DANTES BAR - Peter Kiefer - E-Book

DANTES BAR E-Book

Peter Kiefer

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Beschreibung

In Kneipen und Bars kehrt sich das Innere gerne entspannt nach außen – in freilich zahlreichen Verkleidungen. Dantes Bar bietet dafür die wohlbereitete Bühne. Für einen Zauberer auf den Spuren des Glücks oder einen, der in Maßkrüge meditiert, auch ein streitendes Paar, das sich verbissen und wortreich zu Opas Waffenkammer aufmacht, eine verführerische Treuetesterin, sogar für Gevatter Tod. In Peter Kiefers Panoptikum tummeln sich schnorrende, kunstbeflissene, schlafgestörte, liebeswunde Frauen genauso wie Möchtergernbankräuber, Beziehungsflüchter, Flashmobber, revolverfuchtelnde Bibelleser. Selbst ein ganzes Haarbüschel in der Suppe verdirbt keineswegs den Gaumenspaß. Denn in Dantes Bar kippen die Abende (gar vom Alkohol unterstützt?) ein wenig aus dem alltäglichen Gleichgewicht.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Peter Kiefer

Dantes Bar

Vierundzwanzig Geschichten

Außer der Reihe 90

Peter Kiefer

DANTES BAR

Vierundzwanzig Geschichten

Außer der Reihe 90

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Januar 2024

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Julius H. (Pixabay)

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 369 7

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 739 8

Er trank Bier – sieben Becher. Sein Geist entspannte sich, er wurde ausgelassen. Sein Herz war froh und sein Gesicht strahlte.

(Gilgamesch-Epos, 2750 – 2600 v Chr.)

Ende der Vierzigerjahre zieht in der Vorstadt eine Kneipe in ein altes Jugendstilgebäude ein, dessen Fassade nach Straßenkämpfen, die noch bis kurz vor Kriegsende toben, ziemlich ramponiert worden ist. Die Kneipe nennt sich Zum Besen, wohl in Anspielung darauf, den Schutt und Dreck und das ganze Elend, das dieser Krieg hinterlassen hat, endlich beseitigen zu können, und sei es mit ein paar harten Schnäpsen. Der ursprüngliche Besitzer ist auf einem Foto abgebildet, ein dicklicher Mensch, der mit zugeknöpftem Jackett und zusammen mit einer etwas vogelig wirkenden Frau an seiner Seite, die Arme ausbreitend vor seiner Kneipentheke ein Lächeln zustande bringt. Das Foto ist, nachdem die Besitzer im Lauf der Jahre noch mehrere Male gewechselt haben, wie vergessen an der Wand hängen geblieben.

Der letzte Besen-Wirt hat schließlich aufgrund mysteriöser Begebenheiten, deren genaue Umstände nie vollständig geklärt worden sind, aufgegeben. Die Beschreibungen von Augenzeugen gehen zwar auseinander, gleichwohl ist jedes Mal von gespenstischen Erscheinungen die Rede gewesen, die den Betroffenen offenkundig Schweißausbrüche beschert haben. Brennpunkt ist dabei die Toilette am Ende eines schmalen und schwach beleuchteten Ganges. Dort vernehmen einige Gäste gelegentlich kehlige Schreie, auch wollen welche gesehen haben, dass, wenn einer das Klo verlassen hatte, die Tür noch einmal geöffnet und wieder zugeschlagen wurde.

Der Wirt meint, dass sich da gerüchteweise eine Vorstellung in den Köpfen festgesetzt habe, von der sich früher oder später jeder, der davon gehört hat, mitreißen ließe und dass die Nerven der einzelnen Besucher schon vor dem Toilettengang blank lägen und die Sinne vernebelten. Doch selbst den notorischen Skeptikern ist die Sache auf Dauer nicht mehr geheuer und wer möchte sich schon mit voller Blase und einem erst halb geleerten Glas Bier vorzeitig nach Hause quälen müssen, nur um dem Kneipenklo zu entgehen? Die Zahl der Gäste schrumpft jedenfalls kontinuierlich, bis endlich dieses Klo und mit ihm der Besen der Vergangenheit angehören.

