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Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2005 Nicht Liebe war es, was den aufstrebenden Juristen Alois Hofstätter in die Ehe mit der Schauspielerin Olga trieb, der ein ganzes Stück älteren Witwe eines verstorbenen Klienten: es waren ihr Ansehen und ihr Vermögen, ihre leicht angereifte erotische Ausstrahlung und der nicht zu vernachlässigende Umstand, daß sie ein Kind von ihm erwartete. Hofstätters wahre und ewige Liebe gilt der Kunst und seine Leidenschaft dem Spiel, seit er kurz und glücklos einem jungen Mann verfiel, der seine Begierden nicht nur auf sich selbst, sondern auch ins Kasino zu lenken wußte. Die Gattin hält ihn schuldenfrei, und das Kind ist mittlerweile zu einem Jüngling herangewachsen, an dem sich die Sinne des praktizierenden Ästheten schadlos halten können, an dem sie einen Ausgleich finden für die körperlichen und seelischen Zumutungen der welkenden Gefährtin. Doch das Gefüge der großbürgerlichen Scheinwelt, welche die dekadenten Eitelkeiten der beiden befriedigt, ist brüchig: im Spannungsverhältnis zwischen äußerlicher Repräsentation und dem inneren Ungenügen, ja der immer weniger zu unterdrückenden Feindschaft, wachsen sich die Konflikte eines "falschen" Lebens zu einem erbitterten Machtkampf aus, der schließlich in die Katastrophe führt. Mit schonungslosem Blick zeichnet Evelyn Grill das Porträt eines ebenso kaltschnäuzigen wie bemitleidenswerten Dandy, dem die Ästhetisierung des Alltags die Erziehung der Gefühle ersetzt. Die angemessene Empörung über das amoralische Verhalten ihres Protagonisten liefert die Autorin nicht mit; sie muß Sache des Lesers bleiben.
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Seitenzahl: 193
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Evelyn Grill
VanitasoderHofstätters Begierden
Roman
Residenz
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
www.residenzverlag.at
© 2005 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung!
ISBN ePub:978-3-7017-4381-0
ISBN Printausgabe:978-3-7017-1405-3
Ja alle Welt hasset die Warheitwenn sie einen trifft.Martin Luther,Fabeln aus dem Esopo,Vorrede (1530)
Lines from Endymionsome shape of beautymoves away the pallfrom our dark spirits.John Keats
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Wieder stand er mit dem Gesicht gegen das Glas wie mit dem Rücken zur Wand. Er hörte Gepolter, lallendes Sprechen, Stöhnen, einen dumpfen Aufschlag. Hofstätter drehte sich nicht um, er sagte es sich wieder, er hätte keinen Sohn in die Welt setzen sollen. Die Natur hätte es nicht zulassen dürfen. Aber was vermochte die Natur? Gegenüber der Kunst war sie machtlos. Davon war er überzeugt, seit er in Wien zuerst den Alten Meistern und dann Olga Diotima in die Hände gefallen war. Ihre Erscheinung hatte ihn an Tizians Zigeunermadonna erinnert, die ihn mit ihren sanften und doch glühenden Augen bezaubert hatte, und er hatte sich an die Stelle des nackten Knaben gewünscht, den sie in Händen hielt, eigentlich vor sich aufstellte, dem Beschauer geradezu darbot. Obwohl der Blick der Madonna auf dem Bild träumerisch in die Ferne ging, fühlte er sich doch von ihm getroffen, und es drängte ihn, sich täglich im Kunsthistorischen Museum diesem Blick zu stellen. Damals war er noch häufig im Café Imperial anzutreffen, in dem man ihn beim Namen nannte, über seine Vorlieben Bescheid wußte und ihn aufmerksam bediente. Er schätzte die Diskretion des Personals, er genoß den Duft des Kaffees, die Geräusche beim Auseinanderfalten der Zeitung, das leise Klacken der Kaffeetassen, er vertiefte sich in die in- und ausländische Presse und war für kurze Zeit mit sich und Österreich im Einklang. Hier im Kaffeehaus wurde es ihm wieder mit einer sentimental gefärbten Freude bewußt, daß er noch immer österreichischer Staatsbürger war, der freilich längst in Deutschland lebte. Nur in diesem entspannten, geistig halb präsenten Zustand konnte es dem eleganten 30jährigen Juristen, der sich im Grunde dem des Dandys verschrieben hatte, geschehen, daß er dem folgenschwersten Irrtum seines Lebens erlag.
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