Conny Cöll - "Er" - Konrad Kölbl - E-Book

Conny Cöll - "Er" E-Book

Konrad Kölbl

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Beschreibung

Wo im Wilden Westen um die Jahrhundertwende gelacht, gesungen und geschossen wurde, wo verwegene, wetterharte Gestalten am Lagerfeuer oder in irgendeiner versteckten, einsamen Waldschenke zusammen kamen, wo immer sich Trapper und Savannenläufer trafen, da wurden Erinnerungen ausgetauscht, Erlebnisse geschildert, von Taten berichtet, die irgendein berühmter Coltmann oder aber auch ein berüchtigter Bandit vollbrachte — — — — und immer wieder waren es ein Mann, ein Pferd und ein Wolf, deren tollkühne Taten im Dienste der Gerechtigkeit den ganzen Mittelwesten in atemloser Spannung hielt — — Irgendwo in einer kleinen Schenke fand sich eine Gruppe Westläufer und Cowboys zusammen und da war auch schon wieder die Rede von ihm — — ... und da wurde erzählt ... erzählt ... "Von wem war denn die Rede? Wer war dieser Mann?", fragte ein Neuling mit begeisterten Blicken. "Das war ,er'", antwortete der Westmann. "Wer?" "Er", bekräftigte der Erzähler ... ... und da wusste auch der Dümmste unter ihnen, wer gemeint war ... Aufgrund des Alters des Textes kann es sein, dass im Inhalt Begriffe verwendet werden, die heute nicht mehr gebräuchlich bzw. nicht mehr politisch korrekt sind.

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„Er“

Von Konrad Kölbl

1953

Inhaltsverzeichnis

In der einsamen Schenke

Die Story von Tombstone

Die Stadt ohne Namen

Die Story von San Franzisko

In der einsamen Schenke

„Und ich sage dir, Edgar, ich war in Tombstone! Habe den ,Vogelkäfig‘ gesehen, mit meinen eigenen Augen gesehen, und jedes Wort, das ich erzähle, ist wahr ...“

„Du wirst erst kürzlich dort gewesen sein, Tom! Ich meinte eine andere Zeit, als es noch wild herging in der Goldgräberstadt – als John Clanton noch lebte, das Ungeheuer ...“

„Eben diese Zeit meine ich, Edgar, und keine andere! Habe sogar Wyatt Earp gekannt und dann hat es mir auch William Mac Lean bestätigt ...“

„Der bekannte Büchsenmacher?“

„Lean baut keine Gewehre, Edgar! Er hat nur eine ganz vortreffliche Verbesserung auf diesem Gebiete gemacht! Droben in Jasper bewohnt er mit seiner Frau ein reizendes Häuschen! Er hat es mir Wort für Wort bestätigt.“

Edgar Brown schaute .ungläubig drein, als er diese Worte hörte. Er kannte Tom Wills schon eine Reihe von Jahren und konnte nicht sagen, dass dieser ein Märchenerzähler war. Eher würde er das von „Rotfuchs“ behaupten können, einem Farmer, der ganz in der Nähe von Frenaville eine kleine Ranch betrieb und seine Abende genau wie er in der kleinen Waldschenke des alten Pedro verbrachte.

„Mit tollen Kerlen, Edgar ! Denke nur an Wyatt Earp, den Sheriff!“

„Du hast recht, Tom! Wyatt war es ja, der mir die Geschichte von Tombstone. erzählte!“

„Erzählen ... erzählen ...!“, riefen die Männer durcheinander.

„Das ist eine lange Geschichte, Boys, und wenn ich sie ausführlich wiedergeben soll, wird eine gute Stunde vergehen!“

„Erzählen ... erzählen ...!“, forderten die Anwesenden noch einmal, „von Wyatt Earp und von den Clantons, den Banditen ...“

„Einen habt ihr vergessen, und das war die Hauptfigur!“, unterbrach eine Stimme, und diese gehörte dem Rothaarigen. „Oder war er das vielleicht nicht?“

„Wer?“

„Er!“

Da grinste Edgar Brown über das ganze Gesicht: „Wie käme ich auch, dazu, ihn zu vergessen! Das sollt ihr gleich erfahren ...“.

„Fein“, mischte sich da auch die Stimme des Blonden in das Gespräch, „ich höre diese Story heute zum ersten Male. Komme nämlich aus dem Norden, wo man nur Zeitungen liest, und da erfährt man nichts Genaues!“

„Aus dem Norden?“, fragte Edgar. „Die Kunde von diesen unerhört sensationellen Geschehnissen in Tombstone sind sogar bis Alaska gedrungen, Fremder! Vielleicht seid Ihr noch nicht lange im Lande?“

„Das stimmt, Master! Bin nicht von hier und darum interessiere ich mich besonders für die Story von Tombstone, vorausgesetzt, dass sie die richtige ist, dass sie wahr ist!“

„Sie ist wahr, Fremder! Habe sie aus erster Hand, und Ihr werdet Euch wundern! Habt Ihr schon einmal den Namen Conny Cöll gehört?“

„Nein!“, antwortete der Blonde.

„Das habe ich mir fast gedacht! Ein Boy, der die Story von Tombstone nicht kennt, kann ja noch nie etwas von diesem Mann gehört haben! Aber sicherlich ist Euch schon ein anderer Name aufgefallen – Trixi!“

„Noch nie gehört!“, sagte der Blonde, und das ehrliche Erstaunen stand ihm in den Augen.

Edgar Brown schüttelte ungläubig den Kopf: „Soll man so etwas für möglich halten? Mann, habt Ihr denn auf dem Nordpol gelebt? Aber nichts für ungut, Fremder, um so lieber erzähle ich nun meine Geschichte ...“

Dabei lehnte er sich an die harte Holzwand zurück und entlockte seiner kurzen Pfeife ein paar mächtige Dampfwolken.

Dann begann er ...

Die Story von Tombstone

Wyatt Earp, der Sheriff von Tombstone, holte mit müden, mechanischen Griffen die letzten sechs Patronen aus seinem Halftergurt und steckte sie mit einer resignierten Bewegung in die leergeschossenen Kammern seines schweren Trommelrevolvers.

