Coaching ist weder Therapie, noch kann es eine Therapie ersetzen. Das Ziel von Coaching ist berufliche Weiterentwicklung. Wenn Probleme, die Krankheitswert besitzen, die Ursache beruflicher Schwierigkeiten sind, muss ein professioneller Therapeut in Anspruch genommen werden.

Coaching ist also dann sinnvoll, wenn Mitarbeiter das Potenzial zur Weiterentwicklung besitzen und eine neue oder anspruchsvollere Aufgabe übernehmen wollen und sollen. Auch die Ursachen regelmäßig auftretender Fehler können durch ein Coaching erkannt und behoben werden. Und nicht zuletzt ist Coaching immer dann hilfreich, wenn es um Fragen des Sozialverhaltens geht. Wenn eine Führungskraft ein Coaching plant, sollte sie sich über den damit verbundenen Zeitaufwand im Klaren sein, denn besonders der Einstieg mit Problemanalyse und Zielfindung lässt sich nicht in Minuten abwickeln. Ein Coaching ist etwas Anderes als die üblichen Alltagssituationen, |21|deshalb sollte es sich auch davon abheben. Es liegt in der Verantwortung der Führungskraft, dafür zu sorgen. Dazu gehört unter anderem, dass Termine vereinbart und eingehalten werden und dass Coaching-Sitzungen störungsfrei ablaufen.

Was ändert sich, wenn der Chef zum Coach wird?

Wenn eine Führungskraft den Entschluss fasst, einen oder mehrere Mitarbeiter mittels Coaching gezielt zu fördern, bringt das auf vielen Ebenen Veränderungen mit sich. Auf der Verhaltensebene wird sich einiges ändern, auf der Beziehungsebene ebenso. Eine der wesentlichsten Änderungen muss jedoch im Selbstverständnis der Führungskraft stattfinden.

Der Coach ist Coach und kein Spieler

Ein Chef, der coacht, muss sich die Maxime aus dem Sportbereich zu eigen machen, die lautet: Der Coach darf nicht auf das Spielfeld!

Das heißt, auch wenn die Dinge nicht gleich so laufen, wie sie sollen, darf der Chef nicht in gewohnter Machermanier das Ruder sofort wieder in die Hand nehmen, um die Angelegenheit zu regeln. Für die Führungskraft als Coach heißt das, den Mitarbeiter mehr durch Fragen zu fördern als ihm durch direkte Handlungsanweisungen einen Weg vorzugeben. Man kennt das ja vielleicht aus dem Fußballstadion oder aus dem Fernsehen: Das Spiel steht für die eigene Mannschaft nicht zum Besten, und der Trainer steht voller Wut und Verzweiflung neben dem Spielfeld, versucht gar durch den Einsatz von Mimik, Gestik und Körpersprache zu zeigen, worauf es denn nun ankommt oder er schreit seinen Spielern Kommentare zu – aber mitspielen darf er nicht!

Als guter Coach macht man die Arbeit vor dem Spiel. Das bedeutet in diesem Fall, die Schwächen eines Spielers herauszuarbeiten, sie zu besprechen und ein Training zu entwickeln, das dem Spieler hilft, sie zu überwinden. Das gilt nicht nur für den Sport, das ist auch im beruflichen Kontext so. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Mitarbeiter-Coaching eben von der »normalen Führungsarbeit«, wo die Führungskraft so etwas wie der Teamkapitän |22|und als solcher immer im Spiel ist; der notfalls auch allein nach vorn geht, um das Tor zu schießen.

Die Tagesarbeit einer Führungskraft besteht üblicherweise darin, mit den Mitarbeitern Feedbackgespräche oder Zielvereinbarungsgespräche zu führen, Aufgaben zu delegieren, Zielvorgaben zu machen. Außerdem sehen sich viele Führungskräfte immer noch als Problemlöser für ihre Mannschaft, weil sie den Anspruch an sich selbst haben, der beste Spieler im Team zu sein. Oft genug werden ja auch die besten Spieler zu Führungskräften gemacht. Dann ist Mitspielen vielleicht das, was ihnen am meisten Spaß macht und wovon sie am meisten verstehen. Im Führungsalltag löst das allerdings manchmal Schwierigkeiten aus. Denn wenn der Chef auch noch den Job seiner Mitarbeiter übernimmt, führt das entweder zu hoffnungsloser Überlastung oder dazu, dass er aus Zeitmangel seine Führungsaufgaben vernachlässigt.

