Conny Cöll - Tolle Kerle - Konrad Kölbl - E-Book

Conny Cöll - Tolle Kerle E-Book

Konrad Kölbl

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Beschreibung

Old Harris, der große Menschenfeind, dessen ganze Liebe den wilden Geschöpfen des Urwaldes gilt, Conny Cöll mit seinen vierbeinigen Kameraden Schwarzwolf und Satan, die beiden Green-Girls, die das raue Trapperhandwerk der bequemen Bürgerlichkeit in der Zivilisation vorziehen, vereinen sich am Schauplatz einer Tragödie, die jedes mitfühlende Herz erschüttert. Ein Grisly und ein Wolf — zwei grundverschiedene Geschöpfe — haben sich zu einem freundschaftlichen Schutz- und Trutzbündnis zusammengetan und es ist vor allem auch der köstliche, mitunter wahrhaft "bärbeißige" Humor, der ihre Geschichte, ihr Leben und Sterben zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt. Aufgrund des Alters des Textes kann es sein, dass im Inhalt Begriffe verwendet werden, die heute nicht mehr gebräuchlich bzw. nicht mehr politisch korrekt sind.

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Tolle Kerle

Von Konrad Kölbl

1952

Inhaltsverzeichnis

Tolle Kerle

Teil 1

Teil 2

Ein besinnliches Nachwort!

Tolle Kerle

Nat Jeffers, der Wirt des Ranch-Hotels von Druggstone, kniff seine Augen zu einem schmalen Spalt zusammen und überblickte mit unruhigen, sorgenvollen Blicken den Bar-Raum. Dichte Rauchschwaden hingen an der Decke. Die mit Spannung bis zum Bersten geladene Luft hätte man schneiden können. Der Keeper, ein starker, dickbäuchiger Mann in den besten Jahren, zerdrückte seine Zigarette mit einer hastigen Bewegung an der feuchten Tischplatte der Theke. Mit einem leisen Zischen erlosch die glimmende Glut.

Neff Hollander lehnte nachlässig an der reichverzierten Vorderwand des großen Spielautomaten, der vor langer Zeit einmal einige uralte Cowboy-Songs von sich gegeben haben musste, wenn man eine Münze hineinwarf. Er blickte anscheinend gelangweilt auf die Pendeltür am Eingang der Bar. Die Spieler an den Tischen unterbrachen ihre Pokerpartien und schauten interessiert auf den jungen, großen Mann, den sie nur zu gut kannten. Als sie sahen, dass Neff Hollander seine rechte Hand in der Nähe des abgewetzten Holzgriffes seiner Waffe hielt, wussten sie, dass ihnen ein erregendes Ereignis bevorstand.

Neff Hollander war ein weitbekannter Revolverheld. Wenn irgendetwas im Gebiet des Pazific-Mountain-Systems im Gange war, vom einfachsten Viehdiebstahl bis zum tollkühnsten Postkutschen-Überfall, dann brachte man Hollander in Verbindung damit. Ein dichtes knallrotes Halstuch – und ein solches trug der Coltmann immer – konnte wohl sein Gesicht verdecken, aber nicht die große, breitschulterige Gestalt eines Mannes, den jedes Kind kannte und um den alle anständigen Menschen einen großen Bogen machten.

Der Wirt räumte mit hastigen Bewegungen seine kostbaren Gläser zur Seite, denn er wusste aus Erfahrung, dass diese nur allzu gerne als Zielscheiben benutzt wurden. Dass doch diese verdammten Kerle ihre Streitigkeiten immer in seinem anständigen Lokal austragen mussten! Die Dreckbude ihm gegenüber, die man großspurig „Druggstone-Saloon“ nannte, obwohl sie nur eine ganz gewöhnliche Holzbaracke mit kleinen, niedrigen Fenstern war, wäre doch für solche Aktionen und Zwischenfälle viel besser geeignet gewesen. Aber wahrscheinlich wurden wieder glaubwürdige Zeugen gebraucht, die nun einmal in dieser miserablen Spielhöhle und Räuberspelunke, wie er den sogenannten „Saloon“ immer bezeichnete, nicht vorhanden waren. Dort drüben war das gesamte Gesindel der ganzen Gegend zu Hause oder gab sich ein Stelldichein.

Nat Jeffers nannte sein Besitztum Ranch-Hotel. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, solche Gäste aus dem Süden und Osten der Vereinigten Staaten bei sich aufzunehmen, die den sogenannten Wilden Westen Alaskas kennenlernen wollten. Er konnte sich nicht beklagen, dass das Geschäft schlecht ging, im Gegenteil, man musste sich in seinem gut eingerichteten, ja fast komfortablen Gasthaus vorher anmelden, wenn man unterkommen wollte.

Seit einigen Wochen aber war das anders geworden. Sein Haus lag fast verödet, und der letzte Gast war vor ein paar Tagen abgereist. Dieser „Wilde Westen“ in Druggstone war den nach ursprünglicher Wildnis hungrigen Globetrottern doch zu laut und zu gefährlich geworden. Lady Windsthere hatte einen Ohnmachtsanfall bekommen, als sie kürzlich mit ansehen musste, wie man zwei Männer mit runden Schusslöchern in der Stirn durch die Pendeltür trug. Als sie dann noch vom Fenster ihres Zimmers aus beobachtet hatte, wie etwa zehn maskierte Banditen in das dem Ranch-Hotel gegenüber liegende Bankgebäude eindrangen und rücksichtslos mit ihren schweren Colts in der Gegend herumballerten, da war sie nicht mehr zu halten gewesen. Sie hatte Hals über Kopf ihre Koffer gepackt und war fluchtartig abgereist. Mit ihr hatte der letzte Gast das Ranch-Hotel von Druggstone verlassen.

