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Drei Geschwister, ein außergewöhnliches Familienerbe. Wer es nutzt, muss mit seinem Leben bezahlen. Von klein auf haben sie gelernt, wie gefährlich es ist, ihre Fähigkeit zu nutzen, die wie ein Fluch auf ihrer Familie lastet. Als die Liebe in das Leben der Drei tritt, vergessen sie jegliche Vorsicht und beginnen ein gefährliches Spiel zu spielen – nicht nur mit ihren eigenen Leben, sondern auch der der anderen.
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Seitenzahl: 243
Crimson Ink
Michaela Harich
1. Auflage, 2022
© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11, 72827 Wannweil
Alle Rechte vorbehalten
Alle Rechte vorbehaltenLektorat: Melanie LübckerISBN: 9783945814789
Druck: CPI Ebner & Spiegel GmbH
© Covergestaltung: Juliana Fabula | Grafikdesign – www.julianafabula.de/grafikdesign Unter Verwendung folgender Stockdaten: shutterstock.com | Hintau Aliaksei; Kseniya Ivashkevich; ALEXSTAND; Fer Gregory,depositphotos.com | Avesun und freepik.co
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Dieses Buch ist nur dank der großartigen Community auf Twitch entstanden und weil meine Patreons mir den Glauben an mich selbst zurückgegeben haben. Danke!
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Bei diesem Buch kam es zu keinerlei Verletzungen der Tinten-Schutz-Verordnung der Mischu L. Icious. Allerdings können wir nicht dafür garantieren, dass etwaige Kugelschreiber zu Aufständen aufrufen, weil wir sie schändlich missachten.
Dafür werden wir uns aber nicht entschuldigen.
Alle Macht den Füllern!
1.
Das Stimmengewirr der Studenten drang zu ihnen herauf. Nikolas und Daniel lehnten über dem Geländer, sahen hinunter auf das Gewusel in der Aula, das sich an den Treppen teilte. Dass sie sich ihren Kommilitonen überlegen fühlten, verbargen die beiden Brüder keineswegs. Nichts, dass die anderen das nicht merkten. Niemand schien großes Interesse daran zu haben, sich mit ihnen anzufreunden. Was die beiden aber nicht störte. Sie konnten gut ohne ihre, in ihren Augen zutiefst kindischen Kommilitonen auskommen. Nikolas war ein begnadeter Fußballspieler, sein Freundeskreis bestand aus jungen Männern, die eine grundsätzlich andere Einstellung zum Leben hatten als normale Studierende – YOLO war deren Lebensmotto und sie kosteten es voll aus –, während Daniel als Mitglied des Uni-Schwimmteams ebenfalls in Kreisen verkehrte, zu denen ihre Mitstudierenden keinen Zugang hatten. Das und die Arroganz, mit der sich die beiden Brüder umgaben, waren der Grund, warum sie von Gleichaltrigen gemieden wurde.
Im Gegensatz zu ihrer Schwester. Kristina war wie die golden leuchtende Sonnenblume inmitten langweiliger Stiefmütterchen, stets umschwärmt und umringt von Studenten wie Professoren, die sich in ihrem Licht sonnen wollten. Daher war es die Aufgabe der Brüder, ihre kleine Schwester zu beschützen. Vor allem und jeden, auch vor sich selbst.
Ein helles, warmes Lachen übertönte den Lärm der vielen nichtssagenden Stimmen. Nikolas und Daniel beugten sich automatisch weiter nach vorne, suchten nach der Quelle dieses Lachens. Der Blick ihrer Schwester begegnete ihnen. Der Spott, der in ihren Augen tanzte, lenkte Daniel für einen Moment ab.
»Wer ist das neben Kristina?«, flüsterte Nikolas. Daniel neigte den Kopf. Neben seiner Schwester stand eine junge Frau, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Oder hatte er sie bisher nur übersehen?
»Keine Ahnung«, antwortete er wahrheitsgemäß. Aber er würde es herausfinden. Niemals hatte ihn jemand so sehr fasziniert, geschweige denn jemand allein durch seinen Anblick so berührt. Daniels Blick wanderte über die junge Frau. Langes, lockiges Haar in einer so tiefroten Farbe, das ihn unweigerlich an frisch vergossenes Blut erinnerte. Eine zarte, milchfarbene Haut, die ihn dazu verlockte, sie zu berühren und wie das Kostbarste, das es auf Erden gab, auf Händen zu tragen. Meerblaue Augen funkelten wie Saphire zu ihm herauf, als sie dem Blick Kristinas folgte. Daniels Herz setzte einen Moment aus. Sie berührte ihn tief in seinem Inneren. Nervös begann er, mit dem Fuß zu wippen.
