Das 60%-Potenzial - Johanna Gollnhofer - E-Book

Das 60%-Potenzial E-Book

Johanna Gollnhofer

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Beschreibung

Die grüne Transformation ist das Gebot der Stunde. Doch nachhaltiger Konsum ist noch nicht in der breiten Masse angekommen. Es sind circa 60 Prozent der Menschen, also die absolute Mehrheit, die nicht so recht weiß, wohin: Einerseits finden sie nachhaltiges Verhalten wichtig, andererseits verbinden sie dieses mit Verzicht oder auch Verteuerung. Hier kommt die Magie von Marketing und Kommunikation ins Spiel. Die Marketing-Profis Gollnhofer und Pechmann zeigen, wie Marketing zum Treiber einer erfolgreichen grünen Transformation wird, indem sie -analysieren, wie die breite Masse überzeugt werden kann, -Marketing-Best Practices für die grüne Transformation zeigen und -mehrere Rollen für die CMOs der Zukunft vorstellen. Damit die Menschen keine Angst, sondern Bock auf Morgen haben!

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Johanna GollnhoferJan Pechmann

Das 60 % Potenzial

Mit Marketing die breite Massefür grünen Konsum begeistern

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Die grüne Transformation ist das Gebot der Stunde. Doch nachhaltiger Konsum ist noch nicht in der breiten Masse angekommen. Es sind circa 60 Prozent der Menschen, also die absolute Mehrheit, die nicht so recht weiß, wohin: Einerseits finden sie nachhaltiges Verhalten wichtig, andererseits verbinden sie dieses mit Verzicht oder auch Verteuerung.Hier kommt die Magie von Marketing und Kommunikation ins Spiel. Die Marketing-Profis Gollnhofer und Pechmann zeigen, wie Marketing zum Treiber einer erfolgreichen grünen Transformation wird, indem sie- analysieren, wie die breite Masse überzeugt werden kann,- Marketing-Best Practices für die grüne Transformation zeigen und- mehrere Rollen für die CMOs der Zukunft vorstellen.Damit die Menschen keine Angst, sondern Bock auf Morgen haben!

Vita

Prof. Dr. Johanna Gollnhofer ist Assoziierte Professorin für Marketing an der Universität St. Gallen. Forscht und lehrt an der Schnittstelle Marketing/Nachhaltigkeit. Auf LinkedIn gibt sie den Newsletter »Green Marketing« raus.Jan Pechmann ist Unternehmensberater & Unternehmer, Gründer der Agenturen diffferent (bis 2021) sowie von BAM! Bock auf Morgen, das sich für nachhaltiges Marketing stark macht. Er ist Initiator des Marketing for Future Award.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Vorwort

Die meisten Menschen, die im Marketing- und Werbekontext arbeiten und dabei nicht nur ihre sieben Sinne beisammen, sondern auch ihr Herz am rechten Fleck haben, stellen sich früher oder später die Frage: Ist es richtig, den Konsum auf dieser Welt weiter anzukurbeln? Gibt es nicht vielleicht einen Weg, mein Talent besser einzusetzen?

So waren auch wir auf der Suche, wie wir Marketing von einem Teil des Problems zu einem Teil der Lösung machen könnten. Johanna Gollnhofer beschritt als Professorin für Marketing an der Universität St. Gallen den akademischen Weg und betreibt seit vielen Jahren Forschung zu Motiven und Hindernissen nachhaltigen Konsums, welche international Beachtung finden. Ihr Newsletter »Green Marketing« erfreut sich eines immer größeren Zuspruchs. Jan Pechmann nahm den Weg der Praxis und lancierte parallel zu seiner Beratertätigkeit den Marketing For Future Award, der im nunmehr fünften Jahr »best practice« auszeichnet. Denn Marketing und Kommunikation können sehr wohl ein entscheidender Hebel erfolgreicher Nachhaltigkeitsbemühungen sein.

