4,99 €
**Wir hätten nicht lügen sollen** Erins Traum ist wahr geworden: Sie ist Teil der Eishockey-Nationalmannschaft. Doch auch in ihrem neuen Team wird sie als überambitionierte Außenseiterin abgestempelt. Um ihr Image zu verbessern, schlägt sie dem allseits beliebten Trainer Hunter eine Fake-Beziehung vor. Hunter kommt das gerade recht, denn in der heteronormativen Sportwelt ist er noch nicht bereit, sich mit seinem echten Freund zu zeigen. Er hilft Erin, Freundschaften aufzubauen, sie verschafft ihm Zeit. Der Plan könnte aufgehen, wenn da nicht Jackson wäre. Hunters bester Freund, heißer Footballspieler und eine ebenso verbotene wie charmante Versuchung. Denn eine Affäre würde alles zerstören, wofür sie gearbeitet haben ... Was passiert, wenn sie die erste Regel des Fake-Dating bricht und sich in einen anderen verliebt? //Dieser Liebesroman ist in sich abgeschlossen. Weitere Romane um die Eishockey-Mannschaft »Calgary Sharks«: -- Crashed Hopes. Fallon & Cooper -- Crashed Dreams. Hailey & Noah//
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.
Jetzt anmelden!
Jetzt Fan werden!
Solvig Schneeberg
Crashed Secrets. Erin & Jackson
Wir hätten nicht lügen sollen
Erins Traum ist wahr geworden: Sie ist Teil der Eishockey-Nationalmannschaft. Doch auch in ihrem neuen Team wird sie als überambitionierte Außenseiterin abgestempelt. Um ihr Image zu verbessern, schlägt sie dem allseits beliebten Trainer Hunter eine Fake-Beziehung vor. Hunter kommt das gerade recht, denn in der heteronormativen Sportwelt ist er noch nicht bereit, sich mit seinem echten Freund zu zeigen. Er hilft Erin, Freundschaften aufzubauen, sie verschafft ihm Zeit. Der Plan könnte aufgehen, wenn da nicht Jackson wäre. Hunters bester Freund, heißer Footballspieler und eine ebenso verbotene wie charmante Versuchung. Denn eine Affäre würde alles zerstören, wofür sie gearbeitet haben …
Buch lesen
Vita
Danksagung
© Foto Studio Carl
Solvig Schneeberg studierte Literaturwissenschaften in ihrer Heimatstadt Erfurt, bevor sie beschloss, sich einzig dem Schreiben zu widmen. Bereits in jungen Jahren entdeckte sie die Liebe zum geschriebenen Wort und fing bald an, ihre eigenen Geschichten aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Sie ist eine verträumte Romantikerin, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ihr ganzer Fokus auf Fantasy- und Liebesromanen liegt. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, einem Hund und den Katzen lebt sie am Waldrand von Weimar.
FürSteffen, die Liebe meines Lebens.Du gibst mir die Kraft, die ich brauche.
Liebe*r Leser*in,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.
Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Solvig Schneeberg und das Impress-Team
Am Ende wird alles gut und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.
Dunkelheit. Dunkelheit und Stille empfingen mich, als ich an diesem Abend nach Hause kam. Die Villa lag verlassen am Ende der langen Einfahrt und nur die Außenbeleuchtung erhellte die Umgebung. In keinem der vielen Zimmer brannte noch Licht. Niemand war mehr wach. Wieso hätte jemand aus meiner Familie auch darauf achten sollen, wann ich nach Hause kam? Oder ob.
Fröstelnd zog ich den Kopf ein, versteckte mich im Kragen meiner Jacke.
Ob.
Ich dachte an Fallon, meine Erzrivalin im Eishockeyteam der Calgary Sharks.
Fallon, die heute die Zusage für die Nationalmannschaft erhalten hatte und gerade im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte. Sie war vor wenigen Stunden von einem Auto angefahren worden. Auf dem Heimweg von der Siegerparty, auf der ich ebenfalls gewesen war, obwohl niemand auf mich geachtet hatte. Das taten sie nie. Das Team verließ sich auf meine Fähigkeiten, aber für mehr war ich nicht gut genug.
Ich war kurz nach Fallon aufgebrochen und hatte gesehen, wie sich Polizei und Rettungswagen an der Unfallstelle versammelt hatten. Der Anblick war ein Schock gewesen. Das Blut auf dem Asphalt, der Turnschuh, der auf dem gegenüberliegenden Gehweg lag. Das zersplitterte Handy ein paar Meter entfernt, wo ein Polizist ein kleines Schildchen hinstellte, um es als Beweismittel zu kategorisieren.
Als ein Foto mit Blitzlicht gemacht wurde, war ich zusammengezuckt. Es hätte mich treffen können, wenn ich nur ein paar Minuten früher losgegangen wäre. Diese Erkenntnis hatte meinen Schock nur verstärkt und half nicht wirklich, mich vom Ort des Geschehens zu entfernen.
Ich hatte mit den anderen Schaulustigen hinter einer provisorischen Absperrung gestanden und auf den Unfallort gestarrt. Hatte beobachtet, wie Sanitäter eine regungslose Person auf eine Trage gehoben und sie in den Krankenwagen gebracht hatten. Eine Hand war kraftlos von der Bahre gerutscht und grotesk umher gebaumelt. Feingliedrige Finger, blutbeschmiert. Der Sanitäter hatten sie wieder hochgehoben und auf den regungslosen Körper gelegt. Kurz darauf war der Krankenwagenlosgefahren, mit Blaulicht und Sirenen. Dann erst hatte ich gesehen, wer noch da gewesen war.
