Das Amulett des Sarazenen: Die große Sarazenen-Saga - Band 2 - Ursula Walch - E-Book
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Das Amulett des Sarazenen: Die große Sarazenen-Saga - Band 2 E-Book

Ursula Walch

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Beschreibung

Eine Heilerin im Kampf um die Freiheit: Der opulente Historienroman „Das Amulett des Sarazenen“ von Ursula Walch jetzt als eBook bei dotbooks. Spanien, 16. Jahrhundert. Aufgewachsen im Volk der Roma, erlernt die begabte Juana von einem arabischen Arzt die Heilkunde – und gerät dadurch in tödliche Gefahr: Von der Inquisition als Hexe angeklagt, scheint in den finsteren Kerkern Granadas alle Hoffnung verloren. Aber dann erhält Juana unerwartet Hilfe ... Der berüchtigte Piratenkapitän Nicolas de Monterrey musste in der Seeschlacht gegen seinen Widersacher Barbarossa eine bittere Niederlage erleiden und will sich nun Juanas außergewöhnliche Gabe zunutze machen. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass die schöne Heilerin ihn ganz und gar in ihren Bann ziehen wird … Exotisch, abenteuerlich, ein Fest für die Sinne. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Nach „Das Schwert des Sarazenen“ der neue Roman „Das Amulett des Sarazenen“ von Ursula Walch. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Spanien, 16. Jahrhundert. Aufgewachsen im Volk der Roma, erlernt die begabte Juana von einem arabischen Arzt die Heilkunde – und gerät dadurch in tödliche Gefahr: Von der Inquisition als Hexe angeklagt, scheint in den finsteren Kerkern Granadas alle Hoffnung verloren. Aber dann erhält Juana unerwartet Hilfe ... Der berüchtigte Piratenkapitän Nicolas de Monterrey musste in der Seeschlacht gegen seinen Widersacher Barbarossa eine bittere Niederlage erleiden und will sich nun Juanas außergewöhnliche Gabe zunutze machen. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass die schöne Heilerin ihn ganz und gar in ihren Bann ziehen wird …

Exotisch, abenteuerlich, ein Fest für die Sinne.

Über die Autorin:

Ursula Walch, geboren in der Steiermark, studierte an der Universität Graz spanische Sprache, Geschichte und Literatur. Neben ihrer Arbeit als Hebamme führten sie etliche Einsätze als Projektmanagerin in die Westsahara und den Senegal, wo sie den Verein SAAMA gegen genitale Verstümmelung gründete und 2017 ein Behandlungszentrum in Dakar eröffnete. Nach elf Jahren in Spanien lebt Ursula Walch derzeit mit ihrem Mann und den vier Kindern in Graz.

Bei dotbooks veröffentlicht Ursula Walch auch den historischen Roman Das Schwert des Sarazenen.

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2018

Copyright © der Originalausgabe 2005 bei S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Gemäldes von Sidney Prior Hall

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-028-9

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Ursula Walch

Das Amulett des Sarazenen

Roman

dotbooks.

I.

TUNIS, Mai 1530

Nicolas de Monterrey stand auf dem Achterdeck der »Aguila« und starrte teilnahmslos in die dunkle Nacht. Immer noch roch es auf dem Schiff nach Blut, Schweiß und abgestandenem Urin. Immer noch mussten Leichen ins Meer geworfen werden. Ein Heer schwarzer Sicheln durchpflügte das im Mondschein silbern glitzernde Wasser und folgte ihnen beharrlich.

Soeben hatten sie Gaston über die Reling gekippt. Ihm war im Kampf eine Hand abgeschlagen worden und dann, bereits im Delirium, hatte Amin unter seinem Arm einen dunklen Knoten entdeckt. »Mitunter dringt das Gift überallhin, Marqués. Wie Ihr wisst, setzt bei dem Knoten der Brand ein. Man müsste ihm Blutegel ansetzen, die wir nicht haben. Anderenfalls ...«

»Na'am.« Er wusste, was andernfalls wäre. Verdammt! Ein Freiflug zu den Haien wäre noch das Beste für ihn. Der Kerl hatte seiner Meinung nach ohnehin keine Chance, so oder so.

Aber dann sagte Amin: »Bis wir in Tunis sind und einen Arzt finden, der die Fäulnis heilen kann, wird sein Arm schwarz wie Seemannspech sein und so stinken, dass ihn seine eigenen Kumpels über Bord werfen.«

Eben. Warum nicht gleich? Er schielte zu Gaston. Amin starrte ihn in einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit an.

»Also amputieren.«

Amin nickte. »So schnell wie möglich.«

Er selbst hatte sein Schwert gezogen und den Armstumpf unterhalb des Schultergelenks vom Körper getrennt. Gaston aber war aus seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr erwacht ...

Und immer noch fanden die Männer Wein und Rum und feierten ohne Ende.

Die hünenhafte Gestalt des Freundes bemerkte Nicolas erst, als sie sich aus dem Schatten löste und auf ihn zutrat. »Reizend, dass einer mich ablösen kommt!«

»Find ich auch.« Erik rülpste. »Schiebst du heute Nacht Wache, Partner?«

»Nein, aber du.«

»Ho, ho!« In den hellen Augen blitzte der Schalk. »Was lässt

dich hoffen?«

»Oh, es gibt ernsthafte Hinweise!« Ein breites Lächeln zog Nicolas' gut geschnittene Lippen auseinander. »Ich steh mir nämlich schon lange genug die Beine in den Bauch, mon ami.«

»Hm«, nickte Erik, »ein Problem.« Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Im Prinzip spricht nichts gegen einen gemütlichen Stuhl an Deck.«

Nicolas warf dem Freund einen unheilschwangeren Blick zu. »Schön, aber auch mit dem verdammten Stuhl will ich hier nicht überwintern!«

»Nein?« Erik grinste. »Dann muss ich wohl übernehmen, schätze ich. Du weißt ja, wo ich den Winter über sein werde!«

Der mächtige Lockenkopf wackelte, und die blauen Augen rollten. So eindeutig, dass Nicolas launisch brummte: »Auf deiner Frau vermutlich.«

»Das will ich meinen, Mann!«, rief Erik vergnügt. »Und nun werd ich einen halbwegs gemütlichen Stuhl suchen.«

Als es sich der Ire auf diese Weise bequem gemacht hatte, verließ Nicolas kopfschüttelnd das Achterdeck. Die knarrende schmale Treppe zu seiner Kajüte hinabsteigend, ließ er den Kampf Revue passieren. Das Gemetzel mit den königlichen Soldaten war erbittert und langwierig gewesen und der Blutzoll hoch. Für Moctezumas Gold hatten sie einen hohen Preis bezahlt. Und dennoch. Niemand da unten bereute es, nicht einmal die Verwundeten. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Züge und erinnerte ihn schmerzhaft an die frische Wunde in seinem Gesicht.

Die Kaperung der »Guadalupe« und der Raub des Aztekenschatzes von der spanischen Krone war der größte Erfolg seiner Freibeuterkarriere. Die erbeuteten acht Truhen mexikanischen Goldes bedeuteten unermesslichen Reichtum, und jeder der Piraten wusste, dass ihr Kapitän auch diesmal mit ihnen teilen würde. Dementsprechend hatten sie den Triumph gefeiert. Und feierten ihn immer noch. Es war schwer zu sagen, was den Männern mehr zusetzte, ihre Verwundungen oder der Alkohol, und eigentlich wusste niemand so recht, wie sie es dennoch geschafft hatten, den Kurs beizubehalten.

Nachdem sie Erik in der Meerenge von Gibraltar an Land gerudert hatten, segelten sie bei gutem Wind weitab der maghrebinischen Küste gen Osten. Der Freund hatte genug Gold bei sich, um sich schnellstens bis Cordoba durchzuschlagen. Allzu weit konnte der Tross in diesen vier Wochen seit seinem Aufbruch nahe Sevilla ja noch nicht gekommen sein. Und wenn doch? Kurz schob sich Nicolas' kantiges Kinn nach vorn, dann straffte er seine Schultern. Er hatte seinen verlässlichsten Mann auf den Stamm der Calé angesetzt. Zuversichtlich, die Zigeunerin bald in seinen Armen zu halten, verschwendete er keinen Gedanken mehr an die Sache.

Wenige Tage später umschifften sie weiträumig das Kap Blanc und segelten in den Golf von Tunis. Vorbei an der Mündung des Medjerda und den Ruinen des alten Karthago, näherten sie sich der kleinen Insel La Goleta und glitten an ihr vorbei in die Bahia von Tunis. Der Anblick der blauen Bucht und der hellen, fast weißen Küstenlinien zu beiden Seiten war von geradezu wundersamer Schönheit.

»Als ich ein kleiner Junge war«, erzählte Nicolas Ramon, der mit ihm auf dem Achterdeck stand, »und hier in Tunis und auf dem Schiff meines Großvaters lebte, verwüstete der Pirat Barbarossa die Küste des Mittelmeers von Rhodos bis Südspanien. Horuk, der Ältere, war der Schrecken der Meere und für viele gleichbedeutend mit der Hölle.«

»Wie sein Bruder Cheir-ed-Din heutzutage«, warf der andere ein und bückte sich, während er sich am Kopf kratzte, nach einem Tauende.

»Klar, das ist dieselbe Brut. Du hast ihn ja kennen gelernt.« Nicolas trat an die Brüstung. »Eines muss der Neid ihnen lassen«, er schielte zu Ramon. »Trotz aller Bösartigkeit und Launenhaftigkeit besitzen die Brüder zweifelsohne Charisma – jenes Charisma, das den Erfolg und das Ansehen aller Heerführer und Helden der Geschichte ausmacht.«

Ramon spuckte über die Reling. Während er das Tau weiter aufrollte, meinte er trocken: »Die haben eine schwarze Seele, Marqués.«

Nicolas schätzte den wortkargen, nicht unattraktiven Mann, der das wenige, das er sagte, auf ganz eigene Weise betonte. Sein Zwillingsbruder Roman dagegen schwatzte gerne und viel und konnte gelegentlich sogar höchst unterhaltend sein.

