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Idy und Darius führen ein Leben voller Leidenschaft. Doch als Idy spurlos verschwindet, beginnt für Darius eine verzweifelte Suche nach der Frau, die er mehr als alles andere liebt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Wie weit wird Darius gehen, um Idy zu retten? Wird er sie rechtzeitig finden, bevor alles, was ihm wichtig ist, für immer verloren geht?
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Seitenzahl: 269
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Warnung an all die mutigen Seelen, da draußen
Bevor du in die nachfolgenden Seiten eintauchst, sei gewarnt: Diese Geschichte mag dir gelegentlich absurd erscheinen, und ja, es könnte sein, dass die Taten der Figuren als grotesk oder gar unvorstellbar empfunden werden. Doch lass dir versichern, dass all dies rein der Vorstellungskraft entsprungen ist.
Solltest du zufälligerweise Ähnlichkeiten zwischen den beschriebenen Charakteren und lebenden Personen entdecken – nun, das liegt rein an deiner fantasievollen Auslegung.
Keiner der Akteure hat je existiert oder wird es je tun. Versprochen.
Und wenn du dich dabei ertappst, zu glauben, dass irgendetwas davon wahr sein könnte... tja, dann hast du vielleicht schon zu tief in die Dunkelheit geblickt.
Genieß die Reise – und sei auf der Hut.
Liz Prime
THE VAMPIRE
EINST ZUR MITTERNACHT, SO DÜSTER, GING ICH DURCH DEN NEBEL, MÜHSAM,
ALS DIE FINSTERNIS SO KÜHL UND SCHWEBTE VON DEM ALTEN MOOR– UND DER MOND SO BLEICH UND BLASS, DER MEINE MÜDEN SINNE FASS,
DA HÖRTE ICH, ALS OB ETWAS SICH LEISE SCHLICH ZU MEINEM TOR– »NUR DER WIND«, SO SPRACH ICH LEISE, »NICHTS ALS DAS UND NICHTS DAVOR– NUR DER WIND, UND NICHTS DAVOR.«
DOCH DER WIND WURD’ KALT UND HOHL, ALS DIE SCHATTEN SCHWARZ UND WOHL
MIR FOLGTEN MIT DER ANGST IN MIR, DIE LÄNGST TIEF IM HERZEN BOHR’.
IN DER STILLE KLANG EIN SPLITTERN, ALS OB GLAS AM BODEN BRÄCHE,
UND MEIN HERZ SCHLUG WILD VOR SCHRECKEN, ALS DIE KÄLTE MICH DURCHFROR–
»WER IST DA?« SPRACH ICH.
UNSICHER, WÄHREND ICH GING ZU DEM TOR– DUNKELHEIT, UND NICHTS DAVOR.
IN DIE FINSTERNIS STARRT’ ICH LANGE, FÜHLTE EINE LEISE BANGE,
BIS EIN PAAR VON ROTEN AUGEN DURCH DIE SCHWÄRZE TRAT HERVOR.
MIT EINEM ZISCHEN BRACH DIE NACHT, UND EINE GESTALT, BLEICH ENTFACHT,
SCHWEBTE WIE EIN DÜSTERES PRACHTBILD DURCH MEIN ALTES EICHENTOR– EIN GESCHÖPF, WEDER TOT NOCH LEBEND, STAND NUN AUF DEM KALTEN FLUR– FLÜSTERND: »FÜR IMMER NUR.«
KEIN MENSCH WAR DIES, NEIN, UNHEILIG, MIT EINEM BLICK SO KALT UND EISIG,
UND DIE LIPPEN, STILL UND ROT, ZEIGTEN EINE GRAUSAME SPUR.
DURCH DIE MONDNACHT KAM ES SCHLEICHEND, MIT EINEM GRINSEN, KALT UND BLEICHEND,
ALS MEIN HERZ VOR ANGST ERWEICHEND WUSSTE, WAS ES WOLLTE NUR– »BIST DU TOD?«, SPRACH ICH ERZITTERND, STEHEND AN DEM ALTEN TOR– SPRACH DER VAMPIR: »FÜR IMMER NUR.«
Aus DEM SCHATTEN GRIFFEN KLAUEN, RAUBTEN MIR DIE KRAFT, MEIN GRAUEN,
UND DIE KÄLTE SCHLICH VOLL GRAUS, BIS MEIN LEBEN WAR VERLOREN NUR.
NUN IRR’ ICH DURCH DIE DUNKLEN HALLEN, SEHE BLASSE, TOTE GESTALTEN,
ALL DIE SEELEN, DIE NOCH FALLEN, IN DIE NACHT FÜR IMMER NUR– EWIG WANDERND DURCH DIE NACHT, UNTER DEM MOND UND SEINER SPUR–TRINKEND BLUT–FÜR IMMER NUR.
(Inspiriert von Edgar Allen Poe - The Raven)
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Die Musik hüllt mich ein wie ein dichter Nebel, der schwere Bass dringt durch meine Haut, bis tief in meine Knochen. Ich bewege mich im Rhythmus, verliere mich im Takt der Klänge.
