Da, wo die Busse schlafen - Verena Soluna - E-Book

Da, wo die Busse schlafen E-Book

Verena Soluna

4,9

Beschreibung

Humorvoll, skurril, unterhaltsam: Das Leben schreibt bekanntlich die besten Geschichten. Zum Beispiel, wenn das Spracherkennungsprogramm mal wieder nur Bauernhof versteht, der Freund einem partout kein Reiteselchen schenken will, man von Heuschrecken angegriffen wird oder die eigene Schwester einem den Brautschleier klaut. Die Autorin schaut mit einem Augenzwinkern auf uns bekannte, aber auch kuriose Alltagssituationen mit Familie, Freunden, Partner und der Menschheit allgemein.

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Seitenzahl: 238

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Diese Kurzgeschichten basieren auf wahren Begebenheiten – außer die Passagen, die frei erfunden sind. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig – oder auch nicht.

Danksagung

Bedanken möchte ich mich beim Leben, das mich durch die vielen kleinen alltäglichen Dinge immer wieder zu neuen Geschichten inspiriert.

Über die Autorin

Die Autorin, die unter dem Pseudonym Verena Soluna schreibt, wurde 1982 in Würzburg geboren. Nach dem Studium der Romanistik an der Universität Bayreuth sowie der Universidad de Valladolid kehrte sie nach Würzburg zurück, wo sie heute lebt und arbeitet. Die vorliegende Kurzgeschichtensammlung ist ihre erste Veröffentlichung.

Für dich, Christian, der du immer für mich da warst und an mich geglaubt hast.

Inhalt

Heuschreckeninvasion

Was mit Computern

Mr. Know-how

Die Schnäppchenjäger

Heuschreckeninvasion die 2.

Ganzheitlicher Zeitvertreib

Im Streichelzoo

Die Rache der Heuschrecken

Ich wünsche mir

Sonntagsausflug

Das Sprach(v)erkennungsprogramm

Spielkind

Die Rückkehr der Heuschrecken

Bildungsfernsehen

Haarige Angelegenheiten

Die Sonnenanbeter

Insektenschreck

Beim Arzt

Halloween mit Einstein

Das Duell

Die Doppelhochzeit

Da, wo die Busse schlafen

Traute Zweisamkeit

Von kurzhaarigen Frauen, bierbäuchigen Männern

und ungewollten Kindern

Die Millionen-Idee

Die traurige Realität der Fiktion

Wenn möglich, bitte wenden!

Der Weihnachtsspaziergang

Heuschreckeninvasion

Es ist Samstag Früh und ich sitze bei meinen Eltern zu Hause am PC und bearbeite E-Mails. Das Wetter ist schön, bereits jetzt ist die Luft lau und warm und so habe ich die Balkontüre weit offen stehen. Als ich gerade bei der Hälfte der E-Mails angelangt bin, höre ich plötzlich neben mir ein seltsames Geräusch. Ich schaue mich um, kann jedoch nichts Verdächtiges entdecken. Also arbeite ich weiter. Da sehe ich aus den Augenwinkeln, wie sich rechts von mir etwas bewegt. Langsam drehe ich den Kopf und schreie ob des Anblicks laut auf, denn ich finde mich Auge in Auge mit einer riesigen grünen Heuschrecke wieder. Einen kurzen Moment lang starre ich sie an, sie starrt zurück. Dann jedoch erwache ich aus meiner Totenstarre, springe panisch auf und renne Richtung Tür. Doch irgendetwas hält mich zurück. Ich schlage wild um mich und merke erst jetzt, dass ich mein Headset noch aufhabe. Ich reiße es mir vom Kopf und lasse es samt Kabel einfach zu Boden fallen, denn jede Sekunde zählt. Erleichtert schlage ich die Tür hinter mir zu. Puh, geschafft! Leider habe ich in der Eile mein Handy drinnen liegen lassen und ich muss dringend noch jemanden anrufen. Mist. Was tun? Da fällt mein Blick durch die verglaste Tür auf den Papierkorb. Wenn ich es schaffe, den Papierkorb über die Heuschrecke zu stülpen, könnte ich mein daneben liegendes Handy retten. Das könnte funktionieren, die Frage ist nur, ob ich mich das traue. So eine Heuschrecke ist schließlich höchst gefährlich, da völlig unberechenbar. Aber mir bleibt keine andere Wahl. Vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, öffne ich die Türe und lasse die Heuschrecke dabei nicht aus den Augen. Doch sie sitzt noch immer am gleichen Fleck und rührt sich nicht. Schließlich bin ich drin und greife vorsichtig nach dem am Boden stehenden Papierkorb, während ich meinen Blick stets auf die Heuschrecke gerichtet halte. Oh Gott, soll ich es wirklich wagen? Alternativen gibt es jedoch keine, da ich mich weder traue noch den Willen habe sie zu töten, ganz abgesehen davon, sie in die Hand zu nehmen und einfach rauszusetzen. Also fasse ich all meinen Mut zusammen und nähere mich, den Papierkorb in der Hand, dem grünen Insekt. Bei jeder noch so kleinen Bewegung seiner langen Fühler oder Beine zucke ich zusammen und ziehe mich wieder ein Stück zurück. Schließlich habe ich mich ihm jedoch so weit genähert, dass ich nur noch den Arm auszustrecken brauche, um es zu erreichen. Mein Herz klopft wild und ich merke, wie mir der Schweiß aus den Poren tritt, doch todesmutig stülpe ich ihm schließlich mit letzter Kraft und zitternder Hand den Papierkorb über. Als ich schon triumphierend aufschreien will, sehe ich, dass der Rand des Papierkorbs nicht gleichmäßig auf dem Tisch aufliegt und so für die Heuschrecke die Möglichkeit zur Flucht besteht. Einen kurzen Moment zögere ich, doch dann greife ich instinktiv nach ein paar herumliegenden Zeitschriften und stopfe damit die Ausgänge zu. Zur Sicherheit lege ich anschließend noch ein schweres Lexikon obendrauf, damit auch ja alles dicht ist. Erst dann lasse ich mich ermattet in den Schreibtischstuhl fallen, nur um gleich darauf wieder aufzuspringen, denn wo ist mein Handy? Scheiße…