Neff Hollander wollte gerade sein Whisky-Glas zum Mund führen, als er stutzte, denn durch die Pendeltür des Gastraumes kam ein großer, massiver Mann ins Innere des Lokals. Mit wuchtigen Schritten stapfte er auf die Theke zu. Es war der Sheriff, der das Gesetz in den räumlich weit auseinandergezogenen Camps Quenton, Druggstone und Chena vertrat. Er war auch Distriktskommissar der Nordlandpolizei, die in Fairbanks stationiert war. Einige Freunde dieses sehr rührigen und absolut furchtlosen Beamten wollten sogar wissen, dass Joel Rocky einmal Mitglied der berühmten Royal Mounted North-West Police, der berittenen Gendarmerie-Kommandos in kanadischen Diensten war. Und das wollte allerhand besagen. Der hochgewachsene, starkknochige Yankee hatte es nicht leicht, in seinem Distrikt Ordnung zu halten. Goldfunde im Mount-McKinley-Gebiet, ganz nahe bei Fairbanks, hatten Unmengen von abenteuerlustigen und goldgierigen Elementen in den hohen Norden Amerikas geschwemmt, die in der Verfolgung ihrer fragwürdigen Ziele nicht gerade sanft und loyal vorgingen. Erst vor wenigen Tagen hatte er das Amt des Sheriffs von Druggstone mit übernommen. Sein Vorgänger in diesem Gebiet war eines plötzlichen, unerwarteten Todes gestorben, nämlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen, das bis heute noch nicht geklärt werden konnte.

Sheriff Rocky wollte sich gerade an den Gastwirt wenden, als er Neff Hollander in seiner eigentümlichen Körperhaltung stehen sah. Brüsk wandte er sich von der Theke ab und sagte mit seiner tiefen, ewig grollenden Stimme:

„Da ist ja der Vogel, den ich suche! Schätze, er ist gerade nur deshalb gekommen, um sich von mir fangen zu lassen!“

Hollander grinste: „Haben es erraten, Sheriff, gerade deshalb bin ich gekommen! Was haben Sie eigentlich gegen mich?“

Der Sheriff stand erstaunt vor dem jungen Mann, dessen unheimliche Ruhe ihn etwas nervös machte: „Das fragst du – ausgerechnet du, Hollander! Ich habe dich immer und immer wieder gewarnt! Dein Ruf ist nicht der beste, und du schießt für die hiesigen Verhältnisse viel zu gut und – viel zu oft!“

Neff Hollander lächelte und zeigte dabei sein gelbes Raubtiergebiss: „Ist es ein Verbrechen, Sheriff, dass man gut schießen kann? Ich finde, dass das eher ein Vorteil ist! Was haben Sie sonst noch gegen mich?“

Der Sheriff platzte plötzlich los: „Wo warst du heute Nacht?“

Die Antwort kam schnell und trocken: „Im Bett, wo sich alle anständigen Menschen in der Nacht befinden!“

Einige Gäste lachten, aber dem Sheriff war gar nicht nach einem Scherz zu Mute. Es trat eine augenblickliche Stille ein, als er fortfuhr: „Heute Nacht ist Mister Feraro ermordet worden. Die Schränke wurden aufgerissen, es fehlt eine anständige Menge Bargeld und ein wichtiges Dokument, das für gewisse Leute nicht ohne Bedeutung war!“

„Warum erzählen Sie das mir, Sheriff?“, fauchte Hollander gereizt.

„Weil ich dich im Verdacht habe, der Mörder zu sein, mein Junge!“, sagte Rocky mit ruhiger Stimme. Ehe man es sich versah, hatte er seinen Colt gezogen und ihn auf den überraschten gerichtet: „Hände hoch, Hollander, und keine verdächtige Bewegung mehr!“

„Hoffentlich haben Sie keinen Missgriff gemacht, Sheriff, denn so etwas muss man beweisen können!“

„Das werde ich können, mein Junge! – Also marsch! Immer schön voraus! Den Weg zu deinem neuen Heim kennst du ja!“

Hollander hatte die Hände erhoben und wollte, der freundlichen Einladung des Sheriffs getreu, an diesem vorübergehen, da machte er eine schnelle Bewegung zur Seite und stolperte scheinbar über die Füße Rockys. Dieser wollte den stürzenden Mann mit der freien Hand auffangen, fühlte aber plötzlich seine Waffe nach innen gedreht und schon löste sich ein Schuss. Der Sheriff richtete sich mit einem plötzlichen Ruck hoch, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den inzwischen zu Boden Gestürzten, griff sich mit einem schmerzenden Gesichtsausdruck an die Brust und brach lautlos zusammen! –

Der Sheriff von Druggstone war seinem Vorgänger nachgefolgt, kaum dass eine Woche vergangen war! –

Ein wüster Tumult brach aus. Die Anwesenden sprangen von ihren Sitzen auf und schrien verwirrt durcheinander.