Was die im Coaching gebotene Zurückhaltung betrifft, da hat es der Sportcoach leichter als der coachende Chef: Das strenge Reglement im Sport verbietet ja ohnehin, dass der Coach während des Spiels eingreift. An Führungskräfte wird jedoch gemeinhin die Erwartung gestellt, dass sie die Dinge in die Hand nehmen, mit gutem Beispiel vorangehen, Schwierigkeiten bereinigen. Da ist es für manchen gar nicht leicht, nun plötzlich geduldig zuzusehen, wie die Mitarbeiter das Spiel bewältigen – und was noch schlimmer ist: Manchmal akzeptiert das auch die Firmenspitze nicht.

Der Geschäftsführer des Tochterunternehmens eines großen Konzerns hat diese Erfahrung machen müssen. Er hatte mühsam ein »richtiges« Management aufgebaut, das heißt, seinen leitenden Angestellten beigebracht, nicht die Lösung eines jeden Problems von ihm zu erwarten. Besonders jedoch hatte er seine Verkaufsabteilung geschult, indem er seine Vertriebsmitarbeiter darin trainierte, ihre Verkaufsprobleme mit möglichst hoher Eigenverantwortung vor Ort selbst zu klären. Er wurde mit der Begründung entlassen, man wolle einen Manager, der nahe dran sei an den Kunden und möglichst oft selbst zu den Kunden fahre!

Mitarbeiter fördern heißt Zeit investieren

Will man als Führungskraft die Mitarbeiter dahin bringen, ihre Arbeit so selbstständig und eigenverantwortlich wie möglich zu machen, ist dieser Weg kurzfristig wahrscheinlich schwieriger und erfordert mehr Zeit, als aktuelle |23|Probleme eben mal schnell selbst zu regeln. Auf längere Sicht gesehen ist dieser Einsatz von Zeit und Mühe trotzdem sinnvoll: Auch eine noch so belastbare Führungskraft kann nicht andauernd auf mehreren Plätzen gleichzeitig spielen.

Letzten Endes führt es zu einem Teufelskreis, wenn man sich diese Zeit nicht nimmt: Wer die Förderung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter vernachlässigt, gerät täglich in eine Vielzahl von Situationen, in denen er selbst eingreifen muss; er wird also auch weiterhin viel zu überfordert sein, um sich auch noch um das Coaching kümmern zu können, was wiederum bedeutet, dass er auch weiterhin vieles selbst erledigen muss und so weiter. Es erinnert an die Geschichte vom Mann mit der Säge, die der amerikanische Erfolgsautor Steven Covey in einem seiner Bücher erzählt:

Ein Spaziergänger trifft im Wald auf einen Arbeiter, der Holz zersägt. Er schaut dem Waldarbeiter eine Weile zu und spricht ihn dann an: »Es ist enorm, wie viel Arbeitseinsatz und Motivation Sie aufbringen! Aber würde das alles mit einer scharfen Säge nicht noch besser gehen?« Woraufhin ihm der Waldarbeiter zur Antwort gibt: »Leider habe ich zum Schärfen der Säge gar keine Zeit. Sie sehen ja selbst, wie viel Holz ich noch zu sägen habe!«

Die quasi »passive« Rolle, die eine Führungskraft im Coaching einnehmen muss, weil sie die anstehenden Probleme weder mit Handlungsanweisungen noch selbst lösen darf, hat jedoch nichts mit Untätigkeit zu tun. Die Aktivität verlagert sich nur in Richtung Analyse. Ein Chef als Coach muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen, nämlich solche, die den Mitarbeiter weiter bringen. Und er muss lernen, dem Problem des Mitarbeiters so lange auf den Grund zu gehen, bis beiden klar ist, was das eigentliche Problem ist.