Was mit Computern

„Was macht eigentlich dein Freund?“ „Ach, der macht was mit Computern.“ „Was denn?“ „Ähm, ja, also nix mit Hardware, der programmiert so Programme…, glaub‘ ich.“

„Aha.“ Da ich mit einer Frau spreche, noch dazu einer Geisteswissenschaftlerin wie auch ich es bin, ist die Frage damit hinreichend beantwortet. Ein bisschen peinlich ist es mir ja schon, nicht mal genau zu wissen, was der eigene Freund macht, aber ich kann es mir einfach nicht merken. Und Informatiker sagt ja auch irgendwie nichts aus, außer, dass es um Informatik geht, und d.h. für mich, um Computer. Und dass er Informatik studiert hat, weiß ich ja. Als ich am Abend mit ihm telefoniere, frage ich ihn deshalb in einem günstigen Moment: „Was machst du noch mal genau?“ „Ich bin Softwareentwickler.“ „Du machst also Homepages?“ „Nein“, sagt er in angewidertem Ton, „d.h. ja, wenn es sein muss, aber eigentlich entwickle ich Programme.“ „Ach so, du bist also Programmierer.“ Leicht gekränkt antwortet er mir: „Programmierer beschränken sich auf die Implementierung der Software ohne eigene direkte Mitarbeit beim technischen Design sowie bei der Erarbeitung der Softwarearchitektur.“ „Jaaaa,“ sage ich gedehnt, „und du machst also was anderes?“ Er erläutert mir mit aller Geduld, zu derer er fähig ist (schließlich ist das nicht das erste Mal, dass ich ihn frage): „Die Hauptaufgabe eines Softwareentwicklers ist das technische Design und die Implementierung der an die Software gestellten Anforderungen, gepaart mit dem Modultest, auch Unit-Test genannt, der dafür implementierten Komponenten. Dazu benötigt der Softwareentwickler Kenntnisse über den gesamten Softwareentwicklungsprozess und muss Software-Prinzipien sowie die Methoden der Softwaretechnik beherrschen.“

„Und das kannst du alles?“, frage ich ihn beeindruckt.

„Ja“, erwidert er und fügt hinzu: „Außerdem werden Softwareentwickler aber auch noch für andere Aufgaben eingesetzt. Dazu gehören Analysetätigkeiten, also die Erarbeitung der Anforderungen an die Software, die Definition und Sicherstellung der Softwarearchitektur oder auch Testtätigkeiten wie beispielsweise die Erarbeitung und Durchführung von Testplänen. Zudem Projektmanagementtätigkeiten wie die Planung der Umsetzung.“ „Aaah ja“, sage ich. So genau wollte ich es gar nicht wissen, das kann ich mir doch wieder nicht merken. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr, mein Freund ist jetzt richtig in Fahrt gekommen, wie immer, wenn es um Computer geht. Er erklärt mir: „Der Begriff Softwareentwickler wird oft synonym mit Softwareingenieur verwendet, auf Englisch sagt man software engineer.“

„Na, das klingt natürlich gleich viel besser als Programmierer“, meine ich, während ich mir die Fingernägel feile. Ein Teil meines Gehirns hat inzwischen bereits abgeschaltet.

