Customer Relationship Management - Reinhold Rapp - E-Book

Customer Relationship Management E-Book

Reinhold Rapp

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Beschreibung

CRM ist ein populäres Tool zum Management der vorhandenen Kunden und dient gleichzeitig als optimale Plattform zur gezielten Kundenakquisition. Reinhold Rapp liefert in diesem Buch zahlreiche Best-Practice-Beispiele, erläutert, was funktioniert und was nicht, und destilliert die Faktoren für erfolgreiche CRM-Prozesse heraus. Er zeigt, dass das Management der Kundenbeziehungen zum zentralen Ausgangspunkt der Unternehmensführung werden muss.

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Rapp, Reinhold

Customer Relationship Management

Das Konzept zur Revolutionierung der Kundenbeziehungen

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2005. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40176-8

|5|Für Berit, Katharina und Niklas.

Ohne sie wäre alles nichts.

|11|Vorwort zur Neuauflage

Als ich das Buch Customer Relationship Management im Jahr 2000 publizierte, war es das erste Buch zu diesem Thema in Deutschland. Inzwischen ist die Themenkonjunktur nach oben gegangen, und dieses Buch ist ein anhaltender Erfolg geworden. Gerne gebe ich dem Drängen des Verlages nach, eine neue Auflage herauszubringen.

Inzwischen ist das Thema Customer Relationship Management populär geworden. In zahlreichen Firmen wurden entsprechende Initiativen gestartet. Häufig wurde diesen das Etikett Customer Relationship Management erst in letzter Minute aufgeklebt. In vielen Fällen hatten diese Initiativen nicht den Erfolg, den man sich von ihnen versprochen hatte.

Mit diesem Buch möchte ich klären, wie richtiges Customer Relationship Management gestaltet wird und was die Faktoren für ein erfolgreiches Projekt sind.

Das systematische Management der Kundenbeziehungen bekommt in Umfragen unter Vertriebs- und Marketingleitern immer wieder den höchsten Stellenwert. Ebenso ist in den Strategieabteilungen der führenden Unternehmen auf der Suche nach möglichen Wettbewerbsvorteilen das Thema Customer Relationship Management eine der wenigen Quellen, die langfristige Positionierungsvorteile versprechen. Zudem sind nicht nur die Informationstechnologieexperten mit der Implementierung von Software und Systemen, die unter dem Begriff CRM-Tools zusammengefasst werden, beschäftigt, sondern inzwischen haben sich weitere Bereiche und Abteilungen mit der Theorie und der Praxis des Kundenmanagements auseinandergesetzt. Man denke nur an die Personalbereiche, die Kundenorientierung als Führungselement und Kulturgut |12|postulieren und bemüht sind, dies zu realisieren. Oder die Controlling und Finanzbereiche, die Geschäftsmodelle auf Kundenwerte (wie potenzielle Umsätze oder Kundenlebenswerte) ausrichten oder Kostensenkungen basierend auf Kundenprofitabilität realisieren möchten.

Nach Jahren der Beschäftigung mit Customer Relationship Management und einigen Irrwegen, die häufig durch zu starke Technologiegläubigkeit eingeleitet wurden, hat das Thema nichts an seiner Aktualität und Relevanz verloren – im Gegenteil: Bei der Verwirklichung steht es in vielen Firmen und Bereichen erst am Anfang.

Dabei ist die Erkenntnis, dass eine intensive Kundenbeziehung der wichtigste Wettbewerbsvorteil ist und den Wert eines Unternehmens messbar steigert, hingegen mangelnde Kundenbeziehungen einen enormen Kostenfaktor darstellen, keinesfalls neu. Während jedoch bisher Konzepte wie allgemeine Kundenzufriedenheit, Kundenorientierung oder Kundenbindungsmanagement vorherrschten, ist die Kundenbeziehung unter ökonomischen Aspekten zum interessanten Instrument für Analysten und den Aktienmarkt geworden. Wie wertvoll ist eine Kundenbeziehung? Wie langfristig ertragreich? Wie lassen sich ihre Potenziale sinnvoll nutzen? Und wie werden unterschiedliche Kundenbeziehungsmodelle aufgebaut, die finanziell überprüfbar sind und langfristig profitabel? Kundenbeziehungen stehen damit nicht mehr nur im Interessenfokus von Personen, die Unternehmen bewerten und kaufen, sondern werden zur Maxime und zum Leitfaden für das zukunftsgerichtete Management. Neben immer raffinierteren Methoden, den Kundenwert festzustellen und zu steuern, trieb vor allem die technische Entwicklung – und hier vor allem die des Internets – dieses Interesse an Customer Relationship Management an.

Allerdings war das Internet nicht die Ursache, dass Kundenbeziehungen immer mehr ins Blickfeld des ökonomischen Interesses geraten, sondern nur ein verstärkender Faktor. Die Präsidentin von American Express Relationship Services, Anne Busquet, stufte den Stellenwert der Kundenbeziehung als die zentrale Herausforderung des 21. Jahrhunderts bereits zu Hochzeiten des Internets realistisch ein: »Viele Leute glauben, dass wir das Zeitalter des Internets erreicht haben. Tatsächlich ist es eher zutreffend, dass wir das Zeitalter des Kunden vor Augen haben.« Jeden Tag realisieren Unternehmen mehr und mehr, dass die |13|Kunden die Kontrolle übernehmen. Sie haben mehr Zugang zu immer detaillierteren und besseren Informationen als je zuvor und machen davon intensiven Gebrauch. Es gab niemals eine Zeit, wo es besser war, ein Kunde zu sein – oder eine forderndere Zeit für Unternehmen, diese Kundenbeziehungen zu managen. Alle Unternehmen sind gezwungen, ein bisher nicht gekanntes Maß an Flexibilität zu entwickeln, mit höchster Geschwindigkeit auf Anforderungen zu reagieren und immer stärker personalisierte Produkte und Dienstleistungen dem Kunden zu offerieren, und zwar genauso, wie er es möchte und wann er es möchte. Die Unternehmen, die es schaffen, diesen Wandel zu vollziehen, werden von dem veränderten Stellenwert der Kundenbeziehung enorm profitieren und durch ihn wachsen. Die, die sich dagegen sträuben oder keine adäquaten Antworten entwickeln, werden scheitern.

