Cosy Secrets – Der kupferne Schlüssel - Franzi Kopka - E-Book

Cosy Secrets – Der kupferne Schlüssel E-Book

Franzi Kopka

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Beschreibung

Ein kleiner Ort. Ein großes Geheimnis. Und eine zweite Chance für die Liebe … Das Romance-Debüt von Spiegel-Bestsellerautorin Franzi Kopka. «Deine Grandma wurde entführt.» Als die Krimiautorin Rae diese Nachricht bekommt, verdreht sie zunächst die Augen. Die Freundinnen ihrer Grandma übertreiben mit Sicherheit schamlos. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ihre Großmutter ohne Vorankündigung verreist. Und außerdem: Wer sollte bitte eine harmlose alte Dame entführen? Trotzdem macht Rae sich auf den Weg in ihren Heimatort im Norden Schottlands, um herauszufinden, was passiert ist. Dort muss sie feststellen, dass die Umstände von Fenellas Verschwinden tatsächlich verdächtig sind – und dass ihre Grandma mehr Geheimnisse hatte, als Rae je vermutet hätte. Eins dieser Geheimnisse führt sie direkt zu Archer Warwick, dem Mann, mit dem sie einst durchbrennen wollte. Und ärgerlicherweise schlägt Raes Herz in seiner Gegenwart immer noch genauso schnell wie früher … Ein Rätsel zum Mitraten und eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen: die perfekte Mischung aus Romantik und Spannung.

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Seitenzahl: 592

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Franzi Kopka

Cosy Secrets – Der kupferne Schlüssel

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Ein kleiner Ort. Ein großes Geheimnis. Und eine zweite Chance für die Liebe …

 

«Deine Großmutter wurde entführt.» Als Krimiautorin Rae diese Nachricht bekommt, verdreht sie zunächst die Augen. Die Freundinnen ihrer Grandma übertreiben mit Sicherheit schamlos. Aber als sie in ihrem Heimatort im Norden Schottlands ankommt, muss sie feststellen, dass ihre Großmutter tatsächlich unter verdächtigen Umständen verschwunden ist – und dass sie mehr Geheimnisse hatte, als Rae je vermutet hätte. Eins dieser Geheimnisse führt sie direkt zu Archer Warwick, dem Mann, mit dem sie einst durchbrennen wollte. Und ärgerlicherweise schlägt Raes Herz in seiner Gegenwart immer noch genauso schnell wie früher …

 

Ein Rätsel zum Mitraten und eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen: die perfekte Mischung aus Romantik und Spannung.

Vita

Franzi Kopka wurde 1990 im Bergischen Land geboren. Als Tochter einer Buchhändlerin ist sie mit guten Romanen aufgewachsen und hat sich schon früh eigene Geschichten für ihre drei Geschwister ausgedacht. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Katzen zusammen und widmet sich voll und ganz dem Schreiben. Mit ihrem Jugendbuch-Debüt «Gameshow» gelang ihr auf Anhieb der Einstieg auf die Spiegel-Bestsellerliste, mit der Reihe «Cosy Secrets» schreibt sie nun erstmals Bücher im Romance-Genre. Sie ist auf Instagram und TikTok unter @franzikopka zu finden.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion Nadia Al Kureischi

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-02034-4

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für meine Tante Anne, die Geschichten zum

Leben braucht wie Luft zum Atmen.

Playlist

I’m Gonna Be – The Proclaimers

Time Bomb – Jacklen Ro

Highway to Hell – AC/DC

New Ceremony – Dry the River

This Is Love – The Hunts

Hammer to Fall – Queen

Self Control – Jacklen Ro

House of Glass – Jon Caryl

Lava – Laid Blak

Heavy – Birdtalker

Paint It, Black – The Rolling Stones

Coalition of One – Little Comets

Back to Autumn – Tall Heights

Let It All Go, Man – Rayland Baxter

Prolog

Das Flüstern der Nacht klang heute anders. Der Wind zerrte mit schiefen Tönen an den Fensterläden, heulte, pfiff, während sich die Dunkelheit auf das Haus senkte. Bald spendete nur noch die kleine Schreibtischlampe Licht. Die alte Frau merkte es kaum. Die Finger fest um den Stift geklammert, starrte sie hinab auf das Papier. Briefe waren nie ihre Stärke gewesen. Wenn es nach ihr ginge, regelte man die Dinge persönlich, aber das hier war etwas anderes. Diese Zeilen waren persönlich.

Sie setzte ein weiteres Mal an, entschlossen, es im sechsten Versuch zu schaffen.

Etwas knarzte. Die Frau hob den Kopf und sah Richtung Flur. Obwohl die Dunkelheit alle Konturen verschlang, hatte sie das Gefühl, dass jemand zu ihr herübersah. Jemand, der nicht hier sein sollte. Jemand, der nicht hier sein konnte – und trotzdem stellten sich die Härchen in ihrem Nacken auf.

Mit einem tiefen Atemzug ließ sie den Stift sinken und stand auf. Sie musste nur das Deckenlicht anmachen. Nur die paar Meter bis zum Wandschalter überwinden, und alle Schatten würden sich auflösen. Ein zaghaftes Vortasten, ein Streifen mit den Fingerspitzen entlang der Kante des Schreibtischs, ihre Schritte blieben still, während ihre nackten Füße in dem Teppich versanken. Dann ein Tapsen über den alten Dielenboden. Kaum hatte sie den Flur erreicht, die Hand auf den Rahmen der Tür gelegt, hörte sie ein Klopfen. Ein vertrauter Takt, und sie wusste, dass manche Worte ungeschrieben bleiben würden.

Wenn Sie meine Meinung hören möchten, dann gibt es kein Verbrechen ohne Motiv. Denn nur weil wir ein Motiv nicht verstehen, weil es uns zu klein vorkommt, zu unbedeutend, zu abstrakt, dürfen wir ihm nicht die Existenz absprechen.

 

Aus Schwiegermord: Der dritte Fall für Claudine McPheavon Rae Pemberlaine

Kapitel 1

Im Pub ist es voll, laut und stickig. Jede der Sitzecken ist belegt, sowohl die dunkelgrünen Sessel weiter hinten beim Kaminofen als auch die Nischen mit den gepolsterten Holzbänken, von denen ich selbst eine ergattert habe. Aus kleinen Lautsprechern unter der hölzernen Decke schallt Rockmusik, die sich mit den zahlreichen Stimmen zu einem lebendigen Vibrieren vermengt. Genau die richtige Atmosphäre, um diese Szene zu beenden – ohne dabei über meinem Laptop einzuschlafen.

Mir entschlüpft ein Gähnen, während ich auf den Bildschirm starre. Warum sind die ersten Kapitel eigentlich immer so schwer? Seufzend massiere ich mir die Schläfen. Nur noch ein Satz. Eine simple Aneinanderreihung von Wörtern, ein Punkt, und ich kann die Leseprobe endlich rausschicken. Den Laptop zuklappen. Mich hoch in mein Apartment schleppen. Und bis morgen früh durchschlafen. Mindestens.

Mein Blick gleitet zur Uhr am Displayrand. Kurz nach neun. Vielleicht wäre es klüger, aufzugeben und es morgen mit frischer Energie zu versuchen. Andererseits ist es nur noch ein verfluchter Satz. Ich weiß, dass er in meinem Kopf ist, dass ich bloß einen kleinen Schubs Motivation brauche, um ihn aus dem müden Nebel herauszukitzeln. Nach mehreren Anläufen habe ich endlich Wörter gefunden, bei denen ich zumindest nicht das Bedürfnis habe, sie umgehend wieder zu löschen. Bevor ich es mir anders überlegen kann, öffne ich eine neue Mail und schicke meiner Agentin Francis die ersten dreißig Seiten. Betreff: Claudine McPhea ermittelt zum sechsten Mal. Inhalt der Mail: Bitte sag einfach, dass sich die Recherchereise nach Berlin gelohnt hat.

Als die Mail im Gesendet-Ordner auftaucht, klappe ich den Laptop zu und lasse meinen Kopf in den Nacken fallen. Autsch. Jeder Muskel meines Körpers ist verspannt. Wird dringend mal wieder Zeit für eine Massage. Oder Yoga. Oder irgendetwas anderes, das nichts mit meinen Krimis zu tun hat.

Ich schaue rüber zur Theke. Dahinter müsste Steve irgendwo stehen, der Besitzer der Bar und gleichzeitig mein bester Freund aka: willkommene Ablenkung. Leider versperrt mir die Menschenmenge die Sicht, nur hier und da kann ich etwas von dem dunklen Thekenholz erahnen, einmal blitzen die kupfernen Zapfhähne auf. Einzig das deckenhohe Regal, das im Hintergrund steht, überragt alles. In dem Moment bricht die Menge auf, und ich erhasche endlich einen Blick auf Steve. Er reckt sich mit hochgekrempelten Ärmeln zu einem der oberen Regalbretter, um eine der Whiskyflaschen herauszuholen, die von kleinen LED-Spots angeleuchtet wird. Als er sich wieder umdreht, macht er den Eindruck, alles im Griff zu haben. Gelassen schenkt er etwas vom Whisky ein, hält Small Talk mit seinen Gästen und gibt seinen Angestellten nebenbei Anweisungen. Eine Geste hier, ein Satz da, auf den Lippen immer das gewinnende Lächeln, das so typisch für ihn ist. Zahnpastaweiß. Ein scharfer Kontrast zu seiner schwarzen Haut und den kurz geschorenen Haaren. Er ist und bleibt einer der attraktivsten Männer hier in Edinburgh, auch wenn er der letzte wäre, mit dem ich etwas anfangen würde. Denn abgesehen davon, dass er sich ohnehin eher in Männer verliebt, kommt er für mich am nächsten an das heran, was ich als Bruder bezeichnen würde. Angesichts unserer Vorgeschichte ist es eigentlich kein Wunder.