Die bunten Lichter flackern über mir. Eclipse ist mehr als nur ein Club; es ist unser Reich, das dunkle Herz der Nacht, das wir erschaffen haben. Die Türen öffnen sich erst, nach Sonnenuntergang, und schließen sich vor Sonnenaufgang.
Der Club ist ein Zufluchtsort für die jenen, die sich nach der Kälte der Nacht sehnen, nach der Nähe des Unheimlichen und Unerklärlichen. Sie kommen aus allen Ecken der Stadt hierher, um zu tanzen, zu vergessen, um in den Tiefen des Schattens ihre wahre Natur zu entdecken. Von außen wirkt der Club wie ein vergessenes Relikt, ein verborgenes Juwel, das sich in einer stillen, verlassenen Seitenstraße von London versteckt hält.
Die Fassade ist alt und schäbig, mit bröckelndem Putz und verwittertem Mauerwerk, als hätte sie viele Jahrzehnte der Vernachlässigung überdauert. Efeuranken umschlingen die verrostete Regenrinne, drängen sich durch Fenster, die an manchen Stellen mit groben Brettern vernagelt sind. Nur jene, die wissen, wonach sie suchen, werden die verborgene Bedeutung der unauffälligen Eingangstür erkennen.
Eine feine, fast unsichtbare Gravur im Türrahmen – ein kunstvoll eingearbeitetes Symbol – in der Mitte des Zeichens befindet sich ein Kreis, der die Unendlichkeit verkörpert. In diesen Ring winden sich drei ineinander verschlungene Linien, die in Form einer stilisierten Triskele dargestellt sind. Die Spiralen fließen ununterbrochen zusammen, was den ewigen Kreislauf symbolisiert, der in den Schatten verborgen bleibt. An den Enden sind scharfe, nadelartige Spitzen eingraviert. Das Zeichen weist den Eingeweihten den Weg in die Welt dahinter.
Wer es wagt, die Tür zu öffnen und den Club zu betreten, wird sofort von einer Atmosphäre eingefangen, die unvergleichlich ist. Im Innern erwartet einen eine andere Welt, fernab der Hektik Londons.
Das Interieur des Clubs ist in tiefen, samtigen Farben gehalten. Überall flackern Kerzen, deren Lichter Schatten auf die Wände werfen. Hohe Decken mit kunstvollen Stuckverzierungen, schwere Vorhänge aus tiefrotem Samt, die den Raum in Geheimnisse hüllen, und ein Boden aus poliertem dunklem Holz, das unter jedem Schritt knarrt. Der Club strahlt eine Aura von Eleganz aus, in der die Zeit alles Vergängliche ignoriert. Diese Stimmung haben Darius und ich bewusst geschaffen – eine Mischung aus verführerischer Dunkelheit und raffinierter Eleganz. Wir haben einen sicheren Hafen erschaffen, für die, die das Geheimnisvolle und Verborgene suchen. Eine Zuflucht vor der lauernden grellen Realität. Ein Rückzugsort für jene, die sich in der Dunkelheit zu Hause fühlen. Jeder, der hier eintritt, wird in diese einzigartige Atmosphäre hineingezogen, in ein Geheimnis, das nur wenige kennen.
Unsere Gäste gleiten wie Schatten durch den Eingang, gehüllt in schwere, dunkle Kleidung, die aus Samt und Leder gefertigt ist.
Jeder Schritt lässt den dichten Stoff ihrer langen Mäntel und Roben sanft über den polierten Boden gleiten, als würden sie mit der Dunkelheit selbst verschmelzen. Ihre Haut ist auffallend blass, fast überirdisch im Kerzenschein und den flackernden Strahlen der dezenten Beleuchtung.
In diesem schummrigen Licht scheint ihre Haut zu leuchten, wie aus einer anderen Welt, die jenseits des Lebens liegt. Schwarzer Lippenstift zieht sich wie eine stille Warnung über ihre Münder.
Ihr sorgfältig kunstvolles Augenmakeup verleiht ihnen eine unnahbare Aura. Die Gesichter unserer Gäste sind wahre Kunstwerke, als wären sie nicht von dieser Welt, ihre Konturen markant und geheimnisvoll weich, als ob sie die Grenze zwischen dem Irdischen und dem Übernatürlichen verwischen würden. Jedes Gesicht erzählt eine Geschichte, trägt eine Maske, die sowohl Schönheit als auch Schrecken verkörpert, eine Manifestation der inneren Dunkelheit, die sie mit Stolz tragen.
Ihre Augen, tief und durchdringend, scheinen mehr zu sehen als nur die physische Welt, als würden sie die Geheimnisse der Nacht in sich tragen. Hier, in dieser düsteren, verführerischen Umgebung, sind sie mehr als nur Besucher – sie sind die lebendigen Verkörperungen jener dunklen Ästhetik, die den Club erfüllt und ihn zu einem Refugium für die Wenigen macht, die im Schatten wandeln und in der Dunkelheit ihre wahre Heimat gefunden haben. Sie sind nicht nur einfache Menschen – sie sind Jäger der Nacht, Seelen, die von etwas Dunklem getrieben werden.
