Dankbarkeit in der Psychotherapie - Henning Freund - E-Book

Dankbarkeit in der Psychotherapie E-Book

Henning Freund

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Beschreibung

Das Thema Dankbarkeit erhält in der Psychologie zunehmend Aufmerksamkeit, weil es vielversprechende Entwicklungen in sich vereint: die Bedeutung positiver Emotionen im zwischenmenschlichen Bereich und die Ausrichtung auf Ressourcen. Viele Studien belegen die hohe Relevanz von Dankbarkeit für die psychische Gesundheit. Insbesondere die Positive Psychologie betont die gesundheitsfördernden Potenziale einer dankbaren und wertschätzenden Grundhaltung im Leben. Das vorliegende Buch fasst erstmalig im deutschsprachigen Bereich den aktuellen Wissensstand rund um Dankbarkeit zusammen. Es stellt diagnostische Verfahren zur Erfassung von Dankbarkeit vor und beschreibt, wie Dankbarkeit im Rahmen einer Psychotherapie gefördert werden kann. Das von den Autoren entwickelte internetbasierte Dankbarkeitstraining zeigte sich in mehreren Studien wirksam in der Reduktion von Sorgen, Grübeln und Depressivität. Sämtliche Arbeitsmaterialien liegen mit diesem Buch erstmals als Arbeits- und Info-Blätter vor, die in Ausschnitten oder als strukturiertes Programm genutzt werden können. Kopierfreundliche Arbeitsmaterialien inklusive dreier Audiotracks mit Imaginationsübungen sind auf der beiliegenden CD-ROM enthalten. Das Thema Dankbarkeit hat jedoch auch seine Schattenseiten und Herausforderungen. So gilt es beispielsweise für Psychotherapeuten, angemessen auf dankbarkeitsrelevante Situationen in der therapeutischen Beziehung (z. B. Geschenke, Abschied, Übertragung) zu reagieren. Ebenso ist es wichtig, die Indikationsgrenzen und "Nebenwirkungen" von Dankbarkeitsinterventionen zu kennen. Die Autoren zeigen anhand zahlreicher Fallbeispiele, wie Psychotherapeuten mit dem Thema Dankbarkeit reflektiert umgehen und ganz praktisch ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern können.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Henning Freund

Dirk Lehr

Dankbarkeit in der Psychotherapie

Ressource und Herausforderung

Prof. Dr. Henning Freund, geb. 1968. 1989–1995 Studium der Psychologie und Europäischen Ethnologie in Frankfurt/M. 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut. 2007 Promotion. 2007–2010 Dozent für Kulturvergleichende Psychologie am Institut für Psychologie der Universität Heidelberg. 1999–2013 Psychologischer Leiter der Tagesklinik Klinik Hohe Mark in Frankfurt/M. Seit 2011 Professor für Religionspsychologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg und Geschäftsführer des Marburger Instituts für Religion und Psychotherapie. Seit 2014 Tätigkeit in eigener Psychotherapiepraxis in Heidelberg.

Prof. Dr. Dirk Lehr, 1994–2002 Studium der Psychologie und evangelischen Theologie in Marburg. 2002–2011 Tätigkeit als Medizin-Psychologe am Fachbereich Humanmedizin der Philipps Universität Marburg. 2013 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie). 2008–2010 Psychotherapeutische Tätigkeit in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg. 2011–2015 Projektleiter von GET.ON GesundheitsTraining.Online im Innovations-Inkubator an der Leuphana Universität. Seit 2015 Professor für Gesundheitspsychologie und Angewandte Biologische Psychologie an der Leuphana Universität Lüneburg.

Sprecher der Audiotracks: Bernhard Sieland, Lüneburg

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / ulkas

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2893-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2893-3)

ISBN 978-3-8017-2893-9

http://doi.org/10.1026/02893-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1 Die Entdeckung eines Kosmos