Noah. Fallons bester Freund. Er hatte hinter dem Krankenwagen gestanden, deshalb hatte ich ihn zuerst nicht gesehen. Und ich wünschte, ich könnte dieses Bild verdrängen. Er wirkte vollkommen am Boden zerstört. Seine Sachen waren ebenfalls voller Blut, das Gesicht tränenverschmiert.
Die zweite harte Erkenntnis innerhalb weniger Minuten: Ich kannte das Opfer. Fallon. Bisher hatte sich mein Verstand geweigert, meine Teamkameradin in der regungslosen Person auf der Trage zu erkennen.
Fassungslos hatte ich ihn angestarrt, unfähig mich zu bewegen. In meinem Kopf rasten die Gedanken. Bilder überschlugen sich und waren abrupt zum Stehen gekommen, als Noah in ein dunkles Auto gestiegen war. Die Innenbeleuchtung war kurz angegangen und hatte das Gesicht seines Vaters beleuchtet. In einem anderen Wagen erkannte ich Noahs Mutter. Natürlich. Seine Eltern würden immer kommen, wenn er sie anrief.
Jetzt stand ich vor der Eingangstür der riesigen Villa, in der ich wohnte. Ich war hierher gelaufen, hatte fast eine Stunde gebraucht, aber niemals wäre ich auf die Idee gekommen, meinen Vater anzurufen, um ihn zu bitten, mich abzuholen. Er hätte den Anruf wahrscheinlich nicht einmal angenommen. Und ich hatte nicht genug Geld für ein Taxi dabei gehabt.
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und das leise Piepen der Alarmanlage durchbrach die schwere Stille. Ich gab den Code ein, schlagartig war es wieder ruhig und das kleine grüne Licht blinkte ordnungsgemäß.
Leise ging ich die breite Treppe nach oben. Meine Stiefel waren nass und ich rutschte mehrmals auf dem eleganten Marmor aus. Morgen würde meine Stiefmutter einen riesen Aufriss wegen der dreckigen Schuhabdrücke machen, das wusste ich. Das hinderte mich trotzdem nicht daran, weiterzugehen. Schließlich war nicht Karen diejenige, die das Haus putzte, das war unter ihrer Würde. Nein, dafür hatten wir Jill, eine Putzfrau. Das schlechte Gewissen meldete sich. Ich verursachte nicht gerne Probleme. Also für Karen schon, aber nicht für Unbeteiligte wie Jill.
Seufzend hielt ich mich am Geländer fest und zog umständlich die Schuhe aus. Auf Socken schlich ich weiter. Oben wandte ich mich nach rechts, wo meine kleine Schwester Yvette und ich unsere Zimmer hatten. Mein Vater und Karen bewohnten ein riesiges Schlafzimmer auf der anderen Seite des Hauses. So weit weg wie möglich von uns Kindern.
An Yves Zimmer hielt ich kurz an, ihre Tür stand einen Spaltbreit offen und ihr Nachtlicht leuchtete in den Flur. Sie war mit ihren acht Jahren eigentlich schon zu alt dafür, aber ich hatte mich durchgesetzt, dass sie es behalten durfte, als Karen es wegwerfen wollte.
Vorsichtig öffnete ich die Tür ein Stück weiter und sah ins Kinderzimmer. Yvette lag in einem riesigen Himmelbett, dessen rosa Vorhänge zum Rest der Ausstattung passten. Der gesamte Raum war ein wahr gewordener Prinzessinnentraum. Die Stofftapete war nicht nur hellrosa, sondern auch mit Glitzerfäden durchzogen. Der flauschige Teppich hatte dieselbe Farbe. In der Ecke stand ein riesiges Puppenhaus, dem Original nachempfunden, in dem wir wohnten. Selbst die Möbel darin waren aus Echtholz statt aus Plastik. Nur das Beste für Yvette.
Ich wäre froh gewesen, in ihrem Alter überhaupt eine billige Plastikpuppe zu besitzen. Ich gönnte Yve diesen Luxus. Sie war verwöhnt, ja, aber keinesfalls verzogen. Nicht sehr zumindest, gestand ich mir grinsend ein und zog mich wieder in den Flur zurück.
In meinem Zimmer empfing mich das komplette Gegenteil zu Yvette.
Meine Wände waren weiß, ich hatte einen hellen Holzfußboden und simple Möbel ohne Schnörkel oder Verzierungen. Auf dem Bett lagen nicht fünf Kopfkissen, sondern nur zwei. Die Bettwäsche war schwarz, hatte keine Muster. Ich hatte auch nicht Dutzende Poster an den Wänden. Bei mir hingen lediglich mein Trainingsplan und Autogrammkarten von Leon Draisaitl und Meghan Acosta über dem Schreibtisch. Mehr nicht. Wenn diese persönlichen Dinge nicht wären, könnte dieses Zimmer so ziemlich jedem gehören. Außer natürlich meiner kleinen Schwester.
Ich warf meine Stiefel in die Ecke, in der sich auch die Turnschuhe stapelten. Ich hatte ein kleines Schuhregal, aber ich schaffte es einfach nicht, Ordnung zu halten. Deshalb landeten sie prinzipiell in der Ecke hinter der Tür. Meine Stiefmutter hatte es längst aufgegeben, mich dahingehend erziehen zu wollen. Gott sei Dank. Ihr ewiges Genörgel war mir mächtig auf die Nerven gegangen, nur nicht genug, um zu tun, was sie von mir verlangte.
