Dark Sky - Mike Brooks - E-Book
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Dark Sky E-Book

Mike Brooks

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Beschreibung

Der zweite Teil der Keiko-Reihe, ein rasantes ›old school‹-Science-Fiction-Abenteuer des britischen Autors Mike Brooks, vollgepackt mit Action und Dialogen voller Wortwitz - ein Muss für Fans von »Expanse« und »Firefly! Ein neuer Job könnte Ichabod Drift, Captain des Raumfrachters Keiko, und seine bunt zusammengewürfelte Crew aus Glücksrittern und Abenteurern von einigen Sorgen befreien: Sie sollen etwas von einem Minenplaneten schmuggeln – ein Auftrag, der erstmal ziemlich harmlos klingt. Besagter Planet steht allerdings kurz vor einer Rebellion, und als die Crew der Keiko dort eintrifft, werden sie getrennt. Kurz darauf bricht auf dem gesamten Planeten die Kommunikation zusammen. Und so bemerken weder Ichabod Drift noch seine Mannschaft, dass sie sich im ausbrechenden Bürgerkrieg auf verfeindeten Seiten gegenüberstehen. Eine korrupte Galaxie, ein heruntergekommener Raumfrachter und eine Crew charmanter Halsabschneider: abgefahrene Action für SF-Fans. Weitere Abenteuer von Ichabod Drift und seiner Crew: Dark Run Dark Sky

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Seitenzahl: 491

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Mike Brooks

Dark Sky

Roman

Aus dem Englischen von Simon Weinert

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein neuer Job könnte Ichabod Drift, Captain des Raumfrachters Keiko, und seine bunt zusammengewürfelte Crew aus Glücksrittern und Abenteurern von einigen Sorgen befreien: Sie sollen etwas von einem Minenplaneten schmuggeln – ein Auftrag, der erstmal ziemlich harmlos klingt. Besagter Planet steht allerdings kurz vor einer Rebellion, und als die Crew der Keiko dort eintrifft, werden sie getrennt. Kurz darauf bricht auf dem gesamten Planeten die Kommunikation zusammen. Und so bemerken weder Ichabod Drift noch seine Mannschaft, dass sie sich im ausbrechenden Bürgerkrieg auf verfeindeten Seiten gegenüberstehen.

Inhaltsübersicht

WidmungDanksagungDas Grand HouseEin neuer SpielerUraganKontaktaufnahmeSchirokowPublic RelationsUnerwünschte VerwicklungenMuradowNachtleben in der StadtImmer der falsche MomentRisikoabwägungIn falscher GesellschaftHelfende HändeDer Mensch ist ein GewohnheitstierRettungskommandoSprengstoffe und der Wille, sie zu benutzenWie Apirana sein Fußgelenk zurückbekamÜberlebensinstinktDen Staat zerschlagenKatz und MaoriHeimatloseTief in der ScheißeKommunikationsproblemeNeue SpielregelnAuf SendungHilfeWendepunktTäuschungRückzugsgefechtTreue auf dem PrüfstandDer NotfallplanWettlauf zu den ShuttlesWiderstandDem Sturm entkommenEin Gespräch
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Für Janine

für so ziemlich alles.

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Danksagung

Und wieder möchte ich meine Danksagung mit einer Entschuldigung beginnen.

Als ich das Universum der Keiko und ihrer Besatzung geschaffen habe, wollte ich die kulturellen Eigenheiten erhalten, die unsere heutige Welt auszeichnen. Zwar führt die Vielfalt der Menschen immer wieder zu Konflikten, doch empfinde ich sie auch als eine unserer interessantesten Eigenschaften. Als jemand, der noch nie außerhalb des Vereinigten Königreichs gelebt hat (ja, noch nicht einmal viel außerhalb seiner Grenzen gereist ist), sind meine eigenen Erfahrungen mit anderen Kulturgemeinschaften recht eingeschränkt. Auch in Dark Sky lasse ich Apirana Wahawaha, den Maori, wieder auftreten, wahrscheinlich dasjenige Mannschaftsmitglied, dessen Kultur sich am stärksten von meiner eigenen unterscheidet, und ich entschuldige mich bei allen Maori, falls mein Buch sie unbeabsichtigt aufgrund von Ungenauigkeiten in seiner Beschreibung verletzen sollte. Diesmal spielt der Roman allerdings auch auf Planeten mit starkem russischen Einfluss, und ich hoffe genauso inständig, dass kein*e Leser*in meine Darstellung unangebracht findet (bezüglich einzelner Figuren entschuldige ich mich jedoch nicht, denn schließlich finden sich überall schwarze Schafe).

Nachdem ich das (erneut) losgeworden bin, danke ich zunächst meinem Agenten, Rob Dinsdale, der mich erstmals an den Punkt gebracht hat, wo ich, noch ehe ich zu schreiben anfing, wusste, dass ich dafür bezahlt werden würde. Das war ein schönes Gefühl, kann ich euch sagen. Ihm und meinem Lektor Michael Rowley schulde ich Dank für ihr Verständnis, ihre Vorschläge und ihre Bereitschaft, sich mit mir abzugeben, der ich anfänglich stur auf dem Standpunkt verharrte: WIE JETZT, ICH SOLL DAS ÄNDERN, DAS IST DOCH GUT SO, WIE ES IST, UND ICH SAGE EUCH AUCH, WARUM.

Gewaltigen Dank schulde ich auch Joe Monti und seinem Team bei Saga Press, die Dark Run und Dark Sky auf den amerikanischen Markt losgelassen haben. Mit einem guten Riecher und einer solchen Begeisterung haben sie sie den richtigen Leuten unter die Nase gehalten und diese davon überzeugt, sie entweder zu kaufen oder zu rezensieren.

Ein besonderer Dank gilt Liudmilla, die sichergestellt hat, dass das Russisch in diesem Buch so authentisch rüberkommt, wie es mit lateinischen Buchstaben nun einmal geht. Ein großer Dank geht ebenso an Marion, die mich großzügig beim Portugiesisch unterstützt hat, nachdem man mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass das Portugiesisch in den britischen Ausgaben nicht gerade das Gelbe vom Ei war. Und sollten dennoch Fehler auftauchen, dann sind es definitiv meine und nicht ihre.

Dank an alle, die schon einmal etwas von mir gelesen und etwas Positives darüber gesagt haben … und auch an diejenigen, die kritisch waren, denn schließlich möchte ich mich beim Schreiben verbessern, und das wird mir in einer Echokammer bedingungslosen Lobes wohl kaum gelingen.

Schließlich und ganz besonders danke ich meiner Frau Janine, weil sie mich in meinem Wunsch, mir Sachen auszudenken und sie andere Leute lesen zu lassen, unterstützt und mir auch die nötige Zeit dafür zugebilligt hat. Und dafür, dass sie Interesse an dem zeigt, was ich schreibe, ohne gleich »Ist es noch nicht fertig?« oder ähnliche wenig hilfreiche Kommentare auf mich loszulassen. In dieser wie in vielerlei anderer Hinsicht bist du die beste Person, mit der man sein Leben verbringen kann.

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Das Grand House

Das Grand House auf Neu-Samara sah genau so aus, wie es sein Name vermuten ließ. Der Bau war luxuriös, ohne protzig zu wirken. Das Grand House wartete nicht mit den grellen, wirbelnden Holos und Neonblinklichtern auf, mit denen weniger elegante Kasinos zu werben pflegten. Die Außenwände waren in einem so dunklen Grünton verkleidet, dass es fast schon schwarz wirkte, und nur hier und da mit geschmackvollen Tupfern ausgeschmückt: ein paar wenige Blinklichter, die gerade einmal den Gebäudeumriss betonten und ihm Struktur verliehen, stilvolle Deckenfluter an den beiden kleinen, nicht überdachten Balkonen. Vor allem eines war nicht zu finden: der Name. Das Grand House war ein Achtung gebietender, dunkelgrüner Eisberg, der ein beträchtliches Anwesen auf einem wahnsinnig wertvollen Grundstück mitten im Bonzenviertel von Neu-Samara einnahm. Wer nicht wusste, um was es sich bei dem Gebäude handelte, hatte hier auch nichts verloren.

Im Turm am einen Ende des Gebäudes, der zwar nicht so hoch war wie die Wolkenkratzer ringsum, aber ihre geschwungene Ästhetik teilte, war ein Hotel nur für die Reichen untergebracht. Natürlich war man als Hotelgast nicht dazu verpflichtet, das Kasino zu besuchen, aber nur wenige ließen sich die Gelegenheit entgehen, zumal zehn Prozent der Hotelrechnung im Kasino als Guthaben angerechnet wurden. Das erklärte allerdings, weshalb die Gäste immer im Voraus bezahlen mussten. Das Grand House wollte nicht, dass die Gäste nach einer unklugen Wette mit ihren Hotelkosten in Bedrängnis gerieten. Schließlich galt es gewisse Standards zu wahren.

Ichabod Drift konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass die Standards allein aufgrund seiner Anwesenheit nach unten korrigiert werden mussten.

Zweifelsohne hatte er sich mehr oder weniger passend gekleidet. Sein Anzug, der erste, den er jemals besessen hatte, war mitternachtsblau und er kombinierte ihn mit einem seidig glatten Hemd mit gestärktem Kragen und Manschetten. Statt der altgedienten Militärstiefel trug er edlere, glänzende Schuhe (die nichtsdestotrotz guten Halt boten und schwer genug waren, um jemandem damit einen beachtlichen Tritt zu verpassen, denn Ichabod Drift war in vielerlei Hinsicht ein vorsichtiger Mensch). Selbst die Haare hatte er sich neu gefärbt, damit sie farblich zu seinem Anzug passten. Sie waren nicht mehr lila, wie in den letzten achtzehn Monaten, und er hatte sogar Jenna überredet, ihm die wenigen sichtbaren Metallstellen seines künstlichen Auges zu polieren.