2 Was ist Dankbarkeit? – Eine interdisziplinäre Annäherung

2.1 Philosophische Grundlagen

2.1.1 Moralische Begründung von Dankbarkeit

2.1.2 Intrinsisch und extrinsisch motivierte Dankbarkeit

2.1.3 Triadische und dyadische Struktur der Dankbarkeit

2.2 Theologische und religionspsychologische Zugänge

2.2.1 Dankbarkeit in den Weltreligionen

2.2.2 Religionspsychologie und Dankbarkeit

2.3 Sozialwissenschaftliche Perspektiven

2.3.1 Die Theorie der Gabe

2.3.2 Dankbarkeit als gesellschaftliches Bindemittel

2.3.3 Kulturelle Unterschiede

2.4 Ein kurzes Zwischenfazit

3 Psychologische Erklärungsansätze von Dankbarkeit

3.1 Dankbarkeit als komplexe Emotion

3.1.1 Gemischte Gefühle

3.1.2 Kognitive Bewertungsprozesse

3.1.3 Handlungsbereitschaften

3.2 Die dankbare Person

3.2.1 Trait-Dankbarkeit und assoziierte Merkmale

3.2.2 Dankbarkeit als Lebensorientierung

3.2.3 Die drei Säulen der dankbaren Persönlichkeit

3.2.4 Dankbarkeit und Geschlecht

3.2.5 Antagonisten von Dankbarkeit

3.3 Beziehungen und Unterscheidungen zu benachbarten Konstrukten

3.3.1 Verpflichtung

3.3.2 Wertschätzung

3.4 Ein psychologisches Prozessmodell der Dankbarkeit

4 Dankbarkeit und Gesundheit

4.1 Dankbarkeit als Thema der Positiven Psychologie und Psychotherapie

4.1.1 Der Ansatz der Positiven Psychologie

4.1.2 Dankbarkeit als Charakterstärke

4.2 Positive klinische Psychologie und Psychotherapie

4.3 Die drei Perspektiven der Forschung zu Dankbarkeit und Gesundheit

4.4 Interventionen zur Dankbarkeit und ihre Wirksamkeit

4.4.1 Die wissenschaftliche Entdeckung des Dankbarkeitstagebuchs

4.4.2 Die wissenschaftliche Entdeckung des Dankbarkeitsbesuchs

4.4.3 Dankbarkeit und Körperzufriedenheit

4.4.4 Sorgen und Dankbarkeit

4.4.5 Schlaf und Dankbarkeit

4.4.6 Transdiagnostisches Angebot für Klienten auf der Warteliste für Psychotherapie

4.4.7 Krebserkrankungen und die Angst vor dem Ende des Lebens

4.4.8 Die Konfrontation mit dem Ende des Lebens als Weg zum Erlernen von Dankbarkeit

4.4.9 Dankbarkeit für Berufstätige

4.4.10 Exkurs: Kulturelle Unterschiede

4.4.11 Dankbarkeit hinter Gittern

4.4.12 Eine Würdigung der Forschungslandschaft

4.5 Modelle zu Dankbarkeit und Gesundheit

4.5.1 Dankbarkeit als positive Emotion

4.5.2 Dankbarkeit als Detektor und Motor wertvoller Beziehungen

4.5.3 Dankbarkeit als Verstärker des Guten im Leben

4.5.4 Dankbarkeit und körperliche Gesundheit

5 Erfassung von Dankbarkeit

5.1 Fragebögen zur Messung von Dankbarkeit

5.1.1 Gratitude Questionnaire (GQ-6)

5.1.2 Gratitude Adjective Checklist

5.1.3 Gratitude-Resentment-Appreciation Test (GRAT)

5.1.4 Values in Action Inventory of Strengths (VIA-IS)

5.1.5 Multi-Component Gratitude Measure (MCGM)

5.1.6 Gratitude at Work Scale (GAWS)

5.2 Weitere Methoden zur Messung von Dankbarkeit

6 Förderung von Dankbarkeit in der Psychotherapie

6.1 Zielsetzungen und Interventionsbeispiele

6.1.1 Überblick

6.1.2 Dankbarkeit als Lebenshaltung

6.1.3 Wohlbefinden durch die Förderung von Dankbarkeit

6.1.4 Dankbarkeit als Teil einer kontemplativen Praxis

6.2 Indikationsbereiche

6.2.1 Allgemeine Indikation

6.2.2 Depressive Störungen

6.2.3 Trauma

6.2.4 Chronische körperliche Erkrankungen

6.2.5 Nutzen, Nebenwirkungen und Kontraindikationen

7 Dankbarkeit trainieren

7.1 Das Dankbarkeitstraining

7.2 Materialien zur ersten Trainingseinheit

7.3 Materialien zur zweiten Trainingseinheit

7.4 Materialien zur dritten Trainingseinheit

7.5 Materialien zur vierten Trainingseinheit

7.6 Materialien zur fünften Trainingseinheit

8 Dankbarkeit als Herausforderung in der therapeutischen Beziehung

8.1 Tiefenpsychologische Konzepte

8.2 Geschenke in der Psychotherapie

8.3 Wenn Klienten Dankbarkeit spontan thematisieren

8.3.1 Beeinträchtigung des Dankbarkeitsempfindens

8.3.2 Überbetonung von Dankbarkeit

8.3.3 Dankbarkeit und Krise

9 Zum Schluss: Ein Blick auf uns selbst

Literatur

Anhang

Übersicht über die Materialien auf der CD-ROM

Sachregister

Materialien auf CD-ROM

|9|Danksagung

„Im normalen Leben wird einem oft gar nicht bewußt,

daß der Mensch überhaupt unendlich viel mehr empfängt, als er gibt,

und daß Dankbarkeit das Leben erst reich macht.“

Brief von Dietrich Bonhoeffer an seine Eltern Karl und Paula Bonhoeffer,

13. September 1943, DBW 8 (WE), S. 157 f.

Zu diesem Buch und zu unseren Forschungsprojekten zur Dankbarkeit haben in den vergangenen zehn Jahren sehr viele Menschen und Institutionen auf unterschiedlichste Art und Weise viel Wertvolles beigetragen. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken:

Manuel Alexi, Christian Bachmann, Esther Bachmann, Dörte Behrendt, Leif Boß, Daniel Bürckner, Carlotta Dörfler, Thorsten Dietz, Europäische Union, Lara Ebenfeld, David Daniel Ebert, Doris Freund, Erich Freund, Judith Freund-Tils, Paula Freund, Sabina Glaser, Liz Gulliford, Hanna Heckendorf, Peter Kaiser, Annette Kämmerer, Stefan Koch, Annette Lauer, Erwin Lehr, Irmtraud Lehr, Volker Lehr, Walter Lehr, Sophie-Theres Loose, Sebastian Molkenbur, Ineke Postert, Dorota Reis, Markus Rescheleit, Maren Reymers, Alina Rinn, Heleen Riper, Norbert Schmidt, Bernhardt Sieland, Jochen Stahl, Studien- und Lebensgemeinschaft TABOR, Stefan Veitengruber, Tabea Veitengruber, Laura Weber, Susanne Weidinger, Michael Weigel, Christine Wulff, Angelika Zachrai, Frank Zachrai

Marburg und Lüneburg, Oktober 2019

Henning Freund und Dirk Lehr

|10|1 Die Entdeckung eines Kosmos

Henning Freund und Dirk Lehr

Mit diesem Buch zum Thema Dankbarkeit möchten wir Sie mitnehmen auf eine Entdeckungsreise. Es ist die Entdeckungsreise zu einem Phänomen, das sich bei näherer Betrachtung facettenreicher, tiefgehender und relevanter für Psychotherapie und Beratung erweist, als auf den ersten Blick gedacht. Wir – die beiden Autoren – haben uns vor einigen Jahren gemeinsam auf den Weg gemacht, um das Thema Dankbarkeit als anwendungsorientierte Gesundheitswissenschaftler und Psychotherapeuten zu erforschen. Im Zuge dieser Forschungen haben wir eine Reihe von unerwarteten Entdeckungen gemacht, auf die wir Sie – unsere Leserinnen und Leser – mit diesem Buch aufmerksam machen möchten. Wir sind davon überzeugt, dass Dankbarkeit als komplexe Emotion, Inhalt von Intervention und Lebenshaltung für die psychotherapeutische Arbeit, Beratung und die therapeutische Beziehung von hoher Bedeutung ist.