Müde zog ich mich um und fiel ins Bett. Eigentlich hatte ich erwartet, schnell einschlafen zu können. Der Tag war körperlich und emotional anstrengend gewesen, doch Fallons Unfall ging mir nicht aus dem Kopf. Wir waren keine Freundinnen, so etwas hatte ich nicht, aber ich respektierte sie und ihre sportlichen Leistungen. Sie hatte mich immer inspiriert, mich selbst zu verbessern. Um sie zu übertrumpfen. Ich hoffte, sie würde schnell wieder gesund werden. Vielleicht hatte es nur schlimmer ausgesehen, als es war. Der blutige Asphalt blitzte vor meinem inneren Auge auf. So viel Blut.
Kopfschüttelnd drehte ich mich auf die Seite und starrte die Wand an, nur wollte mir das Bild nicht aus dem Kopf gehen. Ich kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Zählte bis zehn. Bis zwanzig. Statt des Unfallorts sah ich jetzt die Eishalle vor mir und Fallon, die lachend zwischen den anderen stand. Lebendig und unverletzt. So wie ich sie kannte. Nicht die leblose Person, die in den Krankenwagen geschoben wurde.
Angespannt drehte ich mich auf den Rücken. Ich wollte nicht darüber nachdenken, mich nicht erinnern. Das war einfach zu viel für mich. Zu viel Fassungslosigkeit, zu viel Schmerz, zu viel … Alles. Ich wollte nur noch schlafen und morgen würde die Welt dann bestimmt schon ganz anders aussehen. Richtig? Es brachte jetzt nichts, darüber nachzudenken, was passiert war oder welchen Folgen der Unfall haben würde. Egal wie viele Gedanken ich mir machte, am Ende würde ich keine Lösung haben.
Seufzend drehte ich mich zurück auf die Seite und rollte mich ein, die Knie bis an die Brust gezogen, und schloss die Augen.
***
Ich hatte nicht damit gerechnet, am nächsten Morgen eine Nachricht zu Fallons Zustand zu erhalten – okay, hatte ich doch. Anders konnte ich mir diesen schmerzhaften Stich in meiner Brust nicht erklären, weil mein Handy weder SMS noch Anruf anzeigte. Noch während ich im Bett lag, wählte ich Haileys Nummer. Sie war Fallons beste Freundin und hatte bestimmt Neuigkeiten. Aber sie ging nicht ran. Als ich die nervig-fröhliche Mailboxansage hörte, legte ich auf und tippte eine Nachricht an sie. Wenige Minuten später war ich auf dem neusten Stand. Auch wenn es nicht die Neuigkeiten waren, die ich erhofft hatte.
Fallon lag im Koma. Die Ärzte wussten nicht, wann und ob sie wieder aufwachen oder welche Schäden sie davon tragen würde.
Ich bat Hailey, mich auf dem Laufenden zu halten, dann stand ich auf. Yvette und ich teilten uns ein Bad und meine Schwester hatte offensichtlich schon eine Schaumbad-Schlacht in der Wanne veranstaltet. Die Fliesen waren nass und sogar der Spiegel auf der anderen Seite des Raums hatte pinken Badeschaum abgekriegt. Vorsichtig, damit ich nicht ausrutschte, manövrierte ich mich durch das Chaos, um mich zu waschen und Zähne zu putzen. Aus dem Nachbarzimmer hörte die hundertste Wiederholung von Yves derzeitigem Lieblingshörspiel. Zwei jugendliche Hexen, die ihre Familien mit magischen Scherzen und Streichen auf Trab hielten. Ich fand es wahnsinnig nervig, aber solange Yve glücklich war.
Ich verzichtete darauf, sie mit zum Frühstück nach unten zu nehmen. Sie würde erst ihre Geschichte zu Ende hören wollen und Theater machen, wenn ich etwas anderes verlangte. Dafür fehlten mir heute die Nerven. Karen würde ihre Tochter schon noch früh genug nach unten rufen.
Ich zog mir meinen Trainingsanzug an, weil ich nachher noch Joggen gehen würde, und ging in die Küche. Die Höhle des Löwen, sozusagen. Denn Karen war schon wieder in Höchstform. Die arme Jill hatte meine Stiefelspuren der letzten Nacht offenbar nicht schnell genug beseitigt und wurde daher gerade von meiner Stiefmutter ausgeschimpft.
»Das war meine Schuld!« Ich betrat die Hochglanzküche, die größer war als mein und Yves Zimmer zusammen. Unnötige Platzverschwendung.
Karen stand mit dem Rücken zu mir und drehte sich bei meinen Worten um. Sie steckte in einem edlen Chanel-Kostüm, eine Perlenkette um den Hals, perfekt manikürte Fingernägel und aufgesteckte Haare. Die Karikatur einer traditionellen Ehefrau eines reichen Mannes. Dabei war sie früher eine aufstrebende Karrierefrau gewesen. Luxusmaklerin. Allein ihre Provision für ein Haus überstieg schon manches Jahresgehalt. Weil mein Vater auch Makler war, weitaus weniger erfolgreich, hatten sie sich kennengelernt. Und verliebt. Mit Yves Geburt hatte sie sich aus ihrer eigenen Firma zurückgezogen und meinem Vater die Geschäftsführung überlassen.
»Wie bitte?«
Hinter ihr sah mich Jill mitleidig an. Sie hätte den Ärger für meinen Fehler eingesteckt, ohne sich zu beschweren oder mir anschließend böse zu sein. Weil sie Karen ebenso verachtete wie ich.