Im Jahr 2023 hielten wir beide auf einer Marketingveranstaltung einen Vortrag. Wir kannten uns nicht, waren nicht abgestimmt, hatten jedoch – wenn auch auf sehr unterschiedliche Art und Weise, nämlich akademisch geprägt versus beraterisch intendiert – inhaltlich den gleichen Fokus mit derselben Quintessenz:

Nachhaltige Produkte hängen in der Nische fest. Das ist nicht gut, weder für die Umwelt noch für den Umsatz! Wir müssen Nachhaltigkeit also in die breite Masse oder, in unseren Worten, in die 60 % bringen. Und das ist zuallererst eine Frage der richtigen Kommunikation und Vermarktung.

Beruhend auf gegenseitiger Sympathie und gleichen Werten entwickelten wir die Grundidee und fanden im Campus Verlag den passenden Partner für ein Buch, das sich an alle richtet, die die grüne Transformation vorantreiben wollen, wie zum Beispiel

Geschäftsführende und CEOs, die zu Recht daran interessiert sind, enorme Investitionen in den nachhaltigen Umbau ihrer Geschäftsmodelle und Kernprozesse in Form von Nachfrage und Alleinstellung im Markt zu kapitalisieren.

CMOs, Marketing- und Kommunikationsverantwortliche, die nach einem tieferen Verständnis und einer operativen Anleitung zur Demokratisierung von nachhaltigen Angeboten suchen, also Insights und Prinzipien, um Nachhaltigkeit auch abseits der grünen Nische im Mainstream erfolgreich zu kommunizieren.

Nachhaltigkeitsbeauftragte und CSR-Manager:innen, die erkannt haben, dass die richtige kommunikative Positionierung und Kommunikation ihrer Maßnahmen ein entscheidender Faktor ihres Erfolgs sein können.

Expert:innen aus Naturwissenschaft und Forschung, die es leid sind, seit Jahren in der Sache Recht zu haben, aber in der Öffentlichkeit trotzdem nie richtig gehört oder verstanden zu werden.

Dieses Buch richtet sich gleichberechtigt an Vertreter:innen der Unternehmensseite, der Agentur- oder Beratungsseite sowie der Seite der Politik und Verbände. Für alle diese Visionär:innen und Transformator:innen möchte dieses Buch:

Informieren: Wieso hängen grüne Produkte in der Nische fest? Wie tickt die sogenannte »breite Masse« und wie spricht man die 60 % erfolgreich an?

Hier bleiben wir nicht bei Anekdoten, sondern greifen auf viele wissenschaftliche Analysen und Studien zurück, um unsere Argumentation zu untermauern.

Inspirieren: Wie können Sie die breite Masse wirklich für grüne Produkte begeistern? Und was ist hier die Rolle von Marketing und Kommunikation?

Auch hier war unser Anspruch, uns nicht in einem abstrakten Lösungsraum zu bewegen, sondern Konkretes zu liefern. Hierfür haben wir basierend auf Interviews mit CMOs fünf handfeste »CMO Jobs« entwickelt, die aus unserer Sicht entscheidend sind, um das 60 %-Potenzial zu erschließen.

Illustrieren: Grüne Produkte müssen Spaß und Freude machen. Und genau das soll auch unser Buch. Daher befinden sich in unserem Buch neben zahlreichen anschaulichen Fallbeispielen auch über 20 Grafiken, die das komplexe Thema einprägsam auf den Punkt bringen.

Diese Grafiken können gerne mit Quellenangabe geteilt und verbreitet werden.