Eine der ersten Überraschungen: Dankbarkeit wurde bisher äußerst selten in einen Zusammenhang mit Psychotherapie gebracht. Es bedarf eines langen Atems, um die Thematisierung von Dankbarkeit in der psychotherapeutischen Fachliteratur überhaupt zu entdecken. Meist handelt es sich um vereinzelte Fundstellen und Randbemerkungen zur Dankbarkeit. Unsere Kollegen Annette Kämmerer und Frieder Kapp (2002) haben dafür eine sehr treffende Metapher gefunden. Sie bezeichnen Dankbarkeit ähnlich wie Vergebung und Demut als „emotionale Stiefkinder therapeutischen Handelns“ (Kämmerer, 2004). Sie meinen damit sogenannte „gemischte Gefühle“, die vor allem im zwischenmenschlichen Bereich von Bedeutung sind und ein großes Potenzial für die Psychotherapie bieten. Sie liefern auch gleich mehrere Erklärungen für das Übersehen dieser emotionalen Stiefkinder. Zum einen ist da die Nähe zum religiösen Kontext, in dem diese Emotionen schon immer eine zentrale Rolle gespielt haben. Religion aber war lange Zeit für viele Psychotherapeuten eher suspekt. Vielleicht wurde Dankbarkeit zu sehr als religiös gefärbte und moralisch aufgeladene Emotion gesehen. Zum anderen vermuten Kämmerer und Kapp, dass Emotionen, die im Ausdruck nicht eng mit klinischen Diagnosen und Störungsbildern verknüpft sind, unterhalb des Radars der psychotherapeutischen Aufmerksamkeit laufen. Es könnte aber auch sein, dass Dankbarkeit auf den ersten Blick nur wenig ver|11|einbar scheint mit den auf das Selbst zentrierten Zielsetzungen wichtiger Psychotherapieschulen wie Selbstaktualisierung, Selbstmanagement oder Ich-Stärkung. Alle diese Gründe könnten ihren Anteil am Dankbarkeits-Neglect der Psychotherapie haben.

Wir näherten uns dem Thema Dankbarkeit zu Beginn unserer Entdeckungsreise aus einer Perspektive, bei der die Reduktion von Risikofaktoren und die Förderung von Wohlbefinden im Fokus stehen. Damit sind Prävention und Gesundheitsförderung angesprochen. In der Literatur zu chronischem Stress und seinen gesundheitlichen Folgen wurde immer wieder herausgestellt, wie wichtig es ist, Erholungsphasen zu finden und gedanklich zur Ruhe zu kommen. Gerade in einer beschleunigten Lebenswelt wünschen sich viele Menschen, von Problemen gedanklich abschalten zu können, weniger zu grübeln und sich zu sorgen. Den Blick auf das zu richten, was nicht ist, was schiefgelaufen ist, erst zur Hälfte erledigt und unvollkommen ist, treibt die Stressachse unerbittlich an. Welche Unterstützung könnten wir anbieten, die einfach verständlich, motivierend und alltagstauglich ist? Wir fanden erste Studien, die genau in diese Richtung zu weisen schienen. Sie untersuchten die Wirkung einer recht einfach klingenden Übung: Das Aufschreiben von Dingen, für die man dankbar ist. Zu diesen Studien gehörte auch die vielzitierte Untersuchung der beiden US-amerikanischen Dankbarkeitsforscher Robert Emmons und Michael McCullough (2003): „Counting Blessings“. In dieser prominenten Studie wurde der Effekt eines Dankbarkeitstagebuchs auf das subjektive Wohlbefinden untersucht.

Die weitere Literaturrecherche zur Dankbarkeit förderte noch eine Überraschung zutage. Sie lässt sich am besten am Ergebnis der Recherche zum Begriff „Gratitude“ in der psychologischen Datenbank PsycINFO für die letzten 40 Jahre darstellen (vgl. Abbildung 1). Bis zur Jahrtausendwende bewegte sich die Zahl der Publikationen zum Thema Dankbarkeit auf einem niedrigen Niveau. Seit dem Jahr 2000 ist eine deutliche Dynamik der Veröffentlichungszahlen zu beobachten und in den letzten fünf Jahren hat sich dieser Zuwachs noch einmal beschleunigt. Wir sind mit unserem Interesse an Dankbarkeit nicht allein, weltweit liegt die Forschung zur Dankbarkeit im Trend. Dieses verstärkte Interesse ist zu einem großen Teil von Forschenden getragen, die sich dem Anliegen der Positiven Psychologie verbunden fühlen. Diese psychologische Forschungsrichtung hat sich seit der Jahrtausendwende intensiv mit der Bedeutung von Charakterstärken und positiven Emotionen für das Wohlbefinden auseinandergesetzt. Dankbarkeit passt optimal in dieses Profil und ist weltweit zu einer der meistuntersuchten Variablen der Positiven Psychologie geworden. Die empirische Forschung zu Dankbarkeit und Gesundheit ist dabei, den Kinderschuhen zu entwachsen. Die wichtigsten und methodisch anspruchsvollsten Studien werden in Kapitel 4 ausführlich dargestellt. Dabei fällt jedoch auf, dass die steile Entwicklungskurve der Dankbarkeitsforschung bislang weitgehend außerhalb der psychotherapeutischen Welt stattfindet. Das gilt insbesondere für den deutschsprachigen Raum.

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Abbildung 1: Entwicklung der Publikationszahlen zum Begriff „Gratitude“ in der Datenbank PsycINFO seit 1979 (Abfrage 1/2019)

Zu Beginn unserer Entdeckungsreise war der Sammelband „The Psychology of Gratitude“ (Emmons & McCullough, 2004) eine sehr hilfreiche Landkarte, um das unbekannte Terrain zu sondieren. Interessanterweise war der größte Teil dieses Einführungswerkes den philosophischen, theologischen und sozialwissenschaftlichen Grundlagen von Dankbarkeit gewidmet. Uns wurde klar, dass sich die Weltreligionen und die abendländische Philosophie bereits seit Jahrtausenden mit dem Thema Dankbarkeit beschäftigen. Deren Erkenntnisse galt es zunächst zu sichten. Man könnte auch formulieren, dass die psychologische Wiederentdeckung der Dankbarkeit im 21. Jahrhundert auf den Schultern von antiken Geistesgrößen wie Buddha, Aristoteles, Seneca oder Paulus bis hin zu Denkern der Neuzeit wie Adam Smith, Georg Simmel, Marcel Mauss und vielen anderen stattfindet. Das Phänomen Dankbarkeit spannt einen Bogen vom Individuum über zwischenmenschliche Beziehungen bis hin zu größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Darum ist eine interdisziplinäre Annäherung an Dankbarkeit auch für Fachleute aus helfenden Berufen gewinnbringend (vgl. Kapitel 2).