»Ich bin letzte Nacht spät nach Hause gekommen.«
Karen verdrehte die Augen. »Das ist nun wirklich nichts Neues.«
Richtig. Ich blieb so lange wie möglich weg, beim Training, um nicht hierher zurückkommen zu müssen. Das war etwas, was Karen an mir verabscheute. Neben so vielen anderen Dingen.
»Ich habe vergessen, die Schuhe auszuziehen und deshalb die Stufen dreckig gemacht.«
Sie überlegte. Ich sah, wie sie mit dem Kiefer mahlte, auf der Suche nach einem Argument. Und sie fand es.
»Dennoch ist es ihre Aufgabe, das Haus sauber zu halten.«
»Sie ist erst seit einer halben Stunde hier«, hielt ich dagegen. »So schnell kann sie nun wirklich nicht arbeiten.«
»Dann brauchen wir wohl eine jüngere Putzfrau. Eine, die zügiger arbeitet.«
Das konnte sie unmöglich ernst meinen! Jill war erst vor ein paar Wochen vierzig geworden.
»Das wird nicht nötig sein, Ma’am.« Jill trat vor, die Hände ineinander verschränkt. »Ich werde in Zukunft sorgsamer arbeiten.«
Karen grinste überheblich. Sie hatte ihren Willen bekommen. Für sie wäre es absolut akzeptabel gewesen, eine neue Putzfrau einzustellen, aber es würde Zeit brauchen, sie einzuarbeiten, und wahrscheinlich wäre der Stundenlohn höher als das, was Jill gerade bekam. Außerdem kannte Jill unser Haus und die Abläufe bereits. Und jetzt würde sie noch mehr arbeiten, für den gleichen Lohn.
»Setz dich zu uns, Erin. Dein Vater und ich möchten mit dir reden.« Ohne darauf zu achten, ob ich ihr in das opulente Esszimmer folgte, ging sie mit klappernden High Heels voraus.
»Tut mir leid, Jill. Wirklich.« Ich kam näher und nahm ihre Hand. Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht deine Schuld. Sie hätte einen anderen Grund gefunden und noch mehr Drama konstruiert.« Sie sah über ihre Schulter zum Esszimmer. »Jetzt geh lieber, ehe sie -«
»Noch mehr Drama konstruiert?«, wiederholte ich ihre Worte. Sie lächelte kurz und nickte. Seufzend fügte ich mich meinem Schicksal.
Mein Vater saß an der Stirnseite des langen Mahagonitischs, eine aufgeschlagene Zeitung vor dem Gesicht. Rechts von ihm saß Karen, die mit einem kleinen Silberlöffel eine halbe Grapefruit aushöhlte.
»Ihr wolltet mit mir reden?« Ich setzte mich auf meinen angestammten Platz. Links von meinem Vater, aber zwei Stühle entfernt. Direkt neben ihm saß sonst Yvette.
Es raschelte, als mein Vater die Zeitung zusammenfalte und dann beiseitelegte. Über den Rand seiner schmalen Brille sah er mich streng an.
»Du hast den Platz in der Nationalmannschaft also nicht bekommen.«
Ich schwieg. Es war immerhin keine Frage gewesen.
»Du weißt, was das bedeutet?«
Das war eine Frage, auf die ich nicht antworten musste. Natürlich wusste ich, was das bedeutete. Nicht nur, dass mein Traum zerstört war – danke für das Mitgefühl, Dad – es hieß auch, dass ich ausziehen würde. Dass ich auf das College gehen musste, das Karen für mich ausgesucht hatte, um aus mir eine einigermaßen akzeptable Frau der Gesellschaft zu machen. Dass ich nicht lachte. Aber leider hatte ich diesen Bedingungen zugestimmt, als Karen mir Eishockey verbieten wollte.
Nationalmannschaft oder ein reines Frauencollege.
Mein Vater hatte sich aus der Diskussion herausgehalten, dabei war er derjenige, der meine Liebe für den Sport erst geweckt hatte. Als ich sechs gewesen war, hatte er mich zu einem Spiel mitgenommen, wo ich anschließend das erste Mal auf dem Eis gestanden hatte. Danach hatte er alles Mögliche unternommen, um mich zum Training schicken zu können. Er hatte hart gearbeitet, Überstunden gemacht und jeden Cent für mich zur Seite gelegt. In der Junior High kam ich in ein Förderprogramm, weil ich so talentiert war, und er konnte endlich etwas durchatmen. Zu dem Zeitpunkt hatte er auch Karen kennengelernt, die finanziell weit besser dastand, als ein alleinerziehender Vater. Sie wollte meinen Sport sofort unterbinden, weil das einem Mädchen nicht würdig war. Einzig das Förderprogramm hielt sie davon ab. Als ich meinen Abschluss hatte und das Programm auslief, ließ sich Karen zu einem Kompromiss herab. Sie finanzierte mein Hobby, wie sie es nannte, bis ich erkannte, dass es eben nicht mehr war als das. Und der Moment war jetzt gekommen.
Karen legte den Löffel weg und tupfte sich mit der roten Stoffserviette den Mund ab. »Ich habe bereits mit der Dekanin gesprochen.«
Schon? Es war kurz vor acht! Arbeitete die Dekanin überhaupt um diese Uhrzeit? Oder war das ein inoffizieller Anruf gewesen, weil sie Freundinnen waren?
