Der Sternenstaubdieb - Chelsea Abdullah - E-Book

Der Sternenstaubdieb E-Book

Chelsea Abdullah

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Beschreibung

»Tauchen Sie ein in ein unvergleichlich schönes Abenteuer!« KIRKUS REVIEW »Abdullah zeichnet eine Welt voller Magie, in der alles passieren kann, was man sich erträumt.«BOOKLIST Loulie al-Nazari ist überall bekannt als die Mitternachtshändlerin. Sie jagt illegaler Magie der Dschinn hinterher, um sie auf dem Nachtmarkt teuer zu verkaufen. Eines Tages lässt der Sultan sie verhaften. Sie muss eine verschollene magische Lampe für ihn finden oder sterben. Auf der Reise kreuzt ein Dschinnmörder ihren Weg: der berüchtigte Sternenstaubdieb... Ein betörendes Fantasyepos um eine starke und verletzliche Protagonistin. Seit die Frau des Sultans von einem Dschinn getötet wurde, werden diese im gesamten Land erbittert gejagt. Für Loulie und ihren engen Freund, den Dschinn Qadir, ist der Handel mit deren Magie hoch gefährlich. Und nun müssen sie sich auf die Suche nach der geheimnisvollen Lampe machen. Sie werden begleitet von Prinz Omar und dessen Gehilfin, der Diebin Aisha. Aber Loulie weiß nicht, dass Omar die Gestalt mit anderen Menschen tauschen kann. Nicht nur die Wüste birgt Gefahr, sondern auch manches Mitglied der Karawane… Ein Fantasy-Epos um eine gleichermaßen starke wie verletzliche Protagonistin, eingebettet in eine betörende Erzählung und von den leuchtenden Farben einer fernen Welt durchdrungen.

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Seitenzahl: 727

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Dies ist der Umschlag des Buches »Der Sternenstaubdieb« von Chelsea Abdullah, Urban Hofstetter

Chelsea Abdullah

Der Sternenstaubdieb

The Sandsea Chronicles

Aus dem Amerikanischen von Urban Hofstetter

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe zum Zeitpunkt des Erwerbs.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH

Rotebühlstr. 77, 70178 Stuttgart

[email protected]

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Stardust Thief. The Sandsea Trilogy: Book One« im Verlag Orbit, New York

© 2022 by Chelsea Abdullah

Published by arrangement with Chelsea Abdullah

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für die deutsche Ausgabe

© 2025 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte sowie die Nutzung des Werkes für Text und Data Mining i. S. v. § 44 b UrhG vorbehalten

Cover: Birgit Gitschier, Augsburg

unter Verwendung der Daten des Originalverlags und einer Illustration des Originalverlags von Mike Heath / Magnus Creative, © 2022 Hachette Book Group, Inc.

Karte: © Tim Paul

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-96613-8

E-Book ISBN 978-3-608-12395-1

Für meine Mutter, die meine Liebe zu Worten gefördert und mich zum Schreiben animiert hat.Für meinen Vater, der mir die Bedeutung überlieferter Geschichten nahegebracht hat.Und für meine Schwester, die mich immer um »nur noch eine« Geschichte gebeten hat. Dies hier ist für euch.

Glossar der arabischen Wörter und Wendungen in alphabetischer Reihenfolge

Die Geschichte des Dschinns

An einem unbekannten Ort vor nicht allzu langer Zeit gehörte unsere Welt den Dschinn, jenen verdammten Kreaturen, die unsere Wüste wie Geister durchstreifen. Im Gegensatz zu uns Menschen, die aus Erde geformt wurden, schufen die Götter die Dschinn aus einer uralten Flamme, sodass sie Hunderte Jahre lebten und magische Kräfte besaßen. Deswegen können einige Dschinn ihre Gestalt verwandeln und andere Feuer spucken oder im Handumdrehen bis ans andere Ende der Welt reisen.

Eine Weile taten die Dschinn, was die Götter ihnen auftrugen: Sie sorgten liebevoll für die Welt, die ihnen übertragen worden war, und es herrschte Frieden. Doch während die meisten Dschinn den Göttern dankbar waren, gab es sieben Dschinn-Könige, die sich mit ihrer eingeschränkten Magie nicht zufriedengaben. Und sie zeigten ihren Missmut, indem sie das Land verheerten. Sie schufen Winde, die so heftig waren, dass sie das Wasser aus Seen und Ozeanen bliesen, und Flammen, die so heiß loderten, dass sie Felder und Gräser verbrannten und nichts als Sand zurückließen.

Als die Götter sahen, welche Verwüstungen die Könige anrichteten, gaben sie ihnen zur Strafe, was sie sich am meisten ersehnten: Sie machten ihre Magie so stark, dass sie nicht mehr zu kontrollieren war und Löcher in den Sand brannte, in denen die Städte der Dschinn versanken. Und so verschwanden die Dschinn aus dieser Welt.

Anschließend erschufen die Götter uns Menschen. Wir mögen keine Magie besitzen und sterblich sein, doch wir sind ihre ergebenen Diener.

Einige sind der Ansicht, dass wir diese Ergebenheit dazu nutzen müssen, um dieser kargen Welt wieder zu alter Blüte zu verhelfen. Sie sagen, dass es nur dank der Jäger, die entflohene Dschinn fangen und den Göttern opfern, noch immer ein wenig Natur in der Welt gibt. Sie behaupten, das silberne Blut der Dschinn strotze vor Leben – dass es Sand in Wasser verwandeln könne und Bäume und Blumen gedeihen lasse.

Doch so hasserfüllt muss unser Glaube nicht sein.

Merke dir, Layla: Nicht alle Dschinn sind böse.

Loulie hatte vieles verloren, seit ihre Mutter ihr diese Geschichte zum letzten Mal erzählt hatte.

Ihren Namen. Ihre Vergangenheit. Ihre Eltern.

Doch diese Geschichte vergaß sie nie.

1

Loulie

Als der einäugige Händler Loulie al-Nazari auf eine kleine und bescheidene Barke bestellte, rechnete sie verständlicherweise mit einer kleinen und bescheidenen Barke. Doch die Barke war weder klein, noch war sie bescheiden. Ganz im Gegenteil.

Die Aysham war ein gigantisches, voll aufgetakeltes Schiff mit einem geräumigen Deck, einer beeindruckenden Zahl an Kabinen und einem in luftiger Höhe angebrachten Krähennest. Es war ein in jeder Hinsicht ansprechendes Gefährt. Wäre sie als Passagierin gekommen, sie hätte es gern erkundet.

Doch Loulie war nicht als Passagierin hier, sondern als Mitternachtshändlerin, eine angesehene Verkäuferin magischer Waren. Und sie war gekommen, um sich mit einem Kunden zu treffen, der sie nun schon seit geraumer Zeit hinhielt. Ich werde dich in der ersten Stunde nach Mondaufgang zu einem Gespräch bitten, hatte seine Nachricht gelautet. Diese Stunde war inzwischen jedoch vorbei, und Loulie wartete noch immer an Deck auf ihn, in ihrer mit Sternen übersäten Händlerinnenrobe, in der sie auffiel wie ein bunter Hund.

Sie kehrte den gaffenden, gut gekleideten Passagieren den Rücken und betrachtete missmutig den Horizont. Dass die Nacht finster war und sie keine vertrauten Sternbilder am Himmel sah, machte sie noch mürrischer. »Ich wünschte, du wärest in deiner Eidechsengestalt«, sagte sie seufzend – nicht zum ersten Mal – zu dem Mann neben ihr.

Er wandte ihr den Kopf zu. Obwohl seine Miene wie versteinert wirkte, nahm Loulie einen leichten Höhenunterschied zwischen seinen Augenbrauen wahr und war sich ziemlich sicher, dass er gerade eine von ihnen hochgezogen hatte. »Und inwiefern würde uns das in dieser Situation helfen?«

»Du könntest dich nach unten schleichen und die Kabine unseres Kunden suchen. In deiner Menschengestalt nützt du uns nichts.«

Der Mann mit dem umbrabraunen Teint erwiderte nichts, doch sein Schweigen war leicht zu entschlüsseln. Loulie kannte ihn seit neun Jahren – lange genug, um mit all seinen Eigenarten und magischen Fähigkeiten vertraut zu sein. Es überraschte sie nicht mehr, wenn er die Gestalt veränderte oder Flammen in seinen Augen tanzten, wenn er aufgewühlt war. Im Moment war er still, weil er wusste, dass ihr nicht gefallen würde, was er zu sagen hatte.

»Wir bieten diesem Mann Magie an«, fuhr Loulie fort. »Da könnte er doch wenigstens pünktlich sein zu dem Treffen, das er selbst vorgeschlagen hat.«

»Mach dir darüber nicht allzu viele Gedanken. Es kommt, wie es kommt.«

»Welch weiser Ratschlag, o mächtiger Dschinn«, murmelte sie so leise, dass es außer ihm niemand hören konnte.

Qadirs Lippen verzogen sich zu einem leisen Lächeln. Der Dschinn genoss es, mit ihr zu spielen. Er war der Einzige, der es sich erlauben konnte.

Loulie war drauf und dran, in das Innere des Schiffes einzubrechen, als sie plötzlich sich nähernde Schritte hörte. Sie wandte sich um und sah einen Mann in einem weißen Gewand näher kommen.