»Sie ist neu. Sie muss neu sein. Wie sonst hätte sie uns all die Zeit entgehen sollen?« Etwas in Nikolas' Stimme verriet ihm, dass dessen Jagdtrieb geweckt war. Daniel stieß sich ab, ging hinüber zur Treppe, die seine Schwester mit ihrer Freundin ansteuerte, und wartete auf der obersten Stufe. Sein Bruder gesellte sich zu ihm. Daniel bemühte sich, nichts anmerken zu lassen. Wenn sein Bruder merkte, dass es ihn nervös machte, würde er das seinen Jagdtrieb nur weiter anfeuern. Seit er Nikolas damals – unabsichtlich – die Freundin ausgespannt hatte, war dieser auf einem seltsamen Trip. Dass er tinderte und Buch darüber führte, war für Daniel nichts Neues. Dass Nikolas alles als Freiwild ansah, was sich bewegte, eine Vagina und Brüste besaß, war auch kein Geheimnis. Allerdings sträubten sich seine Nackenhaare, wenn er daran dachte, dass diese junge Frau an Kristinas Seite auch nur als eine Nummer in einer Excel-Tabelle enden könnte.
»Krissi!« Daniel stieß seine Schwester spielerisch an. »Lust auf 'nen Kaffee? Oder müsst ihr schon wieder ins Seminar? Und wieso lernen wir deine Freundinnen eigentlich nicht mehr kennen? Willst du uns nicht vorstellen?«
»Seit wann plapperst du schlimmer als jeder Rhetoriker? Ist ja traurig.« Kristina verdrehte die Augen. Allerdings huschte ein düsterer Ausdruck über ihr Gesicht. Eine unausgesprochene Warnung an ihre Brüder, das war ihm klar, aber Nikolas wahrscheinlich nicht. »Ich will ja nicht so sein – das ist Amelie. Amelie, das sind meine Brüder, Daniel und Nikolas.«
Amelie. Daniel lächelte. Ihr Name war ein Gut, das er tief in sein Herz schloss und niemals nie zurückgeben würde. Kristina räusperte sich unauffällig. Nikolas trat nach vorne, zog Amelie einfach in eine Umarmung und lachte dabei ein so widerlich dreckiges Lachen, dass Daniel ihm am liebsten eine verpasst hätte. Amelie schien sich auch nicht sonderlich wohl zu fühlen, sie wand sich aus den Armen seines Bruders und stellte sich ein wenig atemlos hinter Kristina. Daniel ballte die Hände zu Fäusten. Das fing ja schon mal richtig gut an. Wenn Nikolas jetzt auch noch witterte, dass er Konkurrenz hatte, würde er noch eine Schelle drauflegen.
»Okay, Jungs, ich finde euer neu erwachtes Interesse an meinen Freundinnen absolut nicht gruselig, und wenn ihr tatsächlich nichts Wichtiges zu sagen habt, würden wir uns noch einen Kaffee holen und was für unser Studium tun.« Kristina verdrehte die Augen, griff nach Amelies Hand und zog sie mit sich. Der Blick, den sie dabei ihren Brüdern zuwarf, sprach Bände, war eine unausgesprochene Warnung, Amelie in Ruhe zu lassen, doch die beiden ließen sich nicht davon beeindrucken. Warum auch?
»Sie weiß schon, dass wir uns notfalls auch in Amelies Leben schreiben können?«, murmelte Nikolas und folgte den beiden. Daniel seufzte. Ob er wollte oder nicht – er musste ihnen hinterherlaufen. Nur dann konnte er Schlimmeres verhindern und Amelie vor seinem Bruder beschützen.
Am Kaffeeautomaten war seine Schwester sofort umringt von Studenten. Amelie stand etwas schüchtern neben ihr. Sie schien sich fehl am Platz zu fühlen, unsicher. Daniel ließ ihr einen Mocca raus und drückte in ihr in die Hand.
»Ich weiß nicht, welchen Kaffee du bevorzugst, aber es hilft in jedem Fall. Man kann sich gut am Becher festhalten und hat zumindest was zu tun und steht nicht einfach hilflos daneben, während die Menschenmenge Kristina bewundert.« Daniel lächelte Amelie an. Er hoffte, sie verstand ihn nicht falsch und hielt ihn für einen durchgeknallten Irren. Ihr dankbares Lächeln ließ sein Herz höherschlagen.
