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Alles ist bereit. Adina Caligari hat den Friedhof abgeriegelt und bereitet ein Ritual vor, das alle Bewohner Magows töten wird. Ihre Schergen ermorden jeden, der im Weg ist. Die Zutaten sind versammelt, die Opfer bereit. Alles läuft nach Plan. Bis auf die chaotische Wächtertruppe, die sich zufällig auch auf dem Friedhof befindet. Sofie und ihre Freunde sind das Einzige, was zwischen Adina und Magow steht. Leider. Denn sie haben weder einen Plan noch eine Ahnung, wie sie gegen die mächtigste Hexe der Welt und ihre Gehilfen ankommen sollen. Ein tödlicher Kampf entbrennt. Die letzte Folge der Urban Fantasy-Serie! Alte Rivalitäten, neue Feinde und schreckliche Verluste! Diesmal in Super-Doppel-Überlänge! Mit dabei: Ruchlose Rituale, mörderische Magie und grauenvolles Gemetzel.
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Impressum
Die Wächter von Magow 12: Das brutale Finale
Text Copyright © 2022, 2023 Regina Mars
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Regina Mars
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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Sofie entdeckt den geheimen Bezirk Berlins: Magow, wo die magischen Wesen hausen. Und sie ist eins von ihnen! Als frisch entdeckte Hexe tritt sie ihren Dienst bei den Wächtern an, der magischen Polizeieinheit Magows. Zusammen mit dem Rest ihres Teams schützt sie die Einwohner vor Rattenkönigen, Kelpies und Werwölfen bei Vollmond.
Ihr Team besteht aus:
Nat, einem blondgelockten Vampir, der an Liebe, Frieden und Teamwork glaubt,
Isa, einer entspannten bis faulen Werwölfin, die umkippt, wenn sie ihr eigenes Blut sieht,
Vivi, einer schüchternen Meerjungfrau, Informatikgenie und Fan von allem was glitzert und
Jean, einem schlecht gelaunten Incubus, der keiner sein will. Vor kurzem besorgten die anderen ihm ein Amulett, das seine Kräfte unterdrückt.
Nach einigen Umwegen findet Sofie ihre totgeglaubte Mutter. Leider ist Adina nicht das, was sie zu sein vorgibt. Ein Ritual, mit dem sie sich ewiges Leben verschaffen will, geht schief und das Team zahlt einen schrecklichen Preis: Isa stirbt.
Sofie, Vivi, Jean und Nat schwören Rache. Unerwartete Hilfe kommt von General Stein, der sie in die geheime Spezialeinheit der Zentrale holt, die Abteilung zur Bekämpfung illegaler magischer Aktivität.
Was gut ist, denn die Gefahr ist nah: Adina und Aeron, Jeans Vater, verstecken sich mitten in Magow und bereiten das nächste Ritual vor. Für das sie Adinas weitere Kinder brauchen. Leider weiß nur Adina selbst, wo die sind. Und die beiden haben einen mächtigen Verbündeten: Nacht-Bürgermeister Ricky Scholle, bei dem sie untergetaucht sind.
Durch Zufall entdecken Sofie, Vivi, Jean und Nat, wo Adina und Aeron sich versteckt halten: in der Villa des Nacht-Bürgermeisters. Während die Planung für den Zugriff läuft, entführt Aeron Jeans Mutter. Es kommt zum Kampf zwischen Vater und Sohn, den Aeron gewinnt, und Jeans Mutter landet schwer verletzt im Krankenhaus.
Zu allem Überfluss fliegt die Putztruppe aus der Spezialeinheit, weil sie ein geheimes Gespräch belauscht hat. Da sie von dem Zugriff ausgeschlossen wurden, beschließen sie, Isas Grab zu besuchen. Was niemand weiß: Adina, Aeron und ihre Gehilfen sind längst nicht mehr in der Villa, sondern auf dem Friedhof …
Sie wusste nicht, wo sie war. Der Van glitt durch die Nacht, der Motor brummte, doch hinter den verdunkelten Scheiben sah sie nichts. Weder vor ihnen noch seitlich. Die Fesseln schnitten in ihre Hand- und Fußgelenke und ein bitterer Geschmack erfüllte ihren Mund.
Sie roch das Leder der Sitze. Sie spürte die Wärme von Mariellas Schulter an ihrer und das Gewicht von Elwins Kopf an ihrem Oberarm. Ihre Geschwister waren bei ihr. Wie immer war sie in der Mitte. Eingepfercht zwischen den beiden, halb erdrückt. Weder so mächtig, schön und selbstbewusst wie Mariella noch so süß und witzig wie Elwin.
Mila seufzte. Wie kam es, dass Mariella besser aussah als sie selbst? Sie waren doch Zwillinge.
Die Frage hatte sie sich schon oft gestellt und fand nur eine Antwort: Es lag an Mariellas Selbstbewusstsein, dass alle sie ansahen und Mila ignorierten. Auf der Party gestern hatte Raoul Magicore nur Augen für ihre Schwester gehabt. Dabei war er doch Milas Laborpartner in Angewandter Magie, und außerdem hatte er Augen, die an geschmolzene Schokolade erinnerten, und wenn er sich die Locken aus der Stirn strich, konnte sie nicht wegschauen, weil …
»Mila«, zischte Mariella. »Träumst du?«
»Nein«, log sie. »Natürlich nicht.«
»Wir müssen fliehen«, flüsterte Mariella. Sie sah wütend aus. Stinkwütend. Kein Wunder, durch diese Entführung hatte sie ihre Tennisstunde verpasst. »Sofort. Ich will gar nicht wissen, was sie mit uns vorhaben.«
»Es ist Ricky«, murmelte Mila. »Es wird schon okay sein.«
»Sag mal, wie naiv bist du?«
Mila zog den Kopf zwischen die Schultern. Sie war nicht naiv. Aber sie wünschte so sehr, sie wäre es.
