Darcy - Der Glückskater und der Geist von Renfield Hall - Gesine Schulz - E-Book

Darcy - Der Glückskater und der Geist von Renfield Hall E-Book

Gesine Schulz

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Beschreibung

Viel zu jung verwitwet lebt Freda allein auf einem großen Landsitz - bis eines Abends ein bunt gefleckter Kater auftaucht und ihr von nun an Gesellschaft leistet. Reparaturen stehen an, das Geld ist knapp und die Stiefkinder sind längst aus dem Haus: Es wäre nur vernünftig Renfield Hall zu verkaufen, obwohl sie und die Kinder noch sehr daran hängen. Eine Kaufinteressentin bringt sie dann aber ins Grübeln. Doch als Freda erfährt, dass die Frau Renfield Hall nur kaufen will, um es abzureißen ist sie entsetzt. Sie beschließt, keinesfalls zu verkaufen, sondern ihr Bestes zu geben, um das Anwesen zu halten. Sie vermietet ein Gästezimmer und bietet fortan einen Afternoon Tea an. Dank Darcy steht eines Abends eine alte Frau von geisterhafter Blässe vor der Tür und bezieht das Zimmer. Erst für eine Nacht, doch dann scheint sie sich im Haus einzunisten. In Freda wächst ein Verdacht.
Währenddessen entwickelt sich der Afternoon Tea zum Erfolg, wozu das Gerücht, Renfield Hall beherberge einen Geist, erheblich beiträgt - ein Gerücht, an dem ein gewisser Kater nicht ganz unschuldig ist.

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Seitenzahl: 203

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Inhalt

CoverDarcy – Die SerieÜber diese FolgeÜber die AutorinTitelImpressumProlog1. Renfield Hall2. Darcy3. Freda4. Darcy5. Nach Cirencester6. Diskreter Besuch7. Darcy8. Anruf von Laura9. Darcy10. Mr. Balking, der Banker11. Putztag12. Berufsberatung13. Familienkonferenz14. Sally15. Die Ladys16. Auf dem Friedhof17. In Little Biffum18. Darcy19. Ein Gespenst20. Ein später Gast21. Spieglein, Spieglein22. Sommertage23. Der Verdacht24. Der Schreck25. Der Entschluss26. Spukt es?27. Darcy28. Tea-Time!29. Abschied30. Ausverkauf31. … via WolkeIn der nächsten Folge

Darcy – Die Serie

Darcy ist ein Glückskater. Ein Kater, der um die Welt streunt, plötzlich bei dir auftaucht und innerhalb weniger Wochen dein Leben verändern wird.

Denn wo auch immer er hinkommt, bewirkt er ein kleines Wunder – macht das Leben ein bisschen leichter, tröstet oder hilft, endlich loszulassen.

Über diese Folge

Viel zu jung verwitwet lebt Freda allein auf einem großen Landsitz – bis eines Abends ein bunt gefleckter Kater auftaucht und ihr von nun an Gesellschaft leistet. Reparaturen stehen an, das Geld ist knapp und die Stiefkinder sind längst aus dem Haus: Es wäre nur vernünftig Renfield Hall zu verkaufen, obwohl sie und die Kinder noch sehr daran hängen. Eine Kaufinteressentin bringt sie dann aber ins Grübeln. Doch als Freda erfährt, dass die Frau Renfield Hall nur kaufen will, um es abzureißen ist sie entsetzt. Sie beschließt, keinesfalls zu verkaufen, sondern ihr Bestes zu geben, um das Anwesen zu halten. Sie vermietet ein Gästezimmer und bietet fortan einen Afternoon Tea an. Dank Darcy steht eines Abends eine alte Frau von geisterhafter Blässe vor der Tür und bezieht das Zimmer. Erst für eine Nacht, doch dann scheint sie sich im Haus einzunisten. In Freda wächst ein Verdacht.

Währenddessen entwickelt sich der Afternoon Tea zum Erfolg, wozu das Gerücht, Renfield Hall beherberge einen Geist, erheblich beiträgt – ein Gerücht, an dem ein gewisser Kater nicht ganz unschuldig ist.