Der Club ist voller Geheimnisse, verborgen in den Ecken und Winkeln, die nur wir kennen. Hinter schweren Türen, die sich nur für uns öffnen, gibt es Räume, die selbst die Stammgäste nicht erahnen.
Hier, in diesen privaten Kammern, finden unsere intimsten Begegnungen statt, abseits der Menge, in völliger Abgeschiedenheit, nur von schwachem Kerzenlicht beleuchtet. Eclipse ist unser Königreich, unser Refugium. Ein Ort, an dem die Nacht regiert und die Finsternis lebt. Jeder Gast, der diese Türen durchschreitet, wird ein Teil unseres Spiels, unserer Welt.
Mein Blick schweift zu Darius. Er sitzt an unserem Stammtisch, das Handy in der Hand, sein Blick starr auf den Bildschirm gerichtet. Seine Augen, die früher nur mich gesehen haben, sind jetzt gefangen in einem kalten, leuchtenden Rechteck. Ich tanze weiter, meine Bewegungen werden mechanisch.
Meine Freude schwindet mit jedem Moment, den er nicht zu mir aufschaut. Ich sehne mich danach, seinen Blick auf mir zu spüren, sein Verlangen, seine ungeteilte Aufmerksamkeit, die uns einst untrennbar miteinander verbunden hat. Stattdessen hält er das Handy in der Hand, scrollt, tippt, als wäre es die einzige Sache, die ihm in dieser Welt noch etwas bedeutet. Plötzlich wird die Musik unerträglich laut, und ich halte es nicht länger aus.
Ich kämpfe mich durch die Menge, die mich von allen Seiten bedrängen. Als ich bei ihm ankomme, ist mein Herzschlag schneller, nicht vom Tanz, sondern vor Zorn, der in mir aufsteigt.
»Darius«, beginne ich, meine Stimme lauter, als ich es beabsichtige. »Könntest du vielleicht dein Handy für eine Sekunde weglegen und dich mir widmen?« Er hebt den Blick, als hätte er nicht einmal bemerkt, dass ich weg war.
» Idy. Ich bin beschäftigt«, antwortet er kühl.
»Beschäftigt?« wiederhole ich mit einem spöttischen Unterton, während sich mein Blick vor Empörung verengt.
»Beschäftigt mit was? Mit was könnte, das hier konkurrieren?«, frage ich und breite die Arme weit aus, als wollte ich die ganze Welt des Clubs in meinem Griff erfassen.
Als würde ich ihm die Essenz dessen entgegenhalten, was uns einst so untrennbar verbunden hat – eine Welt, die vor Dunkelheit und Verführung pulsiert, während er sie nicht mehr wahrzunehmen scheint.
»Ich bin direkt vor dir, Darius, und du... du starrst nur auf dein verdammtes Handy.«
Daraufhin legt er es langsam auf den Tisch und antwortet in einem genervten Ton:
»Es ist nichts Wichtiges. Ich wollte...«
»Was?« Unterbreche ich ihn, meine Stimme zittert vor unterdrückter Wut. »Du bist hier mit mir, in diesem Moment, und doch bist du irgendwo anders. Früher hattest du nur Augen für mich, aber jetzt? Scheinst du mehr Interesse an diesem verdammten Ding zu haben als an mir.« Er seufzt und reibt sich die Stirn, als wäre ich diejenige, die anstrengend ist.
»Idy, du übertreibst. Es ist nur ein Telefon.«
»Nur ein Telefon?« Ich lache bitter.
»Nein, es ist mehr als das. Es ist ein Symbol dafür, dass ich nicht mehr das Zentrum deiner Welt bin. Früher war ich das Einzige, was dich interessiert hat. Jetzt bin ich nur noch ein Schatten, an deiner Seite.«
Er öffnet den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hebe die Hand, um ihn zu stoppen.
»Lass es. Ich brauche frische Luft.«
Bevor er reagieren kann, drehe ich mich um und gehe. Ich spüre seinen Blick auf meinem Rücken, aber das Gefühl ist nicht das, was ich mir wünsche. Er soll mich wieder so ansehen, mit dem Feuer, das mich in den Wahnsinn treibt, mit einem Verlangen, das mich am Leben hält. Mit jedem Schritt Richtung Hinterausgang wächst die unerträgliche Leere in mir, als würde sie mich verschlingen. Ich schiebe die Tür auf, die in eine schmale Gasse führt, und atme tief durch.
Die kühle Nachtluft schlägt mir entgegen und ich versuche, den Kloß in meinem Hals, der sich vor Wut gebildet hat, hinunterzuschlucken. Unerwartet legt jemand seine Hand brutal auf meinen Mund und drückt mich von hinten fest an sich. Noch bevor ich reagieren kann, spüre ich die scharfe Spitze einer Nadel, die tief in meinen Hals eindringt.
Die Welt beginnt zu schwanken, die Musik des Clubs wird zu einem fernen Rauschen. Mein Körper wird schwerer bei jedem Atemzug. Als würde die Dunkelheit mich umarmen. Ich versuche zu fliehen, aber die Kontrolle entgleitet mir. Bevor die Bewusstlosigkeit mich überrollt, habe ich nur ein Gedanken: Darius.