Um das zu können, muss er vielleicht einige neue Techniken lernen. Er muss genau überlegen, wie er diesen Mitarbeiter in dieser Situation weiterbringen kann – dazu reicht es natürlich nicht, den Mitarbeiter anzuweisen, das Problem jetzt endlich auf die Reihe zu bringen. Das ist zwar verführerisch, vor allem, wenn man selbst überhaupt kein Problem hätte, mit der Situation umzugehen. Nur bringt es eben leider nichts …

Dem Mitarbeiter fehlen offenbar genau die Kenntnisse, Verhaltensstrategien oder der Mut, den es bräuchte, um die Schwierigkeit zu bewältigen. Der Coaching-Prozess dient genau dazu, ihm das, was ihm fehlt, zu vermitteln. In diesem Prozess wird der Chef den Mitarbeiter viel intensiver kennen lernen, als das in der alltäglichen Arbeit möglich war. Und bei aller Förderung des Mitarbeiters ist es auch wichtig zu lernen, den Mitarbeiter entsprechend |24|zu fordern, zum Beispiel da, wo der Mitarbeiter sich selbst eine Aufgabe oder ein Projekt noch gar nicht zutraut, man als Chef aber erkennt, dass es sehr wohl so weit ist. Das erfordert manchmal eine gewisse wohlwollende Härte.

Um jemanden optimal zu fördern, ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, an dem man ihm ein größeres Projekt anvertrauen kann. Man darf es nicht zu früh tun, sonst verheizt man womöglich jemanden, der sich noch besser hätte entwickeln können. Man darf aber auch nicht zu lange damit warten, denn das birgt die Gefahr, den Mitarbeiter zu entmutigen. Zu langes Warten enthält die implizite Botschaft: »Ich traue dir das noch nicht zu!« Es kommt also darauf an zu erkennen, wann ein Projekt für einen Mitarbeiter zwar eine große Herausforderung, aber durchaus machbar ist.

Zusammenfassend könnte man also sagen, eine der Änderungen, die durch das Coaching von Mitarbeitern hervorgerufen werden, ist der Umgang mit dem Zeiteinsatz: Die Führungskraft wendet ihre Zeit nicht mehr auf, um überall, wo es brennt, selbst einzugreifen, sondern investiert kurzfristig möglicherweise mehr Zeit, um in Zukunft Mitarbeiter zu haben, die Probleme eigenverantwortlich lösen.

Mit Coaching werden Beurteilungsgespräche intensiver

Wenn man zu der Auffassung gekommen ist, dass ein Coaching der Mitarbeiter eine sinnvolle Maßnahme wäre, das Konzept »Coaching als Führungsinstrument« aber noch nicht im gesamten Unternehmen oder zumindest in einem ganzen Bereich bereits eingeführt ist, gibt es möglicherweise Akzeptanzschwierigkeiten. Ein Möglichkeit, damit umzugehen, könnte sein, einfach nicht viel Aufhebens davon zu machen und das Coaching als Bestandteil der normalen Führungsarbeit anzusehen. Man muss ja nicht alles an die große Glocke hängen …

Ist beispielsweise in Ihrer Firma schon ein gutes Beurteilungssystem eingeführt, das auch Zielvereinbarungsgespräche beinhaltet, so kann man ein Beurteilungsgespräch, bei dem der Zielerreichungsgrad des letzten Jahres Thema ist, nutzen, um miteinander zu klären, wo die Schwächen des Mitarbeiters liegen, und miteinander Maßnahmen entwickeln, die den Mitarbeiter weiter bringen. Auf diese Art und Weise ist dem Mitarbeiter der Kontext der Hilfestellung, die ihm gegeben werden soll, ohne weiteres klar. Er braucht sich |25|nicht zu verbiegen, um sich vor einem vermeintlichen Angriff zu schützen. Er weiß, dass es auch im Interesse seines Vorgesetzten liegt, dass er sich weiterentwickelt.

Auf diese elegante Weise kann man, ohne den Begriff »Coaching« zu verwenden, vorhandene Führungsinstrumente wie Beurteilungsgespräche oder Zielvereinbarungsgespräche um die Coaching-Komponente erweitern, ohne dem Mitarbeiter »einen Schrecken einzujagen«.