Über die Autorin

Gesine Schulz liebt Katzen, Krimis und Gärten. Ihre Schwäche für klassische Five o’Clock Teas hat sie von einem Großonkel geerbt, der Butler in London war. Derzeit lebt sie als freie Schriftstellerin im Ruhrgebiet. Ihr zweiter Schreibtisch steht in Irland, Schauplatz ihres Erfolgsbuchs »Eine Tüte grüner Wind«.

Gesine Schulz

Der Glückskater und der Geist von Renfield Hall

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde vermittelt durch die agentur literatur Gudrun Hebel.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee Cabras

Lektorat: Anna-Lena Römisch

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock/schankz, © shutterstock/Evgeny Karandaev, © shutterstock/kryvushchenko, © shutterstock/Naffarts, © shutterstock/Japan Image

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3120-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Im Wurf war er der Kleinste gewesen. Doch schon sieben Wochen nach seiner Geburt hatte er ordentlich zugelegt, und seine unverhältnismäßig großen Tatzen ließen darauf schließen, dass er zu einem stattlichen Kater heranwachsen würde.

Mit drei Monaten nahm er ohne Bedauern Abschied von seiner Mutter und den fünf Geschwistern und zog bei einem Menschenpaar ein, das sich ohne Zögern für ihn, »den kleinen Bunten da«, entschieden hatte.

Nach einigen Diskussionen darüber, welchen Namen er erhalten sollte, setzte sich die junge Frau durch. Sie liebte die Romane von Jane Austen, besonders den, in dem Elizabeth Bennet und Mr. Darcy nach vielen Missverständnissen und Verwicklungen endlich zusammenfinden. »Wenn der Kater nicht Darcy heißen darf, dann nennen wir eben unseren Sohn so.« Sie legte die Hände auf ihren leicht gewölbten Leib. Woraufhin der Ehemann umgehend nachgab.

So war Darcy in einem Haus mit Garten mitten im Grünen aufgewachsen, hatte bei Katerkämpfen erste Blessuren davongetragen, Konkurrenten das Fürchten gelehrt und dafür gesorgt, dass sie die Grenzen seines Reviers respektierten. Als das Baby zur Welt kam und bei ihnen einzog, hatte er es ausgiebig beschnuppert und eine tiefe Zuneigung zu dem kleinen Wesen gefasst.

Im folgenden Sommer fuhr die junge Familie samt Darcy im Wohnwagen in die Ferien. Bei einem seiner Streifzüge über den Campingplatz stieg er frühmorgens in ein Wohnmobil, aus dem es köstlich nach gebratenem Fisch roch. Kurz darauf klappte die Tür zu, der Motor sprang an, und das Gefährt rumpelte vom Platz. Als die Tür nach endlos scheinenden Stunden geöffnet wurde, schoss Darcy hinaus ins Freie und verschwand in der Dunkelheit.

Seitdem suchte er den Weg zurück nach Hause. Meist war er auf vier Pfoten unterwegs, manchmal als blinder Passagier. Er hatte Glück.

Immer wieder führte sein Weg ihn zu Menschen, die ihn freundlich aufnahmen. Doch nirgends hielt es ihn lange. Er hatte ein Ziel. Er wollte heim.

1. Renfield Hall

Freda Allendale krauste die Stirn.

Es war offensichtlich, dass die Endsumme auf seinem Kostenvoranschlag wesentlich höher war, als sie erwartet hatte. Michael Thornaby hob den blau-weiß geringelten Becher und trank noch einen Schluck Tee. Es war ein guter Tee. Kräftig, milchig, süß. Das, was man einen »Bauarbeitertee« nannte.

Sie sah von dem Blatt auf. »Und das ist Ihr bestmögliches Angebot, Mr. Thornaby?«

»Leider ja, Mrs. Allendale. Es hat keinen Zweck, beim Baumaterial an der Qualität zu sparen. Langfristig zahlt sich das nicht aus.« Und seine Firma lieferte immer reelle Arbeit ab. Darauf legte er Wert. So hatte er sich seinen Ruf erworben.

