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Nach herben Niederlagen im Job und in der Liebe, wünscht sich Tamsin einen Neuanfang. Sie beschließt, den kleinen Buchladen in den malerischen Cotswolds zu übernehmen, den sie überraschend geerbt hat. Tamsin stürzt sich in die Renovierung der in die Jahre gekommenen Buchhandlung, um bald mit modernem Look und neuem Logo wiedereröffnen zu können. Doch zu ihrem Ärgernis ist ein merkwürdiger Buchklub Teil des Erbes, den sie einfach nicht loswird.
Als Darcy auftaucht, hält sie ihn schlicht für den Buchladen-Kater - nicht der einzige Irrtum, dem Tamsin erliegt. Beinahe zu spät erkennt sie, dass sie mit ihren Modernisierungsmaßnahmen den guten Ruf der Buchhandlung und damit auch ihre Zukunft aufs Spiel setzt. Ihre einzige Hoffnung, das Desaster abzuwenden, scheint ausgerechnet der ungeliebte Buchklub zu sein, dessen Mitglieder gar nicht mehr gut auf sie zu sprechen sind.
Nur gut, dass Kater Darcy nicht umsonst ein Glückskater ist ...
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Seitenzahl: 161
Darcy ist ein Glückskater. Ein Kater, der um die Welt streunt, plötzlich bei dir auftaucht und innerhalb weniger Wochen dein Leben verändern wird. Denn wo auch immer er hinkommt, bewirkt er ein kleines Wunder – macht das Leben ein bisschen leichter, tröstet oder hilft, endlich loszulassen.
Nach herben Niederlagen im Job und in der Liebe, wünscht sich Tamsin einen Neuanfang. Sie beschließt, den kleinen Buchladen in den malerischen Cotswolds zu übernehmen, den sie überraschend geerbt hat. Tamsin stürzt sich in die Renovierung der in die Jahre gekommenen Buchhandlung, um bald mit modernem Look und neuem Logo wiedereröffnen zu können. Doch zu ihrem Ärgernis ist ein merkwürdiger Buchklub Teil des Erbes, den sie einfach nicht loswird.
Als Darcy auftaucht, hält sie ihn schlicht für den Buchladen-Kater – nicht der einzige Irrtum, dem Tamsin erliegt. Beinahe zu spät erkennt sie, dass sie mit ihren Modernisierungsmaßnahmen den guten Ruf der Buchhandlung und damit auch ihre Zukunft aufs Spiel setzt. Ihre einzige Hoffnung, das Desaster abzuwenden, scheint ausgerechnet der ungeliebte Buchklub zu sein, dessen Mitglieder gar nicht mehr gut auf sie zu sprechen sind.
Nur gut, dass Kater Darcy nicht umsonst ein Glückskater ist …
Gesine Schulz liebt Katzen, Krimis und Gärten. Ihre Schwäche für klassische Five o'Clock Teas hat sie von einem Großonkel geerbt, der Butler in London war. Derzeit lebt sie als freie Schriftstellerin im Ruhrgebiet. Ihr zweiter Schreibtisch steht in Irland, Schauplatz ihres Erfolgsbuchs »Eine Tüte grüner Wind«.
Gesine Schulz
Der Glückskater im Buchladen
beHEARTBEAT
Digitale Originalausgabe
»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dorothee Cabras
Lektorat: Anna-Lena Römisch
Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven© iStock.com/Cynthia Baldauf, © shutterstock/Evgeny Karandaev,© shutterstock/kryvushchenko, © shutterstock/elesi
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-3117-2
www.be-ebooks.de
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Im Wurf war er der Kleinste gewesen. Doch schon sieben Wochen nach seiner Geburt hatte er ordentlich zugelegt, und seine unverhältnismäßig großen Tatzen ließen darauf schließen, dass er zu einem stattlichen Kater heranwachsen würde.
Mit drei Monaten nahm er ohne Bedauern Abschied von seiner Mutter und den fünf Geschwistern und zog bei einem Menschenpaar ein, das sich ohne Zögern für ihn, »den kleinen Bunten da«, entschieden hatte.