Nat Jeffers, der Wirt, starrte mit entsetzten Augen auf den toten Sheriff. Verdammt noch einmal, das konnte doch kein Unglücksfall sein! – Bei jedem anderen in Druggstone wäre das wohl möglich gewesen, aber niemals bei Neff Hollander! Das war doch ganz ausgeschlossen. Die Augenzeugen berichteten für und dagegen. Einige wollten genau gesehen haben, dass dem Sheriff im Stolpern die Waffe entfiel und sich am Knie Hollanders entlud. Wieder andere sprachen von einem glatten Mord. Als diese aber den merkwürdig veränderten Gesichtsausdruck, die gefährlich zusammengekniffenen Augen und die schmalen Lippen Hollanders sahen, hatten sie plötzlich nichts mehr gesehen, sondern trollten sich stillschweigend. Es genügte ihnen ein Toter in diesem Raum. Es waren schon große Helden, die braven Bürger von Druggstone! –

Bald nach dem dramatischen Vorfall betrat James Madsen die Gaststube, gerade in dem Moment, als einige Gäste die Feststellung machten, dass der Schuss genau das Herz des Sheriffs getroffen hatte. James Madsen war ein städtisch gekleideter Mann in den dreißiger Jahren, den man selten allein sah. Er war immer von einer Art Leibgarde umgeben. Wenn man ihm das erste Mal begegnete, hatte man den unbedingten Eindruck, es mit einem erfolgreichen, seriösen Geschäftsmann zu tun zu haben. Seine Freundlichkeit war gewinnend und seine Art, sich zu geben, sympathisch. Wer aber in Momenten, die gefährlich waren, sein verzerrtes Gesicht sah, seine heimtückischen, ja dämonisch glimmenden Augen, der konnte verstehen, warum die Einwohner von Druggstone ihn den bösen Geist dieser Stadt nannten.

Der Gastwirt Jeffers wunderte sich gar nicht, als er Madsen so plötzlich auftauchen sah, ja, er hätte sich maßlos gewundert, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Madsen wandte sich an die den Sheriff umstehenden Gäste:

„Etwas geschehen, Gents?“

Die Anwesenden schauten ihn fast feindlich an: „Und ob etwas geschehen ist! Hier, sehen Sie!“

Madsen erblickte nun den toten Sheriff. Er schien etwas betroffen zu sein. Dann sah er Hollander. Ein plötzlicher Zorn übermannte ihn, und es hatte fast den Anschein, als sei diese zornige Aufwallung echt. „Was hast du verdammter Kerl hier wieder angestellt, Hollander! Habe ich dir nicht schon hundertmal gesagt, dass du deine dreckigen Finger von der Waffe lassen sollst!

Neff Hollander tat verlegen: „Ich bin unschuldig, Chef! Der Sheriff ist im Hinstolpern in seinen eigenen Schuss gefallen! Die Gents sind Zeugen hier!“

Und tatsächlich nickten einige Gäste. Madsen beruhigte sich. Als er an der Theke von Jeffers sich ein Gläschen Whisky einschenken ließ, merkte er, wie die Hände des Gastwirts zitterten. Fast belustigt fragte er: „Was hast du denn, mein lieber Nat? Etwas herzleidend geworden in letzter Zeit?“

Der Gastwirt knurrte böse: „Du solltest deine verdammten Mörderknaben etwas besser an der Kandare halten! Mir kannst du nichts vormachen, mein Lieber, es ist eine Schande für die ganze Stadt, dass so etwas wie du in diesen Mauern geduldet wird!“

Der Gastwirt konnte es sich leisten, eine Lippe zu riskieren, denn Madsen war seit Wochen schon fieberhaft hinter seiner Tochter Yvette her. Und bei Gott, fast hatte es den Anschein, als ob sein liebes Mädel, das er seit dem Tod seiner wackeren Frau abgöttisch liebte, diesen immer eleganten Store-Besitzer nicht ungern sah.

Madsen lächelte resigniert. Er tat unsagbar beleidigt, und es wollte ihm auf einmal das Glas Whisky gar nicht mehr schmecken: „Wie kannst du nur so hässlich von deinem zukünftigen Schwiegersohn sprechen, Nat? Was kann ich dafür, dass Druggstone lauter solche Tölpel von Sheriffs hat, die nicht einmal einen Colt richtig in die Hand nehmen können!“

„Und dafür kannst du auch nichts, dass heute Nacht Feraro ermordet wurde?“, schnaubte Jeffers.

Über die Theke kroch langsam eine dicke Fliege. Sie musste gerade eine fette Mahlzeit eingenommen haben, denn sie setzte sich bedächtig auf das Hinterteil und putzte sich possierlich mit den beiden dünnen Füßchen den hin- und herzuckenden Kopf. James Madsen blickte sinnend auf die Kreatur. Es war eine besondere Leidenschaft von ihm und es bereitete ihm eine diebische Freude, wenn er mit einer schnellen Handbewegung eines dieser flinken Dinger von der Tischplatte wegwischen konnte. Er hatte darin eine Technik, die erstaunlich war, und seine besten Freunde behaupteten immer, dass ihm noch keines dieser so appetitlichen Tierchen durch die Finger gegangen sei. – „Wupp“ machte es und nachdenklich betrachtete der elegante Mann das ängstlich surrende Geschöpf zwischen seinen Fingern, dann sagte er mit langsamer Stimme und mit seltsamer Betonung: „Wenn etwas überflüssig geworden ist, Nat Jeffers, wenn etwas reif geworden ist für den Tod, dann muss es eben sterben! – Siehst du hier diese kleine Fliege in meiner Hand? So wie ich jetzt diese zerdrücke – und das ist mir immer eine besondere Freude, wie du weißt, – so zerdrücke ich alles und jeden, der mir über den Weg gekrochen kommt und dessen Nase mir nicht passt! Ich hoffe, dass ich mich deutlich ausgedrückt habe und nun – gute Nacht!“