Der Einstieg in ein solches Coaching-Gespräch könnte vielleicht so aussehen:

»Herr Müller, wir haben jetzt schon zum zweiten Mal im Beurteilungsgespräch festgestellt, dass Ihre Selbstorganisation und damit Ihre Zuverlässigkeit noch nicht ganz den Erwartungen entspricht. Was ist Ihre Idee, wie Sie da weiterkommen könnten, und wie kann ich Sie dabei unterstützen?«

Entweder antwortet Herr Müller nun: »Ich weiß auch nicht so recht, wie ich da weiterkommen soll. Es ist immer wieder schwierig.« Oder er kommt mit den üblichen Vorschlägen, die der Chef schon kennt und die Herr Müller schon damals nicht umgesetzt hat. In diesem Fall sollte der Vorgesetzte ihn durchaus daran erinnern, dass daraus schon einmal nichts geworden ist. Aber er lässt den Mitarbeiter jetzt nicht mit diesem traurigen Stand der Dinge sitzen, sondern fragt ihn: »Würden Sie es vielleicht als Hilfe betrachten, wenn wir gemeinsam einmal stärker daran arbeiten?«

Auf die zu erwartende Frage, wie der Chef sich das denn vorstelle, kann jener antworten: »Aus meiner Sicht ist zum Beispiel ein wesentliches Problem, dass Sie Ihre Prioritäten nicht optimal setzen. Was halten Sie davon, wenn wir über einen gewissen Zeitraum hin täglich morgens die Prioritäten miteinander besprechen und ich Sie dabei berate? Wenn das dann gut funktioniert, können wir dazu übergehen, es nur noch einmal wöchentlich zu machen. So lange, bis wir beide uns sicher fühlen, dass Sie die Prioritäten bei der Arbeit richtig setzen?«

Und das soll realistisch sein? Welcher Vorgesetzte macht denn so etwas?

Leider die wenigsten, weil die wenigsten Vorgesetzten sich als Coach ihrer Mitarbeiter verstehen. Es ist auch zugegebenermaßen ein hoher Zeiteinsatz, der da für einen Mitarbeiter aufgebracht werden soll. Doch dieser hohe Einsatz wird sich nach einigen Wochen deutlich auszahlen – sowohl für den Vorgesetzten, der sich jetzt auf die Zuverlässigkeit seines Mitarbeiters verlassen kann, als auch für den Mitarbeiter, der gelernt hat, seine Arbeit zu strukturieren.

Und der darüber hinaus die Erfahrung gemacht hat, dass sein Chef willens ist, ihm Unterstützung zukommen zu lassen. Wenn die Kommunikation mit dem Mitarbeiter für diesen hilfreich ist, und er erste Erfolgserlebnisse erzielt, wird sein Vertrauen in derartige Gespräche mit der Führungskraft steigen.  |26|Und es wird immer leichter werden, sowohl mit diesem als auch mit anderen Mitarbeitern Coaching-Prozesse in Gang zu bringen. Denn dieses Vertrauen braucht es, damit das Coaching ein Erfolg werden kann.

Vertrauen ist die Grundlage für jedes Coaching

Ein weiterer Punkt, der sich durch das Coaching ändert, ist folgender: Die Führungskraft kann nicht mehr einfach nur sachorientiert mit dem Mitarbeiter umgehen, denn um ein Coaching wirkungsvoll zu gestalten, muss sich ein Vertrauensverhältnis zwischen beiden entwickeln.

Der Mitarbeiter muss zu der Überzeugung gelangen, dass das, was die Führungskraft ihm sagt, ihn auch tatsächlich beruflich weiterbringt. Er muss sich öffnen, um über seine Schwierigkeiten mit dieser speziellen beruflichen Situation sprechen zu können.

Dieses Vertrauensverhältnis kann nur hergestellt werden, wenn Sie als Führungskraft Menschen mögen, an Menschen interessiert sind.

Das trifft keineswegs automatisch auf alle Führungskräfte zu. Viele Führungskräfte, besonders deutsche, wie interkulturelle Studien gezeigt haben, agieren vor allem ziel- und sachorientiert. Sie betrachten Menschen eher als Material, das zu funktionieren hat wie eine Maschine, deren »Innenleben« sie nicht interessiert. Mit dieser Haltung kann ein Coaching schwerlich ein Erfolg werden, davon lässt man dann besser die Finger!

Wenn Sie bereit sind, mit einem Mitarbeiter ein Coaching zu beginnen, und das dem Mitarbeiter gegenüber auch so benennen wollen, so ist es ganz wichtig, dass Sie genau erklären, was unter Coaching zu verstehen ist. Der Mitarbeiter sollte weder befürchten müssen, dass das eine Art Nachhilfe wegen ungenügender Leistungen ist, noch eine psychotherapeutische Maßnahme, in der von ihm womöglich ein »Seelenstriptease« erwartet wird. Ihm sollte ganz deutlich werden, dass es sich um eine zeitlich begrenzte Beratung und Begleitung handelt, die ein klares, vorher gemeinsam vereinbartes Ziel hat, die ihn beruflich weiterbringen und ihm gegebenenfalls über bestimmte berufliche Schwierigkeiten hinweghelfen soll.

