Crashed Dreams. Hailey & Noah - Solvig Schneeberg - E-Book

Crashed Dreams. Hailey & Noah E-Book

Solvig Schneeberg

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Beschreibung

**Eine Nacht verändert alles**  Haileys beste Freundin Fallon liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Ein Autounfall mit Fahrerflucht. Halt findet Hailey ausgerechnet bei Fallons Ziehbruder Noah. Was mit Trost beginnt, endet in einem One Night Stand und dem Entschluss, ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Doch die plötzliche Nähe zu dem attraktiven Eishockey-Spieler entfacht das lange ignorierte Kribbeln in Haileys Herzen erneut … Während sie versucht, sich auf ihre eigene Hockey-Karriere zu fokussieren, besucht Playboy Noah immer öfter ausufernde Partys – und taucht völlig betrunken bei Hailey auf. Ihre Gefühle fliegen Loopings, doch sie ahnt auch, dass mehr hinter Noahs plötzlichen Abstürzen stecken muss als die Sorge um Fallon.  Kann sie ihn retten, wenn er sein dunkelstes Geheimnis vor ihr verbirgt?  //Dieser Liebesroman ist in sich abgeschlossen. Weitere Romane um die Eishockey-Mannschaft »Calgary Sharks«: -- Crashed Hopes. Fallon & Cooper -- Crashed Secrets. Erin & Jackson// 

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Solvig Schneeberg

Crashed Dreams. Hailey & Noah

Eine Nacht verändert alles

Haileys beste Freundin Fallon liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Ein Autounfall mit Fahrerflucht. Halt findet Hailey ausgerechnet bei Fallons Ziehbruder Noah. Was mit Trost beginnt, endet in einem One Night Stand und dem Entschluss, ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Doch die plötzliche Nähe zu dem attraktiven Eishockey-Spieler entfacht das lange ignorierte Kribbeln in Haileys Herzen erneut … Während sie versucht, sich auf ihre eigene Hockey-Karriere zu fokussieren, besucht Playboy Noah immer öfter ausufernde Partys – und taucht völlig betrunken bei Hailey auf. Ihre Gefühle fliegen Loopings, doch sie ahnt auch, dass mehr hinter Noahs plötzlichen Abstürzen stecken muss als die Sorge um Fallon.

Kann sie ihn retten, wenn er sein dunkelstes Geheimnis vor ihr verbirgt?

Wohin soll es gehen?

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Vita

© Foto Studio Carl

Solvig Schneeberg studierte Literaturwissenschaften in ihrer Heimatstadt Erfurt, bevor sie beschloss, sich einzig dem Schreiben zu widmen. Bereits in jungen Jahren entdeckte sie die Liebe zum geschriebenen Wort und fing bald an, ihre eigenen Geschichten aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Sie ist eine verträumte Romantikerin, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ihr ganzer Fokus auf Fantasy- und Liebesromanen liegt. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, einem Hund und den Katzen lebt sie am Waldrand von Weimar.

Kapitel1

Hailey

Obwohl ich still saß, zitterten meine Beine unaufhörlich. Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich die Hände auf meine Knie legte, doch ich hatte das Gefühl, es nur noch schlimmer zu machen. Hektisch atmete ich ein, noch hektischer aus. Fast verlor ich das Gefühl über meinen eigenen Körper. Meine Fingerspitzen waren kalt und taub.

Mein Blick fiel auf die anderen Menschen um mich herum.

Im Wartezimmer der Notaufnahme saßen so viele Leute, dass ich mir eingeengt vorkam, obwohl der Raum so offen gestaltet war. Überall standen grüne Pflanzen in großen Kübeln, die Bänke und Stühle waren sorgfältig arrangiert und boten genügend Abstand.

Ein paar der Wartenden kannte ich. Coach Tanner saß in einer Ecke und wackelte unruhig mit den Füßen, als wollte er jeden Moment aufspringen und joggen gehen. Caty, unsere Torhüterin bei den Calgary Sharks hockte zusammengesunken auf dem Stuhl. Sie hatte die Party organisiert, auf der wir unseren Sieg hatten feiern wollen. Sie sah furchtbar mitgenommen aus. Blass und grün im Gesicht zugleich. Zusammen mit meinem restlichen Team warteten sie im hinteren Bereich des Raums. Ihre nervöse Energie durchdrang mein dünnes Shirt und ließ mich frösteln. Ich zog die Strickjacke enger um mich, aber es half nicht viel. Die Kälte saß tiefer. In meinen Knochen, meinen Muskeln. Meinem Herzen.

Ich sah zu Noah, der hin und her lief. Mittlerweile hatte er bestimmt Spuren in dem grauen Linoleum hinterlassen. Er fuhr sich zittrig durch die kurzen dunklen Haare, atmete durch, hielt sich den Kopf. Begann seine Runde durch den Raum erneut.

Schwankte er? Er war auch auf der Siegesfeier für die Calgary Sharks gewesen. Sicherlich hatte er etwas getrunken, wie alle, die dort gewesen waren.

Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte ihn gestützt, doch ich schaffte es nicht, mich zu bewegen. Ich kauerte wie versteinert auf dem unbequemen Stuhl, dessen Lehne sich in meine Hüfte drückte.

Neben mir befanden sich Noahs Eltern. Carol lehnte nach vorne gebeugt und schluchzte leise, während Jeff ihr beruhigend über den Rücken strich. Er sagte nichts. Niemand sagte etwas. Selbst die Angehörigen im Wartezimmer, die nicht zu uns gehörten, schienen zu begreifen, dass hier etwas so Schlimmes passiert war, dass jedes noch so leise Wort zu laut gewesen wäre. Als könnte jeder Laut diese Blase aus Schockstarre und Angst zerplatzen und Realität werden lassen, wovor wir uns fürchteten.