Nacht-Bürgermeister Ricky Scholle, ihr Nachbar und ein alter Freund ihrer Eltern, hatte sie mitten in der Nacht abgeholt, weil er ihre Hilfe brauchte. Womit auch immer. Mila hatte nicht nachgefragt. Sie fragte nie nach. Weder, wenn ihre Eltern ihr etwas auftrugen, noch, wenn Mariella beschloss, dass sie nicht länger mit jemandem befreundet waren. Zum Beispiel mit Luci Penombre. Was hatte Luci eigentlich getan? Nichts, soweit Mila wusste. Na ja, Azriel Jagat hatte auf dem Vollmondfest mit ihr getanzt, und Mariella hatte mal angedeutet, dass sie ihn ganz niedlich fand … Oh. Ja, das war es vermutlich. Voll schlechten Gewissens erinnerte Mila sich daran, dass Luci ihr zugehört hatte. Wirklich zugehört, als wäre es interessant, was sie zu sagen hatte. War es nicht. Und als Mariella es ihr befohlen hatte, hatte sie nie wieder mit Luci gesprochen.
Sie hatte nicht nachgefragt. Wie immer.
Gerade wünschte sie, sie hätte es getan. Immer. Sie hätte fragen sollen, was der Bürgermeister mit ihnen vorhatte. Sie hätte sich weigern sollen. Sie hatte ein schlechtes Gefühl dabei gehabt, mitzugehen, aber sie hatte es getan.
Mila, du blödes Stück, dachte sie und schluckte die Tränen hinunter.
Die letzten Stunden (oder Tage?) waren verschwommen und undeutlich. Sie waren in der Villa angekommen und dann … nichts. Irgendwann waren sie in einem hässlichen Zimmer aufgewacht, gefesselt und mit dröhnendem Schädel. Ricky, der gute, alte Freund ihrer Eltern, musste sie unter Drogen gesetzt haben.
Immerhin waren sie unversehrt. Körperlich fehlte ihnen nichts, bis auf die Kopfschmerzen. Und die waren irgendwann verflogen.
Die Verpflegung war allerdings grauenvoll gewesen: Kekse und stilles Wasser. Leitungswasser! Und nur ein Eimer als Toilette.
Irgendwann war die Tür aufgegangen und zwei Vampire hatten sie vom Bett gezerrt und aus dem Zimmer befördert. Einen düsteren Gang waren sie entlanggetrieben worden, dessen Dreck immer noch an Milas Füßen klebte. Sie fror.
»Da war eine Explosion«, sagte sie leise, um Elwin nicht aufzuwecken. »Als wir in dem Tunnel waren.«
»Na und?« Mariella sah sie böse an. »Hilft uns das bei der Flucht, Milanea? Denk nach.«
»Ich meine«, murmelte Mila. »Wir waren doch die ganze Zeit bei Ricky. Und unser Haus ist gleich neben seinem. Was, wenn er Mama und Papa was getan hat? Wenn die Explosion …«
Sie wollte den Satz nicht beenden. Alles, was sie in letzter Zeit mit ihren Eltern tat, war streiten, aber trotzdem … Wenn sie Papa mit Elwin sah, erinnerte sie sich wieder daran, wie er ihre Hand beim Laternenlauf gehalten hatte. Wie Mama ihnen vorgelesen hatte, wie sie alle zusammen am Strand gesessen und zugeschaut hatten, wie die Wellen brachen und der Himmel von sturmgrau zu pechschwarz wechselte. Sie war jünger gewesen als jetzt, aber damals hatte sie sich sicher gefühlt. Jetzt nicht mehr. Na, kein Wunder. Schließlich waren sie entführt worden.
»Mama und Papa geht es gut«, behauptete Mariella. »Erzähl nicht so einen Blödsinn. Überleg dir lieber, wie wir hier rauskommen.«
Vorsichtig zerrte Mila an ihren Fesseln. Elwin murrte leise, schlief aber weiter. Die Fesseln gingen nicht auf. »Ich glaube, das ist Kabelbinder.«
Mariella schnaubte. »Das glaube ich auch. Denk, Milanea. Streng deinen Hohlkopf an. Wie kommen wir hier raus?«
»Gar nicht.« Mila sah auf die Scheibe vor ihnen. »Wir kommen hier nicht raus. Wir sind entführt worden und«, ihre Stimme brach, »die wissen, was sie tun. Ich hab keine Ahnung, okay? Ich weiß nicht, wie wir …« Sie schluchzte.
Mariella schwieg. Schließlich lehnte sie den Kopf auf Milas Schulter. Mehr Bewegungsspielraum hatte sie wohl nicht.