»Da hast du verdammt Recht«, lachte Nicolas und tastete an seine linke Wange. Er sah zum Himmel auf. Silbermöwen kreisten scheinbar schwerelos, monotone Bahnen ziehend, über dem kobaltblauen Wasser. Dann schweifte sein Blick zur Insel La Goleta. »Die spielt eine traurige Rolle in der jüngsten Vergangenheit des Maghreb-el-Adna. Bis vor kurzem hielt dort Cheir-ed-Din – wie heute auf Djerba – Tausende von christlichen Gefangenen und Geiseln fest. Viele Spanier, lässt sich denken ...«

»Und Spanien will gegen diese Bande nichts unternehmen? Das ist ja lächerlich!«

»So lächerlich auch wieder nicht. Spanien sandte bald eine erfolgreiche Expedition unter dem Kommando von Admiral Andres Doria. Ich war damals ein Junge und mit meinem Großvater auf einer ausgedehnten Handelsreise – es soll beeindruckend gewesen sein! Dem Admiral bin ich später mal am königlichen Hof in Toledo begegnet, das ist jetzt zehn Jahre her. Schon damals war er in vorgerücktem Alter ...«

»Was sagt Ihr da?« Dem sehnigen Mann stand die Verwunderung ins Gesicht geschrieben. »Soviel ich gehört habe, befehligt Doria heute noch des Königs Flotte ...«

»Eben«, überlegte Nicolas und rieb sich sein stoppelbärtiges Kinn. »Mir scheint, der alte Seebär legt es auf Teufel komm raus auf ein Seebegräbnis an. Der stirbt noch auf einer seiner Affenschaukeln an Altersschwäche!«

»Wenn er nicht im Techtelmechtel mit Rotbart den Arsch zukneift.«

»Auch möglich.« Nicolas strich sich über die dunklen Bartstoppeln, die ihm ein verwegenes, wildes Aussehen verliehen. Er grinste. »Ich wette, der will es noch mal versuchen. Doria gelang es zwar, Oran, Bugia und Tripolis direkt der spanischen Krone zu unterstellen, aber ums Verrecken nicht, die Piratenbrüder zu fassen. Immerhin konnte er die Gefangenen der Insel Goleta befreien ... Dass er auch Barbarossas Flotte niedergebrannt hatte, war wohl nur für die Schiffsbauer der Gegend von Bedeutung.« Seine gut geschnittenen Züge nahmen schärfere Konturen an. »Die Brüder, das ist ja die Sauerei, zählten schon damals auf die Hilfe des Emirs von Algerien, des Emirs von Tlemcen, sogar des Sultans von Marokko und vor allem auf die Hilfe des mächtigen Sultans von Konstantinopel und befehligten schon bald wieder bedeutende Flotten.«

»Nicht zu glauben«, meinte der Taumacher, der noch zu jung war, um sich an die Geschehnisse vor zwanzig Jahren zu erinnern. »Und wo blieben die gefürchteten schwarzen Galeeren in all der Zeit?«

»Oh, die Johanniter waren mit ihrem eigenen Befreiungskampf auf Rhodos beschäftigt – jahrelang.«

Sein Zwillingsbruder Roman hatte sich mit einem Verband um die Schulter zu ihnen gesellt und mischte sich ein. »Cheir-ed-Din bemächtigte sich doch auf schändlichste Weise des algerischen Throns.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Das wird dem Jüngeren angedichtet, aber in Wahrheit war es Horuk. Der fiel Jahre später im Kampf gegen spanische Soldaten irgendwo hier in der Wüste.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung nach Südwesten. »Die beiden wurden ständig verwechselt, sahen sich angeblich auch sehr ähnlich. Zumindest der auffällige kupferrote Bart war derselbe ...« Nicolas spähte steuerbordseitig das Ufer entlang. »Nach Horuks Tod folgte ihm Cheir auf den algerischen Thron. Dessen zahlreiche Versuche, die reichen, spanisch kontrollierten Städte an der nordafrikanischen Küste einzunehmen, schlugen, wie ihr ja wisst, bis heute fehl. Mal abwarten, was er nun vorhat ...«

Seine Erheiterung verflüchtigte sich, und eine energisch geschwungene Braue schob seine Stirn in Falten. Seit geraumer Zeit schon warf der türkische Pirat und Statthalter von Algier Cheir-ed-Din »Barbarossa« ein Auge auf Tunis, wo der Emir Muley Hassan aus dem Geschlecht der Hafsiden herrschte.

Auf La Goleta war nichts Ungewöhnliches zu bemerken, das Eiland machte einen unbewohnten und friedlichen Eindruck. Auch die anschließende Bahia mit dem großräumigen Hafen schien ruhig. Neben Schaluppen und Dhaus lagen Karacken, griechische Korsaren, türkische Pinken und auch Karavellen vor Anker. Dennoch gab Nicolas Befehl, zunächst weiter draußen Anker zu werfen und ihn in den Hafen zu rudern.

Tunis war die Stadt seiner Kindheit, doch schon lange fühlte er sich hier nicht mehr wohl, geschweige denn zu Hause. Trotz der guten Kontakte seiner Familie zum Herrscherhaus – der Mann seiner Tante Jasmin bekleidete ein wichtiges Amt und Großvater hatte wohl viele Vorteile daraus gezogen – konnte sich das Blatt jeden Augenblick wenden. Barbarossa schielte schon nach Tunis. Schnell konnte er die Seiten wechseln und statt des Emirs Muley Hassan dessen verfeindeten Bruder Ar-Raschid protegieren.

Während zwei seiner Männer sich in die Riemen legten, musterte Nicolas, die Augen beschattend, jedes einzelne Schiff im Hafen. Dann entdeckte er die »Magam«. Ein Lächeln legte sich um seine Lippen, und die gerade erst verheilte Schnittwunde spannte. Gestern hatte Amin die Fäden gezogen. Na ja, von wegen »seine schönste Naht für den Coptan! ...« Karim würde entsetzt sein, aber Erik hatte lediglich eine Schulter gezuckt und lakonisch gemeint: »Mit all dem Gold ist es doch scheißegal, wie du aussiehst!« Typisch Erik.

Nicolas zeigte auf die prächtige Dhau an der Mole, die gerade entladen wurde. Mit seiner stolzen Länge von fast zwanzig Klaftern wurde das Handelsschiff seinem Namen, der »Königliches Haus« bedeutete, durchaus gerecht.

Als er den Steuermann Jalil entdeckte, sprang er auf die Stufen des Kais, wechselte mit ihm einige Worte, stieg wieder ins Boot und ließ sich zur »Aguila« zurückrudern. Kurz darauf flatterte der schwarze Adler auf silbernem Grund, als sie mit stolz gehisster Flagge in den Hafen von Tunis einliefen. Sie ankerten längsseits der »Magam«, die auf diese Weise zwischen ihnen und dem Pier lag, sodass man vom Hauptdeck der »Aguila« aus auf die niedrigere Dhau springen konnte.

Karim war von Jalil benachrichtigt worden und stand an Deck, um seinen Cousin und engsten Freund zu begrüßen. Auch Nicolas stand am Bug seines Schiffes und schwenkte das Barett. Abgesehen davon, dass er den Araber diesmal geschäftlich aufsuchte, freute er sich über jedes Zusammentreffen. Dann tauchte er in diese andersartige Welt ein, die ihm von Kindheit her vertraut war und in der er sich wohl fühlte – wohler als in der abendländischen, christlichen Welt. Das hatte nichts mit der Religion zu tun. Es waren die Gerüche und Stimmen, die orientalische Musik und die Märchen, die seine Kindheitserinnerungen prägten und die in allem eine Spur farbenprächtiger, lauter und kraftvoller waren. Dennoch wollte er sich nicht den strengen Regeln des Islams unterwerfen, wollte sich weder als Moslem noch als Christ bekennen, obwohl er getauft worden war, als man ihn mit zehn Jahren an den Hof seines Vaters gebracht hatte.

»Salam alaikum!«, rief Karim, eine Hand am Herzen. Nicolas erwiderte den Gruß: »Wa alaikum as-salam!«

»Du hast Glück, mich anzutreffen, sadiq-i, wir sind heute Vormittag eingelaufen. Ich nehme doch an, du kommst, um mich zu besuchen?«

»Nur deshalb, mein Freund!«

»Und das?« Karim starrte auf seine Wange und schüttelte entsetzt den Kopf. Das war abzusehen gewesen.

»Bei allen Tugenden Mohammeds«, jammerte er, »jedes Mal bist du um eine Zierde reicher!« Er verzog das Gesicht.

Nicolas griff sich an die Narbe. »Hm, dumm gelaufen.«

»Eine Handbreit tiefer, und der Schnitt wäre tödlich gewesen.«

»Tja, so musste der andere dran glauben. Also, kurz gesagt ...«

»Nein, lass mich die lange Version hören!«

»Wie du willst. Nun, wieder so ein spanischer Kapitän, der nicht einsichtig sein wollte und den Helden spielen musste. Ich meine, das Gold gehörte ihm schließlich nicht!«

»Dir auch nicht.«

»Das stimmt.« Nicolas grinste. »Mit einem Unterschied: Ich wollte es für mich, und der wollte es für einen Schnösel, den er gar nicht kennt ...«

»... der immerhin euer König ist.«

»O ja! König und Kaiser und was weiß ich. Der sammelt die Titel wie unsereiner Pickel am Arsch. Aber glaub mir, sadiq-i, es lohnt sich nicht zu sterben für ihn. Nicht für diesen König. Der wagt es nicht einmal, mit dem Schwert einem Hirsch entgegenzutreten. Ich weiß, wovon ich spreche!« Ein spöttischer Zug legte sich um Nicolas' Mundwinkel, als er an die königliche Jagd vor elf Jahren dachte.