»Ich weiß.« Sie lächelte ihm zu und sah wieder aufs Blatt. »Hm … Aber vielleicht könnten wir die Reparatur der Dachrinne auf der Rückseite –«

»Den Ersatz«, schob er ein.

»Gut, den Ersatz der dortigen Dachrinne auf später verschieben? Auf den Herbst?« Sie schaute ihn hoffnungsvoll an.

Er setzte den Becher ab und rieb sich den Hals. »Ich sage nicht, dass wir das nicht könnten, Mrs. Allendale. Aber im Endeffekt würde das teurer. Weil wir das Gerüst ein zweites Mal aufbauen müssten.«

»Stimmt. Das hatte ich nicht bedacht.« Sie seufzte. »Und mit den Ausbesserungen am Dach können wir keinesfalls länger warten. Hm …« Sie ging die Aufstellung noch einmal durch. »Vielleicht ließe sich das Fenster im Wintergarten noch einmal reparieren?«

»Nun …« Sein Zögern ließ ihre braunen Augen aufleuchten. »Gut«, sagte er. »Ansehen können wir es uns ja mal.«

Sie schob den Küchenstuhl zurück. »Dann kommen Sie! Nehmen Sie Ihren Tee ruhig mit.«

Er nickte und folgte ihr aus der großen Küche, in der immer ein wohnliches Durcheinander herrschte, die aber zu den behaglichsten zählte, die er kannte.

Sie gingen über die abgetretenen Steinplatten der dunklen Passage, die zu den ältesten Teilen des Hauses gehörte und aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte, wie Michael wusste, und dann ein paar Stufen hinauf. Durch eine Schwingtür, die noch Reste der grünen Filzverkleidung zeigte, die früher dazu gedient hatte, Geräusche aus dem Dienstbotentrakt zu dämpfen, gelangten sie in die Eingangshalle. Mrs. Allendale stieß einen Flügel der Tür auf, die in das große Wohnzimmer führte.

Michaels Blick fiel auf den tiefen Ledersessel, der neben dem Kamin stand, ein wenig schräg – so als hätte Jasper Allendale sich gerade erst daraus erhoben und wäre bald zurück. Seine Präsenz war auch ein knappes halbes Jahr nach seinem Tod noch zu spüren. Auf dem Kaminsims aus schwarzem Marmor standen neben diversem Krimskrams auch gerahmte und ungerahmte Fotos. Eins zeigte Jasper Allendale, wie er den Arm um seine kleine, um so vieles jüngere Frau gelegt hatte. Sie lachte in die Kamera. Er schaute mit seinem typischen ironischen Lächeln auf sie hinunter.

»Kommen Sie, Mr. Thornaby!« Mrs. Allendale hielt eine Seite der Sprossentür zum Wintergarten auf. Michael konnte nicht umhin, die gesprungenen Glaspaneele in der Tür zu bemerken, zwei mehr als bei seinem letzten Besuch. Eine Scheibe wurde nur noch von im Zickzack geklebten Streifen eines Paketbandes aus Klarsichtfolie zusammengehalten.

»Die Kinder«, sagte sie mit einem Schulterzucken. »Bei ihrem vorletzten Besuch in den Osterferien hat es ja nur geregnet. Da haben sie hier Ball gespielt.«

»Ja, das waren die nassesten Ostern seit Langem.«

»Nicht wahr? Die Eiersuche haben wir ins Haus verlegt. Die Kinder waren davon begeistert. Es war mal was Neues.« Sie lachte.