Es fühlte sich außerordentlich komisch an. Hier, im Grand House in Neu-Samara, einem Kasino, das so nobel war, dass man es nicht einmal Kasino nennen durfte, verspielte er, wie ein Stutzer gekleidet, Unsummen … und nichts davon war gelogen. Es verbarg sich dahinter keine Finte, kein geheimer Plan, sie kundschafteten nicht einmal den Laden aus, um später in den Tresorraum einzusteigen. Er und seine Geschäftspartnerin Tamara Rourke hatten das tatsächlich schon einmal gemacht, allerdings in einer weitaus weniger noblen Umgebung. Doch selbst damals hatten sie ein Team von neun Spezialisten für den Coup anheuern müssen, was bedeutete, dass die Ausbeute am Ende, nachdem mit allen geteilt worden war, nicht mehr sonderlich beeindruckend gewesen war. Im Grand House jedoch wäre ein solches Vorhaben Selbstmord gewesen, deshalb schadete es nicht, dass er ausnahmsweise einmal vollkommen ohne Hintergedanken hier war.

Wenn man den Umstand außer Acht ließ, dass das Geld, das er hier verspielte, von den Konten eines Mannes namens Nicolas Kelsier stammte, einem ehemaligen korrupten Minister, der sich zum Terroristen gewandelt hatte und nun dankenswerterweise und ziemlich endgültig tot war.

»Also«, fragte er und seufzte voller Behaglichkeit, als er all die Spiele mit hohen Einsätzen vor sich sah. »Wo willst du dein Geld verkloppen?«

»Ich will bloß dich verkloppen.«

Tamara Rourke war so klein, wie Drift groß war. Während seine mexikanische Herkunft ihm einen mandelfarben-goldenen Hautton verlieh, war ihre Haut dunkel wie Schwarztee, und statt fülligem, schulterlangem, blauem Haar, war ihres schwarz und kurz geschoren. Was die beiden jedoch teilten, war ein drahtiger Körperbau sowie die Überzeugung, dass Geld in ihren eigenen Taschen besser aufgehoben war als in den Taschen anderer Leute. Sie schien sich hier weit weniger wohlzufühlen als er, denn während Drift der geborene Verkäufer war, fühlte Rourke sich in den Schatten heimisch, und trotz der dezenten Beleuchtung und der entspannten Atmosphäre im Kasino des Grand House konnte man hier doch kaum von Schatten sprechen.

»Ich hätte gedacht, dass du dich ausnahmsweise mal über eine Gelegenheit zum Entspannen freust«, sagte Drift sanft und sah zu seiner Geschäftspartnerin hinüber, während ein Robokellner mit einem Silbertablett voller fachmännisch gemixter Cocktails an ihnen vorbeisummte.

»Euch zuzuschauen, wie ihr euch wie die Idioten aufbrezelt und Geld verliert, werte ich nicht als Entspannung«, blaffte Rourke und ließ ganz leicht die Schultern kreisen.

»Es war deine Idee, hierherzukommen«, erinnerte Drift sie.

»Hierherzukommen, ja. Sich blicken zu lassen, die Kohle einzustreichen, vielleicht ein oder zwei einfache Aufträge an Land zu ziehen, sich von dem europanischen Sektor fernzuhalten, bis sich die Wogen wieder geglättet haben«, gab Rourke gereizt zurück. »Ich habe nicht gesagt, dass wir die Kohle verspielen sollen.«

»A und Kuai können etwas Erholung gut vertragen.«

»Dem widerspreche ich auch gar nicht«, seufzte Rourke. Apirana, der maoristämmige Kraftprotz, und Kuai, der chinesische Mechaniker der Keiko, hatten kürzlich Schusswunden erlitten und erholten sich derzeit langsam wieder, der eine stoisch, der andere voller Selbstmitleid. »Wir sind halt … das ist kein Ort für uns, Ichabod. Wir haben im Moment vielleicht die Kohle, aber wir haben keine Ahnung, wie man sich in dieser Gesellschaft bewegt. Irgendwas wird schiefgehen, und ich habe keine Lust, entlarvt zu werden.«

»Dann solltest du vielleicht versuchen, dich besser einzufügen?«, schlug Drift schulterzuckend vor. Die derzeitige Mode in Neu-Samara tendierte zu auffälligen Outfits, die manchmal schon ins Skandalöse gingen, doch Rourke scherte sich nicht darum. Natürlich konnte sie keinen ihrer zweckmäßigen, hautengen Bodys tragen, die sie bevorzugte, aber sie war ihrem Stil so treu wie möglich geblieben: Sie trug kniehohe schwarze Stiefel, dunkelgrüne Leggings, die trotz allem elastisch genug waren, dass sie darin, falls nötig, laufen, kauern oder jemandem gegen den Kopf treten konnte. Ihr schwarzes Hemd hatte keine Rüschen und auch sonst keinen überflüssigen Firlefanz, der ihr hätte im Weg sein können. Außerdem war sie nicht bereit gewesen, auf ihren breitkrempigen, flachen Hut oder den langen, alles umhüllenden Mantel zu verzichten. Bislang war sie schon mehrere Male für einen außerordentlich kleinen und etwas schmal gebauten Mann gehalten worden.

»Du kriegst mich nicht in ein Kleid, wenn man das, was die hier tragen, überhaupt als Kleider bezeichnen kann.« Dabei hatte sich ein gefährlicher Unterton in ihre Worte geschlichen, den Drift schon einmal gehört hatte, nämlich als sie mit dem Gedanken gespielt hatte, ihn zu erschießen. Deshalb beschloss er, sie nicht weiter zu reizen.

»Ist ja schon gut.« Mit einem Piepen kündigte ihm sein Comm die Nachricht an, auf die er gewartet hatte. Er rückte seine Manschetten zurecht und nickte in Richtung des Pokertischs. »Ich geh dann mal wieder die Erben und Erbinnen reicher Familien um ihr Vermögen erleichtern. Viel Spaß bei was immer du tust.«

»Vielleicht schließe ich mich Apirana an«, grummelte Rourke. »Was der macht, ist wenigstens interessant anzuschauen.« Normalerweise fand man den großen Maori im ersten Untergeschoss, der Sportarena des Grand House. Dort bekam man alles Mögliche geboten: von Bodenringkämpfen und Vollkontakt-MMA-Kämpfen über Schwertkämpfe wie Kendo bis zu Schießereien mit schwachen Laserpistolen war alles mit dabei.

»Poker erfordert Taktik und Raffinesse!«, setzte sich Drift zur Wehr.

»Aber nicht so, wie du es spielst«, seufzte Rourke. »Versuch einfach, das Konto nicht zu leeren, okay?« Sie wandte sich ab und ging zu den Aufzügen. Wie eine kleine, aber zielstrebige Gewitterwolke jagte sie durch die Lobby. Drift sah ihr ein paar Sekunden lang nach. Dann schüttelte er den Kopf und schlenderte zu den Pokertischen. Dabei setzte er eine leutselige, gutmütige Miene auf und verzog seine Gesichtsmuskeln um eine Winzigkeit, um den Eindruck von Trunkenheit zu erwecken.

Drift hatte sich nie als professionellen Spieler gesehen, es sei denn, man galt als Spieler, wenn man als selbstständiger Captain in einer unsicheren Galaxis seinen Lebensunterhalt bestreiten wollte. Nichtsdestotrotz war ihm klar, dass man beim Pokern seine Gegner einschätzen musste, ehe man sich an den Tisch setzte. Das Grand House zog etliche prestigeträchtige Spieler und Spielerinnen an, die in aller Seelenruhe Summen setzten, mit denen man ein Sternenschiff kaufen und gemütlich darauf leben konnte. Diese Spieler würden mit ihm den Boden aufwischen. Stattdessen meldete er sich lieber an einem Tisch, an dem die gelangweilten Vettern und Cousinen von Oligarchen, die Neffen von Scheichen und die in der Erbfolge des Familienunternehmens weiter hinten Stehenden saßen und um – für ihre Maßstäbe – Taschengeld spielten.

Er gesellte sich wieder zu seiner zu ihm passenden, schick gekleideten Gruppe an einen Tisch am Rand des Pokerbereichs. Es waren acht weitere Spielende, die allesamt bereits ihren Mindesteinsatz von fünftausend Stars (die Red Star Confederate hatte ihre neue, aus Yuan und Rubel zusammengefasste Währung ganz einfach und einfallslos Star genannt) gesetzt hatten. Um noch mehr angetrunkene, übertriebene Selbstsicherheit auszustrahlen, klimperte er nachlässig mit den Chips in seiner Hand, als er auf den Tisch zuging.

»Hola«, rief er der Gruppe fröhlich und eine Spur zu laut zu. »Sind wir alle bereit?«

Eine der Frauen, eine wirklich gut aussehende Brünette mit porzellanweißer Haut, sah ihn mit funkelnden Augen an, denn sie hatte sich Diamantenglitzer implantieren lassen. Ihr glänzendes, burgunderrotes Kleid war nicht direkt als trägerlos zu beschreiben. Vielmehr schien es aus nichts anderem als aus Trägern zu bestehen, die so raffiniert miteinander vertäut waren, dass aus »Andeutungen« nicht »vollkommene Schamlosigkeit« wurde. Sie bedachte ihn mit einem Raubtierlächeln, wahrscheinlich weil er während der ersten Sitzung absichtlich leichtsinnig gespielt hatte und sie ihn jetzt für ein leichtes Opfer hielt. »Sind Sie denn bereit, Sir?«

Drift lächelte bedauernd und prostete ihr mit dem Glas zu. »So bereit wie eh und je, würde ich sagen.«

Streng genommen stimmte das auch. Es war nicht seine Schuld, dass diese Pfauen die Aussage als Eingeständnis seiner Schwäche missverstanden.