»Vermutlich hat er dir sein Schwert deshalb vermacht. Wie man sieht, kannst du mehr damit anfangen. Allerdings dürfte er dabei nicht den Raub seines Goldes im Sinn gehabt haben.«

Nach herzlichen Umarmungen nahm Karim den Cousin um die Schulter und schob ihn in Richtung seiner Kajüte.

»Warte, sadiq-i, ich muss erst was klären. Sag, können deine Männer von jetzt an ein ... scharfes Auge auf die »Aguila« haben? Ich bin in einer schwierigen Situation – du verstehst.«

Eigentlich nicht, dachte Karim. Kurz versuchte er in Nicolas' Augen zu lesen, dann versicherte er: »Taman. Was immer es auch sei, du hast mein Wort und Jalils Zuverlässigkeit.«

Während er seinem Steuermann Anweisungen gab, winkte der Marqués Ramon und Baltasar zu sich. »Keiner verlässt das Schiff! Das Gold ist jetzt auch Karims Sache, und er wird es strengstens bewachen lassen. Sagt den Männern einfach, dass jetzt mehr Leute von dem Gold wissen und dass sie es hüten müssen wie ihren Augapfel. Wer meint, sich meinen Befehlen widersetzen zu können, wen es dennoch zu einer Spelunke oder Hafenhure zieht, hat sein Gold verspielt! Hab ich mich deutlich ausgedrückt?« Als die beiden nickten, fügte er scharf hinzu: »Dann macht es auch der Mannschaft klar! Keiner von denen kann den Mund halten, erst recht nicht, wenn der Alkohol die Zunge löst.«

Ramon und Baltasar verschwanden auf die »Aguila«, und Karims Männer bezogen Posten. Miguele und Jordi wurden in Begleitung zweier Wachen der »Magam« auf den Markt geschickt, um nach Herzenslust einzukaufen: vor allem Fleisch, Gemüse, aber auch frische Minzeblätter, die die Männer gerne kauten, um die lästigen Fliegen von sich fern zu halten. Ihre Aufgabe sollte es in den nächsten Tagen sein, die Mannschaft bei Laune zu halten und abzulenken.

Karim und Nicolas konnten sich endlich zurückziehen. Hatte man das kleine Reich des Handelskaufmanns einmal betreten, erinnerte nichts mehr an ein Schiff, vom sanften Schaukeln auf den leise gegen die Kaimauern klatschenden Wellen abgesehen. War die Kapitänskajüte der »Aguila« schon ein komfortabler Salon mit Sekretär, Bücherwand, Teppichen und Kohleofen neben einem Alkoven und einem Abtritt, so war sie dennoch spartanisch im Vergleich zu Karims Suite. Der Araber liebte den Prunk und den Luxus. Raritäten aus Messing, Elfenbein, Silber und Ebenholz füllten den geräumigen Salon, der durch die roten und goldenen Töne dennoch gemütlich wirkte. Etwas abseits befanden sich der Alkoven mit breitem Bett und das Bad, ein Kleinod aus Marmor und Messing.

Nicolas ließ sich auf einem runden Lederhocker nieder und atmete langsam und bewusst den vertrauten Duft von Rosenwasser, Sandelholz und Zitrus ein. Dieser Duft war untrennbar mit seinem Cousin verbunden. Schon die Kajüte seiner vorherigen, bescheideneren Dhau hatte denselben Wohlgeruch verströmt. Während Karim nun Vorbereitungen traf, für sie beide Tee zu bereiten, beobachtete Nicolas den Mann.

Es gab zu jener Zeit kaum ein klügeres Volk als das der Araber, und unter seinen Landsleuten war Karim Hassan al Mansib einer der klügsten. Von mittelgroßer Statur, schlank und sehnig, ließen seine Bewegungen ein geschmeidiges Muskelspiel erkennen. Schon in ihrer Jugend hatte Nicolas bewundert, wie sein Cousin Kraft und Stärke durch Geschicklichkeit und Schnelligkeit wettzumachen verstand. Karims Haupt zierte stets eine Kofiah mit dunkelblauer Quaste. Die ovale knappe Filzkappe, die in Weiß oder den Farben seiner Kleidung gehalten war, bedeckte jedoch nur einen Teil seines vollen, schwarzen Haares, das er kurz geschnitten trug. Entgegen der arabischen Tradition war sein Gesicht glatt rasiert, nur am Kinn ließ er einen kleinen Bart stehen, den er sorgfältig stutzte. Unter energisch geschwungenen schmalen Brauen blickten leicht schräg gestellte schwarze Augen, die wie die olivfarbene Haut ein Erbe seiner ägyptischen Mutter waren. Einzig seine Hakennase störte die Harmonie in dem gut geschnittenen Gesicht, weshalb man den Araber nicht unbedingt schön nennen konnte, sicherlich aber anziehend und vor allem eines: interessant. Durch und durch Kaufmann und Händler, war Karim nicht nur klug, sondern auch aalglatt. Ein Vollblutaraber, der die spanische Linie seiner Vorfahren nie erwähnenswert fand. Für Karim waren die Spanier ein Volk, das ständig davon träumte, sich eine wunderbare Zukunft aufzubauen, jedoch nie aus seiner fürchterlichen Gegenwart herausfand.

Aus einer feinen Porzellandose füllte der Cousin Minzeblätter in ein Kännchen und goss kochendes Wasser darüber, das er mit glühender Holzkohle zum Sieden gebracht hatte. Das Teekännchen stellte er zurück auf den Buchari, einen kleinen Messingsamowar aus Südarabien, um den Minzetee ziehen zu lassen. Dann spülte er in einer Schale zwei schlanke Teegläser und Silberlöffelchen und trocknete sie umständlich mit einem Tuch. In die Gläser füllte er ein Drittel Zucker, ein Drittel Teesud und zuletzt ein Drittel kochendes Wasser. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ließ er sich auf einem Stapel Seidenteppiche nieder. Auf dem Messingtischchen zwischen ihnen standen, wie immer, Kandiszucker, ein Schälchen mit Honig, Datteln und verschiedene kandierte Früchte.

Nach dem Austausch der unvermeidlichen Höflichkeiten, die die engste Familie betrafen, kam Nicolas zur Sache. Die Unterhaltung fand wie immer auf Arabisch statt. Aus taktischen Gründen – er kannte Karim gut genug – erwähnte er weder die Truhen mit den Pretiosen noch die zwei Kisten mit den ausgefallenen goldenen Utensilien und Ziergegenständen. Und er sprach auch nur von zwei Truhen Goldbarren, ebenjenen, die er gegen Münzen eintauschen und verteilen wollte. Den Inhalt der beiden anderen, also seine Hälfte, würde er ohnehin in seine Höhle bringen und dort verwahren. Nicht, dass er Karim nicht vertraut hätte. Doch wozu ihn weiter beunruhigen und eventuell zögern lassen? Auf keinen Fall durfte er Zeit verlieren, denn seine Männer würden sich nicht lange auf der »Aguila« einsperren lassen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Langeweile und Unmut zu Streitigkeiten führen würden. Aufgrund der heiklen Ladung einerseits und der Verlockungen des Hafens andererseits herrschte eine spürbare Spannung an Bord, die sich vor allem durch Alkohol leicht entladen konnte.

Nachdem sich der Cousin Nicolas' Bericht schweigend angehört hatte, stand er auf und begann im Salon rastlos auf und ab zu gehen, was er immer tat, wenn ihm etwas Kniffliges durch den Kopf ging. Dann setzte er sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Stapel Teppiche und strich nachdenklich über seinen Kinnbart. Schließlich nickte er.

»Tamam.« Er sah auf. »Ich brauche einen Goldbarren als Demonstrationsstück. Äh, wie viele sind es überhaupt?«

»Das weiß ich noch nicht. Ich schätze etwa dreißig bis fünfunddreißig Stück pro Truhe.«

Karim pfiff leise vor sich hin. Dann schüttelte er händeringend den Kopf: »Bei Allah und seinem Propheten, nicht mal ein Zehntel davon könnte ich hier eintauschen, Cousin!«, beteuerte er. »Und dann noch in so kurzer Zeit! Dazu müssten wir nach Kairo oder Istanbul.«

»Fahr'n wir aber nicht, na'am?« Nicolas grinste den Cousin unverschämt an. »Tja, hör dich mal um. Du hast die besseren Beziehungen hier. Wie du weißt, gehst du dabei nicht leer aus.« Er rollte mit den Augen.

»Bei allen Huri und Djinnis, das ist meine geringste Sorge! Aber dein Problem könnte leicht zu meinem werden, weil es nämlich meine Kapazitäten übersteigt. Wenn Barbarossa davon Wind bekommt ...«

»Ja dann«, Nicolas lachte, »dann haben wir wirklich ein Problem. Sag, gibt es was Neues von ihm?«

Karims schwarze Augen blitzten. »Ha, der versucht nun, sich mit Ar-Raschid zu verbünden. Aber der einzige Bruder, der von Muley Hassan nicht hatte ermordet werden können, ist, so paradox das klingen mag, ein Feigling. Unsere ganze Familie steht nach wie vor hinter Muley Hassan.«

Er goss beiden Tee nach und rührte sich mehrere Löffelchen Honig ein, den er selbst »Manna« nannte. Amüsiert sah Nicolas ihm zu, während er sich vorstellte, wie die Schildläuse diese klebrige Substanz aus der Tamariske absonderten. »Weißt du, dass ich das Teetrinken genauso wenig missen möchte wie eine gute Zigarre oder einen guten Wein? Alles zu seiner Gelegenheit ... Minzetee trink ich allerdings nur bei dir.«

»Oh, ich hab auch Schwarztee! Ich bin verrückt, nein, süchtig nach diesem Aroma!« Karim verzog abbittend das Gesicht.