»Mehr wie eine Schatzsuche, was? Ja, in dem Alter ist das ein großer Spaß.« Wenn Mrs. Allendale »Kinder« sagte, meinte sie in diesem Fall ihre Stiefenkel, so unglaublich das schien, wenn man sie ansah. Drei an der Zahl und ein viertes auf dem Weg, wie Michael von seiner Frau Mary wusste. Beim letzten Treffen im Women’s Institute hatte Mrs. Allendale das Gerücht, Laura sei schwanger, bestätigt. Mary hatte nach ihrer Rückkehr von dem monatlichen Treffen der Dorffrauen voller Empörung berichtet: »Diese Anne Starkepet! Sie kennt wirklich keine Zurückhaltung. Mit ihrem saccharinsüßen Lächeln hat sie Freda gefragt: ›Ist es wahr, dass Laura Nachwuchs erwartet? Ich wusste gar nicht, dass sie jetzt einen festen Partner hat.‹ Freda hat nur gelächelt und ruhig geantwortet: ›Wir sind alle so gespannt darauf, ob es ein Junge oder Mädchen werden wird. Noch eine Tasse Tee?‹ Zum Glück ist Freda solchen Unverschämtheiten gewachsen. Obwohl … was Jasper Allendale wohl zum unehelichen Baby gesagt hätte?«

»Den Kopf hätte er ihr gewaschen«, hatte Michael vermutet, »und dann überlegt, welchen Baum er zur Geburt pflanzen würde.«

An verschiedenen Stellen des Grundstücks standen Bäume, die der alte Allendale erst zur Geburt seiner Kinder gepflanzt hatte und später für jedes der bislang drei Enkel. Wie andere von ihm gepflanzte Bäume waren es in England heimische Arten; sein Beitrag, um das örtliche Ökosystem gesund zu halten.

Michael dachte an den inzwischen großen Ilex, im Volksmund »Holly« genannt, für die kleine Holly, die ihren ersten Geburtstag zu Weihnachten nicht erlebt hatte. Nun teilte sich Jasper Allendales Jüngste die letzte Ruhestätte auf dem Dorffriedhof von Little Biffum mit ihrem Vater.

»Auf der Beerdigung von Mr. Allendale habe ich Jasper junior beinahe nicht erkannt.«

»Ja, JayJay ist groß geworden, nicht wahr? Bald hat er mich eingeholt, und das mit zehn Jahren. Er kann es gar nicht abwarten. Bei jedem Besuch misst er sich und mich.« Sie deutete auf Bleistiftstriche am Türrahmen. »Viel fehlt nicht mehr.« Sie schmunzelte. »JayJay droht mir an, mich dann nur noch ›Little Granny‹ zu nennen.«

»Racker! Niemand sieht weniger nach einer Großmutter aus als Sie, Mrs. Allendale, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«

»Dürfen Sie. Doch auf die Idee, mich zur Erklärung ›Stief-Granny‹ zu rufen, ist bisher niemand gekommen. Zum Glück.« Mit einem Fuß schob sie eine signalrote Holzeisenbahn unter das Rattansofa, vor dem ein runder niedriger Korbtisch stand.

Neben der Tür nach draußen ragte eine Palme in einem mächtigen von Drachen geschmückten Porzellantopf in die Höhe. »Kommen Sie, Mr. Thornaby.«

Das fragliche Fenster befand sich an der Nordseite des Wintergartens. Der Fensterrahmen war das Problem. Unter der rissigen Farbe war das Holz stellenweise butterweich.

»Was meinen Sie? Geht da noch etwas?« Sie sah ihn voller Hoffnung an.

Er tastete den Rahmen vorsichtig ab. »Tja, ich könnte es noch mal mit Holzkitt versuchen. Bald besteht der untere Rahmen aus nichts anderem. Eine Dauerlösung kann das natürlich nicht sein.«

»Egal! Machen wir es so, ja?« Sie klang erleichtert.

Beide traten durch die Tür nach draußen und gingen zur Rückseite des Hauses, um die Dachrinne zu betrachten. Undichte Stellen hatten teils moosige Wasserspuren auf der Hauswand hinterlassen. Drei Rinnenhalter hingen lose herab. Da war nichts mehr zu retten, so gerne er Mrs. Allendale den Gefallen getan hätte. Sie hatten sich bereits auf preiswerte PVC-Rohre geeinigt, auch wenn es ihm in der Seele wehtat, das einem historischen Haus anzutun. »Ich werde sehen, dass ich für die alten Rinnen noch einen guten Preis bekomme. Kupfer steht zurzeit ziemlich gut im Kurs, glaube ich. Das geht dann ja auch noch von der Endsumme ab.«

»Prima. Jedes bisschen hilft.« Freda Allendale fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen wuscheligen Haare.