»Danke«, kam es kaum hörbar. Ihre Stimme war wie eine zarte Umarmung, hell, klar, warm. Sie nahm den Becher entgegen und sog den Duft des Moccas tief ein. »Ich mag Schokolade. Und Kaffee.«
Daniel glaubte, auf Wolken zu schweben. Gerade wollte er etwas sagen, als Nikolas sich neben sie stellte. »Wenn du wirklich guten Mocca probieren willst, komm zu uns nach Hause. Unsere Eltern haben sich einen dieser super krassen Vollautomaten besorgt.«
»Ihr wohnt noch bei euren Eltern?« Das Erstaunen in Amelies Stimme ließ Daniel prusten. Das war Nikolas' schwacher Punkt. Doch aufgrund ihres Familienproblems, wie Kristina und er es nannten, waren sie gezwungen, im Elternhaus zu bleiben. Wie sonst sollte man diese große Sanduhr in ihren Zimmern erklären? Oder die Bücher, geschrieben mit Blut? Wobei das alles ja noch ging. Die überbesorgten Eltern, die immer wieder wissen wollten, wie viel Zeit ihnen noch blieb und wann sie vorhatten, endlich mit diesen Dummheiten aufzuhören, waren schwieriger zu erklären. Da war es einfacher, wenn ihre Eltern freien Zugang zu den von ihnen gewünschten Informationen hatten, Deshalb lebten sie noch zu Hause, damit sie nicht etwaigen Übernachtungsgästen romantischer Natur erklären mussten, wieso ihre Eltern viel zu oft bei ihnen auf der Matte standen. Daniel schüttelte den Kopf. Er hatte so schon Schwierigkeiten, wenn er jemanden zu sich einlud. Früher oder später verriet ihn meist irgendeine Kleinigkeit. Wie Nikolas das schaffte, wusste er nicht. Gut, jeder von ihnen hatte große Räume für sich, es war beinahe, als würde jeder für sich eine kleine Wohnung innerhalb des großzügigen Hauses bewohnen, aber dennoch traf man immer auf irgendein Familienmitglied, wenn man in die Küche ging. Und dann wurde genau überprüft, ob man das Familienproblem ausgenutzt hatte oder nicht.
»Also, wenn ich mir den Gesichtsausdruck deines Bruders so ansehe, dann kann das nicht so gut sein, wie du behauptest«, murmelte Amelie. Es schien, als wollte sie neben Kristina nicht auffallen. Oder hatte Kristina sich die Freundin so geschrieben, dass sie neben ihr automatisch in den Hintergrund rückte? Das konnte er sich eigentlich nicht vorstellen. Seine Schwester war einer der wenigen gutherzigen Menschen, die die Familie hervorgebracht hatte. Und wahrscheinlich würde sie wohl am längsten von ihnen allen leben. Vielleicht fand sie auch einen Weg, diese unsägliche Last von ihnen zu nehmen. Ein normales Leben – Daniel sehnte sich so sehr danach.
»Ach, der weiß nicht, wovon er spricht oder was er auch nur denkt. Achte nicht auf ihn. Halte dich an mich – ich kenne die besten Orte in dieser Stadt. Für Leib und Seele, das kannst du mir glauben.« Nikolas trat ganz nah an Amelie heran, wollte ihr etwas ins Ohr flüstern. Doch in diesem Moment griff Kristina ein, die das Ganze beobachtet hatte, und umarmte Amelie betont spontan. »Du kommst einfach mal zu uns. Unsere Mutter kocht fantastisch und ja, Nikolas kann wirklich verdammt guten Mocca machen. Auch wenn er sonst nicht viel kann. Und Daniel hat eine beeindruckende Sammlung an Büchern. Bei uns wird es dir auf jeden Fall nicht langweilig.« Sie warf ihren Brüdern einen warnenden Blick zu. »Aber jetzt sollten wir uns beeilen. Das Seminar beginnt gleich.« Sie hakte sich bei ihrer Freundin unter und zog sie mit sich. Dass sie dabei ihren Fanclub stehen ließ, schien sie nicht groß zu interessieren. Warum auch? Der Großteil würde ihr sowieso folgen, denn sobald bekannt war, was Kristina studierte und belegte, konnte man davon ausgehen, dass alle Plätze restlos ausgebucht waren.
»Interessant.«
Daniel wandte den Kopf. Nikolas' Stimme hatte einen samtig weichen Klang angenommen.