Sie setzten sich und widmeten sich wieder dem Spiel. Der Big Blind wurde von einem Mann gesetzt, einem blonden Gecken, der dem Aussehen nach kaum Anfang zwanzig war und mit seiner dünnen Netzweste einen Körper zur Schau stellte, der an einem Punkt geschaffen worden war, wo Narzissmus auf Kunst oder womöglich auch Chirurgie traf. Der Small Blind oblag einer betörend schönen Frau in einem cremefarbenen Kleid, dessen Stoff bei Anstieg des Pulses und der Körpertemperatur seiner Trägerin immer durchscheinender wurde. Eigentlich trug man es in Vergnügungstempeln und auf Partys. An einem Pokertisch stellte es eine wenig subtile Zurschaustellung des Vertrauens in die eigene Selbstbeherrschung dar.

Während der ersten Sitzung hatte Drift ein paar Chips verloren, doch nur ein Spieler am Tisch war zur Pause bereits in richtige Schwierigkeiten geraten. Er war ein athletisch gebauter Mann mit schmalem Schnäuzer, bei dem Drift chinesische Vorfahren vermutete. Er war der Einzige am Tisch, dessen Kleidungsstil mit dem Drifts vergleichbar war. Zwar war er mit dem Anzug am Empfangspersonal vorbeigekommen, doch hier beim Poker konnte er sich weder damit Respekt verschaffen noch mit seinem Spielstil. Er spielte zu zurückhaltend, verschleuderte zuweilen unnötigerweise Chips und ging keine Risiken ein. Als er dann aus lauter Verzweiflung doch noch alles auf eine Karte setzte, um im Spiel zu bleiben, verlor er mit einem Paar Zehner gegen die Pocket Jacks der Frau im cremefarbenen Kleid, die ihn abservierte und die Chips einstrich, ohne dass ihr Kleid auch nur ein Quäntchen durchsichtiger geworden wäre. Drift bedauerte es nicht, dass er ausschied, denn der Mann hatte eine gefährliche Ausstrahlung, die den reichen Jungspunden anscheinend entgangen war. Wenn es sich bei dem Kerl nicht um den Vollstrecker einer hiesigen Gang handelte, der seine Kohle auf den Kopf haute, wollte Ichabod Drift ein linkshändiges Schinkensandwich sein.

Die nächste Spielerin, die ausschied, war die Frau mit den Trägern, die zusah, wie Drift sich mit Luschen durch eine ganze Reihe relativ schwacher Hände bluffte und dann ins Duell mit ihm ging, während die anderen wahrscheinlich eine Falle witterten und vorher ausstiegen. Diesmal brauchte Drift nicht zu bluffen, sondern er kaute nur wieder auf seiner Wange herum, so wie er es zuvor auch schon getan hatte. Sie fiel darauf herein und verlor mit ihrem Paar Vieren und einem hohen Ass komplett gegen die drei Vieren, die Drift mithilfe einer seiner Handkarten zusammenbekam. Allerdings war sie noch nicht aus dem Rennen, doch bei dem Versuch, sich mit ihrer nächsten Hand zu retten, verlor sie ihre restlichen Chips an einen Glatzkopf mit schmalem Ziegenbart, der die moderne Ausgehversion einer Militäruniform aus dem einundzwanzigsten oder zweiundzwanzigsten Jahrhundert trug, auf irgendeiner Art getrocknetem Fleisch herumkaute und eine wahrhaft grauenhaft stinkende Zigarre rauchte.

Der muskulöse junge Geck verlor durch schlecht kalkulierte Risiken allmählich seine Chips und verließ irgendwann schließlich den Tisch, wobei er üble Verwünschungen vor sich hin murmelte. Die dritte Frau in der Runde, eine dralle Blondine mit einem umwerfenden Lächeln und einem reizvollen Ausschnitt – oder vielleicht auch andersrum –, schaltete kurz darauf eiskalt einen freundlichen alten Mann aus. Er hatte ihrem kurz geschnittenen mitternachtsvioletten Kleid und den winzigen Lichtern, die wie ferne Glühwürmchen darauf herumkrabbelten, sich aber hin und wieder – meistens auf ihren Brüsten – zusammenrotteten, offensichtlich zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Drift machte sich keine Illusionen darüber, wie zufällig dieses Detail zustande gekommen war. »Gestatten Sie mir wenigstens, Ihnen für ein gutes Spiel einen Drink zu spendieren?«, fragte der Mann, den sie abserviert hatte, freundlich, als er sich aus dem Stuhl hievte. Er sprach Russisch, wie die meisten am Tisch, doch dank des Commsteckers in seinem linken Ohr, der mittels der Übersetzungsfunktion seines Pads mit seiner angenehmen, neutralen Stimme beinahe simultan dolmetschte, hörte Drift alles auf Englisch.

»Das haben Sie bereits«, gab die Siegerin zurück und deutete dabei auf den Chipsberg vor ihr, womit der Fall erledigt war.

An diesem Punkt legten sie eine zweite kurze Pause ein, die Drift für einen Gang zur Toilette nutzte. Er kam gerade zurück, als neben ihm plötzlich der letzte Mitspieler seiner Gruppe auftauchte, ein jugendliches Geschlechtsloses, das wenig sagte. Drift hatte es vorher gar nicht bemerkt. Sein Haar war ein kunstvolles, asymmetrisches Durcheinander von Strähnen unterschiedlicher Länge und Farbe, von Weiß bis zum tiefsten Violett war jeder erdenkliche Farbton enthalten. Es trug einen waldgrünen Sarong und ein anscheinend absichtlich formloses und ärmelloses schwarzes Top – vermutlich war das gerade in Mode.

»Also«, sagte es leichthin, »wen haben Sie verärgert?«

Drift runzelte die Stirn und sah es fragend an. »Wie meinen?«

»Jemand beobachtet Sie«, sagte sein Gegenüber sanft. »Sagen Sie mir nicht, dass Sie es nicht bemerkt haben.«

»Das ist ein ziemlich billiger Psychotrick«, schnaubte Drift. »Fürchten Sie um Ihre Chancen?«

»Mir ist aufgefallen, wie mindestens zwei Sicherheitsleute Sie beobachtet haben«, erklärte es ihm und schnippte achtlos eine Haarsträhne aus seinem Gesicht. »Und noch jemand, der bestimmt zu den Kasinodetektiven des Grand House gehört. Sie haben zweifellos die Aufmerksamkeit von jemandem erregt.«

»Das Einzige, was ich errege, sind die Damen«, gab Drift mit gespielter Höflichkeit zurück. »Aber danke der Nachfrage.«

»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel«, sagte sein Gegenüber mit schwachem Lächeln, bevor es sich von ihm trennte und seinen Platz am Tisch einnahm. Auch Drift kehrte an seinen Platz zurück, doch so sehr er sich auch bemühte, gelang es ihm nicht, das Gehörte abzuschütteln. Er tat so, als würde er sich nach dem Glatzkopf in seiner Pseudouniform umschauen, doch in Wahrheit überprüfte er Anzahl und Position des anwesenden Personals. Ihm fiel nichts Außergewöhnliches auf, doch als er sich wieder dem Tisch zukehrte, lächelte der Androgyne ihn an.

Verdammt.

Es wurde weitergespielt, und Drift bemühte sich, wieder den Angetrunkenen zu mimen, war aber nicht mehr so recht bei der Sache. Er redete sich ein, dass man es ihm sowieso nicht mehr abkaufen würde: Immerhin hatte er so gerissen gespielt, dass er noch nicht hinausgeflogen war. Trotzdem hätte er gerne noch eine weitere Bluffstufe zwischen sich und seine Gegner gebracht. Tatsächlich aber war er von dem eben Gehörten unleugbar abgelenkt, auch wenn es keinen Grund zur Beunruhigung gab. Er hatte keines der hiesigen Gesetze übertreten, er wollte das Kasino nicht austricksen, und im Raumsektor des Red Star wurde er, so weit ihm bekannt war, nicht gesucht. Leider konnte man sich nicht ständig so nahe an den Grenzen der Legalität bewegen, wie er es tat, ohne dabei ein wenig paranoid zu werden, wenn es um die Behörden ging, und nun hatte jemand einen Weg gefunden, seine Paranoia auszunutzen.

Wenigstens würde das Spiel nicht langweilig werden.

Er brachte sich wieder in Stimmung, indem er die Blondine mit den Lichtern auf dem Kleid ausknockte, die mit ihren Pocket-Damen und zwei Achten auf dem Tisch auf zwei Paare spekulierte, jedoch an Drifts Dreiern auf der Hand scheiterte, die ihm ein Full House einbrachten. Nicht lange darauf schied das Jugendliche im Sarong aus, dessen Kreuz-Flush mit Dame unglaublich knapp gegen den Glatzkopf mit Zigarre und einem Flush mit König verlor. Danach blieben nur Drift, der Zigarrenglatzkopf (der inzwischen mindestens schon die dritte qualmte) und die Frau im Cremekleid übrig.