Die Hauseigentümer lassen die Räumlichkeiten gründlich renovieren und bauen eine neue Toilette, die, hell und weiß gefliest, niemanden mehr erschauern lässt. Als Dante sie pachtet, ist der Mummenschanz schon so gut wie vergessen, zumal nun auch ein anderes Publikum hier verkehrt. Fortan nennt die Kneipe sich »Bar«. Das klingt smarter und ist weniger aufs Bier verkürzt. Dantes Bar wird zu einem Ankerpunkt in der Vorstadt, die ihrerseits von glatten Mietshausfronten, aufgeputzten Supermarktfilialen und quaderförmigen Kleingewerbehöfen plattgetüncht ist.

Anderer Leute Leben

Holger sitzt am Tresen und erzählt seine Lebensgeschichte. Jedes Mal wenn er kommt. Und er kommt oft. Dante geht das anfänglich auf die Nerven: Immer dieselben Geschichten und jedes Mal will er sie gerade ihm, der sie schon so oft hat anhören müssen, erzählen. Dante hat sich mal ein bisschen für Psychologie interessiert und ist der Meinung, Holgers Erzähleifer sei das Resultat eines progredienten Narzissmus. Aber Dante – das ist dann die andere Seite – gewöhnt sich allmählich an Holgers dramatisierte Selbstdarstellungen und kann dessen Geschichten inzwischen fast mitsprechen. Halb um Holger ein wenig zu veralbern, halb auch aus sportlichem Ehrgeiz heraus macht er den Vorschlag, sich im Erzählen mit ihm abzuwechseln, sie sollen gleichsam im Duett Holgers Geschichten vortragen, wie wäre das? Holger stimmt zu.

Es klappt auf Anhieb nicht schlecht. Vergisst einer was, und das passiert Holger genauso wie Dante, machen sie sich gegenseitig kurz darauf aufmerksam und man ist gleich wieder in der Spur. Das Schlusswort hat immer Holger, denn zwischen diesem und dem letzten Mal hat er ja wieder ein paar Tage mehr gelebt und könnte nun ein Ereignis aus dieser Zeit seiner Vita hinzuzufügen. Meistens ist aber nichts Nennenswertes geschehen, jedenfalls nichts, das in Holgers Geschichte einen erwähnenswerten Platz haben könnte. Wenn anders, muss Dante genauer aufpassen, um es demnächst ordentlich wiederholen zu können.

Mittlerweile ist Holgers Lebensgeschichte auf circa eine Stunde Erzählen angewachsen, eine ganze Menge, aber Dante geht prächtig in seiner Rolle auf. Tatsächlich vergleicht er sich mit einem Schauspieler, der zum Staunen des Publikums auch größere Textmengen bewältigt. Hinzu kommt freilich, dass er stets durch Bestellungen seiner Gäste in Anspruch genommen und daher ständig im Erzählmarathon unterbrochen wird. Auch dass er gelegentlich einen schlechten Tag hat, unaufmerksam gegenüber Holger ist und von diesem jedes Mal diskret korrigiert werden muss. Bei dieser Art des Soufflierens ist wiederum Holger Teil einer imaginären Bühne.

Dennoch, bei Dante, bei Holger hingegen keine Spur, treten Ermüdungserscheinungen auf. Dante erschrickt, weil er Holgers Geschichte inzwischen fast besser kennt, als seine eigene, er verwechselt sich sogar gelegentlich mit Holger und weiß beispielsweise nicht mehr hundertprozentig zu sagen, ob er oder Holger vor zwölf Jahren jene Reise nach Kopenhagen unternommen hatte (das er in Wahrheit bei einer ganz anderen Gelegenheit kennengelernt hat). Mehr noch, in Dante kommen sogar Zweifel auf, ob nicht doch er – und er muss sich an den Kopf fassen, um festzustellen, dass es nicht so gewesen ist –, mit Holgers Begleiterin Heidelinde damals unterwegs gewesen ist.