„Ganz genau“, erwidert er zufrieden und fügt noch hinzu:

„Die Bezeichnung Programmierer betont die Tätigkeit des eigentlichen Programmierens, im Gegensatz zu Aspekten der Softwarearchitektur, die bei der Softwareentwicklung eine größere Rolle spielen.“ „Aber du hast doch Informatik studiert, nicht Softwareentwicklung“, frage ich etwas verwirrt. „Was macht denn dann ein Informatiker?“ „Informatiker beschäftigen sich sowohl mit der Hardware- als auch mit der Softwareentwicklung. Der Begriff Informatiker wird jedoch primär für Softwareentwickler mit einer expliziten Ausbildung in diesem Fach verwendet“, erläutert er mir.

„Okay“, fasse ich zusammen, während ich versuche, meine Nägel gleichmäßig mit Nagellack zu bestreichen, „dann bist du also ein Informatiker, aber kein Programmierer und auch kein Hardware- sondern ein Softwareentwickler. Sind das denn überhaupt geschützte Berufe?“, will ich wissen.

„Softwareentwickler ist mehr eine Bezeichnung zur Stellenbeschreibung für Menschen, die – egal mit welcher Ausbildung – im Bereich der Softwaretechnik, also am Design und der Implementierung der Software, arbeiten. Der Ausdruck wird wie gesagt oft synonym mit Softwareingenieur verwendet. Beide Begriffe sind in Deutschland und Österreich keine geschützten Berufsbezeichnungen. Nach deutschem Recht darf die Berufsbezeichnung Softwareingenieur aber nur führen, wer ein technisches Studium mit Erfolg abgeschlossen hat.“ Woher weiß er das nur alles? Klingt wie ein Artikel aus einem Lexikon. Aber er konnte sich schon immer so gepflegt ausdrücken, für einen Naturwissenschaftler gar nicht schlecht. Und warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? So ergänzt er auch sogleich: „Daneben gibt es auch viele Quereinsteiger, die diese Tätigkeit autodidaktisch erlernt oder diese Fähigkeiten durch verschiedene Schulungen erworbenen haben.“ „Du ja auch“, bemerke ich, „schließlich hast du das Studium nicht abgeschlossen und arbeitest trotzdem.“ „Ja, das ist richtig“, stimmt er mir zu. Bevor ich das Thema wechseln kann, geht die Belehrung weiter: „Erwähnenswert ist historisch gesehen, dass der Softwareentwickler von heute nicht mehr auf die gleiche Weise arbeitet wie vor 30 Jahren. Früher mussten Programme oft noch direkt in Maschinencode geschrieben werden. Heutzutage wird diese Aufgabe allerdings im Wesentlichen von einem Compiler übernommen.“ Was zum Teufel war noch mal ein Compiler, das hatte er mir bestimmt schon einmal erklärt. Mist. „Was ist denn ein Compiler?“, frage ich ganz unschuldig. Hätte ich besser nicht gefragt, denn die Antwort fällt wie gewohnt sehr wortreich aus und ich fühle mich – leicht untertrieben – leicht überfordert. „Ein Compiler, auch Übersetzer, aus dem Englischen für zusammentragen bzw. vom lateinischen Wort compilare – aufhäufen –, ist ein Computerprogramm, das andere Programme aus einer Quellsprache zu ihrem semantischen Äquivalent in einer Zielsprache umwandelt. Insbesondere übersetzen Compiler Programmcode aus menschenverständlichen Programmiersprachen, also Quellcode, in maschinell ausführbare Maschinensprachen, also Maschinencode. Das Übersetzen wird auch als Kompilieren bezeichnet.“ Oh mein Gott, womit habe ich das verdient, ich wollte doch eigentlich nur wissen, was mein Freund beruflich macht. Doch schon geht es weiter, indem er noch hinzufügt: „Compiler sollen die im Quelltext enthaltenen Informationen zusammentragen, um selbständig möglichst effizienten Programmcode zu erzeugen.“ Glaubt der wirklich, das kann ich mir alles merken? „Compiler-Programme sind quell- und zielsprachenspezifisch und können daher meist nur von einer Quellsprache in eine Zielsprache übersetzen, d.h….“ An dieser Stelle unterbreche ich ihn, nachdem auch die dritte Schicht Nagellack getrocknet ist. „Du, ich muss leider los. Wir telefonieren morgen wieder.“ Sichtlich enttäuscht meint er: „Na gut, ich sehe eh gerade, dass Daniel online ist, dann kann ich ihn gleich fragen, ob er den letzten Build endlich deployed hat.“ „Ja genau“, sage ich erleichtert, „mach das.“ Als ich mich wenig später mit einer anderen Freundin treffe, einer Geisteswissenschaftlerin natürlich, antworte ich auf die Frage, was mein Freund eigentlich mache, mit dem Satz: „Ach, der macht was mit Computern…“