Nat Jeffers war betroffen, als er dem Davoneilenden nachblickte. Er sah nachdenklich nach der Fliege, die tot auf dem Boden lag. Ein merkwürdiges Hobby hatte er sich ausgesucht, der mächtige James Madsen, der ungekrönte König dieser kleinen Stadt, der seinem Willen immer so schrecklichen Nachdruck verleihen konnte ...

... ein allerliebstes Steckenpferd ...

***

Druggstone lag zur Zeit der sensationellen Goldfunde – 1896–1899 – im umstrittenen und von Kanada beanspruchten Grenzgebiet. Erst 1903 wurde der alte Grenzstreit beigelegt und Druggstone war damals zum nordamerikanischen Alaska-Territorium gekommen. Der Hauptteil der goldreichen Klondike-Region blieb jedoch bei Kanada, das sich mit Alaska in den Yukon-River teilte. Und an diesem Fluss gab es zu beiden Seiten der Grenze Fundstellen des gelben Metalls in großer Zahl.

Das Klondike- und Yukongebiet wurde Ende der neunziger Jahre von zügellosen Horden abenteuernder Goldsucher geradezu überschwemmt.

Das lag nun fast zehn Jahre zurück, aber noch heute, nachdem wieder Recht und Gesetz eingezogen waren, dachte man mit Schaudern zurück an jene zügellose, entsetzliche Zeit, in der das Faustrecht herrschte und der Tod mit gierigen Knochenhänden fast stündlich seine Opfer holte.

Die berühmte berittene Mounted Police griff hier mit eiserner Hand durch und stellte die Ordnung wieder her.

Es wurde Gold gefunden, viel Gold.

Zuerst bildeten sich Einzelunternehmen, die an den Bonanza-Hügeln hydraulische Wäschen installierten. Eine große Anzahl Einzel-Claims entstanden, die fast alle außerordentlich ergiebig waren. In kurzer Zeit gelang es aber der Yukon-Gold Co. fast das gesamte Goldgebiet in ihre Hände zu bekommen. Wohl behielten die Claimbesitzer ihre Besitzrechte, die Ausbeute wurde aber von dieser allmächtigen Gesellschaft übernommen.

Der Abenteurer und Glücksritter wurden immer weniger, und dann kam die Zeit, da sich nur noch ein paar berufsmäßige Falschspieler und einige wenige Tagediebe, die aber meist ein kümmerliches Dasein fristeten, halten konnten. Die Gegend war kalt und unwirtlich und sie bot alles andere als Annehmlichkeiten. Einige Jahre der Ruhe und des friedlichen Arbeitens vergingen. Da kam für alle vollkommen überraschend eine Botschaft aus der Gegend des Blue-Water-Massivs, dass ein alter Goldgräber, ein schrulliger, verdrehter Kauz namens Pitt Potters, Gold gefunden habe. Eines schönen Morgens war er im „Claim-Saloon“ in Tanana erschienen, und er hatte einen riesigen Brocken dieses edlen Metalls auf den Tisch geknallt. Die Augen der anwesenden Gäste hatten sich unnatürlich geweitet, und es war gekommen, wie es kommen musste.

Ein Run setzte ein. Alles, was laufen konnte und nur einigermaßen über ordentliches Werkzeug verfügte, setzte sich in Bewegung. Das Blue-Water-Massiv wurde überschwemmt. Minenarbeiter, die bei der Yukon-Gold Co. beschäftigt waren, verließen ihre Arbeitsstätten, das Heer der „Hoffnungsvollen“ noch wesentlich vergrößernd.

Pitt Potters war der Held des Tages. Er wurde wie ein Fürst gefeiert, zumal er die Devise aufstellte, dass für die „Goldsäcke der Yukon Co.“ hier kein Platz sei, dass ihnen sozusagen der Eintritt in dieses neue Goldreich verwehrt werden müsse. Und so kam es auch.

Die Goldfunde waren nicht übermäßig reichlich, aber sie genügten vollauf, eine neue Stadt entstehen zu lassen. Zuerst waren es Zelte und Wellblechhütten, dann wurde aus den zahlreichen Kiefernwäldern Holz herangeschafft. Die ersten stattlichen Häuser entstanden. Eine Kneipe machte auf und dann die zweite. Ein Warenhaus entstand, es folgte ein Bankgebäude. Diese „Segnungen der Zivilisation“ verdankte das Goldgräberlager einem Mann namens James Madsen, der sofort nach seiner Ankunft eine außerordentlich rührige Tätigkeit entfaltet hatte.

An jener Stelle, an der Pitt Potters den Klumpen Gold gefunden hatte – dieser war übrigens der einzige im Claim des Gründers der neuen Stadt geblieben – entstand bald darauf das Haus des Friedensrichters Johnson, der das Gesetz im Gebiet repräsentierte. Immer neue Gebäude wuchsen aus dem Boden, oft buchstäblich über Nacht ...