Unternehmen, wie der Computerdirektversender Dell, der sein Modell des Kundenbeziehungsmanagements schon viele Jahre vor dem Internet aufbaute und immer mehr perfektioniert hat, oder europäische Pioniere, wie die Supermarktkette Tesco, die deutschen Finanzdienstleister MLP und AWD oder der Autovermieter Sixt sowie dynamische und wertschöpfungsorientierte Mittelständler zeigen deutlich, welche Potenziale durch konsequentes Customer Relationship Management freigesetzt werden. Diese Unternehmen haben eine enorme Adaptionsgeschwindigkeit realisiert. Zudem ist das Management der Kundenbeziehung nicht nur in Marketing und Vertrieb, sondern insbesondere in das Finanz- und Organisationsumfeld so eingebettet, dass es zum unternehmerischen Prinzip geworden ist. Kaum einer verkörpert diese Unternehmensstrategie besser als Michael Dell und seine Mitarbeiter im Hauptquartier in Round Rock, Texas. Nahezu in jedem Raum und an jeder Tafel hängen Schilder, auf denen die berühmten Worte stehen, die nach dem Gründer die Zukunft des Unternehmens bestimmen: »Die Kundenerfahrung: besitze sie.« Alle Faktoren zeigen, dass Wachstum und Gewinn und damit ebenfalls die Bonusse jedes einzelnen Mitarbeiters an die Kundenbeziehung geknüpft sind. Dell-Mitarbeiter werden ständig aufgefordert, das Management dieser Beziehung neu zu definieren und zu optimieren. Für Dell findet die grundsätzlich wichtigste Beziehung im Geschäftsleben zwischen Dell und seinen Kunden statt.

|14|Vorgenannte Unternehmen verstehen jede Kundenbeziehung als eine Möglichkeit, ihre Leistungen immer mehr zu personalisieren, die Kunden immer profitabler zu machen und die Beziehung konstant zu optimieren. Damit stehen die herkömmlichen Konzepte der allgemeinen Kundenzufriedenheit in einem krassen Gegensatz zu der von ökonomischen Zusammenhängen gestalteten Kundenorientierung. Für die meisten Unternehmen, die nach den traditionellen Konzepten arbeiten, ist der Kunde häufig eine anonyme Größe, die immer noch mit den Mitteln des Massenmarketings und des allgemeinen Vertriebs und Kanalmanagements global kontaktiert und sehr undifferenziert bedient wird. Die Reaktionen der anspruchsvollen Kunden ist entsprechend. Sie fühlen sich nicht ernst genommen und sie wandern unkontrollierbar von einem zum anderen Unternehmen. Aber auch diejenigen Unternehmen, die den Wert ihrer einzelnen Kunden und des systematischen Beziehungsmanagements erkannt haben, stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Wie kommunizieren beispielsweise Banken zielgerichtet mit Tausenden von Kunden? Und wie können sie ihr vielfältiges Produktangebot maßschneidern und auf unterschiedliche Kundengruppen ausrichten? Wie vor allen Dingen können diese unterschiedlichen Beziehungsmodelle ökonomisch erfolgreich sein, und wie kann dieser Erfolg systematisch gemanagt werden? Noch komplizierter und komplexer wird es, wenn Unternehmen, wie beispielsweise die sehr stark produktausgerichtete Automobilbranche, komplett von ihren Endkunden abgeschnitten sind, weil dazwischen der Handel steht. Wie also können sie ihre Kundenbeziehung erfolgreich gestalten, wenn sie ihre Kunden überhaupt nicht kennen und nicht einmal wissen, mit welchen man Gewinne erwirtschaftet?

Unternehmen stehen heute vielfach vor dem Dilemma, dass sie, obwohl sie täglich erfahren müssen, dass ihre herkömmlichen Managementansätze nicht mehr greifen, nicht mehr wissen, welche Strategien, Instrumente oder Ansätze zum Erfolg führen. Obwohl sie sich anstrengen und enorme Mittel in undifferenzierte Kundenbindungsmaßnahmen investieren, erzielen sie keine Verbesserungen der Kundenbeziehungen und ihres ökonomischen Ergebnisses in der gewünschten Form. Nur bei einer konsequenten Neuorientierung zum Customer Relationship Management hin ist aufzeigbar und nachweisbar|15|, warum und wie Kundenbeziehungsmanagement als Strategie zur Unternehmenswertsteigerung zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil wird und das zukünftige Wachstum sichert.

Wenn dieses Konzept vom Topmanagement verinnerlicht und von den Mitarbeitern verstanden wird, lassen sich die Potenziale dieses Ansatzes und der mit ihm verbundenen Technologien – wie Data Warehousing, Salesforce Automation oder des Internets – erst sinnvoll nutzen. Zukünftiges Customer Relationship Management baut auf Technologie auf, aber es wird nicht allein durch Technologie möglich. Charles Schwab, der Gründer und Vorsitzende des gleichnamigen Investmenthauses und Pionier in der Anwendung von Technologien in der Kundenbeziehung, antwortete auf die Frage, wie die Technologie den Unternehmensansatz veränderte: »Die Technologie hat nichts Wirkliches verändert. Anstatt unser Erwerbsleben zu verändern, hat sie eher den Weg verstärkt, den wir seit unserer Gründung im Jahr 1971 gehen. Unsere Wettbewerber haben durch eine sehr starke interne Orientierung und mangelndes Veränderungsvermögen den Blick auf ihr wichtigstes Vermögensteil, eben ihren individuellen Kunden, verloren. Wir hingegen haben es immer als ein Grundprinzip verstanden, die Investition für jeden sich leistbar und zu jeder Zeit verfügbar zu machen und mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten und hohen Serviceansprüchen die Beziehung zu unseren Kunden zu gewinnen und ertragreich zu gestalten. Unser wachsender Erfolg wurde durch die Technologien unterstützt, aber nicht durch die Technologien verursacht.«

