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Der größte "Bestseller" der Weltliteratur droht zum Buch ohne Leser zu werden, weil Menschen des 21. Jahrhunderts der Zugang dazu fehlt. Diese Einführung in das Alte und Neue Testament gibt einen Schlüssel und Wegweiser zur Orientierung in der Bibel an die Hand. Grundfragen des Werdens und Wachsens werden ebenso behandelt wie Fragen zum Verstehen der Texte. Ein nacherzählender Überblick zu allen Büchern der Bibel – mit Hinweis auf zentrale Textpassagen – lädt zum Lesen der Heiligen Schrift ein. Die grundlegende Neubearbeitung des Bestsellers bezieht sich auf die Texte der neuen Einheitsübersetzung.
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Seitenzahl: 302
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Christoph Dohmen / Thomas Hieke
Die Bibel – Eine Einführung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
ISBN (Print) 978-3-7917-3114-8
© 2019 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Covermotiv: Jochen Höller, Stairway to Heaven, © VG Bild-Kunst, Bonn 2019
(Foto: Georg Deisenrieder; Installation in der Kirche St. Franziskus, Burgweinting)
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2019
eISBN 978-3-7917-6168-8 (epub)
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Informationen und Bestellungen unter [email protected]
Vorwort
1Das Buch der Bücher – ein Buch aus Büchern
1.1Von Vielheit zu Vielfalt
1.2Das Wachsen der Bücher in der Zeit
1.3Die äußere Form der Bibel
1.4Das innere Wesen der Bibel – der Kanon
1.5Gotteswort in Menschenwort
2Das Verstehen der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments
2.1Der Ursprung der zweieinen Bibel im Christentum
2.2Die Bibel Israels als TaNaK oder Altes Testament
2.3Das Alte im Neuen – das Neue im Alten
2.4Das Alte Testament zweimal lesen!
2.5Verbindliche Erinnerung
3Die Bibel hat mir etwas zu sagen
3.1Bibel lesen heute – in Übersetzung
3.2Eine neue Einheitsübersetzung?
3.3Bibel lesen damals – antike Übersetzungen und hebräischer Text
3.4Als Buch lesen und als Glaubenszeugnis verstehen
3.5Bibel lesen damals – antike Auslegungswege, mehrfache Schriftsinne
3.6Bibel lesen damals – die Wende zur Neuzeit
3.7Historisch-kritische Exegese
3.8Die alte Bibel neu erschließen
4Die christliche Bibel – gelesen als „EIN Buch“
4.1Das Unterfangen einer „bibelkundlichen Nacherzählung“
DAS ALTE TESTAMENT
4.2Die fünf Bücher des Mose
Das Buch Genesis
Das Buch Exodus
Das Buch Levitikus
Das Buch Numeri
Das Buch Deuteronomium
4.3Die Bücher der Geschichte des Volkes Gottes
Das Buch Josua
Das Buch der Richter
Das Buch Rut
Die Bücher 1/2 Samuel
Die Bücher der Könige
Die Bücher der Chronik
Das Buch Esra/Nehemia
Das Buch Tobit
Das Buch Judit
Das Buch Ester
Die Bücher der Makkabäer
4.4Die Bücher der Lehrweisheit und die Psalmen
Das Buch Ijob
Die Psalmen (Der Psalter)
Das Buch der Sprichwörter
Das Buch Kohelet
Das Hohelied
Das Buch der Weisheit
Das Buch Jesus Sirach
4.5Die Bücher der Propheten
Das Buch Jesaja
Das Buch Jeremia
Das Buch der Klagelieder
Das Buch Baruch und der Brief des Jeremia
