Das Antwerpener Testament - Evelyn Grill - E-Book

Das Antwerpener Testament E-Book

Evelyn Grill

3,9

Beschreibung

Ein Jahrhundert, eine Familie, eine Ehe. Und nichts als Lügen. Als Henriette Stanley stirbt, ist die Familie, die sich um ihr Grab versammelt, schon nicht mehr groß: Da ist Harry, ihr "geistesgestörter" Sohn, auf dem einst die Hoffnungen der Familie, Reeder aus Antwerpen, lagen. Da ist ihre Tochter Ann mit ihrem deutschen Mann, deren Ehe Henriette nicht verhindern konnte, obwohl sie die Verbindung nach dem Krieg um ihr Erbe aus Belgien gebracht hat. Und da ist die Schwester ihres Mannes, der vor vielen Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist. Niemand spricht mit ihr, aber sie allein weiß, was aus ihrem Bruder geworden ist und was in dem Testament aus Antwerpen wirklich gestanden ist. Und sie weiß auch, dass jede Anstrengung, vergessen zu wollen, vergebens ist. Dieser Roman ist ein großes Gemälde, und Evelyn Grill beweist darin ihre ganze Meisterschaft. Sie erzählt die Geschichte einer Ehe, den Roman einer Familie voller Risse, in denen die Abgründe eines ganzen Jahrhunderts erkennbar werden.

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Evelyn Grill

Das AntwerpenerTestament

Roman

Residenz Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2011 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:978-3-7017-4351-3

ISBN Printausgabe:978-3-7017-1566-4

Für Beatrice Newman

Inhalt

1. Kapitel – Worthing Seafront 1983 – Der arme Harry

2. Kapitel – New York 1951 – Lilly

3. Kapitel – Worthing 1950 – Ann

4. Kapitel – New York 1953 – Lilly

5. Kapitel – London 1954 – Hotel Savoy

6. Kapitel – Antwerpen 1954 – Henriette Stanley

7. Kapitel – Worthing / Schwarzwald 1975 – David

8. Kapitel – Worthing 1984 – Ulrich

1. Kapitel

Worthing Seafront 1983Der arme Harry

Henriette Stanleys Begräbnis fand an einem Märztag bei strömendem Regen und heftigen Windböen statt, wie sie an der Seafront nichts Ungewöhnliches sind. Auf dem Friedhof, der sich über ein weites, baum- und strauch-loses Feld erstreckte, von dem aus man einen Blick auf die Downs und auf das Meer hatte, das sich heute im Dunst verbarg, verlor sich beinahe das kleine Häuflein Trauernder, über deren Köpfen kreischende Möwen lärmten, ein Geräusch, das in Ulrich Breuer ein Unbehagen hervorrief. Zwischen den grauen, teilweise bemoosten Grabplatten hatte er sich auf den schlammigen Wegen mit den übrigen Konduktteilnehmern an die ausgehobene Grube heran bewegt und wartete auf das Eintreffen des Sargs, des Pfarrers und der Ministranten. Er war mit seinen drei Kindern erst gestern aus Karlsruhe angereist, während Ann,seine Frau, schon zwei Wochen zuvor im Krankenhaus in Brighton dem Sterben ihrer Mutter beigewohnt hatte. Der arme Harry, wie er in der Familie genannt wurde, der in seinem abgetragenen Burberry vor Kälte zitterte und eine gestrickte, bunte Wollmütze tief in die Stirn gezogen hatte,stand neben ihm. Als Ulrich seinen Schirm auch über ihn halten wollte, rückte er weiter von ihm ab. Kümmere dich um meinen Bruder, hatte Ann ihn gebeten, man weiß nicht,wie er reagieren wird. Alle, außer Harry, trugen langstielige, gelbe Rosen, Blumen, die die Verstorbene besonders geliebt hatte. Auch der Arzt, Dr. Crack, ein rotgesichtiger Ire, der die alte Dame die letzten Jahre betreut hatte, und einige ehemalige Schülerinnen der Verstorbenen, distinguierte Damen mit bläulich oder rosa gefärbten Löckchen und fein gepuderten Gesichtern, wollten ihrer einstigen Lehrerin das letzte Geleit geben; sie warteten in zweiter Reihe,steckten gelegentlich ihre Köpfe unter den Regenschirmen zusammen und flüsterten miteinander. Ulrich hatte sie im Laufe der Jahre alle kennengelernt, aber seit langem nicht mehr wiedergesehen. Natürlich erkannte er auch Molly,die Putzfrau der Verstorbenen, die sich wegen ihrer arthritischen Gelenke auf einen Stock stützte und in der freien Hand eine langstielige Teerose trug. Sie hatte Ann und ihn begrüßt und sich dann hinter die ältlichen Damen zurückgezogen. Betty Brown, eine enge Freundin seiner Frau aus Kinder- und Jugendtagen, war sogar aus Liverpool angereist.