Wolke, seine Kellnerin, fragt ihn einmal scherzhaft, ob er sich denn im eigenen Leben noch richtig auskennt, und das bringt Dante wieder ins Psychologisieren und zu der Frage, ob er nicht schnurstracks auf dem Weg ist, eine gespaltene Persönlichkeit zu werden. Als Gegenmaßnahme, überlegt er, könnte er Holger künftig seine Lebensgeschichte auftischen, das wäre ein fairer Ausgleich. Es braucht dann zwar ein wenig Überwindung, um diesen Vorschlag über die Lippen zu bringen, aber er ist jetzt fest entschlossen.

Als Holger das nächste Mal am Tresen Platz nimmt, Dante ihm den üblichen Absinth mit dem Kännchen Wasser hinstellt und Holger mit dem alteingefahrenen Satz beginnt: Wie meine Mutter mir später erzählte, war der siebente September ein sonniger Spätsommertag, als ich …

Dante unterbricht ihn.

Heute, sagt er, erzähle ich dir mal, wie es am dreizehnten Februar ausgesehen hat, meinem Tag der Geburt, okay?

Holger setzt sein Glas ab. Deinem Geburtstag?, fragt er und starrt Dante irritiert an.

Wenn du Lust hast, sagt dieser. Aber hast du doch sicher. Das brächte etwas neuen Schwung in unser Leben.

»Unser Leben« – das ist ihm so rausgerutscht, aber vermutlich hat er es genauso gemeint.

Ich weiß nicht, sagt Holger fast schon weinerlich, ob ich mich so ohne Weiteres in das Leben anderer Leute reinfinden kann.

Das ist nur eine Frage der Übung, versucht es Dante und so fängt er nun an, ohne noch weitere Umschweife zu machen, seine Biografie auszubreiten. Immer wieder von Wolke mit Bestellungen der Gäste unterbrochen, verliert er trotzdem nicht den Faden. Dabei schielt er ständig zu Holger hinüber, will wissen, ob er in dem überhaupt noch einen Zuhörer hat. Mit seinen Schilderungen breitet Dante sich zunehmend aus. Er bekommt ein wenig Oberwasser und stellt fest, dass sie sich gleichsam von alleine erzählen und dabei Dante nun Dinge erleben lassen, die seinerzeit irgendwo in den Wolken hängen geblieben sind. Was für ein Leben tut sich da auf! Dagegen nimmt sich das von Holger ziemlich bescheiden aus, geradezu langweilig. Dante lässt sich noch eine Weile so forttragen, bis er spürt, dass er, wo ein Highlight das andere jagt, Holgers Leben im Begriff ist zu demontieren.

Aber er setzt sich am Ende auch selbst damit unter Druck. Als er nämlich seiner Gegenwart immer näher rückt, hat er sich bereits weit entfernt von seiner realen Existenz, schlichtweg davon, dass er lediglich eine kleine Bar bewirtschaftet, die er noch dazu erst mit dem Geld seines Schwagers hatte eröffnen können. Dank seiner Trinkgelder kann er leidlich, aber nicht allzu üppig davon leben. Holger besitzt immerhin ein Fotoatelier, auch nichts Großes, aber er lichtet den ein oder anderen C-Promi ab oder Frauen in erotischen Posen (wobei es einmal sogar gefunkt hat). Das sind dann Klassiker seiner Lebensgeschichte.