»Du wirst im Herbstsemester an der Schule für wohlerzogene junge Damen beginnen. Deine Unterbringung im Wohnheim ist natürlich auch schon geregelt.«
Selbstverständlich. Sie hatte an alles gedacht. Wahrscheinlich konnte sie es kaum erwarten, mich loszuwerden. Sie liebte meinen Vater, auf ihre eigene Art jedenfalls, aber ich war seit jeher ein Störenfried. Nicht ihre Tochter. Nicht gut genug erzogen. Sie hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass sie für mich nie die Mutterrolle übernehmen würde, egal wie sehr ich es mir gewünscht hatte. Dad war ihr verfallen und sie hatte mich nie misshandelt, weshalb er nicht eingegriffen hatte. Sie hatte mich nur nicht geliebt.
»Für das erste Jahr werden wir dir ein angemessenes Taschengeld bereitstellen.« Karen sah kurz zu meinem Vater, bevor sie weitersprach. »Du sollst dich schließlich auf deine Studien konzentrieren.«
Ich wusste, was das für Studien waren. Einiges klang natürlich interessant wie Politik, aber ich hatte keine Lust auf Kurse, in denen man mir beibrachte, wie Blumen kunstvoll arrangiert wurden. Ikebana hieß das, glaube ich. Aber so wie es aussah, war das meine Zukunft. Sie wollte, dass ich eine annehmbare Ehefrau wurde und in eine gute Familie einheiratete. Es würde nämlich auf sie und ihre Erziehung zurückfallen, sollte ich mich nicht standesgemäß zu benehmen wissen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn sie bereits ein paar geeignete Heiratskandidaten für mich im Auge hatte. Sie würde mich nicht zwingen, gegen meinen Willen eine Ehe einzugehen, wir lebten schließlich nicht mehr im 18. Jahrhundert. Allerdings bezweifelte ich nicht, dass sie sehr überzeugend sein würde, falls ich mich weigerte.
Aus der Küche schrillte das Telefon. Wir zuckten alle zusammen, so dicht war die Stille zwischen uns gewesen. Wenige Augenblicke später kam Jill ins Zimmer und reichte mir den Hörer.
Gott, wusste sie denn nicht, dass es der falsche Zeitpunkt war?! Dad und Karen mochten keine Unterbrechungen. Mal davon abgesehen, dass ich keine Ahnung hatte, wer mich überhaupt anrufen würde.
»Coach Baker«, sagte sie leise, beinah ehrfürchtig. Der Cheftrainer der Nationalmannschaft.
Mit zitternden Händen nahm ich den Anruf entgegen, der mein Leben verändern würde.
***
Ich war die Letzte, die an diesem Abend die Eishalle betrat. Das restliche Team der Calgary Sharks war bereits versammelt. Ich wusste, dass heute kein normales Training stattfand, deshalb hatte ich nicht damit gerechnet, sie überhaupt hier anzutreffen. Und doch saßen sie alle hier wie die Hühner auf der Stange und starrten mich an. Coach Tanner seufzte.
»Was guckt ihr denn alle so blöd?«
Ich spürte ihre giftigen Blicke, als ich mir die Schlittschuhe anzog.
»Ich werde euch nicht mehr lange auf die Nerven gehen, dachte deshalb, ich komm heute noch mal vorbei.«
»Was meinst du?« Caty, unsere Torhüterin wischte sich ihre verschnupfte Nase an ihrem Ärmel ab. Es war offensichtlich, dass sie geweint hatte, so wie viele andere auch. Ich grinste schief, weil es unansehnlich war.
»Erin wird Fallons Platz im Team Canada einnehmen«, erklärte der Coach leise.
»Dein Ernst?« Wütend sprang Caty auf und sie war nicht die Einzige. Vermutlich wäre sie auf mich losgegangen, hätte Hailey sie nicht festgehalten. In der aufgeheizten Situation hatte es keinen Sinn, mit ihnen zu reden. Also ging ich aufs Eis. Das beruhigte mich immer. Und etwas Ruhe in meinem Inneren konnte ich gut gebrauchen. Der Anruf von Coach Baker heute Morgen hatte mich aufgewühlt. Innerhalb weniger Minuten hatte er mein Leben auf den Kopf gestellt. Wieder einmal. Das erste Mal, als er Fallon ins Team geholt hatte und jetzt, weil er mich an ihrer Stelle in die Nationalmannschaft holte.
Auf der Tribüne entbrannte eine hitzige Diskussion, was mir nur bestätigte, dass ich nicht normal mit ihnen reden konnte. Nicht im Moment. Wahrscheinlich nie.
Ich kam gerade auf Höhe der Bank an, als ich Joans Stimme hörte.
»Also wird Fallon wieder gesund?«
Augenblicklich hielt ich an und lehnte mich an die Bande. Ich sah zu Hailey. Hatte sie mir doch nicht alles erzählt? Ich könnte es ihr nicht mal verübeln.
Coach Tanner sah zu Boden. »Ich weiß es nicht. Als ich vorhin das Krankenhaus verlassen habe, gab es noch keine neuen Informationen.«
War mir klar, dass er bei seiner Starspielerin geblieben war. Wahrscheinlich war er die ganze Nacht dort gewesen. »Sie hat eine starke Kopfverletzung, deshalb ist sie noch nicht aufgewacht. Das größte Problem ist aber das Knie.« Er räusperte sich, als wüsste er mehr. »Wir werden abwarten müssen.«
Nichts davon war neu für mich. Genau das hatte Hailey mir auch schon gesagt. Ich wandte mich ab und drehte weiter meine Runden.