»Mitternachtshändlerin.« Er verbeugte sich. »Rasul al-Jasheen hat mich geschickt. Ich soll dich zum Treffpunkt bringen.«

Loulie und Qadir wechselten einen Blick. Ich habe dir doch gesagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, schien seine unbewegte Miene auszudrücken.

»Das wird auch Zeit.« Sie deutete auf Qadir. »Dieser Mann ist mein Leibwächter.«

Der Bote nickte und führte sie durch eine Ansammlung farbenfroh gekleideter Adliger zu einer halb verborgenen Tür auf der anderen Seite des Schiffs. Er klopfte in einem bestimmten Rhythmus, worauf ein stämmiger Mann ihnen aufmachte und sie einen schwach beleuchteten Korridor entlangführte. Am Ende des Korridors klopfte der Bote in einem anderen Rhythmus an die Tür. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, der Bote machte die Tür auf und winkte sie hinein.

Loulie sah Qadir an. Nach dir, bedeutete ihr sein stummer Blick. Lächelnd trat sie mit gesenktem Kopf ein.

Das Erste, was sie wahrnahm, waren die drei Söldner, die in verschiedenen Ecken der kleinen Kabine Stellung bezogen hatten. Im Gegensatz zu den Adligen an Deck trugen sie keine bunten Gewänder, dafür aber viele Waffen.

Vor ihrem inneren Auge blitzten die Bilder eines mörderischen Blutvergießens auf. Ihre Mutter, die voll Angst auf ein leeres Gefäß deutete und sie anwies, sich darin zu verstecken. Ihr Vater, in seinem eigenen Blut liegend.

Sie beruhigte sich mit einem tiefen Atemzug und sah zur Mitte der Kabine, wo hinter einem flachen Tisch ein grün gewandeter Händler auf einem Kissen saß. Wie sein Spitzname andeutete, hatte Rasul al-Jasheen nur noch ein einziges schlammbraunes Auge. Das andere schimmerte weiß zwischen vernarbten Hautfalten hindurch. Seine Nase sah aus, als wäre sie viele Male gebrochen und neu aufgerichtet worden. Seine Stirn war beeindruckend und zugleich unvorteilhaft groß. Er kam Loulie vage bekannt vor. Vielleicht war sie schon mal auf irgendeinem Souk an seinem Stand vorbeigegangen.

Die Lippen des Händlers teilten sich zu einem strahlenden Lächeln aus goldenen, bronzenen und weißen Zähnen. »Mitternachtshändlerin, ich freue mich, dich zu sehen. Entschuldige, dass ich dich jetzt erst gerufen habe. Ich hatte wichtige Gäste.« Er musterte sie von Kopf bis Fuß.

Loulie wusste, was er sah: eine kleine, zerbrechlich wirkende Frau, die in blaue Samtschals mit zarten weißen Tupfen gehüllt war. Dieses Muster hieß Sternenstaub und war die Tracht ihres Stammes. Loulie war eine Najima – eine Nachtschwärmerin.

Erwartungsgemäß betrachtete er ihr Gesicht länger als ihr Gewand. Die meisten Männer in diesem Gewerbe versuchten, sie einzuschüchtern, indem sie ihr direkt in die Augen blickten.

Es funktionierte nie.

»Bitte« – er deutete auf das Kissen auf der anderen Seite des Tischs – »setz dich doch.«

Loulie sah zu Qadir zurück, der noch immer neben der Tür stand. Der Händler hatte ihn nicht zur Kenntnis genommen, doch die Söldner beäugten ihn misstrauisch. Qadir wirkte nicht beunruhigt. Doch das tat er ohnehin kaum je.

Loulie nahm Platz.

Der Händler reichte ihr die Hand. »Rasul al-Jasheen. Es ist mir eine Ehre.«

»Loulie al-Nazari«, erwiderte sie und zog die Hand rasch wieder zurück, da ihr nicht gefiel, wie er ihre eisernen Ringe musterte.

»Ich muss zugeben, ich habe nicht damit gerechnet, dass du so … jung bist.«

Ach ja, zwanzig ist ja auch wirklich sehr jung, dachte sie und lächelte ihn freundlich an. Laut sagte sie: »Du bist dagegen genau so, wie ich mir dich vorgestellt habe. Nur ein Auge und so weiter.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann begann der Händler zu ihrem Erstaunen zu lachen. »Ja, daher kommt mein Spitzname. Und wie du dir denken kannst, ist das auch der Grund, warum ich dich heute Abend herbestellt habe. Ich nehme an, du hast die Magie, um die ich dich gebeten habe?«

Loulie nickte.

Rasul räusperte sich. »Also gut, dann lass mal sehen.«

Sie griff in die Tasche ihrer Robe und holte eine Münze hervor. Der Händler sah skeptisch zu, wie sie sie durch die Finger wandern ließ. Von seinem Platz aus konnte er die Gesichter auf den beiden Seiten nicht erkennen: einen Dschinn-Krieger auf der einen und einen menschlichen Sultan auf der anderen. Jedes Mal, wenn die Münze zwischen Loulies Fingern auftauchte, wies ein anderes nach oben.

Mensch, Dschinn, Mensch, Dschinn.

»Muss ich dich an unsere Vereinbarung erinnern?«, fragte Loulie und hielt die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.

Rasul runzelte die Stirn. »Ich habe dich im Voraus bezahlt.«

»Das war nur ein Vorschuss. Nun ist die zweite Hälfte fällig.«

»Ich werde nicht für eine Magie zahlen, die ich noch nicht gesehen habe.«

Loulie bemühte sich, die bohrenden Blicke der bewaffneten Männer ringsum zu ignorieren. Solange Qadir hier ist, kann mir nichts passieren, dachte sie.

Sie zuckte mit den Schultern und griff in ihre Umhängetasche. Qadir nannte sie die bodenlose Tasche, da sie scheinbar keinen Boden hatte. »Wenn du nur glaubst, was du siehst …« Loulie zog eine Phiole heraus. Sie war klein, nicht größer als einer ihrer Finger. Als der einäugige Händler die glitzernde Flüssigkeit darin sah, griff er danach.

Doch Loulie ließ sie in einem Ärmel verschwinden. »Zuerst will ich die zweite Rate haben.«

»Nach allem, was ich weiß, könnte das auch Wasser sein!«

»Na und? Wenn es so ist, holst du dir dein Gold einfach wieder zurück.« Sie deutete auf die Bewaffneten in der Kabine. »Die sollen doch dafür sorgen, dass der Austausch wie geplant vonstattengeht, oder etwa nicht?«

Der Händler kniff die Lippen zusammen und schnippte mit den Fingern. Einer der Männer gab ihm einen Beutel, den er wiederum Loulie reichte. Sie sah kurz hinein und warf, um sicherzugehen, dass sie nicht betrogen wurde, die Münze mit den zwei Gesichtern. Sie landete auf der menschlichen Seite. Wahrheit. Zufrieden hielt sie dem Händler die Phiole hin. »Hier, bitte schön: das wiederbelebende Elixier.«

Er entriss ihr das Fläschchen, und Loulie sah lächelnd zu, wie er sich an dem Korken zu schaffen machte. Er war so aufgeregt, dass seine Hände zitterten.

Wenn er wüsste, wie leicht diese Magie zu finden war, dachte sie.

Ihr Blick glitt zu Qadirs gewohnt ausdrucksloser Miene. Ob er sich wohl ein süffisantes Lächeln verkniff? Für die Dschinn ist es Blut, für die Menschen Medizin, hatte er gesagt, als sie ihm von Rasuls Bestellung erzählte.

Warum die Menschen Dschinn-Blut als wiederbelebendes Elixier bezeichneten, zeigte sich, als der einäugige Händler den silbrigen Inhalt der Phiole in sein verletztes Auge träufelte. Loulie sah zu, wie ihm glitzernde Tränen an den Wangen herabrannen und seine Haut zum Leuchten brachten. Dieser Effekt war nur vorübergehend, doch die Veränderung an seinem blinden Auge war dauerhaft.

In der Mitte seiner weißen Iris erblühte etwas Dunkles, wie ein schwarzer Tintenklecks, der sich auf einem Pergament ausbreitet. Mit jedem Blinzeln vergrößerte sich der Fleck und wurde schließlich dunkelbraun.

Medizin fürwahr.

Einen Moment später quollen dem Händler nicht nur das Elixier, sondern auch Tränen aus den Augen. Die Söldner konnten ihr Erstaunen nicht verbergen, als Rasul sie mit beiden Augen fixierte.

»Gepriesen seien die Götter«, flüsterte er.

Loulie grinste. »Ist es den Preis wert?«

»So ein Wunder ist unbezahlbar.« Rasul rieb sich über das tränennasse Gesicht, sorgfältig darauf bedacht, sein wiederbelebtes Auge nicht zu berühren. »Ich werde dich in meine Gebete einschließen, Loulie al-Nazari.«

Loulie neigte den Kopf. »Und ich dich in meine. Darf ich dir noch einen Rat geben?«

Rasul sah sie an.

»Du solltest dir einen neuen Spitznamen einfallen lassen. Der Einäugige klingt ein wenig melodramatisch.«

Der Händler prustete los, und Loulie stellte erstaunt fest, dass sie mit ihm lachte. Nachdem Rasul sie noch eine Weile gepriesen und zu einem prächtigen Festmahl später am Abend eingeladen hatte, verließ sie mit Qadir die Kabine.