Die nächste gewichtige Erkenntnis: Dankbarkeit ist kein einfaches Konzept, über das sich alle einig sind. Zwar wird immer wieder von einer „wahren Dankbarkeit“ (Berking, 2017) oder „reinen Dankbarkeit“ (Haeffner, 2006) gesprochen, doch |13|erweisen sich diese Begriffe bei näherem Hinsehen als moralisch und normativ aufgeladen. Schon Aristoteles und Cicero waren sich uneins über den Stellenwert von Dankbarkeit als Tugend. Diese konzeptuelle Vielgestaltigkeit von Dankbarkeit als momentanes Gefühl oder innere Haltung, extrinsisch oder intrinsisch motiviert, zwei- oder dreistelliges Konstrukt, moralische Pflicht oder individuelle Freiheit zieht sich durch die Geistesgeschichte (vgl. Kapitel 2). Ein erhellender Führer durch diesen Konzeptdschungel war für uns die Übersichtsarbeit „Recent Work on the Concept of Gratitude in Philosophy and Psychology“ der englischen Forschergruppe um Liz Gulliford (Gulliford, Morgan & Kristjánsson, 2013).

Um eine möglichst breite Anwendungsbasis für die Psychotherapie zu schaffen, entschieden wir uns für ein weit gefasstes Dankbarkeitskonzept. Dies lässt sich beispielhaft an einer wichtigen Frage verdeutlichen. Ist Dankbarkeit eine rein positive Emotion wie von der Positiven Psychologie angenommen? Oder ist sie ein sogenanntes „gemischtes Gefühl“, das unterschiedliche positive und negative Anteile in sich bergen kann? Wir vertreten die Ansicht, dass Dankbarkeit in den meisten Fällen mit angenehmen Gefühlen wie Freude oder Glück verbunden ist. Diese sind für das subjektive Wohlbefinden verantwortlich, das nachweislich eng mit Dankbarkeit verbunden ist. Unter bestimmten Umständen spielen aber auch andere Gefühlsanteile wie Schuld, Scham oder Verpflichtung eine Rolle. Sie wiederum machen die gedanklichen und zwischenmenschlichen Komplikationen beim Empfang einer guten Gabe verständlich. Dankbarkeit ist nicht einfach. Wir haben diese Überlegungen in ein neues psychologisches Prozessmodell der komplexen Emotion Dankbarkeit einfließen lassen, das als Grundlage für psychotherapeutische Interventionen dienen kann (vgl. Kapitel 3). Die psychologische Landschaft der Dankbarkeit wurde bislang am genauesten von Phillip Watkins (2014) kartiert. Wir verdanken seiner Monografie „Gratitude and the Good Life: Towards a Psychology of Appreciation“ wertvolle Einsichten.

Von einem weit gefassten Dankbarkeitskonzept ausgehend, verlief unsere Entdeckungsreise dann auf zwei verschiedenen Pfaden. Der eine Pfad orientiert sich am bisherigen Forschungstand zum Verhältnis von Dankbarkeit und Gesundheit: Es gibt Grund anzunehmen, dass Übungen und Trainings zur Dankbarkeit die psychische Gesundheit fördern können. Wir stellen die bekanntesten und wirksamsten Methoden zur Erfassung (vgl. Kapitel 5) und zur Förderung von Dankbarkeit ausführlich vor (vgl. Kapitel 6). Dabei lassen wir auch Erkenntnisse und Übungen aus dem von uns selbst entwickelten internetbasierten Dankbarkeitstraining mit begleitender Dank-App einfließen. Erste Studien haben die gute Wirksamkeit dieser Übungen für die Reduktion von Sorgen, Grübeln und depressiven Symptomen zeigen können. Dieser Pfad ist Teil der ausgeprägten Forschungsdynamik sowie der Praxis des Einsatzes von Übungen zur Förderung von Dankbarkeit und damit auch der Gesundheit. In Kapitel 7 finden Sie nützliche Materialien aus diesem Trainingsprogramm, die Sie in der Arbeit mit Ihren Klienten einsetzen können.

|14|Der andere Pfad ist von einer sorgsamen Reflexion und einem nachdenklichen Erkunden der vielen Perspektiven auf das Thema Dankbarkeit getragen. Ihm entspricht ein langsameres Tempo, um auch die kleinen und leisen Zwischentöne am Wegesrand nicht zu übersehen. Bei aller Dynamik des anderen Pfades ist dieser Pfad ganz bewusst an positiven wie auch schwierigen Entdeckungen zur Dankbarkeit interessiert. Denn mit Recht lässt sich fragen, welchen Stellenwert das Thema Dankbarkeit bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Traumafolgestörungen überhaupt haben kann (Kapitel 6). Ist die Anerkennung der Tatsache, dass wir Menschen Empfänger von Gutem in dieser Welt sind, für betroffene Klienten nicht eine maßlose Überforderung oder gar blanker Hohn? Dankbarkeit ist keine universelle therapeutische Hilfe. Für manche Klienten ist die Arbeit am Thema Dankbarkeit fehl am Platz. Nutzen und Nebenwirkungen von dankbarkeitsfokussierten Interventionen sind sorgsam abzuwägen. Auf jeden Fall erfordert dieses Terrain äußerste Zurückhaltung und ein genaues Nachspüren, ob sich überhaupt ein therapeutisches Fenster für das Thema Dankbarkeit öffnet. Dann aber können wir manchmal überrascht werden, wie sich im Angesicht des Schlimmsten neue Wertigkeiten im Leben einstellen.