Man kann dem Mitarbeiter erklären, dass man sich mit ihm gemeinsam sein Rollenverständnis als Sachbearbeiter, Projektleiter, Verkäufer, was auch immer, ansehen will, gemeinsam mit ihm überprüfen wird, was er für seine Aufgaben |27|hält, klären wird, was sein Verständnis seiner Tätigkeit ist; alles mit dem Ziel, zu einer noch erfolgreicheren Arbeit zu kommen. Man sollte dem Mitarbeiter aber auch vermitteln, dass, anders vielleicht als beim üblichen Führungsverhalten, diesmal der Chef die Dinge nicht einfach vorgeben wird. Erklären Sie Ihrem Mitarbeiter, dass Sie Ihre Rolle hauptsächlich darin sehen, Dinge zu hinterfragen, Feedback zu geben, das, was Sie beobachten, widerzuspiegeln und mit dem Mitarbeiter gemeinsam Lernschritte zu entwickeln, Lernschritte, die dem Ziel dienen, die vorhandenen Stärken weiter auszubauen und an den Schwächen zu arbeiten.

Ist das Coaching als Führungsinstrument in der Firma bereits verankert oder soll es ab jetzt eingeführt werden, dann sollte man dem Mitarbeiter, den man als ersten coachen möchte, auch klar machen, dass man zwar jetzt mit ihm diesen Prozess beginnt, dies aber mit weiteren Mitarbeitern fortgesetzt werden soll, dass es sich also um eine allgemeine Maßnahme zur Personalentwicklung handelt. So können etwaige Ängste der Art: »Bin ich womöglich der Einzige, der so etwas nötig hat?« beschwichtigt werden.

Soziale Kompetenzen helfen, das nötige Vertrauensverhältnis aufzubauen

Die Anforderungen an die sozialen Kompetenzen einer Führungskraft, die andere coachen will, sind noch höher, als wenn es »nur« um Mitarbeiterführung geht. Es muss zum Beispiel sehr viel mehr Feedback gegeben werden als im normalen Führungsalltag. Da der Chef als Coach zum Spiegel für den Mitarbeiter wird, kommt der Fähigkeit, gutes Feedback geben zu können, ein starkes Gewicht zu. Gut ist ein Feedback dann, wenn es dem anderen etwas erkennbar macht ohne zu werten, eben ganz wie ein Spiegel. Es ist ja keineswegs der unschuldige Spiegel, der sagt: »Du bist in letzter Zeit ein ganz klein wenig rundlich geworden!«, sondern der Mensch, der sich mit kritischem Blick betrachtet, kommt seufzend selbst zu der Erkenntnis: »Ich bin zu dick!« Der Spiegel wertet nicht – er zeigt nur auf.

Allerdings kann es durchaus Situationen geben, in denen auch ein wertendes Feedback sehr hilfreich sein kann – entscheidend ist die Haltung, die dahintersteht. Wenn jemand eine grundsätzlich aufbauende Haltung hat, so wird sich das vermitteln, dann kann auch ein negativ bewertendes Feedback einmal nützlich für den anderen sein. Aus einer abwertenden Haltung heraus jedoch ist solch ein Feedback meist nur destruktiv.

|28|Als ich zum ersten Mal mit einer Wiener Trainerin ein Präsentationstraining gemacht habe, bei dem es darum ging, meine Firma zu präsentieren, meinte die Trainerin in ihrem charmanten Wienerisch: »Geh, des musst net so fad machen – fade Leut gibts genug auf der Welt!« Das war zwar wertend, kam aber trotzdem sehr aufbauend bei mir an, nämlich im Sinne von: »Das kannst du doch sehr viel besser, und ich weiß das auch!«

Wenn letztlich die innere Haltung zwar das Entscheidende für ein Feedback ist, so gehört zum konstruktiven Feedback jedoch auch die Fähigkeit, sich treffend ausdrücken zu können. Nur wer personen- und situationsbezogen angemessen formulieren kann, wird von seinem Gegenüber richtig verstanden werden. Sich klar auszudrücken ist eine Kunst, die ein Leben lang weiter vervollkommnet und in jeder Situation geübt werden kann, nicht nur im Coaching.