Zurück im Korridor hob der Dschinn eine Hand, um ihr die verkrustete Wunde zu zeigen, die er sich vor ein paar Tagen selbst beigebracht hatte.

Shukran, o heiliges, unbezahlbares Wunder, formte Loulie lautlos mit den Lippen.

Qadir zuckte mit den Achseln und schien sich nun tatsächlich ein Lächeln zu verkneifen.

***

Mama und Baba sind tot. Immer wieder gingen Layla diese Worte durch den Kopf. Sie bemühte sich, an etwas anderes zu denken, doch es ließ sich nicht verdrängen.

Hätte der Dschinn sie nicht durch die Wüste geschleift, wäre sie schon längst ihrem Kummer erlegen. Er trieb sie unnachgiebig vorwärts, auch wenn sie sich vor Erschöpfung kaum noch bewegen konnte. Anfangs war sie deswegen auf ihn wütend – und fürchtete ihn.

Doch diese Furcht verblasste nach einer Weile und wich widerwilliger Resignation. Was spielte es schon für eine Rolle, wohin der Dschinn sie brachte? Er hatte ihr erzählt, der Kompass, den ihr Vater ihr gegeben hatte, weise ihnen den Weg zu einer Stadt, doch auch diese Stadt war ihr gleichgültig.

Ihr war alles egal.

Viele Sonnenaufgänge später brach sie zusammen. Sie wollte weinen, doch ihre Brust war zu schwer und ihre Augen zu trocken. Der Dschinn wartete geduldig. Als sie nicht wieder aufstand, setzte er sie sich auf die Schultern und zwang sie dazu, sich an ihm festzuklammern, während er eine Felswand erklomm.

In dieser Nacht zog der Dschinn, nachdem er mit einem Fingerschnippen ein Feuer entfacht hatte, eine Münze aus der Tasche und legte sie sich auf die Handfläche.

»Sieh zu.« Er machte eine Faust, und als er sie einen Moment später wieder öffnete, war die Hand leer.

Layla war fasziniert. Sie fragte ihn, ob das Magie sei.

Der Dschinn schloss und öffnete die Finger erneut, und die Münze war wieder da. »Ein Trick«, sagte er.

Layla sah sich die Münze genauer an. Auf die eine Seite der fremdländisch wirkenden Münze war das Gesicht eines menschlichen Sultans aufgeprägt, auf die andere ein von Flammen umkränzter Dschinn. »Es gibt zwei Länder auf der Welt«, sagte Qadir. »Das der Menschen und das der Dschinn. Sie sind wie die zwei Seiten dieser Münze.«

Er ließ die Münze zwischen seinen Fingern verschwinden und wieder auftauchen, so schnell, dass sie seinen Bewegungen nicht folgen konnte. »Das hier ist zwar nur ein Trick, doch die Münze selbst ist tatsächlich magisch. Sie wird dir verraten, ob etwas objektiv wahr oder moralisch aufrichtig ist.« Er legte Layla die Münze auf die Handfläche. »Versuche es selbst. Wenn du sie hochwirfst und sie landet mit der menschlichen Seite nach oben, lautet die Antwort Ja. Ist der Dschinn zu sehen, bedeutet das Nein.«

Noch vor wenigen Tagen hätte Layla nicht an die Magie dieser Münze geglaubt. Doch seither war viel geschehen, und sie war nicht mehr so naiv.

»Meine Familie ist tot«, flüsterte sie und warf die Münze.

Sie landete mit der menschlichen Seite nach oben.

Layla atmete aus und versuchte es erneut. »Ein Dschinn hat mir das Leben gerettet.«

Wieder der Mensch.

Tränen traten ihr in die Augen, während die Münze immer wieder den Menschen zeigte und ihre neue Realität bestätigte. Wahrheit. Wahrheit. Wahrheit.

»Ich bin allein.« Ihre Schultern bebten vor Schluchzen, als sie Münze warf. Sie prallte von ihrem Knie ab und rollte weg, zurück zum Dschinn. Qadir betrachtete sie einen Moment lang schweigend, dann hob er sie auf und legte sie Layla auf die Hand.

Der Dschinn lag oben.

Qadir schloss ihre Finger um die Münze. »Du bist nicht allein«, sagte er. »Nicht mehr.«

***

Als Loulie am nächsten Morgen tief in Gedanken erneut das Deck der Aysham betrat, ließ sie die Münze mit den beiden Gesichtern wieder und wieder zwischen ihren Fingern verschwinden. Die Menschenansammlung vom Vorabend hatte sich aufgelöst, und die Seeleute achteten nicht auf sie, während sie in ihrer schlichten braunen Kleidung an ihnen vorüberging. Anstatt der Tücher, die ihr Gesicht verborgen hatten, hatte sie sich nur einen dünnen Schal um Kopf und Schultern gewickelt, um die Sonne auf ihren Wangen spüren zu können. Wie immer war es eine Erleichterung für sie, nach einem erfolgreichen Geschäft ihr Händlergewand ablegen und anonym bleiben zu können.

Der vertraute, verschwommene Umriss von Madinne entspannte sie ebenfalls. »Siehst du sie, Qadir?«, fragte sie lächelnd.

Der Dschinn, der inzwischen seine Eidechsengestalt angenommen hatte, verlagerte sein Gewicht auf ihrer Schulter und summte sanft seine Zustimmung.

Loulie trat dichter an die Reling. Trotz des orangefarbenen Sandschleiers schien die Sonne so hell, dass sie die unterschiedlichen Ebenen der Wüstenmetropole Madinne ausmachen konnte. Ganz oben stand der Sultanspalast, der seine wunderschönen weißen Zwiebeltürme und Minarette dem Himmel entgegenreckte. Er war ringsum von farbenfrohen Bauwerken umgeben – hochaufragenden und eingeschossigen Stein- und Holzkonstruktionen mit gewölbten oder flachen Dächern. Und inmitten dieser Gebäude in einem Geflecht aus verwinkelten Gässchen befand sich ihr Zuhause.

»Wie es wohl Dahlia geht?« Qadirs Stimme, die in dieser kleineren Gestalt viel leiser war, erklang direkt neben ihrem Ohr.

»Keine Ahnung, aber es wird ihr auf jeden Fall viel besser gehen, wenn wir unsere ausstehende Miete bezahlen.«

Qadir machte ein klickendes Geräusch – Layla war noch immer nicht sicher, ob er es mit der Zunge oder mit den Zähnen erzeugte – und sagte: »Ja, und wir schulden ihr ungefähr genauso viel, wie wir in der Tasche haben.«

»Ich werde ihr nicht unsere gesamten Einkünfte überlassen.«

»Vergiss nicht, dass wir die letzten Münzen mit meinem Blut verdient haben.«

Loulie unterdrückte ein Lächeln und blickte über die Schulter zu den Matrosen. Obwohl die Männer alles andere als anmutig wirkten, bewegten sie sich wie Tänzer, während sie das Schiff routiniert zum Anlegen vorbereiteten.

»Möchtest du, dass ich dein Blutgeld behalte?«

»Ich brauche euer menschliches Gold nicht«, zischte Qadir.

»Oh, das ist aber schade. Und ich dachte schon, du würdest es gerne für Wein, Weib und Gesang ausgeben. Deine Gedenkmünzen werden die Händler jedenfalls sicher nicht akzeptieren.« Sie warf einen Blick auf die Münze mit den zwei Gesichtern zwischen ihren Fingern.

»Loulie?«

»Mhm?« Sie steckte die Münze in die Tasche zurück.

»Ich höre jemanden über den Sultan sprechen.«

Mit einem leisen Seufzer drehte Loulie sich um und sah, dass sie nicht nur von Matrosen, sondern auch von ein paar vereinzelten Menschengruppen umgeben war. Obwohl der Sultan sie nicht sonderlich interessierte, überquerte sie mit ausdrucksloser Miene das Deck, um die Gespräche zu belauschen. Als gesuchte Verbrecherin konnte sie es sich nicht leisten, die Gerüchte über den Herrscher von Madinne zu ignorieren.

Sie bekam mit, wie zwei Matrosen ihre mit Schimpfwörtern gespickten Ansichten kundtaten und zwei andere sich heimlich ihre verbotene Liebe gestanden. Außerdem wurde sie Zeugin eines eigenartigen Rätselspiels, doch über den Sultan vernahm sie nichts.

Als sie die Hoffnung schon aufgeben wollte, erblickte sie Rasul al-Jasheen. Er sprach mit einem Mann, der eine Wächteruniform trug. Loulie wandte den Blick ab und ging langsamer, um sich den beiden möglichst unauffällig zu nähern.

»Die Ratgeber des Sultans sind außer sich«, sagte der Wächter gerade.

Rasul schnaubte. »Wieso schickt er nicht den Kronprinzen auf die Suche nach dem Relikt?«

Der Wächter sah in Loulies Richtung. Die fasste schnell einen Matrosen am Arm und fragte ihn mit freundlichem Lächeln, ob er wisse, an welchem Pier sie anlegen würden. Der Mann antwortete, doch sie hörte nicht zu. Nicht ihm jedenfalls.

»Kann es so einen Schatz wirklich geben?«, fragte Rasul.

»Den Gerüchten zufolge hat die verstorbene Frau des Sultans das Artefakt in einer ihrer Geschichten erwähnt.«

Loulie dankte dem Matrosen und wandte den Kopf ein wenig zur Seite, um Rasuls Antwort mitzubekommen.