In der konkreten psychotherapeutischen Arbeit mit unseren Klienten haben wir in den vergangenen Jahren eine weitere interessante Erfahrung gemacht. Voraussetzung dafür war wohl, dass uns die wissenschaftliche Beschäftigung für die Vielfalt dankbarkeitsrelevanter Situationen in der Therapie sensibilisiert hat (vgl. Kapitel 8). Wir bekamen einen speziellen Blick für Situationen, die wir früher übersehen hätten. Klienten thematisieren von sich aus Schwierigkeiten mit dem Empfinden von Dankbarkeit. Andere wiederum legen außergewöhnliche und bisweilen dysfunktionale Dankbarkeitspraktiken an den Tag. Sie benennen Dankbarkeit als Tabugefühl oder beklagen sich über die Undankbarkeit der Mitmenschen. Wir haben versucht, diese Situationen mit einer ganzen Reihe von Fallbeispielen zu illustrieren. Für die Psychotherapie stellen nämlich diese Fälle ein interessantes Arbeitsfeld dar, verweisen sie doch auf tieferliegende Probleme der Selbstwertregulation und der Interaktion. Letztlich ist auch die therapeutische Beziehung ein Schauplatz, auf dem Dankbarkeit eine Rolle spielt. Wenn Klienten dem Therapeuten Geschenke machen wollen oder auch in der Situation des Abschieds aus der therapeutischen Beziehung, gestaltet sich der Umgang mit der Dankbarkeit unserer Klienten bisweilen schwierig. Für die Bewältigung solcher Anlässe haben wir besonders von tiefenpsychologischen Reflexionen, aber manchmal auch von einem spontanen Bauchgefühl profitiert.

Und noch eine Sensibilisierung hat sich für uns eingestellt. Wir haben auf dieser Entdeckungsreise nämlich nicht nur wissenschaftlich oder therapeutisch, sondern auch persönlich von der Beschäftigung mit der Dankbarkeit profitiert. Es ist schwer zu sagen, ob wir dankbarere Menschen geworden sind. Vielleicht haben wir einfach auch nur etwas mehr gelernt, unsere Aufmerksamkeit auf die vielen großen und kleinen guten Dinge zu richten, die wir von anderen empfangen. Die Wahr|15|nehmung, Wertschätzung und vor allem die Anerkennung der Tatsache, dass wir Empfänger von Gutem in dieser Welt sind, macht für uns den Kern der Dankbarkeit und die Essenz des Zusammenlebens mit anderen Menschen aus. In diesem Sinne betrachten wir Dankbarkeit als ein Anerkennungsphänomen. Die Reflexion der eigenen Haltung und Praxis von Dankbarkeit als Teil der Selbsterfahrung ist auch für Menschen in helfenden Berufen ein Gewinn (vgl. Kapitel 9).

Eingangs haben wir die These aufgestellt, dass das Phänomen Dankbarkeit sich bei näherer Betrachtung facettenreicher, tiefgehender und relevanter für die Psychotherapie erweisen könnte als auf den ersten Blick angenommen. Dies haben nicht nur wir bemerkt. Die Psychologin Eva Jaeggi (2017, S. 176) stellte vor kurzem fest: „Ich denke: wir können beim Thema Dankbarkeit einen kleinen Kosmos auftun an persönlichen und auch gesellschaftlichen Bedeutsamkeiten.“ Und auch die Psychoanalytikerin Edna O’Shaugnessy (O’Shaugnessy & Rusbridger, 2014) verglich in Anlehnung an die griechische Mythologie die Dankbarkeit mit einem Titanen, der auf seinen Schultern eine ganze gewichtige Welt trägt. Wir möchten mit dem vorliegenden Buch unsere bisherige Entdeckungsreise in den Kosmos der Dankbarkeit nachvollziehbar machen. Wir würden uns sehr freuen, wenn das Buch für unsere Leserinnen und Leser zu einem gewinnbringenden Reiseführer in den Kosmos der Dankbarkeit als Ressource und Herausforderung in der Psychotherapie werden könnte.

|16|2 Was ist Dankbarkeit? – Eine interdisziplinäre Annäherung

Henning Freund

2.1 Philosophische Grundlagen

Übersicht

Die philosophische Auseinandersetzung mit Dankbarkeit hat eine lange Tradition. Sie reicht von den tugendethischen Entwürfen der Antike bis zu aktuellen sozial- und moralphilosophischen Debatten. Diese umfangreiche Begriffsgeschichte ist für Psychologen und Psychotherapeuten, die sich dem Thema Dankbarkeit nähern, in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung. Sie können besonders von der konzeptuellen Differenziertheit und den Überlegungen zur moralischen Begründung von Dankbarkeit profitieren.

2.1.1 Moralische Begründung von Dankbarkeit

Der griechische Philosoph Aristoteles betrachtete Dankbarkeit als ethische Pflicht. Doch genau dieser Pflichtcharakter hielt ihn davon ab, Dankbarkeit in seine Aufzählung der bedeutendsten Tugenden aufzunehmen (Aristoteles, 2017/ca. 4. Jh. v. Chr.). Dankbarkeit hatte für ihn einen geringeren Wert als der Großmut des Gebens. Er stellte mehr ihren verpflichtenden und belastenden Charakter heraus. Während später Cicero Dankbarkeit als die „Mutter aller Tugenden“ bezeichnen wird, spielt sie für Aristoteles aufgrund der potenziellen Abhängigkeitsgefahr eher die Rolle eines „Dienstmädchens“ (Gulliford, Morgan & Kristjánsson, 2013, S. 312). Mit Aristoteles leuchtet schon ganz früh in der abendländischen Philosophie eine gewisse Ambivalenz in der Bewertung von Dankbarkeit auf. Diese Skepsis begleitet als eine kontinuierliche leise Stimme die ansonsten über Epochen und Denkschulen hinweg hohe moralische Wertschätzung für die Tugend der Dankbarkeit.

|17|Der Philosoph Seneca behandelte in der römischen Kaiserzeit viele grundsätzliche Fragen zur Dankbarkeit in seiner Schrift De beneficiis, die den Austausch von Gaben aus unterschiedlichen Perspektiven reflektiert (Seneca, 1999/ca. im 1. Jh. n. Chr.). Dankbarkeit lässt sich in einem dreistelligen Konzept verorten, bestehend aus dem Empfänger einer Wohltat, dem Geber dieser Wohltat und der Wohltat selbst. Für Seneca waren die zugrunde liegenden Intentionen von Geber und Empfänger von größter Bedeutung. Nur eine ohne selbstsüchtige Motive gegebene und eine ohne Schuld oder Ärger empfangene Wohltat schafft die Voraussetzung für das Empfinden tugendhafter Dankbarkeit. Diese als innere Haltung verstandene Dankbarkeit entsteht nur in einem Beziehungsgeschehen, das vom Wohlwollen des Gebers und der Unabhängigkeit des Empfängers geprägt ist. Wenn das Erweisen von Wohltaten hingegen mit der Erwartung einer gleichwertigen Gegengabe verbunden ist, so liegt eher ein Geschäft vor. Seneca entwirft eine umfassende ethische Besinnung auf den rechten Umgang mit Geschenken und Gaben bzw. ihrem Annehmen und Erwidern.