Sie gingen die restlichen Projektpunkte ab, kleinere, aber unumgängliche Reparaturen im Haus. Nur das Notwendigste. Dazu gehörte ein neuer Wassertank für das Badezimmer im Obergeschoss. Der für das kleine Bad im Dachgeschoss würde auch bald fällig sein, aber den erwähnte Michael jetzt nicht. Das Ganze war auf Dauer ein hoffnungsloses Unterfangen, wenn nicht bald etwas mehr Geld in den Unterhalt fließen würde.

Mrs. Allendale begleitete ihn bis zu seinem Lieferwagen, der auf der kreisrunden kiesbestreuten Auffahrt stand. »Und wann können Sie anfangen?«

»Montag in drei Wochen voraussichtlich. Vor dem nächsten großen Regen, hoffentlich.« Es hatte humorvoll klingen sollen, doch sie nickte ernst und sah zum Haus. Dann blickte sie ihn an und sagte nach einer Pause: »Ich sollte Renfield Hall verkaufen, oder? Ehe es herunterkommt und Käufer abschreckt.«

Er hatte öfter überlegt, wie er ihr den Gedanken, langfristig einen Verkauf in Betracht zu ziehen taktvoll nahebringen könnte, doch nun regte sich in ihm spontaner Protest. »Renfield Hall ohne die Allendales? Das wäre ein trauriger Tag für Little Biffum!«

»Lieb von Ihnen, das zu sagen, Mr. Thornaby.« Unwillkürlich lächelte er zurück. »Aber ich bin ja keine echte Allendale, nur eine angeheiratete.«

»Na ja, na ja! Sie wissen, was ich meine. Und … besteht denn keine Aussicht, dass eins der Kinder wieder einzieht und Ihnen unter die Arme greift?«

»Einziehen – nein, das sehe ich vorläufig nicht. Wie sollte das gehen? Sie haben alle ihren Beruf. Aber sie helfen bei jedem Besuch. Und sie kommen ja alle gerne her, sooft sie können.«

»Ich … ähm … meinte mit ›Hilfe‹ auch eher eine finanzielle, Mrs. Allendale, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten. Wenn stetig etwas in den Erhalt des Hauses investiert werden würde, stünde es in ein paar Jahren wieder auf einem guten Fundament.« Er spürte, wie in ihm der Enthusiasmus wuchs. »Wenn Sie möchten, entwerfe ich Ihnen mal einen Plan. Ganz unverbindlich natürlich. Nur, damit Sie sehen, was in Reihenfolge der Dringlichkeit gemacht werden müsste und wie hoch ungefähr die Kosten wären.« Er sah sie erwartungsvoll an.

»Kosten! Da sagen Sie es! Daran würde es auf Dauer scheitern, fürchte ich. Die Kinder wären sicher willig, wenn sie die Mittel hätten. Doch Nicholas verdient bei der Polizei noch nicht so viel und hat ja auch eine junge Familie. Die Zwillinge kommen genauso wenig infrage. Als Urologin hat Laura zwar ein gutes Einkommen, doch sie zahlt noch ihre Wohnung ab und erwartet ihr Baby; David arbeitet wieder für Ärzte ohne Grenzen und erhält kaum mehr als ein Taschengeld. Es wäre auch nicht fair, ihnen ihr Elternhaus als Last aufzubürden. Vielleicht sollte ich Lotto spielen.« Sie verzog den Mund und steckte die Hände in die Taschen ihrer verblichenen Jeans, eine beinahe trotzige Geste. »Aber ich werde nichts überstürzen. Solch eine Aufstellung wäre sicher hilfreich für mich. Auch – im Fall des Falles – für einen potenziellen Käufer.«

»Gut, dann setze ich mich demnächst daran. Wir können von Glück sagen, dass Renfield Hall nicht unter Denkmalschutz steht. Die Auflagen sind kostenmäßig oft horrend.«