Das Buch Ezechiel
Das Buch Daniel
Das Zwölfprophetenbuch
DAS NEUE TESTAMENT
4.6Die Evangelien
Das Matthäusevangelium
Das Markusevangelium
Das Lukasevangelium
Das Johannesevangelium
4.7Die Apostelgeschichte
4.8Die Paulinischen Briefe
Der Brief an die Römer
Der erste Brief an die Korinther
Der zweite Brief an die Korinther
Der Brief an die Galater
Der Brief an die Epheser
Der Brief an die Philipper
Der Brief an die Kolosser
Der erste Brief an die Thessalonicher
Der zweite Brief an die Thessalonicher
Die Pastoralbriefe (1/2 Timotheus, Titus)
Der Brief an Philemon
Der Brief an die Hebräer
4.9Die Katholischen Briefe (Jak, 1/2 Petr, 1–3 Joh, Jud)
4.10Die Offenbarung des Johannes
5„Die Schrift wächst mit den Lesenden“
6Ressourcen
6.1Literatur
6.2Bibelsoftware
6.3Internetressourcen
6.4Abkürzungen
7Glossar
Sie gehört zur Weltliteratur, dabei hat sie selbst unsere Kultur mehr geprägt als jedes andere Buch: Die Bibel. „Welch ein Buch! Groß und weit wie die Welt, wurzelnd in die Abgründe der Schöpfung und hinaufragend in die blauen Geheimnisse des Himmels … Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, Verheißung und Erfüllung, Geburt und Tod, das ganze Drama der Menschheit, alles ist in diesem Buche … Es ist das Buch der Bücher, Biblia“, schrieb Heinrich Heine auf Helgoland über die Bibel in einem auf den 8. Juli 1830 datierten Brief, den er in die 1839 erschienene Veröffentlichung „Ludwig Börne – eine Denkschrift“ aufnahm. Künstlerinnen und Künstler jedweder Richtung, Literaten, Musiker, Maler usw., hat dies Buch, das mehr ist als ein Buch, inspiriert. Die Bibel ist mehr als ein Buch – eine Sammlung von mehr als 70 Büchern –, und sie ist mehr als ein Buch – ein Weg ins Leben, den Menschen gegangen sind und immer wieder gehen können. Weil sie solch ein einzigartiges Buch ist, nennt man sie gerne und zu Recht das „Buch der Bücher“.
Das Zusammenspiel von Einheit und Vielheit hat der Künstler Jens Rusch unter dem Titel „Buch der Bücher“ in den 1990er Jahren in verschiedenen Bildern und Objekten realisiert, wobei aus einem geöffneten Buch eine Reihe von kleineren Büchern herausfällt. Trotz – oder gerade wegen – der Anspielung auf die Bibel sind es allerdings keine Bücher der Bibel, sondern bekannte Werke der Weltliteratur, die dieses Buch der Bücher „entlässt“.
Einen anderen Blick auf das Buch der Bücher hat 2017 der österreichische Künstler Jochen Höller gelenkt, indem er über 130 gebrauchte Bibelausgaben – moderne Massenware – zu einer langen Treppe als „Stairway to Heaven“ aufeinandergestapelt hat. Eine Abbildung dieser Bücherskulptur findet sich auf dem Cover der vorliegenden Einführung in die Bibel. Unser Büchlein möchte dazu einladen, die eigene Bibel zu einem gelesenen und im doppelten Sinn gebrauchten Buch zu machen, so dass sie eine weitere, eben die eigene Stufe zu dieser Himmelstreppe werde. Vielfach spricht die Bibel selbst davon, dass das Leben glücken und gelingen kann, wenn man sich an dem in ihr enthaltenen Wort Gottes ausrichtet (vgl. Ps 1; Lev 18,5; Offb 22,7).