Das Buch ist nicht nur das Resultat unserer Arbeit, sondern auch der kontinuierlichen mentalen und inhaltlichen Unterstützung von ganz vielen Personen und Unterstützergruppen, von denen an dieser Stelle beispielhaft nur folgende genannt werden können. Unser Dank geht unter anderen an:

alle Menschen, die uns auf den verschiedensten Events an der Schnittstelle zwischen Marketing/Nachhaltigkeit mit ihren Gedanken und Meinungen beflügelt und begeistert haben,

das Team von BAM! Bock auf Morgen, unsere interviewten CMOs und alle Unterstützer:innen und Wegbegleitende von Marketing For Future für sachlichen Rat, handfeste Zuarbeit und seelischen Beistand,

Marceline und Roland von Bitteschoen.TV für die liebevollen Illustrationen,

unseren Familien und Freund:innen für Geduld und Rückendeckung während der heißen Schreibphasen.

Kapitel 1Die meisten Menschen greifen nicht zu grünen Produkten

Die Green Economy – eine Wirtschaft, deren zentraler Faktor Nachhaltigkeit ist – ist auf dem Vormarsch. Ihre Maxime ist es, das eigene Handeln nicht mehr nur auf Gewinn und Umsatz zu optimieren, sondern in gleicher Priorität auch auf die Umwelt. Ökosysteme sollen von Verschmutzung reingehalten, Arten in ihrer Vielfalt bewahrt, Rohstoffe für zukünftige Generationen bewahrt und die Erde nicht ausgebeutet werden – und all dies bei laufendem und hoffentlich erfolgreichem wirtschaftlichem Betrieb.

Die erste gute Nachricht: Das Bewusstsein dafür ist in der breiten Masse angekommen. Denn der Klimawandel, der in den letzten Jahrzehnten noch etwas sehr Abstraktes war, ist mittlerweile auch in unseren Breitengraden direkt zu erleben. Heftige Stürme, Überschwemmungen, verregnete Sommer, viel zu warme Winter – all das führt uns die ökologischen Auswirkungen unserer Konsumgesellschaft fast täglich vor Augen. Auch die Politik und die Unternehmen haben das Thema ökologische Nachhaltigkeit oben auf ihrer Agenda. Fast jedes Unternehmen hat mittlerweile eine Nachhaltigkeitsstrategie. Kein Manager, keine Managerin würde sich mehr trauen zu sagen, dass die grüne Transformation unwichtig sei.

Die zweite gute Nachricht: Einige technologische Möglichkeiten sind bereits vorhanden. Immer neue Technologien erlauben es uns, Produkte ressourcenschonender herzustellen, uns fortzubewegen und Energie zu gewinnen. Ganze Wertschöpfungsketten können angepasst werden, Recycling oder Upcycling verlängern die Lebensdauer von Produkten und gut isolierte Gebäude senken den Energieverbrauch.

Die dritte gute Nachricht: Wir alle können handeln. Diese grüne Transformation betrifft nicht nur Unternehmen und die Politik, sondern jeden einzelnen Menschen. Mit täglichen Konsumentscheidungen (zum Beispiel Fahrradfahren, vegane Ernährung, lokales Reisen) können Menschen täglich zur grünen Transformation beitragen. Damit hat jede:r Einzelne von uns die Möglichkeit, sehr niedrigschwellig im Alltag etwas beizusteuern.

So weit, so gut. Aber die Sache hat einen Haken: Die meisten von uns handeln nicht auf eine grüne Art und Weise. Tagtäglich beobachten wir uns selbst oder andere und müssen feststellen, dass unsere Konsumentscheidungen oftmals nicht so grün sind, wie wir das eigentlich gerne hätten. Denken wir an die Langstreckenflüge, den Fleischkonsum, den Kauf von nicht biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln, die Benutzung von Plastikgeschirr. Die Liste ließe sich endlos fortführen.

Wieso schaffen wir es nicht, obwohl das Wissen und die Möglichkeiten vorhanden sind? Mangelt es uns etwa am guten Willen?

Der Wille für und das Interesse an grünen Produkten sind vorhanden

Die Menschen im deutschsprachigen Raum wollen! Beinahe unisono gaben die Befragten in Umfragen an, dass ihnen grüner Konsum und Nachhaltigkeit allgemein wichtig seien. Und dies gilt über die verschiedenen Altersgruppen hinweg, von der Generation der Babyboomer bis zur Gen Z. Dieser Trend in Richtung Nachhaltigkeit wurde im Zuge der Coronakrise sogar nochmals verstärkt.