»Bruderherz, du stehst doch wohl nicht auf die Kleine?«
»Und das glaubst du, weil …?« Daniel durfte sich nichts anmerken lassen, das wusste er. Nikolas klang jetzt schon, als wäre er bereit, für Amelie mehr als nur einen Tag seines Lebens zu setzen. Wenn er ihn in irgendeiner Form ermutigte, dann würde er vielleicht die Liebe seines Lebens verlieren und seinen Bruder. Und er wusste nicht, ob er beides ertragen konnte.
»Ich kenne dich gut genug. Wenn ich sie heiß finde, wird es dir genauso gehen. Und so wie du dich um sie kümmerst – da steckt mehr dahinter als reine Nächstenliebe. Lass uns doch schauen, wer sich besser in ihr Leben schreiben kann.« Das böse Lächeln aus dem Gesicht seines Bruders ließ ihn frösteln. Das war nicht gut, das war gar nicht gut.
»Ich weiß echt nicht, wie du auf die Idee kommst, dass ich Interesse an ihr habe. Du scheinst vergessen zu haben, dass ich meinen Schwanz durchaus in der Hose lassen kann, im Gegensatz zu dir. Wie lang ist deine Excel-Tabelle mittlerweile? Willst du nicht lieber einfach – ich weiß nicht, den Mädels Aufkleber verpassen, damit du nicht versehentlich die gleiche zweimal ins Bett holst?«
»Na, na, na. spricht da etwa der Neid aus dir, Brüderchen?« Lachend ging sein Bruder den Flur entlang. »Wir sehen uns heute Abend. Ich bin gespannt, was du vorhast. Und welche Begründungen du vorbringst, warum sie dich nicht interessiert und warum du dich trotzdem in ihr Leben schreibst.«
Daniels Hand wanderte in seine Hosentasche. Der kleine, aus seinem Finger geschnitzte Füller lag dort sicher und warm. Fest umklammerte er ihn. Dass er ihn immer so nah wie möglich bei sich trug, war vielleicht ein blöder Tick, aber es gab ihm Sicherheit. Die Sicherheit, die er genau in solchen Momenten brauchte. Er hatte seinen Füller damals unzerstörbar geschrieben, seine Schwester hatte ihn zu einem anschmiegsamen Schmuckstück werden lassen, das sie bei Bedarf vom Arm nehmen und benutzen konnte, und Nikolas – das wusste keiner. Sein Bruder spielte gerne mit seinem Leben, um seinen Füller immer wieder zu ändern. Daniel atmete tief durch. Der Füller war seine Rettung. Wenn er merkte, dass mit Amelie etwas nicht stimmte, würde er eingreifen. Dann würde er ihr zur Rettung eilen, indem er sie in Sicherheit schrieb.
Und notfalls Kristina darauf aufmerksam machen. Wenn jemand wusste, wie man Nikolas aufhalten konnte – allein mit Worten –, dann sie.
2.
Daniels Blick folgte seinem Bruder, als dieser verschwand. Was auch immer er vorhatte, es konnte nichts Gutes bedeuten. Nikolas hatte sich offensichtlich in den Kopf gesetzt, Amelie zu erobern oder sie zumindest so zu manipulieren, dass sie ihm verfiel. Er seufzte. Wie viele gebrochene Herzen wollte sein Bruder noch hinterlassen?
»Als ob du besser wärst.«
Daniel musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da gesprochen hatte. Die Geschwister hatten nicht viele Freunde, und die wenigen, die sie hatten, würden sie jederzeit erkennen. »Jörg, was willst du mir damit sagen?«
»Dass ihr beide euch nichts schenkt. Und wenn ihr wieder um so 'ne Kleine streitet, wird das echt nicht schön. Das letzte Mal saß das Opfer heulend bei mir, und meine Freundin hat mir die Hölle heiß gemacht.« Jörg lehnte mit verschränkten Armen am Kaffeeautomaten. »Ich find's nicht gut, was ihr da macht. Ich mein – ihr bringt euch damit selber um. Das ist es doch nicht wert, oder?«
»Du hast nur keinen Bock, Aufbauhilfe zu leisten«, murmelte Daniel. Er gab es nicht gern zu, aber sein Freund hatte recht. Nicht nur, dass sie eine junge Frau zerstörten, sie töteten sich tatsächlich auch systematisch selbst mit ihren, nun ja, Spielchen. In der Familienbibliothek, den verborgenen Büchern, hatte er gelesen, wie unachtsam seine Vorfahren mit ihrer Fähigkeit umgegangen waren. Woher sie kam, wusste niemand mehr. Vielleicht irgendein Irrer, der sich dem Teufel verschrieben hatte, oder ein durchgeknallter Nachfahre von Goethe oder Schiller, der auf einen alten Voodoo-Trick hereingefallen war. So wirklich wusste es also keiner, und es hatte all die Jahrhunderte auch niemanden interessiert. Sie alle waren dem Nutzen ihrer Fähigkeit verfallen, hatten sich selbst in den Ruin geschrieben, sich ins Verderben gestürzt und andere gleich mit. In jeder Generation hatte es zwar einen gegeben, der klug genug war, sich Ruhm und Ehre und Gold zu erschreiben, aber im Tausch dafür hatte er nie lang genug gelebt. Daniel runzelte die Stirn. Immerhin war so das finanziell sorgenfreie Überleben der Nachfahren gesichert worden, hatte er gelesen. Einer pro Generation sorgte für Geld. Einer für Nachkommen. Einer für den Untergang.