»Sorry«, murmelte sie. Ein Wort, das Mila schon seit mindestens fünf Jahren nicht mehr aus ihrem Mund gehört hatte. »Ich hab Angst.«
»Ich doch auch«, brachte Mila hervor. »Was meinst du, warum …« Sie wünschte, sie könnte ihr Gesicht irgendwo trocknen. Die Tränen juckten und reizten ihre Haut. Sie war zu sensibel. »Egal. Mama und Papa sind viel zu wichtig, um sie zu verärgern. Was soll er schon mit uns tun? Gar nichts.«
»Er hat schon was getan. Er hat uns in diesen schäbigen Raum gesperrt und gefesselt. Das würden Mama und Papa ihm nie verzeihen, also … ist es ihm egal. Wenn er gar nichts mit uns vorhätte …« Mariella verstummte. »Ich glaube, wir kommen an.«
Der Wagen nahm eine Kurve und wurde langsamer. Kies knirschte unter den Reifen. Eisige Angst kroch Milas Körper empor.
»W-wenn das hier vorbei ist«, sagte sie, »und wir wieder an der Schule sind, gehe ich mit Luci shoppen. So.«
»Was?« Mariella musterte sie ungläubig. »Was hat das denn mit Luci zu tun?«
Sie konnte es nicht erklären, aber es hatte mit allem zu tun. Dass Mila so lange blind gefolgt war, bis es sie hierher gebracht hatte, auf den Rücksitz eines verdunkelten Autos, auf dem Weg zu … wer wusste, wohin?
In den Tod.
Nein. Das wollte sie nicht denken. Das durfte sie nicht denken. Das würde nicht passieren.
Bestimmt.
Die Tür wurde sanft geöffnet, doch sie fuhren zusammen, als hätte Ricky sie mit einem Ruck aufgerissen. Sein Gesicht, nur erhellt durch die Innenraumbeleuchtung, sah freundlich aus.
»Hey«, sagte er, und seine Stimme klang so beruhigend, als wäre es nicht er gewesen, der sie in diese Lage gebracht hatte. »Mädels. Elwin. Tut mir leid, dass meine Freunde euch so grob behandelt haben. Sie wissen anscheinend nicht, wer ihr seid.«
Elwin blinzelte. Er hätte sich sicher den Schlaf aus den Augen gerieben, aber seine Hände waren ja gefesselt.
»Wo sind wir?«, quäkte er. »Was ist los?«
»Das erklärt der Nacht-Bürgermeister dir«, sagte Mariella streng. »Gleich, nachdem er uns losgebunden hat.«
Ricky seufzte, als täte es ihm wirklich leid.
Lügner, dachte Mila. Du lügst. Du hast nicht vor, uns gehen zu lassen, nicht wahr?
Einen Moment lang sah sie nicht das, was sie sehen wollte, sondern das, was war. Und bereute es sofort.
Wir werden sterben, blitzte es in ihrem Kopf auf. Er hat uns geholt, damit wir … geopfert werden?
Mama und Papa hatten beide Wahrsagekräfte, aber nur Mama hatte sich darauf spezialisiert. Sie hatte versucht, Mariella etwas beizubringen, aber das war der einzige Bereich, in dem Milas perfekte Schwester wenig Talent zeigte. Mila selbst war zu überfordert mit den Klausuren in Angewandter Magie gewesen, um am Training teilzunehmen.
Was, wenn ich es habe?, fragte sie sich. Das Talent, die Zukunft zu sehen?
Denn es fühlte sich so an, als könnte sie etwas sehen. Wenn sie die Augen zusammenkniff, hatte Ricky Scholle Reißzähne und …
Oh, bitte nicht.
»Mariella«, sagte der Nacht-Bürgermeister. »Du musst jetzt die kluge junge Frau sein, die du bist. Es tut mir leid, dass so viel Verantwortung auf deinen Schultern ruht. Du bist noch jung. Ihr seid alle noch Kinder, in den Augen dieses alten Sacks hier.« Die Fältchen um seine Augen kräuselten sich, als er traurig lächelte. »Eure Eltern haben Schulden. Große Schulden, von denen sie euch nichts erzählt haben, um euch nicht zu beunruhigen. Und leider werdet ihr sie begleichen müssen.«
»Blödsinn.« Mariella klang leicht verunsichert. Sie zu irritieren, schaffte auch nur der Nacht-Bürgermeister. »Ich habe einen guten Überblick über unsere Finanzen. Wir haben keine Schulden.«
»Keine finanziellen Schulden.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie schulden ein paar sehr mächtigen Leuten einen Gefallen. Keine Sorge. Ich bin hier, damit euch nichts passiert. Ich kümmere mich um euch. Aber Schulden müssen bezahlt werden. Gerade in unseren Kreisen.«
Mariella schwieg. Glaubte sie das etwa? Mila blinzelte und glaubte, eine Schlangenzunge hinter seinen Zahnreihen aufblitzen zu sehen.
Sie wollte etwas sagen. Sie musste etwas sagen, aber ihr Mund war wie gelähmt.
»Es geht um ein kleines Ritual«, sagte Ricky, die Stimme sanft wie Seide. »Und die Freunde eurer Eltern brauchen dafür Hexen mit gewaltigen Kräften. So wie euch. Ich verspreche, dass es das einzige Mal ist. Wenn das vorbei ist, müsst ihr nie wieder darüber nachdenken.«
Das können wir auch nicht, dachte Mila. Sie hatte das Gefühl, auf eine schwarze Wand zuzurasen, mit 230 Stundenkilometern. Wir werden tot sein. Wir sterben!