Nicht jede neue Technologie ist also per se sinnvoll oder erfolgreich, sondern sie muss dem Prinzip des systematischen Managements der Kundenbeziehung dienlich sein und untergeordnet werden. Nur wenn ein Unternehmen versteht, welche unterschiedlichen Kundenbeziehungsmodelle ökonomisch zum Erfolg führen, lässt sich der Einsatz von neuen Technologien und die Umstrukturierung von Kanälen oder Betriebsaktivitäten sinnvoll bewerten. Zielsetzung dieses Buches ist es, dafür das notwendige Rahmenkonzept zu bieten und anhand von erfolgreichen, aber auch weniger erfolgreichen Praxisbeispielen vor dem Hintergrund der umwälzenden Veränderungen in Strategie, Marketing, Vertrieb, Controlling, Organisation und Personalmanagement die strategische Bedeutung, Zielsetzung, Inhalte und Umsetzungen |16|eines Customer Relationship Managements aufzuzeigen. Es wird dargelegt, wie Unternehmen durch ein systematisch implementiertes Kundenbeziehungsmanagement ihren ökonomischen Wert steigern können, um sowohl für ihre Kunden als auch für Besitzer und Investoren attraktiver zu sein.

Um die grundlegende Bedeutung und ökonomischen Zusammenhänge von Customer Relationship Management zu verstehen, wird zunächst dargestellt, warum das bestehende, alte Geschäftsmodell nicht mehr greift und herkömmliche Marketing- und Vertriebsmaßnahmen immer heftiger scheitern. Anschließend wird der Zusammenhang zwischen Customer Relationship Management und Gewinnerzielung sowie des Managements in der Steigerung des Unternehmenswertes betrachtet. Darauf aufbauend wird das CRM-Konzept, das Strategie, Prozesse und Tools der Implementierung und des Erfolgscontrollings umfasst, dargestellt und in seiner Einsatzfähigkeit Schritt für Schritt erläutert. Das Buch zeigt anhand von Fallstudien aus dem deutschen und internationalen Umfeld auf, wie das übergreifende und kundenprozessorientierte Customer Relationship Management-Konzept mit den kundenrelevanten Funktionen – wie Service und Kundendienst, Callcenter-Management, Internet, Beschwerdemanagement und Marktkommunikation, unterstützende Informationssysteme und kundenausgerichtete Herstellungs- und Bereitstellungsprozesse – verbunden werden kann, und wie die Zukunft des neuen Geschäftsmodelles Customer Relationship Management für den unternehmerischen Erfolg aussieht.

Customer Relationship Management wird dazu führen, dass planlose Diversifikationen technologiegetriebener Innovationen der Vergangenheit angehören können. Diejenigen Unternehmen werden erfolgreich sein, die die wichtigste Beziehung im Geschäftsleben, eben die zwischen Unternehmen und Kunden, auf eine neue und langfristig dauerhafte Ebene heben und auf diesem Weg für und mit allen damit verbundenen Anspruchsgruppen (wie Mitarbeitern oder Anteilseignern) die Grundlagen des zukünftigen Erfolgs legen werden.

Dr. Reinhold Rapp, Visiting Professor, Cranfield University

|17|1. Das Ende des bisherigen Geschäftsmodells

Neue Geschäftsmodelle bestimmen die Welt

Das 21. Jahrhundert beginnt mit dramatischen Umbrüchen im Wirtschaftsleben. Gerade in den ersten Jahren lässt sich die Einleitung von radikalen Veränderungen beobachten, die die Art, wie Unternehmen und Organisationen erfolgreich geführt werden, auf lange Sicht beeinflussen werden. Nichts dokumentiert diese Verschiebung der Perspektiven deutlicher als folgende Entwicklungen:

Permanenter Niedergang der traditionellen Industriebereiche Die anhaltende Arbeitslosigkeit im Industriesektor wird durch eine Vielzahl von Insolvenzen, Firmenpleiten und Fabrikschließungen weiter beschleunigt werden. Insbesondere in der Produktion gehen immer mehr Arbeitsplätze an internationale Wettbewerber und Standorte verloren. Ebenso können viele mittelständische Unternehmen nicht mehr mit Billiganbietern, vor allem aus dem asiatischen Raum, wettbewerbsfähig bleiben, oder sie scheuen die Investitionen, die notwendig sind, um dort einen eigenen Vertrieb und Service für die immer anspruchsvolleren Kunden aufzubauen. Diese Beispiele aus der deutschen Wirtschaft sind keine länderspezifischen Einzelfälle. In allen westlichen Nationen steht die Industrie vor ähnlichen Problemen. Einige Länder, insbesondere die USA und Großbritannien, versuchen aktiv dem wirtschaftlichen Wandel zu begegnen und zu ihren Gunsten zu steuern, indem sie ihre traditionellen Stärken betonen und attraktive Rahmenbedingungen schaffen|18|. Andere hingegen verharren in Passivität und überlassen die einzelnen Unternehmen ihrem eigenen Schicksal.

Wachstum durch Megafusionen und Akquisition Parallel zu der Schrumpfung verschiedener Sektoren schlossen sich Wettbewerber zusammen, um mit gebündelter Kraft neue Wachstumspotenziale zu ermöglichen. Doch die erfolgreichen Fusionen und Akquisitionen wurden zum Ausklang des letzten Jahrhunderts meist nur in den Bereichen Dienstleistung und Zukunftstechnologien, vor allem der Computer-, Telekommunikations- und Pharmaindustrie realisiert. Als Orientierung seien hier die erfolgreiche Integration des Beratungsteils von PriceWaterhouseCoopers durch IBM genannt, mit der man nicht nur die Wertschöpfungskette hinsichtlich Beratung und Service erweitert hat, sondern neue Kunden gewonnen und die Beziehung zu existierenden enorm erweitert hat. Oder die erfolgreichen Akqusitionsanstrengungen von Vodafone, die aus einem kleinen Unternehmen, das erst vor 20 Jahren gegründet wurde, die größte Kundenbasis in Europa im Bereich Mobilfunk geschaffen haben. Die Konzentration im Pharmabereich, bei der aus Hoechst erst Aventis wurde, und heute das früher führende deutsche Pharmaunternehmen ein Teil von Sanofi-Aventis ist. Der Kampf um Märkte und damit um den Zugang zum Endkunden hat damit eine neue Stufe erreicht, die ein Modell für viele andere Branchen sein wird. Entscheidend ist auch hier, dass es nicht die Größten sind, die die kleinen Unternehmen aufkaufen, sondern die tragfähigsten Geschäftsmodelle, die den Kunden klare Vorteile versprechen können, den Erfolg bringen.