Mr. Know-how

Mein Freund ist allwissend. Und nicht nur das, er ist auch allfähig, womit ich nicht sagen will, dass er zu allem fähig ist, sondern dass er alle möglichen Fähigkeiten hat. Das klingt zunächst mal ganz gut, kann aber auch sehr anstrengend sein. Was er alles kann und weiß? Fragen Sie mich lieber, was nicht. Gut, dass er als Informatiker, pardon, Softwareentwickler, viel von Computern versteht, leuchtet mir ja noch ein. Wobei es auch hier erstaunlich ist, wie viel er selbst über Dinge weiß, mit denen er nur am Rande zu tun hat, wie z.B. das Design von Leiterplatten. Wobei ich das natürlich aufgrund mangelnden Fachwissens meinerseits nicht verifizieren kann. Überhaupt, wenn ich so darüber nachdenke, glaube ich ihm wahrscheinlich viel zu viel, denn er trägt die Sachverhalte stets in so sachlichem und überzeugendem Ton und mit entsprechender Mimik und Gestik vor, dass man gar nicht auf die Idee kommt, diese in Frage zu stellen. Gefährlich. Letztens z.B. hat er behauptet, man könne Zucchini auch roh essen, was ich sogleich am nächsten Tag ausprobierte. Ich dachte nämlich immer, das wäre giftig. Geschmeckt hat es ja ganz gut, nur hatte ich danach drei Tage lang seltsame Bauchschmerzen. Vielleicht hätte ich mich vorher noch eingehender erkundigen sollen, was die Verträglichkeit von rohen Zucchini angeht. Auch habe ich von ihm gelernt, dass Wespen zum Zwecke ihres Nestbaus Holz essen, welches sie dann nach dessen Verdauung und Ausscheidung als Baumaterial verwenden. Ich hatte mich nämlich gewundert, warum die immer bei uns an den Holzbalken nagen. Mit einer Antwort hatte ich ja gar nicht gerechnet und war umso überraschter, dass er eine auf Lager hatte. Möglicherweise sollte ich das jedoch noch mal überprüfen, bevor ich diese Information an die Menschheit weitergebe.

Ganz schlimm wird es, wenn es um Geschichte oder Politik geht. Was der alles weiß! Ob es um Europa oder die restliche Welt geht, ob Finanz-, Außen- oder Innenpolitik, er kann immer mitreden. Selbst was das Privatleben der entsprechenden Personen betrifft. Wussten Sie z.B. dass Saddam Hussein nur von seiner Mutter aufgezogen wurde, wie viele andere spätere Diktatoren, darunter Adolf Hitler, auch? Oder dass George W. Bush einmal fast an einer Brezel erstickt wäre? Ich auch nicht. Und ganz ehrlich, muss man so etwas wissen? Ich denke nicht, außer vielleicht man bewegt sich selbst in diesen Kreisen. Aber er weiß ja noch viel mehr, beispielsweise unter welchen Bedingungen Cannabis-Pflanzen am besten gedeihen (verdächtig), wie Kernspaltung funktioniert, dass Pumuckl ein Kobold ist und kein Klabauter wie seine Vorfahren, dass es auf Spitzbergen eine 120 m tief in einem Permafrost-Felsmassiv gelegene Pflanzensamenbank gibt, in der künftig bis zu 4,5 Millionen Pflanzensamenproben aller weltweiten Nutzpflanzen lagern sollen, um die wichtigsten Nutzpflanzenarten der Erde zu bewahren und sie vor genetischer Verunreinigung, Naturkatastrophen oder Atomkriegen zu schützen, dass die Bezeichnung Made in Germany ursprünglich eine britische Kennzeichnung zum Schutz vor billiger Importware war, die sich im Laufe der Zeit aufgrund der besseren Qualität oder des besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses der deutschen Waren zu einem Gütesiegel entwickelte, oder dass die Firmengeschichte von Nokia bis ins Jahr 1865 zurückreicht, als der finnische Bergwerksingenieur Fredrik Idestam im Süden Finnlands eine Zellstofffabrik zur Herstellung von Papier gründete, und dass, bevor das Unternehmen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer dynamischen Telekommunikationsfirma wurde, dort u.a. Gummistiefel produziert wurden. Ebenso ist ihm bekannt, dass die Nazis damals versucht haben, Augen zu bleichen damit sie heller werden und eher dem Ideal des Ariers entsprechen oder dass in den USA Gewaltverbrecher zum Teil in Zellen untergebracht werden, die in einem besonderen Rosaton gestrichen sind, welcher beruhigend wirken soll. Auf die Frage, woher er all das weiß, antwortet er lapidar: „Ich vergesse halt nichts.“ Beneidenswert. Besonders bitter ist für mich als Geisteswissenschaftlerin, dass er selbst von Literatur viel zu viel versteht, da das eigentlich mein Spezialgebiet sein sollte und ich nun selbst dort in Konkurrenz zu ihm treten muss. Nur einmal habe ich ihn bei einer unserer zahlreichen Wetten geschlagen (ich sollte mich wirklich auf keine mehr einlassen, aber ich lerne einfach nicht dazu und mein Kampf- und Wettbewerbsgeist ist nun mal genauso stark ausgeprägt wie seiner, nur dass ich mich meist auf meinen Instinkt verlasse und nicht so wie er auf Faktenwissen, was in diesem Fall jedoch ratsam wäre und die Chancen auf einen Sieg erheblich erhöhen würde), als er mir nicht glaubte, dass die Pluralform von Partikel Partikeln ist, zumindest in der Sprachwissenschaft. Ansonsten verliere ich regelmäßig, was jedoch meinem Wettwillen keinen Abbruch tut und mich, ganz im Gegenteil, sogar dazu anstachelt, ihm in irgendetwas überlegen zu sein.