Viele Befragte meinten zudem, dass sie auch bereit seien, ihr eigenes und über die Jahre eingeschliffenes Verhalten wirklich anzupassen. An erster Stelle wurde hier die Bereitschaft genannt, im Haushalt Energie zu sparen, gefolgt vom Kauf regionaler, saisonaler Produkte und/oder der Reduktion des Fleischkonsums.1

Doch damit nicht genug des Guten! Diesen besten Willen krönten Verbraucher:innen in verschiedensten Umfragen damit, dass sie bereit seien, auch einen Aufschlag für grüne Produkte zu zahlen. In manchen Studien gaben 20 % der Befragten an, dass sie die noble Absicht haben, einen Aufpreis von 50 % und mehr für das grüne und damit nachhaltige Produkt zu zahlen.2

Können Sie es den Unternehmen verdenken, die hier große Hoffnung schöpfen, mit ihren nachhaltigen Angeboten wirklich Geld zu verdienen?

Laut Umfragen herrschen also die besten Voraussetzungen: Konsument:innen haben in Deutschland eine positive Einstellung zu grünem Konsum, sie sind sich im Klaren darüber, dass sie dafür liebgewonnene Gewohnheiten anpassen müssen, und wären sogar bereit, mehr zu bezahlen. Also sollte den alternativen grünen Konsum- und Verhaltensmustern eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Oder doch?

Der Attitude-Behavior-Gap aber auch

Die grüne Transformation und der grüne Konsum scheitern weder am Wissen noch am Wollen, sondern oftmals am tatsächlichen Verhalten der Menschen. Angebote, welche Fairtrade-, Bio-, saisonal oder anderweitig zertifiziert sind, werden dem Handel nicht so aus den Händen gerissen, wie es die Umfragen vermuten lassen würden.

In der Wissenschaft wird dies als Attitude-Behavior-Gap bezeichnet. Es bedeutet, dass Menschen zwar eine entsprechende Einstellung (Attitude) haben können, diese sich aber nicht in ihrem Verhalten (Behavior) widerspiegelt. Die Anthropologin Margaret Mead (1901–1987) hat diese Diskrepanz treffend zusammengefasst: »What people say, what people do, and what you say they do are entirely different things.«

Dieser Attitude-Behavior-Gap ist kein abstraktes wissenschaftliches Konzept, sondern findet sich in vielen alltäglichen Beispielen wieder. Lassen Sie uns drei näher betrachten.

Exkurs

Attitude-Behavior-Gap

Die Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten wird auf die unterschiedlichsten Faktoren zurückgeführt, wie zum Beispiel auf einen hohen Preis oder auch fehlende Informationen über das entsprechende Produkt. Oder es ist einfach die Bequemlichkeit.

Der Attitude-Behavior-Gap eignet sich besonders gut dafür, um das fehlende nachhaltige Verhalten von Menschen zu verstehen. Oder wie würde man sonst erklären, dass Menschen grünes, nachhaltiges Verhalten sehr wohl als wichtig erachten, sich aber nicht dementsprechend verhalten? Wieso benutzen viele Menschen immer noch im Übermaß Plastiktüten? Wieso kaufen wir immer mehr, als wir wirklich brauchen? Der Attitude-Behavior-Gap bietet hier einen Erklärungsansatz.

Auch in unzähligen Marktforschungsberichten wird der Attitude-Behavior-Gap bestätigt. So zeigte beispielsweise ein Bericht des Fashion-Konzerns Zalando (2021) auf, dass für 60 % der Befragten Transparenz ein wichtiges Kaufkriterium sei, in dem Kaufprozess suchten jedoch nur 20 % der Kund:innen explizit nach Informationen zur Transparenz. Für 40 % der Befragten spiegelt sich also die Einstellung nicht im Verhalten wider.