Nicolas winkte ab und gab damit huldvoll zu verstehen, dass er mit dem Lieblingsgetränk des anderen durchaus einverstanden war.

Genüsslich schlürfte Karim den honigsüßen Tee und lächelte: »Wie auch immer, du hattest Glück, unbeschadet bis hierher zu kommen. Aber ich weiß nicht, ob das sehr schlau war. Barbarossa besitzt inzwischen wieder eine ansehnliche Flotte, und es wimmelt in unseren Gewässern nur so von osmanischen Galeeren und Galeassen. Ich würde sagen, du hast dich in die Höhle des Löwen gewagt.«

»Du vergisst, ich kenne ihn ...«

»Ha, von wegen kennen! Du hast ihn betrogen ...«

»Das ist Ansichtssache. Ich hätte ihn damals vernichten können.«

»Und du nimmst an, er weiß deine Zurückhaltung zu schätzen?«

»Na ja. Bedenke außerdem, die »Aguila« ist derzeit das schnellste Schiff im Mittelmeer ...«

»Im Atlantik – vielleicht. Lass die Kirche im Dorf.«

»Auch gut.« Nicolas schob sich eine Kumquat in den Mund. »Im Atlantik draußen zählt wirklich nur ein schnelles Schiff, dort wird es immer kniffliger. Neuerdings macht die Armada von Kantabrien auf uns Jagd. In Geschwadern lassen sie große, schwer bewaffnete Karacken an den von den Piraten bevorzugten Routen vor St. Vincent entlangpatrouillieren. Doch sag mir«, er zog eine Braue hoch, »wie machst du das eigentlich? Du kannst mir nicht erzählen, dass Rotbart ausgerechnet dir nie begegnet.«

»Oh, da hab ich natürlich vorgesorgt.« Karim legte beschwörend seine Hand auf die Brust. »Obwohl unsere Familie auf der Seite Muley Hassans steht, habe ich, wie du weißt, nie Partei ergriffen – ein Kaufmann sollte das Politisieren lassen. Trotzdem hab ich mich vor kurzem mit Cheir-ed-Din arrangiert. Der hat mehr diplomatisches Feingefühl als sein wilder, blindwütiger Bruder Horuk, der letztendlich nur ein Pirat ohne Weitblick war. Nun, Allah ist mein Zeuge, ich zahl ihm eine Art Passiersteuer in Form von Waren. Alles ausgefallene Sachen, versteht sich. Bis jetzt konnte mein Bruder Abdullah die Ansprüche des Türken befriedigen. Allerdings muss ich dir ehrlich gestehen, für die Zukunft befürchte ich Schlimmes.« Karims beringte Hand wählte eine mit Pinienkernen gefüllte Dattel von dem -Silbertablett. Auf seiner dunklen Haut leuchtete das Gold des Siegelringes.

»Droht Tunis ernstlich Gefahr von Rotbart, was denkst du?«

»Wenn ihn die Osmanen dabei unterstützen, das heißt, wenn Sultan Soliman Gefallen am Königreich von Tunesien findet und er den Bruder unseres Emirs als Verbündeten gewinnt, kommt Tunis so schnell unter osmanische Herrschaft wie Algerien unter Salim al-Tumi ein paar Jahre zuvor.«

Der andere nickte.

»Ich weiß indes nicht, wie ernst es den Spaniern mit unserem Schutz ist.« Karims Blick ruhte auf dem nachdenklichen Gesicht des Cousins. Die andalusischen Züge, in denen sich Selbstbeherrschung, ja beinahe Arroganz widerspiegelten, fand er hart, aber nicht unattraktiv. Sein Blick war intensiv und stolz. Nur die frische Narbe ... Karim seufzte.

»Ehrlich gesagt, ich hab keinen Schimmer.« Nicolas zuckte die Schultern. »König Carlos ist natürlich bewusst, dass sie ohne Intervention sämtliche Städte des Maghrebs an die Türken verlieren werden und, was noch schlimmer ist, als Folge davon die Vorherrschaft im Mittelmeer endgültig an die Osmanen abgeben müssten. Ungeachtet jüngster Erfolge vor Wien kann es sich der Kaiser nicht leisten, den Türken nachzugeben, wo sie doch seine österreichischen Länder, also sein Imperium im Osten, immer noch bedrohen.«

»So ist es. Aber euer Carlos benötigt Geld.«

»Der Kaiser braucht immer Geld. Nur, wo wird er diesmal fündig?«

»Er soll Anleihen bei den Fuggern und Welsern nehmen – wenn es stimmt, um die anderthalb Millionen Gulden!«

Nicolas pfiff durch die Zähne. »Und die Sicherstellung?«

»Die südamerikanische Pazifikküste. Wie auch immer, sa-diqi, der Boden wird hier allmählich zu heiß. Deine Mutter überlegt ernsthaft, nach Alexandria zu übersiedeln.«

»Ja? Wird auch Zeit!«

»Na'am. Wann wirst du sie sehen?«

»Das überlasse ich dir und natürlich ihr.« Nicolas schob sich eine klebrige Dattel in den Mund und leckte sich die Finger ab.

»Tamam, ich werde sie auf die »Magam« bringen lassen. Besuchst du mich in meinem Haus?«

Ein kurzes Lächeln huschte über Nicolas' Gesicht. »Würdest du die Schiffe in dieser Situation allein lassen?«

»Beim Barte des Propheten, nein! Komm heut Abend auf mein Schiff, dann wissen dich deine Männer in der Nähe, und du kannst dich ... verwöhnen lassen«, Karim zwinkerte ihm zu. »Ich werde alles veranlassen. Inzwischen nehm ich deine Interessen wahr, wir werden sehen, was sich machen lässt. Inschallah.«

»Hasanan.« Nicolas ließ eine Reihe perlenweißer Zähne blitzen, dann umarmten sie sich. Kurz darauf händigte er Karim einen in ein Tuch eingeschlagenen Goldbarren aus und klopfte ihm auf die Schulter. Seinen Männern befahl er, eine Truhe zu leeren und die Barren zu zählen. Es waren exakt dreißig Stück in jeder Truhe. Karim verschwand mit seiner Leibwache und kam erst am Abend des darauf folgenden Tages wieder.

Ungeachtet der Brise, die weiter draußen bei La Goleta – dort wo die Lagune in den Golf von Tunis überging – ständig vom offenen Meer herüberwehte, war es im Hafen an diesem Nachmittag im Mai so heiß, dass die Männer ein Segeltuch quer über das Hauptdeck spannten und im Schatten ihre hamaca aufhängten. Nur wenige setzten ihr Kartenspiel fort, die meisten dösten in ihren Hängematten und warteten auf die frische Brise, die nachts in diesen Breiten im Spätfrühling aufkam. In den zwei Wochen seit dem Überfall hatten sich viele von ihren Verletzungen erholen können, denn nach dem Verlust ihres zweiten Schiffes befanden sich mehr Seeleute auf der »Aguila«, als gebraucht wurden. Pedro hatte die zweite Nacht nicht überlebt, und Francesco gewöhnte sich nach und nach daran, die Welt mit nur einem Auge zu sehen. Insgesamt hatten vier Dutzend Mann für das Gold mit ihrem Leben bezahlt.

Das Schiff schien in einen Dornröschenschlaf versunken. Auch Nicolas lag sanft schaukelnd in seiner hamaca, fand aber keinen Schlaf. Ein anhaltendes Völlegefühl – die beiden Köche scheuten weder Kosten noch Mühen, ihn zufrieden zu stellen – und der tranige Geruch brackigen Salzwassers wurden ihm immer lästiger. Kurz nahm er den neuesten Seemannsalmanach zur Hand, legte die kalendarischen Darstellungen aber bald zur Seite. Für astronomische Daten wie Sonnen- und Mondbahnen fehlte ihm im Moment jegliches Interesse. Schließlich gab er Ramon Bescheid, dass er ein Weilchen auf die »Magam« verschwinden würde. Auf dem Achterdeck, unter einer Art Vorzelt, saß Jalil auf einem ausgebleichten Teppich und erweckte den Anschein, vor sich hin zu dösen. In Wahrheit entging ihm nichts. Als Krieger ebenso erfahren wie als Navigator, hatte er von Karim die Alleinverantwortung für die zusätzliche Bewachung übertragen bekommen. So hatte er den Kapitän schon bemerkt, als dieser auf die Verbindungsplanken zwischen den beiden Schiffen gestiegen war. Jalil sprang auf und kam ihm entgegen.

»Salam!«, grüßte er, eine Hand am Herzen. Kurz neigte er den von einem braunen Turban bedeckten knochigen Schädel, dann sah er Nicolas offen an. Es war ihm anzusehen, dass er Wind und Wetter, Hitze und Kälte getrotzt und den Stürmen der See die Stirn geboten hatte.

Die beiden setzten sich eine Weile in den Schatten und plauderten. Schließlich vertraute Nicolas ihm an, was er zu tun beabsichtigte, und borgte sich eine Angel aus. »Das brackige Wasser«, er deutete über seine Schulter, »reizt nicht gerade dazu, das Abendessen vom Schiff aus zu fischen.«

»Na'am.« Jalil nickte. »Sämtliche Abfälle der Stadt umkreisen träge die Schiffsbäuche, bis sie langsam verfaulen.« Die Gesichtszüge des Mannes waren so ausgemergelt und kantig, dass er, obwohl er noch jung an Jahren war, bei flüchtigem Hinsehen schon über die besten Mannesjahre hinaus zu sein schien.