Als ich vor zwölf Jahren nach Edinburgh kam, war ich zerbrochen. Eine Ansammlung von Scherben, in denen sich Schuld und Wünsche und Träume gespiegelt haben, nur waren sie binnen eines Abends dermaßen durchgewirbelt worden, dass ich nicht wusste, wie ich sie sortieren sollte. Wie ich sie zusammensetzen und die Lücken mit neuen Zielen füllen, die Schuldgefühle mit Plänen übermalen konnte.

Irgendwie bin ich in die Rose Street gestolpert – und da war Steve. Er hat mit einem Kumpel draußen vorm Pub eine geraucht, und obwohl der Laden offiziell geschlossen hatte, hat er den Scherbenhaufen auf ein Pint mit seinem Freundeskreis eingeladen. Aus einem Pint wurden zwei, dann drei, es folgte eine Runde Kurze, bis irgendwann die Frage aufkam, ob er mir ein Taxi nach Hause bestellen soll. Ab da verliert sich diese Nacht in einem diffusen Nebel aus Tränen, einem geschluchzten – oder vielleicht auch gelallten – «Was ist zu Hause?», mitleidigen Blicken und Steves Angebot, vorerst auf seiner Couch unterzukommen. Für eine Nacht, eine Woche, einen Monat – irgendwann hat er sein Arbeitszimmer für mich geräumt. Wir hatten einen Putzplan, sind im Wechsel verreist und haben uns in der Zeit um die Post des jeweils anderen gekümmert, ich habe einen Job in seinem Pub angenommen, mich an der Miete beteiligt, und auf einmal hatten wir einen Alltag. Kochen, über Wäscheberge diskutieren, bei Serienabenden lachen, Dates mitbringen – kein Knistern. Ich war ein Scherbenhaufen, und Steve hat mir Raum gegeben, alles neu zusammenzusetzen.

Als Steve meinen Blick bemerkt, hält er inne und nickt mit fragender Miene zu meinem geschlossenen Laptop. Obwohl wir seit meiner Rückkehr aus Berlin nur zwei Sätze wechseln konnten, weiß er, dass ich diese Leseprobe heute unbedingt fertig bekommen wollte.

Ich blinzle die alten Erinnerungen weg und hebe zur Antwort mein Pint. Noch während ich Steve zuproste, schiebt sich eine Gruppe neuer Gäste zwischen uns. Ich zähle acht Frauen, eine von ihnen trägt einen weißen Tüllschleier, die anderen pinke T-Shirts mit der Aufschrift «Team Bride». Nach ihrem Gelächter zu schließen, ist Steves Pub nicht der erste Stopp auf ihrer Tour, und wahrscheinlich wird es auch nicht ihr letzter sein. Unwillkürlich bleibt mein Blick an der Braut hängen, während ich mit den Fingerspitzen Muster in das Kondenswasser am Glas zeichne. Die Frau ist blond, hübsch; sie hat ein Lächeln, mit dem sie bestimmt viele Herzen einfangen könnte. Und trotzdem hat sie sich für ein einziges entschieden, dabei ist sie sicher zehn Jahre jünger als ich, etwa Anfang zwanzig. In meiner Magengegend zieht sich etwas zusammen, ein Hauch von NeidBereuenMitleid – oder nur ein Zeichen dafür, dass ich mehr hätte essen und weniger trinken sollen.

«Und?» Steve taucht so plötzlich neben mir auf, dass ich zusammenzucke. «Wie schlägt sich Claudine bisher?» Er lässt sich mir gegenüber auf die Bank fallen, in seiner Hand ein Pint karamellbraunes IPA. Randvoll.

«Sie ist grad über die Leiche gestolpert», erwidere ich, während ich mein Glas gegen seins klirren lasse. Genau die Ablenkung, die ich brauche. «Wusstest du übrigens, dass sie das Bier in Berlin immer nur bis hierhin», ich lege die Fingerspitze ein gutes Stück unter den Rand, «füllen und der Rest aus Schaum besteht?» Bei der Erinnerung an den faden Schaumgeschmack verziehe ich den Mund – bevor ich einen Schluck von dem guten Zeug trinke.

Steve lacht auf. «Ich habe dich gewarnt, dass Deutschland ein Kulturschock wird. Hast du dich wenigstens dran gewöhnt, an roten Ampeln stehen zu bleiben?»

«Daran kann man sich gewöhnen?» Zweifelnd runzle ich die Stirn, hinter der leiser Schmerz pocht. Eine Mischung aus Müdigkeit, der lauten Umgebung und zu vielen Gedanken. «Sorry, aber wenn die Straße gottverlassen ist, sehe ich keinen Grund, stoisch auf irgendein rotes Licht zu starren.»

«Und du wunderst dich, warum ich so selten mit dir Auto fahre», feixt er grinsend und lehnt sich zurück. «Vielleicht sollte ich doch den Führerschein machen, einfach nur, um dir zu zeigen, wie man mehr als zehn Meilen am Stück fährt, ohne geblitzt zu werden.»

Mein Fuß rutscht aus und verpasst Steve einen liebevollen Tritt. «Arsch.» In meinen Mundwinkeln zuckt trotzdem ein Lächeln. Ich bin zwar keine schlechte Fahrerin, aber ich kann nicht leugnen, dass ich hin und wieder zu schnell bin – und aus irgendeinem Grund immer genau dann erwischt werde, wenn Steve neben mir sitzt.

«Also wie war’s in Berlin?», fragt er. «Hast du die erhoffte Inspiration gefunden?»

«Absolut. Ich meine, ich hab dir doch erzählt, wie ich den sechsten Band anfangen wollte, oder?»

«Klar, und lass mich raten: Du hast mal wieder alles umgeworfen?»

«Mein Opfer hat noch denselben Namen», weiche ich aus, greife zu meiner Ledertasche und ziehe mein iPhone raus. «Nur der Tatort hat sich ganz eventuell geändert. Und die Todesart. Und der Mörder. Und der Grund für Claudines Urlaub in Berlin und …» Ich unterbreche mich, als ich merke, wie sich Steve das Lachen verkneift. «Sagte ich schon, dass du ein Arsch bist?», knurre ich, während ich mein Smartphone aktiviere. «Mein Opfer wird jedenfalls nicht mehr am Alexanderplatz ermordet, sondern in diesem superexklusiven Club hier.» Ich zeige Steve das Foto auf dem Sperrbildschirm. Ein Schnappschuss von gestern Abend. Meine Hand an einem Glas Champagner, dahinter goldene und violette Lichter, ein Logo aus Neonbuchstaben. «Name und Lage habe ich natürlich geändert, aber die Stimmung auf dem oberen Floor war der absolute Kracher. Die Musik, die Menschen, die Drinks … Hab mich direkt danach an meinen Laptop gesetzt und durchgeschrieben, bis ich zum Flughafen musste.»

«Und das erklärt, warum ich dachte, du würdest gleich im Sitzen einschlafen», neckt er und schiebt nach: «Also, nimm’s mir nicht übel, aber …»

«… meine Augenringe sind so dunkel, dass ich dem Mädchen aus The Ring Konkurrenz machen könnte?» Beim Sprechen bahnt sich das nächste Gähnen an, das ich hinter vorgehaltener Hand zu verstecken versuche.

«Dafür bist du viel zu süß, aber … Wenn du so weitermachst, muss ich gleich mitgähnen.» Zwinkernd nimmt er mir das Handy ab, um das Foto genauer unter die Lupe zu nehmen.

«Leere Versprechungen», kontere ich. «Du lässt dich nie anstecken.»

Steve zuckt nur mit den Schultern, ohne den Blick vom Display zu lösen. Dann weiten sich seine Augen. «Sehe ich da etwa ein goldenes Bändchen an deinem Handgelenk? Hast du es allen Ernstes in den VIP-Bereich geschafft?!»

«Gib wieder …»

«Vergiss es.» Er zieht mein iPhone näher zu sich, als ich danach greife. «In solchen Clubs braucht man mindestens einen prominenten Kontakt, um reinzukommen. Also, wie zur Hölle hast du das angestellt? Und wehe, du lässt irgendwelche schmutzigen Details aus.»

«Es gibt keine schmutzigen Details.»

«Ist klar.» Er dreht das Display in meine Richtung, ohne mich aus den Augen zu lassen. «Jetzt sag schon, mit wem hast du angebandelt? Vielleicht einem alternden Rockstar, der in Berlins Kneipen …»

«Einem alternden Rockstar?» Zweifelnd ziehe ich die Augenbrauen hoch. «Warum kein attraktiver Singer-Songwriter?»

«Weil ich deine Playlists kenne und sie zu neunzig Prozent aus Rockmusik-Klassikern bestehen. 60er, 70er, 80er eben.»

«Ah, wir leiten jetzt also Vorlieben aus unseren Playlists ab?», stichle ich herausfordernd. «Dann erzähl doch mal, wann du zuletzt jemanden aus einem Symphonieorchester aufgerissen …»

«Okay, kein alternder Rockstar.» Er unterbricht mich mit einem Augenrollen. «Wer war es dann?»