Ihr Knie, überlegte ich. War es wirklich so schlimm? Was, wenn es so stark verletzt war, dass sie nie wieder Eishockey spielen konnte? Sie war eine leidenschaftliche Spielerin, sehr gut und talentiert. Sie war – wie ich. Nur mit Freunden. Aber ich wusste, dass der Sport ihr Leben war. Ich stellte mir vor, wie ich reagieren würde … Wenn ich nie wieder auf dem Eis stehen könnte … Die Welt würde für mich zusammenbrechen! Gestern dachte ich noch, ich müsste meinen Traum aufgeben, aber ich war gesund. Ich hätte jederzeit spielen können. Aber bei Fallon sah es wohl anders aus. Selbst wenn sie aus dem Koma erwachte, wäre sie körperlich überhaupt in der Lage …?
Meine Gedanken drehten Kreise, so wie ich auf dem Eis. Anstatt mich zu beruhigen, wurde ich nur gestresster. Ich unterbrach mein Training und fuhr zurück zur Bande. Der Coach warf mir einen mitleidigen Blick zu, bevor er die Halle verließ, auf dem Weg in sein Büro. Ich würde mich nachher von ihm verabschieden, wenn ich meine restlichen Sachen aus der Umkleide holte.
Schweigend starrten mich meine Teamkameradinnen an. Meine ehemaligen Teamkameradinnen. Ihre Abneigung war förmlich greifbar. Na gut, das würde ich noch ein paar Minuten aushalten.
Nacheinander standen sie auf und verließen geschlossen die Halle. Deutlicher hätte es nicht sein können. Wahrscheinlich hätten sie mich auch so behandelt, wenn ich gleich gestern in die Nationalmannschaft gekommen wäre. Keine von ihnen freute sich für mich und jetzt spielte zusätzlich ihre Sorge um Fallon mit hinein.
Seufzend zog ich meine Schlittschuhe aus und ging in den hinteren Teil der Halle, wo die Umkleiden und Trainingsräume waren. Die Tür zu Coach Tanners Büro stand offen, aber ich räumte erst meinen Spind leer. Im Gegensatz zu den anderen hingen bei mir keine Bilder oder Glücksbringer an der Tür. Ich war hier, um zu trainieren und Spiele zu gewinnen, nicht um niedliche kleine Bärchen anzuhimmeln. Und wieso brauchte man Fotos von seinen Freunden an der Innenseite der Spindtür? Die spielten alle in einem Team, da wurde schließlich keine vergessen oder ignoriert.
Ich packte meine Sachen und legte mein Trikot der Calgary Sharks auf die Bank, zusammen mit allem, was zu meiner Ausrüstung gehörte. Ein wenig wehmütig war ich schon. Ich hatte fast drei Jahre hier gespielt und diese Zeit war jetzt einfach vorbei. Ganz ohne großen Abschied. Wenn es Fallon gewesen wäre, hätten die Mädels eine riesige Party veranstaltet.
Mh, da war wohl mehr als Wehmut. Ein kleiner Stich der Eifersucht. Einsamkeit.
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab. Das waren unnötige Gefühle und sie brachten mich nicht weiter. Ich hatte die Chance, neu anzufangen. Darauf musste ich mich konzentrieren.
»Erin?«
Überrascht drehte ich mich um. Coach Tanner lehnte im Türrahmen. Wie lange hatte er mich schon beobachtet?
»Ja?« Ich schulterte meine Sporttasche, bereit, jederzeit zu gehen.
Der Coach seufzte. »Das ist nicht der Abschied, den du verdient hast.«
Doch, war es. Und das wusste er. Aber ich rechnete es ihm hoch an, dass er log, um mir ein besseres Gefühl zu geben.
»Du bist eine tolle Spielerin und du hast deinen Platz in der Nationalmannschaft verdient.«
»Dann hätten sie mich gleich geholt.« Mist, das hatte ich nicht zugeben wollen. Ich klang wie ein bockiges Kind. »Oder sie hätten mich für das Trainingscamp im Sommer eingeladen, so wie Hailey.«
Konnte mir mal jemand den Mund zuhalten? Ich wollte nicht verbittert klingen, aber das gelang mir nicht. Ich hatte gestern Abend auf der Siegesfeier gehört, dass sie einen Platz im Sommercamp erhalten hatte. Mir hatte man das nicht angeboten. Es hatte geheißen, entweder Fallon oder ich. Hailey hatten sie für gut genug gehalten, ihr trotzdem eine Chance zu geben. Ich war aus dem Rennen gewesen, als sich die Trainer für Fallon entschieden hatten. Dass sie mich jetzt doch in die Mannschaft holten, lag nur daran, dass Hailey noch nicht gut genug war. Ich war nicht einfach nur zweite Wahl nach Fallon. Ich war die einzige Wahl.
»Du erhältst hier eine großartige Chance, Erin. Nutze sie.«
Wieso hatte ich das Gefühl, dass er mehr meinte als nur den Sport?
»Danke. Für alles«, fügte ich hinzu. Er nickte nur und ging dann zurück in sein Büro. Dieses Mal schloss er die Tür. Noch eine eindeutige Nachricht. Ich ließ mich nicht zweimal bitten und verließ die Eishalle.
***
Ein paar Tage später stand ich vor dem Olympic Oval. Der einzigen Eishalle in Calgary, die ganzjährig Eis hatte. Und der Ort, wo die Nationalmannschaft trainierte.
Wieso traute ich mich denn nicht rein? Das hier war schließlich mein Traum.