»Bullshit«, murrte Mariella und wandte den Blick ab. Aber sie tat nichts. Ihre Kiefer mahlten. »Wenn ich zurückkomme, erzähle ich den beiden was.«
Wir kommen nicht zurück!, wollte Mila brüllen. Wir sterben! Tu was! Du tust doch immer was! Du bist es doch … ich meine, ich kann doch nicht …
»Die Armen.« Ricky schmunzelte. »In der Haut eurer Eltern möchte ich nicht stecken. Na gut.« Er betrachtete sie. »Elwin.«
Mila spürte Elwin zusammenzucken. Mit weit aufgerissenen Augen drückte er sich in den Sitz und schüttelte den Kopf. Anscheinend glaubte er die Geschichte von den Schulden ebenso wenig wie Mila.
Er war erst acht Jahre alt. Unter seinem Mantel trug er einen Construction Cats-Pyjama, weil sie sich so schnell angezogen hatten.
»Keine Angst«, sagte Ricky lächelnd. »Es geht ganz schnell, und dann bringe ich dich zu deinen Schwestern zurück.«
Elwin presste die Lippen aufeinander, bis sie ein weißer Strich waren. Er sah Mila an. Seine Augen schimmerten.
»Mila?«, piepste er.
Nun.
Mila schloss die Augen, wandte den Kopf und zwang ihren Mund, sich endlich zu öffnen. »Ich gehe zuerst«, sagte sie. »Bitte.«
Ricky zuckte mit den Achseln. »Wenn du magst. He, tut nicht so, als wäre das euer Untergang. Das ist ein kleines, nettes Ritual, ehrlich. Am Ende gibt es Kekse.« Er grinste. »Oder Champagner. Langsam seid ihr alt genug, oder?«
Mila nickte schwach. Sie zwang sich, Elwin ein Lächeln zu schenken. Ricky löste ihren Sicherheitsgurt und half ihr heraus. Umständlich krabbelte sie über Mariella.
»Das mit den Fesseln tut mir leid «, flüsterte er ihr zu. Kalter Wind schlug ihr entgegen. »Die kommen gleich runter.«
Hinter ihr schlug die Autotür zu. Sie befanden sich auf einem Hinterhof. Mehrere Transporter standen hier. Im kalten Licht mehrerer Laternen herrschte reges Treiben. Leute in Schutzwesten und Werwölfe, die Kisten trugen. Sehr viele Werwölfe.
»He.« Ricky schenkte ihr ein aufmunterndes Grinsen. »Es wird nicht wehtun, ich schwör’s.«
Mila sah andere Gefesselte. Zwei Werwölfe, ein Vampir und eine Dryade, die dreinschaute, als hätte sie große Lust, Köpfe abzureißen. Ihr grüner Zopf baumelte hin und her und es brauchte zwei verwandelte Werwölfe, um sie festzuhalten.
»Lasst mich los, ihr Arschgeigen«, fauchte sie. Dann verschwand sie aus Milas Blickfeld.
Hinter der Mauer ragten Grabsteine auf. Kahle Äste reckten sich dem trüben Himmel entgegen.
»Scheiße«, murmelte Jean und fasste die Lage damit perfekt zusammen.
Sie kauerten hinter einem opulenten Vampirgrab, auf einem Friedhof, der düsterer nicht sein könnte, komplett mit über den Boden wehenden Blättern, eisigem Wind, Moderduft und finster aufragenden Grabsteinen und soeben war vor ihren Augen ein netter, alter Zwerg von einem Werwolf zerrissen worden.
Einem Werwolf, der sie bemerkt hatte.
Einem Werwolf, der grinste.
»Hallo«, grollte er und leckte sich über die blutverschmierten Zähne. Er spannte die Muskeln und sprang. In einem Moment kauerte er bei der Leiche, im nächsten setzte er über das niedrige Gebüsch neben dem Grab und landete vor ihnen. So nah, dass Sofie seinen Atem riechen konnte. Er stank nach Blut und Innereien.
Verdammte Axt, dachte sie und griff panisch in ihre Lederjacke. Ihre Finger glitten in das Innenfutter, genau in dem Augenblick, in dem das Monster auf sie zu sprang.
»Hab ich dich!«, brüllte es. Sein Körper rauschte heran.
Sofie warf die getrocknete Brombeere und ließ sich fallen. Wachse, dachte sie. Dornige Ranken schossen hervor und umhüllten den Wolf. Sofie warf sich zur Seite und rollte über den kalten Rasen. Da, wo sie gerade noch gelegen hatte, knallte der Wolf zu Boden.
»Ha! Wer hat hier wen?«, keuchte Sofie.
»Hilfe!«, brüllte der Wolf und sie verschloss sein Maul mit weiteren Ranken. Stille. Die anderen waren zurückgewichen und standen wie angewurzelt da. Der Grill war umgekippt und die Würstchen, mit denen sie an Isas Grab ein Picknick hatten veranstalten wollen, lagen verstreut im Gras.
Immer noch still. Sofie lauschte eine weitere Minute, um sicherzugehen, dann beruhigte sich ihr Atem. Niemand hatte den Wolf gehört.
Dass er um Hilfe gerufen hat, bedeutet wohl, dass weitere Fieslinge auf dem Friedhof anwesend sind, sagte Gurke und wackelte auf den Werwolf zu. Hm. Ein Weibchen.
Huch, und ich dachte … Sofie schüttelte den Kopf. Total sexistisch, ich weiß.
Entsetzlich.
War das Sarkasmus, Gurke?
»Was macht das hässliche Vieh hier?«, fragte Jean.
Sie legte den Finger an die Lippen. Noch waren sie verborgen. Sogar die gefesselte Wölfin sollte man vom Weg aus nicht sehen können.
