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Lesen und Schreiben, Sprechen und Zuhören sind Mittel, Trauer und Verluste zu verstehen. Die besondere Zeit der Trauer bietet die Chance, die eigene Sensibilität neu auf das Lesen und Verstehen von Texten auszurichten. Die Bandbreite des Traueralphabets reicht von Wut, Liebe, Angst, Loslassen, Zeit, Materie und Körper bis zum letzten Atemzug. All diese Themen finden sich im Romanausschnitt, Reisebericht, Interview oder Brief, die in diesem Buch zusammengestellt sind. Der methodische Teil der Textarbeit liefert Trauerbegleitern ein reiches Spektrum für die kreative Anwendung: die Vervollständigung von Texten, das Finden eigener Worte, das Zuhören, die Diskussion, die Beantwortung von Fragen und vieles mehr.
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Seitenzahl: 153
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EDITION Leidfaden
Hrsg. von Monika Müller
Die Buchreihe Edition Leidfaden ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen im (semi-)professionellen Umgang mit Trauernden.
Isabella Hemmann
Das Alphabet der Trauer
Mit Texten zum tieferen Verständnis von Verlusten
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eISBN 978-3-647-99658-5ISBN 978-3-647-40248-2
Umschlagabbildung: sakhorn/shutterstock.com
© 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.
www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenUmschlag: SchwabScantechnik, Göttingen
Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt
Vorbemerkung
ILesen und Schreiben im Alltag
Heilende Aspekte des Lesens
Verstehen verändert Bewusstsein
Ausflug an den Wörter-See
IIErfahrungen aus der Praxis: Lesen und Verstehen als lebendige Auseinandersetzung mit Tod und Sterben
Helene und die Liebesbriefe
Peter und die preiswerte Einäscherung
Jakob aus Hamburg
Caroline nimmt Abschied
Gerald und die Erbtante
Roswitha entdeckt Neuland
IIITexte und Methoden
Plötzlich nie wieder
Das große Fehlen
Der Tod und die Dinge
Der trauernde Körper
Die Anderen
Die Wut und der Tod
Wo der Himmel ist
Die Angst vor den Tatsachen
Gestorben wird immer und überall
Der letzte Atemzug
Der Tod und die Zeit
Du warst und bist
Kann der Tod auch heiter sein?
Ende und Anfang
Die Liebe und der Tod
Schlussbemerkung
Vorbemerkung
Auch eine Lebensversicherung schützt uns nicht vor dem Verlust durch den Tod. Zeitlebens trennt nur ein Hauch von Nichts das Leben vom Tod und unentrinnbar läuft jedes Leben auf den Tod hinaus. Das wissen wir, und wenn wir in Sterbekummer oder Liebeskummer trauern, erleben wir den unermesslich großen Schmerz des Verlustes durch Liebe und Tod. Trauer kann alle Bereiche unseres Lebens erfassen. Wir können um eine Liebesbeziehung trauern, um vergangene Jugend, vertane Chancen, einen Menschen, unsere Gesundheit, verblühende Schönheit. Im Leben können wir alles verlieren, nichts ist sicher.
In diesem Buch geht es auch um die Liebe, aber vornehmlich um Verständnis von Verlust, Tod und Trauer. Wenn wir nicht trauern, reden und lesen wir über den Tod oft als mediales Ereignis, etwa bei berichteten oder verfilmten Katastrophen oder Kriminalromanen. Wenn sie uns persönlich betreffen, sind Tod, Sterben oder Trauer keine Themen, über die wir leichthin sprechen oder denen wir ebenso zuhören. Jedes Tier lebt, wenn von Menschenhand unberührt, ein natürliches, intelligentes Leben ohne Bewusstsein des eigenen Todes in der Gegenwart. Unser Tod-Bewusstsein unterscheidet uns vom Tier.
Wie gehen wir damit um? Im Allgemeinen sagen wir, dass das, was uns bewusst ist, auch verstanden, also klar ist, und wir keine Fragen mehr haben. Mir ist bewusst: Wenn ich ohne Schirm durch den Regen laufe, werde ich nass. Und der Tod? Wir wissen nicht wann und nicht wie. Nur dass. Also ist jeder Augenblick lebendig, alles, was wir haben, und von existenzieller Bedeutung. Ist uns das bewusst?
Trauernd ahnen oder erleben wir, dass wir ein weltliches Leben führen, es aber eine nichtweltliche Seite in unserer Lebenserfahrung gibt. Es kann vorkommen, dass wir meinen, verstorbene Menschen zu sehen oder zu hören, dass wir Gespräche mit ihnen führen oder ihre Anwesenheit spüren – können wir dies im normalen Tagesgeschehen verlautbaren, ohne schief angesehen zu werden? Sehen wir uns vielleicht selbst schief an, wenn wir dies denken oder erleben?