Abgeschirmt von einigen Wachen, schlich sich Nicolas von der »Magam« und dann weiter zum Ende der Hafenmole. Dahinter gab es einen Felsvorsprung mit niedrigen Klippen und natürlichen Buchten. Hier hatte er viele Stunden seiner Kindheit mit Angeln und Baden verbracht, hier kannte er jeden Stein und jede Felsnische. Auch jetzt hatte er große Lust, in das kristallblaue Wasser einzutauchen und sich von der sanften Strömung treiben zu lassen. Die Strömung wie auch die Brandung waren in der Lagune harmlos, weiter draußen im Golf von Tunis konnten sie indes tückisch sein.

Erfrischt und mit einigen zappelnden Fischen an der Angel kehrte Nicolas gut gelaunt am späten Nachmittag auf die »Aguila« zurück. Schon von weitem wehte ihm der Duft nach würzigen Meeresfrüchten entgegen, und er tippte auf Jordis Spezialität, in grobem Meersalz geröstete und mit den gebräunten Kristallen servierte Garnelen. Die Männer verhielten sich diszipliniert, niemand schien bemerkt zu haben, dass er die Schiffe verlassen hatte.

Als die Sonne in die Dünen am Rande der Stadt tauchte und die Masten der »Magam« lange Schatten über die »Aguila« warfen, holte ihn einer von Jalils Wachen ab und begleitete ihn zu Karims Kajüte. Die Karavelle war mittlerweile aus ihrem Schlaf erwacht, auf allen Decks ging es lebhaft zu. Es wurde gewürfelt, Karten gespielt, und die Männer, die nicht mehr besaßen als Hemd und Hose, boten nun als Wetteinsätze das zu erwartende Gold. Miguele und Jordi hatten unterdessen die Speisekammer der »Aguila« mit dem Besten gefüllt, was Tunis zu bieten hatte. Von ihrer Rivalität abgesehen – Miguele war stolz, persönlicher Koch des Marqués zu sein, und pries die italienische Küche als die einzig wahre an, während Eriks Koch Jordi die katalanische über alle anderen stellte –, schafften sie es immer wieder, gemeinsam aus der Fülle orientalischer Zutaten ein bunt gemixtes, königliches Mahl zuzubereiten. Jetzt, mit Einbruch der Dunkelheit, wurden die Wachen auf der »Magam« verdoppelt. Entlang der Mole und im Fischerhafen wurden langsam die Fackeln entzündet, die schwache Lichtkegel auf die Kaimauern warfen und in Form einer Lichterkette den einlaufenden Schiffen den Weg weisen sollten.

Nicolas betrat Karims Salon, und sofort umfing ihn das untrügliche Gefühl, nicht allein zu sein. Der Raum war spärlich erhellt, nur wenige Öllampen unter geätzten Glashauben verströmten ein gedämpftes Licht. Auf zwei Tischchen aus Ebenholz und Messing türmten sich kulinarische Köstlichkeiten, Erinnerungen aus seiner Kindheit, alles liebevoll arrangiert. Nicolas setzte sich auf den Diwan und lehnte sich in die weichen Kissen. In diesen Augenschmaus tunesischer Köstlichkeiten versunken, bemerkte er das Mädchen erst, als es sich aus dem Schatten des Alkoven löste. Lautlos schwebte es auf ihn zu, kniete vor ihm nieder und wartete.

Nicolas lächelte angenehm überrascht. Mit einem Zeigefinger hob er ihr Kinn an. »Wie ist dein Name, gamila?«

»Leila«, hauchte sie, und ihre großen, schwarzbraunen Mandelaugen blickten ihn ruhig an. »Oh, sayyid«, erkundigte sie sich höflich, »darf ich euch beim Essen behilflich sein, oder steht euch der Sinn nach etwas ... anderem?« Kokett senkte sie ihre Lider.

»Alles der Reihe nach. Ich bin hier nur zu Gast, und es wäre doch einfach unhöflich, das exquisite Mahl zu verschmähen, nicht wahr?« In Wahrheit hatte er einen Bärenhunger.

»Ja, Herr.«

Das Mädchen nahm einen weißen Porzellanteller mit zartem Goldrand und deutete auf die verschiedenen Speisen. Jedes Mal, wenn der sayyid nickte, lud sie ein Häufchen davon auf den Teller, bis nichts mehr darauf Platz fand. Nicolas probierte vom Hammelragout in Orangensauce, vom unentbehrlichen sfeeha, von der Seezunge mit Rosinen und Mandeln, von den scharf marinierten Krabben zu dampfendem Kuskus und frischem aisch. Dazu trank er einen wohltemperierten Roten. Selbst daran hatte Karim gedacht, obwohl der gläubige Moslem Alkohol mied.

Nicolas hatte noch nicht einmal von den süßen Köstlichkeiten auf den kleinen Silbertabletts gekostet, als ihn die anmutigen Bewegungen des Mädchens unter ihrer spärlichen Bekleidung endgültig auf andere Gedanken brachten.

Auch Leila bemerkte die veränderte Haltung des Mannes und seinen intensiven Blick und stellte den Teller beiseite. Langsam stand sie auf, nahm ein Tamburin und begann, sich zu den leisen Trommelschlägen in den Hüften zu wiegen. Durch feinste Hüllen durchsichtiger Gaze zeichneten sich ihre Rundungen ab, wobei Brustansatz und Bauch frei waren und auch die wohlgeformten olivbraunen Beine bis zu den Knien unbedeckt blieben. Es dauerte nicht lange, und Nicolas' Glied pochte heftig. Leilas Hüftschwung erinnerte ihn an einen anderen Tanz, und für einen Moment schloss er die Augen. Gequält von dem Bild und seiner Erregung schnellte er hoch und packte Leila grob am Arm. Erschrocken über diese plötzliche Rohheit wich sie zurück.

Beim Anblick der Angst in den dunklen Augen des Mädchens hatte sich Nicolas schnell wieder unter Kontrolle. Sanft schob er sie zum Alkoven. »Ich will, dass du mich ein bisschen verwöhnst; na'am?«, raunte er ihr mit belegter Stimme ins Ohr. »Ich hab es durchaus nicht eilig.«

»Wie Ihr wünscht, sayyid«, flüsterte Leila und kicherte, während sie sich an seinem Hemd zu schaffen machte.

Kaum spürte er ihre zarten Hände auf seiner Haut, entledigte er sich seiner Hose und zog sie mit sich aufs Bett. Spielerisch fuhr sie durch sein seidiges schwarzes Brusthaar, das sich leicht kräuselte. Nicolas streckte sich genüsslich auf den weichen Kissen aus und begann in Leilas Armen zu träumen. Hin und wieder zischte ein Docht leise in seinem Mandelölbad auf. An seinem geistigen Auge zogen die Frauen vorbei, die er in vergangenen Nächten geliebt hatte – selbstbewusste Venezianerinnen und stolze Portugiesinnen, leichtblütige Mulattinnen und verschlossene Indianerinnen. Doch sie alle besaßen dasselbe Gesicht, dieselben grünen Augen. Bei allen Göttern!, stöhnte er und dachte mit Schaudern an Toledo. So etwas durfte ihm nicht noch einmal passieren!

Als Leila mit ihrer Zunge seinen Körper zu erkunden begann, stöhnte er wieder, diesmal heftiger. Die Araberin verstand sich auf ihre Sache. Zärtlich nahm sie seine Brustwarzen zwischen ihre Lippen und saugte an ihnen. Dann flatterte ihre Zunge leicht wie ein Schmetterling über seinen Bauch, was ihn kitzelte, bis sie auf das dunkle Dreieck über seinem mächtig erigierten Glied traf. Quälend langsam fuhr sie mit der Zunge an seinen Innenschenkeln entlang, von den Knien bis zu der dichten Schambehaarung, leckte über die Hoden und am Schaft des Gliedes entlang bis zur samtig glatten Spitze. Eine aus der Furchung tretende Träne fing sie mit der Zunge auf. Wieder stöhnte er, tief und verlangend. Gott, wie hatte er das vermisst!

Angespornt von seiner heftigen Reaktion, nahm Leila seine Lanze in den Mund und kreiste mit ihrer Zunge um ihre Spitze. Ohne auf die Absichten des Mädchens einzugehen, griff er in das dichte Haar und presste ihren Mund fester auf sein Glied. Leila begann heftig daran zu saugen. Nun bewegte er sein Becken schneller, stieß seine Lanze tief in ihren Mund – den Mund, der zu dem Gesicht mit den grünen Augen gehörte. Seine Hinterbacken spannten sich an, er bäumte sich auf, und zuckend ergoss er seinen Samen in ihre Kehle.

In diesem Augenblick flog die Tür auf, und Ramon stürzte herein. Sein Anklopfen hatten die beiden nicht bemerkt.

»Marqués!«, keuchte der Pirat, hob die verstreut am Boden liegenden Kleider des Kapitäns auf und warf sie ihm zu. Die zu Tode erschrockene Leila schnappte sich Kissen, um sich dahinter zu verstecken, doch schenkte ihr ohnehin niemand Beachtung. Barfuß, sein Hemd halbherzig in die Hose steckend, stolperte Nicolas hinter Ramon zur Tür hinaus.