Sie hockten sich in einem Kreis neben sie.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Sofie. »Aber … also.« Sie deutete in den Himmel. »Das da oben ist ein Schutzschild, glaube ich. Irgendjemand hat einen Schutzschild über den Friedhof gespannt.«
»Nun.« Vivi kaute an ihrem Daumennagel. Ihre Augen waren riesig in der Dunkelheit. »Die Einzige, von der wir wissen, dass sie Schutzschilde aufspannen kann, ist Adina Caligari. Also …«
»Ist sie hier?« Nat keuchte.
»Verkackte Kackscheiße.«
»Jean.« Sofie sah ihn bewundernd an. »Du findest immer die richtigen Worte.«
»Klappe, Hexe.« Tiefe Falten erschienen auf seiner Stirn. »Wenn Adina auf dem Friedhof ist und einen Schutzschild dabei hat, dann«, er ballte die Fäuste, »ist sie wegen des Rituals hier.«
»Oh.« Nats Gesicht wurde noch blasser als sonst. Fast durchscheinend. »Wir sollten … Was sollten wir?«
»M-mehr wissen?« Vivi schaute, als müsste sie sich gleich übergeben. »E-es ist ja gar nicht gesagt, dass es Adina ist. Oder, dass das Ritual hier stattfindet. Alles, was wir wissen ist, dass eine Werwölfin einen Zwerg getötet hat und vielleicht ein Schutzschild über d-dem Friedhof ist.«
»Befragen wir die Fellkuh da.« Jean richtete sich auf und trat der Werwölfin in die Flanke. Die knurrte. »Die weiß bestimmt mehr. Bringen wir sie zum Quatschen.« Er trat erneut zu. »He, Fellkuh!«
Nat räusperte sich. »Musst du sie treten? Ich meine … also. Die Arme.«
Sexismus, gurrte Gurke.
Es ist nicht, weil sie eine Frau ist, dachte Sofie. Foltern ist einfach nicht okay.
Drei Millionen Leben auslöschen ist noch weniger ‚okay‘. Und genau das hat deine liebe Mutter vor.
Sofie fuhr sich über das Gesicht. Die Werwölfin lachte, verzerrt durch die Ranken, die ihre Schnauze zusperrten.
»Was hast du gesagt, Fellkuh?«
Sofie konzentrierte sich und lockerte die Fesseln ein wenig. Genug, dass die Wölfin nuscheln konnte.
»Ich verrat nichts«, höhnte sie. »Ihr könnt mich umbringen, ich sage nichts. Ich bin rudeltreu.«
Fragend sahen sie sich an.
»Und was hat dein Rudel mit dem Ganzen hier zu tun?«, versuchte Nat es, erntete aber nur ein höhnisches Lachen. Er seufzte und kratzte sich unter seiner Ringelmütze. »Jean?«
»Nein.«
»Bitte. Es wäre eine gewaltfreie Lösung.«
»Und schnell«, ergänzte Vivi.
Jean verschränkte die Arme.
»Komm schon«, sagte Sofie. »Es hängen Menschenleben davon ab. Und magische Leben. Willst du, dass …« Sie schaffte es doch nicht, Jeans im Krankenhaus liegende Mutter als Druckmittel einzusetzen. »Äh. Wir müssen schnell sein.«
Er schwieg. Seine sonst vollen Lippen waren ein schmaler Strich.
»Jean, bitte.« Nat sah ihn flehend an.
»Du hast es erst heute Morgen gemacht«, sagte Sofie. »Tu doch nicht so.«
»Ich wollte das nicht«, knurrte er und rieb sich über die Augen. »Scheiße. Ja. Okay.« Er streifte sein Amulett ab und verstaute es in der Hosentasche.
»Warte, ich helfe dir.« Sofie nahm Nat die lila gestreifte Ringelmütze vom Kopf und setzte sie der Werwölfin auf. »So. Stell dir einfach vor, es wäre Nat. Dann sollte es dir leichter fallen, sie zu verführen.«
Jean musterte die blutverschmierte Fellfratze, auf der die Mütze wie ein Eierwärmer aussah. »Sag mal, hast du zu heiß gebadet?«
»Sorry.« Sofie räusperte sich. »Ich bin nervös. Ich musste mich aufmuntern.«
»Nehmt das hässliche Teil von mir runter«, fauchte die Wölfin. Jean kniete vor ihr nieder. »Vergiss es. Aus mir kriegst du nichts raus.«
Jean lächelte widerwillig. Nat legte einen Arm auf seine Schulter und das Lächeln wurde etwas entspannter. Plötzlich war Jean Amadi der attraktivste Mann der Welt.
Die Wölfin schnurrte. »Was willst du wissen, Daddy?«
Jean verzog das Gesicht, als wollte er einen Rückzieher machen. Dann holte er tief Luft. »Äh. Süße. Was geht hier vor?«
»Wir werden unsterblich, Daddy.« Sie lächelte verträumt. Die Worte klangen verzerrt aus ihrem Wolfskiefer. »Das Schattenfellrudel wird für immer jagen. Sobald Adina die Formel getestet hat, macht sie uns alle unsterblich.«
»Das Schattenfellrudel?« Sofie erinnerte sich an Adinas Schergen, die bei dem Ritual in Brandenburg den Tod gefunden hatten. »Ihr arbeitet immer noch mit ihr zusammen? Aber sie hat eure Anführer umgebracht.«
Die Wölfin lachte. »Was erzählst du?« Ihre gelben Augen blickten zu Sofie hoch. »Denkst du, du kannst mich verarschen?«
»Es stimmt«, sagte Nat sanft. »Adina hat die beiden beim letzten Ritual geopfert. Hast du das nicht gewusst?«
Sie kicherte. »Spart euch die Lügen. Ich kenne die offizielle Version. Und ich kenne die Wahrheit. Sie wurden von Wächtern ermordet. Dreckigen Wächtern, die zahlen werden. Alle. Wenn wir unsterblich sind, jagen wir sie.«
»Wenn hier wirklich ein Ritual stattfindet, gibt es niemanden mehr zu jagen«, sagte Sofie. Ihre Haut kribbelte. Das klang echt, als wäre Adina hier. Ganz in der Nähe. »Ist sie hier?«
»Antworte ihr«, sagte Jean.