Beispiel 1: Der Fleischkonsum in der Schweiz steigt leicht an

Der Verzicht auf Fleisch kann einen großen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Ein:e Durchschnittsdeutsche:r emittiert pro Jahr 11,61 Tonnen CO2 Äquivalente. Eine Umstellung des Essverhaltens auf vegetarisch würde 0,45 Tonnen CO2 pro Jahr davon einsparen. Und auch schon mit einer Reduktion um ein Viertel des Fleischkonsums könnten 0,1 Tonnen CO2 pro Kopf im Schnitt eingespart werden . Der größte Hebel liegt hier beim Rindfleisch.3 Die Reduktion des Fleischkonsums bietet also für die breite Masse einen tagtäglichen Hebel, um zur grünen Transformation beizutragen. Eigentlich müsste sich hier einfach nur ein wenig der Inhalt des Tellers ändern, was doch ein Leichtes sein sollte.

Und tatsächlich ist laut Statista der Fleischkonsum pro Kopf in Deutschland über die letzten Jahre gesunken, was als ein gesteigertes Bewusstsein für Nachhaltigkeit oder auch Tierwohl interpretiert werden könnte. Sicherlich spielen jedoch auch andere Faktoren eine Rolle, beispielsweise die gestiegene Inflation und die höheren Lebensmittelpreise aufgrund der Coronakrise und dem Ukrainekrieg. In Deutschland ist also nicht ganz klar, worum es sich bei dem zu beobachtenden Fleischrückgang handelt: Not oder Tugend?

Die Situation in der Schweiz stellt sich ein wenig anders dar: Hier verharrt der Fleischkonsum auf einem stabilen Niveau, sogar mit steigender Tendenz.4 Das ökologische Bewusstsein ist in der Schweiz ähnlich ausgeprägt wie in Deutschland, jedoch ist die ökonomische Lage eine andere. So ist beispielsweise die Inflation in der Schweiz verhältnismäßig niedrig. Die breite Masse kann sich also Fleisch noch leisten und tut dies auch gerne.

In der Schweiz sieht man also einen klassischen Attitude-Behavior-Gap. Denn nachhaltiger, grüner Konsum ist vielen Menschen wichtig und die Reduktion des Fleischkonsums gilt gemeinhin als eine entscheidende Maßnahme.5 Eine Verhaltensänderung – eine Reduktion des Fleischkonsums – fällt der breiten Masse jedoch oftmals recht schwer. Einstellung und Verhalten passen also nicht zusammen.

Beispiel 2: In Deutschland sind mehr Autos als je zuvor zugelassen

Der Verzicht auf einen Pkw hat ein beachtliches ökologisches Potenzial: Laut CO2-Rechner von myclimate können auf einer Strecke von 100 Kilometern 0,034 Tonnen CO2 eingespart werden. Dies wären bei der jährlichen Nutzung von 10 000 Kilometern satte 3,4 Tonnen CO2-Einsparpotenzial. Das ist ein knappes Drittel der durchschnittlichen Gesamtemission von jährlich rund 11,17 Tonnen in Deutschland.6

Insbesondere der Generation Z (circa Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er Jahre Geborene) wird eine sehr grüne Einstellung nachgesagt. Sie gilt als die Protestgeneration zum Überkonsum der früheren Jahre, die sich ihrer Umweltauswirkungen sehr viel bewusster ist und daher ihre Einstellung konsequent hinterfragt.

Aber haben diese jungen Menschen tatsächlich auch ihr Verhalten entsprechend angepasst? Die Zulassungsdaten für Autos in Deutschland legen hier nahe, dass sich die Generation Z in ihrem Mobilitätsverhalten gar nicht so stark von anderen Generationen unterscheidet. So sind laut Kraftfahrtbundesamt im Jahr 2023 1,1 Millionen Autos auf die Altersgruppe der unter 24-Jährigen zugelassen.7 Über alle Altersgruppen hinweg gab es 2023 sogar einen Rekord an neu zugelassenen Autos. Der Anteil der jungen Fahrer:innen entspricht dabei ungefähr dem Wert von vor zehn Jahren.