Nach einigen Diskussionen darüber, welchen Namen er erhalten sollte, setzte sich die junge Frau durch. Sie liebte die Romane von Jane Austen, besonders den, in dem Elizabeth Bennet und Mr. Darcy nach vielen Missverständnissen und Verwicklungen endlich zusammenfinden. »Wenn der Kater nicht Darcy heißen darf, dann nennen wir eben unseren Sohn so.« Sie legte die Hände auf ihren leicht gewölbten Bauch. Woraufhin der Ehemann umgehend nachgab.
So war Darcy in einem Haus mit Garten mitten im Grünen aufgewachsen, hatte bei Katerkämpfen erste Blessuren davongetragen, Konkurrenten das Fürchten gelehrt und dafür gesorgt, dass sie die Grenzen seines Reviers respektierten. Als das Baby zur Welt kam und bei ihnen einzog, hatte er es ausgiebig beschnuppert und eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Wesen gefasst.
Im folgenden Sommer fuhr die junge Familie samt Darcy im Wohnwagen in die Ferien. Bei einem seiner Streifzüge über den Campingplatz stieg er frühmorgens in ein Wohnmobil, aus dem es köstlich nach gebratenem Fisch roch. Kurz darauf klappte die Tür zu, der Motor sprang an und das Gefährt rumpelte vom Platz. Als die Tür nach endlos scheinenden Stunden geöffnet wurde, schoss Darcy hinaus ins Freie und verschwand in der Dunkelheit.
Seitdem suchte er den Weg zurück nach Hause. Meist war er auf vier Pfoten unterwegs, manchmal als blinder Passagier. Er hatte Glück.
Immer wieder führte sein Weg ihn zu Menschen, die ihn freundlich aufnahmen. Doch nirgends hielt es ihn lange. Er hatte ein Ziel. Er wollte heim.
Tamsin stand kurz entschlossen auf, als sich die U-Bahn der Haltestelle Temple näherte, und schlängelte sich zu den vor der Tür wartenden Passagieren durch. Die letzte Station würde sie sich schenken und ein Stück laufen. Sie war heute früh dran. Ab fünf Uhr war an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen.
Ein frischer Wind aus Osten strich die Themse herauf. Tamsin schlug den Kragen ihres Mantels hoch, als sie das Victoria Embankment erreichte. Umgeben von seinen Habseligkeiten, saß ein Obdachloser auf einer Bank und wärmte sein Gesicht über einem dampfenden Pappbecher. Er hob den Kopf, sah Tamsin geradewegs ins Gesicht und sagte: »Könnte sicher schlimmer sein.«
Sie schenkte dem Mann ein kleines Lächeln und legte einen Schritt zu. Brabbelte er nur vor sich hin, sagte er das zu jedem, oder sah man ihr etwas an? Sie bemühte sich, ihre Gesichtszüge zu entspannen.
Tamsin trat an die halbhohe Mauer und sah auf die Themse hinab. Es herrschte Ebbe. Weiter östlich spannte sich die Millennium-Fußgängerbrücke über den Fluss. Menschen eilten in beiden Richtungen hinüber und hoben sich wie belebte Scherenschnitte gegen den hellgrauen Himmel ab. Dunklere Wolkenfetzen wurden vom Wind nach Westen getrieben. Über dem Globe Theatre riss der verhangene Himmel auf und gab kurz den Blick auf ein frühlingshaftes Blau frei. Zu ihrem neununddreißigsten Geburtstag im letzten Sommer hatte Darren sie ins Globe eingeladen, zu Viel Lärm um nichts.
»Wird schon werden«, murmelte Tamsin und wandte sich um. In den wenigen Minuten war es auf dem breiten Fußweg voller geworden. Berufstätige eilten dahin, Jogger schlängelten sich durch die Menge. In der Mitte des Weges führte ein älteres Paar in gemächlichem Tempo einen braunen Königspudel spazieren. Oder der Pudel das Paar. Der Menschenstrom teilte sich, um gleich wieder zusammenzufließen. Tamsin folgte den dreien, passte sich dem Tempo an. Ausgerechnet an diesem Montagmorgen zu früh in der Firma zu erscheinen wäre nicht so gut. Es könnte den Eindruck erwecken, sie sei beunruhigt. Was natürlich zutraf.