»Ja«, hauchte die Wölfin. »Du bist so sexy.«
Jean rieb sich über den Nasenrücken. »Was macht sie hier? Ist Aeron dabei?«
»Sie ist drüben«, sagte die Wölfin. »Beim Mausoleum von dem alten Säufer. Sie bereiten irgendwas vor und dann wollen sie den Nacht-Bürgermeister unsterblich machen. Er hat gesagt, dass sie es an ihm ausprobieren können. Guter Kerl.«
»Aeron?«, knurrte Jean.
»Ist auch da.« Sie lächelte. »Er ist genau so sexy wie du. Ihr könntet Zwillinge sein. Sexy Zwillinge.«
Jean wandte sich ab.
»He«, flüsterte Sofie. »Du hast es fast geschafft. Reiß dich zusammen.«
Wütend sah er sie an. »Wolfi«, knurrte er. »Wer ist noch hier?«
»Nur Adina, Aeron, der Nacht-Bürgermeister«, die Wölfin überlegte, »mein Rudel und ein paar Vampire, mit denen der Nacht-Bürgermeister einen Deal hat, außerdem zwei Leute, die wie Aeron sind … hm. Und das Rohmaterial natürlich. Die Mädchen, der Kleine und die anderen.«
Ziemlich viele Leute. Sofie fühlte sich von Minute zu Minute einsamer. Wie war das passiert? Gerade eben hatten sie noch ein Picknick machen wollen und jetzt …
»Ich und meine Brüder sollten uns um die Besucher kümmern«, sagte die Wölfin. »Die, die hier noch rumlaufen. Schätze, inzwischen haben sie alle erledigt. Sicher kommen sie bald, um mich zu suchen. Aber ich bleibe bei dir, Daddy.« Sie lächelte blutverschmiert.
»Wir müssen sie wegschaffen«, sagte Nat.
»Um die Ecke bringen, meinst du.« Jean sah ihn böse an. »Wenn ihre Brüder sie finden, erzählt sie ihnen, dass wir hier sind.«
Sofie überlegte. »Wenn wir sie umbringen, wissen sie auch, dass jemand hier ist.«
»Ja, aber sie wissen nicht, wer.«
»Ich habe eine Idee.« Vivi räusperte sich. »Wir könnten sie gefesselt in eine Gruft werfen.«
Das taten sie. Auf dem Weg zur nächsten Gruft sahen sie sich tausendmal um, in der Erwartung, dass gleich ein weiterer Wolf auftauchen würde. Nat versuchte, in der Zentrale anzurufen, aber der Empfang war weg. Vermutlich ein Nebeneffekt des Schutzschilds.
»Wie weit sind sie mit dem Ritual?«, fragte Sofie, als sie fast da waren. »Haben sie schon die Kerzen und alles aufgestellt? Wie viel Zeit haben wir? Hängen die Amulette?«
»Keine Amulette.« Die Wölfin lächelte Jean zu, der widerwillig zurücklächelte. »Sie … sie wollen irgendwas machen, bevor sie sich um das Ritual kümmern. Der Nacht-Bürgermeister ist schon ganz ungeduldig. Aber Adina sagt, es muss sein. Es wäre«, sie runzelte die Stirn, »größer als das Ritual selbst.«
»Was hat sie noch gesagt?«, fragte Sofie.
»Ich weiß nicht mehr.«
»Alles klar.« Jean hatte die Tür zur Gruft geöffnet. Elfenohren zierten die brüchige Steintür. »Rein mit dir.«
Sofie gab ihr einen Schubs. Die Wölfin kullerte die Treppe hinunter und verschwand in der Dunkelheit. Jean und Nat zogen die Tür wieder zu. Sofie fühlte in die Gruft hinein, konzentrierte sich auf die Fesseln der Werwölfin und verstärkte sie, vor allem die um das Maul.
Sie verbargen sich in einer dichten Kirschlorbeerhecke und sahen sich an. Die Gesichter der anderen waren so angespannt, wie Sofie sich fühlte.