Wer von ihnen würde für was sorgen?
»Darum geht es nicht. Also, nicht nur. Ich weiß, was dieser kranke Scheiß mit dir macht. Wie es dir geht, wenn du … naja, schreibst. Das ist nicht gesund. Du siehst danach immer aus, als hätte man dich durch den Fleischwolf gedreht.« Jörg musterte ihn. »Und ich nehme an, das hier wird wieder ein Battle zwischen dir und Nikolas?«
Daniel verzog das Gesicht. »Nicht, wenn ich es verhindern kann. Aber das wird wohl nicht möglich sein. Ich kenne meinen Bruder zu gut.«
»Wie viel Zeit bleibt dir noch? Genug, um dich mit ihm zu streiten? Sollten wir nicht lieber Kristina Bescheid geben?«
»Damit ich richtig Ärger bekomme, weil ich dich eingeweiht habe?« Daniel fuhr sich durch die Haare.
Jörg hatte ihn einmal dabei erwischt, wie er sich eines Problems »entschrieb«. Damals war er nicht drumherum gekommen, seinem besten Freund die Wahrheit zu sagen. Und dieser hatte ihm erst geglaubt, als er ihm einen sehr – im wahrsten Sinne des Wortes – handfesten Beweis geliefert hatte.
Was ihn eine Woche seines Lebens und höllische Schmerzen gekostet hatten. War aber auch seine Schuld gewesen, sauberes Schreiben war nicht seine Stärke und je unsauberer man mit dieser Fähigkeit arbeitete, desto höher war der Preis.
Aber immerhin hatte er nun einen Vertrauten außerhalb seiner Familie. Nicht einmal seine Schwester, das Sonnenkind der Familie, hatte sich jemals einem Menschen so weit geöffnet, dass sie jemandem das Geheimnis ihrer besonderen Fähigkeit anvertraut hatte.
»Ne, jetzt mal ehrlich. Das ist nicht gut. Halt dich da raus. Wenn du Nikolas zu weit treibst, bringt er sich selbst um. Und wenn du dich zu sehr mitreißen lässt, bringst du dich um. Ey, das ist keine Alte dieser Welt wert.«
»Charmant.« Daniel ließ sich noch einen Kaffee aus dem Automaten. »Niko hat nicht mehr so viel Zeit, da bin ich mir sicher. Ich glaube nicht, dass er es bis zum Äußersten kommen lässt – er wird nicht all seine Lebenszeit in die Eroberung Amelies stecken. Zumindest hoffe ich, dass er noch genug Verstand in seinem Dickschädel hat.«
»Sicher, dass du nicht mit euren Eltern drüber reden willst?«, fragte Jörg, als sie zusammen das Gebäude verließen. »Ich mein, die kennen sich damit aus, die wissen, was zu tun ist. Und sie kriegen deinen Bruder vielleicht in den Griff oder haben genug Lebenszeit übrig, um ihn in den Griff … zu schreiben.«
»So funktioniert das nicht, das weißt du. Es muss alles passen. Jede Änderung muss genau abgestimmt sein, damit sie wirkt und das kostet Zeit, das kostet viel Recherche. Ich kann nicht einfach hingehen und irgendwas schreiben.«
»Wieso? Bei mir hat's doch auch funktioniert.«
»Das war … Ich hab …« Daniel suchte nach den richtigen Worten. Er hatte Jörg damals in groben Zügen erklärt, was er konnte, wozu er in der Lage war und was es ihn kostete. »Komm. Ich zeig dir was.«
»Oho, werde ich in die düsteren Geheimnisse der Familie Sommerfeld eingeführt?« Jörg schien ihn nicht ernst zu nehmen, mal wieder. Daniel hob eine Augenbraue, als er seinem Freund einen vielsagenden Blick zuwarf.