Die elektrischen Schiebetüren öffneten sich mit einem markanten Zischen und ein Arzt trat ein. Er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen, ging dann aber zu einer älteren Frau, die nichts mit uns und Fallon zu tun hatte. Ich hörte sie miteinander reden, doch ich verstand kein Wort. Meine Gedanken waren woanders.

Fallon. Meine beste Freundin. In diesem Moment lag sie irgendwo im Krankenhaus auf einem kalten OP-Tisch und kämpfte um ihr Leben, nachdem ein Irrer sie überfahren hatte.

»Hailey?« Überrascht sah ich auf. Noah war vor mir stehengeblieben und sah mich besorgt an. »Bist du sicher, dass du mit uns warten willst?«

Ich musste mehrmals blinzeln, um zu verstehen, was er meinte. Gott, ich stand wirklich neben mir. Er sprach von meiner Gehirnerschütterung. Bei dem Eishockeymatch vor ein paar Stunden hatte ich einen harten Check kassiert und war gegen die Bande geprallt. Die Sanitäter hatten mich vom Eis geholt und direkt ins Krankenhaus verfrachtet.

Diese Erinnerung erschien mir so weit weg, als wäre es vor einer Ewigkeit passiert.

Langsam nickte ich. »Es geht mir gut.«

Und das war nicht mal gelogen. Ich hatte Schmerzmittel bekommen und das Krankenhaus sogar schon verlassen können, hätte ich nicht die Nachricht von Fallons Unfall bekommen.

Mein Kopf schmerzte nicht mehr und schlecht war mir auch nicht mehr. Na ja, zumindest nicht wegen der leichten Gehirnerschütterung. Meine Übelkeit kam aus meinem Inneren, von dort, wo die Angst saß.

»Noah, Junge, setz dich hin«, bat Jeff leise und streckte eine Hand nach ihm aus. Für einen Augenblick schien sich Noah tatsächlich setzen zu wollen, dann schüttelte er den Kopf. Nickte. Und ließ sich kraftlos auf den leeren Stuhl neben mir fallen. Ich nahm seine Hand und drückte sie kurz. Sie war eiskalt.

Aus der Nähe sah Noah aus, als hätte er die letzten Nächte durchgemacht. Seine blauen Augen waren blutunterlaufen. Die Haut bleich und grau. Er atmete tief durch und ich konnte den Alkohol riechen. Die Party war bestimmt toll gewesen. Ich wäre gerne dort gewesen … Vielleicht hätte Fallon dann nicht diesen Unfall gehabt, weil sie nicht allein unterwegs gewesen wäre. Dieser Gedanke ließ mich nicht los.

Die Schiebetüren öffneten sich erneut. Ich sah zuerst nicht auf, mein Blick haftete noch auf Noah. Jeff sprang allerdings auf. Zwei Ärzte hatten das Wartezimmer betreten und steuerten direkt auf uns zu.

»Mr und Mrs Kingsbury? Ich bin Doktor Picard, das ist meine Kollegin Doktor Tessier.« Er streckte höflich die Hand aus. Jeff erwiderte die Geste; ich erkannte, wie er zitterte.

»Miss McQueen ist aus dem Operationssaal und –«

Erleichtertes Aufseufzen zog sich durch den Warteraum, doch ich hielt mich zurück. Etwas an seinem Tonfall irritierte mich. Der Arzt wartete einen Moment, dann sprach er weiter.

»Ihr Zustand ist stabil, wenn auch besorgniserregend. Derzeit befindet sie sich noch in Narkose. Die nächsten Stunden werden zeigen, wie viel Schaden ihr Hirn bei dem Unfall tatsächlich genommen hat.«

»Was soll das bedeuten?« Carol erhob sich und krallte sich regelrecht am Arm ihres Mannes fest. »Sie könnte nicht wieder aufwachen? Ist es das, was sie uns sagen wollen? Lieber Gott …« Kraftlos sackte sie zurück auf den Stuhl und griff sich an die Brust, als würde ihr Herz schmerzen.

Ich konnte nachvollziehen, wie sie sich fühlte. Auch wenn Fallon nicht meine Ziehtochter war und bei mir lebte, war sie meine beste Freundin. Ihr Verlust würde auch einen Teil von mir sterben lassen.

Noah drückte meine Hand fester, sodass es schon wehtat, aber ich beschwerte mich nicht. Er brauchte den Halt ebenso wie ich. Doch im Vergleich zu ihm war ich winzig. Ich maß kaum einen Meter fünfundsechzig, war schlank und keine 1,90 große Muskelmaschine wie Noah. Welche Stütze konnte ich ihm schon sein?

»Nun, es ist nicht ausgeschlossen, dass sie durch die Gehirnerschütterung eine Weile bewusstlos bleiben wird oder gar bleibende Schäden behält. Ich würde alles Weitere gerne mit ihren Eltern besprechen.«

»Sie sind bereits auf dem Weg«, antwortete Jeff. »Aber wir haben die Vollmachten, solange sie nicht hier sind. Deshalb können Sie auch uns alles sagen.«

Vollmachten?, überlegte ich, doch gleich darauf fiel es mir wieder ein. Fallon war als Teenager zusammen mit Noahs Familie nach Calgary gezogen, weil sich ihre eigenen Eltern einen Umzug nicht leisten konnten.

Es war nur logisch, dass jemand die Verantwortung für Fallon hatte. Obwohl Fallon, so wie wir alle, mittlerweile volljährig war, galten diese Dokumente wohl immer noch.

Wenn ich an den Umgang der Kingsburys mit Fallon dachte, stand sie Jeff und Carol mittlerweile näher als ihren eigenen Eltern.

Ob ich wohl einfach so meine Familie hätte zurücklassen können? Klar, ich war bereit, für den Sport mein Leben zu ändern, aber ich bezweifelte, dass ich den Mut gefunden hätte, als 14-Jährige meine Eltern zu verlassen.