Vorderhand war es ein ziemlich ausgeglichenes Spiel. Jeder von ihnen hatte um die Fünfzehntausend vor sich liegen, allerdings war Drift laut der automatischen Anzeige auf dem Tisch seinen beiden Kontrahenten um eine Kleinigkeit voraus. Der Raucher schien jedoch so unerbittlich wie eine Betonwand zu sein, und die Frau im Cremekleid hatte ihren Stoff das ganze Spiel hindurch kein bisschen durchsichtiger werden lassen. Für die beiden war das lediglich ein Hobby, nahm er an, und der Einsatz war nicht hoch genug, als dass sie zusammengezuckt wären. Für Drift jedoch war ein potenzieller Gewinn von vierzigtausend Stars etwas, was ihn durchaus ins Schwitzen brachte.

Schlagartig verlor er das Interesse an dem Spiel. Ob es nun ein billiger Trick des Jungen im Sarong war oder nicht, er war zu der Überzeugung gelangt, dass der Sicherheitsmann an der gegenüberliegenden Wand ihn tatsächlich im Auge behielt, und das gefiel ihm ganz und gar nicht. Es hatte nie etwas Gutes zu bedeuten, wenn Sicherheitsleute sich für einen interessierten. Es wurden neue Karten ausgeteilt, er sah sie sich an – Pik-Ass und Kreuz-Dame – und traf eine Entscheidung.

Der Zigarrenraucher sah ebenfalls seine Karten an, undurchschaubar wie immer, und erhöhte seinen Einsatz: Fünftausend Stars. Das war ein kühner Eröffnungszug, der wahrscheinlich einschüchtern sollte, aber er verfehlte seine Wirkung.

»Ich setze alles.« Die Frau im Cremekleid schob ihren ganzen Chipvorrat, beinahe fünfzehntausend Stars, in die Tischmitte. Die Brauen des Rauchers hoben sich, doch er sagte nichts.

Drift kratzte sich kurz am rechten Auge, bevor er die Achseln zuckte »Dann heißt es wohl, aufs Ganze gehen oder nach Hause.« Auch er schob seine Chips nach vorn und sah den Glatzkopf fragend an. »Gehen Sie mit?«

Der Zigarrenraucher grunzte nur. Allerdings rückte auch er seine Chipstürme in die Mitte, also beinahe so viel wie Drifts Einsatz. Nun ging es um alles. Wer diese Runde gewann, würde praktisch mit allem nach Hause gehen.

Sie deckten ihre Karten auf, da die Einsätze ohnehin nicht mehr erhöht werden konnten. Die cremefarbene Frau hatte die Herz- und die Karo-Dame, und der Raucher hatte … die Könige von Karo und Herz. Ein ganz leises Grinsen zog sich über sein Gesicht: Denn ihnen allen war klar, dass er die größten Chancen auf eine Gewinnhand hatte. Die Frau schluckte ein wenig, und Drift bildete sich ein, dass ihr Kleid zum ersten Mal Spuren von Durchsichtigkeit aufwies. Ein Damenpaar war zwar ein aussichtsreicher Start, aber es sah so aus, als hätte sie sich zum falschen Zeitpunkt für ein offensives Vorgehen entschieden.

Der Croupier deckte die nächsten drei Karten auf.

Kreuz-Sieben, Pik-Dame und Pik-Drei.

Die Cremefarbene blies ihre Wangen auf und stieß ein leises, halb nervöses Lachen aus, während die starre Miene des Rauchers noch mehr zu versteinern schien. Mit drei Damen auf dem Tisch hatte die Frau die höchsten Gewinnchancen, und mit seinen armseligen zwei Damen sah Drift seinen Chipsstapel praktisch schon in ihre Richtung wandern.

Als Turn Card kam die Pik-Vier zum Vorschein, und plötzlich konnte Drift wieder atmen. Sollte die letzte Karte auch Pik sein, dann würde er mit einem Flush abräumen, was bedeutete, dass dem Zigarrillo nur noch eine Hoffnung blieb: der Herz-König, denn damit hätte er einen Drilling, während Drift das letzte Pik fehlen würde. Doch für den Augenblick hatte die Frau noch die Gewinnhand.

Mit einem enttäuschenden Mangel an Dramatik deckte der Croupier die River Card auf.

Pik-Zwei.

»Verdammte Scheiße! Soll das ein Witz sein? Bei Königen?« Der Raucher sprang auf und stürmte davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. Aus war es mit seiner Unerschütterlichkeit. Die Frau im cremefarbenen Kleid lächelte nur bedauernd, als der Croupier die Chips in Drifts ausgebreitete Arme schob.

»Gut gespielt, Sir.« Sie sah ihn mit hochgezogener Braue an. »Auch wenn ich finde, dass Sie es dem Glück zu verdanken haben.«

»Gewonnen ist gewonnen«, grinste Drift sie an und schob ein paar Tausend-Star-Chips als Trinkgeld in Richtung Croupier zurück. »Ich bewundere übrigens das Selbstvertrauen, das Sie bei Ihrer Kleiderwahl beweisen.«

»Oh, es braucht mehr, als dieser Tisch bieten kann, um mich in Wallung zu versetzen«, erwiderte sie nicht ohne eine Spur von Schalkhaftigkeit.

»Tja, sieht so aus, als hätte ich Bargeld im Überfluss«, sagte Drift und stand auf. »Wie wäre es, wenn ich einen Teil davon investiere, um Ihnen einen Drink auszugeben und Ihre Theorie auf die Probe zu stellen?« Zwar hatte sie verächtlich die Miene verzogen, als Drift in seinem Anzug aufgetaucht war, doch war er nicht nachtragend. Zumindest nicht, wenn sein Gegenüber eine Figur hatte, wie man sie von einem fünfzehn Meter hohen Reklameholo für Make-up erwarten würde.

Sie setzte zu einer Antwort an, doch dann änderte sich etwas an ihrem Ausdruck. Sie fasste sich wieder und trat einen Schritt zurück. »Vielleicht ein andermal.«

Drift blinzelte verdutzt. Er war sich so sicher gewesen, dass sie …

Eine Hand fiel auf seine Schulter. Erstaunt und ein wenig genervt drehte er sich um, um nachzusehen, welches Besatzungsmitglied ihn vom Flirten abhalten wollte.

»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der kahlköpfige Sicherheitsmann des Grand House, der zu beiden Seiten von Kollegen flankiert war. »Ich muss Sie bitten, mitzukommen.«

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Ein neuer Spieler

Entschuldigen Sie mal?« Drift sprach lauter, als es ihm lieb gewesen wäre, und das lag ganz und gar nicht daran, dass er den Betrunkenen spielte. »Hier muss ein Missverständnis vorliegen.« Er wandte sich wieder der Schönheit im cremefarbenen Kleid zu, doch sie war schon verschwunden. Vermutlich war sie nicht sonderlich scharf darauf, in das, was gerade vor sich ging, verwickelt zu werden.

»Kein Missverständnis, Sir«, sagte der Sicherheitsmann mit vollkommen unveränderter Miene. »Bitte folgen Sie mir. Dort entlang!«

Mit drei Sicherheitsleuten um sich herum hatte Drift keine andere Wahl. Er steckte seine Chips ein, worauf sein Anzug nicht mehr richtig saß. »Können Sie mir wenigstens sagen, um was es geht? Ich kann Ihnen versichern, dass ich dieses Spiel rechtmäßig gewonnen habe.« Die kleine Gruppe zog auf ihrem Weg durch das Kasino von den Spielern an den anderen Tischen neugierige Blicke auf sich, und kurz fragte er sich, wie viele Spiele dadurch wohl gerade unterbrochen wurden, ehe er wieder panisch alle Eventualitäten durchging. War das ein Trick von der Type im Sarong? Aber was brachte das jetzt, nachdem das Spiel ohnehin zu Ende war?

»Entschuldigen Sie, Sir«, meldete sich der Kahlkopf leise von links, »aber Mr. Orlow wies mich an, Sie zu bitten, seine Einladung zu einem Gespräch anzunehmen.«

Drift erstarrte zwar nicht, aber er geriet doch ins Stolpern, als er schlagartig aus seinen Gedanken gerissen wurde. »Halt mal … Mr. Orlow? Mr. Sergej Orlow? Der Besitzer?«

»Ja, Sir«, kam die teilnahmslose Antwort.

Drift kaute einen Augenblick auf seiner Wange herum, denn der leichte Schmerz half ihm, sich zu konzentrieren. Sergej Orlow, Besitzer des Grand House, war das, was herauskam, wenn ein Gangster so salonfähig wurde, dass er nicht mehr als Gangster zählte. Als Geschäftsmann reichten seine Unternehmungen weit über das Etablissement hinaus, mit dem sich seine Familie zunächst einen Namen gemacht hatte, und wahrscheinlich würde er selbst dann keine Verhaftung befürchten müssen, wenn er nicht über die gewieftesten Anwälte verfügen würde, die man sich denken konnte. Sollte Sergej Orlows Unternehmen Schwierigkeiten bekommen, würde wahrscheinlich ein Drittel der Bevölkerung des Systems auf die eine oder andere Weise wirtschaftliche Nachteile erleiden.

Sergej Orlow war der dicke Fisch im Teich von Neu-Samara, und im Vergleich zu ihm war Ichabod Drift … vielleicht so etwas wie ein Wasserläufer? Oder eine Fliegenlarve. Die Biologie der Alten Erde war nie seine Stärke gewesen.