Seit meiner frühsten Kindheit hatte ich darauf hingearbeitet, mein Ziel zu erreichen. Hatte alles um mich herum ignoriert und mich nur auf den Sport fokussiert. Meine Freizeit hatte ich nur in der Eishalle verbracht, die Schule nur so weit ernst genommen, dass ich nicht durchfallen würde und meine gesamte Energie dafür verwendet, in die Nationalmannschaft zu kommen.
Und jetzt war es endlich soweit und ich traute mich nicht, diese verdammte Halle zu betreten!
Helles Gelächter hinter mir ließ mich zusammenzucken. Überrascht drehte ich mich um. Drei junge Frauen kamen den Gehweg entlang, alle in den Trikots der Nationalmannschaft und mit schweren Sporttaschen auf den Schultern.
Lina Henderson, Stürmerin, lief links, ihre blonden Haare zu einem unordentlichen Dutt hochgesteckt. Sie hatte 2022 mit der Mannschaft Gold geholt. Neben Meghan Acosta war sie mein größtes Vorbild.
In der Mitte erkannte ich Valerie Collins, ebenfalls eine Stürmerin und eine der Kleinsten im Team. Ihre langen braunen Haare hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten. Eigentlich hätte es kindisch wirken müssen, aber das tat es nicht. Sie war ebenfalls Teil der Mannschaft gewesen, die Gold geholt hatte. Kelly Smith gehört auch zu den Olympiasiegern und wurde außerdem in der letzten Saison zur Torhüterin des Jahres ernannt. Alle drei flößten mir eine gehörige Portion Respekt ein.
Kelly bemerkte mich als Erste. Ein paar Schritte von mir entfernt blieben sie stehen und sahen mich abschätzig an.
»Du bist Erin, oder?«
Wer denn sonst? Ich schluckte meinen bissigen Kommentar runter.
»Ja, genau die.« Ich streckte die Hand aus, um sie zu begrüßen, aber keine von ihnen erwiderte diese Höflichkeit.
»Ich weiß, ihr habt mit Fallon gerechnet -«, begann ich, unsicher, wie ich den Satz beenden sollte.
»Man kann eben nicht alles haben.« Valerie zuckte mit der Schulter. »Komm, gehen wir rein, bevor wir zu spät kommen.«
Das war nicht unbedingt der warme Empfang, auf den ich gehofft hatte, aber wenigstens scheuchten sie mich nicht direkt vom Hof. Sicherlich kannten sie meinen Ruf aus dem alten Team und wie wenig beliebt ich dort gewesen war. Vielleicht waren sie auch nur skeptisch mir gegenüber, weil sie sich auf Fallon gefreut hatten.
Diese Frau wollte ich nicht mehr sein. Coach Baker hatte recht. Ich hatte hier die Chance, neu anzufangen. Bei den Sharks war es zu spät gewesen, ihre Meinung über mich zu ändern. Ich war zu lange das Miststück gewesen. Aus Angst, dass sie mich ablehnten, war ich ihnen fern geblieben und hatte sie von mir gestoßen. Diesen Fehler würde ich nicht wiederholen.
Ich folgte ihnen in die Halle und blieb abrupt stehen. Es war das erste Mal, dass ich das Olympic Oval betrat. Diesen Eindruck wollte ich aufsaugen, in mein Gedächtnis brennen, damit ich ihn nie wieder vergessen würde. So wie den Anblick von Fallons regungslosem Körper.
Halt! Nicht nachdenken. Nicht darüber.
Vor mir führte eine Treppe nach oben, auf einen Absatz, von dem rechts und links weitere Stufen abgingen und in die unterschiedlichen Teile der Halle führten. Rechts zum Bereich der Dinos, der Frauen-Basketballmannschaft von Calgary, dem Kunstturnzentrum und dem Trainingsbereich der Sportler. Direkt gegenüber ging es in die Eishalle. Auf der anderen Seite des Podests führte eine Treppe wieder nach unten und zum zweiten Eingang.
Ehrfürchtig drehte ich mich einmal im Kreis. Ich stand direkt unter dem Relief, auf dem mehrere Eisschnellläufer abgebildet waren.
»Kommst du oder was?« Kelly wartete vor einer gläsernen Doppeltür auf mich. Die anderen standen dahinter. Sie hatten mich nicht allein gelassen. Gott sei Dank. Ich hatte nur eine grobe Ahnung, wohin ich musste. Der Komplex war so riesig und umfasste nicht nur den Eishockeybereich, sodass ich mich sicher verlaufen hätte.
»Bin schon da.« Ich schob den Träger meiner Sporttasche zurecht und beeilte mich, zu ihnen aufzuschließen.
Obwohl ich versuchte, mir alles einzuprägen, war ich nach wenigen Augenblicken überfordert. Morgen früh hätte ich bestimmt keine Ahnung mehr, wo sich der Trainingsbereich oder die Umkleidekabinen befanden. Ob ich mich mit Kristin und den anderen verabreden konnte, damit ich nicht ziellos umherirrte? Oder wäre das merkwürdig? Ich hatte echt keinen Schimmer von sozialen Interaktionen.
Wir waren die Letzten, die eintrafen und die Gespräche verstummten abrupt, sobald sie mich sahen. Selbstbewusst lächelte ich sie an. Das hier war mein neues Team und ich wollte einen guten Eindruck machen. Außerdem war ich es bereits gewohnt. Das war bei den Calgary Sharks auch schon so gewesen.