Vom Hauptdeck der weit niedrigeren »Magam« aus konnte er nichts erkennen. Sie rannten zur Reling und sprangen auf das zur »Aguila« gespannte Fallreep. Da sah er auf einem Blick, was los war. Einem von Karims Wachen, der abwartend und reglos neben dem Fallreep stand, riss er die Peitsche aus dem Gürtel und schwang sich an Bord seines Schiffes.

Inmitten eines großen Zuschauerkreises bewegten sich José und Luis, die drauf und dran waren, sich mit ihren Dolchen aufzuschlitzen. Keiner wandte den Blick vom anderen, während sie sich mit langsamen bedächtigen Schritten umkreisten. Die Dolche hielten sie vom Körper abgewinkelt, kampfbereit und fest umklammert. Im Schein der sanft schaukelnden Tranlampen, der lange, unruhige Schatten auf die Schiffsplanken warf und immer wieder auf ihre Gesichter fiel, las Nicolas die Entschlossenheit zu töten. Beide hatten Fleischwunden an Armen und Oberschenkeln, aus denen es stark blutete.

Dreckiges Pack!, fluchte Nicolas. Laut und auffordernd knallte er mit der Peitsche. Seine überdurchschnittliche Größe, sein muskulöser Körper, der sehnige Nacken und die Strenge in seinem Ausdruck ließ den Männern das Blut in den Adern gefrieren. José und Luis, die den Marqués aus den Augenwinkeln registriert hatten, gingen ein paar Schritte auseinander, zögerten aber, den Kampf abzubrechen. Ihre Blicke huschten zwischen ihm und dem Gegner hin und her. Doch ihr Hass und ihre Wut hatten sich unter Einwirkung des Rums so weit gesteigert, dass nicht einmal die Anwesenheit des Anführers sie zur Vernunft brachte. Keiner der umstehenden Piraten wagte sich einzumischen. Schnell hatten sich zwei Halbkreise gebildet – einer mit der Mannschaft der »Caiman«, der José angehörte, und einer mit der Besatzung der »Aguila«, zu der Luis gehörte.

Das war das eigentlich Gefährliche an der Situation, verdammt! »Hol Wasser!«, zischte Nicolas dem in nächster Nähe stehenden Ramon zu. In den Mienen der Kontrahenten las er weiterhin die Verbissenheit, den anderen, koste es, was es wolle, zu töten. Festen Schrittes näherte er sich den beiden Kerlen, die ihre Dolche immer noch aufeinander gerichtet hatten. Da ließ er hintereinander die lange Peitsche sausen, einmal auf Josés und einmal auf Luis' rechten Arm. Beiden fiel der Dolch aus der Hand. Doch José nahm blitzschnell die Gelegenheit wahr, bückte sich nach der Klinge und sprang auf Luis zu. In dem Augenblick, in dem er von unten her zustechen wollte, fing Nicolas seinen Arm ab. Seine vom Schwertkampf gestählte Hand, gepaart mit der Wut, die in ihm hochstieg, drückte unbarmherzig zu. José ließ den Dolch fallen und jaulte vor Schmerz auf. Der Kapitän zwang ihn in die Knie und gab den Arm erst frei, als man ihm Lederriemen brachte, mit denen er Hände und Füße zusammenband. Er fesselte auch Luis, der von Ramon und Baltasar festgehalten wurde, und drückte ihn zu José auf die Planken. Danach gab er Ramon ein Zeichen, die Wassereimer über die beiden Betrunkenen zu kippen. Sowohl José als auch Luis saßen mit gesenktem Kopf an die Reling gelehnt und blickten düster ins Leere.

Nicolas stellte sich auf die Stufen der Treppe, die zu seiner Kajüte führte, und spielte mit der Peitsche in den Händen. Sein Ausdruck war so finster, dass keiner der Anwesenden ein Wort sprach. Auf Deck war die gesamte Mannschaft versammelt. »Will mir einer erklären, wie es dazu gekommen ist?«, fragte er gefährlich leise.

William, der blonde Junge aus dem Norden, der mit seinem unbekümmerten Gemüt bei keiner der beiden Mannschaften Feinde hatte, räusperte sich: »Die beiden da bekamen Streit beim Kartenspielen, capitán. Luis war ständig am Gewinnen, und José, der schon mächtig viel verspielt hatte, beschuldigte ihn, falsch zu spielen.«

Nicolas sagte kein Wort, nickte nur und baute sich breitbeinig vor den beiden am Boden Kauernden auf. »Habt ihr dem noch was hinzuzufügen?«

José sah Luis an und spuckte aus. Luis zischte den anderen an und ließ eine Schimpfkanonade los, die der Kapitän ungerührt beendete.

»Da ihr nicht gegen mein Verbot, das Schiff zu verlassen, verstoßen habt, sondern aufgrund meiner Kurzsichtigkeit, was den Alkohol betrifft, einen Messerkampf vom Zaun gebrochen habt, werde ich daraus keinerlei Konsequenzen ziehen.« Er warf einen bedeutungsvollen Blick zur Rahnock. »Allerdings«, sein Ton wurde eisig, »habt ihr beide meine Autorität missachtet, und das will und kann ich nicht unbestraft lassen. Jodidos cabrones!« Die Peitsche zuckte ihm in den Händen.

Um die Mannschaften der beiden Schiffe nicht noch weiter zu spalten, entschied er: »Ihr werdet beide in Einzelhaft auf der »Magam« festgehalten, bis die Goldbarren eingetauscht sind. Danach erteile ich die Strafe.« Dann blickte er in die Runde und sagte mit gepresster Stimme: »Ich hasse Streitigkeiten auf dem Schiff, und ich hasse Messerkämpfe unter Kameraden, das wisst ihr alle. Seid also gewarnt! Unter den heiklen Umständen werde ich hart durchgreifen. Es steht zu viel auf dem Spiel, verdammt!« Seine giftgrünen Augen sprühten Funken. »Wenn einer einen Kameraden tödlich verletzen sollte, wird er von mir eigenhändig an der Rahnock aufgeknüpft werden. Und glaubt ja nicht, dass ihr das Gold, das ihr noch nicht mal in Händen habt, schon verspielen könnt, joder!«

Nicolas stieg auf die Reling, wandte sich aber noch einmal um: »Ach ja, sämtlicher Alkohol wird auf die »Magam« gebracht und bis zu meinem Widerruf dort verwahrt.« Dann sprang er auf Karims Dhau und suchte Jalil auf.

Am Abend des darauf folgenden Tages schaukelte Nicolas in seiner hamaca – eine jener glorreichen Entdeckungen auf den karibischen Inseln, die es ihm neben dem Tabak sofort angetan hatte – und betrachtete den sich verfärbenden Himmel, als ein Posten der »Magam« ihm meldete, der Coptan erwarte ihn.

Karim braute einen starken Schwarztee, und da er es nicht eilig zu haben schien, zündete sich sein Besucher eine der Zigarren an, die er am Vorabend liegen gelassen hatte. Nach kurzem Zögern griff auch der Cousin zu. Eine Zeit lang saßen sie schweigend da und rauchten. Schließlich sagte Nicolas, dass der grobe, derbe Tabakgeruch wahrlich nicht zu dem feinen Kräuter- und Rosenduft in diesen Räumlichkeiten passte. Der andere zuckte nur die Schulter, machte eine wegwerfende Handbewegung und genoss weiter den starken Tabak, der ihm am nächsten Morgen sicher wieder Kopfschmerzen einbringen würde.

Nicolas erzählte ihm vom Vorfall der letzten Nacht: »Sind ziemlich gereizt, die Burschen. Na ja, irgendwie verständlich. Noch dazu sind zwei Mannschaften zusammengewürfelt. Alkohol und Langeweile sind immer eine tödliche Mischung. »Idan, ich war dank dir«, schmunzelnd neigte er den Kopf, »gerade dabei, tunesisch-maurische Beziehungen zu vertiefen, als sich die Spannung in einem Kampf zwischen zwei Kerlen entlud, die sich mit ihren Dolchen beinahe aufgeschlitzt hätten. Nicht, dass es ein großer Verlust gewesen wäre, aber ich kann so was nicht durchgehen lassen.« Er zog an den gerollten Tabakblättern, bis die Spitze glühte, und entließ den Rauch in kleinen Ringen, denen er nachblickte.

»Natürlich nicht.« Karim grinste. »Also schick ich dir die Kleine wieder.«

»Hasanan.« Nicolas grinste zurück. »Die versteht ihr Handwerk. Aber um nochmal auf den Vorfall zurückzukommen: Ich hoffe, du bekommst keine Schwierigkeiten mit deiner Besatzung, wenn die jetzt verstärkt herhalten und Wache schieben muss. Wer weiß, wie viele Idioten ich noch in Einzelhaft stecken muss, bis wir von hier abziehen können.«

»Mach dir da keine Sorgen! In diesen unruhigen Zeiten lasse ich immer die Hälfte der Mannschaft als Bewachung auf dem Schiff. Wer weiß, was Barbarossa morgen einfällt. Übrigens hab ich gehört, dass sich Sinam ihm angeschlossen haben soll ...«

»Der berüchtigte Sinam aus Smyrna?«

»Ebender. Du kennst den Seeräuberschlupfwinkel Buna Hadita. Dort, in der alten Hauptstadt Numidiens, sollen sie sich momentan aufhalten.«

»Oh, oh. Was die wohl gemeinsam aushecken werden?« Nicolas legte den Kopf in den Nacken.