»Also«, murmelte Nat und zuckte zusammen. Er packte sich an den Kopf. »Mist, sie hat meine Mütze behalten.«
»Unwichtig«, sagte Jean. »Wir stecken in der Scheiße. Tief.«
»Ja«, sagte Sofie. »Wenn das stimmt, dann sind wir das Einzige, was«, sie wagte es kaum, es auszusprechen, »zwischen dem Ritual und Adina steht. Wenn es wirklich einen Schutzschild um den Friedhof gibt, kommt niemand mehr rein, bis es so weit ist. Oder raus. Und wir sind unbewaffnet, bis auf ein paar läppische Grillwürstchen.«
»He, die sind immerhin vegan UND halal«, sagte Nat. Er nahm seine Brille von der Nase und putzte sie an seinem Schal ab. »Sorry. Ich versuche, einen Lichtschimmer zu finden.«
»Gibt keinen«, knurrte Jean. »Wenn ich ein Schwert hätte, könnte ich rüber laufen und Aeron einen Kopf kürzer machen.«
»Wir brauchen Waffen«, sagte Sofie. »Wo bekommen wir die her?«
»Hier finden wir höchstens ein paar Gießkannen«, sagte Vivi. »Aber, ich meine … Sofie, du bist nie unbewaffnet, bis dir die Magie ausgeht. Und Jean ist … ihr wisst schon.«
»Total sexy.« Nat nickte. »Jean, ich weiß, dass es dir widerstrebt, aber um Magow zu retten, musst du vielleicht erneut deine Kräfte einsetzen.«
»Tu ich doch eh dauernd.« Zornig sah Jean zu Boden. »Und es ist mir auch egal. Ich … Egal. Wir ziehen das jetzt durch.« Er ballte die Fäuste. »Und diesmal überleben wir alle, klar?«
Sie starrten ihn an.
»Ich will das nicht noch mal«, sagte er. »Nicht mehr so eine Scheiße wie in Brandenburg. Ich hab einen Moment gebraucht, aber jetzt habe ich es kapiert. Wenn’s sein muss«, er verzog das Gesicht, »verführe ich jeden und jede auf diesem Kack-Friedhof.«
»Das klänge überzeugender, wenn du dabei nicht schauen würdest, als müsstest du kotzen.« Mitleidig betrachtete Sofie ihn. »Bist du okay?«
»Nein.« Er sah in die Runde. »Keiner stirbt, ist das klar? Nur über meine Leiche.«
»NICHT über deine Leiche«, brummte Nat und sah ihn streng an. »Wir schaffen das. Und wir kommen alle lebend hier raus.«
»Und wenn nicht, nehmen wir wenigstens Adina und Aeron mit«, sagte Sofie.
»Genau«, stimmte Vivi zu.
»Aber wir versuchen zu überleben, okay?« Nat wirkte besorgt.
Schweigen. Kalter Wind kroch unter ihre Kleider.
»Also gut«, flüsterte Nat. »Ich schlage vor, wir schleichen zu Waldemars Mausoleum und schauen uns diese Sache genauer an.«
Schweigend bewegten sie sich vorwärts.
Das Mausoleum Waldemars des Wüsten war ein beeindruckender Anblick. Hoch, düster, mit gotischen Bögen und Spitzen, die sich in den Himmel bohrten. ‚Magows liebstem Sohne‘ war über dem Torbogen eingraviert. Irgendjemand stellte immer noch Kerzen dort auf, die zwischen Pentagrammen und auf den Köpfen von Wasserspeiern thronten und das Gebäude in flackerndes Licht hüllten.
Es heißt, dass Magow untergeht, wenn das Licht verlöscht, sagte Gurke stolz. Totaler Aberglauben, aber es zeigt, wie viel er der Bevölkerung bedeutet hat.
Schön, schön. Sofies Magen bestand aus mehreren Knoten. Vorsichtig, die Luft anhaltend, kroch sie näher an die Ligustersträucher heran, hinter denen sie sich nun verbargen. Um Waldemars Grab herum gab es viele wild wuchernde Büsche. Der alte Teil des Friedhofs begann hier, beleuchtet von Laternen aus dem vorletzten Jahrhundert, und er sah schauerlich aus. Erst letztens war hier ein Low Budget-Horrorfilm gedreht worden.
Hinter ihnen begann der neue Teil, mit ordentlichen Grabreihen, die nach Zahlen sortiert waren. Isa lag hier, nur wenige Schritte entfernt. Sie waren an der Rückseite ihres Grabs vorbeigeschlichen.
Sorry, dachte Sofie. Du kommst bald zu deinem Grillfest, Isa. Also, wenn wir das hier überleben. Aber falls nicht … dann sehen wir uns ja eh bald.
Sie warf einen Seitenblick auf Vivi. Deren Gesicht glich einer steinernen Maske. Sie musste Angst haben, natürlich hatte sie das. Aber Sofie machte sich aus einem anderen Grund Sorgen.
Du versuchst nicht, ihr zu folgen, oder?, dachte sie. Sie wusste auch nicht, wo der Gedanke her kam. Vielleicht war es die Art, wie Vivi eine Hand um ihre Goldkette legte. Die Kette, an der Isas Haarspange hing.
Das Erste, was Vivi Isa je geschenkt hatte. Das hatte sie einmal erzählt, vor langer Zeit, als Magow Sofie noch wie ein einziges großes Abenteuer erschienen war.
Jean, neben Vivi, wirkte ebenso entschlossen zu sterben. Was er vermutlich würde, wenn er erneut gegen Aeron kämpfte. Es sei denn, er hatte echt Glück. Oder einen echt guten Plan.
Wenigstens musste sie sich um Nat keine Sorgen machen. Sein Rachedurst würde ihn nicht ins Verderben jagen. Vermutlich. Allerdings bestand immer die Gefahr, dass er versuchte, mit jemandem zu reden, mit dem man nicht reden konnte.
Noch einmal Luft holend drückte sie die Ligusterzweige auseinander. Sachter Wind blies ihr ins Gesicht. Nat hatte ihnen versichert, dass Werwölfe sie nur riechen konnten, wenn sie in Windrichtung standen. Er hatte daher diese Route vorgeschlagen.