So habe ich denn auch vor Kurzem mit einigen Freunden überlegt, was ich denn möglicherweise besser könne als er. Auf die Frage folgte zunächst betretenes Schweigen. Dann sagte eine Freundin: „Du kannst dich besser schminken.“ In mir wollte schon leise Freude aufkommen, als ein Freund von ihm anmerkte, dass das ja nicht bewiesen sei, er es wahrscheinlich nur noch nie versucht habe. Nach einigen Minuten weiteren intensiven Nachdenkens schlug eine andere Freundin vor: „Du kannst doch bestimmt besser Geschenke einpacken als er.“ „Selbst wenn“, erwiderte ich geknickt, „was ist denn das für eine erbärmliche Fähigkeit? Außerdem sind seine Geschenkverpackungen eigentlich ganz gelungen, könnte jetzt nicht sagen, dass sie schlechter wären als meine.“ Also wieder nichts. Der nächste Vorschlag kam von Steffi, die im Brustton der Überzeugung meinte: „Aber singen kannst du besser, wir haben dich schließlich letztens gehört, das klang echt toll!“ Niedergeschlagen antwortete ich ihr: „Da muss ich dich enttäuschen, singen kann er nämlich auch noch.“

„Und kochen?“ fragte sie hoffnungsvoll. Gequält verzog ich mein Gesicht und sagte: „Abgesehen davon, dass ich kochen hasse, kann ich es auch nicht besonders gut. Das reicht gerade einmal zum Überleben. Er hingegen liebt kochen und zaubert immer wieder fantastische Gerichte.“ Ich blickte in ratlose und nachdenkliche Gesichter. Es ist wirklich deprimierend, nicht mal in meinem Fachgebiet, den Sprachen, bin ich besser. Ich spreche zwar mehr Sprachen, sprachbegabt ist allerdings auch er. Wir einigten uns in Ermangelung von Alternativen trotzdem darauf, dass meine Sprachkenntnisse als den seinen überlegen gelten. Yippie. Da fiel mir in letzter Minute doch noch etwas ein, es ist zwar nichts, was ich besser kann, aber zumindest etwas, was er nicht so gut kann: einparken. Immerhin.

Aber es kommt ja noch viel schlimmer: Aufgrund seines fotografischen Gedächtnisses erinnert er sich auch an alles, man kann ihm wirklich nichts vormachen. Wie oft schon musste ich mir anhören: „Das habe ich dir doch schon mal erklärt“, „Das hast du mich doch erst letzte Woche gefragt“ oder „Weißt du wirklich nicht mehr, dass wir diesen Film schon gesehen haben?“ So streiten wir denn auch seit ca. einem Jahr, ob ich eine gewisse Fernsehserie zum ersten Mal alleine oder zusammen mit ihm gesehen habe. Ich bin fest davon überzeugt, im Recht zu sein. Da kann er schon mal ärgerlich werden, wenn man an seiner Merkfähigkeit zweifelt. Schließlich stelle ich damit seine Glaubwürdigkeit in Frage und verletze hierdurch sein Ehrgefühl. Zur Aufrechterhaltung einer harmonischen Beziehung habe ich dies eingestellt. Ich muss mich wohl oder übel gutgläubig auf mein wandelndes Lexikon verlassen. Insgeheim aber habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, täglich, mindestens jedoch einmal in der Woche, etwas zu finden, was er nicht kann oder weiß. Bis jetzt erfolglos.