»Armer Mann. Hält er Shafias Geschichten wirklich für wahr?«

Der Wächter zuckte mit den Achseln. »Ja, vielleicht. Immerhin haben sie ihn von weiteren Morden abgehalten.« Die beiden verfielen in ein bedrücktes Schweigen. Alle Wüstenbewohner wussten, dass der Sultan eine ganze Reihe von Ehefrauen umgebracht hatte, und jeder kannte Shafia, die dieser Mordserie ein Ende bereitet hatte. Sie war ebenso legendär wie ihre Geschichten.

»Seine Majestät glaubt, dass eine ihrer Geschichten eine Information enthält, die ihm den Sieg über die Dschinn bescheren wird.«

»Über die Dschinn? Die sind doch wie die Fliegen. Man kann sie ganz sicher nicht alle umbringen.« Rasul senkte die Stimme vorübergehend zu einem Murmeln, und als der Wind die Unterhaltung der beiden Männer wieder zu Loulie herüberwehte, wechselten sie gerade das Thema.

»Aber erzähl mir von diesem Wunder!«, sagte der Wächter. »Ich habe gehört, dass dir die Mitternachtshändlerin das Elixier persönlich gebracht hat. Hast du eine Ahnung, wie sie es beschafft hat?«

»Nein. Und wenn ich es wüsste, wäre es wahrscheinlich kein Wunder mehr.« Rasul lachte. »Nichtsdestotrotz danke ich den Göttern für mein Glück. Ich habe gar nicht wirklich daran geglaubt, dass sie meinen Auftrag annehmen würde.«

Qadir seufzte Loulie ins Ohr. »Wieso danken die Menschen den Göttern immer für Dinge, mit denen die überhaupt nichts zu tun haben?«

»Weil sie Idioten sind, die an das Schicksal glauben«, erwiderte Loulie verbittert. Falls diese Götter wirklich existierten, hatten sie nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ihre Familie ermordet worden war.

Sie sah über die Schulter zu der hochaufragenden Stadt. Mittlerweile war sie so nahe, dass Loulie am Hafen Menschen ausmachen konnte, die ihnen zuwinkten. Sie machte sich auf den Weg zum Bug, um besser sehen zu können.

»Schade, dass sie nicht mehr da ist«, sagte der Wächter hinter ihr. »Ich hätte diese legendäre Händlerin gern gesehen.«

»Sie war sehr scharfzüngig«, seufzte Rasul, »aber wunderschön. Wäre sie gestern Nacht nicht verschwunden, hätte ich sie dazu überredet, mit mir in Madinne zu Abend zu essen. Stell dir nur mal vor, wie es wäre, die Mitternachtshändlerin am Arm zu haben.«

Nun freute Loulie sich noch mehr darüber, dass sie an diesem Morgen ihr Händlerinnengewand abgelegt und sich den Kajal von den Augen gewischt hatte. Hätte der vormals einäugige Händler sie zum Abendessen eingeladen, um sich mit ihr zu schmücken, hätte sie ihm eine verpasst.

»Der Sultan sucht also nach einem Relikt«, flüsterte Qadir ihr ins Ohr. »Glaubst du, wir können es finden, bevor er seine Spürhunde darauf ansetzt?«

Loulie blieb am Bug stehen und blickte schweigend zur Stadt hinauf. Sie breitete die Arme aus und spürte, wie der Wind an ihren Ärmeln zerrte. Qadir war klug genug, sie in Ruhe zu lassen. Später würden sie wieder über Relikte, Gold und Magie sprechen, doch vorerst war ihr das alles einerlei. Im Moment zählte nur eines. Die ganze Welt fokussierte sich auf eine einzige, schlichte Wahrheit:

Sie war wieder zu Hause.

2

Mazen

Da Mazen bin Malik von seinem vertrauenswürdigsten Diener erfahren hatte, dass sein älterer Bruder bei Sonnenuntergang zurückkehren wollte, rechnete er natürlich nicht damit, ihn schon früher wiederzusehen.

Omar kam nie vormittags von der Jagd wieder, und die Nachmittage verbrachte er zumeist bei seinen Räubern. Und so war Mazen, als Omar die Tür zu dessen Schlafzimmer aufstieß, gerade dabei, durch das Fenster hinauszusteigen. Als Omar eintrat, kam Mazen der Gedanke, dass es ein folgenschwerer Fehler gewesen war, nicht mit einer früheren Rückkehr seines Bruders zu rechnen.

Mazen stellte sich den Anblick vor, den er Omar bot: Er, der jüngste Sohn des Sultans, versuchte, sich am helllichten Tag in schlichter Kleidung aus seinem Schlafzimmer zu stehlen. Als man ihn das letzte Mal in einer ähnlichen Situation erwischt hatte, war er noch ein Kind gewesen und hatte sich auf seine Abenteuerlust herausgeredet. Aus dem Mund eines Zweiundzwanzigjährigen klängen diese Ausflüchte sicher nicht mehr so süß wie damals.

Mazen räusperte sich. »Salaam, Omar.«

Omar zog eine seiner Brauen so weit hoch, dass sich seine Stirn runzelte. »Salaam, Mazen.«

»Wie war deine Jagd?«

»Doppelt erfolgreich.« Omar deutete auf seine Kleidung: Sein besticktes Hemd steckte in einer Pumphose, die von einem Gürtel mit Messerkerben festgehalten wurde. Der silberschimmernde Lebenssaft der Dschinn sah eher wie Sternenstaub als wie Blut aus.

»Du glitzerst wie der Mond, mein Bruder«, sagte Mazen mit aufgesetztem Lächeln.

»Obwohl ich deine Schmeicheleien durchaus zu schätzen weiß, möchte ich noch lieber die Wahrheit hören.« Omar schloss die Tür hinter sich. »Vielleicht wäre es besser, wenn du wieder hereinkommst, damit wir uns unterhalten können.«

»Aber drinnen ist es so stickig …«

»Weiß Vater, dass du dich davonschleichst?«

Mazen erstarrte. Nein, sein Vater wusste natürlich nichts davon. Wenn der von Mazens heimlichen Ausflügen erführe, würde er ihn für immer in diesem Zimmer einsperren. Im Palast gefangen zu sein, war schon schlimm genug, doch ganz allein in seinem Zimmer würde Mazen auf keinen Fall überleben.

Er zwang sich zu einem Lachen. »Ich wollte mich doch nicht rausschleichen! Ich habe nur etwas frische Luft geschnappt.«

»Indem du dich gefährlich weit aus dem Fenster baumeln lässt?«

»Nein, das ist gar nicht gefährlich. Der Vorhang ist erstaunlich stabil.«

»Du schleichst dich wohl öfter davon, hm?« Omar kam, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, näher.

Mazen warf einen Blick auf die Messer an Omars Gürtel und schluckte. Das kleine Kind in ihm, das noch immer Angst vor seinem Bruder hatte, sorgte sich, dass Omar mit einer dieser Klingen den Vorhang durchschneiden könnte.

»Was hast du vor? Bist du mit einer Frau verabredet?« Omar blieb am Sims stehen und beugte sich vor, bis sein Lächeln nur noch wenige Zoll von Mazens Gesicht entfernt war. »Willst du eine Besichtigungstour machen? Oder planst du irgendeine Schandtat?«

»Nichts von alledem!« Mazen umklammerte den Vorhang noch fester. »Ich habe … nur Gerüchte gehört, dass heute der Alte Rhuba nach Madinne zurückkehrt.«

Omar sah ihn ausdruckslos an. »Du machst dich davon, um dir die Geschichten eines alten Mannes anzuhören?«

»Er kommt von den Weißen Dünen, Omar. Den Weißen Dünen. Du weißt ja, was man sich über den Sand dort erzählt … dass er aus der Asche von Ghulen bestehe, die …«

»Von mir aus.« Omar trat seufzend einen Schritt zurück. »Geh nur und hör dir das Gefasel alter Männer an.«

Mazen blinzelte. »Wirst du es denn nicht Vater erzählen?«

»Das hier wird unser Geheimnis bleiben.« Omar lächelte. »Aber natürlich kostet dich das was.« Bevor Mazen protestieren konnte, hob er eine Hand. »Du hast gar keine andere Wahl. Entweder erkaufst du dir mein Schweigen, oder ich spaziere jetzt gleich durch diese Tür und informiere den Sultan über deine Eskapaden.«

Mazen verschlug es den Atem. Er hatte keine Ahnung, mit was sein Bruder ihn erpressen wollte, doch er hätte lieber hundert Abmachungen mit Omar getroffen, als dem Sultan die Wahrheit zu sagen – dass er, ein Prinz, gegen seinen ausdrücklichen Befehl ohne Geleitschutz den Palast verließ und sich unbewacht in die angeblich vor Dschinn nur so wimmelnden Straßen begab.

»Denk dran, Mazen. Eine Hand wäscht die andere. Du schuldest mir was, Akhi.« Omar bedachte ihn mit einem letzten Lächeln, bevor er den Raum verließ und die Tür hinter sich zuzog.