«Wie gesagt: Es gibt keine schmutzigen Details. Nur eine rein zufällige Begegnung mit der Besitzerin des Clubs.» Ich lehne mich vor, um das iPhone in Steves Hand mit einem Fingerwisch zu entsperren. Dann öffne ich die Bildergalerie, ein unsortiertes Chaos mit über zehntausend Inhalten. «Wie sich herausgestellt hat, wohnt Belinda nur zwei Straßen von meinem Hotel entfernt und trinkt jeden Tag um Punkt elf Uhr einen großen Latte macchiato im Café gegenüber. In den ersten zwanzig bis dreißig Minuten liest sie die Tageszeitung, danach unterhält sie sich. Mal mit dem Personal, mal mit dem Mann, der samt Hund vorbeiläuft, und mal mit der schottischen Autorin, die am Nachbartisch sitzt und so freundlich rüberlächelt.»

«Wie überaus praktisch, dass sich das einfach so herausgestellt hat.» Steve zieht mich mit einem Tonfall auf, den ich zu gut kenne. Ein bisschen amüsiert, ein bisschen tadelnd. «Manche nennen das übrigens auch Stalking.»

«Seltsam, wie du Recherche aussprichst.» Ich tippe auf das Foto, ein schnelles Selfie am Frühstückstisch von der Clubbesitzerin und mir. «Belinda hat sich jedenfalls sehr darüber gefreut, mich kennenzulernen, und war äußerst hilfsbereit, was meine weitere Recherche angeht. Eine persönliche Einladung für den Abend, ein goldenes Bändchen und alle Getränke umsonst – im Austausch für das Versprechen, sie in meiner nächsten Danksagung namentlich zu erwähnen und ihr ein Belegexemplar zu schicken.»

«Netter Deal, Miss Pemberlaine.» Steve saugt pfeifend die Luft zwischen den Zähnen ein. «Das dürfte übrigens das erste Foto seit Langem sein, auf dem ich dich ohne roten Lippenstift sehe.»

«Was möglicherweise daran liegen könnte, dass ich meinen Wecker überhört habe und ein bisschen überstürzt loslaufen musste, um Belinda zu erwischen», erwidere ich. Noch ein Gähnen. «Sorry, aber wenn ich nicht gleich ins Bett komme, schlafe ich echt am Tisch ein.» Ich kippe den Rest Bier hinunter, dann starte ich einen neuen Versuch, Steve mein Handy abzunehmen.

«Ich könnte dir einen extrastarken Espresso bringen oder einen Energydrink oder … na schön.» Seufzend gibt er auf. «Du weißt, dass ich Cliffhanger hasse, oder?»

«Schade, meine Lesenden lieben sie.»

«Touché. Verrate mir wenigstens, ob ich mich auf ein paar pikante Storys freuen darf.»

«Das einzig Pikante war vermutlich die vegane Currywurst in Kreuzberg», necke ich ihn, und leider meine ich es genau so. Irgendwie ist der Funke bei niemandem übergesprungen, dabei hätte ich nichts gegen einen unverbindlichen Flirt gehabt.

Ich schiebe meinen Laptop zurück in die Schultertasche und raffe mich auf.

«Bedauerlich.» Steve steht ebenfalls auf und zieht mich zum Abschied in seine Arme. «War schön, dich wenigstens ein paar Minuten zu sehen.»

«Morgen bin ich wacher. Versprochen.» Ich schnappe meine Sachen und dränge mich Richtung Bar. «Gute Nacht, Veronica!», rufe ich der Barkeeperin zu, die gerade ein frisches Pint zapft und sich dabei eine der blonden Strähnen aus der schweißnassen Stirn wischt. Oh, wie ich diesen Job nicht vermisse. Ich bin Steve zwar echt dankbar, dass er mich so lange ausgehalten hat, aber meine Welt aus Wörtern und fiktiven Ermittlungen ist mir eindeutig lieber.

Veronica hebt die Hand zum Gruß, ich steuere weiter auf die Tür mit der Aufschrift «Privat» zu. Die Verbindung zwischen Pub und unserem Treppenhaus. Ein Schlüsseldrehen später entschlüpfe ich dem nächtlichen Pulsieren des Pubs. Das Letzte, was ich höre, ist Gelächter, gefolgt von einer Stimme, die grölt: «Auf die Braut!»

Und vielleicht regt sich doch ein kleiner Splitter in meinem Herzen. Den ich wie gewohnt elegant zur Seite schiebe.

Kapitel 2

Eine Hand auf dem blau lackierten Geländer, schleppe ich mich die Treppe hoch. Als das Zweizimmerapartment unterm Dach damals frei geworden ist, habe ich nicht lange gezögert. Abgesehen davon, dass Steve und ich nach fünf Jahren WG-Leben dringend wieder Privatsphäre brauchten, habe ich mich auf Anhieb in diese Wohnung verliebt. In die Schrägen und die kleinen Gauben, in die knarzenden Holzböden, die Raumaufteilung und natürlich in den verhältnismäßig fairen Mietpreis. Allerdings habe ich damals nicht bedacht, dass ich jedes Mal dreiundvierzig steile Stufen brauche, um meinen neuen Rückzugsort zu erreichen. Oder dass er sich im Sommer in einen kuscheligen Hochofen verwandelt.

Kaum habe ich die Wohnungstür geöffnet, schlägt mir Hitze entgegen. Ich werfe meinen Schlüssel auf das Sideboard und versuche, an der Garderobe einen freien Haken für meine Tasche zu finden. Dabei bleibt mein Blick an dem alten Bierglas auf der Hutablage hängen, versehen mit einem Streifen Kreppband, auf dem in Steves krakeliger Schrift «Wettkasse» steht. Steve und ich machen uns seit Jahren ein Spiel daraus, zu wetten, aus welchem Ort Grandmas nächste Urlaubskarte wohl kommt. Mein aktueller Tipp ist San José, Steve hat auf Oslo gesetzt. Jeden Monat werfen wir ein paar Pfund ins Glas, am Ende gewinnt, wer per Luftlinie gemessen näher dran ist. Apropos …

Da meine Tasche immer wieder von dem vollen Haken rutscht, kapituliere ich seufzend, stelle sie aufs Schuhregal und hole einen Fünf-Pfund-Schein aus meinem Portemonnaie. Denn wenn ich mich nicht täusche, steht mein Beitrag für diesen Monat noch aus. Wow. Wann haben wir das Glas bitte zum letzten Mal geleert? Ich muss den Schein regelrecht hineinstopfen, und trotzdem schaut er oben ein Stück heraus. Dann kann die nächste Postkarte nicht mehr lange auf sich warten lassen, denn seit Grandpas Tod hält es Grandma selten länger als ein paar Monate am Stück in Edderton aus – meinem Heimatdorf, in dem noch nie viel los war. Die immer gleichen Gesichter und festgefahrenen Meinungen, die Supermärkte, die um spätestens sechs Uhr schließen, die Scheunenfeste bei den Stallones, wöchentliche Bridgerunden, die Gerüchteküche, die ihre Gerichte schneller serviert als der Imbiss nebenan Pommes, und …

Ein Vibrieren lässt die Erinnerung zerspringen. Schnell krame ich mein Handy aus der Tasche, ein Blick aufs Display, ich muss lächeln. Warum habe ich das geahnt?

«Francis», begrüße ich meine Agentin, während ich die Sneaker von den Füßen streife. «Meintest du nicht letzte Woche, du willst ab jetzt früher Feierabend machen? Um die lauen Sommerabende zu genießen?»

«Ich liege auf dem Balkon, das zweite Glas Bordeaux ist gleich leer, und ich habe gerade eine gewisse Leseprobe beendet», erwidert sie. «Mehr Feierabend geht nicht.»

«Du hast es schon gelesen?!» Überrascht gehe ich ins Schlafzimmer. «Und? Ich weiß, du warst Fan vom ursprünglichen Konzept, aber so hat es einfach besser funktioniert», erkläre ich. «Falls du willst, schicke ich dir nachher ein paar Fotos von dem Club. Absolute Empfehlung, wenn du mal wieder bei deinen Freunden in …»

«Sekunde, Rae», unterbricht Francis mich. Im Hintergrund ertönt eine Männerstimme, einen Atemzug später ist es plötzlich still. Anscheinend hat Francis das Mikrofon ausgeschaltet.

Grandioses Timing. Ich klemme das Handy zwischen Ohr und Schulter, während ich meinen Koffer aufs Bett hieve. Heute Nachmittag habe ich ihn nur schnell hier abgestellt und bin mit meinem Laptop runter ins Pub. Um gar nicht erst in Versuchung zu kommen, mich hinzulegen.

Langsam dämmert mir, warum Steve meine Cliffhanger hasst. In meiner Magengegend zwickt Nervosität. Sie ist nur ein schwacher Abklatsch von meiner Aufregung, die ich anfangs als Autorin hatte, und trotzdem kann ich sie nicht ganz wegschieben. Als hätte ein Teil von mir immer noch Angst, das Schreiben plötzlich verlernt zu haben.

Ich nutze die Wartezeit, um auszupacken. Was heißt, dass ich den Großteil meiner Klamotten in die hölzerne Truhe befördere, die am Fußende meines Betts steht und als Wäschekorb dient. Sie gibt beim Öffnen ein knarzendes Quietschen von sich. Das kommt davon, wenn man die meisten Möbel von Flohmärkten, aus Vintageläden oder dem Sperrmüll hat – und zu wenig Zeit, sie ordentlich aufzuarbeiten.

«Rae?» In Francis’ Stimme schwingt ein Kichern mit. «Sorry, ich muss es leider kurz machen. Marco hat Dessert mitgebracht.»

Dessert. Klar. Ich verkneife mir einen Kommentar, während ich meinen Kulturbeutel ins Bad bringe. «Brauche ich was zum Mitschreiben?», frage ich stattdessen. Und schon wieder keine Antwort, nur Stille.