»Na'am, mir schwant nichts Gutes.« Der Araber zog an der Zigarre, bis ihre Spitze rot aufglimmte. An seiner bedeutungsvollen Miene sah Nicolas, dass er noch eine Neuigkeit auf Lager hatte. Karim blies genüsslich den Rauch in die Luft. »Aber nicht nur das! Mir ist erneut das Gerücht zu Ohren gekommen, dass euer König Carlos den Johannitern seine Inseln zwischen Sizilien und Tripolis überlassen will. Vielleicht besteht da ein Zusammenhang zu der Liaison zwischen Barbarossa und Sinam ...«

»Ja, vielleicht«, überlegte Nicolas: »Vermutlich sogar.« Nickend strich er sich über den kurz gestutzten Schnurrbart. Stellten Barbarossa und andere Barbaresken eine ständige Gefahr für ihn dar, kaum dass er im Mittelmeer kreuzte, so waren sie nichts im Vergleich zu den Johannitern. Vor niemandem hatte er so viel Respekt wie vor den Rittern des Johannesordens, die mit ihren schwarzen Jagdgaleeren schon in seinen Knabenträumen die berüchtigtsten Seeräuber gnadenlos hetzten. Vor ihnen fürchteten sich die Barbaresken wie vor dem Teufel. Wo immer eine schwarze Galeere mit dem roten achtspitzigen Kreuz auftauchte, ergriffen sämtliche Piraten die Flucht. Mit Ausnahme der Barbarossa-Brüder. Die beiden Ältesten sollen sogar aus ihrem Ordenskastell auf Rhodos geflohen sein, Jahre bevor die Türken die christliche Festung geschliffen hatten.

»Na'am, ich hab in Sevilla von den Plänen des Kaisers gehört, den im Grunde genommen Heimatlosen Malta, Gozzo und Comino zu vermachen.«

Karim runzelte die Stirn. »Nichts als karge, sonnendurchglühte Felsen. Was sollen sie damit?«

»He, du kennst doch Rhodos! Die Ritter sind die größten Festungsbaumeister unserer Zeit«, ereiferte sich Nicolas. »Aus ihrer Inselfestung konnte sie Soliman der Prächtige nur durch ein höchstes Aufgebot an Kriegsschiffen und Janitscharen vertreiben – und das dauerte Jahre! Du wirst sehen, sie werden auch Malta in eine waffenstarrende Bastion mit turmhohen Mauern und Kastellen verwandeln, die von niemandem mehr eingenommen werden kann.«

»Mag sein«, lenkte Karin ein. »Algeriens Küste ist zur Zeit jedenfalls ein verdammt heißes Pflaster. Du hättest mit deinem vielen Gold besser woanders hinfahren sollen!«

»Dort hätte ich niemanden von deinem Format und mit deinen Verbindungen, dem ich auch trauen kann.«

»Oh, du schmeichelst mir«, Karim grinste selbstgefällig, dann wurde er ernst. »Angesichts der Probleme mit deinen Männern, die sich schon zeigen, bevor sie noch das Gold haben, kann ich dir nur raten, sie frühzeitig loszuwerden!«

»Die Probleme oder die Männer?« Nicolas lehnte sich in die Kissen und beobachtete den Cousin, wie er sich drei Löffel Manna in den Tee rührte.

Karim sah auf. »Beides, du Dummkopf.« Er fuchtelte mit dem Löffel in Nicolas Richtung. »Keine Männer, keine Probleme. Niemand von denen taugt für solch einen Reichtum. Schick sie in die Neue Welt oder sieh zu, dass sie sich gegenseitig umbringen! Bedenke, sie kennen deinen Schlupfwinkel!«

Nicolas winkte ungeduldig ab.

»Nein«, der andere ließ sich nicht beirren, »du musst versuchen, ihnen weiszumachen, dass für Männer wie sie die Kolonien das Paradies bedeuten, wo sie sich mit Gold allein alles kaufen können. Hat der Mensch einmal so viel Geld, strebt er nach Macht und Ruhm, und dort gibt es beides zu kaufen – auch wenn die spanische Krone davon nichts wissen will.«

»Trefflich beobachtet«, hakte Nicolas ein. »Nein, im Ernst, genau daran habe ich gedacht und es auch schon mit Erik besprochen. Diese Verlockung wird viele überzeugen, mit ihrem Geld die Alte Welt zu verlassen.«

»Hoffen wir es! Und dann vergiss nicht, nüchtern betrachtet: Diejenigen, die nichts taugen, verstricken sich dort drüben in so viele Probleme, dass sie gewiss nicht mehr zurückkommen können, um dir lästig zu werden. Deinen Schilderungen nach muss es dort ja zugehen ...«

Nicolas' Blick zur Decke war voller Ironie.. »So ist es.«

Obwohl er hundertprozentig hinter seinen Männern stand und sich im Kampf voll und ganz auf sie verlassen konnte, besaß er realistischen Scharfsinn und genug Weitblick, um zu wissen, dass sie alle – mit Ausnahme von Erik, Baltasar und der Zwillingsbrüder vielleicht – bis an ihr Lebensende Piraten bleiben und den einzigen Beschäftigungen nachgehen würden, die sie beherrschten: Spielen, Saufen, Morden und Rauben. Dass sie ihn, den Marqués, als ihren unumstrittenen Anführer anerkannten, war nur die Gier nach Gold, nichts anderes. Einzig dieser Gier ordneten sie sich unter – bedingungslos, denn anders hätte er diese Rotte gar nicht beherrschen können. Nur unter seiner Führung funktionierten sie als Gruppe und eröffneten sich ihnen ungeahnte Möglichkeiten der Freibeuterei und Bereicherung. Im Gegenzug dafür akzeptierten sie seine für sie lächerlichen Vorstellungen von Ehre und Moral. Auch das wusste er.

Nicolas wechselte das Thema. »Übrigens, was spricht die Hochfinanz?«

»Oh, sadiq-i, ich kann dir noch nicht viel berichten! Zunächst hab ich einmal Erkundigungen eingezogen beziehungsweise die Information, dass es günstig Goldbarren zu kaufen gibt, an bestimmten – obersten – Stellen deponiert. Die Saat muss jetzt keimen. So Allah will, bekomme ich bald Nachricht. Wie ich gestern schon sagte, wird es schwierig werden. Muley Hassan und Ar-Raschid, aber auch der Emir von Tlemcen, der sich gerade in Tunis aufhält, sind potente Männer, aber ich darf sie nicht drängen und nervös machen. Inschallah ...« Als er die gefurchte Stirn des Freundes sah, lachte er, stand auf und holte das Schachbrett.

Einen Augenblick betrachtete Nicolas die kunstvoll geschnitzten Elfenbein- und Ebenholzfiguren gedankenvoll, dann hellte sich seine Miene auf. Karim war der einzige Gegner im Schachspiel, der ihm überlegen war, und so war es geradezu eine Herausforderung, gegen ihn anzutreten.

»Ich hab die Lösung für deine Männer«, meinte Karim, flink die Figuren auf dem Brett platzierend.

»Ja?«

Der andere grinste verschmitzt. »Ein paar willige Schwestern und die Sache ist geritzt.«

»Na bravo! Hast du denn ein Dutzend Taubstumme zur Hand?«

»Das nicht, aber ...«

»'Idan, dann kannst du ebenso gut den Muezzin beim ersten Gebet über die Dächer schmettern lassen, dass wir Gold geladen haben!«

»Ich werde Jalil schicken, du wirst sehen! Er wird ein paar Hafenhuren herbringen, die erst kürzlich in Tunis eingetroffen sind. Sie kommen aus dem Landesinneren, sind vollkommen schwarz und verstehen weder Spanisch noch Küstenarabisch, noch was immer die Männer ihnen ins Ohr säuseln werden. Du musst nur dafür sorgen, dass sie ihnen das Gold nicht zeigen können.«

»Hm.« Nicolas drehte an seinem goldenen Ohrring, dann grinste er ebenfalls. »Hasanan! Vielleicht werden die Männer dann ruhiger.«

»Lämmchen, sage ich dir.« Karim eröffnete die Partie. »Und, als Schachlehrer irgendwelche Erfolge?«

»Aber ja!« Nicolas lachte. »Erik ist inzwischen immerhin so weit, gegen einen dressierten Affen zu gewinnen.« Vergnügt griff er nach einem Bauern. Vor seinem Cousin brauchte er kein Hehl aus den Spielkünsten seines Freundes zu machen.

»Am Niveau seiner Kumpels gemessen, macht ihn das zu einem geistreichen Kopf.« Karim zwinkerte und schickte ebenfalls einen Bauern ins Rennen.

»Das Problem liegt darin«, fühlte sich Nicolas bemüßigt hinzuzufügen, »dass sein Temperament überlegte Strategien nicht zulässt, na'am?« Als er sich vor Jahren daranmachte, Erik eine Idee vom jahrhundertealten Spiel der persischen Könige zu vermitteln, hatte er sich hinsichtlich seines zukünftigen Schachpartners durchaus keine Illusionen gemacht.

»Ah ja.« Karim lächelte stillvergnügt. Der Cousin stand zu seinen Freunden, das war bekannt.

Das darauf folgende Spiel zog sich bis in die Morgenstunden. Daneben kauten sie Qat. Zu vorgerückter Stunde häuften sich am Boden die Strünke und Stängel der schmalen, spitzen, dunkelgrünen Blätter. Es dämmerte bereits, als Nicolas mit glasigem Blick auf die »Aguila« zurückkehrte.

Erst gegen Mittag wachte er auf. Sein knurrender Magen veranlasste ihn, sofort nach Miguele zu schicken, der sich aufgrund der üblen Laune seines Herrn beeilte, allen Wünschen nachzukommen. Nachdem er in seinem Salon ausgiebig gespeist hatte, gesellte er sich – nun besser gelaunt – zu den Männern in den Aufenthaltsraum. Sofort bemerkte er, dass die Stimmung an Bord auf einen Tiefpunkt gesunken war.