Mazen sah seine unheilvoll gekräuselten Lippen noch immer vor sich, während er durch den Palastgarten schlich. Er versuchte sich abzulenken, indem er sich auf all die Wunder um ihn herum konzentrierte, doch seine Sorgen trübten ihre Herrlichkeit. Die von weißen Rosen gesäumten Pfade kamen ihm auf einmal farblos und langweilig vor, und der wunderschöne Brunnen aus tanzenden Glasfiguren schien nicht so prächtig in der Sonne zu funkeln wie sonst. Selbst die Heckenskulpturen, die wie Fabelwesen aus den Geschichten seiner Mutter gestaltet waren, ließen ihre übliche Pracht vermissen.

Mazen passierte all diese Sehenswürdigkeiten wie ein Geist in seinem schlichten Hemd und der dazu passenden Hose. Die verschlungenen Gartenpfade führten ihn vorbei an Bächen voll bunter Fische und durch leere Pavillons mit komplex gemusterten Decken. Die mit Kissen belegten Bänke darin waren leer und würden es noch eine ganze Weile bleiben, bis die Ratgeber des Sultans ihre politischen Debatten unterbrachen und sich hierher zurückzogen, um den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Dieser Gedanke machte Mazen nervös, da er seinen Ausflug so gelegt hatte, dass ihn bei Hofe niemand vermissen würde. Er vertraute auf seinen Plan, musste nun aber hoffen, dass Omar Wort halten und ihn nicht bei seinem Vater anschwärzen würde.

Nervös näherte er sich dem Dienstboteneingang. Beim Anblick des Mannes, der das silberne Tor bewachte, besserte sich seine Laune jedoch sofort. Es war derjenige, den er erwartet hatte, und so konnte er sich den Weg nach draußen erkaufen. Mazen versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie angespannt der Wächter wirkte, als er ihn passieren ließ, und wie hektisch er seine Münzen einsteckte.

Wir haben alle unsere Bedürfnisse, dachte er. Ich muss aus dem Palast entkommen, und er braucht Gold für sein Kind, das demnächst zur Welt kommt. Es war ein ehrenhafter Handel.

Der erhöht gelegene Teil von Madinne, auf dem sich der Palast und das Adelsviertel befanden, war nur eine kleine Oase über der Ebene, auf der sich die Stadt ausbreitete, und so fiel es ihm nicht schwer, zum Souk der einfachen Leute im Unteren Viertel zu gelangen. Die grünen Hänge gingen in karge Staubflächen über, die breiten Kopfsteinpflasterstraßen verengten sich zu befestigten Trampelpfaden, und die Ladengeschäfte wichen baufälligen, aber charmanten Ständen mit grob gemalten Schildern. Lautenmelodien und Trommeln durchbrachen die Stille, und die Luft war erfüllt von Gerüchen wie Moschus und Schweiß, Öl und Bakhoor, sowie einer verlockenden Mixtur aus Gewürzaromen, die ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen.

Die Pfade, denen Mazen auf seiner Suche nach der goldenen Zeltplane des Alten Rhuba folgte, waren mit allen möglichen quietschbunten farbenprächtigen Ständen gesäumt, doch er hatte nur Augen für die Auslagen der Künstler. Im Vorübergehen betrachtete er Keramikschalen, Shatranj-Bretter, glasierte Tierkreiszeichenteller … und blieb jäh stehen, als sein Blick an einem kleinen, aber aufwendig gewebten Teppich hängen blieb, auf dessen Oberfläche sich eine Reihe geometrischer Muster wiederholte. Er erkannte dieses Motiv. Ein beinahe exakt gleich aussehender Teppich bedeckte den Boden seines Schlafzimmers.

Er hob den Kopf und begegnete dem Blick der Händlerin des Marktstandes – eine in mehrere rotorange Stoffschichten gehüllte Frau mittleren Alters. Auf dem Hocker neben ihr saß ein dürrer junger Mann, der den Souk mit glasigen Augen gelangweilt betrachtete – vermutlich ihr Sohn, der sie beschützte.

»Salaam, ya Sayyid«, begrüßte die Händlerin ihn so leise, dass Mazen sie wegen des Trubels ringsum kaum verstehen konnte.

»Salaam«, erwiderte Mazen automatisch, während er zwei schwankenden Sängern auswich und wieder zur Verkaufstheke zurückkehrte. Er deutete auf das Muster, das ihm aufgefallen war. »Deine Teppiche sind schön.«

Die Weberin lächelte strahlend. »Shukran. Aber der Teppich, den du gerade betrachtest, ist nicht von mir. Meine Tochter hat ihn angefertigt. Ich habe sie nur dabei angeleitet.« Sie streckte den Arm aus und strich mit den Fingern über die Quasten. »Sie hat ihn viele Wochen lang aus feinstem Kamelhaar gewoben, während wir mit unserem Schwesterstamm durch die Klippen über Ghiban zogen.«

Stamm. Das Wort erfüllte Mazen mit einer vagen Sehnsucht. Obwohl seine Familie von Nomaden abstammte, war sie schon lange sesshaft – zumindest der väterliche Zweig. Er hätte gerne gewusst, wie es sich anfühlte, in der gesamten Wüste zu Hause zu sein.

Mazen lächelte. »Die Götter haben deine Tochter mit großem Talent gesegnet. Dieser Teppich erinnert mich an einen anderen, den ich vor Jahren geschenkt bekommen habe. Er hat eine ähnliche Struktur und fast das gleiche Motiv – blaue Diamanten auf weißem Untergrund mit einem Halbmond in der Mitte. Man hat mir gesagt, er sei von einem Meister gewoben worden.«

»Ah, das ist mein Muster«, gluckste die Händlerin. »Wie schmeichelhaft, als Meisterin bezeichnet zu werden.«

Mazen erwiderte ihr Lächeln. »Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen.«

»Du bist ja ein richtiger Charmeur.«

»Ich sage nur die Wahrheit.« Er warf einen weiteren Blick auf den Teppich, eines von vielen hinreißend schönen, auf Holzböcken drapierten Exemplaren. Wäre es ihm möglich gewesen, unbemerkt einen davon in den Palast zu schmuggeln, hätte er es vielleicht getan. Doch seine Ausflüge waren keine Einkaufsbummel. »Weißt du zufällig, wo ich einen Geschichtenerzähler mit Namen der Alte Rhuba finde?«

Die Augen der Weberin funkelten. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass es hier irgendwen gibt, der dir diese Frage nicht beantworten kann. Heute habe ich ihn zwar noch nicht gesehen, aber seine goldene Plane kannst du kaum verfehlen.« Sie hob eine Braue. »Wenn es dir um Geschichten geht … diese Teppiche erzählen auch welche.«

»Ja, aber die kann ich mir nicht leisten«, erwiderte Mazen und schämte sich für diese haarsträubende Lüge.

»Was? Willst du nicht einmal versuchen, mit mir zu feilschen?«

»Es wäre eine Beleidigung, weniger als den vollen Preis für sie zu bezahlen.«

»Du kannst von Glück reden, dass du so eine goldene Zunge hast«, antwortete die Händlerin lachend und winkte ihn weg. »Komm wieder, wenn du bereit bist, mich nicht mit Worten, sondern mit Münzen zu preisen.«

Mazen nickte lächelnd und nahm seine Suche nach dem Alten Rhuba wieder auf. Dabei erfuhr er, dass das Schiff, auf dem sich dieser befand, noch nicht angelegt hatte. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten. Er ging in einen Chai-Laden, setzte sich an einen Platz, von dem er die ankommenden Schiffe im Blick hatte, und bestellte einen Kaffee mit Kardamom.

Während er wartete, dachte er sich zum Vergnügen Geschichten über die Passanten aus. Der bunt gekleidete Geck war auf der Flucht vor seiner Theatertruppe, die beiden Männer, die verschwörerisch miteinander flüsterten, verkauften illegale Rauschmittel, und das kleine Mädchen, das sich mit einem strahlenden Lächeln an der Hand seines Vaters festhielt, war eine Ausländerin, die den Souk von Madinne zum ersten Mal sah.

Als er seinen Kaffee bekam, wurde er auf das Gespräch am Nachbartisch aufmerksam, wo fünf Männer über ihren Getränken kauerten und wie alte Frauen miteinander schwatzten.

»Es heißt, der Kronprinz habe einen Dschinn mitgebracht.«

»Wozu? Für eine zeremonielle Hinrichtung?«

Mazen warf einen verstohlenen Blick auf den Mann, der zuletzt gesprochen hatte, und wandte sich sofort wieder ab. Er kannte ihn … Es war ein Palastwächter, der gerade dienstfrei hatte. Entspann dich!, dachte er. Er wird dich nicht bemerken.

Doch Mazen wusste, dass er sich damit nur etwas vormachte. Das einfache Volk erkannte ihn bloß deshalb nicht, weil er vor seinen Ausflügen stets seinen königlichen Ornat ablegte – die drei Ohrringe, die ihn als drittgeborenen Sohn des Sultans auswiesen, den Schal seiner Mutter und auch sämtlichen Gold- und Silberschmuck.

Doch seine Gesichtszüge konnte er nicht verbergen und auch nicht seine gewellten schwarzen Haare oder die goldenen Augen. Für alle, die ihn kannten, war er trotz seiner ausgebeulten sandfarbenen Kleidung unverkennbar Mazen. Die Ghutra auf seinem Kopf würde wahrscheinlich nicht viel nützen, wenn sie seine Augen sahen.

Entspann dich und versuch, keine Aufmerksamkeit zu erregen.