Niemand sprach positiv über mich, wenn ich nicht im Raum war, aber sie verstummten, wenn ich ihn betrat.
Hier schien es eher daran zu liegen, dass sie keine privaten Gespräche vor einer bislang fremden Person führen wollten.
»Hi.«
Okay, das hätte ich besser machen können. Freundlicher. Fröhlicher. Oder – keine Ahnung. Irgendwas. Fallon hätte diese Probleme sicherlich nicht gehabt und wäre vom ersten Moment akzeptiert worden. Es lag an ihrer offenen und herzlichen Art.
»Hier drüben ist ein freier Spind.« Kelly zeigte auf den Metallschrank neben ihrem. Ich folgte ihr und versuchte, die Blicke der anderen zu ignorieren. Sie würden sich schon an mich gewöhnen. Hoffte ich.
Ein erster Schritt schien schon mal zu sein, dass ich die Trainingssachen mit dem Logo der Nationalmannschaft anzog. Es bewies, dass ich eine von ihnen war. Zumindest dem äußeren Anschein nach.
Allmählich begannen auch wieder die Gespräche im Raum. Keine bezog mich ein, aber das war okay. Es war immerhin nicht die Ablehnung, die ich bei den Sharks erfahren hatte.
»Bist du bereit?« Kelly lächelte mich aufbauend an. Ich nickte und lächelte zurück.
Vor der Umkleide wartete ein junger Mann auf uns. Groß, muskulös, braune Haare und ein Vollbart, der ihm das typische Aussehen eines Hipsters verlieh.
Assistenztrainer Hunter Sullivan.
Er trug einen schwarzen Trainingsanzug, hielt Klemmbrett und Stoppuhr in der Hand und wirkte ungeduldig. Als wären wir zu spät.
Ich sah zu den anderen. Niemand schien deswegen besorgt zu sein. Nahmen sie ihn nicht ernst? Oder sah Hunter einfach immer so genervt aus?
Sein Blick fiel auf mich. »Erin?«
Wer sollte ich sonst sein? Einen Sekundenbruchteil später bemerkte ich, dass er es gar nicht böse gemeint hatte, sondern mich nur antreiben wollte. Zum Glück hatte ich meine sarkastische Antwort heruntergeschluckt.
Ich hatte zu lange um mich geschlagen und lieber direkt ausgeteilt, anstatt anderen Menschen die Chance zu geben, mich freundlich zu behandeln. Das hatte mich in der Vergangenheit zu oft verletzt und enttäuscht. Jetzt musste ich mir diese Art unbedingt abgewöhnen. Besser ich legte mich nicht direkt am ersten Tag mit meinem neuen Trainer an.
»Erwarte keine Sonderbehandlung. Entweder du kommst mit oder du arbeitest dran.« Die unausgesprochene Drohung kam an. Meine Position hier war keinesfalls sicher.
Hunter sah zu den anderen. »Aufwärmen.«
Mein neues Team setzte sich sofort in Bewegung, aber ich stand unschlüssig im Gang. Hunter seufzte.
Was konnte ich denn dafür, dass mir noch niemand die Abläufe erklärt hatte? Ich war noch keine dreißig Minuten hier!
»Fünf Runden um die Halle. Anschließend Dehn- und Lockerungsübungen im Team in der Halle.«
Ohne zu antworten, setzte ich mich in Bewegung und schloss mich kurz darauf den anderen Frauen an, die draußen bereits auf dem Rundweg um die Halle joggten. Ich bildete das Schlusslicht, nicht, weil ich nicht hinterherkam, sondern weil ich sie beobachtete. Ich wollte nichts falsch machen, daher hielt ich mich lieber erst einmal zurück.
Die frische Luft bildete einen angenehmen Kontrast zu meinem erhitzten Körper, bevor ich mich zu den anderen gesellte, die sich in einem Trainingsraum unterhalb der Eisbahn versammelten. Mit mir zusammen waren wir heute dreizehn Frauen. Was mir erst bewusst wurde, als sie sich in Zweigruppen einteilten und die weiteren Übungen gemeinsam ausführten.
»Okay, kein Ding«, murmelte ich und ließ mich am Rand der Gummimatten nieder, weit weg von den anderen. »Ist ja nicht das erste Mal.«
Allerdings hatte ich gehofft, dass es dieses eine Mal vielleicht anders ablaufen würde. Dass ich nicht wieder die Außenseiterin wäre.
»Du hast keine Partnerin?«
Erschrocken sah ich auf. Hinter mir stand Hunter, die Hände in die Hüften gestützt.
»Dreizehn lässt sich eben schlecht durch zwei teilen.« Ich beugte mich nach vorne, berührte mit den Fingern meine Zehenspitzen. Normalerweise würde mir meine Partnerin gegenüber sitzen, unsere Fußsohlen würden sich berühren. Wir würden die Handgelenke des anderen umfassen und während sie sich nach hinten beugte, würde sie mich nach vorne ziehen. Diese Übung wiederholte man abwechselnd. Ohne Partnerin musste ich das eben selbst machen.
Wieder seufzte Hunter. Dann setzte er sich mir gegenüber und hielt mir seine Hände entgegen. Zu überrascht, um nachzufragen oder gar zu protestieren, umfasste ich seine Handgelenke, während wir die Beine spreizten und uns positionierten. Er war größer als ich, es herrschte ein gewisses Ungleichgewicht.
Seine Finger legten sich fest um meine. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Magen aus. Nervosität, wie ich feststellte. Es war mir unangenehm, diese Sonderbehandlung zu bekommen.
»Bereit?«