Mittlerweile steht Dante vor dem Problem, dass er sich bereits zum Manager einer Gastronomiekette hinaufgeredet hat und erklären muss, warum er inzwischen sechsmal die Woche hinter dem Tresen einer Vorstadtbar seinen Job verrichtet. Er hat das Gefühl, dass auch Holger darauf lauert, dass er sich verzettelt und zugeben muss, dass er nur Hirngespinste preisgegeben hat. Aber so leicht will er sein Leben nicht verschenken. Der Gedanke kommt ihm, sich als Opfer darzustellen, und er schildert plastisch, wie seine Bemühungen nach Russland zu expandieren, von der lokalen Mafia verhindert worden seien, wie man das Leitungsgremium seiner Firma mit Fakenews über ihn gefüttert habe, wie ihm, dem tapferen Fighter, irgendwann doch die Kräfte schwanden, gegen Ämter, Institutionen und die eigenen Chefs anzugehen und er begriffen habe, dass nur ein völliger Neuanfang ihn noch retten konnte. Ehrliche Arbeit, gewissermaßen an der Basis, ehe er zu einem neuen Sprung ansetzen wird. Zu einem – dieses Wort gebraucht er, trotzig die Faust ballend – Tigersprung.

Er wartet auf die Wirkung seiner Worte. Holger ist eingeschlafen, jetzt schreckt er in die Höhe. Ja, sagt er, das war … sehr … sehr aufschlussreich.

Dante sieht ein, dass sein kleiner Ausbruch ins Abenteuer kaum zu Wiederholungen taugt und allenfalls ein romantischer Zwischenruf ist zu Holgers pausbäckigem Trab durchs Leben. Unterm Strich beschreibt Holger auch seine, Dantes Situation, die naiven Erwartungen, flüchtigen Höhepunkte, verdrängten Enttäuschungen. Holgers Leben reicht wohl für beide. Dante wird sich wieder klaglos in beider Performance einfügen. Aber noch für kurze Zeit perlt der Trubel um ihn herum an den eben geweckten Träumen ab und was er selten hinter seinem Tresen tut, er gießt sich einen Wodka ein und kippt ihn in einem Zug runter.

Für dich auch einen?, fragt er Holger.

Der schüttelt etwas abwesend den Kopf und späht sein leeres Absinthglas aus.

Tisch 7

Dante hat so eine Ahnung. Natürlich sei das Unsinn, versucht er sich einzureden. Wie sollte eine solche Frau, die durch die Klatschpresse geht, sich ausgerechnet in seine Bar verirren? Außerdem hat man sie zuletzt in Rom gesehen, meist in der exklusiven Gesellschaft hochrangiger NATO-Offiziere.

Der Mann, mit dem sie zusammen an einem der Tische sitzt, macht einen distinguierten Eindruck und fällt dabei nicht besonders auf, weder durch seine Kleidung, noch durch eine teure Armbanduhr.

Die Zeitung, die Dantes Vermutung speist, liegt noch aufgeschlagen im Regal unter der Theke. Er holt sie bei einer kurzen Gelegenheit wieder hervor.

… bezog sie ein Apartment mit Meerblick im exklusiven Viertel Posillipo und eröffnete im Palazzo Schipa im Herzen der Altstadt einen Showroom mit angeblich selbst entworfenem Edelsteinschmuck.

Zu diesem Ereignis gibt es ein Foto, das die Frau beim Eingießen von Gläsern aus einer Magnumflasche Champagner zeigt. Das Foto ist sogar in Farbe. Dennoch wirkt es durch eine leichte Überbelichtung ein wenig unscharf, sodass das Gesicht dieser Frau keine fließenden Konturen besitzt. Sie heißt – das ist nicht ganz klar, weil sie unter vielen Namen aufgetreten ist – Anna Kolonowa.

Dante macht Wolke ein Zeichen, zu ihm zu kommen, und zeigt ihr das Foto.

Glaubst du, das ist die Frau da an Tisch 7?

Wolke sieht sich die Abbildung genauer an, ihr Blick wandert hin und her.

Die Nase, sagt sie, ist anders.

Wieso? Auf dem Bild sieht man sie fast frontal. Die Krümmung, von hier aus betrachtet, hat was mit der Perspektive zu tun.

Kann sein, meint Wolke. Aber auch insgesamt glaube ich nicht, dass sie es ist. Guck dir die Haare an. Bei der da – sie meint die Frau am Tisch – sind sie kurz und glatt. Hier in der Zeitung gewellt. Klar kann man Haare, sofern vorhanden, in jede beliebige Form bringen, aber … Also ich weiß nicht. Wer soll das denn überhaupt sein?