Doktor Picard nickte. Mir fiel auf, dass die Ärztin die ganze Zeit geschwiegen hatte. Ihr Blick landete auf mir und dann auf meinen mit Noahs verschränkten Händen. Sie sah wieder zurück zu Jeff und Carol.

»Mr Kingsbury, die Verletzungen von Fallon sind sehr vielfältig und«, sie räusperte sich, »werden langwierige Konsequenzen haben. Ihr linkes Knie scheint irreparabel beschädigt zu sein.«

»Beschädigt?« Es war das erste Mal, dass Noah etwas sagte. Seine Stimme klang kratzig. »Was heißt das?«

Er sprach aus, was ich dachte. In meinem Kopf bildeten sich albtraumhafte Szenarien, die ich am liebsten sofort verdrängt hätte.

Mir wurde bewusst, dass mittlerweile eine angespannte Stimmung im Raum herrschte. Meine Teamkameraden, Coach Tanner – sie alle hörten stumm zu. Die Ärztin senkte die Stimme, sprach nur zur Familie Kingsbury und somit auch mir.

»Es ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen, wie sich die Situation entwickelt, aber es könnte sein, dass sie nie wieder laufen kann.«

Noah ließ abrupt meine Hand los und sprang auf. Er ballte seine Hände zu Fäusten und sah aus, als würde er den Arzt schlagen wollen. Ich stand ebenfalls auf und nahm seine Hand wieder in meine. Er schüttelte mich ab und stürmte aus dem Raum. Die Schiebetüren schlossen sich leise hinter ihm. Seine Eltern sahen sich hilflos an.

Nie wieder laufen können? Fallon war eine Sportlerin durch und durch. Sie lebte für Eishockey!

Für einen Augenblick erlag ich dem Gedanken, wie es mir wohl gehen würde, wenn ich nicht mehr spielen könnte … Aber hier ging es um weit mehr als nur darum, nie wieder auf dem Eis stehen zu können.

Bittere Galle stieg in mir hoch. Ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Beine mich nicht länger tragen würden. Das Zittern in meinem Körper nahm zu. Mittlerweile versuchte ich nicht mehr, meine Beine still zu halten. Unsicher sah ich mich um. Niemand schien zu wissen, was er tun sollte. Die Nachricht der Ärzte hing schwer im Raum, wie ein Damokles Schwert.

»Ich gehe ihm nach«, bot ich an und folgte Noah. Niemand hielt mich zurück.

Die Gänge der Notaufnahme waren mittlerweile leerer als noch vor ein paar Stunden. Mir begegneten ein paar Krankenschwestern und ein Arzt, aber sie alle beachteten mich nicht.

Wo hätte Noah hingehen können? Wo hätte er sein wollen?

Ich lief ein paar Minuten ziellos umher, bis ich mich entschloss, nach draußen zu gehen. Vielleicht brauchte er nur ein wenig frische Luft? Ich zumindest brauchte diese jetzt ganz dringend.

Wie erhofft, fand ich ihn auf dem kleinen Parkplatz, wo die Krankenwagen ihre Patienten ablieferten. Er lehnte an der Wand, das Gesicht gen Himmel. Ich folgte seinem Blick. Dicke Wolken hingen tief und drohten Regen an. Vielleicht auch Schnee.

Ich lehnte mich neben ihn an die Wand, so dicht, dass sich unsere Schultern berührten. Er zuckte zusammen, doch er wich mir nicht aus. Das wertete ich als gutes Zeichen.

»Willst du reden?«, fragte ich leise, dabei stand mir selbst nicht der Sinn nach Gesprächen. Noah antwortete nicht.

Als ich tief durchatmete, bildete mein Atem eine kleine Wolke vor meinem Gesicht.

»Wir können hier weggehen. Irgendwo einen Kaffee trinken, oder so?« Etwas Besseres fiel mir nicht ein? Fehlte nur noch, dass ich anfing über das Wetter zu philosophieren. Aber ich würde es tun, wenn es Noah aus seiner Starre holte!

Noah war immer der Scherzkeks unserer Gruppe gewesen. Ständig ein breites Grinsen im Gesicht, einen frechen Spruch auf den Lippen. Ihn so niedergeschlagen zu sehen, war unwirklich.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er antwortete. »Ich will nicht verpassen, wenn sie aufwacht.«

Ich stieß mich von der Wand ab, stellte mich direkt vor ihn und legte meine Hand auf seine Wange. Langsam senkte er seinen Kopf, sah mich an und irgendwie doch nicht. »Noah, sie wird in den nächsten Stunden nicht aufwachen. Du kannst hier nichts tun. Lass uns gehen.«

Die Erkenntnis nistete sich in meinem Bauch ein, wie ein fester Knoten. Als hätte ich etwas zu Heißes geschluckt.

Fallon würde nicht aufwachen.

Noch nicht, redete ich mir gut zu. Sie war schließlich eine Kämpferin. Sie würde wieder aufwachen. Eine Gehirnerschütterung hielt sie doch nicht auf!

Während ich Noah langsam vom Parkplatz führte, betete ich, dass ich recht hatte.

Abrupt wurden meine Gedanken unterbrochen. Ich wusste nicht, wie wir von hier wegkommen sollten. Ich war mit dem Krankenwagen hierhergekommen und Noah war sicherlich nicht selbst gefahren – oder? Entgegen meiner Mutmaßung griff Noah in seine Hosentasche und reichte mir dann seinen Autoschlüssel. Ein Schlittschuh hing als Anhänger daran, dazu das Emblem der Calgary Sharks.

»Wir reden später darüber«, drohte ich ihm. Betrunken Autofahren war ein absolutes No-Go. Vielleicht war ich nicht die beste Person, um das zu beurteilen. Aber das verschwieg ich ihm und meiner inneren Kritikerin. Ich fühlte mich wach und fit. Mir war nicht schwindlig oder schlecht, ich sah auch nicht doppelt. Es würde zumindest reichen, um mich und Noah gesund nach Hause zu fahren. Oder wohin auch immer.