Der Weg mit der Bibel ist zuerst ein Weg in die Bibel. Das aber ist für uns Heutige oft gar nicht so einfach. Unsere kleine Einführung will dazu eine bescheidene Hilfestellung geben: was die Bibel überhaupt ist, wie man sie verstehen kann, was eigentlich alles drinsteht …
Nachdem die vorliegende Einführung in das Buch der Bücher seit 2005 auf dem Markt ist und schon vier Auflagen erlebt hat, stand eine gründliche Bearbeitung an, um ihren Inhalt auf den neuesten Stand zu bringen und die aktuelle Textgrundlage, die revidierte Einheitsübersetzung von 2016, zu berücksichtigen. Sämtliche Zitate sind daran angepasst und einzelne Passagen neu geschrieben worden. Der Abschnitt über die Literatur, die Bibelsoftware und die Internetressourcen musste völlig umgestaltet werden, denn gerade die digitalen Hilfsmittel zur Bibel liefern immer faszinierendere Möglichkeiten, mit dem alten Stoff neu umzugehen.
Damit löst die vorliegende Neuausgabe das bisherige topos-Plus-Taschenbuch ab. Wir hoffen, dass unser Büchlein zum Buch der Bücher auch weiterhin gute Dienste leistet und von allen, die eine Hinführung zur Bibel suchen, vor allem aber von den Studierenden der Theologie gern zur Hand genommen wird. Unseren Studierenden in Regensburg und Mainz danken wir besonders, dass sie durch ihre Fragen und Anregungen dazu beigetragen haben, dass wir diese Einführung gerne neu bearbeitet haben.
Regensburg/Mainz, Pfingsten 2019
Christoph Dohmen, Thomas Hieke
„Vielfältig und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten“ (Hebr 1,1).
Auch im 21. Jahrhundert n. Chr. ist die Bibel als ein besonderes Buch präsent, und sei es nur als „Begleittext“ für immer neue und wertvollere Ausgaben mit Bildern großer Künstler oder mit aufwendigen Ausstattungen, die es rein äußerlich als das Buch erscheinen lassen. Die Bibel ist anwesend, wenn auch oft unbemerkt, in den Werken der bildenden Kunst, Literatur und Musik der verschiedenen Epochen und Stilrichtungen bis hin zu immer neuen Filmstoffen, nicht nur für die diversen Bibelverfilmungen, und schließlich wird die Bibel auch in den allgegenwärtigen Werbespots der Medien benutzt. Gemeinsam ist all diesen Begegnungen mit der Bibel nicht nur, dass das Buch, um das es geht, nicht gelesen wird, sondern dass es schlicht als ein einziges Buch aufgefasst wird. „Das steht in der Bibel“ reicht oft ebenso als Argument, wie der Zusatz „Bibel“ bei Buchtiteln Bedeutsamkeit, Verbindlichkeit und allumfassende Information signalisiert (vgl. „Bibel der Heilkräuter“, „Surfer-Bibel“, „Rotwein-Bibel“ u. Ä.).
Wird dieses Buch aber – seiner eigentlichen Bestimmung entsprechend – als Buch gelesen, dann macht man sehr schnell die Erfahrung, dass es sich gar nicht um ein einziges Buch handelt, das in sich geschlossen ist. Schon das Inhaltsverzeichnis weist – sogar mit dem Stichwort „Buch der …“ – darauf hin, dass in der einen Buchausgabe sehr verschiedene Bücher vereint sind. Mit eingebunden finden sich auch noch ganz andere Schriftstücke wie z. B. Briefe. Schon ein erster Blick auf diese Sammlung lässt schnell erkennen, dass dieses Buch so nicht „vom Himmel gefallen“ sein kann, denn die verschiedensten Texte dieses Buches geben selbst an, dass sie auf die verschiedensten Menschen unterschiedlichster Zeiten zurückgehen. Die Bibel, die sich uns als kleine Bücherei oder Büchersammlung präsentiert, steht uns als ein einziges Buch vor Augen, weil Menschen über viele Generationen hinweg die einzelnen Schriften dieser Sammlung als Wort Gottes, als die Heilige Schrift erfahren und geglaubt haben (s. u.).