Die Kolonowa.

Und wer ist das?

Eine russische Spionin des Auslandsgeheimdienstes. Sie ist vor drei Jahren abgetaucht, weil ihr das Pflaster in Westeuropa zu heiß geworden ist. So steht’s in dem Artikel hier.

Und dann taucht sie ausgerechnet wieder in unserer Bar auf?

Das könnte der Punkt sein: Sie taucht da wieder auf, wo man es am wenigsten erwartet. Spionage heißt doch in erster Linie Tarnung.

Wolke streicht Dante mit dem gekrümmten Zeigefinger über die Wange.

Wir sind ein geheimer Hotspot, sagt sie.

Dante versucht, sich klarzumachen, dass, mag da auch eine gewisse Ähnlichkeit bestehen, eine solche Topspionin, als die Kolonowa in dem Zeitungsartikel dargestellt wird … knüpfte sie Bekanntschaften und bahnte Liebschaften an mit verschiedenen Offizieren, die offenbar Zugang zu nachrichtendienstlich sensiblen Daten der NATO-Kommandozentrale in Neapel hatten … nicht einfach wieder nach Westeuropa (und schon gar nicht in seine Bar) zurückkehren würde. Allmählich scheint es ihm zu gelingen, sich von diesem Gedanken zu lösen.

Die vermeintliche Kolonowa sucht gerade die Toilette auf. Als sie zurückkehrt, geht sie nicht gleich zu ihrem Tisch, sondern steuert auf Dante zu.

Bringen Sie bitte eine Flasche Champagner für da drüben, sagt sie.

Dante trifft auf ein herausforderndes Lächeln, das er scheinbar unbeachtet lässt, denn gefangen wird er einzig vom Tonfall dieser Frau. Der ist zweifelsfrei russisch geprägt, slawisch jedenfalls.

Kommt sofort, sagt er und starrt die Frau nur an.

Er hat stets zwei Flaschen kaltgestellt, insofern bereitet ihm die Bestellung keine Probleme. Aber sie hat einen russischen Tonfall! Erst jetzt kommt ihm der Gedanke, dass er sie mit ihrem Namen hätte ansprechen können, um ihre Reaktion zu erkunden. Er holt noch einmal die Zeitung hervor. Das ist sie, sagt er sich nun wieder und versucht gleichzeitig, es vor sich selbst abzustreiten.

Als er Wolke mit Gläsern und Sektkübel hinüberschickt zu Tisch 7, bittet er sie, nach dem Eingießen der Gläser noch in Hörweite zu bleiben, er will wissen, in welcher Sprache die beiden sich zuprosten.

Auf Italienisch, erzählt sie ihm kurz darauf.

Da hat sie gelebt, jahrelang, meint Dante.

Na, dann weißt du nun Bescheid.

Soll er die Polizei rufen? Nur, was wäre dann? Sie kämen sicher, würden den Ausweis sehen wollen, der natürlich vom russischen Geheimdienst perfekt gefälscht worden wäre, und hätten deshalb nichts feststellen können. Immerhin käme eine gewisse Unruhe auf und man würde sich fragen, wer denn in dieser Bar verkehrt. Schlimmstenfalls spricht sich so etwas dann noch herum.

Drüben haben sich beide schon ein ganzes Stück über den Tisch gebeugt, sind sich offensichtlich nähergekommen. Inszeniert sie ein neues erotisches Abenteuer? Es würde ins Bild passen. Jetzt kommt es gar zu einer aufschlussreichen Szene: Sie gießt die Gläser erneut voll. Auf dem Bild in der Zeitung fasst sie die Flasche dabei an ihrem Hals an. Hier auch.

Das ist sie, sagt er zu Wolke. Ich habe eindeutige Hinweise. Wir müssen etwas unternehmen, irgendwas. Man müsste ihr, wenn sie weggeht, einfach mal folgen, um herauszufinden, wo sie sich einquartiert hat.