Er nippte an seinem Kaffee.

Und verschluckte sich prompt daran. Die Wächter unterbrachen ihr Gespräch und starrten seinen Rücken an.

Auf dem heutigen Tag liegt ein Fluch.

Einer der Wächter kam näher und fragte, ob mit ihm alles in Ordnung sei.

Mazen versuchte zu lachen, doch es gelang ihm nicht. »Schon gut«, brachte er heraus. »Mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.«

Sein Herz bebte vor Angst. Dreh dich um. Dreh dich wieder um.

Zum Glück tat ihm der Mann den Gefallen und nahm den Gesprächsfaden wieder auf. »In letzter Zeit sind in der Stadt mehr Dschinn als sonst.«

»Mehr? Ich dachte, die Sicherheitsmaßnahmen des Kronprinzen sollen sie fernhalten.«

Mazen umklammerte seine Tasse. Jeder Dschinn, der sich nach Madinne hineinwagte, war so gut wie tot. Warum sollten sie dieses Risiko eingehen wollen?

Einer der Männer winkte ab. »Wer braucht schon Sicherheitsmaßnahmen? Öffentlich hinrichten sollte man diese Kreaturen, sie ausbluten und die Blumen, die aus ihnen sprießen, im Publikum verteilen. Das würde sie abschrecken.«

Mazen dachte an das schreckliche silberne Blut auf der Kleidung seines Bruders und fragte sich, wo Omar die beiden Dschinn getötet hatte und welche Art Leben aus ihrem Blut entstanden war. Hatten sie seinen herzlosen Bruder angefleht, sie zu verschonen? Oder hatten sie sich bis zum bitteren Ende vergeblich gewehrt? Mazen wollte sich nicht vorstellen müssen, wie sie Omar angebettelt hatten und von ihm niedergemetzelt worden waren.

Es war zugleich erschreckend und erstaunlich, dass das silberne Blut, das dabei aus ihnen herausgeflossen war, der Natur auf die Sprünge helfen würde.

Im Gegensatz zu vergossenem menschlichem Blut, das immer nur für Verlust, Schmerz und Tod stand.

Unwillkürlich musste Mazen an das letzte Mal denken, als er seine Mutter gesehen hatte. Das war mittlerweile zehn Jahre her. Er war damals zwölf gewesen. Sie hatte geschlafen. Zumindest hatte er das geglaubt. Mazen war gekommen, um ihr eine Nachricht seines Vaters zu überbringen, und hatte sie reglos auf dem Bett liegen sehen. Mit einem purpurroten Fleck auf der Brust hatte sie die Decke angestarrt.

Mazen stieß langsam den Atem aus und schob die Erinnerung von sich. Von Zeit zu Zeit drängte sie mit Gewalt an die Oberfläche. Ein Dschinn hatte seine Mutter umgebracht – das war der Grund, weshalb sein Vater ihm verbot, ohne Leibwächter den Palast zu verlassen.

Er hob den Kopf und sah sich verzweifelt nach etwas um, das ihn von seinen Grübeleien ablenken würde. Er musste nicht lange suchen. Nur wenige Meter von ihm entfernt stand eine Frau unbewegt in der Menge und lächelte ihn an. Sie war groß und grazil mit sinnlichen Kurven und langen Beinen, die sich deutlich unter ihrem hauchdünnen Seidengewand abzeichneten.

Während Mazen ihre strahlende Erscheinung in sich aufnahm, regte sich Sehnsucht in ihm. Er blickte in ihre hypnotisierenden Augen, die je nach Lichteinfall zwischen Kaffeebraun und Bernsteinfarben changierten.

Der lüsterne Schauer, der ihn durchfuhr, fühlte sich vage unnatürlich an, doch er sah keinen Grund, weiter darüber nachzudenken.

Die Frau klimperte mit den Wimpern, drehte sich um und ging davon.

Eine eigenartige Spannung hing in der Luft, wie ein bis zum Äußersten gedehnter Faden. Und er zerriss.

Mazen zog es vom Stuhl.

Er stand auf, verzog die Lippen zu einem trägen Lächeln und folgte ihr in das Chaos des Souks. Sie konnte nur eine Göttin sein.

Noch nie war er von einer so starken Begierde ergriffen worden. Natürlich musste er ihr hinterhergehen. Er musste … musste …

Sie sich nehmen.

3

Loulie

»Wie sieht’s aus, sprechende Eidechse – hättest du lieber Zuckermandeln oder geröstete Pistazien?«

Niemand konnte Loulie hinter ihrem Kopftuch flüstern hören, und auch die Antwort des Dschinns, ein genervtes Seufzen, war nicht zu vernehmen.

Seit sie vor einer Stunde in Madinne angelegt hatten, war Qadir in gedrückter Stimmung. Immer wieder schlug er vor, zu Dahlia zurückzukehren, doch Loulie ignorierte ihn. Was sollten sie in der Taverne, wo sie doch genug Münzen zum Verprassen hatten?

»Also gut, dann nehmen wir geröstete Pistazien.« Sie näherte sich mit zwei Bronzemünzen in der Hand dem Stand. Der Händler, ein freundlicher älterer Herr, der nach Sesam roch, überreichte ihr dafür mit einem strahlenden Lächeln eine Tüte Nüsse.

»Wie wunderbar, dich wiederzusehen, Layla. Du bist auf der Aysham eingetroffen, nicht wahr?«

Layla. Im Laufe der Jahre war der Name, den ihre Eltern ihr gegeben hatten, zu einem Alias geworden, unter dem sie sich Leuten vorstellte, denen sie sich nicht als Mitternachtshändlerin zu erkennen geben wollte. So war es ihr am liebsten – eine verschüttete Identität aus einer zu Grabe getragenen Vergangenheit.

»So ist es.« Loulie steckte sich ein paar Pistazien in den Mund und seufzte. Sie schmeckten perfekt wie immer. Noch besser wären sie nur mit Schalen gewesen, und das auch bloß, weil sie sie gern mit einem lauten Knacken zerbiss, um Qadir zu ärgern.

»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten vom Souk?«

Der Alte winkte sie näher. »Sag niemandem, dass du es von mir hast, aber …«

Sie ließ ihn reden und nickte von Zeit zu Zeit, zum Zeichen, dass sie ihm zuhörte. Er tratschte für sein Leben gern, und sie gab ihm dazu großmütig die Gelegenheit. Manchmal wies er sie unwissentlich auf potenzielle Kunden hin oder versorgte sie mit Gerüchten aus dem Herrscherhaus. Qadir war vor allem an Letzterem interessiert. Er interessierte sich mehr für Politik als sie.

Nach einer Weile wurde jedoch auch ihm langweilig. »Können wir nach Hause gehen? Wir sollten …« Er schnappte nach Luft. »Rechts von dir, Loulie.«

Zuerst sah sie nichts Ungewöhnliches: Standbesitzer winkten die Passanten näher, die schwarz verschleiert oder in bunten Seidengewändern über den dichtgedrängten Markt schlenderten.

Doch dann erblickte sie eine Frau, die wie eine Fata Morgana mit der Menge verschmolz. Groß und imposant, mit unglaublich ebenmäßigen Zügen. Loulie war von ihrer Schönheit überwältigt.

Auf Qadirs gezischte Anweisung hin rieb sie die eisernen Ringe an ihren Fingern und spürte, wie sich ihre Gedanken langsam wieder klärten. Ihr wurde bewusst, dass niemand sonst auf diese unnatürlich perfekte Gestalt achtete. Sie hätte ebenso gut ein Geist sein können. Auch Loulie musste sich bewusst auf sie konzentrieren, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Hätte Qadir sie nicht auf die Frau aufmerksam gemacht, wäre ihr Blick wie Wasser von ihr abgeperlt.

War sie eine Dschinn?

Loulie bemerkte einen Mann in sandfarbener Kleidung, der hinter der Dschinn herging. Seine Lippen waren zu einem eigenartigen Lächeln verzogen, das nicht bis zu seinen glasigen Augen reichte.

Qadir rückte näher zu ihrem Ohr. »Was um alles in der Welt könnte eine Dschinn nach Madinne führen?«

»Keine Ahnung«, murmelte sie. »Aber ich würde es gern herausfinden.«

Sie verabschiedete sich höflich von dem Händler und folgte mit einigem Abstand der Dschinn und dem lächelnden Mann. »Glaubst du, er ist ein Jäger?« Loulie holte ihre Münze mit den zwei Gesichtern aus der Tasche und warf sie in die Höhe. Sie landete mit dem Dschinn nach oben. Nein.

»Eigenartig«, sagte Qadir. »Normalerweise folgen Dschinn Menschen nur in die Städte, um sich an ihnen zu rächen.«

Loulie ging schneller.

»Was soll das?«, zischte Qadir ihr zu.

»Ich verfolge sie.«

Da die zweigesichtige Münze sie nie belogen hatte, musste die Dschinn den Menschen aus einem anderen Grund in ihren Bann geschlagen haben. Sie steckte die Münze in die Tasche und holte stattdessen ihren Kompass heraus. »Führe mich zu der Dschinn«, flüsterte sie. Die verzauberte Kompassnadel wies auf die Frau, die im Gedränge verschwand.

»Das ist nicht ratsam«, sagte Qadir.