Er brauchte nicht hinzusehen, denn er konnte diese Arbeit blind und mit der linken Hand allein ausführen, während die Rechte ununterbrochen mit dem zweiten geladenen Mordinstrument Tod und Verderben spie. Deutlich sah er drüben die Einschläge. Der Bandit duckte sich tiefer in die Felsennische, denn er wusste, wie genau die Schüsse des Sheriffs saßen. Dasselbe Gefühl hatten auch seine beiden Komplizen, die etwas abseits in einer schützenden Bodenmulde lagen.

Nun währte das Gefecht schon eine gute Stunde. Der Sheriff und sein Begleiter saßen wie zu Tode gehetzte Hasen in der Falle. Sie konnten es nicht riskieren, ihre Deckung zu verlassen, denn sie wären in Sekundenschnelle den Kugeln der Banditen zum Opfer gefallen.

Wyatt Earp war ein mittelgroßer Mann mit dunklem Haar und schwarzen Augen. Er war braungebrannt wie ein Schwarzer, und sein Gesicht hätte man hübsch nennen können, wäre es nicht von einer außerordentlichen Härte und Wildheit gezeichnet gewesen. Der kleine Mann, der an seiner Seite unter dem Ginsterstrauche lag, war das krasse Gegenteil. Sein Alter war nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Er konnte genau so gut 30 wie 50 Jahre alt sein. Die erbarmungslose Sonne von Arizona hatte tiefe Furchen und hässliche Falten, in sein Antlitz gegraben, aus dem zwei kleine, unternehmungslustige Äuglein in die Welt schauten.

„Gib mir eine Zigarette, Kleiner!“, sagte der Sheriff. Der Kleine fingerte umständlich in seiner Hemdtasche herum und brachte tatsächlich einen Glimmstengel zum Vorschein.

„Wollen teilen, Wyatt, es ist die letzte – wahrscheinlich die letzte überhaupt ...“

Der Sheriff warf einen vorsichtigen Blick durch eine schmale Lücke im Gestrüpp, indem er den Kopf etwas aus der Deckung hob, und als er sah, dass sich drüben nichts bewegte, zündete er den halbierten Stummel an.

Der Kleine mochte recht haben – es konnten die letzten Züge sein, die er gierig in seine Lunge sog – die letzten in seinem Leben ...

Er sah auf manchen harten Kampf, auf manche heikle Situation und auf manches blutige Ereignis zurück. Immer hatte es noch einen Ausweg gegeben. – Diesmal sah er keinen mehr! –

Drüben lagen in vorzüglicher Deckung drei Banditen, die ausgezeichnet mit ihren Waffen umzugehen verstanden. Etwas abseits am Rande des steil aufsteigenden Felsens lagen zwei weitere Mitglieder der Clanton-Bande, während der Anführer – vielleicht war es John Clanton selber - außer Schussweite in 500 Metern Entfernung auf einem Felsen stand und das Ganze dirigierte.

„Verdammt“, brummte Earp. Wenn er wenigstens sein Gewehr erreichen konnte, das drüben bei den erschossenen Reitpferden lag, dann würde er diesem berüchtigten Banditen-Boss schon den Aufenthalt dort drüben verleiden! – Wyatt Earp blickte etwas sentimental zuerst auf den blühenden Ginsterstrauch, dessen grüne, wohlgeformte Blätter ihm noch nie so schön vorgekommen waren, und dann auf seinen Begleiter, nach dem ebenfalls die kalte Hand des Todes griff.

Er versuchte zu lächeln, doch es wollte ihm nicht so richtig gelingen:

„Na, Prutzi, eine verteufelt unangenehme Situation, nicht wahr?“

„Kann man wohl sagen!“, brummte der Kleine und schnitt eine Grimasse, in welcher der ganze ohnmächtige Grimm über seine aussichtslose Lage zum Ausdruck kam. Dabei knirschte er mit seiner spitzen Kinnlade, als hätte er soeben die ersten Zähne bekommen:

„Habe noch drei Kugeln im Lauf, Wyatt!“

„Und ich zwei – verdammt nochmal! – Nun müssen wir das Feuer einstellen! Vielleicht begehen diese Burschen den Fehler, unsere Stellung im Sturm nehmen zu wollen. Sie müssen ja nun annehmen, dass wir uns verschossen haben, und können sich denken, dass wir nicht einen Zentner Munition mit uns herumschleppen können. – Achtung – jetzt ...“

In diesem Moment brachen wie auf Kommando zwei Banditen aus einer Bodenwelle hervor und stürmten, wild und ohne Pause auf den Ginsterstrauch schießend, hinter dem die beiden Verteidiger in einer Erdsenkung verborgen lagen, heran.

Wyatt Earp schoss, fast ohne zu zielen. Die beiden Banditen machten nahezu gleichzeitig eine Bewegung, als wenn sie gegen einen unsichtbaren Zaun gerannt wären. Die rauchenden Colts entfielen ihren Händen, und dann stürzten sie mit einem lauten, hörbaren Plumps zu Boden.

Der Kleine hatte sich bei dem plötzlich einsetzenden Trommelfeuer noch tiefer in den Dreck gedrückt. Nun bemerkte er zu seiner Bestürzung, dass eine breite rote Spur quer über die Wange des Sheriffs lief, die aber merkwürdigerweise nicht zu bluten begann.

Wyatt Earp griff sich mit der linken Hand an die rechte Schulter, und als er sie wieder zurücknahm, war sie blutig rot.

„Wyatt ... Wyatt ... was ist los ...? Hat es dich erwischt? ...“, rief der Kleine entsetzt.

„Nichts von Bedeutung, Alter, eine Schramme im Gesicht und ein Streifschuss an der Schulter!“

Der kleine Mann arbeitete sich zu dem Verwundeten hin und wollte nach dessen Verletzungen sehen.