Ich wende meine Augen vom Display meines Handys ab. Die Tanzfläche ist noch immer voller Menschen, ein Meer aus Körpern, die sich im Takt der Musik bewegen. Mein Blick schweift suchend über die Menge, Idy ist nicht unter ihnen. Ich schaue auf die Uhr meines Handys – Stunden sind vergangen, seit sie mir den Rücken zugewandt hat, in ihrem stolzen, zornigen Gang. Ich gebe einem meiner Männer ein Zeichen, die stummen Wächter, die an meiner Seite stehen wie Schatten, die mich niemals verlassen.
»Wo ist sie?«, frage ich, angespannt. Beide sehen sich kurz an, bevor sie mir antworten.
»Wir haben sie nicht gesehen, Sir. Sie ist gerade erst gegangen.«
»Das war vor einer Ewigkeit«, erwidere ich, und ein ungutes Gefühl breitet sich in meiner Brust aus. »Findet sie. Jetzt!«, befehle ich.
Ohne ein weiteres Wort machen sie sich auf die Suche, gleiten durch die Menge, ihre Bewegungen sind zielgerichtet. Ich bleibe nicht zurück, um abzuwarten. Jede Sekunde, die vergeht, drängt mich vorwärts, treibt mich mit einer Energie an, die ich kaum kontrollieren kann. Ich bewege mich durch die Menschen, ihre Gesichter verschwommene Flecken aus Licht und Schatten. Meine Augen suchen nur nach einer Person – nach ihr.
»Idy!«, rufe ich, aber meine Stimme verliert sich in dem Chaos des Clubs, verschluckt von der Musik, die mich jetzt nur noch quält. Kein Anzeichen von ihr. Keine Spur.
Ich dränge mich weiter durch die Menge, blicke in jede Ecke, jede Nische. Die Bar, die Tanzfläche – nichts. Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter, als der Gedanke in meinem Kopf aufkeimt: Sie könnte in Gefahr sein und ich habe es nicht bemerkt. Meine Männer kommen mit angespannten Gesichtern auf mich zu.
»Wir haben den gesamten Club durchsucht, Sir. Sie ist nirgendwo zu finden.«
Ich blicke ratlos umher, auf der Suche nach einer Erklärung.
»Das ergibt keinen Sinn«, murmle ich, aber meine Worte sind mehr an mich gerichtet als an meine Leute.
»Sie kann nicht einfach verschwunden sein. Idy würde mich nie verlassen.« Ein Gefühl von Panik beginnt sich in mir zu regen, eine seltene, unerwünschte Emotion, die ich normalerweise tief in mir vergrabe.
»Habt ihr den Hinterausgang überprüft?«
»Nein, Sir.«
»Dann tut das«, sage ich, meine Stimme schärfer als zuvor.
»Sofort!«
Gemeinsam schreiten wir mit festen, entschlossenen Schritten durch den Club.
Die Menge teilt sich, weicht instinktiv zurück, während wir uns unbeirrt zum Ausgang bewegen. Der Lärm des Clubs verblasst allmählich, bis er nur noch als fernes Murmeln wahrnehmbar ist. Als wir die Tür erreichen, halte ich kurz inne, bevor ich sie aufstoße.
Die kühle Nachtluft schlägt mir entgegen, und ich trete hinaus in die enge, verlassene Gasse. Die Wände sind schäbig und schmutzig.
Gedämpfte Lichtkegel werfen Schatten auf den feuchten Asphalt.
Mein Blick fällt auf den Boden, direkt vor der Tür, liegt ein zierlicher Schuh, als hätte ihn jemand achtlos zurückgelassen. Ein winziger, scheinbar unbedeutender Gegenstand.
In diesem Moment schnürt sich mein Brustkorb zusammen. Ein stechender Schmerz durchfährt mich, so scharf, dass ich für einen Augenblick wie gelähmt bin. Dieser Schuh, elegant und fein verarbeitet, gehört Idy.
Das weiche Material, das Design – alles daran schreit nach ihr, nach ihrer Anmut und ihrem einzigartigen Wesen. Ich gehe langsam darauf zu, als würde mich jede Bewegung unermessliche Kraft kosten.
Die Welt um mich herum verblasst, wird unwirklich, während die Realität auf mich einhämmert, unerbittlich und schwer wie Blei.
Ich hebe ihn auf. Mein Griff um den Stiletto wird fester, knöchern, während ich versuche, die unbändige Welle von Emotionen, die in mir aufsteigt, zu kontrollieren.
Das Blut in meinen Adern beginnt zu kochen, angetrieben von einer unstillbaren, dunklen Macht. Eine Mischung aus Angst und Wut brodelt in mir, ein düsteres, mächtiges Gefühl, das mich zu übermannen droht. Ich habe schon vieles gefühlt, und bin durch die Abgründe der Dunkelheit gegangen, aber das hier ist anders - reiner, roher Zorn, geboren aus der tiefsten Angst, die mich je gepackt hat.