»Wo hast du geparkt?«

Unbestimmt nickte er in eine Richtung und dirigierte mich etwas ungelenk auf dem Parkplatz umher. Ich drückte mehrmals auf die Funkfernbedienung, um das richtige Auto zu finden, bis die Lichter des Wagens ein paar Meter von uns entfernt aufleuchteten. Die ganze Zeit schwieg Noah. Auch während ich ihn auf den Beifahrersitz verfrachtete und mich hinters Steuer setzte, sagte er kein Wort. Immerhin schnallte er sich selbständig an.

Die ersten Minuten fuhr ich nur durch die Stadt und hatte keine Ahnung, wo ich eigentlich hinwollte. Hauptsache erst einmal weg vom Krankenhaus.

Es war ungewohnt. Die Stille im Wagen. Ich hatte das Radio ausgelassen. Mir war nicht nach Musik. Noah, der normalerweise jede Stille mit seinem fröhlichen Geplapper füllte, schwieg immer noch. Ich war das nicht gewohnt. Weder die greifbare Stille noch sein Schweigen. Es verwirrte mich und ließ mich ein wenig ungeduldig werden. Als könnte ich so die Zeit zwingen, schneller zu vergehen, und als wäre Fallons Diagnose dann nicht mehr so schlimm.

In Wahrheit jedoch machte mich meine eigene Ungeduld nur wütend. Wütend auf die Situation. Auf die Welt. Auf diesen verdammten Autofahrer, der sie einfach hatte liegen lassen. Wären nicht ein paar Partygänger zufällig vorbeigekommen und hätten sie gefunden … Übelkeit wallte in mir auf. Ich schluckte hektisch und konzentrierte mich stattdessen auf die Straße. Wie ich es geahnt hatte, begann es zu regnen. Innerhalb weniger Sekunden war der Asphalt nass. Die Straßenlichter spiegelten sich auf der Fahrbahn. Ich versuchte, die Scheibenwischer anzustellen, aber da dies nicht mein Auto war, hatte ich ein paar Probleme. Noah lehnte sich zu mir herüber und betätigte den Hebel. Augenblicklich fingen die Wischer mit ihrer Arbeit an. Die Sicht wurde nur minimal besser, also reduzierte ich die Geschwindigkeit. Meine Idee, in ein Café zu fahren, verflüchtigte sich so wie die Regentropfen von der Scheibe.

Ich fuhr zu Noahs Haus und parkte in der Einfahrt.

»Wollten wir nicht Kaffee trinken?«

Ich grinste gezwungen, obwohl mir eher nach weinen zumute war. Trotzdem versuchte ich, stark zu sein. Irgendwie hatte ich die Rolle der Beschützerin inne. Bei drei jüngeren Geschwistern blieb nicht viel Zeit, selbst schwach zu sein.

»Ich dachte, das macht zu Hause vielleicht mehr Spaß. Komm, aussteigen.«

Noah folgte mir die Stufen zur Veranda hinauf, überholte mich dann und schloss die Tür auf. Er schaltete das Licht im Flur an und ging direkt rechts in die große Küche. Dort ließ er sich auf der Essbank nieder und schwieg.

Ich folgte ihm und ging zu der modernen Kaffeemaschine, die mich bereits vom puren Ansehen überfordert hätte, wenn ich nicht letztes Jahr mal kurzzeitig in einem Café gearbeitet hätte. Die Maschine dort hatte Ähnlichkeiten mit diesem Ungeheuer hier. Als ich das letzte Mal hier gewesen war, hatten die Kingsburys noch eine altmodische Filtermaschine besessen, die ich im Schlaf bedienen konnte.

Auf der Anrichte neben der Spüle fand ich mehrere abgewaschene Tassen. Ich erkannte die von Fallon auf den ersten Blick: Sie war pink und das ganze Team hatte darauf unterschrieben. Eine ähnliche Tasse hatte auch Noah, nur war seine blau. Mit seiner Tasse ging ich zurück zur Maschine und griff in das Regal darüber, um mir selbst eine Tasse zu nehmen. Ich war oft genug hier gewesen und Carol und Jeff hatten Noahs Freunde so offen aufgenommen, dass wir uns alle hier wie zu Hause fühlten.

Nachdem ich die kleinen pfannenartigen Siebträger mit Kaffee befüllt und zurück in die Halterung gesteckt hatte, drückte ich den Startknopf. Sofort arbeitete die Maschine und brühte den Kaffee heiß auf.

Ich ging zum Kühlschrank und holte die Sahne heraus. Ich trank meinen Kaffee zwar schwarz, aber Noah bevorzugte ihn süß und hell. In der Zwischenzeit hatte das Technikmonster die Tassen gefüllt. Während ich unseren Kaffee fertig machte, schwieg Noah. Ich drehte mich ab und zu um, nur um sicherzugehen, dass er überhaupt noch da war. Zumindest körperlich war er anwesend. Geistig und emotional … Ich war mir nicht sicher.

Ich wartete auf die zweite Tasse Kaffee und tippte nebenbei eine Nachricht an meine Mutter. Sie hatte es wegen meiner Geschwister nicht geschafft, mich aus dem Krankenhaus abzuholen, und ich hatte mit dem Taxi nach Hause fahren wollen. Stattdessen war ich mit Noah gefahren. Sie sollte wissen, wo ich war, damit sie sich nicht noch mehr Sorgen machte. Es reichte, dass ich nicht aufhören konnte, darüber nachzudenken, was mit Fallon passieren würde. Wenn sie aufwachte, wäre sie noch dieselbe? Oder würde sie einen Schaden am Gehirn davontragen? Was wäre, wenn sie Dinge neu lernen müsste, wie sprechen. Oder essen und trinken?