„Lass gut sein, Prutzi! – Es hat keinen Zweck mehr! – Das war der Anfang vom Ende! Habe nun keine Kugel mehr!“

„Ich aber noch zwei ...“

„Was nützen uns diese ...? Aber egal, gib mir deine Kanone. Vielleicht können wir noch den einen oder anderen dieser Strolche zur Hölle schicken!“

Während der Sheriff den geladenen Colt in die Hand nahm, verband Prutzi den Verwundeten an der Schulter. Die Schramme im Gesicht fing nun ebenfalls langsam zu bluten an. Plötzlich fuhr der Sheriff hoch und noch im selben Moment löste sich sein Schuss. Ein Bandit hatte vorsichtig über den Felsenvorsprung gespäht. Wyatt Earp sah deutlich den Sombrero und die Konturen des bärtigen Kopfes. Er gewahrte auch, wie der breitrandige Cowboyhut in einem weitem Bogen in den Sand flog. Ein fürchterlicher Fluch erscholl, was vermuten ließ, dass der Kerl mit dem Schrecken davongekommen war.

„Noch einen Schuss, Prutzi ... den letzten ...“

Wyatt Earp streifte die kleine eingeschrumpfte Gestalt seines Begleiters in den Tod mit einem flüchtigen Blick.

So verteufelt ernst die Situation auch war, so stahl sich doch ein verspieltes Lächeln in sein Gesicht.

„Nun kannst du mir noch einmal die Hand geben, Prutzi! – So ist es doch Sitte, wenn zwei Freunde auseinandergehn ...!“

Der Kleine wischte sich etwas Feuchtes aus den Augen und blickte in das blutige Gesicht seines Kampfgenossen. Gewaltsam gab er sich einen Ruck: „Red keinen Unsinn, Wyatt, so schlimm ist es nicht! Die Kugel ist noch nicht gegossen, die mich erwischt, das habe ich dir schon ein paarmal gesagt!“

Das Lächeln im Gesicht des Sheriffs verstärkte sich: „Wie willst du dich denn diesmal aus der Klemme ziehen, Kleiner, he?“

Der Kleine wollte etwas sagen. Wahrscheinlich wäre es nichts besonders Gescheites gewesen, denn plötzlich überlegte er es sich und stierte wortlos vor sich hin ...

„Prutzi!“

„Ja, Wyatt?“

„Wie lange bin ich jetzt Sheriff in Tombstone?“

„Genau acht Tage!“

Dann folgte eine kurze Pause.

„Mächtig lange Zeit das, nicht wahr?“

„Grund genug, um hier elendiglich zu verr ...“

„Aber, Prutzi, du warst doch gerade noch so optimistisch ... sagtest eben noch ...“

„Ah, ist ja alles Unsinn! – Müsste schon ein Wunder geschehen ...!“

Das heftige Schießen begann von Neuem, diesmal von der Seite her. Die Kugeln konnten die beiden Männer nicht erreichen. Sie spürten aber deutlich, wie der aufspritzende Dreck über sie niederprasselte. Da wollte einer der Banditen den Standort wechseln, um ein günstiger gelegenes Plateau zu erreichen. Es waren nur zwei große Schritte, die er machte und diese schnelle Bewegung hatte auch Wyatt Earp gesehen. Noch ehe der Bandit die neue Stellung erreichte, hatte er ein Stückchen Blei in der Hüfte. Abermals setzte ein wütendes Feuer ein; aber den Mut, die Deckung zu verlassen, hatte keiner der Banditen mehr.

„Das war der letzte Schuss, Kamerad!“, sagte Wyatt Earp fast ironisch mit einer müden Handbewegung und warf den nutzlosen Colt in den Graben. „Ich glaube nun nicht mehr, dass sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder angreifen werden!“

Und er hatte recht. Die Banditen hatten ihr Feuer eingestellt! –

Gleichmäßig und geheimnisvoll rauschte der San-Pedro-Fluss in der Nähe. Als die Sonne unterging, überspannte ein seltsamer, regenbogenartiger Glanz den Himmel. Es begann langsam zu dunkeln, und ein roter Schein legte sich über die Prärie. Gespenstisch schimmerten die Felsen, und dieser rote Glanz, der von dem Gestein ausging, erinnerte an Blut und Tod. So dachte Wyatt Earp, und seine Blicke suchten den Gesteinsbrocken, hinter dem der Tod lauerte und mit höhnisch grinsendem Gesicht zu ihm herüberstarrte.

„Prutzi!“

„Ja, Wyatt!“

„Weißt du, über was ich mich immer am meisten amüsiert habe, seit ich Sheriff bin?“

„Merkwürdige Gedanken hast du in deiner letzten Stunde, muss ich sagen!“

„Trotzdem muss es einmal heraus! Weißt du, was es war?“

„Nein!“

„Dein Name, Mann! – Wie kann ein Mensch, der ansonsten ganz normal ist, nur Prutzi heißen!“

Der kleine Mann hätte sicherlich einen kerzengeraden Satz in die Höhe gemacht, wenn er nicht in diesem elenden Dreckloch von einer Bodenrinne gelegen hätte.

„Was hast du an meinem Namen auszusetzen?“, knurrte er.

„Weißt du, Prutzi kann man zum Beispiel sehr gut eine Katze oder einen kleinen Schoßhund nennen, aber nicht einen ausgewachsenen Hilfssheriff von Tombstone. Nein, niemals!“

Prutzi neigte sich zur Seite, um das Gesicht des Sheriffs besser sehen zu können. Es war doch nicht gut möglich, dass sich bei Earp schon das Wundfieber eingestellt haben konnte. Als er aber das lustige Lächeln, das er immer schon mit einer gewissen Vorsicht genossen hatte, in den Zügen Wyatt Earps sah, überkam ihn doch eine kleine Wut, und es sah ungemein drollig aus, als er nun losplatzte: „Weißt du jetzt in dieser verdammten Lage nichts Besseres, als dich über meinen Namen lustig zu machen?“

„Das ist das Beste, was ich im Moment tun kann! – Übrigens – wie hat denn dein Vater geheißen, Prutzi?“

„Das weiß ich heute nicht mehr!“, fauchte der kleine Mann. Der Sheriff wischte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht, die er plötzlich dort verspürte. Er hatte noch gar nicht gewusst, dass Prutzi so empfindlich war und dass er seine Worte so spürbar mit jenem weißschäumenden Saft begleitete, der für die menschliche Verdauung so dringend nötig war.

„Aber das war es nun einmal – das hat mich immer am meisten gefreut!“, sagte Earp eigensinnig.