Die Schnäppchenjäger

Auch wenn meine Eltern nicht aus dem Schwabenland stammen, so sind sie doch Meister des Sparens. Manchmal treibt dieser Sparwahn die seltsamsten Blüten. Zum Beispiel wenn es ums Essen geht. Auswärts essen ist schon fast eine Sünde und wird nur an höchsten Feiertagen toleriert und zelebriert. Aber bitte nicht beim Italiener um die Ecke, da ist es viel zu teuer, und auch nicht beim Chinesen in der Stadt, die haben da dermaßen überzogene Preise! Hat man es dann tatsächlich einmal bis ins Restaurant geschafft, wobei der Hinweg gleich noch dazu genutzt wird, ein paar Briefe auszufahren, um sich das Porto zu sparen, kommt schon die erste Warnung: „Es reicht ja, wenn wir zu viert drei Essen nehmen, es bleibt ja sowieso immer was übrig.“ Stimmt sogar, denn wir essen alle ziemlich wenig. Welch ein Glück! Doch schon geht es weiter: „Du brauchst doch wohl keinen extra Salat, ein paar Blätter sind ja auch beim Hauptgericht dabei.“ Na gut. Als meine Schwester sich eine große Johannisbeersaftschorle bestellen will, kommt der nächste Einwand: „Reicht da nicht eine kleine?“ Überhaupt muss ein Getränk definitiv reichen, ich habe es noch nie erlebt, dass wir mal etwas nachbestellt hätten. Aber man ist ja genügsam. Da an Vorspeise nicht einmal zu denken ist, versucht es meine Schwester nach dem Essen mit einer Nachspeise. Doch kaum hat sie ihren Wunsch vorgetragen, wird ihre Hoffnung auch schon zunichte gemacht, mit den Worten: „Was Süßes kannst du auch zu Hause essen, wir haben noch eine ganze Packung Eis im Kühlfach.“ Enttäuscht und mit noch leicht knurrendem Magen ziehen wir wenig später von dannen. Im Auto ist es etwas eng, da wir aus Benzinersparnisgründen mit dem kleinen Auto meiner Mutter gefahren sind. Die offizielle Begründung lautet, dass man damit leichter einen Parkplatz findet. Apropos Parkplatz: Als wir vor unserem Haus vorfahren, ist der Parkplatz direkt davor bereits belegt, was meine Eltern zu einer Schimpftirade veranlasst: „So eine Unverschämtheit, das ist unser Parkplatz, wozu haben wir denn Anliegergebühren bezahlt? Das muss wieder so ein Student von weiter unten sein. Und dann auch noch mit so einer Schrottkiste.“ Resigniert folgen wir den beiden ins Haus. Meine Schwester ist nur deshalb mit reingekommen, damit sie ein paar Lebensmittel klauen kann. Unauffällig verschwindet sie dann auch sogleich im Keller, um wenig später mit einem Stapel Klopapier, zwei Flaschen Orangensaft, ein paar Äpfeln und reichlich Schokoriegeln wieder aufzutauchen, die sie in ihrem kleinen Handtäschchen und einer mitgebrachten Mini-Tüte zu verstauen versucht. Bevor sie geht will sie noch von meiner Mutter wissen: „Kommst du mal wieder in die Stadt? Dann könntest du mir etwas mitbringen.“ Meine Mutter und die Stadt. Mindestens zwei bis dreimal in der Woche ist sie im Stadtzentrum anzutreffen, immer auf der Suche nach Schnäppchen. Selbst ein gebrochenes Schlüsselbein kann sie nicht davon abhalten. Zielgerichtet und in einem solchen Tempo, dass keiner hinterherkommt, rennt sie von einem Geschäft zum nächsten, wo Sparangebot nach Sparangebot gewissenhaft verglichen wird. Lager- und Ausverkäufe sind besonders beliebt, Sonderangebot das Zauberwort. Dabei schaut sie nicht rechts, nicht links, sondern konzentriert sich ganz auf ihre Mission und ihren am Tag zuvor schriftlich niedergelegten Schnäppchenroutenplan. Da kann man auch schon mal den einen oder anderen Bekannten, der einem entgegenkommt, übersehen. Erst letzte Woche kam sie nach einem den ganzen Vormittag dauernden Stadtbesuch glückselig nach Hause, ein schweres Paket unter dem Arm. Unaufgefordert berichtete sie uns mit vor Glück bebender Stimme: „Stellt euch vor, ich habe neue Töpfe gekauft!“ Unser Blick schweifte kurz zum vor Töpfen und Pfannen überquellenden Küchenschrank, bevor wir ihren weiteren Ausführungen lauschten.