Die Rolle von Gefühlen für die Entstehung von Dankbarkeit betonte der schottische Moralphilosoph und Ökonom Adam Smith im 18. Jahrhundert. In seiner Theory of Moral Sentiments (Smith, 2004/1759) analysiert er Dankbarkeit als die moralische Gefühlsregung, die den Empfänger dazu bringt, in positiver Weise auf das Wohlwollen des Gebers zu reagieren. Dieser Sichtweise liegt die Idee einer imaginativen Anteilnahme zwischen Menschen zugrunde, die dazu befähigt, sich in die Lage von anderen hineinzuversetzen. Ausgestattet mit dieser Fähigkeit lernen Menschen in sozial angemessener Weise, Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken. Für Adam Smith ist angemessene Dankbarkeit also das Ergebnis eines Sozialisationsprozesses und dem gelingenden Zusammenleben dienlich. Dankbarkeit ist ein soziales Bindemittel für die Gesellschaft, die ansonsten an den Eigeninteressen ihrer Akteure zerbrechen könnte. In diesem moralischen Sinne ist Dankbarkeit für Smith ein höchst erstrebenswertes Gefühl, das gefördert werden sollte (Harpham, 2004).

Merke: Die Unterscheidung von Lebenshaltung und momentanem Gefühl

Während Seneca die Dankbarkeit als eine überdauernde Lebenshaltung (Tugend) verstand, betrachtete Smith sie als ein momentanes Gefühl in einer konkreten Situation. Damit sind zwei Konzeptionen von Dankbarkeit vorgezeichnet, die bis heute die wissenschaftliche Diskussion begleiten. In der Psychologie bestimmt die State-/Trait-Unterscheidung affektiver Zustände die Diskussion, was Dankbarkeit eigentlich ist. Dankbarkeit wird von den meisten psychologischen Forschern als situationsübergreifende Persönlichkeitseigenschaft analysiert. Andere nehmen eine mehr emotionspsychologische Perspektive (state) ein.

|18|2.1.2 Intrinsisch und extrinsisch motivierte Dankbarkeit

Gemeinsam ist den Dankbarkeitskonzepten von Seneca und Smith die Überlegung, wie eine moralisch begründete Dankbarkeit aussehen könnte. Dies bedeutet für beide Philosophen aber auch, dass es Formen und Spielarten von Dankbarkeit gibt, die weniger wünschenswert oder tugendhaft sind. Diese Deformationen einer tugendhaften Dankbarkeit sind für Seneca gegeben, wenn extrinsische Motive im Spiel sind. Undankbarkeit beim Empfang und selbstsüchtige Berechnung beim Geben von Wohltaten gehören für ihn zu den verbreitetsten Lastern. Für Smith hingegen ist die Unterscheidung zwischen extrinsisch und intrinsisch motivierter Dankbarkeit weniger eindeutig.

Der amerikanische Philosoph Terrance McConnell hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Differenzierung zwischen extrinsisch und intrinsisch motivierter Dankbarkeit auch für die Psychologie von Bedeutung ist (McConnell, 2016). Die enthusiastische Beschäftigung mit dem Thema Dankbarkeit in der noch jungen Bewegung der Positiven Psychologie sei im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Dankbarkeit ein instrumenteller Wert zugeschrieben werde. Dankbarkeit ist in dieser Sicht nicht als eigenständiger intrinsischer Wert bedeutsam, sondern hauptsächlich durch den Nutzen für das individuelle und soziale Wohlergehen. Dies kann dazu führen, dass die propagierten psychologischen Interventionen zur Förderung von Dankbarkeit ihr Ziel verfehlen. Diesen Zielkonflikt hat auch der Dankbarkeitsforscher Phillip Watkins im Blick, wenn er formuliert: „im Kern ist Dankbarkeit eine auf den Anderen fokussierte Emotion und intrinsische Dankbarkeit ist immer auf den Geber ausgerichtet. Dankbarkeitsinterventionen, die die Beschäftigung mit dem eigenen Selbst fördern, müssen zwangsläufig nach hinten losgehen“ (Watkins, 2014, S. 2381). Die folgende Fallvignette illustriert diesen Zielkonflikt der Dankbarkeit in eindrücklicher Weise:

Beispiel

Ein etwa 50-jähriger Investmentbanker kommt mit depressiven Beschwerden in die Psychotherapie, nachdem er seinen lukrativen Job durch eine Kündigung verloren hat. Er denkt permanent darüber nach, dass er im Leben versagt habe, und beklagt quälende Grübeleien über seine berufliche Perspektive. Nichts könne er mehr genießen und das morgendliche Aufstehen sei ein Problem. Der behandelnde Psychotherapeut ist jedoch überrascht, vom Klienten zu hören, dass dieser schon seit einiger Zeit jeden Morgen nach dem Aufstehen ein Dankbarkeitstagebuch führt. Er habe in einem Managementseminar gehört, dass die Beschäftigung mit Dankbarkeit dazu führe, dass es einem besser gehen könne und man wieder leistungsfähig werde. Um|19|diesen positiven Effekt von Dankbarkeit zu nutzen, notiere er mit einiger Anstrengung und gewissenhaft jeden Morgen alle Dinge, für die er im Leben dankbar sein könnte: zum Beispiel sein beruflicher Aufstieg vom Jugendlichen aus benachteiligten Verhältnissen zum Akademiker mit eigenem Haus und Familie. Er denke dann vor allem an Dinge, die er bisher geschafft habe. Wenn er diese Punkte notiert habe, gehe es ihm auch kurzfristig besser und seine Stimmung helle sich etwas auf. Doch dieser Effekt verflüchtige sich wieder im Lauf des Tages und am nächsten Morgen fühle er sich so schlecht wie eh und je.