»Wann hätte mich das je von irgendetwas abgehalten?«

Qadir seufzte. »Eines Tages wird deine Neugier noch dein Tod sein.«

Doch Loulie hörte ihm nicht mehr zu. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den Kompass, der sie nie in die Irre führte und dessen Magie ihr vor Jahren das Leben gerettet hatte.

***

»Wie funktioniert er?«, fragte Layla, während sie den Kompass hin und her drehte.

Mittlerweile war sie seit einer Woche mit dem Dschinn in der Wüste unterwegs und hatte gemerkt, dass der Kompass ihm den Weg zu Unterschlüpfen und Wildtieren wies.

»Er zeigt mir die Richtung an. Wenn ich etwas suche, hilft er mir dabei, es zu finden.« Qadir betrachtete den Kompass mit einem zärtlichen Lächeln.

Layla neigte ihn nach links und rechts, doch die rote Nadel kehrte immer wieder zu ihr zurück. Temperamentvoll hatte ihr Vater ihn genannt. Doch er hatte seine Magie nicht verstanden, als er ihn ihr gab, und auch nicht geahnt, dass Qadir, sein rechtmäßiger Besitzer, kommen und ihn holen würde.

Und dass er ihr damit das Leben retten würde.

Qadir beugte sich zum allmählich verlöschenden Feuer vor und wedelte mit der Hand über dem nur noch schwach glimmenden Holz, bis es wieder aufflackerte. Abgesehen von der Feuerstelle umfasste ihr Nachtlager nur noch ein verwittertes Zelt und Qadirs bodenlose Tasche.

Der Dschinn ließ die Schultern kreisen. »Der Kompass gehört mir. Er besteht darauf, dass ich dich begleite, und das werde ich so lange tun, bis er mich in eine andere Richtung leitet.«

»Wieso sollte er das tun?«

Qadir sah sie einen Moment lang an. »Ich habe mich in eurer Menschenwüste verirrt und kann nicht nach Hause zurück. Daher hielt es der Kompass, als ich ihn bei dir fand, für richtig, mich auf einen anderen Pfad zu schicken.« Seine dunklen Augen fixierten sie eindringlich. »Deinen Pfad.«

Layla schluckte schwer. »Wieso kannst du nicht nach Hause zurück?«

Er schüttelte den Kopf. »Weil ich dort nicht mehr willkommen bin. Aber das spielt keine Rolle. Der Kompass hat mich noch nie auf Abwege geführt.« Qadir klang sehr überzeugt, doch seine Augen …

Trotz des hellen Feuerscheins tanzten unheimliche Schatten in ihnen.

***

Loulie durchquerte ein Gewirr aus Gassen und erblickte die Dschinn schließlich wieder. Sie führte den Mann in einen verlassenen Tempel, ein schlichtes Lehmbauwerk mit vergitterten Fenstern und verblassten Halbmonden und Sternen auf den Wänden. Die große Eingangstür aus Metall stand offen und gab den Blick auf eine unnatürlich finstere Kammer frei.

»Und was hast du jetzt vor?«, flüsterte Qadir.

»Ich werde mit ihr sprechen. Und zur Sicherheit …« Sie griff in die Tasche und holte ihre bevorzugte Waffe heraus, einen Krummdolch mit einem Griff aus schwarzem Obsidian. Auf den Knauf war ein goldenes Qaf gemalt – der erste Buchstabe von Qadirs Namen und der einzige Hinweis, dass er ihm gehörte.

»Was erhoffst du dir davon, eine Dschinn zu bedrohen?«

»Vielleicht kann ich diesem Mann das Leben retten.«

Das Messer würde sie nur im äußersten Notfall verwenden. Sie vermied, wenn möglich, jegliche Gewalt, und die Dschinn sollte auf keinen Fall merken, dass es sich bei der Klinge um ein mit Dschinn-Magie belegtes Relikt handelte. Aus Erfahrung wusste sie, dass es ein lebensgefährlicher Fehler sein konnte, einem Dschinn Relikte unter die Nase zu halten.

Loulie betrat das Gebäude. Das geräumige Innere war leer, die in die Wände gehauenen Gebetsnischen staubig und voller Spinnweben. Eine Abbildung eines sonnigen Himmels zierte die Decke, dennoch war sie düster und grau. Im gedämpften Licht, das durch die Fenster hereinfiel, tanzten Staubflocken. Es war, als wären alle Farben aus dem Raum gesaugt worden.

In der Mitte stand die Dschinn. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Loulie starrte ihr Haar an, das wie ein dunkler wirbelnder Fluss über ihre Schultern fiel und hinter ihrem Rücken zu Rauch verblasste.

Neben ihr stand der Mann – er hatte noch immer das eigenartige Lächeln im Gesicht.

»Menschenmädchen«, sagte die Dschinn tonlos. »Verschwinde von hier. Ich habe mit dir nichts zu schaffen.« Ihr Blick fiel auf die eisernen Ringe an Loulies Fingern.

Loulie verbarg die Hände schnell hinter dem Rücken, doch es war bereits zu spät.

»Wie kannst du es wagen, dich mir mit diesen Ringen zu nähern?«, fauchte die Dschinn.

Loulie unterdrückte ein Stöhnen. Die Ringe waren ein verbreiteter Schutz gegen Besessenheit und erregten natürlich den Zorn der Dschinn. Sie selbst war von ihrer Wirksamkeit nicht überzeugt, doch Qadir bestand darauf, dass sie sie trug. Ein Aberglaube, der dich nicht umbringt, könnte dir das Leben retten, ermahnte er sie immer wieder.

»Sie sind dazu da, unangenehme Missverständnisse wie dieses zu vermeiden«, sagte Loulie betont ruhig. »Und ich bin nur gekommen, um dich davor zu warnen, einem Menschen auf dem Stadtgebiet etwas anzutun.«

Ihr Blick zuckte zu den Schatten an den Wänden, die wie verschüttete Tinte auf sie zuflossen, und unterdrückte ein Schaudern, als die sanfte Stimme der Dschinn erneut den leeren Raum erfüllte. »Ist dir klar, wie viele von meinem Volk dieser Mann auf dem Gewissen hat?« Sie stieß ihm einen Finger in die Brust. »Er gehört mir, und ich mache mit ihm, was ich will.« Sie trat einen Schritt zurück und winkte kurz mit der Hand. Aus der Dunkelheit an den Wänden wuchsen Arme, die Loulie kurzerhand durch die Tür ins Tageslicht hinausschoben.

Loulie sah in die Dunkelheit zurück und holte dreimal tief Luft.

»Loulie«, rief Qadir und grub seine Krallen in ihre Schulter.

Sie ignorierte ihn jedoch und rannte hinter den sich zurückziehenden Schatten erneut in den Tempel. Die Tür schlug zu und schloss sie in der Finsternis ein. Hinter sich hörte sie ein Geräusch und fuhr herum, sah aber nichts.

»Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so versessen darauf ist zu sterben.« Die Stimme der Dschinn schien von überall und nirgendwo zu kommen.

Loulie hielt das Messer vor sich hin. Brachte ihr Zittern unter Kontrolle. »Dieser Mann ist kein Jäger.«

Es kam keine Antwort.

Loulie packte die Waffe fester und wappnete sich für einen Angriff, doch er blieb aus. Stattdessen spürte sie ein schwaches Brennen in der Lunge.

Rauch.

Verzweifelt stieß sie die Klinge nach vorne und hinter sich, traf jedoch keinen Widerstand. Ein merkwürdiger Druck baute sich in ihrer Lunge auf und raubte ihr die Luft zum Atmen. Japsend sank sie auf die Knie. Das Messer rutschte ihr aus den Fingern und fiel zu Boden. Falls es beim Aufprall ein Geräusch machte, konnte Loulie es nicht hören. Sie nahm nur diesen Druck wahr, der immer stärker und stärker und stärker wurde …

»Widerstand ist zwecklos, du närrisches Mädchen. Gegen Schatten kannst du nichts ausrichten.«

Loulie bekam vage mit, dass Qadir von ihrer Schulter herunterkrabbelte. Dann nahm sie nur noch den Schmerz in ihrer Lunge wahr. Loulies Knochen knirschten, und ihre Ohren knackten. Ihre Sicht verschwamm, und aus dem quälenden Nebel stiegen blutige Erinnerungen vor ihrem inneren Auge auf.

Purpurrote Flecken im Wüstensand. Leichen. Schwarz gekleidete Männer, die Schwerter schwangen.

Ihre Mutter und ihr Vater tot, ihr Stamm ausgelöscht.

»Ah …«, hallte die Stimme der Dschinn durch den leeren Raum.

Der Schmerz ließ nach, und Loulie nahm wieder jeden brennenden Zoll ihres Körpers wahr. Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Baumwolle ausgestopft, während sie den Blick hob und in die rubinroten Augen in der Dunkelheit vor ihr schaute. »Du bist ein Opfer der schwarz gewandeten Männer?« Die Dunkelheit schien Wellen zu schlagen, und Loulie hatte den Eindruck, dass die Dschinn die Hand nach ihr ausstreckte. Ihre Stimme wurde weicher und klang zögerlich. »Du …«

Das Wort steigerte sich zu einem gellenden Schrei, als auf einmal grelles Sonnenlicht in den Raum drang. Der Schatten wand sich und kreischte, bis nur noch Dunkelheit von ihm übrig blieb, die in den rissigen Fliesen versickerte.