Irgendjemand hat sie und ich weiß nicht, wer es ist oder was er ihr antut. Dieser Gedanke brennt sich in mein Bewusstsein, scharf und unbarmherzig, als hätte man mir einen Dolch tief in meine Brust gestoßen.
Die Vorstellung, dass sie allein ist, in den Händen eines Fremden, wehrlos, entfacht ein Feuer in mir, das alles verzehrt. Ich drehe mich langsam zu meinen Männern um, mein Blick ist schneidend und von einer Glut erfüllt, die sie sofort verstummen lässt. Sie spüren den Zorn, der aus mir herausströmt, eine finstere, bedrohliche Aura, die die Gasse erfüllt. Meine Hände zittern kaum merklich – nicht aus Schwäche, sondern vor der Anstrengung, den wütenden Sturm in mir unter Kontrolle zu halten.
Ich sehe in die Augen meiner Männer, und sie erkennen, dass dies kein gewöhnlicher Befehl sein wird. Das ist persönlich. Das bedeutet Krieg.
»Findet sie und bringt mir denjenigen, der es gewagt hat, sie mir wegzunehmen.«
Der Hass in mir wächst, verschlingt alles, was ich bin. Ich kenne keine Gnade, solange Idy in Gefahr ist. Die Welt wird brennen, wenn nötig - nichts und niemand wird zwischen mir und ihr stehen.
Als ich langsam wieder zu mir komme, empfängt mich eine undurchdringliehe Finsternis, die schwer auf meinen Augen lastete. Mein Kopf pocht, ein dumpfer Schmerz, der sich wie Wellen durch meinen Schädel strömt. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich nicht träume. Mein Atem ist flach und unregelmäßig.
Die Umgebung fühlt sich kalt und feucht an, sie trägt den fauligen Gestank von Moder und Verfall mit sich.
Als hätte der Ort, an dem ich bin, seit Jahrhunderten keinen frischen Wind gesehen. Ich versuche, mich zu bewegen, aber ein schmerzhaftes Ziehen an meinen Handgelenken hält mich zurück. Ketten. Sie sind schwer und schneiden tief in meine Haut, raue Metalglieder, die mich festhalten wie ein Tier in einem Käfig.
Mein Herz rast. Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, die Panik zu unterdrücken, die an den Rändern meines Bewusstseins lauert.
Das Atmen fällt mir schwer – der Sack über meinem Kopf drückt auf mein Gesicht und ein muffiger Geruch dringt in meine Nase, macht jeden Atemzug zur Qual.
Aus der Ferne dringt gedämpftes, verzerrtes Gemurmel in mein Ohr, als käme es aus einem Nebenraum. Raue Stimmen, grob und kalt, schwingen in einem ernsten, fast bedrohlichen Ton durch die Luft. Das Echo der Stimmen hallt durch das Gebäude, und die Akustik verrät mir, dass es ein großer Raum sein muss, aus Stein oder Beton.
Ein leises Quietschen ertönt – Metall auf Metall, wie eine alte, rostige Tür, die bewegt wird - nah, sehr nah. Ich halte den Atem an, lausche angestrengt dem zu, was als Nächstes kommt. Jemand nähert sich mir, mit schweren langsamen Schritten, die über den Boden schlürfen. Ich taste mit meinen Sinnen durch die Dunkelheit, versuche, jedes Geräusch und Geruch in mir aufzunehmen, um mir ein Bild von meiner Umgebung zu machen, aber es fällt mir schwer mich zu fokussieren.
Als plötzlich das Kratzen von Metall auf Stein, direkt neben mir ertönt. Jemand ist da, so nah, dass ich seine Gegenwart spüren kann, seine kalte, abgestandene Atemluft, die durch den Sack dringt und sich in meinem Nacken festsetzt. Das Kratzen verstummt.
Ich schlucke, spüre den trockenen Kloß in meinem Hals. Ein Geräusch durchdringt klar und nah die Stille – das metallische Klicken einer Klinge, die unerwartet hervorschnellt.
Vor Schreck gefriert mein Blut in meinen Adern. Jeder Instinkt in mir schreit, mich zu bewegen, zu kämpfen, zu fliehen, aber die Ketten halten mich gefangen. Ich bin völlig hilflos, ihnen ausgeliefert. Eine raue Stimme dringt leise zu mir durch.
»Hey. Bist du wach?«
Mein Magen zieht sich zusammen. Ich sage nichts, denn jede Antwort könnte mich weiter in ihre Hände spielen. Stattdessen versuche ich, die Panik niederzuringen und meine Gedanken zu ordnen.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange wir auf diesen Moment gewartet haben«, ertönt eine freudige Männer Stimme, dabei spüre ich die kalte Klinge an meiner Kehle. Die Bedrohung ist all gegenwärtig. Plötzlich packt eine warme Hand meinen Arm, hart und unerbittlich. Die Ketten werden enger gezogen, der Schmerz zieht durch meine Haut. Mein ganzer Körper ist angespannt, ich kann mich keinen Zentimeter rühren. Die männliche Stimme lacht leise, als würde sie Gefallen an meiner Hilflosigkeit findet.