2.1.3 Triadische und dyadische Struktur der Dankbarkeit

Geber – Gabe – Empfänger: Bisher haben wir diese drei Elemente des Dankbarkeitsgeschehens kennengelernt. Diese grundlegende Konfiguration von Dankbarkeit lässt sich in der knappen Formel „A ist B für x dankbar“ ausdrücken (McAleer, 2012). Sie kann als triadische Struktur der Dankbarkeit bezeichnet werden und ist in der philosophischen Analyse das häufigste Konzept. Der Philosoph Thomas Nisters findet dafür die eindrückliche Bezeichnung „Spiegelwohlwollen“ (Nisters, 2012, S. 20). Doch das oben erwähnte Fallbeispiel wirft Fragen auf. Wem ist der Klient für seinen beruflichen Aufstieg dankbar, wer ist der Adressat seines Dankes? Es kann natürlich sein, dass er implizit jemanden dafür dankbar ist, ohne es ausdrücklich im Dankbarkeitstagebuch zu erwähnen. Möglicherweise sind Personen wie Eltern oder Lehrer, die ihn gefördert haben, Adressaten seines Dankes. Oder vielleicht auch Gott bzw. eine höhere Macht, falls er religiös ist. Fast scheint es so, als sei er sich selbst dankbar für die Erfolge in seinem Leben. Andererseits könnte die empfundene Dankbarkeit auch völlig ungerichtet sein und keinerlei spezifischen Adressaten mitbedenken. Diese Variante wird in der Fachdiskussion als dyadisches Konzept von Dankbarkeit bezeichnet (Gulliford, Morgan & Kristjánsson, 2013) und könnte mit der Formel „A ist dankbar, dass x“ ausgedrückt werden (McAleer, 2012). Stellen wir uns für diese Variante das Beispiel einer Person vor, die angesichts eines wunderschönen Sonnenuntergangs am Meer ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit empfindet. Der Geber oder ursächliche Wohltäter wird nicht ausdrücklich mitbedacht und trotzdem erlebt sich der Betrachter als bereichert oder beschenkt. Diese dyadische Konzeption von Dankbarkeit finden wir in der psychologischen Fachliteratur häufiger. Sie ist konzeptuell deutlich breiter angelegt und beschreibt so etwas wie eine generalisierte Dankbarkeit, die Teil einer umfassenden Lebenshaltung ist, das Gute im Leben wahrzunehmen und wertzuschätzen (Wood, Froh & Geraghty, 2010). Dennoch ist zu fragen, ob bei diesem ausgeweiteten Dankbarkeitsverständnis noch eine ausreichende Trennschärfe zu benachbarten Konzepten wie beispielsweise dem Begriff der Wertschätzung vorliegt (Gulliford et al., 2013).

|20|Auch aus philosophischer Perspektive ist die Frage nach der Notwendigkeit eines Adressaten für den Dank diskutiert worden. So unterscheidet der deutsche Philosoph Dieter Henrich zwischen kommunalem und kontemplativem Dank (Henrich, 1999). Der Begriff des kommunalen Danks ist im Prinzip der Wechselseitigkeit von Geben und Empfangen deckungsgleich mit der triadisch strukturierten Dankbarkeit. Das, was Dieter Henrich unter kontemplativem Dank versteht, geht deutlich darüber hinaus. Er meint damit eine dankbare Grundhaltung, die sich nicht am unmittelbaren Gabenempfang orientiert, sondern mit Abstand zu sich selbst und zur Welt der prinzipiellen Abhängigkeit und dem Beschenktsein im Dasein bewusst ist. Dieser kontemplative Lebensdank kann mit einem reflektierten Abstand sogar schwierige Phasen in der eigenen Biografie einschließen. Die Existenz eines personalen Gegenübers oder eines Adressaten, dem dieser Dank abzustatten ist, ist für Henrich nicht zwingend notwendig, aber auch nicht prinzipiell ausgeschlossen. Eher abstrakt formuliert er ein „von allen humanen Zügen abgerückten Absoluten, das nur im kontemplativen Dank mitbedacht ist, ohne dessen Adresse zu sein“ (Henrich, 1999, S. 193). Dieses Absolute, das hier noch als ein anonymer letzter Grund von allem verstanden wird, verweist auf den Aspekt der Transzendenz, der für religiös oder spirituell ausgerichtete Dankbarkeit kennzeichnend ist.

Merke: Die Unterscheidung von triadischer und dyadischer Struktur der Dankbarkeit

Triadische Struktur

Empfänger (A), Geber (B), Gabe (x)

A ist B dankbar für x

Dyadische Struktur

Empfänger (A), Gabe (x)

A ist dankbar, dass x

2.2 Theologische und religionspsychologische Zugänge

Übersicht

In fast allen Religionen nimmt Dankbarkeit in den heiligen Schriften und ihrer Auslegungsgeschichte einen zentralen Platz ein. Sie kann als universelle religiöse Haltung gelten. Entsprechend finden sich auch zahlreiche religiöse Rituale und Ausdrucksformen, die die Abstattung des Dankes ermöglichen und als Praxis gestalten.

|21|2.2.1 Dankbarkeit in den Weltreligionen

Die verbreitetste religiöse Praxis ist in diesem Zusammenhang wohl das Dankgebet (Dietz, 2015). Aber auch Lieder – man denke an das populäre Kirchenlied „Danke für diesen guten Morgen“ – oder Feiertage wie beispielsweise Erntedankfeste geben dem glaubenden Menschen die Gelegenheit, seinem Dank einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Da im Buddhismus das Transzendente nicht personalisiert ist, sind in seinen Strömungen die Ausrichtungen der Dankbarkeit sehr vielfältig. In den monotheistischen Weltreligionen hingegen gilt Gott als der Schöpfer des Universums und damit einhergehend auch als die grundsätzliche Quelle des Guten. So gesehen hat der Mensch die Rolle des Empfängers dieser guten Dinge, für die er dem göttlichen Wohltäter zu Dank verpflichtet ist. In dieser radikal asymmetrischen Beziehung ist dem Gläubigen ein Rückerstatten der Wohltaten im Sinne eines Austausches von Gaben nicht möglich. Ihm bleibt nur noch der bloße Ausdruck von Dankbarkeit gegenüber seinem Gott.