Als ich den Beutel auf die Ablage stelle, bleibt mein Blick am Spiegel hängen – oder vielmehr an der Frau, die aussieht, als bräuchte sie mindestens zwei Wochen echten Urlaub. Und eine Dusche. Aus meinem hohen Zopf haben sich mehrere dunkelbraune Strähnen gelöst, die an meiner schweißnassen Haut kleben, von meinem Lippenstift sind nur dunkelrote Reste übrig, und die Augenringe? Mein Vergleich mit The Ring war ganz passend. Immerhin sind meine Sommersprossen wie jedes Jahr um die Zeit explodiert, sodass ich weniger blass wirke als sonst.

Ich blinzle und reiße mich von dem Anblick los. Im Flur befreie ich meinen Laptop aus der Tasche und bringe ihn ins Schlafzimmer an seinen angestammten Platz. Wobei der kleine Schreibtisch wie immer viel zu vollgestopft ist.

Ob Francis mich vergessen hat? Ich räuspere mich, während ich einen frischen Pyjama aus der Kommode pflücke. Shorts, Top, beides aus grünem Satin, perfekt für den Sommer.

«So, meine Liebe, wo waren wir gerade?», meldet sich Francis endlich zurück. «Ah, richtig, du wolltest wissen, ob du was zum Mitschreiben brauchst. Nur wenn du dir die folgenden Worte an den Kühlschrank heften möchtest: Du hast dich echt selbst übertroffen! Die Figurendynamik, die Stimmung, der Tatort … Zieht einen direkt in die Story und ist mal was anderes als diese ganzen Lagerhallen und Seitengassen.» Während Francis spricht, bemüht sich Marco im Hintergrund leise, sie zum Auflegen zu bewegen. «Ich schicke dir später nur noch ein paar kleine Anmerkungen rüber. Falls du sie bis spätestens Donnerstag einarbeiten könntest, wäre das super, damit ich Toby den Text noch vor seinem Urlaub weiterleiten kann. Ich bin sicher, er wird ihn lieben!»

Francis kennt meinen Lektor seit einer halben Ewigkeit, und bisher lag sie mit ihrer Einschätzung immer richtig.

Mir rutscht ein Seufzer raus, halb erleichtert, halb von einem Gähnen verzerrt. «Klingt perfekt, danke, Francis. Auch dass du alles so schnell durchgegangen …»

«Wir quatschen die Tage am besten noch mal in Ruhe, mach’s gut, Rae», flötet sie, gefolgt von einem Quieken, das sicher nicht für mich bestimmt ist. Aufgelegt. Dieses Dessert ist wohl echt verlockend. Wobei ich mir gerade nicht vorstellen kann, was verlockender wäre, als ganz allein in dieses riesige Bett zu fallen.

Ich werde vom Klingeln an meiner Wohnungstür geweckt. Ächzend drehe ich mich zur Seite und öffne die Augen gerade weit genug, um den Wecker auf dem Nachttisch zu erkennen. Kurz nach zwei. Mittags. Vielleicht sollte ich mich langsam von der Vorstellung verabschieden, je einen richtigen Schlafrhythmus zu etablieren. Am liebsten würde ich mich wieder umdrehen, mich tiefer ins Laken kuscheln und einfach liegen bleiben. Doch abgesehen davon, dass meine Blase drückt, ist aus dem Klingeln ein monotones Schrillen geworden. Eindeutig Steve. Resigniert schlage ich die Decke zurück, kämpfe mich hoch und schlurfe zur Tür.

«Guten Morgen, Sonnenschein.» Steve begrüßt mich mit hochgehaltenem Jutebeutel. Es ist der, den ich ihm Anfang des Jahres zum Dreißigsten geschenkt habe, bedruckt mit einer blauen Telefonzelle und der Frage «Who?». Wir haben die Serie sicher schon ein halbes Dutzend Mal zusammen gesehen.

«Zwei Käsetwister, Rosinenschnecken und genug Baguette für drei volle Mahlzeiten», klärt Steve mich über den Inhalt auf. «Frisch von Sainsbury’s.»

Gähnend öffne ich die Tür ganz, um Steve reinzulassen.

«Vielleicht sollte ich noch länger klingeln, bis auch deine Dankbarkeit aus den Laken kriecht.» Steve schiebt sich mit einem Grinsen an mir vorbei, ehe er in Richtung Küche verschwindet.

«Tausend Dank, bester Freund auf Erden», murmle ich und mache einen kurzen Abstecher ins Bad.

Als ich in die Küche komme, hat Steve den Tisch bereits gedeckt und ist gerade dabei, einen Brotkorb aus der alten Anrichte zu holen. Wie ich ihn kenne, ist er bereits seit sechs Uhr wach, war joggen, im Fitnessstudio und hat auch sonst sein Leben komplett im Griff. Während ich nicht mal mehr Kaffee dahabe. Schöne Scheiße. Ich schließe die leere Kaffeedose und öffne dafür den Kühlschrank. Der Inhalt ist überschaubar. Ein paar Gläser Marmelade, angebrochene Soßen, eine Packung Veggiewurst, die man der Optik nach am besten direkt in den Müll befördert, und ganze zwei Getränke.

«Wie’s aussieht, kann ich dir leider nur Orangen… Vergiss es», unterbreche ich mich, als ich an dem Saft rieche, der seinen Zenit eindeutig überschritten hat. «Aber die Milch müsste noch gut sein … Oder auch nicht.» Lippenschürzend stelle ich die abgelaufenen Packungen neben die Spüle.

«Wie gut, dass ich dich kenne», sagt Steve und zaubert aus seinem Jutebeutel Hafermilch, Frühstückssaft und Kaffeepads hervor.

Mit einem dankbaren Seufzer schnappe ich mir die Pads und werfe die Kaffeemaschine an. «Was würde ich nur ohne dich machen?»

«Verschlafen, verhungern und verdursten», zählt er schonungslos auf und reicht mir zwei Tassen. «Vielleicht sollte ich über einen zweiten Geschäftszweig nachdenken. Eine Kita direkt über dem Pub.»

«Falls das gerade der miese Versuch war, mich mit einem Kind zu vergleichen, muss ich dich leider enttäuschen.» Ich lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Arbeitsplatte, während hinter mir die erste Tasse durchläuft. «Nur die wenigsten Kinder schlafen fünfzehn Stunden durch.»

«Und diese Expertise nimmst du genau woher?»

«Recherche. Du weißt doch, dass Claudine Kinder hat.»

«Ach?» Seine Augenbrauen zucken amüsiert nach oben. «Du meinst die beiden, die so wunderbar pflegeleicht sind, dass ihre Mum selbst im Urlaub irgendwelche großen Fälle lösen kann?»

«Das Zauberwort ist nicht pflegeleicht, sondern Vater», kontere ich, obwohl Steve nicht ganz unrecht hat. Es war Tobys Idee, Claudine zwei Kleinkinder zu verpassen, um die toughe Ermittlerin nahbarer zu machen. Damals hätte ich vermutlich zu allem Ja und Amen gesagt, nur um mein Buch veröffentlicht zu sehen. Jetzt muss ich mich bei jedem neuen Band daran erinnern, dass es ja noch diese beiden Kinder gibt, um die sich Claudine wenigstens hin und wieder kümmern muss. Damit aus Nahbarkeit nicht das Label Rabenmutter wird – selbst wenn ihr Mann die Sache hervorragend im Griff hat. Irgendwie bezweifle ich, dass Nahbarkeit ein Problem gewesen wäre, hätte ich anstatt Claudine einen Claude geschrieben.

«Okay, ich schätze, der Punkt geht an dich.» Steve setzt sich auf einen der knarzenden Holzstühle. «Kannst du nicht einfach einen kleinen Zeitsprung einbauen? So … achtzehn Jahre?»

«Schön wär’s.» Ich gebe ihm eine der Tassen und lasse mich auf den Stuhl gegenüber sinken. «In meinem Gelöschte-Szenen-Ordner liegt sogar ein Text, in dem Claudine alles hinschmeißt, nach Lagos fliegt und ihr restliches Leben Sangria schlürfend am Strand verbringt.»

«Lagos und Sangria?» Steve grinst mich über den Tisch hinweg an. «Deine Inspiration dafür kam nicht zufällig von einer gewissen Fenella Pemberlaine?»

«Von wem sonst?», erwidere ich und puste über den heißen Kaffee. «Wobei ich noch einen Polizeieinsatz, ein paar aufgelöste Freundinnen und eine angepisste Enkelin hätte mit einbauen müssen, um wirklich nah an der Realität zu bleiben.»

«Und natürlich die obligatorische Postkarte, um alle zu beruhigen.» Steve nickt Richtung Kühlschrank.

Über die Jahre hinweg haben sich an der Tür so viele Fotos, Magneten und Karten angesammelt, dass von dem roten Lack kaum noch etwas zu sehen ist. Die Hälfte der Karten stammt von Grandma, und meistens hatte ich vorher keinen blassen Schimmer, dass sie überhaupt verreist war.

Ihr erster unangekündigter Urlaub ging nach Lagos – keine zwei Wochen nach Grandpas Beerdigung. Damals hat die Polizei mich über ihr Verschwinden informiert, und natürlich habe ich mich sofort auf den Weg nach Edderton gemacht. Ich war noch nicht mal aus Edinburgh raus, als der Anruf kam, man habe Grandmas Handy orten können und sie säße gerade Sangria schlürfend an einer Hotelbar in Lagos. Drei Tage später kam ihre erste Postkarte – die mit den bunten Häusern und dem Springbrunnen.