Bei ihrem Flottenadmiral vermutlich, meint Wolke spöttisch. Ach nee, den zieht sie ja gerade erst an Land.

Dante wird von seiner Arbeit hinterm Tresen in Anspruch genommen, blickt aber immer mal wieder zu Tisch 7 hinüber, ob sich etwas dort ereignet, das ihm weitere Aufschlüsse geben könnte. Das Einzige, was sich tut, ist, dass beide mittlerweile mit Händchenhalten begonnen haben. Immerhin. Man müsste rauskriegen, wer er überhaupt ist. Das wäre doch auch eine Möglichkeit: sich ans Militär wenden und denen einen Verdacht übermitteln. An die NATO. Aber als Pazifist, als den Dante sich begreift? Das wäre … eine Zwickmühle.

Warum ist der Artikel gerade heute erschienen? Die Frage kommt ihm zum ersten Mal. Mit was für einer Art von Verschwörung hat er es hier zu tun? Dante würde sich am liebsten auf die Finger klopfen, wie man es mal mit Kindern gemacht hat, die sich hemmungslos über fremder Leute Süßigkeiten hermachen wollten.

Tisch 7 hat seinen Champagner ausgetrunken, nun stehen sie auf und werden zur Kasse gehen und zahlen. Dante eilt selbst dorthin, um die Zeche in Empfang zu nehmen.

Der Mann steht mit gezücktem Portemonnaie bereit, die Frau steht zwei Schritte dahinter. Mit angespanntem Lächeln gibt Dante etwas in die Registrierkasse ein und deutet danach auf den Betrag, der im Fenster erscheint. Der Mann zahlt mit einem Hunderteuroschein.

Sie sind Russen?, fragt Dante mit gespielter Belanglosigkeit.

Wie kommen Sie darauf?, fragt der Mann, der, kenntlich an seinem rheinischen Tonfall, ganz offensichtlich keiner ist.

Oh, ich dachte, weil Ihre Begleiterin ein wenig so klingt.

Sie ist Bulgarin, sagt der Mann und dreht sich kurz zu ihr um.

Ah, Bulgarin. Ich war vor Jahren mal dort. Schönes Land.

Mit schönen Frauen, zwinkert der Mann Dante zu. Wir fahren demnächst hin.

Ich bin damals einer Frau begegnet. Kolonowa hieß sie, glaube ich.

Bei diesen Worten, die er absichtlich etwas lauter ansetzt, hat Dante seine Kolonowa fest im Auge.

Haben Sie auch den Zeitungsartikel gelesen?, fragt sie und lächelt amüsiert.

Dante nickt, als sei das eine lustige Randnotiz, gibt das Wechselgeld heraus, zittert leicht. Sie ist es doch, denkt er.

Ein Fluchtversuch

Ich habe mich leer gefühlt, vollkommen leer. Tot.

Und bist einfach abgehauen?

Ich hatte keine Wahl, sagt der Mann mit den roten Haaren. Dauernd der gleiche träge Rhythmus, ewig mit den Großeltern zusammen, von denen Elvira sich nicht trennen will. Tagsüber das Schlagergedudel von denen, abends der Fernseher.

Und deine Frau?

Putzt in einem fort das Haus, sich selber leider weniger. Durchweg trägt sie farblose Klamotten, kein bisschen Pep, Raffinesse, nix, was einen mal herausfordern würde. Derzeit hat sie eine Phase, wo sie Bonsaibäume aus Perlen und Draht bastelt. Kennst du diese putzigen Baumkrönchen aus Glitzerperlen? Inzwischen ist das ganze Wohnzimmer ein Glasperlenwald, in anderen Zimmern geht’s auch schon los. Sogar im Bad, wo sie den Spülkasten vom Klo mit diesem Tinnef berankt.

Der Mann mit den roten Haaren setzt eine verdrießliche Miene auf. Wahrscheinlich steht er gedanklich gerade in seiner Wohnung und sucht sie nach störendem Baumbestand ab.