»Ja. Mit allem, was dazu gehört. Du weißt, wie meine Fähigkeit funktioniert. Wird Zeit, dass du dich damit mal intensiver beschäftigst.«
Immer, wenn er auf sein Elternhaus zuging, fühlte er sich unwohl. Groß, ein wenig zu sehr auf moderne Architektur getrimmt und irgendwie zu weit über der Stadt, auf einem Hügel oder Berg, um dazuzugehören. Es schien einfach wie ein inoffizielles Schloss über den Bewohnern Karlsruhe zu thronen. Jede Generation renovierte das große Anwesen, baute es aus, ließ es in einem völlig neuen Glanz erstrahlen – und bisher hatte noch keiner Geschmack bewiesen, wenn es um Design ging. Sollte er der Überlebende sein, würde er – ja, was? Das Ganze noch mal umbauen lassen? Oder einfach mit den Erinnerungen an seine Eltern und seine Geschwister leben? Sie sich zurückschreiben, sie bei sich behalten? Daniel wusste selbst nicht, ob es möglich war, sich die Verstorbenen als Geister wieder zurück zu schreiben. Wirklich viel hatte er dazu noch nicht gelesen und seit er studierte, war die Recherche in diesem Bereich ein wenig in den Hintergrund gerückt. Vielleicht ließ sich das ja ändern, wenn er Jörg in den verbotenen Büchern stöbern ließ.
»Alter! Das ist richtig krass geworden! Wen hat deine Mutter engagiert, um den Kasten aufzumöbeln?« Jörg blieb staunend vor dem schmiedeeisernen Tor stehen. »Das ist der Wahnsinn!«
Zugegeben, die geometrischen Formen, die Glasfronten, die bunte Vielfalt der Blumen hatte schon etwas Surreales, aber die Stadtvilla im Landhausstil hatte ihm mehr zu gesagt als der moderne kubistische Kasten. Auch wenn die Dachterrassen ziemlich cool waren.
»Ja, ja. Mega toll, super stylisch. Richtig gemütlich, blabla«, murmelte Daniel. »Konzentrier dich.«
»Hat sie auch den Pool und den Wintergarten erneuern lassen? Ich mein, ihr habt in das wohl abgefahrenste Haus in der ganzen Gegend! Ich glaub, es würde reichen, wenn du Fotos deines Hauses verteilen würdest, und die Weiber würden dir ihre Höschen hinterherwerfen. Oder anderes.«
»Ja, und das oder anderes macht mir überhaupt keine Angst.« Daniel schüttelte lachend den Kopf über seinen Freund. »Manchmal bist du auf demselben Humorlevel wie meine Schwester. Irgendwo zwischen präpubertär und mitten in der Pubertät.«
»Hey, die Stuhlwitze deiner Schwester sind immer noch die lustigsten Flachwitze, die ich jemals gehört habe«, verteidigte sich Jörg.
»Und das macht es jetzt besser?« Daniel öffnete das Tor mit dem Code und wartete, bis Jörg hindurch gegangen war. Dann ließ er es wieder schließen.
»Der Garten! Alter, ist das eine Blumenschaukel?«
»Setz dich halt drauf und find's raus. Entweder sie trägt dich oder sie trägt dich nicht.«
»Ach?«
Den Rest des Weges die Auffahrt hinauf schwiegen sie. Daniel fühlte sich immer ein wenig unwohl, wenn ihn jemand zu Hause besuchte. Der Reichtum, der wie selbstverständlich zur Schau gestellt wurde, war einfach zu offensichtlich, zu viel. Es war ihm unangenehm. Doch eigentlich gab es keinen Grund für. Seine Eltern spendeten viel, seine Familie hatte die Stadt mitaufgebaut. Allerdings machten sie kein großes Theater darum. Man las von ihnen nie etwas in der Zeitung, sie hielten sich bedeckt und im Hintergrund, lebten zurückgezogen. Auch wenn sie ihren Reichtum, der über Generationen hinweg angehäuft worden war, zumindest am Anwesen offen zur Schau stellten, so wollten sie nicht in die Angelegenheiten der Städter hineingezogen werden. Das hatte in der Vergangenheit noch nie gut geendet.