Insgesamt haben wir dieses Spiel viermal durchgespielt, bis die Polizei eingesehen hat, dass Grandma eine mündige Erwachsene ist, die verreisen kann, wohin sie will – ohne sich jedes Mal bei ihren überfürsorglichen Freundinnen oder ihrer Enkelin abmelden zu müssen. Meine Versuche, Grandma wenigstens zu einer kurzen SMS zu überreden, sind allesamt gescheitert.

Seitdem gibt es unsere Wettkasse.

«Rae?» Steve stupst mich mit dem Brotkorb an. «Hast du schon Pläne für heute Nachmittag? Und wehe, du sagst arbeiten.» Obwohl da immer noch ein Necken in seinem Mundwinkel steckt, weiß ich, dass er es ernst meint.

«Na ja», ich nehme einen Käsetwister, «Toby ist ab nächster Woche im Urlaub, und wenn ich vermeiden will, dass sich die Sache mit dem Folgevertrag ewig hinzieht, muss das Projekt vorher raus. Was heißt, dass ich noch ein paar kleine Änderungen …»

«Du musst also arbeiten», fällt Steve mir ins Wort. «Komm schon, bei aller Liebe zum Schreiben, aber wann hast du das letzte Mal eine richtige Auszeit gehabt? Dich einfach mal nur um dich selbst gekümmert, ausgespannt – und dabei nicht an Claudine gedacht?»

Ich weiß, dass ich urlaubsreif bin, und dennoch ballt sich Trotz in mir zusammen. «Zählt dein letzter Geburtstag?»

«Du meinst den Abend, an dem du um dreiundzwanzig Uhr beim Shots-Trinken einen solch grandiosen Einfall hattest, dass du Hals über Kopf nach oben verschwunden bist?»

«Hey, du vergisst, dass ich danach wiedergekommen bin!»

«Ja, und zwar für geschlagene zehn Minuten. Du hast kurz mit Patrick gequatscht, dann habt ihr wie aus dem Nichts rumgeknutscht und seid zusammen verschwunden.»

«Siehst du.» Mit vielsagender Miene beiße ich ein Stück Käsetwister ab. «Dabei habe ich sicher nicht an Claudine gedacht. Und es war sehr entspannend.» War es nicht. Bis gerade hätte ich nicht mal mehr den Namen des Typs gewusst.

«Ach? Und warum hat Patrick dann erzählt, du hättest ihn noch in derselben Nacht rausgeworfen, um zu arbeiten?»

«Vielleicht, weil es ihm peinlich war, zuzugeben, dass er schnarcht wie ein ganzes Sägewerk?», erwidere ich und stocke, weil ich etwas höre. «Oh, sei mal kurz still.» Ich hebe den Zeigefinger und lausche. Mein Handy. Wenn das mal kein Zeichen des Schicksals ist. «Sorry, aber da muss ich leider drangehen», säusle ich mit geheucheltem Bedauern und springe auf. «Aber vergiss gerne, wo wir stehen geblieben sind.»

Kapitel 3

Mein iPhone hängt im Schlafzimmer am Ladekabel. Als ich es abziehe, leuchtet nur noch ein verpasster Anruf auf. Mist.

«Wie bedauerlich, dass dir die Ausrede abhandengekommen ist», spöttelt Steve, der mir gefolgt ist und jetzt im Türrahmen lehnt. «Worauf ich eigentlich hinauswollte: Ab siebzehn Uhr ist Happy Hour in diesem neuen Spa in Newhaven. Nur für Erwachsene, ein Begrüßungscocktail gratis, die Hot-Stone-Massage zum halben Preis. Eliah und ich wollen hier etwas früher los, was heißt, dass ich dich gegen halb einpacken werde – vorzugsweise ohne dieses trotzige Naserümpfen, auch wenn das ziemlich niedlich aussieht.»

«Weißt du, wer noch niedlich ist?», frage ich, während ich das Handy entsperre. «Bären. Was sie nicht weniger gefährlich macht, wenn man sie reizt.» Ich öffne die Anrufliste – und stocke. Irgendwie hatte ich so fest mit Francis gerechnet, dass ich die Anzeige auf dem Display komplett ignoriert habe. Mindy Sinclair.

Der Name ist wie eine kleine Zeitreise, wie das Öffnen eines Fensters in die Vergangenheit, von dem man vergessen hat, dass es überhaupt existiert. Dabei sind Mindy und ich praktisch zusammen aufgewachsen. Derselbe Kindergarten, dieselben Schulen, dieselbe Leidenschaft. Für ein paar Jahre waren wir unzertrennlich, verbunden durch unsere Liebe zu Büchern. Wir haben stundenlang in Lydias Buchhandlung gestöbert, bei Graeme im Café gesessen und über Neuerscheinungen diskutiert, gemeinsame Leseabende veranstaltet … Es fühlt sich an, als läge ein ganzes Leben zwischen damals und jetzt, was gar nicht mal so falsch ist, wenn ich überlege, wie viel seitdem passiert ist.

«Alles in Ordnung?» Steve stößt sich vom Türrahmen ab. «Warum habe ich das Gefühl, dass du gerade selbst einen Bären gesehen hast?»

Ich blinzle die Erinnerungen weg. «Ach, alles bestens.» Kopfschüttelnd öffne ich den Kontakt, um mir unsere Historie anzusehen. «Sagt dir meine alte Freundin Mindy Sinclair noch was?»

«Ist das nicht die, die gerade aus Newcastle zurück nach Edderton gezogen ist? Um näher bei ihren Eltern zu sein?»

Ich schaue überrascht auf. «Warte, woher …?!»

«Von deiner Grandma?» Mit zweifelnder Miene kommt Steve zu mir rüber. «Hast du vergessen, dass ich dabei war, als Fenella davon erzählt hat? Letzten Monat? Das erste Juniwochenende? Komm schon, Rae, jetzt guck mich nicht so an. Wir saßen zu dritt unten im Hof, Lichterketten, zwei Flaschen Rotwein, Fenella hat ein paar Anekdoten aus Edderton erzählt … und du hattest dein Notizbuch dabei.» Ihm entweicht ein Seufzer. «Hast du überhaupt was von dem Gespräch mitbekommen?»

Ertappt schürze ich die Lippen. «Vielleicht die Hälfte?», mutmaße ich. Ich weiß noch, dass ich während Grandmas Besuch einen entscheidenden Knoten im Plot gelöst und noch in der Nacht, in der wir zusammen im Hof saßen, den Trip nach Berlin gebucht habe.

«Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen», erwidert Steve, wobei sein Blick mehr sagt als tausend Worte.

«Also schön, ich komme mit in dieses Spa. Vorausgesetzt, ich schaffe es vorher, Francis’ Anmerkungen einzuarbeiten», sage ich, ehe ich meine Aufmerksamkeit zurück aufs Display lenke.

Mindy und ich haben ewig nichts voneinander gehört. Unser letzter Kontakt dürfte gute fünf Jahre her sein. Damals haben wir uns in Tain auf Grandpas Beerdigung getroffen, Nummern getauscht und versprochen, uns beieinander zu melden, wenn wir mal in der Nähe der jeweils anderen sind. Ans restliche Gespräch kann ich mich nur noch dunkel erinnern. Weil ich die meiste Zeit damit beschäftigt war, jemand anderem auszuweichen. Dem einen Mann, dessen Namen ich nie vergessen könnte, genauso wenig wie seinen Duft, seine Augen, gewisse Blicke …

«Weißt du, was Mindy will?», fragt Steve.

Ich schiebe die Gedanken an die Beerdigung beiseite und dränge mich schulterzuckend an ihm vorbei. «Nein, aber ich schätze, das werde ich gleich herausfinden.» Dann tippe ich auf ihre Nummer und gehe Richtung Flur.

«Rae!» Mindy hebt nach nur einem Freizeichen ab. Ihre Stimme klingt genau wie früher, hell, aufgeweckt, sympathisch. «Ich war nicht sicher, ob deine Nummer noch dieselbe ist, aber danke für den schnellen Rückruf. Wie geht’s dir?!»

Ich merke, wie sich meine Mundwinkel heben. Es gibt eine kleine Handvoll Menschen, bei denen es nur ein Wort, einen Ton, einen Klang braucht, um die Spuren wieder zum Leuchten zu bringen, die sie einmal in deinem Herzen hinterlassen haben. Mindy gehört eindeutig dazu.

«Hey, wie schön, von dir zu hören», begrüße ich sie. «Ich bin gestern erst von einer Recherchereise zurückgekommen, vorhin hat mein bester Freund Frühstück mitgebracht, und später geht’s vielleicht noch ins Spa. Also ich würde sagen, hier ist alles bestens.» Während ich rede, gehe ich wieder in die Küche.

«Jede andere Antwort hätte mich auch gewundert. Ich meine, du warst jetzt mit wie vielen Büchern auf der Sunday Times-Liste?!»

«Mit drei», antworte ich. In mir flackert ein bisschen was von dem früheren Stolz auf, den ich viel zu lange nicht mehr gespürt habe. «Der letzte Band hält sich sogar immer noch in den Top Ten.»

«Echt unglaublich, herzlichen Glückwunsch. Ich weiß noch, wie du von dem ersten Vertrag erzählt hast und nicht sicher warst, ob das Buch überhaupt jemand lesen wird.» Mindy klingt, als würde sie grinsen. Unwillkürlich stelle ich mir ihr Gesicht vor, die Stupsnase, die strahlend blauen Augen, die ungeschminkten Lippen. «Und jetzt sieht man deine Bücher praktisch überall. Wusstest du, dass sie sogar bei Lydia im Schaufenster liegen?»