»Bald wird dein lieber Darius merken, dass du nicht mehr da bist«, flüstert er mir freundlich ins Ohr.
»Und dann wird das Spiel erst richtig interessant«, fährt er fort. Tausend Gedanken schießen in meinen Kopf.
Was ist damit gemein? Was hat er vor?
Eine Erleichterung fährt durch meinen Körper, als die Klinge meine Kehle verlässt.
»Zeit, dass wir uns in die Augen sehen«, erklingt eine andere Stimme.
Der Sack wird abrupt von meinem Kopf gerissen, und ich blinzele gegen das schwache Licht, das meine Augen blendet. Ein brennender Schmerz zieht durch meine Augäpfel. Langsam klärt sich mein Blick. Man hält mich gefangen in einem alten verfallenen Raum, der einer Gruft ähnelt. Die Wände bestehen aus nacktem rissigem Beton, fleckig, mit einer Schicht aus Staub und Schutt.
Eine einzelne Glühbirne hängt von der Decke, ihr unregelmäßiges Flackern taucht den Raum in ein schwaches, gelbliches Licht, das die Schatten noch tiefer und bedrohlicher wirken lässt. Mein Blick fällt auf meine Entführer.
Vor mir stehen drei Männer. Ihre Gesichter sind hart, gezeichnet von einem Leben, das viel zu viele Narben hinterlassen hat.
Der erste von ihnen, der so wie es mir erscheint, offenbar der Anführer ist, steht direkt vor mir - groß und breitschultrig, mit einem kahlen Schädel.
Seine Augen sind klein und schwarz, wie kalte Kohlestücke, die keinerlei Wärme ausstrahlen. Ein dünner, grauer Bart, der eher einem Schatten gleicht, umrahmt seinen Mund, der zu einem verächtlichen Lächeln verzogen ist.
»Guten Morgen, Prinzessin«, sagt er mit einer Stimme, die so rau ist wie Schleifpapier. Er trägt eine abgewetzte Lederjacke, deren Reißverschlüsse klirren, wenn er sich bewegt, und seine Hände sind von Narben übersät.
Der zweite Kerl steht etwas abseits, schlanker und nervöser. Die Unruhe ist ihm anzusehen, sie schleicht durch all seine Glieder. Angespannt wippt er auf seinen Füßen auf und ab.
Das ungepflegte blonde Haar fällt ihm ständig über die Stirn, und er fährt sich hektisch immer wieder mit der Hand hindurch, um es zurückzustreichen. Seine Augen sind weit aufgerissen, von einer fiebrigen Intensität, die an Wahnsinn grenzt. Das Gesicht ist schmal und kantig, die Wangenknochen treten deutlich hervor, als würde die Haut kaum die darunterliegenden Knochen verbergen. Tiefe Schatten zeichnen sich unter seinen hohlen Wangen ab, was ihm ein ausgemergeltes Aussehen verleiht.
Seine Kleidung ist schäbig, eine abgetragene Jeans und ein Sweatshirt, dessen Farbe längst zu einem nichtssagenden Grau verwaschen ist. Der dritte Typ steht dicht neben mir. Ich kann seine Nähe spüren, die Art wie er mich mit seinen Augen mustert. Anscheinend ist er der ältester von ihnen, vielleicht Mitte fünfzig. Sein Gesicht ist von tiefen Furchen durchzogen, sein Haar grau und kurz geschoren.
Er trägt einen alten Militärmantel, der an den Nähten ausfranst. Aus der Manteltasche holt er eine Schachtel Zigaretten und zündet sich eine an. Der Rauch, der sich in der Luft kringelt, verstärkt den modrigen Geruch des Raumes, eine Mischung aus verbranntem Tabak, Schimmel und Verfall, die mir Übelkeit bereitet.
»Sie sieht nicht besonders gefährlich aus«, sagt der Kerl neben mir zynisch.
»Der Schein trügt. Wenn sie könnte, würde sie uns in Stücke reißen. Nicht wahr, Kleines?« Erwidert der Anführer und deutet mit einem Nicken auf meinen linken Arm.
Ich blicke hinunter und sehe eine Nadel im schwachen Licht aufblitzen, die mit einem Schlauch verbunden ist. Am anderen Ende hängt ein Beutel, versehen mit einem Regler, der die Fließgeschwindigkeit kontrolliert. Die Blutkonserve liegt achtlos auf dem Boden, während sie sich langsam mit meinem Blut füllt.
»Ja, du siehst richtig. Wir entziehen dir deine Kraft. Damit du spürst, wie das Leben aus dir entweicht«, fährt er fort. Diese Männer – sie sind keine gewöhnlichen Entführer. Sie scheinen zu wissen, was sie tun und haben alles sorgfältig geplant.
Der Anführer hebt seine Hand und streicht mir mit seinem Finger über die Wange, eine Berührung, die mir Gänsehaut bereitet.
»Darius wird kommen«, flüstert er. »Und er wird sehen, was es bedeutet, das zu verlieren, was er liebt.«
Ich beiße die Zähne zusammen, will ihm nicht zeigen, dass seine Worte mich treffen, dass die Vorstellung, Darius könnte mich nicht rechtzeitig finden, eine Angst in mir entfesselt, die ich kaum unter Kontrolle halten kann. Der Typ neben mir drückt seine Zigarette aus, lässt den glühenden Stummel achtlos auf den Boden liegen.