„Was? Ach so, ich habe schon wieder vergessen! – Zum Teufel noch einmal, kann man denn hier nicht einmal in Ruhe sterben!“

Fast beleidigt ließ sich der kleine Mann wieder in seine Deckung zurückfallen, und gleich darauf kamen aus allen Himmelsrichtungen wieder die todbringenden Geschosse angeschwirrt. Verdammt nochmal, hatten die Kerle Verstärkung erhalten oder sich so verteilt, dass sie von allen Seiten zugleich zu feuern vermochten?

Die Schulter des Sheriffs begann zu schmerzen, während die hässliche Schramme im Gesicht sich mittlerweile verkrustet hatte. Die beiden drückten sich fest an den Boden, um von den Geschossen nicht getroffen zu werden. Aber es blieb bei dem Schießen, ein Angriff erfolgte noch nicht. 

„Prutzi!“

Es kam keine Antwort.

„Prutzi!“, sagte Wyatt lauter.

Es kam wieder keine Antwort.

„Beleidigt, Prutzi?“

Prutzi drehte sich auf die andere Seite. Ihm war schon alles egal. Mochten sie doch kommen, diese verdammten Gangster John Clantons, und ein Ende machen! Was hatte er schon zu verlieren? –

Ein ganzes Jahr hatten die wackeren Bürger von Tombstone einen Sheriff gesucht, denn dieser Posten war ein ausgesprochener Himmelfahrts-Job. Als vor acht Tagen Wyatt Earp in diese Gegend kam und einen kleinen Barbetrieb aufmachte, hatte man ihm in der ersten Bierlaune der Eröffnung vorgeschlagen, doch auch gleich das Amt des Sheriffs zu übernehmen. Man glaubte, einen guten Witz angebracht zu haben. Zum allgemeinen Erstaunen erklärte aber der Gastwirt Wyatt Earp, dass er es sich schon lange gewünscht habe, Sheriff zu werden. Man prophezeite ihm in der ganzen Stadt, dass er höchstens noch drei Tage leben werde, und richtig, am dritten Tage seines Amtes stürzten plötzlich drei wüst aussehende Kerle in das Lokal und ballerten mit ihren Colts in alle vier Himmelsrichtungen. Erst nachdem die dritte Flasche seines teuersten Weines in tausend Scherben zersprungen war, hatte Wyatt Earp bedächtig zu seinen Colts gegriffen! – Als einige Minuten später drei stadtbekannte Raufbolde und Revolvermänner von diesem Tal der Tränen Abschied genommen hatten, bedauerte der Sheriff nur eines, dass sie nicht mehr so viel Geld in der Tasche hatten, um den vergossenen edlen Saft bezahlen zu können.

Schon am nächsten Tage erfolgte der zweite Angriff. Diesmal war dem Sheriff eine Kugel aus dem Hinterhalt zugedacht gewesen. Prutzi hatte jedoch Wyatt Earp das Leben gerettet. Er stand gerade in der Nähe des Bareinganges, hinter dem dicken Stamm einer alten Erle, als er oben am Fenster des Hauss die Gestalt des Sheriffs erblickte und gleich darauf einen Revolver gewahrte, der auf diesen gerichtet war. Der kleine Mann hatte mit dem Schießeisen schon Etliches geleistet, glaubte aber bei dieser Entfernung und Dunkelheit keinen sicheren Schuss anbringen zu können. Er hatte von der Hüfte aus geschossen und tatsächlich die Hand des Banditen erwischt. Am erstauntesten über diese Leistung war Prutzi selber. Jedenfalls fand der überraschte und dankbare Sheriff großen Gefallen an dem schrulligen, tüchtigen Mann mit dem seltsamen Namen, und er brachte Prutzi dazu, ebenfalls in den Dienst des Gesetzes und der Gerechtigkeit zu treten.

Nun waren aus den drei Tagen eine volle Woche geworden! – Er hätte es sich denken können, so haderte der kleine Mann nun im Stillen mit sich, wie es ausgehen würde, ausgehen musste! –

Droben in den Bergen lebte John Clanton, ein Desperado, wie ihn das wilde, raue Land an der mexikanischen Grenze nur alle zehn Jahre einmal in diesem Format hervorbrachte. Dieser Clanton mit seinen drei Söhnen hatte sämtlichen Sheriffs von Tombstone den Tod geschworen!

Nun lag seine Bande da draußen in guter Deckung und schoss, was die Rohre hergaben! Wie lange würde es noch dauern, bis wieder ein Sheriff dorthin gegangen war, wo die Maulwürfe ihr Reich haben, und er – der vielgelästerte Prutzi, wie konnte es auch anders sein – würde ihm dabei Gesellschaft leisten müssen! –

„Prutzi?“

„Ja?“

„Fein, dass du noch lebst! Ich habe schon gedacht, du wärest vor Schreck gestorben ...“

„Ist auch bald so weit ...!“

Wyatt Earp schaute versonnen an den über ihm leicht im Winde hin- und herschaukelnden Sträuchern vorbei in den wolkenlosen Abendhimmel. Da schrie eine laute Stimme aus einiger Entfernung:

„Sie haben sich verschossen, Jungs! – Ich sehe es ganz deutlich! – Sie haben ihre Colts weggeworfen!“ –

Das war nun das Ende, das bittere Ende! –

Aus der Felsengruppe trat langsam ein Mann und dann noch einer, die Waffen schussbereit vor sich hinhaltend.

Da erklang in der Nähe vollkommen unerwartet Pferdegetrappel. Die beiden Banditen hatten noch lange nicht das Versteck der beiden Todgeweihten erreicht, als ein Reiter sichtbar wurde, der sofort auf die Wegelagerer zuritt und mit einem Satz vom Pferde sprang.

„Achtung, Fremder, das sind Banditen!“, schrie Wyatt Earp, indem er seine Deckung verließ.

Seine Warnung war überflüssig, denn der Mann war auf der Hut. Seine Füße hatten noch nicht ganz den Boden erreicht, als seine wie durch Zauberei herausgewirbelten Waffen schon Feuer spien.

„Achtung, hinter den Felsen!“, brüllte der Sheriff.