Diese Einheit, die sich aus einer Vielheit zusammenfügt, spiegelt sich auch im Wort Bibel selbst wieder. Das Wort Bibel leitet sich vom Griechischen biblia her, das selbst die Pluralform von biblion ist, was so viel wie „Buch (Rolle), Schrift, Brief, Dokument“ u. Ä. meint. Schon im 1. Jahrhundert n. Chr. wird der Ausdruck biblia zur Bezeichnung der Sammlung Heiliger Schriften im Sinne von „die Bücher“ benutzt, wobei damit sowohl die fünf Bücher des Mose (Tora) als auch die Sammlung der Prophetenbücher u. Ä. bezeichnet werden können. Über das lateinische Lehnwort biblia ist das Wort schließlich zu uns als Bibel gelangt. Die ursprüngliche Pluralform biblia ist auf diesem Weg zu einem Singular (Bibel) geworden, in dem die Aspekte „Büchersammlung, Bücherei“ enthalten sind.
Das Problem von Einheit und Vielheit bei der Bibel ergibt sich aber nicht nur daraus, dass die verschiedensten Bücher zu Sammlungen und dann zu einem Buch der Bibel zusammengefügt wurden, weil sie alle trotz oder gerade in ihrer Verschiedenheit von der Glaubensgemeinschaft als Wort Gottes anerkannt wurden, sondern als Folge der Entstehung der biblischen Literatur. In ihrem überwiegenden Teil – besonders im Alten Testament – ist die Bibel nämlich keine Autorenliteratur im modernen Sinn, sondern sogenannte Traditionsliteratur. Viele biblische Bücher sind, auch wenn sie wie z. B. bei den Propheten den Namen einer Person als Titel tragen, in der uns heute vorliegenden Form das Produkt eines langen Überlieferungsprozesses, der wesentlich von Fortschreibungen bestimmt ist. Auslegung und Aktualisierung von Texten fanden früher nicht wie in späterer Zeit neben dem ursprünglichen Werk in Kommentaren statt, sondern wurden in die Texte unmittelbar hineingeschrieben. So sind Bücher über Jahrhunderte gewachsen und dann auch aus ursprünglich getrennten Teilen zusammengewachsen. Das Phänomen des langen und langsamen Wachstums der Bibel macht Angaben zur Entstehung einzelner Texte äußerst schwierig, zumal bei der schon erwähnten Traditionsliteratur ein Bezugspunkt zur Datierung fehlt, wie er bei Autorenliteratur durch die Biographie des Autors gegeben ist. Auch unter methodischem Gesichtspunkt muss man beim Versuch einer biblischen Literaturgeschichte vom Sicheren zum Unsicheren voranschreiten, d. h. vom uns vorliegenden Endprodukt zurückgehen und nach Spuren des Wachstums suchen. Setzt man für eine Literaturgeschichte bei der christlichen Bibel ein, so muss man zuallererst die Zweiteilung der christlichen Bibel in Altes und Neues Testament ernst nehmen und beim Neuen Testament als dem jüngsten Teil beginnen. Doch das Faktum, dass es eine Büchersammlung „Neues Testament“ gibt, ist nur zu erklären und zu verstehen auf dem Hintergrund einer schon entstandenen Büchersammlung, die als „Heilige Schrift“ (Bibel) zur Zeit der Entstehung des Christentums bereits abgeschlossen vorlag (s. u.). Für Jesus, seine Jünger und die frühe Kirche gab es als Heilige Schrift nur diese Büchersammlung, während die Schriften, die sich mit dem Leben und Wirken des Jesus von Nazaret und mit dem Glauben der frühen Christen beschäftigen, erst später zusammengefasst und als zweiter Teil der vorhandenen Heiligen Schrift hinzugefügt wurden. Für das Verständnis der Bibel als Buch ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, dass das Neue Testament kein selbständiges Buch ist und als solches auch niemals konzipiert wurde. Wie und warum es zur Sammlung des späteren Neuen Testaments gekommen ist, wird noch eigens zu behandeln und zu klären sein. Unter literaturgeschichtlichem Gesichtspunkt ist eine Grobeinordnung und Datierung dieser Schriften aber recht einfach, weil sie sich inhaltlich auf Leben und Botschaft des Jesus von Nazaret beziehen und die Bedeutung des Christusereignisses für die entstehende Kirche reflektieren, so dass sich als literaturgeschichtlicher Entstehungszeitraum die ersten beiden Jahrhunderte unserer Zeitrechnung ergeben.