Was gut war. Die Wiese um das Mausoleum schwamm vor Werwölfen. Sie liefen auf dem Rasen umher, schnupperten, sahen sich immer wieder um und machten allgemein den Eindruck, dass sie jeden zerfleischen würden, der dem Mausoleum zu nahe kam. Ihre zotteligen Körper waren größer als die von Zuchtbullen. Sofie schauderte. Viel zu viele Zähne und Krallen, die außerdem viel zu lang waren. Mindestens dreißig, eher vierzig. Einer von ihnen hob sein Bein an der Wand des Mausoleums. Gurke keuchte stumm.
Die fünf dezent gekleideten Vampire zwischen den Wölfen fielen erst einen Moment später auf.
Weder von Adina noch Aeron noch Ricky war etwas zu sehen. Aber von hier aus konnten sie nicht erkennen, was hinter dem Mausoleum vor sich ging. Die metallbeschlagene Eingangstür war offen, das Schloss aufgebrochen. Schwacher Lichtschimmer drang aus dem Inneren.
Wahrscheinlich sind sie da drin, dachte sie.
Ja, wahrscheinlich. Gurke klang erbost. Dass sie Waldemars letzte Ruhestätte für das Ritual entweihen, sagt wohl alles aus, was man über diese Schweinehunde wissen muss.
Ob etwas darin ist, das sie für das Ritual brauchen?, dachte Sofie. Hat er dort Hinweise versteckt, wie es funktioniert?
Adina weiß, wie es funktioniert, gurrte er düster.
Vielleicht weiß sie nicht, dass sie es weiß, dachte Sofie. Beim letzten Mal hat Vivi ein Amulett ausgetauscht und es ist deshalb schiefgegangen. Vielleicht weiß Adina nicht, dass es daran lag. Vielleicht weiß sie nicht, dass sie die richtige Formel hatte.
Wenn sie unsicher wäre, würde sie es kaum jetzt durchführen, oder? Das sieht aus, als wüsste sie genau, was sie tut.
Wahrscheinlich.
Leere Kisten standen zwischen den Wölfen. Genau wie beim letzten Mal. Damals hatten die Kisten Schlangen und Kerzen und anderes klischeehaftes Zeugs enthalten. Dass sie leer waren, verhieß nichts Gutes. Wahrscheinlich hatten Adina und ihre Schergen bereits alles unten aufgebaut.
Wir haben nicht viel Zeit.
Nein.
Ein Werwolf sprang in die Mitte der anderen und die wichen zurück. Einige knurrten. Er knurrte zurück. Oder war es eine Wölfin?
»Runolf«, fauchte einer. Ah. Ein Männchen. »Endlich fertig? Hast du was zu Fressen gefunden?«
Der Werwolf grinste und sie sahen das Blut auf seiner Schnauze. »Nur zwei. Altes Ehepaar, das sein totes Kind besucht hat. Schätze, ich habe die Familie wiedervereint.«
Bellendes Lachen.
»Ist Wernadette zurückgekommen?«, grollte Runolf.
»Noch nicht«, raunzte ein anderer.
»Sie sollte nur den Eingangsbereich säubern. Warum dauert das so lange?« Runolf hob den Kopf und drehte die Ohren in alle Richtungen. Sofie hielt den Atem an. »Ich suche nach ihr. Ihr passt hier auf, klar?«
»Klar«, knurrte ein weiterer Wolf.
Runolf sprang los, viel zu nah an dem Gebüsch vorbei, hinter dem sie sich verbargen. Sofie spürte den leisen Windhauch, der den Sprung begleitete und betete, dass er nicht zufällig ihre Witterung aufnehmen würde. Doch sein riesiger Leib verschwand in der Dunkelheit.
»Verdammtes Fellknäuel«, knurrte ein Vampir, den Runolf fast umgerissen hätte.
»Hast du was gesagt, Bleichling?« Ein Wolf legte den Riesenschädel schief und warf ihm einen höhnischen Blick zu.
Der Vampir schoss einen Blick zurück, so arrogant, dass er Wasser zu Eis hätte frieren können. »Ich sagte, dass es eine Schande ist, dass wir mit einem blutrünstigen Pack Köter wie euch zusammenarbeiten müssen.«
»Und ich sage«, der Wolf grinste, »dass es eine Schande ist, dass das Schattenfellrudel euch nicht die blassen Kehlen rausreißen kann, solange ihr unter dem Schutz von Adina und dem Nacht-Bürgermeister steht.«
Überhebliches Lächeln. »Ihr hättet keine Chance gegen uns.«
Der Wolf spuckte aus. »Das sehen wir ja. Irgendwann.«
»Ja, das tun wir wohl.« Der Vampir wandte sich ab und ging zu seinen blassen Kameraden zurück.
Nat gab das Zeichen, sich zurückzuziehen. Lautlos schlichen sie rückwärts, bis sie außer Hörweite waren. Sie machten einen Bogen in den alten Teil des Friedhofs hinein, in dessen Gestrüpp sie sich besser verbergen konnten.
»Also«, flüsterte Nat. »Ich glaube, Adina und Aeron sind in dem Mausoleum. Vermutlich findet dort unten das Ritual statt.«
Jean, Sofie und Vivi nickten.
»Wir müssen also hinein, um sie aufzuhalten.« Nat räusperte sich. »Wie auch immer wir das schaffen wollen. Beim letzten Mal haben wir es ja auch hingekriegt, also … nur Mut.«
Leider erinnerten sich alle daran, was das letzte Mal sie gekostet hatte. Wen es sie gekostet hatte.