«Lydia verkauft meine Bücher?!», erwidere ich überrascht und mache Platz für Steve, der sich zurück zu seinem Stuhl quetscht. «Was ist aus ihrem Grundsatz ‹Bücher mit Leichen kommen nur über meine Leiche hier rein› geworden?»

«Aufgegangen in den Flammen des Kapitalismus», neckt Mindy. «Zumindest meinte sie letztens, lokale Autorinnen würden sich besser verkaufen als ofenfrische Scones mit Clotted Cream.»

«Ah, natürlich.» Ich nehme meinen Kaffee und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. «Lydia hatte schon immer einen ausgeprägten Geschäftssinn.» Weshalb sie neben Büchern noch gefühlt Tausende anderer Artikel verkauft hat, von Postkarten über Backmischungen im Glas bis hin zu Traumfängern und Mobiles aus Muscheln, die überall in dem kleinen Laden von der Decke baumelten. Ob es dort wohl immer noch so aussieht?

«Ich glaube, sie würde sich echt freuen, dich mal wiederzusehen», sagt Mindy. «Und sie wäre definitiv nicht die Einzige.»

«Oh, das bezweifle ich», erwidere ich mit einem hohlen Lachen auf den Lippen, während Nervosität an meiner Magenwand zupft. «Nur weil Lydia meine Bücher verkauft, hat sie diesen klitzekleinen Brandfleck hinter ihrer Theke sicher nicht vergessen. Ich meine, sie hat mir Hausverbot erteilt.»

«Ernsthaft, Rae?» Mindys Lachen klingt echter als meins. «Da waren wir wie alt? Du vierzehn, ich zwölf? Ich habe Lydia in letzter Zeit oft genug über dich sprechen hören, und glaub mir: Sie würde sich wirklich freuen. Genau wie ein paar andere – mich eingeschlossen.»

«Ist das etwa eine Einladung?»

«Und wenn es so wäre?»

Ich nippe am Kaffee, während sich die Nervosität bis in meine Fingerspitzen stiehlt. Seit meiner Flucht vor zwölf Jahren hat es mich nie zurück an diesen Ort gezogen. Ich war zwar ein paarmal bei meinen Großeltern in Pemberlaine House, aber seit Grandpas Tod habe ich selbst diese Besuche eingestellt. Denn abgesehen davon, dass Grandma sowieso meistens unterwegs ist und lieber zu mir nach Edinburgh kommt – weil ein Tapetenwechsel der Seele stets guttut –, hat allein das kurze Wiedersehen auf der Beerdigung Wunden gereizt, an denen ich lieber nicht weiter kratzen möchte.

«Also, falls du Zeit hättest, würde ich mich echt freuen, wenn du herkommst», redet Mindy weiter. «Mal wieder einen Tee bei Graeme trinken, abends am Strand sitzen, Marshmallows rösten, deine Rechercheskills nutzen, um Fenella zu finden …»

«Was?» Ich verschlucke mich fast am Kaffee. «Grandma ist wieder verschwunden?!» Mein Blick gleitet zu Steve, der gerade von der Rosinenschnecke abgebissen hat und mich jetzt ansieht, in seinen Augen ein Funkeln, das beweist, dass wir dasselbe denken: Nicht mehr lange, und wir wissen, wer unsere Wette dieses Mal gewonnen hat. «Äh, Mindy, kann ich kurz auf Lautsprecher stellen? Damit mein Freund Steve mithören kann?»

«Klar, warum nicht», erwidert Mindy. Ihr nächster Satz schallt bereits laut durch die Küche: «Warte, war Steve nicht der Typ, auf dessen Couch du damals geschlafen hast?»

Steve grinst mich schief an. «Du hast ihr also von mir erzählt?», raunt er mit anzüglichem Unterton.

Ich verdrehe die Augen. «Japp, genau der. Wusste gar nicht mehr, dass wir über ihn gesprochen haben.»

«Dabei warst du doch immer diejenige mit einem Gedächtnis wie ein Computer», sagt Mindy amüsiert. Vermutlich hat sie Steve auch gehört. Der jetzt ein Husten imitiert, in dem komischerweise der Satz «Sie meint wohl Goldfischgedächtnis» mitschwingt.

Ich widerstehe dem Drang, ihm den Spülschwamm an den Kopf zu schmeißen, und wende ihm stattdessen den Rücken zu. «Muss wohl daran liegen, dass man Steve schon mal vergessen kann», erwidere ich und spüre im Nacken seine gespielte Empörung. «Aber noch mal zurück zu Grandma. Sie ist also wieder still und heimlich auf große Tour gegangen?»

«In der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Dann nehme ich mal an, du hast auch keine weiteren Infos?»

«Leider nein, wobei mich alles andere auch gewundert hätte. Sie war noch nie der Typ fürs Abmelden.» Ich gehe zum Kühlschrank und pflücke eins der Fotos ab, auf dem Grandma und ich Seite an Seite in die Kamera grinsen. Unsere Haare sind zerzaust von der Fahrt im offenen Sightseeing-Bus, ihr Arm liegt über meiner Schulter, an ihrer Hand das einzige Schmuckstück, das sie nur zum Schlafen ablegt: der klobige Rubinring, den Grandpa ihr damals zur Verlobung geschenkt hat. Um uns herum sitzen ein paar weitere Leute, darunter ein Typ, bei dem ich unwillkürlich das Gesicht verziehe. Nicht dass ich auch nur ein Wort mit ihm gewechselt hätte, aber allein seine flirtenden Blicke waren so unangenehm, dass wir ein paar Stationen später wieder ausgestiegen sind. Direkt am Edinburgh Castle, das sich auf dem Foto im Hintergrund abzeichnet. Die Aufnahme ist letzten Herbst entstanden, und keine fünf Minuten später hatten wir mal wieder einen kleinen Disput über den Nutzen eines Smartphones. Das Grandma in ihren Urlauben konsequent ignoriert.

«So was in der Art hat Bobby auch gesagt», holt Mindy mich zurück in die Gegenwart.

«Du hast Bobby informiert?!» Bei der Vorstellung zuckt ein Lächeln über meine Lippen. «Sorry, aber jemand hätte dich vorwarnen sollen. Bobby war von Anfang an der einzige Inspector, der meinte, Grandma sei sicher nur verreist. Nach dem ganzen Theater der letzten Jahre kriegt er vermutlich die Krise, wenn er den Namen Fenella Pemberlaine nur hört.» Oder meinen, füge ich gedanklich hinzu, denn es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich Bobby Foster das Leben als Teenie zur Hölle gemacht habe. Was er mir vermutlich bis heute nachträgt.

«Ich weiß, aber erklär das mal Eleanore», erwidert Mindy. «Wenn sie so weitermacht, raubt sie mir bald den letzten Nerv.»

Beim Klang des Namens zucke ich zusammen. «Eleanore?», wiederhole ich. «Ihr habt Kontakt?»

«Na ja, das bleibt nicht ganz aus, wenn man auf Warwick Manor arbeitet», witzelt Mindy. «Warte, du weißt doch, dass ich wieder in Edderton bin, oder? Deine Grandma hat sicher erzählt, dass ich …»

«Du arbeitest für Eleanore Warwick?!» Ich schaue zu Steve, der mich genauso entgeistert anstarrt. Dabei kennt er den alten Drachen nicht einmal persönlich, er hat nur Geschichten gehört, über die ach sogutherzige Granny, die in Wahrheit alles andere als ein Unschuldsengel ist. Die es immer so gedreht hat, dass ich diejenige war, die zu forsch war, zu vorlaut, zu rebellisch. Ein Makel im sonst so perfekten Leben ihres Enkels Archer.

Archer.

Ohne es zu wollen, muss ich wieder an seine Blicke denken, an den Vorwurf in seinen Augen, daran, dass er nur die halbe Wahrheit … Ich beiße mir auf die Zunge, um die Erinnerung zerplatzen zu lassen. Weil es müßig ist, sich mit Dingen zu befassen, die seit einer halben Ewigkeit durch sind.

«Das heißt dann wohl, du wusstest es nicht», stellt Mindy treffend fest.

«Äh, nein.» Ich versuche, mich zu sammeln. «Versteh mich nicht falsch, aber hast du nicht in Newcastle studiert? Was um alles in der Welt machst du dann bei Eleanore?»

«Ich bin ihre Haushälterin», erwidert Mindy. «Ich weiß, wie das klingt, aber das Jobangebot in Edderton ist nicht gerade riesig. Und ob du es glaubst oder nicht: Die Arbeit hier macht mir echt Spaß.»

«Spaß?» Zweifelnd lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen. «Hast du nicht eben gesagt, Eleanore würde dir den letzten Nerv rauben?»

«Schön, die Arbeit hat Spaß gemacht», berichtigt Mindy resigniert. «Bis eine gewisse Fenella mal wieder ohne ein Wort verschwunden ist. Laut Mum haben sich die Leute in Edderton inzwischen dran gewöhnt, nur Eleanore läuft plötzlich wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend und versucht, alles und jeden in ihre privaten Ermittlungsarbeiten einzubeziehen. Ich weiß nicht genau, wie ich das formulieren soll, aber …» Mindy druckst rum.

«Aber was?»

«Na ja, Eleanore ist der festen Überzeugung, deine Grandma wäre entführt worden.»

«Entführt?!», fragen Steve und ich wie aus einem Mund, bevor ich hinzufüge: «Wie kommt sie denn auf die Idee?»

«Keinen blassen Schimmer. Sie nennt es so ein Gefühl, allerdings gibt es keinen einzigen Beweis für ihre Theorie. Weder Drohbriefe noch Forderungen, geschweige denn Spuren eines Einbruchs», erzählt Mindy. «Zumindest sieht Pemberlaine House genauso aus wie letzte Woche. Nur dass Fenellas Auto nicht mehr in der Auffahrt steht.»