Im Blick auf die Bücher des Alten Testaments stellt sich die literaturgeschichtliche Frage wesentlich schwieriger, denn nicht nur die langwierige Fortschreibung an einzelnen Texten lässt keine sichere Datierung zu, sondern auch die inhaltlichen Probleme, die sich aus der in vielen Texten zu findenden Geschichtsreflexion ergeben, weil nie deutlich ist, ob im Sinne der Historie geschichtliche Ereignisse berichtet werden oder ob im Sinne einer Geschichtstheologie Elemente des Vergangenen in ihrer Bedeutung für die Zukunft entfaltet werden. Gerade wenn man bei den Inhalten einsetzt, legt sich nahe, die Literaturgeschichte der Bibel von einschneidenden Ereignissen her zu konzipieren, weil sie sich in recht vielen Texten auf unterschiedliche Weise niedergeschlagen haben. Den deutlichsten Einschnitt in diesem Sinne stellt das sogenannte Babylonische Exil (587–539 v. Chr.) dar, das das Ende der staatlichen Existenz Israels durch die Eroberung der Babylonier und die Deportation der Jerusalemer Oberschicht bedeutete. Der Verlust des Landes, das Israel nach eigenem Verständnis als „verheißenes Land“ von Gott bekommen hatte, und die Zerstörung des Tempels als Ort der Gegenwart Gottes haben einen deutlichen Widerhall in theologischen Entwürfen unterschiedlichster biblischer Texte ebenso gefunden wie das Edikt des Perserkönigs Kyrus, der den 597 und 587 aus Jerusalem Deportierten nach 539 die Rückkehr ermöglichte.
Auf diesem Hintergrund kann man in ähnlicher Weise die biblische Literaturgeschichte zunächst in drei Hauptphasen einteilen, wobei die schon erwähnte Phase der Entstehung der neutestamentlichen Schriften als „Sonderfall“ noch hinzuzuziehen ist.
1.Die vorexilische Zeit (?–587 v. Chr.)
2.Die exilische Zeit (587–539 v. Chr.)
3.Die nachexilische Zeit (539–?)
Diese Grobgliederung zeigt am Anfang und am Ende Unsicherheiten – durch das Fragezeichen markiert –, die sich daraus ergeben, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Anfänge der Literatur (mündliche Vorstufen, Arten von Schriftzeugnissen etc.) gibt und dass das Ende der Literaturgeschichte von der Fixierung einer Schriftensammlung (Kanon) abhängt (s. u.). Auf diese drei Phasen aufgeteilt erweist sich die exilische und frühnachexilische Epoche als die Zeit größter literarischer Produktivität, was ja auch insofern verständlich ist, als Israel die national-religiöse Krise, die durch dieses Ereignis hervorgebracht wurde, aufzuarbeiten hatte und sich in einer neuen Umgebung neu orientieren und konstituieren musste.
Diese Konzentration der literarischen und damit auch theologischen Arbeit in der Exilszeit wird noch deutlicher, wenn man die Phasen der Literaturgeschichte mit den Hauptphasen der allgemeinen Geschichte in Verbindung bringt. Die Geschichte Israels in der Zeit der Entstehung der biblischen Literatur kann man ebenso wie die literargeschichtlichen Epochen dreiteilen, wenn man sich als Kriterium an der staatlichen Organisation Israels orientiert. Folgende Phasen lassen sich dann unterscheiden:
1.Die vorstaatliche Zeit (? bis ca. 1000 v. Chr.)