„Zuerst war ich im Metallwarenfachgeschäft, und fast hätte ich da einen vormals sündteuren und jetzt auf 39,00 € reduzierten mittelgroßen Topf gekauft. Dann jedoch besann ich mich eines besseren bzw. fiel mir ein, dass ich ja noch einen Gutschein für den Kaufhof habe, der nur noch heute gültig ist. Also bin ich natürlich schnurstracks zum Kaufhof in die Haushaltswarenabteilung. Und da habe ich doch tatsächlich ein vierteiliges Topf-Set entdeckt, das von 219 € auf 99,00 € reduziert war. An sich ja schon ein Schnäppchen, doch ich hatte ja noch den 10%-Rabattgutschein. Das macht also 89,00 € für vier Töpfe statt 39,00 € für nur einen. Ist das nicht Wahnsinn?“ „Absoluter Wahnsinn“, stimmte ihr mein Vater zu, „jetzt hast du genau 50,00 € zu viel ausgegeben, gratuliere!“ Auch ich kam bei der ganzen Rechnerei nicht ganz mit und wollte wissen: „Aber gebraucht hast du doch nur einen, oder nicht?“ „Ja schon, aber bei dem Angebot konnte ich einfach nicht widerstehen. Und Töpfe kann man ja immer brauchen.“ „Wieso wolltest du überhaupt einen neuen Topf, hier ist doch alles voll mit Töpfen?“, warf mein Vater ein. „Aber nicht in dieser Größe. Außerdem wollte ich endlich einmal wieder einen Topf mit zwei Henkeln, du hast es schließlich bis jetzt nicht fertiggebracht, die abgebrochenen Henkel an meine seit Jahren einhenkeligen Töpfe wieder anzuschrauben“, erklärte sie ihm mit vorwurfsvoller Stimme.

Aber zurück zu meiner Schwester. Nachdem meine Mutter also die Frage, ob sie mal wieder in die Stadt komme, bejaht hat, will meine Schwester noch wissen: „Gehst du morgen eigentlich auch auf den Flohmarkt?“ Was für eine Frage, natürlich geht sie, meine Mutter liebt Flohmärkte. Ich übrigens auch, genauso wie meine Schwester. Muss in der Familie liegen. So bricht sie denn am nächsten Morgen bereits frühs um 6.45 Uhr mit zwei Handtaschen, einem Rollwägelchen, einem Haufen Plastiktüten in verschiedenen Größen und einem Lächeln im Gesicht auf. Die Ausstattung mag übertrieben anmuten, ist sie jedoch nicht, wie wir ca. sieben Stunden später bei ihrer Rückkehr feststellen. Freudestrahlend zeigt sie uns eins nach dem anderen ihre erworbenen Schätze und betont bei jedem Teil: „Das hat nur soundsoviel Euro gekostet, so billig bekommt man das sonst nirgends!“ Das mag ja stimmen, doch braucht sie keines von diesen Dingen wirklich. Trockenblumen und Kränze hat sie wahrlich genug, die fast alle im Keller vor sich hinvegetieren. Auch Glasschüsseln und Sektgläser haben wir zur Genüge. „Aber die waren so günstig, da musste ich einfach zuschlagen“, versichert sie uns und fügt hinzu: „Euch habe ich auch etwas mitgebracht.“ Sie überreicht meinem Vater eine Taschenlampe, der sie wenig glücklich in Empfang nimmt und sagt: „Ich habe bereits fünf Taschenlampen, das weißt du doch.“ „Ja, ich weiß, aber nicht so eine, die ist fünfstufig verstellbar und man kann sie außerdem auf intermittierendes Licht umschalten.“ Mein Vater seufzt ergeben. Danach drückt sie mir einen Pulli in die Hand, den ich weder brauche noch schön finde und der mir noch dazu viel zu groß ist. Sonst beschwert sie sich immer über meine übervollen Kleiderschränke. Ich probiere das Ding gerade widerwillig an, da ruft mein Vater plötzlich: „Schnell, der Dödel hat gerade seine Schrottkarre vor der Haustür weggefahren, du musst umparken!“, woraufhin meine Mutter erwidert: „Mach du das doch, dann kannst du gleich den Hocker mit reinbringen, den ich gekauft habe.“ Während mein Vater sie ob der reich bestückten Möbelsammlung in unserem Haus entsetzt anschaut, erinnere ich mich an einen anderen Flohmarkt, auf den wir vor einigen Jahren zusammen mit meinem damaligen Freund gegangen sind. Dies endete damit, dass mein armer Freund einen von meiner Mutter – zu einem Schnäppchenpreis versteht sich – erworbenen schweren gepolsterten Holzstuhl quer über den ganzen Markt bis zum Auto tragen musste. Wo ist der eigentlich abgeblieben? Auch der mannshohe, golden umrahmte Spiegel, den meine Mutter bei einem Ausflug in ein kleines, malerisches Dorf in einem Antiquitätenladen erstanden hatte und den er den ganzen Tag umherschleppen musste, ist nirgends zu sehen. Als ich meine Mutter darauf anspreche, meint sie nur: „Der liegt oben auf dem Schrank, ich hatte einfach noch keine Zeit, einen passenden Platz für ihn zu suchen.“ Ist ja auch erst ein paar Jahre her, denke ich bei mir. Bei dieser Gelegenheit fallen mir auch die Kinogutscheine wieder ein, die wir meinen Eltern vor Jahren mal zu Weihnachten geschenkt haben und die sie so lange aufgehoben haben, bis das Kino dichtgemacht hat. Das war noch eines von diesen kleinen gemütlichen gewesen, die mittlerweile alle von riesigen Kinokomplexen ersetzt wurden.