«Du warst da?»

«Ich habe vor der Arbeit heute Morgen einen kurzen Abstecher gemacht, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist.» Da ist ein Unterton in Mindys Stimme, der mir nicht gefällt. «Eleanore und Amara haben gestern eine Art kleine Hausdurchsuchung gemacht, und ich wollte sichergehen, dass sie alles wieder richtig abgeschlossen haben.»

«Die beiden haben was?!»

«Also, keine Sorge, sie sind nicht eingebrochen oder so, sie haben ja einen Ersatzschlüssel. Aber mir kommt es auch ein bisschen übertrieben vor, und das war noch nicht alles», erwidert Mindy, gefolgt von einem Seufzer. «Als Amara gestern Abend hier war, haben die beiden im Grünen Salon darüber diskutiert, ob und wie sie mich weiter in ihre Ermittlungen einbinden können. Es klang ganz so, als wollten sie mich noch mal auf Bobby ansetzen.» Mindy rutscht ein freudloses Lachen heraus. «Du kennst mich, Rae. Ich versuche immer, mein Bestes zu geben, aber die Vorstellung, wieder bei Bobby anklopfen und ihm weitere Details aus den Rippen leiern zu müssen …»

«Sie wollen dich in ihre Ermittlungen einspannen?! Du verarschst mich doch?!» Ich lege das Handy auf den Tisch, um ein Stück von meinem Käsetwister abzureißen. Eine Spur zu grob. «Warum sollte Amara bei so einem Scheiß mitmachen?»

«Keine Ahnung, aber vielleicht verstehst du jetzt, warum ich hier echt Unterstützung brauchen könnte.»

Ich rümpfe die Nase. Schwer vorstellbar, dass der Teufel von Edderton nach Eleanores Pfeife tanzt. Genau deshalb mochte ich Amara immer am liebsten. Weil sie über den Dingen stand, mit einer Zigarre in der Hand, grimmig verzogenem Gesicht und einem verschmitzten Lächeln in den Augen. Was ihr in der Summe wohl besagten Spitznamen eingebracht hat – und meine volle Sympathie. Deshalb war sie auch eine der wenigen, in deren Nähe ich es auf Grandpas Beerdigung länger als fünf Minuten ausgehalten habe.

Steve nickt auffordernd zum Handy. «Willst du nicht irgendwas sagen?», wispert er. «Zum Beispiel, dass du deinen Hintern sofort nach Edderton bewegen wirst, um Mindy zu helfen? Bevor diese alten Schachteln noch übergriffiger werden?»

«Oh, danke, Steve», wirft Mindy ein. Sie hat natürlich alles mitgehört. «Du bist auch jederzeit willkommen.»

«Sehr verlockend, aber leider kann ich das Pub gerade nicht allein lassen. Meine liebe Rae hingegen könnte dringend eine Pause gebrauchen.»

«Wirklich?» In Mindys Stimme schwingt so viel Hoffnung mit, dass ich Steve einen finsteren Blick zuwerfe.

«Verräter», knurre ich, und irgendwo auf meiner Zunge schmecke ich eine Ausrede. Bittersüße Worte von zu viel Arbeit und Deadlines, aber ich kriege keins davon raus. Denn da sind wir wieder, bei diesem elenden Thema Auszeit, und auch wenn es etliche Orte gibt, in denen ich lieber Kurzurlaub machen würde als in Edderton, muss ich zugeben, dass sich jenseits alter Narben noch etwas anderes regt. Das zarte Stechen von Vermissen. Ich weiß, dass es vor allem Mindy gilt, aber vielleicht auch ein bisschen Amara. Und Graeme. Und dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Mit seiner einsamen Lage direkt an der Küste, seinem gepflegten Garten mit der großen Laube und dem Liegestuhl, der dazu einlädt, wirklich auszuspannen. Vorausgesetzt, es sieht nach all der Zeit immer noch so aus …

Ich lasse jede Ausrede in einem Seufzer platzen. «Also, wie sah die To-do-Liste noch mal aus?», frage ich. «Einen Tee bei Graeme trinken, am Strand sitzen, Marshmallows rösten und dir Eleanore vom Hals halten?»

«O ja, bitte lass mich hier nicht alleine!» Mindy klingt, als würden ihr tausend Steine auf einmal vom Herzen fallen. «Ich besorge auch diese extragroßen Marshmallows, die wir als Kinder immer hatten, und falls du nicht allein in Pemberlaine House schlafen möchtest, hätte Eleanore sicher nichts dagegen, wenn ich eins der Gästezimmer für dich …»

«Jetzt mach nicht wieder alles zunichte», unterbreche ich sie. «Bevor ich auf Warwick Manor schlafe, müssen schon sämtliche Betten der Gegend abgebrannt sein, und selbst dann würde ich den Boden von Pemberlaine House bevorzugen.»

«Okay, kein Gästezimmer. Verstanden.» Mindy nimmt einen hörbar tiefen Atemzug. «Hauptsache, du kommst her. Ich meine, wir wissen beide, dass Fenella im Urlaub ist, aber vielleicht schaltet Eleanore einen Gang zurück, wenn sie das Gefühl hat, dass jemand mit Expertise an ihrem Fall dran ist.»

«Expertise?» Mir rutscht ein zweifelndes Lachen raus. «Ich bin immer noch Autorin, keine Ermittlerin.»

«Krimiautorin», korrigiert Mindy mit Nachdruck, und über Steves Gesicht huscht ein unverschämtes Grinsen. «Erstens warst du schon immer gut darin, Rätsel zu lösen, und zweitens habe ich deine Bücher gelesen.»

«Sie hat so was von Expertise», mischt Steve sich ein und kassiert dafür den nächsten vernichtenden Blick. «Für den dritten Teil hat sie sogar ein Praktikum in der Forensik gemacht, und für den vierten …»

«Durfte sie einen richtigen Detective Chief Inspector zu einem Tatort begleiten, ich weiß. Stand in der Danksagung», beendet Mindy enthusiastisch den Satz.

«DCI Cooper hat mich nur mal über seine Schulter …» Ich versuche, die Situation richtigzustellen, aber ich komme nicht weit. Steve und Mindy haben sich darauf eingeschossen, all meine Kontakte aufzuzählen, die ich im Laufe der Jahre geknüpft habe. Erst als sie über meinen Besuch am Gericht sprechen, schaffe ich es, wieder einzuhaken.

«LEUTE!», unterbreche ich sie, begleitet von einem Aufstöhnen. «Darf ich euch noch mal kurz daran erinnern, worüber wir hier sprechen? Es gibt keine echten Ermittlungen, nur weil Eleanore Warwick das behauptet, also haltet mal die Luft an. Ich werde sicher keinen meiner Kontakte belästigen, weil meine Grandma spontan verreist ist, aber ich werde mein Bestes geben, Eleanore von Mindy abzulenken.»

«Danke, danke, danke!» Mindy schafft es, selbst durchs Handy zu strahlen. «Ich könnte dich echt knutschen!»

«Sieh es als eine Art Wiedergutmachung dafür, dass ich dich bei diesem einen Kinodate versetzt habe.»

«Und ich sage doch, du hast ein Gedächtnis wie ein Computer», neckt sie mich. «Welchen Film wollten wir …»

«Mindy!» Im Hintergrund ertönt eine vertraute Stimme. «Mindy, Liebes, bist du etwa immer noch hier?»

Eleanores Gesäusel hat sich kaum verändert. Vielleicht ist es etwas brüchiger geworden, was wohl daran liegen dürfte, dass sie inzwischen auf die achtzig zugehen müsste. Oh, was freue ich mich, sie wiederzusehen – nicht.

«Komme sofort!», ruft Mindy, bevor sie sich wieder an uns wendet. «Tut mir leid, ich habe die Zeit total vergessen. Rae, schreib mir am besten, wann du ankommst, ja? Und Steve, bitte sorg dafür, dass sie nicht doch noch abspringt.»

«Kannst dich auf mich verlassen», erwidert Steve, während ich nur die Augen verdrehe. «Es war mir eine Freude, dich auf diesem Wege kennenzulernen.»

«Geht mir genauso! Macht’s gut, ihr beiden.»

«Bis dann», geben wir unisono zurück, wobei Steve deutlich vergnügter klingt.

Kaum haben wir aufgelegt, beugt er sich ein Stück vor, auf seinem Gesicht ein Grinsen, das selten etwas Gutes bedeutet. «War das da im Hintergrund etwa die berühmt-berüchtigte Eleanore Warwick, die meiner geliebte Rae damals das Leben schwer gemacht hat?»

Was für eine harmlose Beschreibung. «Genau die.»

«Na, dann muss ich sagen, ich bin etwas enttäuscht», erwidert Steve. «Ich dachte immer, allein ihre Stimme würde mir die Seele aus dem Körper saugen, aber das klang eher nach einer süßen Omi, die jeden mit frisch gebackenen Keksen empfängt.»

«Wenn die Kekse vergiftet sind, passt der Vergleich sogar», spöttle ich und lehne mich zurück. Das Display des Handys wird dunkel. Nur langsam sickert die Erkenntnis zu mir durch, dass ich gerade zugesagt habe, nach Edderton zu fahren. Mindy zu treffen, mit Graeme zu quatschen, mein altes Zimmer in Pemberlaine House zu beziehen – zum ersten Mal ohne Grandpas Gitarrenspiel. Und wie es aussieht, auch ohne Grandmas Rätselspiele …

Bei dem Gedanken bildet sich ein Kloß in meinem Hals, den ich mit dem letzten Rest Kaffee herunterspüle.