Druggstone war entstanden, und Pitt Potters selbst hatte ihm den Namen gegeben. Dieser alte Kauz, der die meiste Zeit des Tages damit verbrachte, seinen immer vorhandenen und nicht tot zu kriegenden Durst zu löschen, und dessen schrullige Art wesentlich zur allgemeinen Belustigung beitrug, fühlte sich in seiner Gründerrolle ungemein wohl. Es war Ehrensache jedes Neuankömmlings in Druggstone, den hochverehrten Mister Potters hochleben zu lassen, und so brauchte der liebe, gute Pitt, wie er allgemein genannt wurde, keine Sorge zu haben, dass der Alkohol zu Ende ging. Er war eine grundehrliche Haut, ein braver Bursche, der niemandem etwas zuleide tat, und wenn er seine gewohnte Flasche Gin, einige Selbstgedrehte aus miserablem Tabak und ein paar Stücke Maisbrot hatte, dann war er der glücklichste Mensch im ganzen Gebiet.

Druggstone hätte man eine glückliche Stadt nennen können, wenn James Madsen nicht gewesen wäre. Diesem noch verhältnismäßig jungen, immer elegant gekleideten Mann mit den kalten, abwägenden Blicken gelang es, fast den gesamten Handel des Gebietes, alle einschlägigen Verkaufslokale und auch die Goldaufkaufsstelle in seine Hände zu bekommen. Die ersten Verbrechen geschahen. Menschen verschwanden oder wurden tot aufgefunden, von denen man mit Sicherheit behaupten konnte, dass sie Feinde oder Widersacher James Madsens gewesen waren, Männer, die sich weigerten, ihr Besitztum zu verkaufen oder dem „Herrn von Druggstone“ zu übereignen. Sheriff Rocky, der erste Gesetzesvertreter der neu erstandenen Stadt, tat sein Möglichstes, James Madsen zu überführen. Aber dies war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, da der aalglatte Emporkömmling stets eine Menge Zeugen zur Hand hatte, die jede Anklage gegenstandslos machten. James Madsen hatte Geld, viel Geld, und damit gelang es ihm spielend, jeglichen Widerstand aus dem Weg zu räumen. Wo Geld versagte, konnte er mit schärferen Sachen dienen, und auch dafür hatte er stets die geeigneten Helfer zur Hand.

Wohl war es der mächtigen Yukon-Gold Co. nicht gelungen, in Druggstone Fuß zu fassen; dafür hatten die Bewohner des Blue-Water-Massivs aber ein noch viel größeres Übel in Kauf nehmen müssen.

James Madsen war klug genug, den Bogen nicht zu überspannen. Durch gelegentliche Spenden und sonstige Wohltaten streute er Sand in die Augen der durchwegs naiven Claimbesitzer, die ihn im Großen und Ganzen gewähren ließen, obwohl sie ihn eigentlich zum Teufel wünschten. Ihn und die gefährlichen Kerle, die meistens in seiner Umgebung anzutreffen waren.

Im Mittelpunkt Druggstones stand das „Kaufhaus für Alles“ mit dem großen Wohnhaus, in dem Madsen sich für die primitiven Verhältnisse des Landes fast komfortabel eingerichtet hatte. Eine Sensation ungewöhnlichen Ausmaßes war der Bau der großen Sporthalle, die sich unmittelbar an das Wohngebäude anschloss. Mit ihren tausend Quadratmetern Flächeninhalt war sie weitaus der größte Bau der gesamten Gegend. Sie diente für Veranstaltungen aller Art, ob sie nun ernster oder erfreulicher Natur waren. In der Mitte des geräumigen Gebäudes war ein regelrechter Boxring in der erforderlichen Erhöhung aufgebaut, der jeder Großstadtarena Ehre gemacht hatte. Zwar konnten sich die Druggstoner nicht recht vorstellen, warum James Madsen diesen kostspieligen Bau errichtet hatte; sie wussten auch nicht, was er eigentlich damit bezweckte, nur eines war ihnen klar – und darüber gab es keine Meinungsverschiedenheiten – dass Madsens Machtposition unerschütterlich war, dass er in Druggstone nach Gutdünken schalten und walten konnte und dass er auch Macht hatte über die Schicksale von Menschen, die ein ordentliches und ehrliches Leben führten. Die Hälfte der Einwohnerschaft der Stadt stand ihm gleichgültig gegenüber. Sie hatte sich damit abgefunden, dass es in Druggstone nur einen Willen gab. Die andere sah in Madsen eine Geißel Gottes, gegen die es keine Auflehnung gab ...

... bis dann eines Tages etwas ganz und gar Unvorstellbares passierte ...

***

James Madsen hatte es fertiggebracht, Jack Rheley, den Box-Champion aus San Franzisko dafür zu gewinnen, in Druggstone seinen Camp aufzuschlagen. Und Rheley trainierte nun hier für seinen bevorstehenden Kampf gegen Al Casidy um die kanadische Schwergewichtsmeisterschaft. Der Meisterschaftskampf sollte in vier Wochen in Montreal ausgetragen werden.