Sie lief die Stufen in Richtung Fleet Street hinauf. Die Narzissen in dem schmalen Beet waren über Nacht erblüht. Ein Sonnenstrahl ließ das Gelb aufleuchten. Vielleicht ein gutes Omen, dachte Tamsin, obwohl sie normalerweise nicht abergläubisch war.
Als sie schon fast am Stand des Zeitungshändlers vorübergegangen war, fiel ihr auf, dass sie auf dem Weg zur U-Bahn vergessen hatte, sich wie üblich eine Zeitung zu besorgen. Sie kehrte um und kaufte den Guardian, der durch eine kurze Meldung in seiner Samstagsausgabe vielen bei BlainBooks Beschäftigten das Wochenende verdorben haben dürfte.
Weitere Umstrukturierungen in der Zentrale von BlainBooks? Wie wir von einer der Buchhandelskette nahestehenden Quelle erfahren haben … Personelle Verschlankung …
Und so weiter. Bla, bla, bla, Gerüchte. Auf ihrer Ebene, der des mittleren Managements, brauchte man sich gewiss keine Sorgen zu machen. Erst im Vormonat waren drei durch Beförderungen frei gewordene Stellen gestrichen worden, darunter die von Darren, der als Manager des geplanten BlainBooks Australia nach Sydney gezogen war. Er hatte nicht eine Sekunde gezögert, das Angebot anzunehmen. Gut, das war verständlich.
»Guten Morgen, Ms. Whittersby«, grüßte der Portier, ohne wie sonst eine Bemerkung über den schönen Tag zu machen.
»Guten Morgen, Fred.« Tamsin trat in den Aufzug. Dass Darren nicht wenigstens gefragt hatte, ob sie mit nach Australien gehen wolle, ließ wieder Bitterkeit in ihr aufsteigen. Zwei Jahre Beziehung und tschüss. Seine Frau hatte ihn tatsächlich begleitet, wie Tamsin inzwischen aus diversen in ihrem Beisein fallen gelassenen Bemerkungen von Kolleginnen wusste.
»Ein Neuanfang für ihre Ehe, ist das nicht romantisch?«, hatte eine Kollegin erst am vergangenen Donnerstag vor einer Besprechung zu Eric gesagt, der offiziell für die PR zuständig war und inoffiziell als Firmen-Klatschtante fungierte. Tamsin hatte in ihren Papieren geblättert, ein paar sinnlose Notizen gekritzelt und so getan, als hätte sie nichts gehört. Die Blicke der anderen hatte sie sehr wohl gespürt. Trotz aller Diskretion hatten anscheinend einige Leute von der Affäre zwischen Darren und ihr gewusst oder zumindest etwas vermutet. Seine Anwesenheit schien die Zungen der Klatschbasen im Zaum gehalten zu haben.
Tamsin nahm sich zusammen. Sie stieß die Tür zu ihrem Büro auf, warf den Guardian auf den Schreibtisch und schaltete den Computer ein, noch ehe sie ihren Mantel auszog. Ganz die dynamische Angestellte.
Sie vertiefte sich in die Zusammenfassung des Seminars der Buchhändler-Vereinigung, das sie besucht hatte. Sie kürzte, strukturierte, ergänzte, las Korrektur. Keine zwei Stunden später schickte sie den Report Proaktives Verkaufen im Buchhandel mit speziellem Bezug auf die Anwendung bei BlainBooks per E-Mail über den Verteiler der leitenden Angestellten in Zentrale und Zweigstellen, inklusive der neuen Niederlassung in Sydney.
Eric steckte seinen neuerdings weizenblonden Kopf durch die Tür. »Es hat Patricia erwischt«, flüsterte er und zog zur Verdeutlichung einen Zeigefinger über seine Kehle, ehe er verschwand, um die Hiobsbotschaft in andere Büros zu tragen.
Tamsin starrte noch aus dem Fenster, als Eric wieder erschien. »Jetzt hat die Robotham Mr. Cook zu sich bestellt.« Eric verdrehte die Augen und schloss die Tür.
Tamsin rieb sich die Stirn. Patricia war erst seit zwei Jahren bei BlainBooks; sie war für eine Unsumme von Amazon abgeworben worden, wie es hieß. Doch Michael Cook hatte Jahre vor Tamsin bei BlainBooks angefangen, lange vor der Expansion zu einer der bedeutendsten Buchhandelsketten Großbritanniens. Sie kannte ihn aus dem Buchladen in der Charing Cross Road, in dem sie gelernt hatte. Damals hatte sie noch täglich Bücher in der Hand und keine Ahnung von »proaktivem Verkaufen« gehabt.