Sich ein Feedback anzuhören, ganz besonders wenn es um heikle Themen geht, ohne gleich in Verteidigungshaltung zu gehen, erfordert übrigens auch Vertrauen.

Vertrauen braucht Diskretion

Wie kann dieses besondere Vertrauensverhältnis aufgebaut werden? Zunächst einmal, indem man dem Mitarbeiter absolute Vertraulichkeit zusichert. Es muss klar sein, dass alles, was im Coaching behandelt wird, auch ausschließlich bei diesen beiden Personen bleibt. Es wird nichts weitergegeben werden, weder an einen höheren Vorgesetzten, noch an die Personalabteilung, noch an sonstige Dritte. Niemand wird sich vertrauensvoll öffnen, wenn er befürchten muss, einiges von dem, was er preisgegeben hat, später in der Personalakte wiederzufinden.

Diskretion der Führungskraft ist oberstes Gebot! Die Führungskraft darf von den vertraulichen Informationen des Mitarbeiters auch dann keinen Gebrauch machen wenn sie es »nur gut meint«, zum Beispiel, um den Mitarbeiter in Schutz zu nehmen. Also auf gar keinen Fall im Kollegen- oder Mitarbeiterkreis einen Satz fallen lassen wie: »Jetzt, wo Herr Müller durch die Trennung von seiner Frau in einer so schwierigen persönlichen Lage ist, sollten wir diesen kleinen Ausrutscher doch mit Nachsicht behandeln. Schließlich kennen wir ihn ansonsten als sehr zuverlässig.«

Was Herr Müller in der vertraulichen Situation des Coachings erzählt hat, hat er unter Umständen bisher den Kollegen verschwiegen, selbst wenn ein |29|durchaus offener Umgang in der Abteilung gepflegt wird. Es wäre eine grobe Verletzung der Vertraulichkeit, wenn der Chef mit dieser persönlichen Information so leichtfertig umginge. Außerdem würden, wenn der Punkt Vertraulichkeit nicht einwandfrei gehandhabt wird, die Chancen für weitere Coachings rapide sinken. Denn jeder Mitarbeiter würde fortan unterstellen, dass die eigenen, vertraulich gegebenen Informationen vom Chef genauso preisgegeben würden wie die des Kollegen.

Wählen Sie Ihre Worte mit Bedacht

Vertrauen kann ein Mitarbeiter erst dann entwickeln, wenn ihm klar ist, dass das Coaching eine Hilfestellung sein soll und keine Strafmaßnahme. Die Führungskraft kann das in einem ausführlichen Gespräch erläutern, wo über den Sinn des Coaching-Prozesses gesprochen wird. Besonders hilfreich ist es natürlich, wenn Coaching bereits als Führungskonzept in der Firma verankert ist. So besteht von vornherein nicht die Gefahr, dass Coaching als »Nachhilfe« für die ganz Schlechten angesehen wird, und der Mitarbeiter kann davon ausgehen, dass das keine »letzte Chance« für ihn ist, sondern eine Maßnahme zur Personalentwicklung.

Allein durch Ihre Wortwahl können Sie als Chef schon viel dafür tun, diesem Missverständnis vorzubeugen. Das erfordert eine weitere soziale Kompetenz, nämlich Einfühlungsvermögen. Wenig empfehlenswert wäre es, das Coaching so, wie es nachfolgend geschildert wird, einzuführen:

»Herr Müller, ich habe beschlossen, Sie bezüglich einiger Punkte zu coachen!« »Habe ich das nötig? Wozu wollen Sie mich denn coachen? Sind Sie so unzufrieden mit mir?«

»Im Prinzip nicht. Aber in manchen Punkten müssen wir ja mal endlich weiterkommen!«

Spontanes Vertrauen wird sich bei diesem Mitarbeiter wahrscheinlich eher nicht einstellen, eher die Sorge, dass es sich, analog zur Schulzeit, um eine Nachhilfemaßnahme kurz vor dem Sitzenbleiben handelt. Das ist nicht nur schlecht für diesen speziellen Mitarbeiter und seine Chancen, vom Coaching zu profitieren – es mindert auch die Aussicht, mit anderen ein erfolgreiches Coaching machen zu können. Denn in einer Firma verbreitet sich schnell die Nachricht, das Angebot, vom Chef gecoacht zu werden, |30|komme der Androhung des Hinauswurfs wegen schlechter Leistungen gleich.