»Heute Abend, Männer«, sagte er kurz und knapp, »kommen Mädchen auf das Schiff. Sie werden bis zum Morgen bleiben.«

Es gab keinen, der nicht johlte, den Kapitän hochleben ließ oder sich zumindest grinsend an den Sack fasste.

»Wie viele, Marqués?«

Nicolas wandte sich um. »Du wirst deine gesamte Munition verschießen können, William!«

Die Kumpels feixten und klopften sich auf die Schenkel. »Aye, aye, capitán!«, rief der Blonde und lachte.

Armes Schwein, dachte Nicolas und sah in die Runde. Der Bursche würde bestimmt zu kurz kommen, wenn nicht genügend Frauenzimmer auftauchten. Dann blickte er von einem zum anderen und versicherte scharf: »Kommt es aus irgendeinem Grund wieder zu Streitigkeiten, steht euch das halbe Gefängnis von Tunis zur Verfügung. Und das ist nicht gemütlich.«

Dann beauftragte er die Kräftigsten unter den Piraten, das Gold in seiner Kajüte zu verstauen, die zusätzlich von zwei Männern der »Magam« bewacht werden würde. Die drei angebohrten Kisten mit Goldbarren wurden neben den Truhen mit den Pretiosen und denen mit den Ziergegenständen gestapelt. Für die dreißig Goldbarren der vierten Kiste stellte Nicolas eine Kleidertruhe aus Pinienholz zur Verfügung, da die Originalkiste zum Zwecke der Zählung der Barren beschädigt worden war. Diese schlicht verzierte, vom Kapitän vor aller Augen verschlossene Truhe stellten die Männer im Speiseraum auf, wo sie nicht weiter auffiel.

Bevor Nicolas den Aufenthaltsraum verließ, drehte er sich noch einmal um, rümpfte die Nase und meinte verschmitzt: »Wie gut, dass euch noch Zeit für die Toilette bleibt. Die Damen kommen aus dem Süden, aus streng islamischen Ländern, und haben empfindlichere Nasen als die Hafenhuren hier!«

Manch verlegenes Grinsen und manch Kratzen zwischen den Beinen gaben ihm Recht.

Am Nachmittag konnte Nicolas endlich seine Mutter in die Arme schließen. Die Jahre waren gnädig mit ihr umgegangen, Zaida war noch immer eine schöne Frau. Sie tranken Tee in Karims Salon und plauderten.

»Und wie geht es Selma und meiner Tante Jasmin? Ich hab sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.« Nichts, was er wirklich bedauerte.

»Was soll ich dir sagen, Sohn? Selma kränkelt ein wenig, aber sie hat, Allah sei gepriesen, eine Aufgabe: Enkel – etwas, was ich nicht habe.«

Seine Mutter kam immer schnell zur Sache, direkt und ohne Umschweife. Er sah sie offen an. In ihren vorwurfsvollen Blick mischte sich wie so oft Besorgnis. Dann schüttelte sie den Kopf und fuhr mit einem Finger betrübt über die frische Narbe an seiner Wange.

»Warum willst du dich nicht endlich zur Ruhe setzen und eine Familie gründen? Ich weiß von Karim, dass du bei Gott fleißig gewesen bist. Aber die Freibeuterei wird immer gefährlicher. Komm mit uns nach Alexandria!«

»Ist es also beschlossene Sache?«

»Mir bleibt keine andere Wahl. Der Familienrat sieht Tunis' nahe Zukunft in keinem rosigen Licht. Karim, aber das wirst du ja selbst wissen, befürchtet, dass der Stadt – ähnlich wie vor einigen Jahren Algier – eine Übernahme durch die Osmanen bevorsteht. Und wenn dies gerade Barbarossa gelingen sollte, dann sei Allah den ehemals spanischen Mauren gnädig, denn er sieht in uns immer noch Spanier, die er bestehlen, versklaven und ... umbringen kann.«

Unentschlossen schwebte Zaidas rundliche Hand über dem silbernen Teller, bis sie entschieden nach einer Mandelpraline griff.

»Aber unsere Familie hier ist eine arabische, wie jede andere auch«, entgegnete Nicolas, bemüht, die Gefahr durch Rotbart zu bagatellisieren. Dass er mit dem Aztekengold so schnell wie möglich verschwinden wollte, um es nicht diesem Türken in die Hände fallen zu lassen, war etwas anderes. Schon längst nagten Zweifel an der Richtigkeit seines Entschlusses, das Problem der Goldbarren hier in Tunis zu lösen. Gerade in der vergangenen Nacht hatte er über eine gänzlich andere Strategie nachgedacht. Weshalb nicht das Gold in der Schmiede seines Guts in Ajaccio schmelzen und danach in welcher Form auch immer verteilen?

Zaida strich sich über das streng zurückgekämmte, silbermelierte Haar. »Du vergisst, dass viele ehemals spanische Mauren immer noch teilweise ansehnliche Besitzungen in Südspanien haben. Barbarossa ist gierig und nimmt alles, was er kriegen kann – er muss ja eine stets einsatzbereite Kriegsflotte unterhalten. Wenn es stimmt, was die Leute sagen, rechnet er früher oder später mit einer Reaktion Spaniens, denn König Carlos ist keiner, der sich die Provokationen eines Piraten, hinter dem noch dazu sein Erzfeind steht, lange wird gefallen lassen.«

»Pirat ist gut! Er ist vom mächtigsten Sultan immerhin zum beglerbey erhoben worden.«

»Hm, Statthalter hin oder her ... Es ist nicht das erste Mal, dass wir weggehen müssen, und wer weiß, vielleicht ist es nicht für immer.«

Nicolas bewunderte die Haltung seiner Mutter. Wieder erfasste ihn der uralte Hass auf seinen Vater, der ihn in Momenten wie diesem überkam. Zaida sah seinen finsteren Blick und legte ihre Hand auf seinen Arm.

»In diesen Zeiten muss man auf alles gefasst sein, mein Sohn. Es gibt Schlimmeres, als nur in eine andere Stadt zu ziehen.«

»Es gibt immer Schlimmeres, Mutter. Dennoch, es war nicht gerecht, dass der Marqués dich ... so behandelt hat.«

»Er hat mich nicht schlecht behandelt, das weißt du genau.«

»Du könntest heute die Marquésa von Alicante sein«, beharrte Nicolas und griff nach dem Teekännchen auf dem kleinen Messingsamowar. In die Gläser füllte er ein Drittel Teesud, Zucker und zuletzt kochendes Wasser.

»Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt wollte. Was hätte ich denn tun sollen? Warten?« Energisch rührte Zaida den Zucker um. »Damals war dein Vater verheiratet und wollte mich als seine Konkubine.«

»Sie war kränklich und eine böse Hexe. Mutter, er vergaß zwanzig Jahre lang ihre Suppe zu vergiften!« Ungeachtet des spöttischen Tonfalls war nicht zu überhören, dass er es ernst meinte.

»Sie war seine Frau.«

»Ich musste ihre Boshaftigkeit viele Jahre ertragen. Ich weiß, wovon ich spreche.«

»Und das wirfst du mir nun vor.« Wehmütig blickte Zaida auf ihre Hände, die sie ineinander schlang.

»Entschuldige, Mutter«, sagte er rasch, »so hab ich es nicht gemeint.« Er griff nach ihren Händen.

»Deinem Vater blieb keine Wahl, denn ich hatte es so beschlossen, Sohn.« Zaida senkte den Blick. »Ich war es, die mit ihm dieses Abkommen getroffen, nein, ihm aufgezwungen hatte, denn ich wollte dich für mich allein. Dich wenigstens die ersten Jahre bei mir haben. Ich habe nach deiner Geburt nicht gedacht, dass es mir auch nach zehn Jahren noch so schwer fallen würde, dich wegzugeben. Ich war damals jung und zehn Jahre erschienen mir eine halbe Ewigkeit.« Dann fügte sie kaum hörbar hinzu: »Es hat mir fast das Herz gebrochen.«

»Warum hast du es getan?«, fragte Nicolas leise. Den vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme konnte er nicht ganz verbergen.

»Ich hasste deinen Vater ... Aber nicht so, wie man einen Feind hasst. Unter anderen Umständen hätte ich ihn lieben können – das habe ich immer gespürt. Liebe und Hass sind die stärksten Gefühle, deren wir fähig sind, aber sie liegen so eng beieinander, dass man vielleicht nicht immer merkt, wenn das eine in das andere übergeht.« Sie seufzte. »Es hat nicht sollen sein, verstehst du? Trotzdem wollte ich den Marqués nicht um seinen Sohn betrügen, denn ich wusste, wie sehr er sich einen starken, gesunden Sohn von seinem Blute wünschte.« Zaidas Blick wanderte in die Ferne.

»Verzeih, Mutter«, murmelte Nicolas und legte ihr liebevoll den Arm um die Schultern.

»Lass mich eine Frau für dich suchen«, meinte Zaida plötzlich, und Leben kam wieder in die reglose Gestalt.

»Nein, Mutter, davon will ich nichts hören.« Er klang ruhig, aber entschieden. Nichts an seiner Miene verriet, dass er in diesem Moment nur ein Bild vor sich sah: funkelnde grüne Augen ...

»Du solltest dich irgendwo niederlassen. Du bist jetzt neunundzwanzig! Oder machst du dir Hoffnungen auf das Erbe?«

Nicolas rang die Hände. »Natürlich nicht! Ich will von dem Titel und dem Lehen nichts wissen, seit ich die Wahrheit darüber erfahren habe.«

»Das ist doch längst Vergangenheit. Die Araber waren bei der Eroberung auch nicht zimperlich«, sie winkte ungeduldig ab. »Du hast einen Bruder und einflussreiche Freunde bei Hof ...«

Nicolas seufzte. »Mutter, seit der Geschichte mit dem flämischen Grafen ...«