»Stimmt. Obwohl wir damals alle etwas beleidigt waren, stellvertretend für das Haus, als befunden wurde, Renfield Hall sei nicht würdig, in die Liste erhaltenswerter Gebäude aufgenommen zu werden. Zu viel Stilmix über die Jahrhunderte, hieß es; nicht von nationaler, noch nicht mal regionaler Bedeutung.« Fröhlich fügte sie hinzu: »Hat nun doch sein Gutes.«

»Auf jeden Fall.« Er unterließ es, sie darauf hinzuweisen, dass es leider auch bedeutete, dass ein Käufer Renfield Hall, ungehindert von gesetzlichen Vorgaben, abreißen lassen könnte, um etwas Modernes an die Stelle zu setzen. »Ich mache mich dann mal auf den Weg. Bis demnächst also.«

»Wiedersehen! Grüßen Sie Mary.«

»Werde ich tun.« Am Ende der Auffahrt sah Michael noch einmal zurück. Er mochte das Haus. Es schien Teil der Landschaft zu sein. Michael übernahm gerne Aufträge an historischen Gebäuden. Meist waren es Cottages, kleine Stadthäuser oder Scheunen, die zu Wohnhäusern umgebaut werden sollten. Die großen Herrenhäuser beschäftigten für den Erhalt oder für Restaurierungsarbeiten Architekten und zogen Historiker und andere Fachleute zurate, klar; aber Michael hatte sich im Lauf der Zeit viel Wissen angeeignet. Lernen am Bau und in Büchern. Ihn interessierte, wie selbst einfache Handwerker in früheren Zeiten vorgegangen waren und Gutes zustande gebracht hatten.

Er schaltete in den dritten Gang und fuhr gemächlich die schmale Landstraße entlang. Schafe weideten auf den hügeligen Weiden, über denen weiße Wolken hingen. Das Tal war heute kaum dichter besiedelt als zu den Zeiten, als der erste Renfield den Landsitz im siebzehnten Jahrhundert hatte errichten lassen. In der Eingangshalle hing ein Stich, der das ursprüngliche Gebäude und die neu angelegten Gärten zeigte. Spätere Generationen hatten Teile des Hauses abgerissen, nach dem vorherrschenden Geschmack ihrer Zeit etwas angebaut oder die Fassade verändert, ebenso wie Park und Gärten. Geld schien kaum eine Rolle gespielt zu haben. Großgrundbesitzer waren sie gewesen, die Renfields. In Bath und London hatten sie Stadthäuser besessen. Der letzte Renfield-Erbe war im Ersten Weltkrieg auf den Feldern von Flandern verblutet. Als sein Vater starb, ging das Haus an einen entfernten Vetter. Er wurde der erste Allendale in Renfield Hall.

Und nun sollte auch diese Ära vielleicht zu Ende gehen? Tja, das war der Lauf der Welt. Aber es wäre schade, wenn Fremde hier Einzug hielten. Londoner womöglich, die nur an den Wochenenden kämen. Oder – und das wäre noch schlimmer – ein Bauunternehmen, das eine Ferienhaussiedlung plante. Allein bei dem Gedanken packte Michael die Wut. Gewiss, die Cotswolds waren auf Touristen angewiesen. Alles, was damit zusammenhing, war ein lebenswichtiger Wirtschaftszweig. Und man brauchte auch Leute, die von woanders herzogen. Das wusste er so gut wie jeder andere. Doch das durfte nicht um jeden Preis geschehen. Es galt, eine feine Balance zu halten zwischen einer lebendigen Gemeinschaft aus Alteingesessenen, Neuankömmlingen und Feriengästen. Gelänge das eines Tages nicht mehr, drohte die Gefahr, dass seine Heimat zu einer Disney-World-ähnlichen Idylle erstarrte.

Doch, es wäre schon schön, wenn Freda Allendale einen Weg finden würde, Renfield Hall zu behalten.

2. Darcy

Kaum hielt der Lastwagen vor dem Pub, sprang Darcy von der Ladefläche und huschte in einen schmalen schattigen Durchgang, der sich zwischen der Gaststätte und dem Nachbargebäude befand.