»Nur damit ich das richtig verstehe«, sagte er langsam und sah seine Eskorte mit dem unguten Gefühl an, dass er die Antwort bereits kannte, »ist diese Einladung eine ›Einladung‹ oder eine Einladung?«

»Ich versichere Ihnen, Sir«, erwiderte der Sicherheitsmann, »es ist Ihre freie Entscheidung, ob Sie Mr. Orlow sehen wollen oder nicht. Wenn Sie es möchten, führen wir Sie zu ihm. Wenn nicht, können Sie gehen. Allerdings lässt er anmerken, dass es einträglicher wäre, mit ihm zu sprechen.«

Drift verdaute das und dachte fieberhaft nach. Seine erste Reaktion war, seine Siebensachen zu packen und das Weite zu suchen, seine Mannschaft einzusammeln und ihren Aufenthalt auf Neu-Samara schlagartig zu beenden, um sich so weit wie möglich von Sergej Orlow zu entfernen, nachdem dieser – aus welchen Gründen auch immer – auf ihn aufmerksam geworden war. War das alles nur eine in Samt getarnte Falle, wurde er mit sanften Worten und Geld gelockt, damit man ihn nicht fortschleppen und womöglich die Atmosphäre im Kasino beeinträchtigen musste? Dass man ihn bei seinem Ego packte und behauptete, Sergej Orlow wolle ihn sehen, wo das doch ungefähr so wahrscheinlich war, als wenn die Zwillingsmonde des Planeten eine Hornpipe tanzen würden, wenn er ihnen auf der Flöte aufspielte? Er seufzte. Wenn jemand, der irgendwo das Sagen hatte, ob das nun Orlow war oder nicht, wollte, dass er aus dem Kasino entfernt wurde, dann würde man ihn entfernen. Somit konnte er genauso gut mitspielen und so tun, als wäre das alles so harmlos, wie es klang. Und außerdem: Sollte Orlow ihn tatsächlich sehen wollen, dann lockte Drift auch die Neugierde.

Er lächelte den Wachmann freundlich an: »Bringen Sie mich zu ihm.«

Der Mann nickte den anderen zu, die sich unauffällig verdünnisierten. Erstaunt blinzelte Drift mit seinem natürlichen Auge, was sein verbleibender Begleiter bemerkte.

»Mr. Orlow wollte den Eindruck erwecken, man würde Sie des Etablissements verweisen, nachdem Sie den Tisch verließen«, erklärte er und streckte die Hand aus, um ihn zu einem Aufzug zu weisen, der sich in einer Wandbiegung befand. »Jetzt sind meine Kollegen jedoch nicht mehr vonnöten.«

»Das wird ja immer merkwürdiger«, murmelte Drift, holte zu ihm auf und fügte hinzu: »Sprach Alice.«

»Wie meinen?«

»Mmm? Oh, nichts.« Drift machte eine wegwerfende Handbewegung. Niemand kennt mehr die Klassiker.

Der Aufzugschacht war genauso geschwungen wie die restliche Architektur Neu-Samaras. Er hatte einen weitgehend ovalen Grundriss, der nur an den schmalen Enden etwas abgeflacht war. Der Wachmann gab an einem Tastenfeld einen Code ein, wobei er sich so hinstellte, dass Drift nicht zuschauen konnte. Dann wählte er das Stockwerk. Drift nahm an, dass damit verhindert werden sollte, dass jeder Dahergelaufene zu Segej Orlow gelangen konnte, doch dann biss er sich wieder auf die Wange, da ihm einfiel, dass er womöglich gerade auf dem Weg zum Besitzer des Grand House war. Wie unwahrscheinlich war das denn?

Nun, immerhin war er in einem Kasino. Wie hoch oder niedrig die Wahrscheinlichkeit auch immer war, sie war mit ziemlicher Sicherheit gegen ihn.

Der Aufzug fuhr nach oben, laut der Anzeige über der Tür zwei Stockwerke weit, ehe er langsamer wurde und mit einem Klingeln anhielt.

»Erschrecken Sie nicht«, brummte Drifts Gefährte, und gleich darauf glitt die Tür auf, und er sah einen kurzen, schmalen Gang und zwei Wachen, die ihre Pistolen auf ihn gerichtet hatten.

»Oh Mann, das kommt mir auf bedrückende Weise bekannt vor«, seufzte Drift. Seine eigene Pistole befand sich in seinem Hotelzimmer. Das Grand House stellte sich etwas an, wenn Gäste das Kasino bewaffnet betreten wollten. Doch zu seiner großen Verblüffung steckten die Wachen die Pistolen nach einer kurzen Begutachtung weg und traten links und rechts des Gangs zur Seite.

»Sir?« Der Wachmann neben ihm ging voraus und bedeutete Drift mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Nachdem Drift sich noch einmal vergewissert hatte, dass es sich nicht um einen ausgefuchsten Trick handelte, folgte er ihm.

»Roman? Ist er mitgekommen?«

Die Stimme klang voll, das »R« am Anfang war ein wenig hart, aber nicht sehr gerollt. Ein starker russischer Akzent, der allerdings als Zurschaustellung von Identität und nicht als Zeichen von Unvermögen bei der Beherrschung fremdsprachiger Vokale und Konsonanten zu deuten war.

»Ja, Sir«, rief der Mann namens Roman und blieb an einer Stelle stehen, an der sich der Gang zu einem Raum hin öffnete. Einladend streckte er die Hand zu Drift gewandt aus.

»Ich nehme an, Sie wussten bereits, dass ich kommen würde«, sagte Drift und betrat das Zimmer. »Sonst hätten Sie das wahrscheinlich auf Russisch gesagt …«

Sein Erstaunen hinderte ihn daran, den Satz fortzusetzen. Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was er erwartet hatte, aber auf jeden Fall hatte er nicht damit gerechnet, Orlows Penthouse zu Gesicht zu bekommen. Er befand sich im obersten Stockwerk des eigentlichen Kasinos, das ein bisschen schmaler als die Stockwerke darunter war, aber immer noch größer als das Innere der Jonah, Drifts Shuttle der Carcharodon-Klasse, das derzeit im Raumhafen von Neu-Samara vor Anker lag. Einen Moment lang empfand er brennenden Neid auf diese Wohnsituation und die Größe der Räumlichkeiten und fragte sich, weshalb er den Großteil seines Erwachsenenlebens an Bord enger Raumschiffe verbracht hatte, anstatt sich auf einem Planeten niederzulassen, wo ein Heim nicht auch noch Raum für Maschinen und Frachträume brauchte.

Oh, ja. »Freiheit.«

»Captain Drift?«

Sergej Orlow erhob sich von einem Liegesessel und kam auf ihn zu. In einer Hand hielt er einen Tumbler, und er hatte die Arme grüßend ausgebreitet. Drift machte sich in Sekundenbruchteilen ein Bild: dem Aussehen nach Ende vierzig, auf den Wangen, die bereits abzusacken begannen, dunkle Bartstoppeln, insgesamt ziemlich fit, aber um die Hüften schon ein wenig aufgegangen. Seitlich hatte er das Haar kurz geschnitten, am Scheitel etwas länger. Ganz im arabischen Stil hatte die weite, blasse Hose an den Fersen Bünde, dazu trug er einen dunkelgrünen Rollkragenpullover, und seine nackten Füße sackten tief in den dicken Teppich.

Alles in allem wirkte er nicht wie jemand, der andere einschüchtern wollte. Freilich brauchte er das auch nicht. Nichtsdestotrotz hob sich Drifts Stimmung ein wenig, und er erwiderte den herzlichen Händedruck, der ihm angeboten wurde.

»Danke, dass Sie meine Einladung angenommen haben«, sagte Orlow ernst, während er Drift in die Augen sah und sie sich noch immer die Hände schüttelten. »Ich hoffe, Sie nehmen mir die Art und Weise, wie sie ausgesprochen wurde, nicht allzu übel.«

»Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, gab Drift lächelnd zurück. »Also, ähm … was kann ich für Sie tun?«

»Captain Drift, ich hoffe, dass Sie mir mit einem kleinen Problem weiterhelfen können«, sagte Orlow schlicht und machte einen Schritt zurück. »Roman, Sie können gehen.«

Drift bemerkte, wie sich die Gesichtszüge des Wachmanns ein wenig anspannten, aber natürlich hütete Roman sich, die Befehle seines Chefs infrage zu stellen, vor allem in Anwesenheit eines Fremden. Mit einem kurzen Nicken wandte er sich zum Gehen. Diese kleine Ablenkung vermochte Drifts Gedanken allerdings nicht von dem wegzulenken, was Orlow ihm eben gesagt hatte.

»Verstehe«, antwortete er und versuchte, trotz seines Erstaunens gleichgültig zu klingen. »Nun, es würde mich natürlich freuen, Ihnen behilflich sein zu können.«

Orlow kicherte. »Sie scheinen etwas verwirrt zu sein, Captain, und ohne arrogant erscheinen zu wollen, verstehe ich, wieso. Schließlich bin ich Sergej Orlow, nicht wahr? Ich verfüge über Dutzende von Raumschiffen. Aber wenn Sie so gut wären, draußen etwas mit mir herumzugehen, dann erkläre ich Ihnen, weshalb ich mich für Sie interessiere.« Er schob eine Schiebetür zur Seite und trat auf das flache, weiß geflieste Dach des Kasinos hinaus, über ihm die Sterne.

Drift folgte ihm, da ihm nichts anderes übrig blieb. Er spürte die Kühle der Nacht auf seiner Haut. Es war diese Luft, die von Natur aus sauerstoffreiche Atmosphäre von Neu-Samara, die aus diesem Planeten eine Zuflucht für die Betuchten des Red Stars machte. Da er optimal in der bewohnbaren Zone des Rasswet-Systems lag, hatte man kaum Veränderungen an ihm vornehmen müssen, damit Pflanzen auf ihm gedeihen konnten. Praktisch der gesamte Planet war eine Agrarwelt und der Massenproduktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen gewidmet. Mit Ausnahme der kleinen und weit verstreuten Farmmannschaften lebte der Großteil der Bevölkerung an den kalten Polen oder an den Rändern der heißen Wüsten, wo Pflanzen nur mit Mühe gediehen. Die Konföderation hatte auf dem ganzen Planeten nur den Bau einer einzigen Stadt im gemäßigten Klima zugelassen, nämlich die Hauptstadt, die ebenfalls Neu-Samara hieß. Mit derart kostbarem Land ringsum konnte es nicht überraschen, dass nur die Reichen hier wohnen konnten.