Mit großen Plakaten, hergestellt in der Druckerei John Fahris, die gleich neben dem Ranch-Hotel in der Hauptstraße von Druggstone lag, wurde allerorts dafür geworben, sich den großen Jack Rheley beim Training mit seinen Sparrings-Gegnern anzusehen. Man konnte nicht mit Sicherheit sagen, wer sich bei diesem Ereignis populärer machte – der Veranstalter James Madsen oder sein Schützling, den man in Frisko nur den „Bullen“ nannte. Jedenfalls zeigte es sich schon nach wenigen Tagen, dass Madsen sich nicht aufs falsche Pferd gesetzt hatte, denn von weit her kamen die Neugierigen, um an diesem seltenen Ereignis teilzunehmen. Und die Dollars flossen reichlich ...

Der größte Schreier und Reklamemacher war Pitt Potters. Das kleine Männlein stand auf einem provisorisch errichteten Podium und hatte immer eine Schar belustigter Cowboys als Zuhörer. Heute hatte sich eine große Menge vor dem Eingang, an dem er stand, eingefunden. Er brüllte durch einen selbstgebastelten halbverrosteten Blechtrichter, und seine halbheisere Stimme klang noch blechener:

„Ladies und Gentlemen! – Hereinspaziert! Immer hereinspaziert! Bewundern Sie unseren großen Boxmeister, der in vier Wochen um die kanadische Meisterschaft kämpfen wird! Sie können sich hier im Innern überzeugen, dass er den armen Al Casidy schon in der ersten Runde in der Luft zerreißen wird ...! Sie können ihn hier sehen, wie er mit seinem Sparrings-Partner umspringt und mit den anderen Boys, als wären sie Fliegen, als wären sie gar nicht da ...! Heute hat sich Mac Lister gemeldet ...!

... 100 Dollar sind zu verdienen für den, der über drei Runden kommt! – Drei lächerliche Runden nur und 100 Dollar ...! Jess Lacky, Jim Jordan, Frank Cleve waren schon in der ersten Runde auf den Brettern ...! Eine Schande ist das für Druggstone, dass wir nicht einmal einen anständigen Sparrings-Partner stellen können ...! Wer muss sich schämen, dass er überhaupt dieses elende Nest gegründet hat? Ich! – Pitt Potters ...! Aber heute hat sich ein Mann gemeldet, der für uns ein Begriff ist!“

Er setzte seine Blechtrompete ab, denn die Puste war ihm ausgegangen. Er warf sich mächtig in die Brust. Denn, Teufel noch einmal, war er nun der verdiente Gründer von Druggstone oder nicht, hatte er den Goldklumpen gefunden oder ein anderer? Alles, was in dieser Stadt geschah, geschah nur durch ihn und für ihn! So war es, solange Pitt Potters in seiner ganzen Größe das Aushängeschild von Druggstone war.

„Gents!“, fuhr er fort, „ihr kennt diesen Mann, es ist Mac Lister! – Ihr kennt ihn alle, den Herkules von Druggstone, denn er hat schon mehr als einmal das Ranch-Hotel und den Saloon demoliert und ein Dutzend wackerer Streiter gleichzeitig aus dem Lokal geworfen! – Mit einem Schlag seiner mächtigen Faust kann er eine eichene Tischplatte zertrümmern und eine zolldicke Eisenstange zu einem Fragezeichen verbiegen! – Gestern hatte sich Mac Lister schon dem Bullen gestellt, und er ging über zehn Runden! Gents! Habt ihr es gehört? Er ging über zehn Runden ...! Wisst ihr, was das bedeutet, zehn Runden mit Jack Rheley? Beinahe, verdammt nochmal – was ich sage, ist Tatsache, denn ihr alle seid Zeugen – beinahe hätte Mac Lister gewonnen! Nach Punkten gewonnen, meine ich, und heute ist nun der zweite Kampf, heute wird unser großer Mac Lister den Bullen aus Frisko zusammentrommeln, dass man ihn in einem verschnürten Postpaket nach Montreal verfrachten muss ...! Nichts mehr wird heute Abend übrigbleiben von der ganzen Pracht und Herrlichkeit! Ich übernehme es persönlich, der leidgebeugten Witwe mein tiefstes Beileid auszusprechen! Ich …“

Seine weiteren Worte gingen unter in dem plötzlich auftosenden Gelächter. Der Kerl war zu drollig. Wenn er sich in seine Phantasie hineingeredet hatte, kannte er überhaupt keine Grenzen mehr.

Wahr war allerdings, dass Mac Lister dem Box-Champion einen guten Kampf lieferte, aber die Eingeweihten und solche, die etwas vom Boxen verstanden, sahen genau, dass Rheley nur spielte und den Herkules von Druggstone gerne mitkommen ließ. Erstens brachte das beim nächsten Sparringskampf – und den erlebte man heute – ein ausverkauftes Haus, und zweitens wurden weitere Lokalgrößen nicht abgeschreckt, als Spielball zu dienen, als Übungsfiguren, die nun einmal jeder Boxer vor einem Meisterschaftskampf braucht. Geschäft ist Geschäft, und das war schon damals so – genau wie heute – –

James Madsen lehnte an dem etwas wackeligen Geländer der erhöhten Galerie, von der man den besten Überblick über den gesamten Innenraum der Sportarena hatte. Seine zufriedenen Blicke schweiften über die Reihen der zahlreich erschienenen Zuschauer, die auf den primitiv aufgestellten Holzbänken Platz genommen hatten. Die Luft war gesättigt von jener Atmosphäre, ohne die nun einmal ein großes Ereignis nicht gebührend genossen werden kann.