Einkaufsmacht und Wissen der KundenNicht nur als Resultat der Fusionen ergibt sich eine immer stärkere Machtposition der Kunden im Business-to-Business-Bereich. Die Transparenz durch Internet-Plattformen und elektronische Auktionen führt dazu, dass die meisten Anbieter in einen Preisdruck geraten sind, und ihre Kunden oft besser informiert sind als der eigene Vertieb. Diese neue Stärke der Kundenseite gibt es zudem auch im Privatkundenbereich, denn hier ist der Individualverbraucher auch auf einem hohen Informationsniveau und spielt verschiedene Anbieter über die immer größer werdende und komplexere |19|Anzahl von Kanälen aus. Sie kaufen direkt oder haben keine Scheu, Grenzen zu neuen Anbietern zu überschreiten oder die existierende Beziehung auf ganz andere Beine zu stellen. Man denke nur an die Reisebranche, die durch Internetanbieter enorme Verschiebungen erfährt, oder die unabhängigen Finanzdienstleister, die Vermögensanalysen und -beratungen beim Kunden vor Ort anbieten.

Alle drei Entwicklungen – der Niedergang prosperierender Industriebereiche trotz erfolgreicher Rationalisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen, die Megafusionen von Unternehmen im globalen Wettbewerbsumfeld und die wachsende Einkaufsmacht von Unternehmen und informierten Privatpersonen – sind als Einzeltatbestände schwer verständlich. Zusammengefasst und auf ihre dahinter liegenden marktverändernden Kräfte reduziert, ergeben diese Tendenzen aber durchaus ein einheitliches Bild. Die treibenden Faktoren, die den Wert von Unternehmen schaffen und steigern, haben sich radikal verändert. Im Mittelpunkt der Unternehmenswertschöpfung und -steigerung steht nicht mehr der systematische Einsatz von Ressourcen wie Kapital und Arbeit. Wachstum und Unternehmenswertgenerierung werden nicht länger primär basierend auf Ressourcen oder Kompetenzen entstehen.

Dies gilt sehr beispielhaft für MLP, einen der größten Pioniere in der europäischen Finanzdienstleistungsindustrie. Obwohl sich das MLP-Produktangebot nicht von dem der existierenden Banken, Versicherer und anderer Spezialdienstleister unterscheidet, kombiniert das Unternehmen diese Leistungen mit einer einzigartigen Fähigkeit: Es richtet seine Strategie nicht produkt- oder kompetenzbezogen aus, sondern orientiert sich an einer profitablen Kernzielgruppe, mit der es eine Kundenbeziehung aufbaut und diese sukzessiv weiterentwickelt. MLP hat frühzeitig die Kernzielgruppe Hochschüler beziehungsweise Studenten fokussiert und begleitet diese bereits an den Universitäten mit einem intensiven Betreuungskonzept. Bei den kundenorientierten Aktivitäten stehen weniger die Versicherungen im Vordergrund als der Erfolg der MLP-Kunden. Um diesen zukunftsorientiert voranzutreiben, bietet MLP beispielsweise Bewerbungsseminare |20|und Berufsberatungen an. Auf diese Weise schafft MLP eine Vertrauensbasis zu einer zukünftig sehr lukrativen Zielgruppe, die erfahrungsgemäß beruflich erfolgreich sein wird und die Verantwortung für eine Familie trägt. Die Strategieessenz ist, dass MLP nicht über einzelne Produktbestandteile den Kontakt zum Kunden aufrechterhält, sondern dazu beiträgt, die Probleme des Kunden zum jeweiligen Zeitpunkt adäquat zu lösen. Obwohl sich auch MLP nicht vom Niedergang zahlreicher Kurse an den Börsen loskoppeln konnte und zudem unter einem Bilanzierungsproblem litt, ist es auch heute noch ein enorm substanzstarkes Unternehmen. Mit der Basis einer ertragsstarken Kundenbeziehung lassen sich solche Krisen besser durchstehen, und selbst in den schwierigsten Monaten der Unternehmensgeschichte gab es immer noch einen hohen Nettozuwachs von Kunden – und dies waren oft auch noch ehemalige Kunden traditioneller Banken.

Die Unternehmen, die es schaffen, sich auf eine lukrative Kundenzielgruppe hin auszurichten und Modelle zu erstellen, mit denen sie ihre Kundenbeziehung systematisch und langfristig managen können, haben den CRM-Ansatz verstanden. Dazu gehören Unternehmen wie eben MLP oder AWD, aber auch die schwedische Möbelkette IKEA, das Direktversandhaus Dell, der Sanitärhersteller Grohe, die britische Einzelhandelskette Tesco oder die Fluggesellschaft Deutsche Lufthansa. Sie alle setzen zur Steigerung des Unternehmenswerts gezielt Customer Relationship Management als Unternehmensstrategie ein und fokussieren die Kundenbeziehung als Instrument zur Wertschöpfung. Vor diesem Hintergrund konnten sie ein enormes Wachstum realisieren und ihren Unternehmenswert nachhaltig steigern.