»Zunächst«, sagte Orlow, während er mit den Fingern an den Wedeln eines weichen Ziernadelbaums entlangstrich, »lassen Sie mich zusammenfassen, wer Sie sind. Ichabod Drift, Captain der Keiko. Vor ungefähr zwei Wochen sind Sie hier in meiner Stadt gelandet und sind unverzüglich zur Zentralbank gegangen, wo Sie Gelder abhoben, die Ihnen nachvollziehbarerweise nicht gehörten.«

Drift erstarrte, doch als Orlow sich zu ihm umwandte, war seine Miene nicht spöttisch, sondern nur leicht amüsiert. »Bitte, Captain. Ihnen ist doch klar, wer ich bin. Es sollte Sie nicht überraschen, dass ich viele Kontakte an vielen Orten habe, oder? Und weil ich bin, wer ich bin, ist es mir eigentlich ziemlich egal, wer von wem Geld nimmt, solange man es nicht von mir nimmt. In diesem Fall wurde das Geld von einem Konto abgehoben, das einem gewissen Nicolas Kelsier gehörte.«

Drift biss sich auf die Wange und schreckte vor einer Antwort zurück.

»In der Galaxis spricht sich manches herum, Captain«, sagte Orlow, drehte sich vollends um und kam auf Drift zu. »Vor allem bis zu mir. Ich habe von sonderbaren Ereignissen auf einem kleinen, europanischen Hinterwäldlerplaneten gehört, da ging es um eine Schießerei zwischen zwei Gruppen von Fremden auf einem Markt. An sich vielleicht nicht weiter bemerkenswert, aber wenn Augenzeugenberichte darauf hindeuten, dass sich dort auch der Grinsemann aufhielt … Tja, jeder, der selbst so bemerkenswert ist, dass er eines Tages im Visier dieses Derjmos landen könnte, horcht dann eben auf.«

Drift schluckte. Marcus Hall, der kaltblütige Schweinehund und Meuchelmörder, der der Galaxis besser als der Grinsemann bekannt war, hatte eines seiner Besatzungsmitglieder getötet. Micah van Schaken war … nun, er war ein kantiger Söldner gewesen, der einem leicht unsympathisch sein konnte, aber er war zuverlässig gewesen, und er hatte es nicht verdient, von Halls rasiermesserscharfen Sternenscheiben die Kehle aufgeschlitzt zu bekommen.

»Und dann«, fuhr Orlow fort, »verkünden die Europaner, dass sie sich um den Mann gekümmert hätten, der hinter der Explosion in der Nordsee auf der Alten Erde steckte, jenem vermasselten Bombenexperiment. Und dieser Mann soll Nicolas Kelsier gewesen sein, können Sie das glauben? Ein ehemaliger Minister. Und jetzt tauchen Sie auf und geben sein Geld aus, Sie mit Ihrem grellbunten Haar und Ihrem Metallauge. Miss Rourke mit ihrem Hut und Mantel und Ihr großer Maorifreund mit seinen unverwechselbaren Tätowierungen. Und all diese Typen wurden im Zusammenhang mit der Marktschießerei erwähnt. Captain, das lässt für mich nur eine einfache Schlussfolgerung zu.

Sie sind eindeutig jemand, mit dem man es sich nicht verscherzen sollte.«

Drift blinzelte. »Äh … was?«

Wieder kicherte Orlow. »Tut mir leid, die Hinführung klang vielleicht ein wenig bedrohlich, nicht wahr? Dabei war ich einfach nur stolz auf meine Kombinationsgabe, das versichere ich Ihnen.« Er prostete Drift mit seinem Glas zu und trank einen Schluck. »Ich glaube nicht, dass Sie ein europanischer Agent sind, Captain Drift, aber auf irgendeine Weise müssen Sie in den Untergang Kelsiers verwickelt gewesen sein, oder wie sind Sie sonst an seine Kontodaten gekommen? Ich vermute sehr stark, dass er Sie verärgert oder provoziert hat und Sie sich gerächt haben. Lassen wir es bei dem Hinweis bewenden, dass ich diesen Fehler nicht machen möchte. Ich unterschätze die Menschen nur ungerne. Ich glaube, dass Sie und Ihre Mannschaft zu allem fähig sind, wenn es nottut. Aus diesem Grund möchte ich Sie gerne anheuern und gleichzeitig sicherstellen, dass Sie keine Notwendigkeit sehen, mir das Leben auf irgendeine Weise, die ich möglicherweise gar nicht erahnen kann, schwer zu machen.«

»Das ist … sehr weise von Ihnen«, brachte Drift heraus, noch immer benommen von dem Gehörten. Vor ihm stand der mächtigste Mann von Neu-Samara, wohl sogar des ganzen Sonnensystems, und erklärte ihm, dass er sich gegenüber der Besatzung eines ramponierten Kleinfrachters vorsichtig verhalten wolle. So willkommen ihm die Offenbarung war, so unsicher war er sich, ob er ein Wort davon glauben sollte.

Andrerseits … er und seine Mannschaft hatten Nicolas Kelsier tatsächlich erledigt, und zwar auf Grundlage eines episch ambitionierten Gespinsts aus Schwachsinn und der Tatsache, dass sie keine andere Wahl gehabt hatten. Es war ein Spiel auf Leben und Tod gewesen, und als Kelsier begriffen hatte, welches Spiel sie spielten, hatte er bereits verloren gehabt. Wenn Orlow nicht die ganze Geschichte gehört hatte, dann wusste er vielleicht nicht, was für eine riskante und hoffnungslose Angelegenheit das Ganze gewesen war.

»Darum nun also Sie, Captain Drift«, sagte Orlow, hielt einen Moment inne, um zu den wenigen Sternen aufzublicken, die bei der Lichtverschmutzung der Hauptstadt zu sehen waren. Ein dumpfes Wummern wurde irgendwo neben ihnen lauter und verklang dann wieder: Die Sound-Anlage eines offenen Gleitercabrios. »Außerdem muss ich sagen, dass Ihr Spiel heute Abend im Kasino Eindruck auf mich gemacht hat. Sie haben eine bewundernswerte Mischung aus Vorsicht und Risikobereitschaft an den Tag gelegt.«

Drift hielt es für besser, nicht einzugestehen, dass er vor allem deshalb alles auf seine letzte Hand gesetzt hatte, weil Roman und seine Kollegen ihn verunsichert hatten und er schnell wegwollte.

»Kommen wir zu dem, womit Sie mir helfen können«, fuhr Orlow fort. »Sind Sie mit dem Planeten Uragan vertraut?«

Drift runzelte die Stirn. »Der befindet sich in diesem System, oder? Weiter draußen, ein Bergbauplanet? So ziemlich das Einzige, was ich darüber weiß, ist, dass ich nicht gedenke, dorthin zu gehen.«

»Eine nachvollziehbare Einstellung.« Orlow nickte. »Gewiss ist das keine Welt für Touristen. Meine Regierung schlachtet die Kruste nach Metallen aus, während die Bevölkerung vor der giftigen Atmosphäre in den Untergrund flüchtet. Er ist …« Er hielt einen Moment inne, um das richtige Wort zu finden: »… hart. Allerdings benötige ich eine Information von einem Mann, der in Uragan City arbeitet, dessen Namen ich aber nicht nennen werde, solange Sie den Auftrag nicht annehmen. Er kann mir die Information nicht übermitteln, und ich kann ganz bestimmt nicht selbst hingehen. Deshalb brauche ich jemanden, der die Information dort auftreibt und sie mir persönlich überbringt. Die Sache muss erledigt sein, bevor der Bergbaukomplex in zwei Standardtagen von einem der regelmäßigen Hurrikans getroffen wird, denn dann ist für ungefähr zweiundsiebzig Stunden lang kein Shuttleverkehr durch die Atmosphäre mehr möglich.«

»Und keiner Ihrer Angestellten kann so etwas machen?«, fragte Drift misstrauisch. »Verzeihen Sie mir, Mr. Orlow, aber das klingt viel zu einfach, als dass Sie dafür einen Externen anheuern müssten.«

Orlows Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, und seine Lippen wanden sich, als hätte er auf etwas Saures gebissen. »Captain, wenn Sie so hoch sitzen wie ich, dann gibt es ständig Leute, die einem den Stuhl unter dem Hintern wegziehen wollen. Ich habe Rivalen, die meine Organisation zu infiltrieren versuchen. Ich sage ›versuchen‹, aber ich habe keinerlei Zweifel, dass ihnen das ein Stück weit schon gelungen ist. Wie groß das Stück ist, weiß ich nicht genau. Eine Sache weiß ich allerdings sicher: Keiner dieser Rivalen hatte einen Grund, zu versuchen, sich Ihrer Dienste zu versichern, genauso, wie Sie sich bis eben nicht bewusst waren, dass ich Ihnen einen Auftrag anbieten würde. Das bedeutet also, dass Sie mehr oder weniger augenblicklich aufbrechen müssen, damit die anderen keine Chance haben. Sie haben einen passablen Ruf als verlässlicher Externer, der Auftrag ist nicht fordernd, und ich zahle Ihnen einhunderttausend Stars, wenn mich die benötigte Information erreicht, ehe der nächste Sturm auf Uragan nachlässt.«

Drift nickte nachdenklich. Einhunderttausend Stars war eine durch und durch respektable Summe für ein paar Tage Botendienst, auch wenn die Währung schwächer war als die Dollars der USNA oder Europas. Sicher hatte er eben etwas über vierzigtausend gewonnen, aber er machte sich keine Illusionen über eine künftige Karriere als Pokerspieler. Orlows Angebot dagegen klang nach einem Brotjob. Angesichts seines Auftraggebers bereitete ihm jedoch eine Sache noch Sorgen.