Armer Michael! Und BlainBooks zahlte nicht mal Abfindungen. Doch so traurig es war - nüchtern betrachtet hieß das: Wenn schon zwei aus der Abteilung entlassen worden waren, war es ziemlich unwahrscheinlich, dass es noch jemanden treffen würde. Tamsin nahm sich vor, gelassen zu bleiben und Michael etwas später, wenn er sich gefasst hatte, in seinem Büro aufzusuchen, um ihm ihr Mitgefühl und Bedauern auszudrücken. Vielleicht ließ er sich nach Büroschluss zu ein paar Drinks in den Pub einladen. Dort könnte er sich Kummer und Wut von der Seele reden. Tamsin seufzte.
Sie ging den langen Flur entlang zur Teeküche. Immer ein Ort für Klatsch und Gerüchte, schien sich gerade die halbe Abteilung dort versammelt zu haben. Das kurzzeitige Verstummen der Stimmen verriet Tamsin, dass sie zuletzt Thema gewesen war.
»Schon das von Mr. Cooks Kündigung gehört, Ms. Whittersby?«, beendete Becky die peinliche Pause.
Tamsin nickte der Praktikantin zu. »Schrecklich.« Als machte sie sich um ihren Job keinerlei Sorgen, wählte Tamsin in scheinbarer Ruhe eine Teesorte aus. Sie griff nach der Dose mit dem Lady-Grey-Tee. Der elegante Bergamotte-Duft dieses Tees würde den anderen hoffentlich auf subtile Art die richtige Botschaft vermitteln: Tamsin Whittersby war zuversichtlich und gelassen. Sie spürte die spekulierenden Blicke in ihrem Rücken. Nach all der Häme und dem Mitleid wegen Darren konnte sie das kaum ertragen.
Wie auf ein Stichwort erschien Keira aus der Poststelle. Sie hielt eine Ansichtskarte hoch. Auf den ersten Blick erkannte Tamsin Darrens ausladende Schrift.
»Grüße aus Sydney!«, rief Keira. »Sie haben endlich eine Wohnung gefunden, mit einem super Blick auf den Hafen. Wir sind alle eingeladen.«
Ausgerechnet jetzt musste Eric auftauchen! Er grinste. »Na, Tamsin, wirst du die beiden Down Under besuchen?«
Sie lächelte nichtssagend und drängte sich mit ihrem Teebecher hinaus. Es war demütigend. Nie wäre sie mit nach Australien gegangen. Aber wenigstens fragen hätte er sie sollen. Dann hätte sie das durchsickern lassen können und wäre jetzt kein Objekt des Mitleids.
Tamsin nippte an ihrem Tee und blätterte durch die neueste Ausgabe des Bookseller. Sie überflog Artikel über innovative Sortimentsgestaltung, über Optimierung und Branchenprognosen und blieb an einem Bericht über Ferien in einer Buchhandlung hängen. Welch kuriose Idee! Der Besitzer einer alteingesessenen Buchhandlung in Cornwall hatte aus vielen Gesprächen erfahren, dass es der Traum erstaunlich vieler Menschen war, eine kleine, gemütliche Buchhandlung ihr Eigen zu nennen. Nun bot er buchaffinen Menschen gegen eine hübsche Summe an, eine Woche im Monat seine Buchhandlung zu führen; eine kleine Ferienwohnung über dem Buchladen war im Preis inbegriffen. Er war bis Jahresende ausgebucht. Steckte darin Stoff für ein Seminar?