Ansonsten aber kann man meine Eltern mit Gutscheinen sehr glücklich machen, vor allem mit Essensgutscheinen. Das ist auch fast die einzige Möglichkeit, sie mal aus dem Haus zu locken. Mit einem passenden Gutschein fahren sie überall hin, kilometerweit, ob ins Möbelhaus zum Schnitzel-Essen, zur Küchengerätevorführung mit anschließendem kostenlosen Mittagessen oder zur Einweihung eines neuen Autohauses mit gratis Snacks. Sie nehmen auch regelmäßig jeden Winter an einem Glühweinfest teil, weil sie so zu einem kostenlosen Weihnachtsbaum kommen. Ja, meine Eltern kommen ganz schön rum. Selbst im Urlaub wird gespart und meist im heimischen Wohnmobil gekocht. Von ihrer letzten Reise habe ich folgende SMS bekommen: Wir sitzen gemütlich am See und haben uns gerade für 6,50 €! eine halbe Ente einverleibt. Scheint das Highlight des Urlaubs gewesen zu sein, denn mehr hörte ich nicht mehr von ihnen. Auch beim Strom wird kräftig gespart, indem mein Vater auf dem Dach des Wohnmobils, ganz wie bei seinem Eigenheim, eine Solaranlage zur Selbstversorgung installiert hat, ganz abgesehen davon, dass alle notwendigen Erledigungen mit dem Fahrrad getätigt werden müssen, egal wie weit es auch sei. Nach ihrer Rückkehr muss ich mir denn auch immer anhören, wie viel sie wobei und wann gespart haben.

Doch auch hier in der Heimat geht der Sparwahn weiter. Eine der wichtigsten Maßnahmen zum erfolgreichen Sparen ist der wiederholte Gebrauch bzw. die Wiederherstellung von bereits kaputtgegangenen Gerätschaften. So sind meine Eltern im Besitz einer mehrfach wieder zusammengeschraubten Gartenliege, eines trotz eindringlicher Warnung seitens des Herstellers selbst reparierten Föns, mehrerer abgebrochener und mit Tesafilm wieder zusammengeklebter Fliegenpatscher, eines sich gegen jede Reparaturmaßnahme weigernden Abfalleimers, eines aufgrund unfachmännischer Handhabung dauertropfenden Wasserhahns, eines nach wie vor verstopften Dunstabzugs (der neue ist schon bestellt, im Internet, da ist es nämlich billiger, und einbauen kann man den ja wohl selbst) sowie diverser anderer mehr oder weniger gut funktionierender Geräte und Maschinen. Die einhenkeligen Töpfe nicht zu vergessen. Letzte Woche hat mein Vater, nachdem er im dritten Anlauf endlich erfolgreich sein ferngesteuertes Motorrad zusammengelötet hat, unter Einsatz all seiner Kräfte mehrere Tage damit verbracht, die defekte Poolabdeckung wiederherzustellen. In einem ausgeklügelten Verfahren ist es ihm gelungen, das sich nassgesaugte Styroporinnere, welches drei Jahre lang im Heizungskeller zum Trocknen aufgestellt war, mit einer extra dafür gekauften und perfekt zugeschnittenen Teichfolie zu überspannen, die dann an den Rändern mit einem extra starken Superkleber zusammengeklebt wurde, um die Ecken anschließend mit um Holzblöckchen gespannte Schnüre am Aufplatzen zu hindern. Eine aufwendige Aktion, die der im Vergleich zu einem Neukauf deutlich niedrigere Preis jedoch eindeutig rechtfertigt. Die Arbeitszeit mal nicht mitgerechnet. Nur den bevorstehenden Abriss und Wiederaufbau des Balkons überlässt er nach reiflicher Überlegung dann doch einem Fachmann.