Und wie würde sie darauf reagieren, dass ihr Knie zerstört war? Würde sie wieder zu ihren Eltern nach Hanna ziehen, wenn sie nicht mehr Eishockey spielen konnte? In dem Fall verlor ich meine beste Freundin, oder? Zwischen Calgary und Hanna lagen immerhin fast 225 Kilometer.

Gerade als die Kaffeemaschine fertig war, antwortete meine Mutter und ich steckte das Handy wieder weg, nachdem ich ihre Nachricht gelesen hatte.

Ich stellte den Kaffee vor Noah ab und sofort griff er danach, wärmte sich an dem heißen Porzellan. Verständlich. Mir war auch schon seit Stunden kalt.

Als ich mich neben ihn setzte, zuckte er zusammen. Ich legte eine Hand auf seine Schulter und er ließ sich gegen mich fallen. Es dauerte einen Moment, bis das Beben in seinem Körper bemerkte und es zuordnen konnte. Er weinte.

»O Gott, Noah.« Ich zwängte mich unter seinem muskulösen Körper hervor und zog ihn in eine Umarmung. Sein Kopf blieb an meiner Schulter ruhen, seine Arme legten sich wie von selbst um meine Taille und er zog mich näher. Wahrscheinlich war ihm das nicht einmal klar. Da ich nicht wusste, wie ich ihn trösten sollte, strich ich ihm einfach über den Rücken. Keine Worte der Welt hätten seinen Kummer mildern können. Oder meinen. Also versuchte ich es gar nicht erst. Vielleicht wäre es gut, wenn wir uns einen Moment lang der Trauer hingaben. Nur ein paar Minuten, in denen wir weinten und uns die schrecklichsten Dinge ausmalten. Besonders, weil ich wusste, dass ich diesen Zustand nicht lange aufrechterhalten durfte.

Ein paar Sekunden später holte Noah tief Luft und sah mich an. Er war mir so nah, dass ich die Tränen an seinen Wimpern hängen sah. Ohne darüber nachzudenken, strich ich ihm über die Wange. Seine Haut war rau und feucht von seinen Tränen. Sein Blick verschleiert, als würde er mich nicht wirklich wahrnehmen. Er beugte sich noch näher zu mir und ich wusste, ich sollte ihn aufhalten, aber dazu war ich nicht stark genug. Seine Lippen schmeckten nach Alkohol und dem Salz seiner Tränen. Ich leckte darüber, ein leises Stöhnen war seine Antwort. Er vertiefte den Kuss.

Irgendwo in meinem Inneren schrie eine Stimme, dass das hier nicht der richtige Zeitpunkt für diesen Kuss war. Ich ignorierte sie. Was ich hingegen nicht ignorierte, waren seine federleichten Berührungen an meinem Hals. Meinen Schultern. Als seine Finger unter meinen Pullover glitten, hielt ich ihn auf. Sichtlich überrascht sah er mich an. Seine Hände lagen auf meinen Hüften, sie zitterten.

»Das ist nicht der richtige Ort.« Eigentlich hatte ich Zeitpunkt sagen wollen, aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Vielleicht, weil es mir in diesem Moment egal war. Ich hatte mir schon oft genug ausgemalt, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn er mich küsste. Nur lächerliche Teenagerfantasien, die ich niemals in die Tat umgesetzt hätte. Meine Freundschaft zu Noah war mir immer wichtiger gewesen als diese Schwärmerei. Schließlich kannten wir uns mittlerweile lang genug.

Deswegen war ich trotzdem nicht so dumm, auszuschlagen, was er mir gerade anbot.

Er nahm meine Hand und zog mich mit sich von der Bank und aus der Küche. Ich folgte ihm durch den dunklen Flur und die Treppe hinauf. Sein Zimmer war das letzte auf der linken Seite, bevor eine Holztreppe nach oben auf den Dachboden führte. Dort hatte Fallon ihr Zimmer. Wie oft hatte ich oben bei ihr in der ausgebauten Dachkammer übernachtet, mit ihr über die neusten Modetrends geredet und uns über die Lehrer aufgeregt und über die neusten Entwicklungen im Eishockey getratscht. Wer welches Team verließ und wer wo neu anfing, welche Techniken gerade erprobt wurden und was wir als Erstes machten, wenn wir endlich in die Nationalmannschaft kamen. Daran hatte nie Zweifel bestanden. Aber jetzt?

Gott, die Nationalmannschaft! Heute war das Spiel gewesen, das wichtigste Spiel der Saison. Nicht nur, weil es das Finalspiel gewesen war. Heute hatte der Nationaltrainer zugesehen, um eine von uns ins Team zu holen. Leider war ich vorher aus dem Spiel genommen worden und hatte nicht live mitbekommen, dass Fallon es geschafft hatte.

Auf unserer Liste, was wir als Erstes tun würden, hatte jedenfalls nie ein Besuch im Krankenhaus gestanden. Nichts davon fühlte sich gerade richtig an.

Der Gedanke an sie schmerzte.

Ich drückte Noahs Hand fester und wandte den Blick von der Treppe ab. Er verstand meine stumme Bitte und wir betraten sein Zimmer. Es wirkte dieses Mal so anders auf mich, dabei hatte sich nichts verändert. Das breite Bett war ungemacht, etliche Kissen lagen auf der Matratze verteilt. Die Wand hinter dem Bett war dunkelblau. Ich erinnerte mich, wie wir sie alle zusammengestrichen hatten, und dementsprechend chaotisch sah es auch aus. Jeder professionelle Maler würde schreiend davonlaufen. Aber wir hatten an jenem Tag so viel Spaß gehabt. Fallon war in einen Farbeimer getreten und hatte sich die weiße Hose ruiniert. Als wir über sie gelacht hatten, war sie mit dem Pinsel auf uns losgegangen. Am Ende waren wir alle mit blauer Farbe beschmiert.