Die Sonne stand hoch am Himmel. Vor den Fässern liegend, hatte Darcy während der rumpelnden Fahrt keinen Schattenplatz gefunden. Die Sonne hatte ihm aufs Fell gebrannt, sodass es selbst ihm zu warm geworden war.

Er war durstig. Sehr durstig. Wie ein Fremdkörper lag ihm die trockene Zunge in der Mundhöhle.

Auf dem Dorfanger schräg gegenüber paddelten Enten träge über den kleinen Teich. Abgestandenes Wasser, das selten gut schmeckte, auch wenn es vermochte, schlimmen Durst zu löschen. Ab und zu kippte eine Ente vornüber. Kopf und Hals verschwanden im Wasser, der gefiederte Schwanz ragte in die Höhe. Wassertropfen perlten von Schnabel und Federkleid, wenn sich der Vogel wieder in die Waagerechte brachte, und ließen Darcy den Durst noch mehr spüren.

Er riss sich von diesem Schauspiel los, lugte um die Ecke und ließ den Blick schweifen. Im Sonnenschein blitzte eine Schale auf, die neben einer Ladentür auf dem Pflaster stand. Solche Behälter vor Geschäften enthielten oft Wasser für durstige Hunde, die mit ihren Menschen zum Einkaufen kamen. Wenn kein Hund in der Nähe war, hatte Darcy sich schon vielerorts eines solchen Angebotes bedient.

Er verließ seine Deckung und näherte sich, immer an der Hauswand entlang, dem Laden, wie magisch angezogen von der glänzenden Schale. Bis an den Rand war sie mit Wasser gefüllt.

Darcy beugte sich darüber und schlabberte erst gierig, dann gemächlicher die wohlschmeckende, noch kühle Flüssigkeit.

Der Fahrer des Lastwagens kam aus dem Pub. Er stellte ein Glas und einen Teller auf die Ladefläche, ließ die Klappe herunter, hievte sich mit beiden Armen hoch und setzte sich. Seine Beine baumelten herab. Er nahm einen geräuschvollen Schluck aus dem Glas, stellte es ab und griff nach dem Sandwich, aus dem dunkelbraune Ränder ragten. Darcy erschnupperte Fleisch. Sein Magen meldete sich. Rötlich gefärbter Fleischsaft tropfte aus dem Brot und dem Fahrer auf die Hose. Er kaute mit offensichtlichem Appetit. Darcys Kiefer bewegten sich mit.

Die Tür zum Pub wurde von innen geöffnet. Ein Mann rief dem Fahrer etwas zu. Der grunzte, legte das angebissene Sandwich auf den Teller, sprang herab und verschwand ins Haus.

Darcy sah sich kurz um und flitzte los, in gerader Linie auf den Lieferwagen zu. Ein Satz hinauf, in die Aromawolke, die seinen Speichel fließen ließ. Mit einer Vorderpfote schob er die obere Sandwichscheibe zur Seite, ebenso ein grünes Salatblatt. Er nahm das freigelegte, noch mausgroße Steak-Stück zwischen die Zähne, sprang von der Ladefläche auf die Straße und floh hinüber zum Anger. An dessen Rand wuchs ein dicht belaubter Strauch, dessen Inneres eine kleine Höhle formte. Darcy ließ sich auf der trockenen Erde nieder und widmete sich seiner Beute.

Wenige Minuten später hörte er das empörte Schimpfen des Fahrers. Darcy spähte durch die Blätter. Die Fäuste in die Seiten gestemmt, schaute der Mann umher, guckte unter das Auto, schüttelte den Kopf, legte schließlich das Salatblatt zwischen die Weißbrotscheiben und stopfte sich die in den Mund. Dabei grummelte er immer noch vor sich hin. Darcy biss ein Stück Fleisch ab und zerkaute es mit Genuss. Den Rest des Nachmittags verschlief er.