Judentum

Die Vorstellung einer einzigartigen Geschichte Gottes mit seinem auserwählten Volk Israel ist die Hintergrundfolie für das Dankbarkeitsverständnis im Judentum. Im Hebräischen kann der Begriff für Danken („jdh“) je nach Kontext auch mit Loben oder Bekennen übersetzt werden, was die Bedeutung der öffentlichen verbalen Anerkennung dieser einzigartigen Beziehung unterstreicht. Das Buch der Psalmen in der hebräischen Bibel ist voll von Beispielen dieses dankbaren Gotteslobs: „Dankt JHWH, denn er ist gut, denn er liebt uns ohne Ende. Dankt dem Gott aller Götter, denn er liebt uns ohne Ende.“ (Psalm, 136, 1+2 [Lut 2018]). In der jüdischen Vorstellung schenkt Gott demjenigen Wohlstand und Gelingen, der in dieser besonderen Beziehung treu ist. Dankbarkeit wird damit auch zu einem Motiv, sich der fortwährenden Zuwendung Gottes zu versichern (Schimmel, 2004). Im Buch Hiob der hebräischen Bibel wird diese Verknüpfung von Dankbarkeit und Wohlergehen in seiner Eindimensionalität aber hinterfragt. Gebet, Opfer oder gute Taten können zwar Indikatoren der menschlichen Dankbarkeit sein, sie sind aber nicht als Gegengaben im Sinne einer Tauschlogik zu werten.

In der rabbinischen Auslegung der biblischen Schriften wird neben dem dankbaren Bekenntnis zu Gott als Schöpfer und Wohltäter auch die Dankbarkeit gegenüber den Mitmenschen betont. So ist in dieser Tradition die Dankbarkeit gegenüber anderen Menschen letztendlich ein Abbild der engen Verknüpfung der drei Haltungen Gehorsam, Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott. Eine besondere soziale Verpflichtung besteht gegenüber den Eltern und anderen Autoritäten. Daher spielt die Dankbarkeit von Kindern gegenüber ihren Eltern und von Schülern gegenüber ihren Lehrern in der rabbinischen Überlieferung eine so herausragende Rolle.

|22|Christentum

Im Christentum wird Dankbarkeit als die grundlegende Haltung des Christen gegenüber seinem Schöpfer vermittelt. In der paulinischen Theologie des Neuen Testamentes stellt die wiederholte Aufforderung zum Dank an Gott ein zentrales Motiv dar. Eine biblische Aussage wie „Bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!“ (Phil. 4, 6; [Lut 2018]) macht deutlich: Dankbarkeit ist nicht nur die Antwort auf eine momentane Wohltat, sondern meint vielmehr eine fortwährende Einstellung des Christen als Geschöpf Gottes. Und: Der Mensch bedarf immer wieder der Erinnerung an die Dankbarkeit.

Dank zwischen Menschen wird hingegen im Neuen Testament kaum erwähnt. Dies entspricht der sozialen Konvention der römisch-hellenistischen Welt, dass zwischen Freunden bzw. miteinander Vertrauten Dank üblicherweise nicht in Worten ausgedrückt wurde.

Einflussreiche Theologen der christlichen Tradition wie Augustin, Calvin oder Barth betonten die enge Verknüpfung von Gnade und Dankbarkeit (Emmons & Kneezel, 2005). Gerade die unvollkommene Natur des Menschen macht die Zuwendung Gottes durch Jesus Christus zu einer erlösenden und unverdienten Gnade. Die Antwort des Menschen kann nur in einer fortwährenden Dankbarkeit bestehen. Undankbarkeit im Sinne eines Vergessens oder Nichtanerkennens der eigenen Erlösungsbedürftigkeit ist als Verfehlung gegenüber Gott zu werten („Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt.“ Röm 1,21 [Lut 2018]). Das Konzept der Dankbarkeit im Christentum ist also ein unmittelbarer Ausdruck der Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch: Gott ist der gütige Geber aller Gaben einschließlich der zentralen Gabe seines Sohnes. Die (Erlösungs-)Bedürftigkeit des Menschen ist Wesensmerkmal und finale Bestimmung zugleich. Dieser letzte Aspekt wurde von dem dänischen Philosophen Kierkegaard in seiner paradox klingenden Formulierung: „Gottes bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit.“ prägnant ausgedrückt (Kierkegaard, 2004/1844).

Islam

Das arabische Wort „shukr“ bezeichnet Dankbarkeit sowohl in einem religiösen als auch einem gesellschaftlichen-juristischen Sinne. Dankbarkeit gehört zu den wichtigsten islamischen Tugenden. Umschreibungen von „Glauben“ und seinem Gegenteil, dem „Unglauben“, werden häufig gerade mit den Begriffen von „Dankbarkeit“ bzw. „Undankbarkeit“ ausgedrückt (Khalil, 2015). Interessanterweise wird im Koran Dankbarkeit auch als eine Eigenschaft Allahs aufgeführt, der die Dankbarkeit des Gläubigen mit eigener Dankbarkeit beantwortet (Giese & Reinhart, 2012). Dankbarkeit spielt also eine herausragende Rolle im gegenseitigen Treueverhältnis zwischen Allah und dem Menschen, wobei Allah sich in beloh|23|nender Weise erkenntlich zeigt für die guten Taten des Gläubigen. Der Undankbare hingegen zieht die Strafe Allahs auf sich: „Und (gedenket der Zeit) da euer Herr ankündigte: „Wenn ihr dankbar seid, so will Ich euch fürwahr mehr geben; seid ihr aber undankbar, dann ist Meine Strafe wahrlich streng.“ (Koran, Sure XIV,7 [Übersetzung F. Bubenheim]).

Im Sufismus, einer mystisch-spirituellen Strömung im Islam, findet sich ein ganzheitliches Verständnis von Dankbarkeit, das auch emotionale Aspekte einschließt. Mit dieser Betonung von Dankbarkeit als Gefühl oder innerer spiritueller Haltung ist durchaus eine Anschlussfähigkeit an aktuelle psychologische und moralphilosophische Debatten gegeben (Khalil, 2016). Ausgehend von der religiösen Bedeutung ist Dankbarkeit aber auch ein Faktor im öffentlichen Leben islamischer Gesellschaften. Die öffentliche Bekundung von Dankbarkeit ist durchaus ein geeignetes Mittel, um einen Wohltäter zufriedenzustellen. Dankbarkeit gilt auch als ein wichtiger Ausdruck von Loyalität und Respekt in hierarchischen sozialen Beziehungen (Giese & Reinhart, 2012).