Wie alt waren wir gewesen? Sechzehn? Irgendetwas in dem Dreh. Carol und Jeff hatten nach unserem Farbdesaster einen Maler engagieren wollen, doch Noah hatte darauf bestanden, die Wand so zu lassen. Ich wäre mittlerweile durchgedreht bei diesem chaotischen Anblick. Mein Zimmer war klar strukturiert, aufgeräumt und hatte sterile weiße Wände.

Auf dem Schreibtisch unter dem Fenster stapelten sich Bücher und Hefter seines Studiums. Offensichtlich hatte er vor dem Spiel noch gelernt. Ich bewunderte seine Entschlossenheit. Vor einem Spiel konnte ich mich auf nichts anderes konzentrieren.

Noah stockte auf der Türschwelle. Ich nahm seine Hand und überließ ihm die Wahl. Meine Entscheidung hatte ich schon in dem Moment getroffen, als er mich geküsst hatte. Ich wollte das hier. Brauchte die Nähe, die er mir anbot, nur um für einen Moment vergessen zu können.

Er lehnte sich gegen den Türrahmen. Sein Daumen zeichnete kleine Kreise auf meinem Handrücken. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus.

Seine Augen waren geschlossen, er atmete schwer. Plötzlich bekam ich doch Zweifel. War er überhaupt nüchtern genug, um bewusst eine Entscheidung treffen zu können? Ich wollte ihn auf keinen Fall ausnutzen.

»Noah?« Ich lehnte mich zu ihm und er zog mich in eine Umarmung. Seine freie Hand lag auf meinem Rücken, strich über meine Hüfte und blieb auf meinem Hintern liegen. Er presste mich enger an sich und ich spürte, dass er das hier genauso wollte, wie ich. Ich holte überrascht Luft, Noah grinste. Er wirkte auf einmal sehr klar. Sein Blick war fokussiert, als er sich vorlehnte, seine Stirn gegen meine lehnte. Unbewusst leckte ich mir über die Lippen. Seine Nähe war überwältigend.

»Du kannst immer noch nein sagen«, murmelte er. »Auch wenn ich mir wünsche, dass du es nicht tust.«

Statt einer Antwort küsste ich ihn. Beinah hektisch stolperten wir durch sein Zimmer, seine Hände überall auf meinem Körper und unter meinem Pullover. Ich griff nach dem Saum seines Pullovers, wollte mehr von ihm spüren. Wir unterbrachen unseren Kuss, zogen die störenden Stoffschichten aus.

Hitze stieg in mir auf. Scham, da ich nur einen unmodischen Sport-BH trug und keine sexy Unterwäsche. Sollte das nicht eigentlich der Fall sein? Schwarze Spitzendessous, die einen wie die Sexgöttin schlechthin fühlen ließen? Im Moment fühlte ich mich eher wie – nun, das Gegenteil eben.

»Was hast du? Sollen wir aufhören?« Er lehnte sich ein Stück zurück, um mir in die Augen sehen zu können. Seine Finger strichen beruhigend über meine Wange, meinen Hals und blieben dann auf meiner Schulter liegen.

Ich schüttelte den Kopf, unsicher, wie ich ihm meine Gefühle erklären sollte. Meine Hände zitterten, als ich mich an seiner Gürtelschnalle zu schaffen machen wollte. Er hielt mich auf.

»Hals, du musst dich nicht zwingen. Wir können jederzeit aufhören.«

»Aber das will ich doch gar nicht!« Aufgebracht warf ich meine Arme in die Luft und trat einen Schritt zurück. Ich drehte ihm den Rücken zu, begegnete meinem eigenen Blick im Spiegel des Kleiderschrankes. Ich wirkte gehetzt. Rote Flecken hatten sich auf meinem Gesicht ausgebreitet. Kein Wunder, dass Noah dachte, er müsse aufhören. So wie ich aussah, hätte ich auch nicht mit mir geschlafen.

»Ich bin eben nicht so hübsch wie andere«, nuschelte ich und verurteilte mich selbst für diese dumme Idee. Ich wusste, mit welchen Frauen Noah sonst verkehrte. Ich war ganz und gar nicht sein Typ. Mein Körper war nicht so weiblich und rund wie die seiner anderen Freundinnen. Ich war eine Sportlerin durch und durch. Auch ohne den einengenden Sport-BH hatte ich keine großen Brüste. Das einzig wirklich Weibliche an mir waren meine langen braunen Haare.

»Was sagst du da?« Noah trat hinter mich. Seine breite Brust hob und senkte sich schnell. Er legte eine Hand auf meinen Bauch. Die Muskeln in seinem Oberarm spannten sich an. »Du bist wunderschön. Ich mag es, wie du dich anfühlst.«

Seine Finger strichen federleicht über meinen flachen Bauch. Zittrig holte ich Luft, während er seine Erkundungstour über meine Taille fortsetzte. Ich zuckte zusammen und wich ihm aus. »Das kitzelt.«

Grinsend kam er wieder näher, streckte die Hand nach mir aus und begann, mich damit zu ärgern. Lachend wich ich zurück, bis ich mit den Kniekehlen gegen die Bettkante stieß und rücklings auf das Bett fiel. Noah schob sich über mich.

»Ich frage mich, wo du noch kitzlig bist«, raunte er, während er seine Finger beinah suchend über meinen Körper gleiten ließ. Er strich über den Stoff meines BHs und mein Körper reagierte prompt.

Sein Kuss ließ mich meine Unsicherheiten vergessen. In diesem Augenblick zählten nur noch er und seine Berührungen.

Vielleicht würde ich morgen ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich mit einem meiner engsten Freunde geschlafen hatte. Vielleicht auch nicht. Aber jetzt in diesem Moment? Da wollte ich nur noch vergessen.