Es waren hauptsächlich Goldgräber, Menschen aus aller Welt, die sich in der Sportarena ein Stelldichein gaben.

James Madsen hatte richtig spekuliert. Er war von der logischen Voraussetzung ausgegangen, dass in einer Gegend, die außer einigen armseligen Kneipen keine Abwechslung bieten konnte, derartige Veranstaltungen eine Menge Dollars bringen mussten. Jack Rheley kostete ihn keinen Cent. Der Champion war froh, ein solch billiges Camp gefunden zu haben, und die schwer schuftenden Miner waren ihm dankbar, dass er in ihr hartes und freudloses Dasein so etwas Ähnliches wie ein bisschen Vergnügen brachte.

Jack Rheley brauchte Sparrings-Partner, Kerle, die einen Stoß aushielten, und solcher gab es eine Menge unter den abenteuerlustigen Gestalten, die fast pausenlos ins Land kamen, getrieben von der Hoffnung, hier schnell und mühelos reich zu werden. Vielleicht mag dieser Umstand ausschlaggebend für den Boxmeister gewesen sein und ihn dazu bestimmt haben, das ungewöhnliche Angebot James Madsens anzunehmen. Er hoffte, hier besonders harte Brocken vorzufinden, die ihm an Kraft und Zähigkeit nicht nachstanden, denen er aber dank seiner großartigen Kampftechnik hoch überlegen sein musste. Für alle Fälle brachte er Sammy Wells, seinen ständigen Trainer und gelegentlichen Partner, mit nach Druggstone, um mit Sicherheit weiter trainieren zu können, auch wenn sich kein Boy mehr fand, der die hundert Dollar verdienen wollte.

Jack Rheley war ein Kerl, dem man es wohl zutrauen konnte, dass er es fertigbrachte, mit einem einzigen Faustschlag einen jungen Büffel zu fällen. Er war prachtvoll gewachsen und verstand es, seine hundert Kilogramm Lebendgewicht vernichtend in die Waagschale zu werfen. Sam Wells stand ihm nicht viel nach. Wenn diese beiden Athleten durch die ewig nassen, aufgeweichten Straßen Druggstones gingen, erregten sie beträchtliches Aufsehen, und man ging ihnen in einem respektablen Bogen aus dem Wege. Besonders Rheley war als jähzornig bekannt, und es lohnte sich nicht, mit seinen Fäusten nähere Bekanntschaft zu machen. Seit acht Tagen bewarben sich nun eine Menge Boys um den verlockenden Siegeslohn. Hundert Dollar waren eine Menge Geld, besonders für einen, der keinen lumpigen Cent mehr in der Tasche hatte. Auch zu dieser Idee beglückwünschte sich James Madsen immer wieder. Die Sparrings-Partner, die auf diese Weise gewonnen wurden, kosteten Rheley kein einziges Silberstück. Sie wurden zwar immer weniger, da der Boxmeister mit seinen Fäusten ziemlich rücksichtslos umging und so etwas Ähnliches wie Schonung oder hinhaltenden Widerstand gar nicht kannte. Nur einer hatte sich bis heute hartnäckig gewehrt, diesen Rummel mitzumachen, Mac Lister, der zweifellos stärkste Mann des Goldgräberdistrikts. Dieser zwar etwas schwerfällige Mann hatte Kräfte wie ein junger Elefant, und so war es durchaus nicht ausgeschlossen, dass er auch einen Jack Rheley, der in den Staaten einen beträchtlichen Namen hatte, auf die Bretter legen konnte.

Bei diesen Gedanken musste James Madsen unwillkürlich lächeln. Diese Möglichkeit war ja voll und ganz ausgeschlossen. Mac Lister machte zwar bei seinem ersten Auftreten keine schlechte Figur. Madsen kannte aber die Taktik Jack Rheleys, und so freute er sich nun mächtig auf den gleich beginnenden Kampf, den der Boxmeister geringschätzig „Trainings-Arbeit“ nannte.

Als Jack Rheley zwischen den Seilen erschien und sich mit einem freundlichen Lächeln vor den Begutachtern seiner Sparringsarbeit verneigte, zollten ihm die Anwesenden einen ehrlichen Beifall. Mac Lister dagegen wurde stürmisch begrüßt, und als er seinen alten Regenmantel, den er anstelle eines wollenen Überhanges um die Schultern geschlungen hatte, abwarf, konnte man deutlich feststellen, dass dieser Mann dem Meister ebenbürtig war. Seine Muskeln mussten aus Stahl sein, und seine harten Fäuste hatten den Umfang eines kleinen Kinderkopfes.

Die braven Boys auf den krachenden Sitzplätzen rutschten erregt hin und her und konnten es kaum erwarten, bis es losging und ihr Mann diesen Muskelprotz dort oben gehörig heimschickte. Bestimmt hatte er diesen gestern nur abgetastet, und es stand für sie felsenfest, dass er ihn hätte spielend auf die Bretter legen können! –

Mac Lister, dieser Name bedeutet ihnen etwas! –

Als die Miner aber eine Stunde später total groggy und tief erschüttert aus der Arena wankten, sahen sie gerade noch, wie der Krankenwagen einen schwer ächzenden und stöhnenden Mann auflud und in eiliger Fahrt in Richtung jenes Hauses abfuhr, in dem Doc Morrison eine kleine Privatklinik betrieb.