Ich raffe mich auf. «Na ja. Dann sollte ich wohl mal zusehen, dass ich diese Leseprobe fertig bekomme», sage ich in dem Versuch, die Schatten loszuwerden. «Iss in Ruhe zu Ende und lass einfach alles stehen. Ich räume später auf.»

«Rae?»

Auf der Türschwelle bleibe ich stehen. «Mh?»

«Versprich mir nur eins, ja?» Steves Miene ist ungewöhnlich ernst. «Lass. Claudine. Hier. Du brauchst eine echte Pause, und solltest du auf die Idee kommen, in Fällen zu ermitteln, die nichts mit deiner Grandma zu tun haben, werde ich dir mächtig in den Arsch treten.»

«Danke, Steve.» Ich ringe mir ein Lächeln ab. «Ich werde Bescheid geben, sollte ich einen Reminder brauchen.» Falls ich nicht doch kurz vor Edderton umdrehe.

Kapitel 4

Mein Koffer ist deutlich schwerer als für die zwei Wochen Berlin. Vermutlich weil ich keine Ahnung habe, wie lange ich weg sein werde und wahllos Klamotten reingeworfen habe – neben einem ganzen Stapel Bücher. In der naiven Hoffnung, alle lesen zu können, der absurden Sorge, plötzlich ohne Buch dazustehen, und dem resignierten Wissen, dass ich realistisch betrachtet nicht einmal einen Bruchteil davon schaffen werde. Keine Ahnung, wann ich zuletzt auch nur ein ganzes Kapitel am Stück gelesen habe, ohne zu Claudine abzudriften.

Ich ziehe die Wohnungstür hinter mir zu. Beim Klicken des Schlosses zucke ich zusammen, in meinem Magen ein unangenehmes Ziehen. Als hätte ich etwas Wichtiges vergessen, dabei bin ich alles etliche Male durchgegangen. Die Leseprobe liegt bereits seit gestern Abend bei Toby, Francis weiß über meinen Heimatbesuch Bescheid, ich habe meinen Kulturbeutel eingepackt, Ladegerät, Bikini, zu viele Band-T-Shirts. Alles, was fehlt, kann man im Zweifelsfall nachkaufen. Portemonnaie und Proviant sind in der Schultertasche verstaut, die alten Lebensmittel habe ich entsorgt, alle Pflanzen abgestaubt, auf Grandmas Handy angerufen – natürlich ohne Erfolg – und etwa zwei Stunden lang nach meinem Schlüssel für Pemberlaine House gesucht, bis mir eingefallen ist, dass er sowieso nicht mehr passt. Kürzlich gewechseltem Schloss sei Dank. (Hey, wenigstens ein Detail, das ich mir aus Gesprächen mit Grandma gemerkt habe, ohne gedanklich woanders zu sein.)

Für einen Moment bin ich doch versucht, alles wieder auszupacken, meinen Laptop aufzuklappen und die Wartezeit bis zu Grandmas nächster Karte mit ein paar neu geschriebenen Kapiteln zu überbrücken. Wäre da nicht Mindys Nachricht von heute Morgen:

Lagerfeuer kann kommen! Weiß für dich und rosa für mich.

Darunter das Foto von zwei Marshmallow-Tüten, deren Design sich seit unserer Kindheit kaum verändert hat. Nur das Logo ist etwas moderner, die Schriftart weniger verspielt. Ich habe ein Herz zurückgeschickt und gefragt, ob ich mir Eleanores Ersatzschlüssel für Pemberlaine House leihen könnte. Bisher kam keine Antwort, allerdings bezweifle ich, dass ich vor verschlossenen Türen kampieren muss.

Ich hebe den schweren Koffer hoch und schleppe ihn runter ins Pub. Dienstagnachmittag, gefühlte dreißig Grad im Schatten, und der Laden ist schon jetzt brechend voll. Eine bunte Mischung aus Menschen in Businesskleidung, die entweder auf die späte Mittagspause oder den frühen Feierabend anstoßen, und Touris, die sich in fremden Sprachen durch die Speisekarte arbeiten. Ich zwänge mich durch die Menge, immer weiter Richtung Hintertür. Auf Höhe der Theke sammle ich Steve ein, der Veronica noch schnell was zuruft, bevor er seine Arbeit liegen lässt und zu mir aufschließt.

«Rae Pemberlaine fährt also wirklich in den Urlaub.» Mit anerkennendem Pfeifen nimmt er mir den Koffer ab. «Mein Vaterherz war selten so stolz.»

«Na ja, auf der einen Seite werde ich mit Marshmallows gelockt, auf der anderen mit einem Arschtritt bedroht», erwidere ich neckend, bevor ich die Tür aufstoße. Sie quietscht von Mal zu Mal erbärmlicher, aber irgendwie passt das Geräusch zu unserem alten Innenhof mit der kleinen Sitzgruppe und dem Grill. Das Ensemble droht bereits von Efeu überwuchert zu werden. Genau wie das Carport, unter dem das Einzige steht, was mir wirklich heilig ist: mein alter Mercedes-Benz. 1967er Baujahr, schwarz lackiert, Verdeck, cremefarbene Ledersitze – und in einer Stadt wie Edinburgh völlig überflüssig.

«Klingt nach der perfekten Kombi.» Steve folgt mir zum Wagen. Als würde mein Gepäck nichts wiegen, hievt er es in den Kofferraum. «Hast du deinen Laptop auch wirklich hiergelassen?» Mit vielsagender Miene nickt er zu meiner Schultertasche und lässt den Kofferraum zuknallen.

«Hey, mein Auto ist kein Panzer!», ermahne ich ihn.

«Und das ist keine Antwort.» Er lehnt sich gegen das Carport und holt eine Schachtel Zigaretten raus. Das Klicken eines Feuerzeugs, und schon strömt der Duft von Menthol durch den Innenhof.

«Das nennt man also Vertrauen, ja?» Ich verdrehe die Augen und öffne meine Tasche. «Portemonnaie, Make-up-Täschchen, Desinfektionszeug, Taschentücher, Proviant für die Fahrt. Genehmigt?»

«Sekunde.» Steve pustet bläulichen Rauch zur Seite, ehe er sich vorbeugt und mit spitzen Fingern mein Notizbuch rausfischt. «Und was ist das hier?»

«Gebundenes Papier», erwidere ich ungerührt, schnappe ihm das grüne Büchlein weg, das ich gerade erst in Berlin gekauft habe, und werfe es samt Tasche auf den Beifahrersitz. «Ich dachte, das könnte ganz hilfreich sein, wenn ich für Eleanore die Ermittlerin spielen soll.» Was für eine süße Lüge. Eswar schon schwer genug, den Laptop nicht einzustecken, ohne Notizbuch würde ich nicht überleben. «Also, bestehst du noch auf eine Leibesvisitation, oder darf ich so fahren?»

Sein Blick huscht über meine Klamotten, eine kurze weiße Bluse, schwarze High-Waist-Shorts – beides aus dem kleinen Vintageshop oben am West Bow – und brandneue Sneaker.

«Wenn du es geschafft hast, darunter einen Laptop zu verstecken, darfst du ihn auch mitnehmen», feixt Steve. «Aber mal eine andere Sache. Hast du schon überlegt, wie du mit einem gewissen Jemand umgehen wirst? Nur für den Fall, dass er auch da sein sollte?»

Allein die Betonung reicht, um zu wissen, wen er meint. Ohne es zu wollen, schnellt mein Puls in die Höhe, dabei sollte es echt keinen Grund dafür geben.

«Erstens lebt Archer seit fast drei Jahren in Dublin …»

«Ha, also warst du doch auf seinem Instagram-Account!»

«War ich nicht, und zweitens», fahre ich mit Nachdruck fort, «ist die ganze Scheiße ewig her. Sollten wir uns über den Weg laufen, werde ich ihn genauso behandeln wie jeden anderen.»

«Ist klar.» Steve mustert mich mit unverhohlenem Zweifel. «Deshalb hast du damals auch …»

Das Quietschen der Tür lässt uns beide aufschrecken.

«Steve?» Veronica steht sichtlich gestresst im Rahmen. «Ein Louis Rogers fragt nach dir. Er meinte, ihr hättet ein Kaffeedate? Hi, Rae.»

Ich hebe nur die Hand, während Steve hastig seinen Taschenascher rausholt und die Zigarette ausdrückt. «Sag ihm, ich bin gleich da!» Kaum ist Veronica weg, haucht er in seine Handfläche. «Shit. Hatte völlig vergessen, dass wir schon Dienstag haben. Hast du zufällig Kaugummi dabei? Oder Minzbonbons? Oder keine Ahnung … Mundspülung?»

Ich lehne mich zurück ins Auto und krame in meiner Tasche rum. «Sieht aus, als hättest du Glück», sage ich und biete ihm eins meiner letzten Bonbons an. «Aber Louis Rogers? Ist das nicht dieser hübsche Blonde, der bei deiner letzten Party war? Zusammen mit seinem Freund?»

«Offene Beziehung.» Schulterzuckend wirft Steve das Bonbon ein. «Ich verspreche, dir jedes schmutzige Detail zu erzählen, wenn du mir verzeihst, dass ich dir nicht hinterherwinken werde, sondern in spätestens zehn Sekunden durch diese Tür verschwunden bin.»

«Wie gut, dass ich sowieso kein Fan von schnulzigen Abschieden bin. Versprich mir nur, dich um meine Post zu kümmern, für den Fall, dass Grandma schreibt.»