Ihr Handy summte. Wie eine winzige Sternschnuppe erglühte und erlosch in ihr die Hoffnung, es sei Darren. Sei keine Närrin!, ermahnte sie sich. »Hallo, Dad! Wie geht’s euch?«
»Tamsin, Graham ist gestorben.«
»Oh, tut mir leid.« Sie dachte fieberhaft nach. »Ähm, welcher Graham, Dad?«
»Na, Graham, mein Cousin.«
»Dein Cousin?«
»Nun gut, Großcousin.«
»Hm …« Tamsin hörte im Hintergrund die Stimme ihrer Mutter: »Unsere Ferien damals in den Cotswolds.«
»Wir haben ihn mal besucht, Tamsin, als du klein warst. Auf dem Weg nach –«
»Oh ja! Ich erinnere mich. Er hatte diese Buchhandlung in … äh …«
»Genau. Graham’s Books. Wir haben den Brief vom Anwalt geöffnet und erst dann gesehen, dass er an dich adressiert war.«
»An mich? Was steht drin?«
»Graham hat dich in seinem Testament eingesetzt. Du erbst.«
»Was? Ich? Doch nicht etwa die Buchhand–« Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. »Moment, Dad. Ich muss mal eben abheben.«
Es war die Sekretärin der Personalchefin, die ausrichten ließ, Tamsin möge zu Ms. Robotham kommen. »Umgehend.«
»Dad, ich ruf dich gleich zurück.« Tamsin zog sich die Lippen nach und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Dass die Personalchefin sie in ihr Büro zitiert hatte, konnte auch etwas anderes bedeuten. Es war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Eine Expansion nach Südafrika, für die man sie aufgrund ihrer Leistungen in Betracht zog, oder nach Indien, wo es einen rasch wachsenden Buchmarkt gab. Doch diese schwache Hoffnung verpuffte, als Tamsin das Vorzimmer betrat. Rosie, die beliebte Sekretärin der unbeliebten Personalchefin, zog eine halb bedauernde, halb entschuldigende Grimasse, als sie Tamsin zunickte und ihr bedeutete, ins Chefbüro durchzugehen. Tamsin atmete tief ein und straffte die Schultern, ehe sie die Tür mit Schwung öffnete. »Sie wollen mich sprechen, Ms. Robotham?«
»Ja. Nehmen Sie doch bitte Platz! Sie … äh … können sich vielleicht denken, worum es geht, Ms. Whittersby.«
»Worum es geht? Nein, keine Ahnung. Worum geht es?«
»Nun … es fällt mir nicht leicht …«
Lügnerin!, dachte Tamsin. Du genießt es doch! Den Ruf hatte die Personalchefin bei BlainBooks: Je unangenehmer eine Mitteilung war, desto lieber schien sie die zu übermitteln.
»… aber ich fürchte, ich muss Ihnen leider sagen, dass wir aufgrund der Ihnen ja nicht verborgen gebliebenen Umstruk–«
Tamsin sprang auf. »Entschuldigen Sie bitte einen Moment! Ich muss mal eben … Bin gleich wieder da! Ich … äh … meine Blase!« Sie hastete zurück in ihr Büro und rief ihren Vater an. »Dad, nur kurz: Was genau steht in dem Schreiben des Anwalts? Soll ich wirklich die Buchhandlung bekommen?«
»Ja, so sieht’s aus. Du erbst anscheinend, weil du –«
»Ich rufe dich zurück, Dad! Sorry!« Sie ließ sich nun Zeit, in Ms. Robothams Büro zurückzukehren. Das ist ja verrückt!, dachte sie. Aber was hatte sie zu verlieren? »So, da bin ich wieder.« Tamsin setzte ein verbindliches Lächeln auf. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Ms. Robotham! Welch ein Zufall übrigens! Hätten Sie mich heute nicht um einen Termin gebeten, hätte ich es selbst getan. Wir haben uns sozusagen überschnitten.«
»Aha«, sagte Ms. Robotham desinteressiert. »Nun, was ich Ihnen mitteilen muss, ist –«
Tamsin hob eine Hand und lächelte. »Vielleicht darf ich zuerst? Also, ich bedauere sehr, dass es so kurzfristig kommt. Aber ich kündige. Umgehend.« Da. Sie hatte es ausgesprochen.
Ms. Robotham öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie räusperte sich mehrmals. »Verstehe ich das richtig? Sie kündigen?«
»Ganz recht. Ich habe eine Buchhandlung geerbt, um die ich mich kümmern muss.«
»Eine Buchhandlung? Geerbt? Wo?«
»In den lieblichen Cotswolds.« Hoffentlich würde sie nicht nach dem Ort fragen! »Aber ich muss mich entschuldigen, Ms. Robotham: Was war Ihr Anliegen an mich?«
»Hat sich erledigt.« Ms. Robotham drehte einen Bleistift zwischen den Fingern. »Die Kündigung bekomme ich noch schriftlich.«
»Aber selbstverständlich. Umgehend.« Behutsam zog Tamsin die Tür hinter sich zu.