Das Ende des Marketings, so wie wir es kennen

In den letzten Jahren hat die Bedeutung des klassischen Marketings für den Unternehmenserfolg dramatisch nachgelassen. Bei einem weiteren Fortschreiten dieser Entwicklung lässt sich vom Ende des Marketings |21|als Unternehmensführungskonzept und von der zentralen Rolle des Marketings und der Marketingverantwortlichen in den Unternehmen sprechen.

Viele Indikatoren weisen auf diese Entwicklung hin. Große, international operierende Unternehmen wie zum Beispiel BMW, die Deutsche Lufthansa, British Telecom (BT) oder Bertelsmann haben damit begonnen, ihre Marketingvorstandsbereiche aufzulösen und Marketing an verschiedenen, dezentralen Schwerpunkten und Positionen anzusiedeln. Parallel zu dieser Destrukturierung sind auch enorme Einschnitte in den Budgets, Mitteln und Ressourcen für das Marketing zu beobachten. Mehr und mehr werden in allen Unternehmen die Rolle und die Ergebnisse des klassischen Marketings in Frage gestellt. Das Hinterfragen der Marketingeffizienz, stringenteres Marketingcontrolling und zielgerichtetere Analysen über den Beitrag, den das Marketing zum Unternehmenserfolg beisteuert, deuten hier weitere grundlegende Veränderungen an. Heute gehen strategische Themen vielfach am Marketing vorbei oder werden nicht vom Marketing gelöst. Beispiele hierfür sind der Internet-/E-Commerce-Ansatz in vielen Unternehmen oder Elemente der strategischen Vertriebssteuerung wie Sales Force Automation (SFA). In vielen Unternehmen sind bei solchen strategischen Projekten der Strategiebereich oder spezielle Gruppen im operativen und meist dezentralisierten Vertrieb federführend. Das Marketing erfüllt nur noch eine Kommunikationsfunktion und wirkt nicht als der aktive Treiber solcher Projekte. Wenn überhaupt, hat Marketing in den letzen Jahren zur Kundenorientierung eher verhaltensspezifische Ansätze wie Kundenzufriedenheitsmessungen und globale Kundenorientierungsveränderungsmaßnahmen beigesteuert. Systematische Verbesserungen der Prozesse wurden nicht vorgenommen oder von den operativen Einheiten direkt realisiert. Das Marketing hat es versäumt, ein Gesamtkonzept zu erstellen und dies in allen kundenrelevanten Unternehmenseinheiten zu implementieren.

Darüber hinaus haben nur ganz wenige Unternehmen tatsächliche Fortschritte in der globalen Kundenzufriedenheitsorientierung gemacht, häufig sind gut gemeinte Maßnahmen relativ schnell wirkungslos verpufft|22|. Das Marketing selbst und die Marketingverantwortlichen sind zu wenig prozessorientiert, sondern agieren losgelöst und kampagnenorientiert. Viele Marketingbereiche sind Inseln im Unternehmen, die unabhängig und unabgestimmt Aktivitäten vorantreiben, die sich häufig mit klassischen Kommunikationsmaßnahmen oder Verkaufsunterstützungsaktionen beschäftigen. Diese Maßnahmen sind nur in seltenen Fällen in die Aktivitäten an der Kundenfront integriert. Marketing ist in vielen Fällen zur Servicefunktion und outsourcebaren Kommunikationseinheit verkommen.

Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird die Marketingleistung im Unternehmen weiter an gestalterischer und strategischer Bedeutung verlieren. Marketingkonzepte und -gedanken müssen wieder viel stärker auf das fokussiert werden, was sie eigentlich darstellen sollen, nämlich die konkrete Herausarbeitung von Kundennutzen und dessen permanente Lieferung in einer langfristigen Kundenbeziehung. Ausschlaggebender Faktor für dieses Ziel ist nicht die Kommunikation, sondern die differenzierte Leistung, die ein Kunde von seinem Lieferanten erwartet und die viel stärker individualisiert und in der jeweiligen Lebensphase des Kunden erbracht werden muss. Diese Leistung vollbringt ein moderner Customer Relationship Management-Ansatz und nicht die klassische, auf die Marketingfunktion orientierte Managementphilosophie. Customer Relationship Management erfüllt, indem es das Kundenmanagement in den Vordergrund stellt, eine weit über die klassischen Marketing- und Vertriebsfunktionen hinausgehende Aufgabe. Sein Fokus liegt auf der Generierung von Unternehmenswert auf der Basis der existierenden Kundenplattform, und sein Kerninhalt ist die langfristig angelegte Schaffung von Werten nicht nur durch Produktdifferenzierung, sondern vor allem durch Prozessdifferenzierung. Damit thematisiert der CRM-Ansatz sämtliche Kundenkontaktpunkte der zu »steuernden« Kundenbeziehung und nicht nur isolierte Kommunikationspunkte.

|23|Die Situation der heutigen marketingorientierten Führung:

Die derzeitigen allgemeinen und häufig mit Typologien arbeitenden Marketingkonzepte spiegeln nicht das gewandelte Selbstbild des Kunden wider, der sich als Individuum begreift.

Die klassischen Kommunikationsinstrumente werden zunehmend ineffizient, weil sie die veränderte Medienlandschaft nicht berücksichtigen und lediglich zur Informationsüberflutung führen.

Die Unternehmensstrategien fokussieren nicht auf den Kunden. Nach wie vor dominieren Produkt- und Technikausrichtung, statt das Interesse am Kunde in den Mittelpunkt der unternehmerischen Inhalte zu stellen.

Man stellt sich zu wenig den Herausforderungen und Chancen, die sich durch die neuen Technologien eröffnen. Diese gehen wie beispielsweise Data Base Management analytisch vor und verfolgen nicht wie im klassischen Marketing emotionale Ansätze. Damit versäumt man eine alle Bereiche betreffende Entwicklungsdynamik sowie die synergetische Vernetzung dezentraler Kontaktpunkte und die Verarbeitung großer Datenmengen.