Gleichzeitig mit den stürzenden Banditen warf sich auch der Fremde zu Boden. Als den dritten Banditen mitten im Lauf die tödliche Bleikugel erreichte, sah man in weiterer Entfernung einen vierten Mann mit einem wahren Panthersprung ein Pferd besteigen und in wildem Trab davonstürmen.

Wyatt Earp wischte sich den kalten Schweiß von der Stirne und starrte auf das nächtliche Bild, das sich hier vor seinen Augen auftat. Da saß der fremde Mann immer noch neben den gefallenen Banditen. Es machte ihm wohl Freude, hier von seinen Taten auszuruhen.

Prutzi war der erste, der den Retter, der so unerwartet aufgetaucht war, erreichte. Indem er dem Helfer freudig auf atmend die Hand entgegenstreckte, sagte er:

„Das war Rettung in letzter Minute, Stranger. – Wisst Ihr, wer der Mann war, der soeben mit dem Pferd entkommen ist?“

„Keine Ahnung! Wahrscheinlich ein dunkler Gentleman!“, lächelte der Fremde.

„Das war Clanton!“

„Was Sie nicht sagen! – Welcher Clanton?“

„Das konnten wir nicht feststellen! Jedenfalls war es ein Clanton!“, versicherte Prutzi. Mittlerweile war auch der Sheriff herangekommen. Er drückte herzlich die Hand des jungen Mannes, der wie ein Engel aus dem Paradiese gerade noch im richtigen Moment gekommen war.

„Wir sind Ihnen mächtigen Dank schuldig, Fremder! Es war eine ziemlich aussichtslose Lage! – Hatten uns verschossen und waren reif ...“

„Wir waren schon so gut wie tot...“, fügte Prutzi hinzu.

Der Fremde lachte, indem er sich langsam erhob: „Ich möchte nun aber doch gerne wissen, welcher Clanton es war ...“

„Der Alte war es nicht, denn wer diese furchterweckende Gestalt nur ein einziges Mal gesehen hat, kann sie nie wieder vergessen! Es war einer seiner drei Söhne. Von diesen scheidet wieder Juddy Clanton aus, denn der lebt in Tombstone als friedlicher Bürger ...“

„Nicht möglich, als friedlicher Bürger?“, staunte der Fremde.

„Jedenfalls konnte ihm bis jetzt nichts nachgewiesen werden, denn sonst hätte ich ihn schon längst hinter Schloss und Riegel gebracht!“

Der Fremde musterte nun aufmerksam den Sprecher. Nachdem er sich vermutlich ein abschließendes Urteil gebildet hatte, fragte er:

„Sie sind Sheriff Earp?“

„Jawohl, das bin ich, Stranger!“

„Dann freut es mich um so mehr, dass es gerade mir gelungen ist, Ihnen einen kleinen Dienst zu erweisen!“

Plötzlich wurde er ernst und blickte mit einem veränderten Gesichtsausdruck auf die beiden: „Sobald wir in Tombstone angekommen sind, werden wir uns nicht mehr kennen! – Wir haben uns überhaupt noch nie gesehen! Habt Ihr verstanden, Sheriff?“

Der Sheriff blickte erstaunt und nicht ohne Misstrauen auf den fremden jungen Mann. Dieser griff nun in die Tasche und brachte eine kleine Silbermarke hervor, die er den beiden Verdutzten vor die Augen hielt. Kaum hatten diese einen Blick darauf geworfen, als sie zu ihrer freudigen Überraschung zur Kenntnis nahmen, dass sie vor einem der gefürchteten G-Männer Oberst Sinclars standen, die, mit besonderen Vollmachten ausgestattet, überall dort eingesetzt wurden, wo mit offener Gewalt nichts mehr auszurichten war. Wahrscheinlich hatten die Zustände in Tombstone bis nach Prescott gestunken, so dass sich die Regierung endlich entschloss, einen ihrer Geheim-Männer zu entsenden.

Prutzi betrachtete neugierig den G-Mann, denn er hatte sich schon immer gewünscht, einmal einen dieser tollkühnen Abenteurer persönlich kennenzulernen. Vielleicht war es Fred Lockh, genannt der „Killer“, oder Frank Seegars, vielleicht war es der bärenstarke Neff Cilimm, oder Sam Brash, der Bulle, oder vielleicht war es sogar der berühmteste und gefährlichste, war es Trixi? – Nein, das wagte Prutzi doch nicht anzunehmen. Es genügte ihm schon zu wissen, dass er noch lebte und dass unerwartete und wertvolle Hilfe nach Tombstone gekommen war.

Nun erst betrachtete der G-Mann den Kleinen, den er um mehr als Haupteslänge überragte. Fast mitleidig blickte er auf ihn herab. In diesem Augenblick verwünschte Prutzi wohl zum fünfhundertsten Male die Tatsache, dass er in der Werkstätte Gottes eine so kleine Figur zugeteilt bekommen hatte. Er fand, dass diese Leute in den Bergen durchaus übertrieben groß und kräftig waren. Diese körperlichen Ausmaße gingen ihm immer etwas auf die Nerven und zwangen ihn, aus einer Art Defensiv-Stellung heraus seine aufkommenden Minderwertigkeitsgefühle mit Gewalt zu bekämpfen. So war es auch diesmal.

Der Fremde war außerordentlich gut und kräftig gewachsen, ohne stark zu wirken. Seine blonden Haare waren fein säuberlich nach hinten gekämmt, wie überhaupt sein ganzes Aussehen einen außerordentlich gepflegten Eindruck machte. Wenn man nicht genau wusste, wer er war, hatte man unbedingt das Empfinden, dass sich hier ein Sonntagsjäger in die Prärie verirrt hatte. So neu und so blitzblank war alles an ihm. Die beiden Revolver an den Hüften waren tief und schwer nach vorne geneigt, aber die perlmutterbesetzten Griffe der beiden Waffen waren alt und abgegriffen. Nur Wenige hatten Gelegenheit, diese beiden Golts zum näheren Augenschein in die Hand zu nehmen, und Sheriff Earp wäre sehr erstaunt gewesen, hätte er die zahlreichen feinen Kerben zählen dürfen, die in diese Griffe eingeschnitten waren.