»Ist der Auftrag illegal?«

Wieder verzog sich Orlows Gesicht zu einem leichten Lächeln. »Es gibt gewisse Akteure, die möglicherweise nicht wünschen, dass ich in den Besitz der Information komme, die Sie mir beschaffen, das stimmt. Denn sie betrifft Liefertermine, Frachtziele und dergleichen.«

Drift runzelte die Stirn. Er hatte nichts von Piraten im Rasswet-System gehört, und natürlich war das der einzige Grund, weshalb man sich für Frachten und ihre Bestimmungsorte interessieren sollte, oder? Dann fiel ihm wieder ein, mit wem er es zu tun hatte, und es dämmerte ihm. »Und Sie wollen die Information, bevor sich der Sturm legt, damit Sie einen Vorsprung haben, um Anteile kaufen und verkaufen zu können, ehe die nächste Lieferung tatsächlich ablegen kann?«

»Sie sind scharfsinnig, Captain.« Orlow nickte. »Die Information ist jedoch nur wertvoll für jemanden, der auch die finanziellen Mittel besitzt, um daraus einen Vorteil zu schlagen. Und außerdem ist das Ganze so zeitkritisch, dass man Mühe hat, einen Interessenten mit den entsprechenden Mitteln zu finden, ehe die Information obsolet wird. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass es am einfachsten für Sie sein wird, direkt zu mir zurückzukehren und Ihren Lohn einzustreichen, anstatt die Information auf den Markt zu tragen. Sollte ich hingegen innerhalb meiner Organisation den falschen Angestellten wählen, um mir die Information zu beschaffen …«

»… könnte es sein, dass er genau weiß, zu wem er sie bringen muss, um sich bei einem Rivalen einzukaufen«, beendete Drift den Gedanken und nickte ebenfalls. In Gedanken überprüfte er das Angebot, konnte aber keinen offensichtlichen Haken entdecken. Die Logik dahinter, dass die Wahl für diesen Auftrag auf ihn fiel, war nachvollziehbar, die Bezahlung war großzügig, aber nicht so hoch, dass man Angst haben musste, Orlow wolle seine Gier wecken und ihn damit blenden, und der Auftrag erschien machbar und nicht einmal sonderlich illegal. Vor allem aber hatten er und Orlow noch keine gemeinsame Geschichte, weshalb dieser vermutlich auch keinen Grund hatte, ihn hereinzulegen.

»Eine kleine, zusätzliche Sache«, murmelte Orlow, während er einen Schluck trank. »Zwar entschädige ich Sie finanziell für Ihren Aufwand, aber mit Ihrer Hilfe würden Sie auch meine Dankbarkeit verdienen. Die kennt natürlich ihre Grenzen, aber sie mag Ihnen durchaus einmal behilflich sein, sollten Sie irgendwo in Unannehmlichkeiten geraten, wo mein Name ein gewisses Gewicht hat.«

Drift kratzte sich am rechten Auge. Vielleicht war das eine gute Idee angesichts der Tatsache, dass die Loyalität seiner Mannschaft immer noch etwas fraglich war. Nicolas Kelsier war vor vielen Jahren sein Arbeitgeber gewesen, dann war er plötzlich wieder aufgetaucht und hatte ihn erpresst: Er sollte eine mysteriöse Fracht nach Amsterdam schmuggeln, wenn er nicht wollte, dass seine Besatzung sein dunkelstes Geheimnis erfuhr. Die Fracht hatte sich als eine scharfe Atombombe entpuppt, und im Nachspiel dieses spektakulären Debakels war sein furchtbares Geheimnis dann doch ans Licht gekommen: Ichabod Drift, der selbstständige Handelskapitän, war früher einmal bekannt gewesen als Gabriel Drake, der ruchlose Pirat. Schlimmer noch, er hatte der Besatzung der Keiko gestehen müssen, dass er nicht mit seiner Mannschaft gestorben war, wie die ganze Galaxis geglaubt hatte, sondern stattdessen die Luftschleusen der Sechsunddreißig Grad geöffnet und sie alle hatte ersticken lassen. Er hatte es nach einem Unfall aussehen lassen und hatte sich mit einer Rettungskapsel ins All geschossen.

Dieser Vertrauensbruch hatte ihn mehr als ein Jahrzehnt lang verfolgt, und man hätte durchaus sagen können, dass die Sache mit seiner derzeitigen Mannschaft gar nicht gut gelaufen war.

Apirana hatte ihn fast erwürgt, und Rourke hatte gedroht, ihn abzuknallen. Kuai hatte erklärt, aussteigen zu wollen, während seine Schwester Jia unschlüssig gewesen war. Sie waren lange genug bei ihm geblieben, um Kelsier zu erledigen – bevor der alte Mistkerl sie, die Einzigen, die wussten, dass er Amsterdam hatte zerstören wollen, zum Schweigen hatte bringen können. Drift hatte ihnen einen Anteil des Vermögens versprochen, das sie bei der Aktion einstreichen würden. Aber er hatte schlicht und einfach keine Ahnung, ob sie bei ihm bleiben würden, wenn dieses Geld einmal aufgebraucht war.

Er mochte seine Mannschaft und wollte sie nicht verlieren, geschweige denn sich eine neue suchen. Sie hatten kaum einen Grund, einen angenehmen Auftrag mit guter Bezahlung abzulehnen, und möglicherweise war es genau das Richtige, um alle wieder als Team zusammenzuschweißen. Wenn die Sache gut laufen würde, konnte er vielleicht alle, die die Keiko verlassen wollten, davon überzeugen, dass das doch gar keine so schlechte Art war, sich den Lebensunterhalt zu verdienen.

Wäre Drift überdies nicht risikofreudig, dann hätte er auch keinen Fuß ins Grand House gesetzt. Lächelnd streckte er die Hand aus.

»Mr. Orlow, ich glaube, wir sind uns einig.«

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Uragan

Das«, sagte Jia Chang nachdenklich, als sie die Keiko in den geostationären Orbit hinunterbrachte und das Signal aktivierte, das die ganze Mannschaft in den Frachtraum rief, »ist ja mal ein potthässlicher Felsklumpen.«

»Gratuliere, Ichabod«, sagte Rourke und klopfte dem Captain spöttisch auf die Schulter. »Du hast einen Planeten für uns gefunden, der wie ein gigantischer blauer Fleck aussieht.«

Jenna McIlroy, das jüngste Mannschaftsmitglied der Keiko, ging zum Sichtfenster und sah auf Uragan hinab. Der Stern des Rasswet-Systems lag in ihrem Rücken, und in Uragan City, ihrem Ziel, stand der vierzehnstündige Tag (da die Bewohner jedoch fast nie natürliches Licht sahen, spielte die Tageslänge allerdings keine Rolle) auf seinem Zenit. Die Atmosphäre des Planeten hatte eine hässliche, gelblich braune Farbe – laut der Anzeigen lag das an den großen Mengen Schwefeldioxids –, die sie direkt an Eiter erinnerte.

»Er sieht vielleicht nicht so toll aus«, räumte Drift ein, »aber wir sind schließlich auch nicht hier, um seine Schönheit zu bewundern. Wir sind geschäftlich hier, und die Arbeit lässt nicht auf sich warten. Und das da auch nicht«, fügte er hinzu und zeigte auf einen bedrohlichen Wolkenwirbel, der sogar aus dem Orbit zu sehen war: der Vorbote eines weiteren zerstörerischen Sturms. »Das ist unser Zeitfenster, meine Damen, und es wird schmaler. Lasst uns rasch Orlows Kontaktmann finden.« Er sah zu Jenna hinüber. »Hast du ein Landefenster?«

»Noch zweiundsiebzig Minuten, bis wir den letzten Teil des Anflugs starten können«, gab Jenna zurück, nachdem sie auf ihren selbst gebauten Rechner am Handgelenk geschaut hatte. »Wenn du willst, kann ich uns auf der Warteliste aber auch ein Stück weiter nach oben bringen.«

»Nein«, sagte Drift entschlossen und schüttelte den Kopf. »Danke für den Vorschlag, aber wir sollten das wenn möglich hinkriegen, ohne Gesetze zu brechen, wegen irgendwelcher unnötiger Sperenzchen möchte ich nichts aufs Spiel setzen.«

Jenna zog eine Braue nach oben. »Sperenzchen?«

»Was denn?«, wehrte sich Drift und sah ein wenig verletzt aus. »Mir gefällt das Wort!«

Jia ließ ihren Drehstuhl zu ihm herumkreisen. »Und wenn es größer wäre, wäre es ein Sperenz?«

»Macht schon.« Rourke klatschte zweimal in die Hände. »Kommt, wir haben eine gute Standardstunde, bis wir in die Atmo eintreten, sprachliche Feinheiten könnt ihr nachher noch auf der Jonah diskutieren.«

In einer Reihe folgten sie den Gängen der Keiko in den Hauptfrachtraum hinab. Dort stand das Shuttle. Jenna kam es jedes Mal wie Platzverschwendung vor, dass die große Halle zu einem guten Teil von einem Shuttle eingenommen wurde, das ein weit geringeres Fassungsvermögen hatte, aber so war es nun einmal. Die Menschheit hatte einen Alcubierre-Antrieb entwickelt, mit dem man die Raumzeit stauchen und um einiges schneller als Lichtgeschwindigkeit fliegen konnte, aber das Gerät hatte die Form eines Bagels und lief um die Taille des Schiffs. Bisher war es noch niemandem gelungen, einen Antrieb zu konstruieren, der nicht auseinanderfiel, wenn man in eine auch nur mittelmäßig dichte Atmosphäre eintrat. Wer auf einem Planeten landen und sich nicht von jemand anderem transportieren lassen wollte, brauchte also ein eigenes Shuttle … und während der Reise zwischen den Sternen musste dieses an Bord untergebracht werden.