Macht eine solche Befürchtung erst einmal die Runde, wird Folgendes passieren: Die Mitarbeiter stellen sich im Coaching möglichst vorteilhaft dar und verschweigen oder minimieren die tatsächlichen Probleme.

So ist es zum Beispiel in einer Vertriebsorganisation einem, übrigens durchaus wohlmeinenden, Chef ergangen, der sein Hilfsangebot ungeschickt formuliert hatte. Er machte einem seiner Verkäufer das Angebot, einmal wieder mit ihm zu den Kunden zu fahren zum Zwecke des Coachings: »Denn Ihre Zahlen könnten ja besser sein!«

Das veranlasste den erschrockenen Verkäufer, eine so genannte »Jubeltour« zusammen zu stellen. Er besuchte mit seinem Chef ausschließlich solche Kunden, die sich positiv über seine Verkaufstätigkeit äußerten und wo keinerlei Schwierigkeiten auftraten. Für ein Coaching ist so etwas denkbar unergiebig und nutzt gar nichts. Aber der betreffende Verkäufer glaubte eben, sich schützen zu müssen.

Als sein etwas misstrauisch gewordener Chef meinte, es gäbe doch auch sicher andere Fälle, suchte der Verkäufer für die zweite Besuchstour Kunden heraus, die auch für einen erklärten Meisterverkäufer eine harte Nuss gewesen wären – mit dem Ergebnis, dass auch der Chef Schwierigkeiten hatte im Umgang mit diesen Kunden. Übrig blieb die Botschaft, die der Verkäufer seinem Vorgesetzten vermitteln wollte: »Mit den meisten Kunden komme ich sehr gut zurecht. Aber es gibt eben auch ein paar ganz schwierige (»mit denen Sie ja auch nicht klarkommen« schwingt da unausgesprochen mit), und die vermasseln mir meine Zahlen.«

Ist die Situation erst einmal so weit gekommen, wird es für den Chef schwer werden, beim Mitarbeiter das nötige Vertrauen herzustellen, das für ein erfolgreiches Coaching unerlässlich ist.

Lassen Sie Ihrem Mitarbeiter genügend Raum

Eine weitere soziale Kompetenz, die im Coaching unerlässlich ist, besteht in der Fähigkeit, seinem Gesprächspartner den Raum zu lassen, den er braucht. Viele Mitarbeiter werden auch eine andere Variante des Gesprächs mit dem Vorgesetzten kennen: Die Führungskraft gibt vor, sich mit dem Mitarbeiter einmal zu einem ausführlichen Gespräch zusammensetzen zu wollen. Darunter wird ja gemeinhin der Austausch von mindestens zwei Personen verstanden. |31|Was jedoch stattfindet, ist kein Gespräch sondern ein Monolog. Der Chef redet, und der Mitarbeiter kommt nicht zu Wort!

Viele Führungskräfte haben Schwierigkeiten damit, den Mitarbeitern Raum zu lassen, sie aussprechen zu lassen und zu versuchen, sie zu verstehen. Sie sind so daran gewöhnt, Dinge anzuordnen, Anweisungen zu geben, sich auf ihr eigenes Urteil zu verlassen, »zu wissen, wo es langgeht«, alles Fähigkeiten, die im Führungsalltag ja auch von ihnen erwartet werden, dass sie es verlernt haben, sich auf jemand anderen, und ganz besonders einen Mitarbeiter, einzulassen. Es passt nicht zu ihrem sonstigen Verhaltensmuster.

Wenn nun also der Chef mit dem Angebot kommt, den Mitarbeiter zu coachen, und dieser ist ein in jener Hinsicht gebranntes Kind, kann man leicht verstehen, dass statt spontaner Begeisterung Skepsis aufkommt. Wer oft genug erlebt hat, bei einem so genannten Gespräch nur Publikum für die Selbstdarstellung des anderen gewesen zu sein, wird verständlicherweise bei dem Ansinnen, ein Coaching zu machen, eher Ängste haben, dass das lediglich eine neue Variante des alten Musters sein soll und ihm einfach etwas vorgegeben wird, ohne eigenen Raum zu bekommen.

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