„Wie heißt denn das kleine Männlein, Sheriff?“, fragte der G-Mann, während seine Augen belustigt auf die Gestalt des Hilfssheriffs heruntersahen.

„Nach der Gestalt dürfen Sie hier nicht urteilen, Mister! Er ist ein prachtvolles Kerlchen, der kleine Prutzi ...“

„Wie bitte?“

„Ja, richtig, so heißt er nämlich – Prutzi!“

„Und weiter nichts mehr?“

„Mir genügt es!“, platzte Prutzi heraus, und er hatte in diesem Augenblick das Bedürfnis, sich selber und seinen verdammten Namen zum Teufel zu wünschen. Schon als Knabe hatte er sich vor dem Spott seiner Kameraden kaum retten können, und das war in der Zwischenzeit nicht anders geworden. Was konnte er dagegen tun? Schließlich nannte er sich nun einmal so! – Da freute er sich nun offen und ehrlich, dass er einmal einen dieser berühmtesten Revolvermänner des Westens zu Gesicht bekam, und schon musste er sich wieder ärgern! – Und geärgert hatte sich Prutzi Zeit seines Lebens! Der viele Ärger hatte ihm aber keine Besserung, keinen anderen Namen, keine neuen Freunde, sondern nur ein übles Gallenleiden eingebracht.

***

Die Bewohner von Tombstone und in Sonderheit der reiche Minenbesitzer Schieffelin lebten in dem Glauben, dass die göttliche Vorsehung ihnen eine schwere Buße auferlegt habe, weil sich ausgerechnet in ihrem Städtchen ein Mann namens Juddy Clanton aufhielt. Juddy Clanton war der Sohn des berüchtigten John Clanton, der als vogelfreier Desperado schon seit mehr als zehn Jahren das gesamte Land terrorisierte. Bis heute war es noch keinem Sheriff und keiner Abteilung der Bürgerwehr gelungen, dem jungen Clanton eine strafbare Handlung nachzuweisen.

Noch niemals hatte er zuerst nach der Waffe gegriffen und noch niemals hatte er mit drohenden Worten einen Revolverkampf heraufbeschworen.

Der erst fünfundzwanzigjährige, große, dunkelhaarige Mann liebte den Kampf um des Kampfes willen. Es gab kein Pferd, das er nicht reiten konnte, und wenn es der wildeste Mustang gewesen wäre. Es gab kein Messer, das er nicht genau so geschickt und so sicher werfen konnte wie irgendein berüchtigter mexikanischer Bandit, und er schoss mit beiden Händen von der Hüfte aus, dass es selbst den schießgewohnten Leuten in Tombstone eiskalt über den Rücken lief. Er war stets zu tollen Streichen aufgelegt, und es bereitete ihm ein großes Vergnügen, wenn er die wackeren Bürger dieser lieben Stadt so richtig in Aufregung bringen konnte.

Wo er auch hinkam, ging ihm sein Ruf voraus, und die geängstigten Mütter von kleinen Kindern drohten ihren unfolgsamen Rangen mit Juddy Clanton, wenn sie nicht artig sein wollten.

Dabei hatte Juddy Clanton nicht das Aussehen eines herzlosen Barbaren. Er war groß gewachsen, seine Bewegungen waren harmonisch und er gehörte zu jener Kategorie Männer, die prachtvoll anzusehen sind, ohne unmännlich zu wirken. Seine ganze Art, sein ganzes Wesen atmeten Lebenslust und Lebensfreude. Die Einwohner von Tombstone munkelten, dass Juddy Clanton der Botschafter des Alten sei und einen Großteil Mitschuld trage an all den in den letzten Jahren begangenen Verbrechen und Scheußlichkeiten. Im Übrigen hing der Alte mit geradezu abgöttischer Liebe an diesem Sohn, und jeder Einwohner – angefangen von Schieffelin bis hinunter zum letzten Minenarbeiter – wusste, dass man mit dem Leben spielte, wenn man dem Jungen zu nahe trat.

Trotzdem war es ein Wunder, dass dieses menschliche Raubtier überhaupt noch lebte. John Clanton bewachte und behütete alle Handlungen und Wege seines Sprösslings. Man erinnerte sich noch deutlich daran, wie Schieffelin einen Mann namens Jack Rall, einen weitbekannten Schwergewichtsboxer, und einen Hünen aus Dallas mit dem merkwürdigen Namen Tom Deat, der in umherziehenden Schaubuden zolldicke Eisenstangen zu Fragezeichen verbiegen konnte, gedungen und den Auftrag gegeben hatte, dem jungen Clanton einmal mächtig den Aufenthalt in Tombstone zu verleiden! Und die beiden hatten dann auch ihr Möglichstes getan. Juddy Clanton war an sie geraten und hatte von ihnen fürchterliche Dresche bezogen! – Die Stadt jubelte! – Es waren aber kaum 24 Stunden vergangen – die beiden Kämpen von der kraftvollen Zunft saßen gerade in feuchtfröhlicher Stimmung im „Vogelkäfig“, einer sehr geräumigen Spielhöhle in Tombstone – als das Unglück überraschend in Gestalt des alten John Clanton über die beiden hereinbrach.

John Clanton hatte einen Körperbau wie ein Gorilla. Seine Arme hingen lang und leicht angewinkelt nach unten, und die Muskeln drohten fast die Nähte seines Hemdes zu sprengen. Seine Augen waren klein und ewig blutunterlaufen. Die starken, merklich nach außen gebogenen Beine konnten, obwohl sehr kräftig gebaut, kaum den überaus stark gewölbten Oberkörper tragen.

Mit einem tierischen Schrei hatte er sich auf den ihm zunächst sitzenden Jack Rall gestürzt. Ehe sich dieser von seiner Verblüffung erholen konnte, lag er schon mit gebrochenen Gliedern und gespaltener Kinnlade ächzend und stöhnend am Boden. Mit einer blitzschnellen Bewegung warf sich Tom Deat auf das Ungetüm, und nun erlebten die Anwesenden den grauenhaftesten Kampf, den sie in ihrem Leben gesehen hatten. Zwei verwegen aussehende Banditen mit schmalen, schlanken Händen, die ganz lässig auf den Kolben ihrer Colts lagen, sorgten dafür, dass keine Einmischung durch die sogenannte Bürgerwehr erfolgte.