Ist der Großteil dieser Autos elektrisch und damit wenigstens ein bisschen grüner? Dies ist leider nicht der Fall. Die Anzahl der zugelassenen Elektroautos bewegt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Elektrische Autos sind nämlich teurer als Benziner, und darum für junge Fahrer:innen nicht wirklich geeignet.

Obwohl ein Großteil der Deutschen ökologische Nachhaltigkeit wichtig findet, passen die wenigsten, inklusive der Generation Z, ihr Mobilitätsverhalten konsequent an.

Beispiel 3: Trotz Flugscham fliegen die Deutschen so viel wie nie zuvor

Flugreisen haben einen hohen CO2-Fußbdruck. Die Fahrt mit der Bahn von München nach Berlin mit einem durchschnittlichen Strommix verursacht viel weniger CO2 als ein vergleichbarer Flug von München nach Berlin.

Viele Menschen sind sich dieser negativen Ökobilanz bewusst. Laut einer McKinsey-Studie aus dem Jahr 2023 gaben 45 % der deutschen Befragten an, ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie fliegen (Vergleich 2019: 23 %). In den USA liegt dieser Wert sogar bei 55 %. 8 Als Flugscham wird dieses Phänomen seit ein paar Jahren in den Medien bezeichnet. Der Begriff hält den Menschen ganz klar den Spiegel vor: Fliegen ist sehr schädlich für die Umwelt und sollte möglichst vermieden werden.

Zeigt sich dieses Bewusstsein im tatsächlichen Flugverhalten? Fliegen die Menschen weniger, oder machen sie mehr Urlaubsreisen in die nähere Umgebung?

Während der Coronapandemie schien es tatsächlich so zu sein. Die Menschen entdeckten die Alpen und die Ostsee als attraktive Reiseziele, weil Flugreisen nicht möglich waren. Internationale Businessmeetings wurden virtuell abgehalten.

Mittlerweile sind private Flugreisen fast wieder auf dem Niveau wie vor der Coronapandemie.9 Fernreisen sind eben doch exotischer, und nach der trüben Coronazeit haben wir uns das doch alle auch verdient, oder? Trotz einer klar negativen Einstellung zum Fliegen (»Fliegen ist schlecht für die Umwelt«), tun es viele Menschen dennoch wieder, und zwar ausgiebig (»Ich fliege nach Thailand in den Urlaub«). Genau das ist der Attitude-Behavior-Gap.

Kapitel 2Das 60 %-​Potenzial – die breite Masse

Meistens sind die Fragestellungen in Umfragen zum ökologischen Konsum völlig hypothetisch. Da werden Menschen zum Orakel, wenn man ihnen zum Beispiel eine Antwort zu diesen Fragen abringt: »Wie stark werden Sie in Zukunft auf den Kauf von Bio-Lebensmitteln achten?« oder »Werden Sie im nächsten Jahr mehr nachhaltige Lebensmittel kaufen?« Auch auf diese Weise erhält man nur eine Selbsteinschätzung, aber keine belastbare Vorhersage auf ein tatsächliches Verhalten.

Das Resultat solcher Ansätze ist oftmals die Aufteilung des Marktes in zwei Gruppen: eine große Gruppe, die Nachhaltigkeit als wichtig empfindet, und eine andere, der man das Gegenteil unterstellt. Nimmt man zum Beispiel eine Studie von Statista, in der gefragt wurde: »Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit?«, bekommt man einen sehr rosigen wie auch simplen Eindruck: Viele Menschen empfinden ökologische Nachhaltigkeit als wichtig, andere wiederum als weniger wichtig.