»Sie wird bald ihre Rolle spielen«, sagt er ruhig, »Wir müssen nur geduldig sein.«
Der Anführer nickt langsam, sein Lächeln verblasst, als würde er eine Maske fallen lassen. In seinen Augen beginnt ein gefährliches Glimmen zu lodern, ein finsteres Funkeln, das wie ein Sturm heraufzieht und mich unaufhaltsam an den Rand eines Abgrunds drängt. Als würde sich die Luft um uns verdichten, schwer und bedrohlich, während sein Blick mich tiefer in eine unsichtbare Dunkelheit zieht, aus der es kein Entkommen gibt.
»Bringt sie in den nächsten Raum«, befiehlt er schließlich. »Es ist Zeit, das Spiel zu beginnen.«
Die Ketten an meinen Handgelenken und Füßen rasseln, als die Männer mich packen. Sie zerren mich grob über den Boden. Meine Beine sind wie Pudding. Ich schwanke, als die schweren Ketten mich nach unten zieht, aber die Hände der Typen halten mich aufrecht, gnadenlos.
Der Untergrund ist uneben, voller Schutt und losem Dreck. Der Raum, in dem sie mich führen, ist noch düstere als der erste, falls das überhaupt möglich ist. Der modrige Geruch, der zuvor nur unterschwellig war, ist hier fast erdrückend. Ich höre das leise Platschen, als einer der Männer durch eine Pfütze tritt.
Das Licht in diesem Raum ist schwächer, es flackert und wirft nur spärliche, tanzende Schatten an die Wände. Eine enge Kammer mit kahlen, feuchten Betonwänden, die von Schimmel überzogen sind. Ich sehe keine Fenster, keinen Ausweg. Nur eine schwere, rostige Tür, die hinter uns ins Schloss fällt und den letzten Rest Hoffnung erstickt.
Der Typ mit dem kahlen Kopf, der Anführer, stößt mich mit einem harten Griff gegen die Wand und ich spüre den kalten Beton an meinem Rücken. Ein Schauer läuft mir über den Körper, als ich die Feuchtigkeit des Mauerwerks spüre. Die Ketten klirren laut, als er sie durch eine schwere Metallöse in der Wand zieht und mit einem scharfen Klick sichert. Den Blutbeutel lässt er neben mir unachtsam fallen.
»Bequem?«, fragt er mit einem grimmigen Lächeln. Ich reagiere nicht, versuche nur, meine Atmung unter Kontrolle zu halten, den pochenden Schmerz in meinen Handgelenken und Füßen zu ignorieren. Jede Bewegung, die ich mache, zieht die Ketten enger, drückt das raue Metall in meine Haut. Der schlaksige Kerl mit dem fiebrigen Blick, nähert sich mir mit einer Klinge in der Hand. Seine gelblichen und schiefen Zähne blitzen hinter einem Lächeln hervor. Er hält das Messer nah an mein Gesicht, so nah, dass ich den scharfen Geruch von altem Blut und Rost riechen kann, der von der Klinge aufsteigt.
»Keine Sorge, Baby«, flüstert er mir ins Ohr, und sein Atem stinkt nach Zigaretten und etwas Saurem.
»Wir wollen dich nicht gleich zerstören. Das wäre zu schade, nicht wahr?«
Seine Hand fährt langsam unter mein kurzes Kleid. Ich spüre seine rauen zittrigen Hände über meine Schenkel gleiten, in Richtung meiner Mitte. Instinktiv presse ich meine Beine fest zusammen, versuche, den Ekel und die Angst, die in mir aufsteigt, zu unterdrücken.
Der ältere mit der brennenden Zigarette in der Hand, tritt einen Schritt näher. Er sagt nichts, betrachtet mich und kommt mir bedrohlich nahe. Er führt die Zigarette immer näher an meine Haut heran. Ich spüre die Hitze, die von der Glut ausgeht. Langsam berührt sie meinen nackten Schenkel, und er drückt sie unerbittlich tiefer in mein Fleisch. Ein ungewollter Schrei entweicht mir.
Ein brennender Schmerz zieht sich wie ein heißes Messer durch mein Fleisch. Sie lachen laut, ein böses, zufriedenes Lachen, das durch den Raum hallt.
»Das ist erst der Anfang«, sagt der Anführer.
»Aber mach dir keine Sorgen. Darius wird bald kommen und wir werden ihm zeigen, wie viel du uns wert bist.«
Ich blicke in seine kalten, schwarzen Augen und sehe das Versprechen darin – eine düstere Vorahnung von Qualen. Endlich weichen sie von mir zurück und schließen die schwere Tür hinter sich. Mein Schenkel schmerzt. In diesem ruhigen Moment werde ich von der Vergangenheit überwältigt, die ich so lange in die tiefsten Ecken meines Bewusstseins verbannt habe. Es ist nicht das erste Mal, das ich diesen Schmerz spüre – nicht körperlich, sondern emotional, verborgen in meinem Herzen, wo die Narben meiner Kindheit immer noch brennen.