Die überholten Strategien des klassischen Marketings

Alois Harung, Vertriebsleiter eines Versicherungsunternehmens, liest nun zum vierten Mal die Jahresbilanz und versteht noch immer nicht die Gründe für die schlechten Zahlen. Obwohl das Unternehmen die Anzahl seiner verkauften Policen in den einzelnen Versicherungssegmenten in den letzten zwölf Monaten plus/minus ein paar Prozent in der Waage halten konnte, verringerte sich der Gewinn stetig. Wie konnte das sein? Müssten nicht, wenn jeden Monat ungefähr die gleiche Anzahl Policen verkauft wird, der Umsatz und zuletzt auch der Gewinn relativ gleichmäßig verteilt sein? Alois Harung nimmt sich die Unterlagen einiger seiner Agenten vor. Zuerst vertieft er sich in die von |24|Dirk Immelauer, dessen Aktivitätsraum das Ruhrgebiet ist. Nach Abschluss der Lektüre ist er hochzufrieden. Dirk Immelauer konnte überprozentual viele neue Kunden gewinnen und Abschlüsse tätigen. Dann liest er die Unterlagen von Florian Bins, der im wesentlich dünner besiedelten Schleswig-Holstein aktiv ist. Schon nach kurzem Einlesen wird erkennbar, dass Bins weit weniger Kunden akquiriert hat. Der Vertriebsleiter führt diesen Umstand zuerst auf den schlechteren Standort sowie auf einen verminderten Einsatz von Florian Bins zurück. Immerhin gehört Bins nicht mehr zu den Jüngsten. Über die Jahre hinweg hat sein Engagement wahrscheinlich nachgelassen. Er nimmt sich vor, mit Florian Bins zu sprechen und ihn anzuregen, mehr Energie in den Aufbau neuer Kunden zu stecken. Doch als er die Gewinne seiner beiden Agenten vergleicht, ist er erstaunt. Florian Bins hat wesentlich mehr zum Gewinn beigetragen als der scheinbar um ein Vielfaches aktivere Dirk Immelauer. Alois Harung steigt noch tiefer in die Materie ein und stellt fest, dass Dirk Immelauer genauso viele Kunden, wie er dazugewonnen hat, auch wieder verloren hat, während Florian Bins einen konstant gepflegten Kundenstamm und dessen gezielte Ausweitung vorweisen kann. Der Vertriebsleiter wird nachdenklich und forscht im Zahlenmaterial der anderen Agenten. Doch das Ergebnis bleibt gleich. Diejenigen Agenten, die ihre Energie in die Akquisition gesteckt haben, stehen bezüglich der Gewinnsituation weit hinter ihren Kollegen, die systematisch ihre Kunden pflegen.

Das Ziel des Vertriebsleiters, die unternehmerische Strategie mit der quantitativen Akquisition von Neukunden gleichzusetzen, spiegelt die strategische Ausrichtung vieler Unternehmen wider. Die Mehrzahl ist auf die Gewinnung von Neukunden und nicht auf den Erhalt ihres Kundenstamms gerichtet. Im Durchschnitt verlieren Unternehmen alle fünf Jahre die Hälfte ihrer Kunden. Und das Erstaunliche ist, dass sie es noch nicht einmal wissen, weil sie die Fluktuation nicht messen. Doch diese Strategie erinnert an die Feuerlöschaktion der unvergesslichen Komödianten Laurel & Hardy. Verzweifelt schöpft Laurel mit einem löchrigen Eimer Wasser aus einem Brunnen. Während er zur Feuerstelle rast, sprudelt das Wasser, von ihm unbemerkt, aus den Löchern, sodass ihm, beim Feuer angekommen, kein Tröpfchen mehr |25|zum Löschen verbleibt. Er wiederholt die ergebnislose Aktion ein ums andere Mal. Ähnlich verfährt die Mehrzahl der Unternehmen mit ihren Kunden. Während sie alle Anstrengungen darauf ausrichten, neue Kunden zu gewinnen, wandern unbeobachtet die bestehenden Kunden ab, weil sie unzufrieden sind, weil der Vertrieb nicht funktioniert, die Kommunikation mangelhaft ist, die Produkte nicht ihren Bedürfnissen entsprechen, und weil sie schlichtweg nicht gepflegt werden. Ein kostenintensiver und ineffizienter Teufelskreis, bei dem die Gründe für die Abwanderung der Kunden unberücksichtigt bleiben. Aus der Abwanderung werden keine strategischen Rückschlüsse gezogen und entsprechend keine Optimierungen vorgenommen. Der bestehende Kunde wendet sich enttäuscht ab, weil nicht in ihn investiert wird, und er durch die Geschäftsbeziehung keinen sichtbaren Nutzen erhält. Der Kundennutzen aber ist die Grundlage jedes erfolgreichen Geschäftssystems. Auf die Generierung von Kundennutzen folgt eine erhöhte Kundenbindung, und Kundenbindung wiederum bringt Wachstum, Gewinne und noch mehr Wertschöpfung hervor. Gewinn ist nicht die Zahl, die bei der Jahresbilanz herauskommt, sondern eine Konsequenz der Wertschöpfung, die gemeinsam mit der Kundenbeziehung das wirkliche Herzstück eines erfolgreichen und dauerhaften Geschäftssystems ist. Kundenbeziehungen rechnen sich, Kundenschwund hingegen ist äußerst kostenintensiv. Im vorgenannten Beispiel muss der erste Versicherungsagent Zeit und Geld investieren, um seine immer neuen Kunden über die Produkte, Leistungen und Vorteile aufzuklären. Ein ineffektiver Ansatz. Ein neuer Kunde ist immer beratungsintensiver und deswegen weniger kostendeckend. In anderen Branchen wie beispielsweise bei Supermarktketten kommen weitere kostenintensive Faktoren hinzu. Da der Neukunde das Angebot nicht kennt, also eine höchst unspezifische Erwartungshaltung hat, der nur ein breites Angebot entsprechen kann, ist der Supermarkt gezwungen, eine größere Produktpalette anzubieten und hat damit höhere Lager-, Verwaltungs- und Werbekosten. Ein Kunde, der mit einem Unternehmen verbunden ist, kennt das Angebot, hat Vertrauen und steigert den Wert eines Unternehmens durch Mehrkäufe.