Kapitel2

Noah

Ich wurde schlagartig wach, obwohl ich mich dagegen wehrte. Der Schlaf war so viel angenehmer gewesen. Diesen Zustand des Vergessens wollte ich beibehalten, doch mit einem Schlag kehrten alle Erinnerungen des vergangenen Abends zurück. Und mit ihnen eine schmerzhafte Erkenntnis. Fallon. Ihr Unfall.

Mein Magen verkrampfte sich. Da ich seit gestern Mittag nichts gegessen hatte, gab es nichts, was sich auf den Weg in meine Speiseröhre machen konnte – außer bitterer Magensäure. Ich schluckte mehrmals und atmete tief durch. Allmählich verschwand die Übelkeit, die Magenschmerzen allerdings blieben.

Stöhnend rieb ich mir die Augen. Das helle Sonnenlicht blendete mich. Ich hatte gestern vergessen, die Vorhänge zuzuziehen. Kurz überlegte ich, ob ich aufstehen und den Fehler korrigieren sollte. Aber unter meiner Decke war es so herrlich warm.

Neben mir bewegte sich jemand. Hailey.

Zweite überwältigende Erkenntnis des Morgens: Ich hatte mit meiner besten Freundin geschlafen. Ich war mir ziemlich sicher, dass wir unsere Freundschaft gefährdet hatten. Vielleicht sogar ruiniert. Ich wollte nicht bereuen, was wir getan hatten, dafür war es zu gut gewesen. Nein, mehr als gut. Atemberaubend. Außergewöhnlich.

Ich hatte meine Unschuld schon vor Jahren verloren und seitdem auch nicht gerade abstinent gelebt. Mit keiner Frau hatte es sich jemals so angefühlt.

Ich sah zur Seite, wo sie eingerollt wie eine kleine Katze schlief. Sie trug eines meiner T-Shirts und das verhüllte so ziemlich alles, was darunter lag. Es brachte mein Blut direkt wieder in Wallung. Vermutlich, weil ich genau wusste, was sich unter dem Stoff verbarg. Haileys sportliche Figur hatte mich letzte Nacht mehrmals um den Verstand gebracht. An ihrem schlanken Hals prangte ein Knutschfleck. Seltsamerweise machte es mich stolz, auch wenn ich früher die Jungs und deren Freundinnen für verrückt gehalten hatte, weil sie so etwas machten.

Ich drehte mich auf die Seite, um sie besser ansehen zu können. Ihre langen Haare waren chaotisch auf meinem Kissen ausgebreitet, eine Hand lag unter ihrer Wange. Eigentlich wachte ich nicht neben meinen Freundinnen auf, besser gesagt den Frauen, mit denen ich schlief. Überrascht stellte ich fest, dass es mich bei Hailey überhaupt nicht störte. Im Gegenteil. Sie war mir so vertraut – wie lange kannten wir uns jetzt eigentlich schon? Mein Verständnis für Zahlen ließ mich im Stich. Ich war eindeutig noch nicht wach genug. Es mussten jetzt an die fünf Jahre sein. Mehr oder weniger. Wahrscheinlich eher mehr.

Als Fallon sich damals mit ihrer Teamkameradin Hailey angefreundet hatte, war sie zu einem festen Bestandteil meiner Familie geworden. Hailey und die anderen aus dem Team hingen ständig bei uns herum, so wie meine eigenen Teamkameraden. Meine Eltern liebten es, dass das Haus ständig voll war. Meine Mutter kochte und backte gefühlt die ganze Zeit, obwohl sie ihren eigenen Laden hatte. Es gab immer frisches Obst im Haus und jede Menge Essen. Als wären Fallon und ich nicht schon anstrengend genug, mit unserem zeitintensiven Sport und den teuren Trainingscamps und Ausrüstungen. Und trotz allem hatten meine Eltern alle Teamkameraden immer mit offenen Armen aufgenommen.

Aber nichts ging über diese Dreier-Allianz zwischen Fallon, Hailey und mir. Meine Eltern betrachteten Hailey wahrscheinlich schon als zweite Ziehtochter.

Wir waren damals extra umgezogen, damit ich weiter Eishockey spielen konnte. Damit ich besser werden und meinem Traum nachjagen konnte, Profi zu werden. Und sie hatten Fallon mitgenommen. Einfach so hatten sie die Verantwortung für eine 14-Jährige übernommen. Weil sie Fallon seit Kindheitstagen kannten. Wir waren Nachbarn gewesen, in Hanna. Hatten zusammen auf dem Eis gestanden und den Rest des Tages auch miteinander verbracht. Sie war meine Schwester gewesen, bevor sie offiziell mit uns zusammengezogen war. Meine Vertraute. Meine beste Freundin.

Ich war nie ohne sie gewesen, selbst unsere Trainingscamps fanden am selben Ort statt, weil wir im selben Verein trainierten.

In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass es das erste Mal war, dass ich ohne sie war. Ich konnte sie nicht einmal anrufen oder ihr eine Nachricht schicken. Die Erkenntnis traf mich wie ein Faustschlag in den Magen. Übelkeit wallte erneut in mir auf. Ich schluckte hektisch. Hailey regte sich, als würde sie spüren, dass ich auch wach war. Sie riss die Augen auf und sah mich an. Wieso war mir nie aufgefallen, dass ihre Iris die Farbe von flüssigem Karamell hatten?

Weil ich mir nie die Mühe gemacht hatte, sie lang genug anzuschauen, gestand ich mir ein.

Ich strich ihr eine Haarsträhne von der Wange und ließ meine Hand dort liegen.

»Guten Morgen«, flüsterte sie und senkte den Blick. Schämte sie sich für letzte Nacht? Bereute sie es? Bereute ich es?