Drift drückte die Luftschleuse auf, und sie betraten den Frachtraum. Jenna sah mit Zuneigung, aber auch mit Hass an der grauen und etwas zerbeulten Jonah hinauf. Zwar fühlten sich die beiden Schiffe schon viel mehr wie ihr Zuhause an, doch aufgewachsen war sie auf Franklin Minor, einem Planeten, der wie Neu-Samara nur sehr wenig Terraforming nötig gehabt hatte, ehe er für Menschen bewohnbar geworden war. In den ersten circa zwanzig Jahren ihres Lebens war sie freien Himmel und Wind auf den Wangen gewohnt gewesen. Die Keiko war gerade groß genug, dass sie sich ein wenig wie in einem ihrer alten Universitätsgebäude vorkam, auch wenn hier alles der Zweckmäßigkeit folgte. Die Jonah dagegen war nichts weiter als eine kleine, enge Blechdose im Weltraum.

»Dann also mal wieder in die Rattenfalle, was?«, donnerte eine Stimme. Apirana »Big A« Wahawaha tauchte von hinter dem Shuttle auf. Der große Maori war beeindruckend, um nicht zu sagen einschüchternd. Wahrscheinlich eher etwas über als unter zwei Meter groß und mindestens dreimal so schwer wie Jenna. Mit seinen Händen konnte er Fäuste machen, die fast so groß waren wie ihr Kopf, und die vernarbten Fingerknöchel zeugten von deren Gebrauch in der Vergangenheit. Dazu hatte er noch das Tā Moko, die dunklen, tätowierten Wirbel, die sich über sein Gesicht schlängelten und ihm in Jennas Augen etwas Exotisches verliehen, wenn er ruhig war, aber wahrhaft Furcht einflößend wirkten, wenn er zornig wurde. Und darum ging es in gewisser Weise auch, denn obschon sie ein Zeichen seines maorischen Erbes waren, hatte er sie sich als wilder Teenager verpassen lassen, als er zu einer Bande auf der Alten Erde gehört und als Schläger gearbeitet hatte. Mittlerweile hatte er seine Jähzornigkeit besser im Griff, wenn auch nicht vollständig, doch seine reine Anwesenheit hatte schon manchen Kampf beendet, ehe er überhaupt angefangen hatte.

Für Jennas Geschmack war er von allen Besatzungsmitgliedern auch der beste Gesprächspartner. Sie mochte Drift und war ihm dankbar für seine Bereitschaft, ihr eine Koje und einen Job zu geben, als sie verzweifelt nach einem Weg aus dem Franklin-System hinaus gesucht hatte, doch sein Kopf war sprunghaft. Er huschte unaufhörlich von einem Plan zum nächsten, man konnte ihm nur schwer folgen und schon gar nicht mit ihm Schritt halten. Außerdem verbarg er ein Knäuel an Geheimnissen, und man konnte ihr nicht weismachen, dass seine Vergangenheit als Gabriel Drake bereits sein einziges Geheimnis gewesen sein sollte. Hinzu kam noch, dass er in der Lage war, Leute, falls nötig, völlig skrupellos zu erschießen. Nein, der Captain war beileibe nicht der stets lächelnde Kumpeltyp.

Rourke war ungefähr so durchschaubar und herzlich wie eine Stahlwand. Sie hatte ihre Arbeit als galaktische Geheimagentin für die USNA aus Gründen aufgegeben, die sie nicht verriet, war unglaublich kompetent, aber nicht sonderlich freundlich. Es blieben noch die Geschwister Chang: Jia war meistens ganz nett, verwandelte sich aber in eine tobende Egomanin, wenn es um ihre Flugkünste ging. Kuai hatte sich anscheinend nicht nur von seiner Schusswunde wieder erholt, sondern war auch aus seiner leichten Depression herausgekommen und wieder ganz er selbst, denn er reagierte auf alles wieder mit seinem ihm eigenen, passiv-aggressiven Pessimismus.

»So schlimm ist es auch wieder nicht«, lachte Jenna ganz ehrlich. »Immerhin ist es diesmal nur ein Flug zur Oberfläche.«

»Ein Flug zur Oberfläche, von der es dann aber in einen unterirdischen Bau hinabgeht, in dem alle Russisch sprechen«, erwiderte Apirana und verzog das Gesicht. Als geborener Neuseeländer war auch er unter freiem Himmel aufgewachsen, allerdings hatte er schon mehr Zeit gehabt, sich an geschlossene Räume zu gewöhnen – unter anderem während einer zehnjährigen Haftstrafe auf Farport für diverse Vergehen, die er nicht aufzählen wollte – er ließ lediglich Hinweise auf Gewaltdelikte und Drogenhandel durchblicken.

»Alle einsteigen, auf geht’s«, drängte Drift von hinten, scheuchte sie mit ungeduldigen Armbewegungen und sah sich um, als wolle er sich vergewissern, dass er nichts vergessen hatte. »Haben alle, was sie brauchen?«

»Was brauchen wir denn?«, rief Jia vom oberen Ende der Rampe. »Dachte, das wird ein Zuckerschlecken?«

»Theoretisch schon«, antwortete Drift. »Aber wann ist schon mal etwas so gelaufen wie geplant? Hast du deine Pilotenmütze?«

»Ja.«

»Sehr gut«, strahlte der Captain sie an. »Dann wird alles gut, was?« Dann wanderte sein Blick zu Jenna und zu ihrem rechten Handgelenk, das ungewöhnlich nackt aussah. Normalerweise trug sie dort ein klobiges Metallarmband, das sie zwar überall als Gesundheitstracker ausgab, bei dem es sich aber um ein eigens von ihr entwickeltes Gerät handelte, mithilfe dessen man Elektronik lahmlegen konnte. »Nimmst du deinen EMP nicht mit?«

»Ich bin nicht so scharf drauf, uns in ein unterirdisches Gefängnis zu bringen«, lächelte Jenna ihn an.

»Da bin ich aber froh«, sagte Drift grinsend. »Ich würde mich nicht auf die Notstromrelais in einem Minenkomplex des Red Star verlassen.« Er wandte sich ab und ging die Rampe hinauf. Jenna folgte ihm.

»Du hast ihn in der Tasche, oder?«, sagte Apirana neben ihr leise.

Jenna wäre fast stehen geblieben und musste sich zwingen, nicht zu ihrem Beutel hinunterzusehen. »Ist das so offensichtlich?«

Apirana zuckte mit den Schultern. »Ich bin vielleicht nicht so klug wie du, aber ich höre, wenn jemand ausweichend antwortet. Wundert mich, dass der Captain es nicht gemerkt hat, um ehrlich zu sein, aber der ist wahrscheinlich mit seinen Gedanken woanders.«

»Ich fühle mich einfach besser, wenn ich ihn dabeihabe«, sagte Jenna und versuchte ihre Schuldgefühle zu verdängen. Sie legte die letzten Schritte in den Frachtraum des Shuttles zurück und drückte auf den Schalter, sodass die Rampe hinter ihnen nach oben fuhr. »Ich benutze ihn ja nicht grundlos.«

»Nö, ich weiß«, stimmte Apirana ihr zu. Er lächelte. »Und ich verrate es auch niemandem.«

Ein unverwechselbares, dumpfes Grollen setzte ein, und das Deck vibrierte ein wenig unter ihren Füßen. Kuai hatte die Haupttriebwerke eingeschaltet, was bedeutete, dass sie die Keiko gleich verlassen würden. Über ihnen knisterte der Lautsprecher, bevor Drifts genervte Stimme hinausdrang.

+Jenna? Beweg deinen kleinen Hintern hier hinauf. Die Systeme dieser rücksichtslosen Mistkerle sind alle auf Russisch.+

Jenna runzelte die Stirn und schnappte sich den Hörer im Frachtraum. »Und was ist mit dem Übersetzungsprogramm? Das haben wir auf Neu-Samara doch auch benutzt!«

+Tja, nun, irgendjemand hat da irgendwo draufgedrückt, und jetzt hat es sich anscheinend wieder auf Swahili umgestellt.+

Sie seufzte und schaute Apirana mit verdrehten Augen an. »Muss wohl wieder babysitten. Schnall dich an, nach allem, was ich gehört habe, geht auf Uragan auch dann starker Wind, wenn kein richtiger Sturm darüberfegt, und du weißt ja, wie Jia fliegt.«

»Ich bin schon seit fast sechs Jahren auf dieser Schaluppe, und bisher hat sie mich nicht umgebracht«, schnaubte Apirana, verzog dann aber das Gesicht, als die Jonah vorwärtsschoss und zur Frontluke der Keiko hinausflog. »Aber wenn ich es mir recht überlege …«

Obwohl Jenna noch die Systeme neu anpassen musste, damit alles Nötige für alle zu lesen war, und sich daraus eine kleine Verzögerung ergab, waren sie gut im Zeitplan für den Atmosphäreneintritt. Uragan wuchs unter ihnen an, als Jia sie hinunter in die dichte, feindselige Atmosphäre lenkte. Während ihrer ersten paar Landungen mit der Jonah