Die Kompensation von abgewanderten Kunden durch Neukunden hat noch einen weiteren gravierenden Nachteil. Bei der Akquisition |26|geht es vorrangig um Quantität, nicht um Qualität. Es findet keine Unterscheidung der Kunden statt, und alle Kunden werden einheitlich behandelt. Man gewinnt und verliert sie, ohne Kenntnis über ihr Profil zu haben, ohne zu wissen, ob es profitable Kunden oder unrentable sind, ob es sich wirtschaftlich rentiert, in sie zu investieren, oder ob eine Betreuung in Relation zum möglichen Gewinn zu aufwändig ist. Das vorgenannte Beispiel hat dies verdeutlicht. Während der eine Vertriebsmitarbeiter nur darauf aus war, so viele Kunden wie möglich anzuwerben und keinen Wert darauf legte, nachzurecherchieren, ob diese Neukunden an einer dauerhaften Beziehung interessiert sind, hat der zweite Vertriebsmitarbeiter erkannt, dass die Pflege seiner Kunden zu einer intensiven Beziehung führt. Die Kunden fühlen sich wohl, behalten ihre Versicherungen dauerhaft bei und sind offen, weitere abzuschließen. Darüber hinaus verfügt Florian Bins noch über den Vorteil, dass die zufriedenen Kunden ihn weiterempfehlen und zwar solchen Kunden, die ebenfalls an einer dauerhaften Beziehung interessiert sind. Leider verfahren die meisten Unternehmen wie der erste Vertriebsmitarbeiter. Sie unterscheiden nicht zwischen sprunghaften oder loyalen Kunden, zwischen profitablen und weniger oder absolut unrentablen Kunden. Genau das ist die Hauptursache für die Krise des Marketings und gleichzeitig der zentrale Ansatz des Customer Relationship Managements. Die Mehrzahl der Unternehmen kennt ihre Kunden nicht und ist vor diesem Hintergrund nicht in der Lage, den Wert ihrer einzelnen Kunden systematisch aufzuschlüsseln und ihre Marketingstrategien gezielt auf die profitablen Kunden auszurichten. Sie kommunizieren mit allen Kunden gleich und bieten auch allen die gleichen Produkte und Leistungen an.

Die Nachteile des Massenmarketings

Das Unternehmensziel liegt in der Neukundenakquisition, mit der abgewanderte Kunden kompensiert werden.

Es findet sowohl bei der Neukundenanwerbung als auch bei den bestehenden Kunden keine Unterscheidung zwischen profitablen und unrentablen Kunden statt.

|27|Alle Kunden werden gleich behandelt.

Die Ursachen für die Abwanderung werden nicht erforscht beziehungsweise abgestellt.

Es findet kein systematisches Kundenbeziehungsmanagement statt.

Die Kommunikation ist auf die Masse gerichtet und entsprechend kostenintensiv und ineffizient.

Die Marketingmaßnahmen bieten immer weniger Möglichkeiten, den Kunden zu erreichen.

Das Massenmarketing, das den Kunden in den Hintergrund rückt, wird wesentlich durch die Führungsspitzen selbst definiert. Langjährige Topmanager sind häufig tief von der Zeit geprägt, in der die Produkte, die Produktion und die Marktanteile eines Unternehmens im Mittelpunkt standen. Vor dem Hintergrund, dass kundenbezogene Strategien ein vollkommen neues Denken und neue Systeme erfordern, fällt ihnen die Neuorientierung hin zu kundenbezogenen Leistungsgrößen und Leistungsrechnungen mehrheitlich schwer.

Mit wachsendem Erfolg eines Unternehmens verlagerte sich im Massenmarketing zwangsläufig das Zentrum der Aufmerksamkeit vom Kunden weg hin zu unternehmensinternen Prozessen. Die Unternehmen reagierten auf die wachsende Nachfrage und versuchten ihre Unternehmenssysteme und -prozesse möglichst effizient und effektiv zu gestalten. In dem Maße jedoch, wie der Aufwand für die Selbstverwaltung und Steuerung von beispielsweise Budgets und Ressourcen zunahm, verloren die Unternehmen ihre Kundendynamik. Erst jetzt, wo die Kunden- und Marktprobleme, die aus dem Massenmarketing resultieren, nicht mehr zu bewältigen sind, setzt ein Umdenken und eine Refokussierung auf die Stärken ein.

Aber selbst wenn Unternehmen erkannt haben, dass Kundenbeziehungsmanagement ein wichtiger Wettbewerbsfaktor ist, gehen sie vielfach von der Fehlannahme aus, dass ihr Ziel die Zufriedenheit der Kunden sei. Doch Kundenzufriedenheit ist kein Gradmesser für die positive Entwicklung eines Unternehmens. Beispielsweise geben in der Automobilindustrie |28|85 Prozent der Kunden an, zufrieden zu sein, und doch kaufen lediglich 40 Prozent die gleiche Marke wieder. In der Airlinebranche sind in bestimmten Segmenten laut Umfragen 60 Prozent der Kunden zufrieden, aber ein wesentlich höherer Prozentsatz, nämlich 85 Prozent, loyal. Dabei wird »Zufriedenheit« als Gefühl und »Loyalität« als tatsächliches Verhalten, etwa ein Wiederkauf oder eine Weiterempfehlung, verstanden. Der Einzelne kann unzufrieden, aber trotzdem loyal sein – ebenso wie ein Kunde zufrieden sein kann, aber trotzdem nicht loyal sein muss, weil andere Elemente die Kundenbeziehung beeinflussen, beispielsweise die Neigung, immer neuere Produkte kaufen zu wollen.