Und verlangten das auch von ihren Kindern. Daniel wusste nur nicht, warum. Sie waren auch dagegen gewesen, dass er und Nikolas in die Sportteams gegangen waren, verbaten den Reportern auf den Events ihre Namen zu nennen, ließen sie überall rausstreichen, wo sie in den Fokus der Öffentlichkeit geraten konnten. Kristina witzelte immer darüber, dass das daran lag, dass die beiden neben Reichtum nicht auch noch Ruhm wollten, aber Daniel glaubte nicht daran. Es musste mehr dahinterstecken, als sie bereit waren zuzugeben, und er würde es herausfinden. Irgendwann, irgendwie. Vielleicht sollte er mit seiner Mutter darüber sprechen? Eventuell ließ sich diese dazu hinreißen, mehr zu erzählen als bisher.
3.
Daniel ließ ihnen zwei Kaffee aus dem Vollautomaten, bevor er mit Jörg in die Bibliothek ging. Dass niemand zu Hause war, war nicht sonderlich überraschend. Seine Eltern arbeiteten, obwohl sie sich das Geld auch einfach auf ihr Konto schreiben konnten – zumindest ihre Mutter. Sein Vater arbeitete bei Porsche, seine Mutter im Marketing irgendeiner schicken Agentur, typisch süddeutsches Arbeitsverhalten. Dass ihre Kinder die Kreativität nur in Form ihrer Fähigkeiten ausdrückten, ärgerte seine Mutter, aber es ließ sich nicht ändern. Er selbst hatte sich nie groß Gedanken darüber gemacht, was er aus seinem Leben machen wollte. Daniel war sich nicht einmal sicher, lange genug zu leben.
»Wie viel Zeit bleibt dir noch?«, fragte Jörg, als ob er just in diesem Moment seine Gedanken gelesen hatte. Daniel hatte ihm alles gezeigt – wie die Fähigkeit funktionierte, wie sein Knochenfüller aussah und auch die Sanduhr, seine Sanduhr. Seine Lebenszeit.
»Naja, wenn ich nie wieder etwas schreibe, sollte ich zumindest die 50 erreichen.« Daniel balancierte die Tassen ziemlich ungeschickt. Die Wärme wanderte in die Henkel, was langsam unangenehm wurde. »Ich hab's am Anfang ein wenig übertrieben.«
Jörg schnaubte. »Das glaub ich gern. Ich mein, du hast allein eine Woche deiner Lebenszeit darauf verschwendet, mich zu überzeugen.«
Daniel nickte. »Und davor hab ich mir halt … Sachen gegönnt. Nikolas auch. Kristina auch – wobei sie es nicht so übertrieben hat.« Nikolas hat sein gesamtes Aussehen verändert, um sich von seinem Zwillingsbruder zu unterscheiden. Geboren mit haselnussbraunem Haar, warmen, grünen Augen und einer honigfarbenen Haut, wie ihre Mutter immer gerne betonte, hatte Nikolas sich selbst zu blond, braun gebrannt und blauäugig geschrieben, um sich mit aller Macht von seinem Bruder abzuheben. Kristina war es ähnlich gegangen. Eine Zeit lang hatte sich seine Schwester die Haare in allen Farben geschrieben – Farben, in denen sie ihre Haare niemals dauerhaft hätte färben können.
Sie waren so dumm und verschwenderisch mit ihrem Leben umgegangen. Mittlerweile hatte sie sich für karamellfarbene Haare entschieden, mit, wie sie sagte, Akzenten aus Vanille und ebensolchen Augen. Damit sie umschwärmt wurde, als wäre sie der Honigtopf, den alle Bienen haben wollten, aber keiner bekam. Soweit er sich erinnern konnte, hatte seine Schwester noch nie einen Freund gehabt. Nicht, weil es ihr an Gelegenheiten gemangelt hatte, sondern weil Nikolas und er dafür gesorgt hatten, dass es nie dazu kam. Niemand war gut genug für sie. Niemand würde jemals gut genug für sie sein.
Zusammen betraten sie die Bibliothek und fläzten sich in die gemütlichen Sessel. Zumindest hier hatten seine Eltern nichts verändert. Es sah immer noch so aus, als wäre seit mehreren hunderten Jahren die Zeit stehen geblieben. Kaminfeuer, gemütliche Sessel, deckenhohe Regale voller Bücher.