Umfragen, auch wenn sie repräsentativ sind, zeichnen selten ein akkurates Bild: Denn dabei handelt es sich erstmal nur um Einstellungen und nicht um tatsächliches Verhalten. Letzteres herauszufinden, ist um ein Vielfaches schwieriger und auch aufwendiger. Deshalb begnügt sich die (Markt-)Forschung oftmals mit der Erhebung von Einstellungen. Entscheidend ist es jedoch, dass das Verhalten viel aussagekräftiger ist.

Wie können wir nun Menschen im Hinblick auf ihren grünen Konsum besser verstehen? Wir schlagen eine alternative Aufteilung des Gesamtmarkts in drei Gruppen vor, und zwar basierend auf einer Kombination aus Einstellung und tatsächlichem Konsumverhalten:

Die Öko-Fans Dies sind Menschen, die in Umfragen eine grüne Einstellung angeben und dann auch tatsächlich grüne Produkte kaufen, mehr oder weniger regelmäßig. Bei dieser Gruppe liegt kein Attitude-Behavior-Gap vor.

In dieser Gruppe findet man auch die Menschen, die ihre Einstellung sichtbar in der Öffentlichkeit vertreten, sich beispielsweise an Protestkundgebungen beteiligen oder bei der Diskussion am Abendessenstisch für die Umwelt eintreten. Wir verwenden hier den Begriff Öko als Oberbegriff, da er für eine grüne Gesinnung steht, die zum Beispiel gegen Mikroplastik gerichtet sein kann oder pro Tierwohl, pro erneuerbare Energien, pro Biodiversität und so weiter.

Die Öko-Muffel Dies sind Menschen, die bereits in den Umfragen angeben, dass ökologische Nachhaltigkeit für sie keine große Rolle spielt. Sie stufen grüne Verhaltensweisen als nicht adäquat für sich ein oder lehnen sie gänzlich ab. Als Konsequenz greifen sie in der Regel nicht absichtlich zu grünen Produkten.

Auch diese Gruppe ist leicht zu begreifen, da ebenfalls kein Attitude-Behavior-Gap vorliegt. Wie auch bei den Öko-Fans gibt es in dieser Gruppe extremere Ausprägungen, also Menschen, die zum Beispiel den Klimawandel komplett verneinen. Dies ist jedoch die absolute Minderheit. Den Begriff Öko verstehen wir hier abermals als Überbegriff für ökologische Nachhaltigkeit.

Die 60 % Dies sind die Menschen, die in Umfragen angeben, dass ihnen grüner Konsum wichtig sei. In ihrem Verhalten zeigt sich dies allerdings oftmals nicht:

Bei dieser Gruppe liegt ein Attitude-Behavior-Gap vor. Und hier wird es interessant, denn wir gehen davon aus, dass dies auf den Großteil der Bevölkerung in Deutschland, Österreich und der Schweiz zutrifft. Es ist die breite Masse, die Mainstream-Konsument:innen, die in den Umfragen in Richtung Nachhaltigkeit nach vorn preschen und dann vor dem Supermarktregal doch wieder zögern und zu den konventionellen Alternativen greifen. Einstellung und Verhalten stimmen bei ihnen nicht überein. Darum lässt sich hier auch noch etwas bewegen. Hier liegt das große Potenzial!

Aufgrund solcher Umfragen lassen sich manche Entscheidungsträger:innen in ein hypothetisches grünes Konsumwunderland entführen. Sie gehen auf Basis von Einstellungen – also bestenfalls gut gemeinten Absichtserklärungen – davon aus, dass sich die Menschen tatsächlich nachhaltig verhalten werden. In den Verkaufszahlen schlägt sich diese Einstellung dann jedoch oftmals nicht nieder.

Sind es jetzt 50 %, 60 % oder 70 %? – kurze Begriffserklärung

Menschen neigen dazu, in Extremen zu denken, in Schwarz und Weiß. Unsere Welt ist jedoch viel komplexer – sie hat verschiedenste Grautöne. Und genau auf diesen grauen Bereich wollen wir die Aufmerksamkeit lenken. Dafür haben wir den Begriff der 60 % entwickelt.