3. Freda

Freda blieb stehen, bis Thornabys Lieferwagen die erste Biegung erreichte und zwischen hohen Rhododendren zu beiden Seiten der langen Auffahrt aus ihrer Sicht verschwand. Zu ihren Füßen glitzerte etwas im Kies. Sie hob ein winziges rubinrotes Glassteinchen auf. Es musste gestern aus Cicelys Tiara gefallen sein. Freda lächelte. Cicely befand sich neuerdings in einer Prinzessinnen-Phase. Juwelenarmbänder, Ringe an den Fingerchen und ein Tüllröckchen selbst über der Jeans und zu Gummistiefeln, wenn sie mit ihrem Zwilling im Matsch Burgen baute oder sie unten am Bach kleine Dämme errichteten.

Freda nahm sich vor, Cicely das Rubinchen bald nach Hause zu schicken, damit die Tiara wieder repariert werden konnte. In solchen Dingen war die Kleine eine Perfektionistin.

Freda wandte sich nach links und schlenderte am Küchengarten vorbei den Weg zum alten Maulbeerbaum hinunter. Wie ein mächtiges mythisches Wesen stand er am Hang, die oberen Wurzeln wie borkige Arme ins Erdreich vergraben, sogar bis in die Natursteinmauer hinein, deren schwere Platten er im Lauf der Jahrhunderte auseinandergeschoben hatte. An diesem Abschnitt der Mauer konnte man fürchten, die Mauer drohte jeden Moment auseinanderzurutschen – wie im Fall erstarrte Riesenbausteine sah es aus. Doch der alte Baum, der von einem frühen Renfield gepflanzt worden war, hielt die Mauersteine in festem Griff, hatte sie in seinem Wachstum vereinnahmt.

Freda setzte sich auf die Holzbank und sah zu den sich sanft wellenden Hügeln hinüber, die das Tal auf der anderen Seite begrenzten, hinab auf das Wäldchen, hinter dem der Besitz zu Ende war, seit dem Verkauf der Weiden vor drei Jahren, als Jasper krank geworden war und die Behandlung sich als kostspielig erwies. Kurz darauf hatte er sich aus der kleinen, aber feinen Polo-Pony-Zucht zurückgezogen, die er mit einem Partner bei Kingscote betrieben hatte. Den Entschluss dazu hatte er mit großem Bedauern gefasst und ohne Sentimentalität durchgeführt.

»Lieber Jasper«, murmelte Freda und legte eine Hand auf den leeren Platz neben sich. Oft hatten sie gemeinsam hier gesessen und Alltagsdinge besprochen oder auch geschwiegen. Zufrieden. »Wie ein altes Ehepaar«, hatte Jasper mal spöttisch gesagt und sie an sich gedrückt. »Sind wir ja auch«, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. Siebzehn Jahre verheiratet waren sie damals und von der in ihm lauernden Krankheit noch nichts spürbar gewesen. »Spatz!«, hatte er mit plötzlich belegter Stimme erwidert, und sie hatten einander geküsst. Äußerst ausführlich, ach …

Freda schniefte. Durch einen Tränenschleier sah sie auf die vertraute Aussicht, die anzuschauen sie nie müde wurde. Ob im bunten Herbst, in klarer Winterluft, im Frühjahr, wenn erstes Grün die Bäume überzog, oder wie jetzt im Frühsommer. Das Grün war noch frisch. Freda stand auf. Es würde ihr verflixt schwerfallen, all dies eines Tages zu verlassen. Aber wie Jasper wollte auch sie nicht sentimental sein. Was sein musste, musste sein. Und vorerst war es ja noch nicht so weit. Doch es war gut, dass der schon länger schwelende Gedanke durch das Gespräch mit Michael Thornaby konkreter geworden war. Sie musste die Möglichkeit ins Auge fassen, und mehr als das: Sie würde sich erkundigen. Gleich morgen wollte sie damit anfangen, doch nun musste sie ans Dinner denken. Sie hatte Gaby gestern beim Abschied noch einmal versprochen, auf regelmäßige Mahlzeiten zu achten und wieder ein paar Kilo zuzunehmen.

»Sonst pustet dich der nächste Sturm noch weg«, hatte ihre fast gleichaltrige Schwiegertochter mit einem mütterlichen Lächeln gemeint, »und das wollen wir ja nicht.«