Abbildung 1:

Der Wirkungskreislauf des klassischen Marketings

|29|Die Zahlen beweisen, dass Zufriedenheit nur ein bedingter Gradmesser für Kundenverhalten ist. Zufriedenheit fragt den augenblicklichen Zustand ab und berücksichtigt weder die zukünftigen Kaufentscheidungen noch die Position der Wettbewerber. Um den Kunden auch zukünftig auf seiner Seite zu wissen, ist eine dynamische Entwicklung der Kundenbeziehung unverzichtbar. Was der Kunde heute positiv bewertet, kann morgen bereits wieder überholt sein. Nicht anders ergeht es den zusätzlichen Werten, die neben dem Produkt oder einer Dienstleistung den Kunden als »Bindungsfaktoren« offeriert werden. Fasst er sie heute als etwas Besonderes auf, so bedeuten sie für ihn morgen schon Standard, und übermorgen erwartet er weitere Zusatzangebote. Genau diese dynamische Entwicklung der Kundenbeziehung realisiert der CRM-Ansatz. Er stellt, wie man später sehen wird, die Strategie und die entsprechenden Tools zur Verfügung, um konstant durch messbare Aktionen zu lernen und dadurch die einzelne Kundenbeziehung immer mehr zu verfeinern. Auf diese Weise erweitert CRM die Einsicht: »ohne den Kunden kann ich nicht leben«, durch die zielgerichtete Strategie »mit dem Kunden wachsen«.

Fallstudie Direkt Bank: Kundenmanagement und Kundenzufriedenheit

Kundenmanagement auf Basis von Zufriedenheitswerten berücksichtigt keine emotionalen und kognitiven Potenziale für eine Geschäftsbeziehung. Nach eigenen Angaben sind 94 Prozent der Kunden der Direkt Bank zufrieden und 62 Prozent sogar überzeugt. Auf den ersten Blick ein sehr gutes Ergebnis. Bei genauerer Betrachtung allerdings zeigt sich ein anderes Resultat. Genauere Untersuchungen der Direkt Bank belegen, dass sich die Kunden in fünf Zufriedenheitstypen einteilen lassen:

Der fordernde Unzufriedene (1 Prozent), der offenkundig die Mängel der Geschäftsbeziehungen äußert und erwägt, die Geschäftsbeziehung einzuschränken oder zu beenden – für die Bank eine positiv zu bewertende Gruppe, weil sie sehr aktiv ist, weil sie ihren Handlungsbedarf |30|definiert und damit die Chance bietet, gezielt auf den einzelnen Kunden einzugehen, um seine Abwanderung zu verhindern.

Der stabile Unzufriedene (2 Prozent), der seine Enttäuschung nicht äußert und erwägt, die Geschäftsbeziehung einzuschränken – eine schwierige Gruppe, weil sie sich nicht im Vorfeld zu den unerfüllten Erwartungen äußert, keinen Handlungsbedarf kundtut, sondern still die Geschäftsbeziehungen immer weiter einschränkt.

Der fordernde Zufriedene (77 Prozent). Er ist im Prinzip zuversichtlich, dass die Bank seine Erwartungen erfüllt. Er verlangt aber, dass die Bank auch zukünftig mit ihm Schritt hält und erwägt, die Geschäftsbeziehung zu erweitern. Eine für die Bank äußerst attraktive, aber gleichfalls bearbeitungsintensive Gruppe – diese Kunden sind prinzipiell sehr offen, mit der Bank weiter zu wachsen, fordern dafür aber auch hohe Leistungen.

Der stabile Zufriedene (18 Prozent), der möchte, dass alles so bleibt, wie es ist und erwägt, seine Geschäftsbeziehung auszuweiten – eine für die Bank leicht zu befriedigende Gruppe.

Der resignierte Zufriedene (2 Prozent), der glaubt, dass man von einer Bank sowieso nicht mehr erwarten kann und der seine Geschäftsbeziehungen nur vor diesem Hintergrund beibehält – eine für die Bank nur bedingt zugängliche Gruppe, weil sie keine konkrete Unzufriedenheit äußert, sondern schlichtweg von der prinzipiellen Unerfüllbarkeit ihrer Erwartungen ausgeht.

Das größte und attraktivste Segment für die Direkt Bank ist eindeutig der fordernde zufriedene Kunde, der einen aktiven Bankpartner erwartet, also dafür offen ist, sich – falls die Voraussetzungen stimmen – immer weiter zu entwickeln und die Beziehung zu der Bank auszubauen. Er äußert exakt seine Erwartungen beziehungsweise seine Unzufriedenheit und ermöglicht der Bank, mit ihrem Angebot und ihren Leistungen darauf zu reagieren. Das Beispiel dokumentiert, dass Zufriedenheit kein Gradmesser für eine funktionierende Kundenbeziehung ist, sondern lediglich den Ist-Moment definiert.

|31|Die Zukunft: Erlaubnis-Marketing ermöglichen

Frederic Holler, Marketingleiter eines Konsumgüterunternehmens, ist verzweifelt. Obwohl er in die letzte Kampagne viele Millionen Euro investiert hat, die Informationskanäle von klassischer Werbung, Direktmailings und groß angelegter Promotion auf die zusätzliche Einrichtung eines Callcenters ausgeweitet hat, geht der Absatz weiter zurück. Auch die Anstrengungen, die angebotenen Produkte weiter zu optimieren, scheinen keinen positiven Effekt auf die Entwicklung zu haben. Eine Analyse seiner Investitionen offenbart, dass er in den letzten zehn Jahren kontinuierlich das Marketingbudget aufgestockt hat, und dass parallel dazu der Umsatz kontinuierlich sank. Waren die Kampagnen nicht aufmerksamkeitsstark genug? Hätte er noch mehr Geld investieren müssen, um die Kunden zu erreichen? Oder liegt es gar nicht am Marketing, sondern der Wettbewerb ist im Vorteil, weil seine Produkte oder sein Vertrieb besser sind? Doch als Frederic Holler am Abend mit einem befreundeten Marketingleiter eines anderen Unternehmens ein Glas Wein trinkt, beklagt dieser haargenau die gleiche Problematik. Beide müssen sich eingestehen, dass ihre Maßnahmen ganz offensichtlich an den Kunden vorbeigehen.