Habt ihr Kinder?, fragt Dante.

Nein.

Der Mann will gleich noch etwas hinzufügen, findet aber, dass es den Barkeeper eigentlich nichts angeht.

Leben deine Leute hier in der Stadt?

Meine Leute! Nein, sie wohnen im Badischen. In der Provinz. Hübsche Gegend, aber pottlangweilig.

Wissen sie, wo du dich im Augenblick aufhältst?

Ich habe ihnen bloß geschrieben, dass sie mich nicht suchen sollen. Mit mir ist alles in Ordnung. Ich passe nur nicht mehr in ihre Ordnung, hab ich gesagt. Mach mir noch einen Aperol Sprizz. Aber ohne den Strohhalm.

Dante macht sich an die Arbeit, presst eine Orange aus und gießt den Saft in ein Glas.

Aber du warst mal in Elvira verliebt, sagt er und füllt das Glas mit Likör und Prosecco auf.

Verliebt?, fragt der Mann. Kann sein, ich erinnere mich kaum. Vielleicht habe ich damals einfach jemanden gebraucht, der mir Wärme spendet, der mich ein bisschen umsorgt. Ich war leichte Beute.

Dante wirft noch drei Eiswürfel in das Glas und legt zwei Minzeblätter obenauf.

Bitteschön, sagt er.

Der Mann mit den roten Haaren süffelt an seinem Getränk.

Was hast du jetzt vor?, fragt Dante.

Es ist schwierig, wieder Fuß zu fassen. Einen kleinen miesen Job kannst du überall kriegen. Kannst dich so durchschlagen. Aber bedenke mal, zu Hause war ich in einer Spezialfirma für thermaloptische Geräte tätig. Wir haben sogar an die NASA geliefert.

Und aus dem Job bist du jetzt raus?

Nicht ganz, ich hab da noch Resturlaub.

Du denkst also drüber nach, zurückzukehren?

Der Mann steckt seine Nase tief ins Glas, lässt sich ein wenig Zeit und taucht dann mit leise verzweifelter Miene wieder auf.

Zweimal ins selbe Grab steigen?, murmelt er vor sich hin.

Du kannst auch hier in der großen Stadt untergehen, meint Dante. Tod ist überall.

Tod ist überall, wiederholt der Mann und nickt elegisch mit dem Kopf.

Du hast ihnen einen gehörigen Schrecken eingejagt, als du abgehauen bist. Damit haben sie nicht gerechnet, legt Dante sich ins Zeug. Jetzt hast du Forderungen an sie. Die Situation hat sich verändert, das ist deine Chance.

Dante lässt im Allgemeinen seine Gäste reden, die mit ihren Erfolgen prahlen oder von den himmelschreienden Ungerechtigkeiten erzählen, die ihnen widerfahren. Dieses Mal schwingt er sich zum Eheberater auf und der Mann zeigt sich empfänglich.

Vielleicht liegt alles nur an mir, fängt er an zu zweifeln.

An dir liegt es, den Laden mal aufzuräumen, stellt Dante fest.

Mach mir ‘nen Schnaps, sagt der Mann, ich brauch was Hartes.

Er wird es ihnen allen zeigen, der ganzen Blase, und von Elvira, verkündet er so halb (nur so halb) im Scherz, wird er einen Sohn fordern, nichts Geringeres.

Wolke, die Feministin, taucht gerade neben ihm auf und kann es sich nicht verkneifen, zu sagen: Warte’s ab, sie wird sich rächen und eine Tochter zur Welt bringen.

Der Mann mit den roten Haaren wird wieder unsicher. Schließlich ist es gar nicht so weit hergeholt, dass Elvira Vergeltung üben und eine Art Guerillakrieg gegen ihn führen wird. Er muss sich gegen sie wappnen. Nur mal für den Fall, dass er zurückkehrt.

Wie soll ich das hinkriegen?, fragt er Dante.

Dem wird es nun zu viel.