Ich horchte in mich hinein und fand keinen Grund, das Zusammensein mit Hailey zu bereuen. Ich hatte den Trost gebraucht, den sie mir angeboten hatte. Sie war nicht unattraktiv und in den letzten Jahren hatte ich ab und zu darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, mit ihr zusammen zu sein. Natürlich war mir unsere Freundschaft immer wichtiger gewesen als das flüchtige Vergnügen. Aber darum war es gestern nicht gegangen. Fallons Unfall hatte uns aus der heilen Welt gerissen, in der wir aufgewachsen waren, und wir hatten nur einander gehabt, um den Schock und den Schmerz zu verarbeiten. Sicherlich hätten wir uns an unsere Familien halten können. Ich wusste, dass meine Eltern immer für mich da waren, doch im Moment waren sie mit ihrer Sorge um Fallon beschäftigt genug. Sie hätten alles stehen und liegen gelassen, um mich zu trösten. Nur könnte ich es nicht ertragen, wenn sie dabei Fallon allein ließen.

Und Haileys Mutter? Sie musste sich noch um drei weitere Kinder kümmern. Keiner von den Erwachsenen würde in diesem Moment begreifen, was uns antrieb und beschäftigte. Wir waren keine kleinen Kinder mehr, wir waren größtenteils selbständig. Wir wussten, wie man Wäsche wusch, sich etwas zu essen kochte und einen Staubsauger bediente. Aber niemand hatte uns je beigebracht, wie man mit so einem Schock umgehen sollte. Umgehen konnte. Gab es da überhaupt ein Patentrezept? Ein Buch vielleicht. Einen Ratgeber? Der hätte mir jetzt wirklich geholfen.

Ich atmete tief durch und konzentrierte mich wieder auf Hailey.

»Ist alles in Ordnung?« Mir gefiel der Gedanke nicht, dass sie es bereuen könnte. Oder, dass ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen wie mir. Die Trauer. Die Hilflosigkeit.

Sie nickte langsam, rutschte dann aber aus meiner Reichweite. Meine Hand fiel kraftlos auf das Kissen.

Ich hörte, wie sich Leute im Haus bewegten. Wahrscheinlich meine Eltern, die – ich schielte auf meinen Wecker – Frühstück machten. Wir konnten nicht mehr als drei Stunden geschlafen haben. Es fühlte sich merkwürdig an, dass an diesem Morgen alles so normal wirkte. Von Hailey abgesehen, die sich gerade fertig anzog. Und Fallon würde auch nicht unten auf mich warten. Sie würde mich nicht damit aufziehen, dass ich morgens länger im Bad brauchte als sie. Sie würde mir auch nicht meine Kaffeetasse reichen, bevor wir uns gemeinsam über das Frühstück hermachten.

Plötzlich wirkte das Sonnenlicht in meinem Zimmer nicht mehr so hell und strahlend. Als hätte jemand den Ton heruntergedreht, nur mit Farben. Die Sättigung. Jemand hatte die Sättigung heruntergedreht.

Das Blau meiner Wand schien blasser zu sein, als es gestern noch gewesen war. Das Chaos auf meinem Schreibtisch lachte mich aus. Wenn ich daran dachte, dass gestern Nachmittag meine größte Sorge die anstehende Prüfung in Wirtschaft gewesen war. Das alles war so unfassbar weit weg im Moment. So surreal. Wie ein anderes Leben.

Ich schüttelte die Gedanken ab und stand ebenfalls auf. Schnell zog ich mir etwas über, bevor Hailey mein Zimmer verlassen konnte. Bevor sie unten meine Eltern traf, wollte ich mit ihr darüber reden, was wir ihnen sagen würden.

Obwohl wir letzte Nacht so vertraut miteinander gewesen waren, breitete sich jetzt eine Beklommenheit zwischen uns aus, die ich mir nicht erklären konnte. Hatte sie letzte Nacht das Gleiche gespürt wie ich? Diese Nähe, die über das normale Maß unserer Freundschaft hinauszugehen schien.

Statt sie danach zu fragen, entschied ich mich, die Situation zu entschärfen.

»Machen wir das hier nicht kompliziert, okay?« Ich fuhr mir unsicher durch die Haare. Keiner von uns hatte wirklich über die Konsequenzen nachgedacht – was es für unsere Freundschaft bedeuten würde. Unseren Umgang miteinander. Oder ob wir es wiederholen wollten. Persönlich hätte ich nichts dagegen. Augenscheinlich hatte ich das nicht richtig rübergebracht, denn Hailey blinzelte mehrmals, als hätte sie mich nicht verstanden.

»Du meinst, weil wir Sex hatten? Wir sind erwachsen, Noah. Kein Grund zur Panik. Ich erwarte nicht, dass du mich heiratest oder so.«

Ihr abweisender Ton irritierte mich, aber bevor ich etwas sagen konnte, war sie an mir vorbei aus der Tür geschlüpft. Ich folgte ihr und holte sie auf der Treppe ein. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, versuchte offensichtlich, das Chaos dort zu ordnen. Aus der Küche hörte ich Geschirr klappern und der Duft von Kaffee, Pfannkuchen und Speck wehte zu uns hoch. Plötzlich bekam ich Angst, was meine Eltern von der Aktion mit Hailey halten würden.

Mein Puls raste. Sie mochten Hailey. Was wenn sie annahmen, dass wir eine Beziehung hatten? Hailey hatte noch nie bei uns übernachtet, ohne dass Fallon dabei gewesen war. Sie schlief dann immer oben bei Fallon. Vielleicht würden meine Eltern denken, dass es auch jetzt so gewesen war. Eigentlich war Hailey noch nie ohne Fallon hier gewesen. Hoffentlich dachten sie, dass Hailey nur hier war, um mich zu unterstützen. Und wie sie das hatte. Letzte Nacht war sie mir eine große Hilfe gewesen …

Igitt, wie das klang. Selbst in meinen eigenen Gedanken.