Das Requiem fand in der kleinen, römisch-katholischen,aus rotem Sandstein in neugotischem Stil erbauten Kirche statt. Die beiden Freundinnen trafen an der Kirchentür zusammen, Ann ging auf Betty zu, sie hatte sie sofort wiedererkannt, obwohl sie sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, und fiel ihr zu Tränen gerührt in die Arme. Betty, die ebenfalls sichtlich bewegt war, drückte sie fest an sich und strich ihr sanft über den Kopf. Da verschob sich Anns kastanienbraunes Haar, und sie machte sich von der Freundin los und rückte es hastig zurecht wie einen verrutschten Hut. Ulrich hielt sich etwas abseits und beobachtete die Frauen. Bettys Gesicht spiegelte das Erschrecken über Anns verändertes Aussehen wider; das war kein Wunder, denn sie war die Schönste auf dem College gewesen und demzufolge sehr umschwärmt, aber unnahbar. Diese Aura der Unnahbarkeit hatte sie noch umgeben, als Ulrich ihr zum ersten Mal begegnet war. Er erinnerte sich an ihre leicht schräg gestellten, grünen Augen und an ihren zarten Teint, der ihn an Gainsboroughs Ladies denken ließ, der manche Britinnen auszeichnete und der jeder Kosmetikfirma zur Werbung für ihre Produkte hätte dienen können. Doch jetzt schaute man in ein müdes, erschöpftes, ja verhärmtes Gesicht, in dem Betty Brown nur mit Mühe die Züge ihrer Freundin wiederentdeckte. An ihrem bestürzten Gesichtsausdruck erkannte Ulrich, daß er mit seiner Wahrnehmung recht hatte, und es war ihm, als müßte er seine Frau davor in Schutz nehmen.

Ann winkte ihn herbei, denn er hatte sich abseits gehalten, und machte ihn mit ihrer Freundin bekannt. Dann präsentierte sie ihre Kinder, den erstgeborenen, 28jährigen David, der ihrer Freundin erst nach Aufforderung der Mutter die Hand hinstreckte, jedoch seinen Kopf abgewandt hielt, aber die wohlgeratenen, achtzehnjährigen Zwillinge Greg und Maud begrüßten Betty mit einem höflichen Lächeln. Kurz darauf läuteten die Glocken, und man betrat die Kirche. Das Gebäude war, entsprechend der kleinen Gemeinde römischer Katholiken, nicht viel größer als eine Marienkapelle auf dem Kontinent. Der alte Pfarrer, der heute die Seelenmesse lesen würde, hatte schon Ann und Harry getauft. Und auch Anns und Ulrichs Kinder hatte er über das bronzene Taufbecken gehalten. Damals hatte noch die Verstorbene, als stolze Großmutter, der Zeremonie beigewohnt. Inzwischen war der Pfarrer krumm und zittrig geworden, er würde sich bald aus seinem Amt,vielleicht sogar aus der Welt zurückziehen müssen, aber er hatte es sich nicht nehmen lassen, seine frömmste Katholikin, der er an Jahren voraus war, einzusegnen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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