Als John Clanton nach einer Stunde die Stadt verließ und der vielbeschäftigte Doc Fatt am Tatort erschien, konnte er den entsetzten Leuten nur mitteilen, dass er ganz wenig Hoffnung habe, die beiden Männer am Leben zu erhalten! –

Seit dieser Zeit konnte Juddy Clanton anstellen, was er wollte, die eingeschüchterten Einwohner von Tombstone nahmen ihn und seine Taten hin als eine Gottesgeißel, als ein Unglück, gegen das man machtlos war. Es war nicht gut, Anschläge auf Juddy auszuhecken. Wer nun aber glauben wollte, dass der junge Bandit von allen Menschen gemieden wurde, der täuschte sich sehr. Juddy verfügte über viel Geld, und wie ein Komet einen strahlenden Schweif nachzieht, so brandete und brodelte es ununterbrochen um den mit verschwenderischen Mitteln ausgestatteten Sohn eines gefürchteten Vaters.

Eine in ganz Tombstone bekannte Leidenschaft hatte Juddy, und das war Ruth, die schwarzhaarige Bedienung im „Vogelkäfig“. Für diese Leidenschaft war dem jungen Clanton keine Mühe zu viel und kein Weg zu weit, aber auch kein Streich zu gewagt, wenn er damit der „tollen Ruth“ eine Freude machen konnte.

Gnade dem Burschen, der vielleicht einmal in Unkenntnis der Tatsache, dass dieses blauäugige Wesen mit der unverschämt spitzen Nase im schmalen Gesicht das unveräußerliche Eigentum des jungen Teufels war, den John Clanton sicherlich einstmals mit der Höllenbraut selbst gezeugt hatte, einen anzüglichen Witz oder gar eine vertrauliche Bewegung riskierte. Der Wirt des „Vogelkäfig“, Jim Pratt, konnte hier ein Liedlein singen, denn er hatte schon mehr als einmal sein Kranken- und Verbandskästchen an der Wand über der Theke, das mit einem großen, roten Kreuz versehen war, auffüllen müssen.

Wenn Juddy den Bar-Raum betrat, war dies immer ein Ereignis, selbst wenn sonst nichts passierte. Aber irgend etwas geschah meistens. Wo Juddy Clanton weilte, herrschte keine Langeweile, und so war es auch heute.

„Eine Runde, Jungs! – Heute habe ich einen Feiertag! – Baby! Baby! – Wo bist du denn? – Eine Runde für die Gents hier!“

Das Baby schenkte ein und warf keine besonders freundlichen Blicke auf die versammelten Burschen, als es sagte:

„Hast wohl heute Geburtstag, he?“

Juddy zeigte sein schönstes Lächeln, so dass man seine blendend weißen Zähne deutlich sehen konnte.

„Jawohl, Baby, heute feiere ich meinen Geburtstag, Herzensmädel! Hast du was dagegen?“

„Aber Juddy, der ist doch erst in vier Wochen!“

Die blauen Augen im braungebrannten Gesicht, aus denen der ungestüme Übermut geradezu sprühte, wurden noch eine Kleinigkeit größer, und seine fröhlich hervorgesprudelten Worte überschlugen sich fast:

„Aber Baby, Herzensmädel, ich kann doch meinen Geburtstag feiern, wann ich will! – Und heute will ich!“

Die umstehenden Bewunderer des jungen Mannes stimmten in das laute Lachen ein, denn für sie war nun wieder einmal der Augenblick gekommen, sich gründlich und kostenlos in Alkohol zu tauchen.

„Juddy, hast du schon gehört, in der Schieffelin-Mine wollen sie nun doch weiterbohren!“, sagte ein Mann neben Clanton, der sich an den anderen vorbei in die Nähe des freigebigen Spenders geschoben hatte.

„So –!“

Mehr sagte Juddy nicht, und gleich darauf führte er wieder ein volles Glas zum Munde.

„Ingenieur Earp hat Wasser festgestellt und dem Alten dringend geraten, die Bohrung einzustellen, denn man kann nicht mit Sicherheit sagen, wie stark die Wasserader ist!“

„So“, – sagte Juddy noch einmal und seine Fröhlichkeit war plötzlich wie weggeblasen: „Komm mit mir, ich habe mit dir zu reden ...!“

Als die beiden in einer stillen Ecke Platz genommen hatten, begann Juddy:

„Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst es mir allein sagen, wenn etwas Besonderes in der Mine vorgefallen ist ...!“

„Aber das ist doch nicht wichtig ...!“

„Das ist sehr wichtig! Wenigstens für mich! – Also der Alte will bohren, trotz der Gefahr ...“

„Ja, er glaubt nicht daran. Wir haben nun schon so viele Stollen in die Erde getrieben und wären bestimmt auf eine Wasserader gestoßen, wenn eine solche wirklich vorhanden wäre! – Ich glaube ebenfalls nicht daran!“

„Aber Ingenieur Earp glaubt daran?“

„Der ist fest davon überzeugt. Er sagte heute, dass er mit seinen Instrumenten ganz deutlich das Rauschen höre, er meint, dass es sich um einen unterirdischen Wasserlauf des San-Pedro-Flusses handeln müsse ...!“

„So, das ist sehr interessant! – Es ist nicht dein Schaden, wenn du mich laufend darüber unterrichtest. Das kannst du doch als Schachtmeister, nicht?“

„Klar, Juddy, für dich tue ich alles, das weißt du doch!“

„Aber warum will der Alte bohren?“

„Weil gerade in diesem Stollen das Gestein besonders metallhaltig ist! Der Alte ist die Habgier selber ...“

„Aha ..., deshalb also ...!“

Juddy blickte nachdenklich vor sich hin. Dieser Zufall kam seinen Plänen und denen seines Vaters sehr entgegen. Und er freute sich im Stillen auf das Gesicht, das sein Alter droben im San-Pedro-Gebirge machen würde, wenn er ihm diese Nachricht überbrachte.