Anscheinend war es doch nicht so leicht, gegen Jack Rheley anzutreten, wie sie sich das so gedacht hatten. Pfui Teufel, hatte der Kerl den armen Mac im Ring herumgetrieben! Nicht einen einzigen brauchbaren Schlag hatte dieser anbringen können, ihr Mann, den sie den Herkules von Druggstone nannten. Irgendwo in der Magengrube sagte ihnen ein dumpfes Gefühl, dass Boxen ein schöner Sport sei, solange man ihn als Nebenbeschäftigung betrieb. Die Berufsboxer hingegen hatten kein Verständnis für Privatscherze, und sie wünschten alle im Stillen, dass Mac Lister bald wieder gesund und fröhlich hinter seinem Amboss stehen möchte.

***

Dort, wo das Brooks-Gebirge nach mehr oder weniger geradlinigem Ost-West-Lauf in einer Bucht des Meeres endet, um sich hier in einer außerordentlichen Weise zu ballen, liegt das „Pazific-Mountain-System“.

Das unzugängliche und unerforschte Massiv der St. Elias-Kette, die fast unmittelbar aus dem Wasser ragt, ist aus dem Copper-River-Becken gerade noch zu sehen. Weit dringt vom Westen her im Cook Inlet das Meer zwischen den beiden Kordilleren ins Land ein. Das stark zerschnittene Gebirge, dessen höchste Erhebung der Mount McKinley ist, der mit seinen 6187 Metern wie ein Gigant aus Gletschern und Eis in den kalten Himmel ragt, hat eine wunderbare Reliefgestaltung, die durch zahlreiche aufgesetzte Vulkane wildromantisch betont ist. –

Ein strahlendes, regenbogenähnliches Nordlicht überspannte die riesige Alaska-Kette und warf ihre buntschillernden Farben auf die dicke Eis- und Gletscherdecke des gewaltigen Mount McKinley-Massivs, des höchsten Berges von Amerika.

Der Bergriese ragte wie ein Monument der Erhabenheit und wildromantischer Schönheit inmitten des grandios gen Himmel strebenden Felsengetürms der Alaskan-Range, und in der Ferne glänzte das silberhelle Band des Tanana-Rivers, der, trotzdem man den Monat Juli schrieb, sich teilweise unter einer dünnen Eisdecke seinen Weg nach vorwärts bahnte. Der Sommer war kurz und kühl, und an höher gelegenen Stellen fiel bereits neuer Schnee.

Conny Cöll hatte im Hafen von Anchorage den Frachter verlassen.

Als Satan wieder festen Fuß unter seinen Hufen fühlte, stieß er ein übermütiges Wiehern aus, und er konnte es gar nicht erwarten, bis ihm sein Herr den Sattel auflegte.

Es war auch kein Wunder, denn nahezu zwei volle Wochen war er in einer engen Box auf dem schwerfälligen Steamer eingesperrt gewesen, in dem er sich kaum bewegen konnte. Das war kein Leben für Satan, der die weite, unendliche Prärie gewöhnt war.

„Na, Alter!“, sagte Conny Cöll mit einem verschmitzten Lächeln, als er dem Hengst die Steiggurten auf dem etwas rundlich gewordenen Leib festschnürte. „Das bisschen Fett werden wir bald wieder ausgelassen haben! Warte nur, mein Lieber, bis wir wieder Gras unter den Füßen haben!“

Satan trippelte wie ein dressierter Zirkusgaul, und Conny hatte Mühe, die Schnalle zuzubringen. Aber er nahm es dem Hengst nicht übel, denn er wusste, dass die lange Reise von San Diego, die gesamte westliche Küste der Vereinigten Staaten entlang bis an den südlichen Rand von Alaska, eine Quälerei für Satan gewesen war. Schwarzwolf dagegen hatte fast immer geschlafen und auch am helllichten Tage beim Schnarchen solch unheimliche Töne von sich gegeben, dass Conny Cöll bei seiner hauptsächlichsten Beschäftigung, dem Kartenspiel, dem er sich mit großem Eifer hingab, öfters erschrocken aufgefahren war.

Käpten Hott, sein Gesellschafter beim Spiel, hatte oftmals den silbergrauen Schädel geschüttelt und gebrummt:

„Möchte nur wissen, zu was das Vieh nütze ist? Schade um das schöne Geld für die Passage! Der Kerl schläft buchstäblich Tag und Nacht – was hat er denn früher gemacht?“

„Auch geschlafen!“, hatte da Conny Cöll immer geantwortet. „Auch geschlafen, Käpten!“ Und ein verspieltes Lächeln war dabei über seine Züge gehuscht.

Nun saß der Halbwolf mit wachen Augen in der Nähe seines Herrn und beobachtete mit misstrauischen Blicken seine Umgebung. Sie kam ihm allem Anschein nach fremd und ungewohnt vor. Die Menschen waren anders gekleidet. Sie trugen teilweise Pelzjacken und ihre hohen Stiefel hatten Pelzbesatz. Auch schienen Schwarzwolf die Pelzmützen mit den langen Ohrenschützern nicht recht zu gefallen, und da bequemte er sich dazu, hier einmal nach dem Rechten zu schauen.