Tamsin floh in ihr Büro. Innerlich bebte sie. Sie hatte den Spieß umgedreht. Sie war nicht geschasst worden, gehörte nicht zu den Bedauernswerten, denen gekündigt worden war. Doch ihren Job bei BlainBooks war sie trotzdem los – und damit ihr eigenes Büro, das sie vor kaum einem Jahr bezogen und dem sie ihre eigene Note verliehen hatte. Dezente Eleganz. Grautöne herrschten vor bis hin zu den gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos von Londoner Brücken. Die Bilder würden hierbleiben. Sie stammten aus dem Kunst-Depot von BlainBooks. Doch sie würde viel mehr in diesem Raum zurücklassen: ihre Zukunft, so wie sie sich die vorgestellt hatte, bis hin zu dem zweifingerbreiten Blick auf die Themse zwischen zwei Gebäuden hindurch.
Tamsin lehnte sich gegen ihren Schreibtisch. Ihr Atem beschleunigte sich. Sie schnappte nach Luft. Nur am Rande nahm sie wahr, dass die Tür geöffnet wurde und jemand hereinkam.
»Na, na, was haben wir denn hier?«, vernahm sie die amüsiert klingende Stimme ihres Kollegen Eric. Dann folgte Papierknistern. »Hier, atme in die Tüte!« Er legte Tamsin eine Hand in den Nacken und hielt ihr mit der anderen eine Papiertüte vor Nase und Mund.
Tamsin kam sich vor wie ein Fisch auf dem Trockenen, hilflos, ausgeliefert. Aber nach kurzer Zeit atmete sie ruhiger. Sie schob Erics Hand zur Seite.
»Es geht wieder. Danke.« Sie rieb sich über die schweißnasse Stirn. »Ich weiß nicht, was mich da plötzlich …«
Eric führte Tamsin zu ihrem Schreibtischstuhl. »Du hast nur hyperventiliert. Kein Grund zur Sorge. Vielleicht eine kleine Panikattacke nach dem Gespräch mit Ms. Robotham?«
Tamsin schüttelte den Kopf. »Ich bin aber nicht gekündigt worden, Eric. Ich … ich habe es selbst getan.« Sie schloss kurz die Augen. Dann sah sie ihn an. »Ich habe vorhin gekündigt.«
»Tamsin! Im Ernst? Ich glaub’s nicht!« Er kicherte. »Na, das dürfte der alten Schnepfe den Wind aus den Segeln genommen haben! Wo du doch auch auf der Abschussliste gestanden hast, wie man munkelt. Tut mir jedoch leid, dass du gehst. Weißt du schon, was du jetzt tun wirst?«
»Ja, selbstverständlich.« London verlassen. Ihre Wohnung aufgeben. Aufs Land ziehen. Herausfinden, wie dieser Ort hieß, in dem sich die Buchhandlung ihres verstorbenen Onkels befand.
»Und was hast du vor? Gehst du zur Konkurrenz? Oder … oder etwa nach Australien?«
Unverschämt! Was erlaubte er sich? Um einen kühlen Ton bemüht, sagte Tamsin: »Wenn du es unbedingt wissen musst …«
»Aber selbstverständlich muss ich das!«
»Ich übernehme eine Buchhandlung in den Cotswolds.«
Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Ach was! In die idyllischen Cotswolds geht es, ja? Nach Cheltenham vielleicht? Hat Waterstones dir etwa eine Filiale angeboten?«
»Nein. Es handelt sich um eine unabhängige Buchhandlung. Nicht in Cheltenham.« Das zumindest wusste sie. »Und nun habe ich zu tun. Vielen Dank für deine Hilfe, Eric.«
»Jederzeit gern, Tamsin, jederzeit gern.« Sie hörte ihn pfeifend den Flur entlanggehen. Er war immer bester Laune, wenn er neue Klatsch-Häppchen verteilen konnte, und sie hatte ihm gerade ein ganzes Buffet präsentiert: Tamsin Whittersby hatte gekündigt, würde London verlassen und hatte eine Panikattacke erlitten.