***

„Und wenn Sie hundertmal sagen, Ingenieur, dass es gefährlich ist, den Stollen weiter zu treiben, ich tue es doch!“, brüllte der Minenbesitzer Schieffelin und stapfte mit seinen schweren Stiefeln in seinem Büro auf und ab. Er hatte ein strenges, schmales Gesicht, das von langen, grauen Haaren gerahmt war und mit den abwägenden düsteren Augen und den unheimlich schmalen Lippen Grabeskälte verbreitete. Der Raum hatte das Aussehen eines alten, ehrwürdigen Patrizierzimmers irgendwo drüben in Deutschland und passte so gar nicht in dieses Haus mitten in der Wildnis. Das Büro besaß sogar ein für Tombstone wirklich seltenes Prunkstück, einen kostbaren dicken Teppich. Grüne, samtgepolsterte Stühle standen herum. Wenn die Sonne jedoch auf die abgenutzten Armlehnen schien, sah man deutlich den silbrigen, mausgrauen Schimmer der Vergänglichkeit. Auf einem mit gotischen Schnitzereien versehenen Wandschrank standen Nippfiguren. Die braven Cowboys und Minenarbeiter, die solches noch nicht gesehen hatten, staunten bei ihrem Anblick Bauklötze. Der ungeheure Spleen des alten Schieffelin musste ja bis zum Himmel stinken! –

„Und trotzdem sage ich Ihnen, Boss, dass wir allesamt wie die Ratten ersaufen werden, wenn Sie Ihren Vorsatz ausführen!“, brüllte Ingenieur Earp, der ältere Bruder des Sheriffs von Tombstone, zurück. „Wenn die Wände, die uns von der Flussader trennen, zu dünn geworden sind, wer soll dann die Wasserader aufhalten, he?“

„Mir egal, Mann, es wird weiter gebohrt, und damit basta! Oder denken Sie, dass ich mitten im Geschäft einen Rückzieher mache, gerade in diesem Stollen, der den reichsten Ertrag bringt? Sehen Sie denn nicht, dass das Silber dort fast offen zu scheffeln ist und dass es immer lohnender wird, je weiter ...“

„... wir uns dem Verderben nähern! Wenn Sie auf Ihrem Willen wirklich bestehen und Ihren Vorsatz starrköpfig durchführen wollen, dann ohne mich und meine Verantwortung! Das wollte ich Ihnen noch sagen! So long!“

Nach diesen Worten machte der große, kräftig gebaute Mann, der nun schon seit Jahren im Dienste des Minenbesitzers stand und erst vor einigen Tagen seinen Bruder Wyatt Earp nach Tombstone gerufen und ihm ermöglicht hatte, unten in der Stadt eine kleine Barschenke zu errichten, auf den Absätzen kehrt und verließ den Raum.

Schieffelin war zuerst maßlos verblüfft. Er lief purpurrot vor Wut an und schnellte mit einem langen Satz zur Türe:

„Ingenieur! – Sofort kommen Sie zurück! – Hören Sie? Zurückkommen sollen Sie!“

Aber Virgil Earp kam nicht zurück. Er hatte aus dem Pferdestall, der ganz in der Nähe des Verwaltungsgebäudes lag, seinen Rappen geholt und war einige Minuten später schon unterwegs nach der Stadt.

Sheriff Earp, der gerade von seinem gefährlichen Ritt zurückgekehrt war, machte große Augen, als er von dem Wahnsinn erfuhr, den Schieffelin vorhatte.

„Hat denn der alte Geizhals noch nicht genügend Geld zusammengeschaufelt? Was will er denn überhaupt mit dem Reichtum? Er kann ja doch nichts damit anfangen, sondern verkümmert dort oben in seiner Burg!“

„Um das handelt es sich nicht, Wyatt!“, sagte der Bruder. „Es handelt sich hier um uns, – um uns alle! – Ich habe schon vor acht Tagen aus Dallas eine große Wasserpumpe angefordert, sozusagen als Vorsichtsmaßnahme. Dem Kerl traue ich es zu, dass er seine Stollen so nahe an die Wasserader vortreibt, dass mit der Gefahr eines Einbruchs unbedingt gerechnet werden muss. Wenn es zu einem solchen Einbruch kommt, sind die einstürzenden Wassermassen nicht mehr aufzuhalten ...“

„Handelt es sich denn um eine starke Wasserader?“, forschte der Sheriff.

„Um eine sehr starke sogar. Ich konnte dies einwandfrei feststellen!“

„Dann ist es ein Verbrechen, hier weiterzubohren. Ich muss mich persönlich darum bemühen, den Miner zur Einsicht zu bringen!“

„Jawohl – deshalb bin ich hier! Hört er dann noch nicht, werde ich mich in Dallas über ihn beschweren. Schließlich handelt es sich hier um einige hundert Arbeiter, die brotlos werden, wenn eine Katastrophe ein tritt!“

Sheriff Wyatt Earp nagte nervös an seiner Unterlippe. Es war schon eine allerliebste Gegend, in die ihn das Schicksal verschlagen hatte. Prutzi vertrat ganz entschieden die Meinung – und er sagte dies bei jeder Gelegenheit mit einer Gelassenheit, die an die Nerven ging – dass dies ja erst der Anfang sei und dass es nicht schade wäre um das verkommene Drecknest Tombstone, wenn es hoffentlich recht bald zu einem einzigen, riesengroßen Grabstein werden sollte.

***

Der Barraum des „Vogelkäfigs“ lag im Dämmerschein, als eine müde Gestalt die Stube betrat. Der Mann musste große Strapazen hinter sich haben, denn er konnte kaum mehr die Augen offenhalten. Als er sich in einer stillen Ecke mit einem schweren Plumps auf einen wackligen Stuhl fallen ließ, hatte es fast den Anschein, als wolle dieser unter der an und für sich nicht bedeutenden Körperlast des Gastes zusammenbrechen.

Der Wirt betrachtete interessiert die Züge des Mannes, den er noch nie in Tombstone gesehen hatte.

„'nen Whisky, Stranger?“

„Nein, habe einen mächtigen Appetit auf eine Portion Schinken mit Ei und dann – man erzählt sich, dass Sie ein erstklassiges deutsches Bier verkaufen?“