Ich erinnere mich an die kühlen, abweisenden Augen meines Vaters, die mich immer mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Verachtung ansahen. In seinem Blick fand sich niemals ein Funke von Liebe, kein Hauch von Zuneigung.
Bereits als ich klein war, spürte ich, dass etwas nicht stimmt. Ich war das ungewollte, das nie ersehnte Kind.
»Du hättest niemals das Licht der Welt erblicken sollen«, hatte er einst gesagt, als ich noch jung war, zu jung, um die volle Bedeutung seiner Worte zu verstehen, aber alt genug, um den Schmerz zu fühlen, der darin lag. Diese Worte hatten sich tief in mein Herz gegraben, wie spitze Dornen, die mich jedes Mal stachen, wenn ich versuchte, ihm nahezukommen. Sein Gesicht war streng und emotionslos, wie eine unüberwindbare Mauer – kalt und unerbittlich. Als wäre ich für ihn unsichtbar, oder schlimmer noch, als wäre ich eine ständige Erinnerung an etwas, das er verabscheute. Mein Vater war ein Mann, der in einer anderen Zeit lebte, einem Gefängnis seiner eigenen gescheiterten Träume und vergrabenen Wünsche. In seiner Welt war kein Platz für ein Mädchen wie mich, ein Kind, das nie in seine Vorstellung von Perfektion passte. Ich war eine Last für ihn, eine lebendige Erinnerung an seine eigenen Fehler.
Und so stieß er mich weg, immer wieder, bis zwischen uns nichts mehr war als eine unüberbrückbare Kluft.
Meine Mutter war nicht besser. Während mein Vater mir mit offenen Worten klarmachte, dass ich unerwünscht war, so war sie es, die mir mit ihrem Schweigen die gleiche Botschaft übermittelte. Eine abwesende Präsenz, die nie wirklich da war, immer beschäftigt mit sich selbst, mit den gesellschaftlichen Masken, die sie trug, in einer Welt, die sie genauso wenig liebte, zu bestehen. Meine Sorgen und Ängste wurden mit einem müden Lächeln und einem kurzen Nicken abgetan, als ob sie meine Worte nicht wirklich hörte. Wenn ich nachts wach lag, den Kopf voller Gedanken und Fragen, fand ich keinen Trost in den Gesichtern meiner Eltern. Nur die kalte Dunkelheit des Zimmers umgab mich, während die Stimmen in meinem Kopf laut und unerbittlich wurden.
Freundschaften waren mir stets fremd, und es dauerte nicht lange, bis ich erkannte, dass ich anders war als die anderen. Meine Gedanken wichen von denen der übrigen Mädchen ab, die sich mit Vorliebe über Mode, junge Herren und die neuesten gesellschaftlichen Annehmlichkeiten unterhielten. Ich hingegen verlor mich oft in tiefen Überlegungen über Dinge, die für niemanden sonst von Belang zu sein schienen. Ich hinterfragte alles, mit einem unstillbaren Drang nach Erkenntnis.
Warum akzeptieren wir einfach das, was uns gesagt wird, ohne es zu überprüfen?
Diese Fragen nagten an mir, ließen mich nicht los, und ich konnte sie nicht ignorieren. Wenn ich meine Gedanken laut aussprach, stieß ich meist auf Unverständnis oder spöttische Blicke. Immer mehr zog ich mich in meine eigene Welt zurück.
Schon früh entdeckte ich eine Faszination für alte Schriften, die in den verstaubten Ecken der Bibliothek lagen und die sonst kaum jemand beachtete. Während meine Altersgenossen die neueren sentimentalen Romane oder populären Erzählungen verschlangen, zog es mich zu den klassischen Werken längst vergangener Zeiten, zu den düsteren, melancholischen Welten von Dante Alighieri und den komplexen Dramen von William Shakespeare. Diese Bücher sprachen zu mir auf eine Weise, die ich nicht erklären konnte – sie offenbarten mir, dass in der Dunkelheit eine Tiefe und Schönheit liegen kann, dass nicht alles, was finster war, auch hässlich sein musste.
Ich liebte den Winter mehr als den Sommer. Während die anderen sehnsüchtig auf die sonnigen Tage warteten, um draußen zu spielen, fühlte ich mich erst dann wirklich lebend, wenn die Welt unter einer dicken Schneedecke lag. Der Winter hatte etwas Beruhigendes, fast Magisches für mich. Die kahlen Bäume, die stillen, schneebedeckten Landschaften – sie waren für mich ein Bild von Reinheit und Klarheit. Der Sommer mit seiner brennenden Hitze und dem endlosen Lärm ermüdete mich immer nur. Deutlicher wurde der Unterschied, wenn die Nacht hereinbrach.
Die meisten Menschen liebten den Tag, suchten das Licht und die Wärme der Sonne.
Ich hingegen, fühlte mich in der Dunkelheit der Nacht erst richtig lebendig. Sie hatte etwas Beruhigendes, Geheimnisvolles, das mich anzog.