Bei unserer Aufteilung geht es uns nicht um die genaue, prozentartige Aufteilung des Marktes, sondern um die Kernaussage: Es gibt eine breite Masse, die grünen Konsum gut findet, ihn jedoch nicht umsetzt. Das nennen wir das 60 %-Potenzial. Potenzial bedeutet in diesem Zusammenhang: Sie wollen zwar, aber aus den unterschiedlichsten Gründen tun sie es noch nicht. Ohne diese breite Masse ist »ein ökologischer Umbau von Industrie und Gesellschaft« nicht realistisch.10

Konzentrieren wir uns daher auf diese oft übersehene, aber breite Mehrheit. Was würde passieren, wenn sie ihr Konsumverhalten wirklich anpassen würde? Wenn sie konsistent zu nachhaltigen Shampoos, Jeans und Lebensmitteln greifen würde? Wenn sie freiwillig und begeistert auf ihr Verbrennerauto verzichten würde? Dies ist ein enormer Hebel und eben auch ein riesiges Potenzial. Anhand von Beispielen lässt sich das 60 %-Potenzial verdeutlichen:

Private Konsumausgaben stellen insgesamt einen großen Hebel für die grüne Transformation dar. Laut Destatis werden 2 089,703 Milliarden Euro für private Konsumausgaben ausgegeben.11 Was wäre, wenn künftig ein Großteil dieser privaten Konsumausgaben auf grünen Konsum entfallen würde?

An den Öko-Muffeln kann man sich nur aufreiben, denn sie haben ihre ganz eigenen Denk- und Verhaltensweisen, die nur schwer zu verändern sind. Das 60 %-Potenzial hingegen liegt in der breiten Masse: Sie sind grünem Konsum gegenüber positiv eingestellt, greifen jedoch oftmals zu konventionellen Alternativen, die zumeist nicht nachhaltig sind.

Die Öko-Fans sind schon längst überzeugt. Sie anzusprechen bedeutet, Holz in den Wald zu tragen. Was ist aber mit den Menschen, welche zum Beispiel noch regelmäßig Fleisch essen? Mit welchen Interventionen oder Anreizen bekommt man diese Gruppe von Menschen dazu, wenigstens ab und zu auf Fleisch zu verzichten? Der Hebel wäre enorm und bedeutend größer, als würde eine kleine Gruppe der Bevölkerung dem Fleisch komplett entsagen.

Der Fast-Fashion-Markt wächst weltweit.12 Dies kann man als Indiz dafür werten, dass die breite Masse hier nur schleichend in eine Entschleunigung mitgenommen wird. Was wäre aber, wenn sie vollständig auf den Pfad der Slow Fashion einschwenken würde?

Was bringt die Aufteilung in Öko-Fans, Öko-Muffel und die 60 %?

Wir gewinnen durch diese Aufteilung eine ganz neue Perspektive und damit auch einen Lösungsraum. Was wäre zum Beispiel, wenn das 60 %-Potenzial eine wirkliche Anwendung in Unternehmensstrategien finden würde?

Strategien und Geschäftspläne werden dann nicht mehr für die bereits überzeugten Öko-Fans ausgearbeitet, sondern für all jene, die Nachhaltigkeit gut finden, aber nicht umsetzen. Und für diese Gruppe müsste natürlich ein Produktdesign, ein Werbespot oder ein Plakat ganz anders aussehen als für eine Gruppe von Menschen, die ökologisch überzeugt ist und sich dementsprechend verhält.

Wir bieten für Diskussionen auch einen neuen Begriff, den man als ständige Mahnwache am Rand der eigenen täglichen Entscheidungsfindung aufstellen kann: Ist das, was wir gerade machen, wirklich 60 %-relevant? Oder ist es nur eine Nische?