»Und wo fangen wir an? Was willst du mir zeigen, was muss ich unbedingt lesen?« Jörg streckte sich in dem Sessel und versank in den weichen Kissen. »Soll ich jetzt all eure schmutzigen Geheimnisse lesen?«»Naja, eher, was wir so alles mit unseren Fähigkeiten können und wie sie funktioniert. Eines Tages war mal einer so klug und hat das aufgeschrieben. Wir sind alle sehr stolz auf ihn, denn seitdem wird uns der richtige Umgang mit unserer Fähigkeit beigebracht.«
Daniel stellte die Tassen ab und ging zu einem Regal hinter einer Glasfront, die durch einen Zauber daran gehindert wurde, von jemandem außerhalb der Familie geöffnet zu werden. Er hielt seinen Knochenfüller gegen das Glas und wartete. Er wusste nicht genau, wie die magische Barriere funktionierte, aber irgendwas mit Blut, Knochen, DNS und Magie war es, was das Glas dazu brachte, sich aufzulösen und vorübergehend in einer anderen Dimension gelagert zu werden. Daniel wusste nicht, wie dieser Zauber funktionierte, doch sobald er sich vom Regal entfernte und seinen Füller an die Stelle hielt, an der die Barriere zu sein hatte, materialisierte sie sich wieder. Seine Vorfahren waren sehr geschickt gewesen, wenn es darum ging, Dinge vor Familienfremden zu verbergen. Viele Geheimnisse hatte er selbst noch nicht erkundet – und in diesem riesigen Haus gab es viele davon, da war er sich sicher. Nervös zog er ein dickes, abgegriffenes Buch heraus. Daraus hatten sie all ihr Wissen gezogen und nun würde es Jörg vielleicht einige Fragen beantworten. Daniel reichte es seinem Freund und sah sich nach einem anderen Buch um. Das Regal war voll von Wälzern, die seine Vorfahren mit ihrem Blut und Leben geschrieben hatten. Immer wieder las er in ihnen, um vielleicht doch hinter das Geheimnis zu kommen, warum sie konnten, was sie konnten. Aber eine wirklich befriedigende Antwort hatte er nicht bekommen. Wenn er genau darüber nachdachte, gab es so viel, was er wissen wollte, worauf es aber keine Antworten zu geben schien. Hatte niemand jemals gefragt, woher diese Fähigkeit kam? Hatte niemand jemals versucht, sein eigenes Leben zu verlängern und sich unsterblich zu schreiben?
»Du grübelst so laut, ich kann die Rädchen in deinem Kopf arbeiten hören.« Jörg blätterte in dem Buch, den Blick auf Daniel gerichtet. »Lass uns zusammenarbeiten. Wir kriegen das schon raus. Vier Augen sehen mehr als zwei.«
»Wir dürfen uns nur nicht erwischen lassen«, murmelte Daniel. Wenn jemand aus seiner Familie mitbekam, dass er einen Außenstehenden ihre Bücher lesen ließ, dann war vermutlich nicht seine Fähigkeit der Grund, warum er sein Leben verlor.
3.
Daniel ließ ihnen zwei Kaffee aus dem Vollautomaten, bevor er mit Jörg in die Bibliothek ging. Dass niemand zu Hause war, war nicht sonderlich überraschend. Seine Eltern arbeiteten, obwohl sie sich das Geld auch einfach auf ihr Konto schreiben konnten – zumindest ihre Mutter. Sein Vater arbeitete bei Porsche, seine Mutter im Marketing irgendeiner schicken Agentur, typisch süddeutsches Arbeitsverhalten. Dass ihre Kinder die Kreativität nur in Form ihrer Fähigkeiten ausdrückten, ärgerte seine Mutter, aber es ließ sich nicht ändern. Er selbst hatte sich nie groß Gedanken darüber gemacht, was er aus seinem Leben machen wollte. Daniel war sich nicht einmal sicher, lange genug zu leben.
»Wie viel Zeit bleibt dir noch?«, fragte Jörg, als ob er just in diesem Moment seine Gedanken gelesen hatte. Daniel hatte ihm alles gezeigt – wie die Fähigkeit funktionierte, wie sein Knochenfüller aussah und auch die Sanduhr, seine Sanduhr. Seine Lebenszeit.
»Naja, wenn ich nie wieder etwas schreibe, sollte ich zumindest die 50 erreichen.« Daniel balancierte die Tassen ziemlich ungeschickt. Die Wärme wanderte in die Henkel, was langsam unangenehm wurde. »Ich hab's am Anfang ein wenig übertrieben.«
Jörg schnaubte. »Das glaub ich gern. Ich mein, du hast allein eine Woche deiner Lebenszeit darauf verschwendet, mich zu überzeugen.«