In Trauer erfahren wir uns selbst und das Leben von einer anderen Seite. Unsere Wahrnehmung ist roh, fremd, schmerzhaft, wie neu, anders als zuvor. In unserem größten Leid und Schmerz sind wir oft wacher und bewusster als im gewohnten Alltag. Wir können Phänomenen begegnen, die in einer modernen Wissensgesellschaft keine oder wenig Beachtung finden. Vielleicht gefährden wir eine bestehende Ordnung, weil wir plötzlich fast alles hinterfragen. Gerade weil wir Gewohntes in Frage stellen, ist der schmerzhafte und verwirrende Zustand der Trauer geeignet, Klarheit und heilsames Verständnis zu gewinnen. In den literarischen Texten im III. Teil dieses Buches geht es um fünfzehn verschiedene Aspekte und Erfahrungen in der Trauer. So verschieden die Erfahrungen, so vielfältig ist auch die Art, darüber zu schreiben. Im Lesen und Schreiben erleben wir uns selbst und unser Denken. Ein Buch, das uns vor zehn Jahren nichts sagte, kann uns von heute auf morgen zur inspirierenden Quelle werden. Was änderte sich? Das Buch oder unser Bewusstsein?
Wie können wir uns, unser Denken und unser Bewusstsein verstehen? Bewusstsein ist keine Expertenangelegenheit, es geht uns alle an. Bewusstsein erleben wir jeden Tag. Es ist gut, einfach und klar darüber zu sprechen. Im Allgemeinen haben wir für das, was wir nicht wissen, auch kaum oder keine Worte. Bewusstsein ist nicht greifbar und nur in Auszügen sichtbar zu machen in seinem vielschichtigen Wirken. Gute Metaphern tragen uns weiter. Zum Beispiel: Bewusstsein ist wie ein Haus, das ich bewohne. Als Metapher für menschliches Bewusstsein in diesem Buch steht der »Wörter-See«. Wasser fließt, auch unser Bewusstsein hat etwas Fließendes, es wird Bewusstseinsstrom genannt. Der Wörter-See ist der Ort des Verstehens, auch die innere Ruhe. Hier ruht unser Geist, also unser Bewusstsein. Wenn wir klar sind, können wir bis auf den tiefen Grund sehen.
Das »Alphabet der Trauer« ist ein Lesebuch, ein Vorlesebuch, ein Handbuch und auch ein Textarbeitsbuch. Verwenden Sie es so, wie es für Sie sinnvoll ist. Im I. Teil des Buches geht es um das Lesen und Schreiben im Alltag und wie das Verstehen unser Bewusstsein verändert. In diesem Teil können Sie auch den Wörter-See entdecken. Im II. Teil sind ganz unterschiedliche Trauererfahrungen versammelt, in denen das Lesen und Schreiben wesentlich zum Verstehen beigetragen hat. Im III. Teil »Texte und Methoden« finden Sie in jedem Kapitel einen literarischen Text (in anderer Schrift) und den philosophischen »Gruß vom Wörter-See« (in kursiver Schrift), der einzelne Aspekte des Kapitelthemas beleuchtet: Mal geht es um das kreative Fließen, den so genannten Flow, mal um die Meditation, die Klarheit, die Wissenschaft oder die Herkunft von Wörtern. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen. Grau unterlegte Texte richten sich direkt an Trauerbegleiter1. Wenn Sie kein Trauerbegleiter sind, aber mehr wissen wollen, werfen Sie einen Blick hinein. Sie finden dort weiterführende Fragen und praktische Methoden zum tieferen Verständnis.
Die grau unterlegten Abschnitte kennzeichnen Vorschläge für die praktische Trauerbegleitung. Sie finden Sie am Ende jedes Kapitels. Die unterschiedlichen Methoden kommen aus den Bereichen der Literatur, der Gestalttherapie und der Meditation. Oft gibt es mehrere Vorschläge zu einem Text, so dass Sie nach Neigung und individueller Situation wählen können. Konkrete Hinweise zu den einzelnen Methoden finden Sie im III. Teil des Buches.
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1Für die bessere Lesbarkeit wird jeweils nur die grammatisch männliche Form verwendet, auch wenn beide Geschlechter gemeint sind.
I Lesen und Schreiben im Alltag
Das geschriebene Wort ist eine jederzeit zugängliche Quelle von Trost und Verständnis. Durch den Brief eines nahestehenden Menschen, den wir immer wieder lesen können, fühlen wir uns verbunden und empfinden durch das Niedergeschriebene vielleicht eine gewisse Sicherheit. Das geschriebene Wort ist greifbar: Wenn wir etwas Schwarz auf Weiß haben, können wir auch das noch nicht Verstandene mit uns herumtragen und zu einem anderen Zeitpunkt weiter lesen und verstehen. Worte drängeln nicht, sie sind voller Geduld und für den Lesenden da, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Die Fähigkeiten des Lesens und des Schreibens sind uns so selbstverständlich, dass wir nur für jene Menschen ein Wort haben, die diese Fähigkeiten nicht besitzen: Analphabeten. Würden wir auf die Idee kommen, uns als Alphabeten zu bezeichnen? Das Lesen und Schreiben ist uns alltäglich, wir betrachten es nicht als etwas Kostbares, es sei denn, wir verlieren die Fähigkeit oder den Zugang. Es verhält sich mit dem Lesen und Schreiben wie mit dem Wasser, das aus der Leitung strömt, wenn wir den Hahn aufdrehen. Solange es da ist, machen wir uns kaum Gedanken darüber. Fehlt es, ist es plötzlich ein kostbares Gut. Ist es das vorher nicht?
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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