Loulie drehte sich langsam zum Eingang, in dem der lichtumflorte Umriss eines Mannes stand.

Dunkle Flecken tanzten vor ihren Augen, während die Welt sich allmählich wieder mit Farben füllte.

Sie schaffte noch einen einzigen seligen Atemzug, bevor sie zusammenbrach.

4

Mazen

Mazen hatte keine Ahnung, wie lange er schon im Bann dieses liebreizenden Geschöpfes stand, doch es war ihm auch egal. Er wusste nur, dass er sich bis ans Ende seiner Tage an ihrer Pracht erfreuen und ihre roten Lippen schmecken wollte.

Aber

Mit den Händen über die glatte Haut an ihren Hüften und über ihren Bauch streichen …

Aber

Die Finger in ihre Haare schieben und die Lippen auf ihren Hals pressen …

Aber

Seine innere Stimme war wie ein hartnäckiger Alarm. Sie machte es ihm unmöglich, sich auf diese Göttin zu konzentrieren. Und es gab auch noch etwas anderes, das ihn von ihr ablenkte. Als Mazen gerade darüber nachdachte, den dunklen Raum nach der Quelle dieser Störung abzusuchen, sah die Göttin ihn an und sagte:

»Er gehört mir, und ich mache mit ihm, was ich will.« Und er versank erneut in seiner Benommenheit.

Sie streckte die Hand aus und strich mit einem Finger an seiner Wange herab. Ein hilfloser Schauder durchfuhr ihn. »Ach du lieber Mensch.« Ihre Stimme klang honigsüß wie Nektar. »Lieber, verschlagener Mensch. Wie viele von uns hast du umgebracht?«

Die Göttin kam näher, bis ihre Körper sich berührten. Mazens Herz machte einen Satz, als er ihre warme Haut auf seiner spürte. Irgendwo in den Tiefen seines Verstandes hörte er sich selbst schreien.

»Du hast geglaubt, du könntest entkommen«, wisperte die Göttin ihm ins Ohr. »Aber ich kenne dein Blut. Wenn nötig, hätte ich dich bis ans Ende der Welt verfolgt.«

Mazen blinzelte. Schwarze und rote Schlieren tanzten vor seinen Augen. Dahinter machte er ein lüsternes Lächeln aus, das sich halb aus der Dunkelheit schälte und wieder darin verschwand.

»Ich werde mir mit dir Zeit lassen, damit dein Leid nicht zu schnell vorbei ist.« Sie drückte ihre Lippen auf seine und hauchte ihm ihren Atem ein. Oder saugte sie seinen Atem aus ihm heraus? Er war sich vage bewusst, dass seine Lunge kollabierte und sein Körper wild zu zucken begann.

Mazen versuchte, sie wegzustoßen, doch es gab nichts, was sich wegstoßen ließ. Die Frau war eine Silhouette aus Rauch. Er versuchte, rückwärts von ihr wegzutreten, doch seine Füße rührten sich nicht vom Fleck, seine Kehle brannte wie Feuer, und – o ihr Götter, er würde sterben …

Auf einmal konnte er wieder atmen. Er versuchte, etwas zu sagen, doch nicht mal der kleinste Hauch drang aus seiner ausgezehrten Lunge. Wie eine Flamme flackerte sein Bewusstsein kurz auf, nur um gleich darauf wieder zu erlöschen.

»Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so versessen darauf ist zu sterben.« Die Worte der Dämonin umhüllten ihn wie Seide, und sein Geist trübte sich weiter ein, während sie sich von ihm entfernte.

Irgendwo in der Dunkelheit hörte er jemanden nach Luft ringen. Er versuchte, sich darüber klar zu werden, was dieses Geräusch zu bedeuten hatte, als plötzlich etwas seinen Körper erklomm. Es bewegte sich so schnell, dass er es nicht von sich abstreifen konnte. Er fühlte einen schmerzhaften Stich in der Schulter und hörte eine Stimme direkt an seinem Ohr. »Such die Tür«, sagte die Stimme, und sie und der Schmerz verschwanden wieder.

Mazen blinzelte langsam und versuchte, sich in seiner Umgebung zu orientieren. Er machte einen taumelnden Schritt nach vorn und spähte in die Dunkelheit. Da sah er etwas Kleines, Brennendes den Raum durchqueren. Doch das konnte nicht sein, oder? Echtes Feuer verbrannte alles, was ihm in den Weg kam, und blieb nicht derart kompakt.

Mazen stolperte dennoch hinter der Flamme her. Es war eine kurze Verfolgungsjagd, die damit endete, dass er gegen eine Wand prallte und das Licht verlosch. Er breitete die Arme aus und fühlte Metall unter seinen Händen. Die Tür. Ohne nachzudenken, presste er sich dagegen, bis sie seufzend aufschwang. Licht strömte in den Raum und verdrängte die Dunkelheit, die kreischend zurückwich.

Schaudernd fuhr Mazen zu der betörenden Frau herum und sah verdutzt zu, wie sie sich auflöste und zwischen den Fliesen verschwand. Vorhin war er ihr durch sonnendurchflutete Straßen gefolgt und hatte sich daran erfreut, wie sich das Licht in ihren wunderschönen Augen spiegelte. Doch nun war sie keine Frau mehr, sondern ein Schatten, den die Sonne verschlang, bis nichts mehr von ihm übrig war.

Wo sie gerade noch gestanden hatte, befand sich nun eine fremde Person in einem einfachen braunen Gewand.

Mazen starrte sie an, nicht sicher, ob er sie sich nur einbildete.

Sie sah ihn unter ihrem Kopftuch hervor an, dann brach sie zusammen.

Mazen ging langsam zu ihr und beäugte argwöhnisch die im Boden versickernden Schatten. Als er die fremde Person erreichte, setzte sie sich unvermittelt auf. Dabei löste sich ihr Kopftuch und entblößte einen braunen Lockenwust. Es war eine Frau. Eine Frau mit außergewöhnlichen rostbraunen Augen. Mazen zuckte zurück.

»Dir auch Salaam«, sagte sie heiser und sah ihn finster an.

Mazen schluckte. »Verzeihung«, erwiderte er mit leiser, bebender Stimme und räusperte sich. »Ich wusste nicht, ob du eine Illusion bist. Oder …« Er deutete um sich herum, doch die Schatten waren mittlerweile komplett vom Sonnenlicht verdrängt worden.

Die Fremde sah sich mit zusammengekniffenen Augen im Raum um, als würde sie nach etwas suchen. Vielleicht nach der Dämonin.

Mazen merkte, dass seine Hände zitterten, und schob sie in die Taschen. »Wir sollten von hier verschwinden.« Er bemerkte ein silbriges Funkeln und sah das Messer, das die Frau in der Hand hielt.

Bevor er es eingehender betrachten konnte, verstaute sie es schnell in der Umhängetasche, die neben ihr auf dem Boden lag. Anschließend stand sie auf und klopfte den Staub von ihrer Kleidung, ganz langsam, als würde sie dies große Mühe kosten. »Hast du dich selbst aus deiner Trance befreit?«

Mazen stutzte. »Ja?«

»Du klingst, als wärest du dir nicht sicher.«

Mazen dachte an die mysteriöse Stimme in seinem Ohr und das seltsame Feuer, das ihn zur Tür geführt hatte. War beides nur eine Halluzination gewesen? Er hielt es für besser, nicht darüber zu sprechen. »Ich glaube, du warst das«, sagte er stattdessen. Was nicht komplett gelogen war – immerhin hatte er in der Dunkelheit jemanden um sein Leben kämpfen hören. Wer hätte das außer ihr sonst sein können? »Du hast die Dämonin abgelenkt und mir damit eine Chance verschafft, meine Benommenheit abzuschütteln.«

»Ich war eine Ablenkung?«, murmelte sie finster. »Ist sie weg? Tot?«

»Sie ist, äh, zerflossen und zwischen den Fliesen versickert.«

Misstrauisch beäugten beide den Boden.

Mazen räusperte sich. »Aber sag mir bitte, weshalb du überhaupt hier warst …« – ihm wurde bewusst, dass er ihren Namen nicht kannte – »… du Wüstenblume?« Es war das Erste, was ihm eingefallen war, und er hätte es am liebsten sofort wieder zurückgenommen.

Die Frau starrte ihn mit großen Augen an. Mazen rechnete mit einer Ohrfeige und verzog das Gesicht, doch sie schob sich nur wortlos an ihm vorbei und ging zur Tür. Dort angekommen, drehte sie sich noch einmal um. »Ich habe zwei Personen dieses verlassene Gebäude betreten sehen und wollte wissen, was sie vorhaben. Eine der beiden war ein Schatten mit roten Augen …« Sie winkte mit der Hand. Mazen sah Ringe an ihren Fingern schimmern. »Und die andere warst du, stocksteif wie eine Dattelpalme.«

Mazen trat hinter ihr ins Freie. Die Sonne ging gerade unter und tauchte die Stadt in goldrotes Licht. Er genoss die heiße Wüstenluft auf der Haut und den knirschenden Sand unter den Füßen. Ein sanfter Windstoß zerzauste seine Haare und entlockte ihm einen Seufzer. Das Zittern in seinen Händen ließ ein wenig nach. Er drehte sich zu der Fremden um. »Vielen Dank, dass du mich gerettet hast, äh …«

»Layla«, erwiderte sie und sah ihn ihrerseits erwartungsvoll an.