2.Die Zeit der Staatlichkeit (ca. 1000–587 v. Chr.) [587–539 v. Chr. Zeit des Exils]
3.Die Zeit der Substaatlichkeit (539 v. Chr.–?)
Wie schon bei der Literaturgeschichte, so sind auch bei dieser Einteilung die Eckpunkte unsicher und abhängig von den Kriterien, die man zur Bestimmung der jeweiligen Phase heranzieht. Das Anfangsdatum hängt hier von der heute schwer zu beantwortenden Frage nach den Anfängen Israels ab, d. h. dem Problem, welche Gruppen der vorderorientalischen Bevölkerung zum späteren Volk Israel geworden bzw. in dieses eingegangen sind. Für das Ende stellt sich wiederum parallel zur Literaturgeschichte die Frage, was man noch zur Geschichte Israels rechnen will (die Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch die Römer 70 n. Chr. oder den sogenannten Bar-Kochba-Aufstand 135 n. Chr.). Im Blick auf diese Einteilung fällt das Exil fast schon als kurzes Intermezzo heraus. Nur in der Verbindung mit der Literatur- bzw. Glaubens- und Theologiegeschichte Israels wird das Exil als Wendepunkt der Geschichte greifbar. Von diesem Punkt her und entsprechend der Art der biblischen Literatur kann man auch weiter darauf zurückschließen, dass es gerade die Krisenpunkte in der Geschichte sind, die theologische Reflexionen auslösen bzw. stimulieren, so dass die biblische Literatur grob vereinfacht auch als „Krisenliteratur“ verständlich gemacht werden kann. Wenn auch nicht so deutlich wie beim Babylonischen Exil, so lässt sich doch in vielen Texten nachweisen, dass auch schon der Untergang des sogenannten Nordreiches (722 v. Chr.) als ein solcher Krisenpunkt der Geschichte betrachtet werden kann, der zu entsprechender Literaturproduktion geführt hat, die seinerzeit vor allem dort stattgefunden hat, wohin viele Menschen aus dem Nordreich vor dem Ansturm der Assyrer geflohen waren, nämlich in Jerusalem. Hier findet nach 722 v. Chr. eine intensive Verbindung sogenannter Nord- und Südreich-Traditionen statt.
Der Versuch einer groben holzschnittartigen Skizze der biblischen Literaturgeschichte mag auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, dass in der Bibel die Literatur des Volkes Israel bzw. später dann verbunden mit der der frühen Christen vorläge. Gerade vom Phänomen der gewachsenen Literatur her muss aber beachtet werden, dass diese Literatur weder zeitlich noch sachlich zu einem einfachen Ende gekommen ist noch vollständig in die Sammlungen der Schriften eingegangen ist. Vielmehr liegt uns in der Bibel die Sammlung eben der Schriften abgeschlossen vor, die als Heilige Schrift gegolten hat bzw. gilt. Der damit verbundene Abschluss des Wachstums bzw. die Abgrenzung von Schriften wird mit dem Phänomen und dem Begriff des Kanons markiert und leitet sachlich dazu über, dass die Bibel nicht nur ein „Buch aus Büchern“ ist, sondern als etwas Besonderes gilt, das man durch den Ehrentitel auszudrücken versucht: Die Bibel ist das „Buch der Bücher“.
In dem Titel „Buch der Bücher“ deutet sich eine besondere Wertschätzung gegenüber diesem Buch an. Darüber hinaus signalisiert der Titel, dass die Büchersammlung, das „Buch aus Büchern“, eine Einheit darstellt, dass es ein Buch ist. Bevor man danach fragen kann, was diese Einheit begründet und ausmacht, muss man sich vor Augen führen, was zu dieser Einheit gehört.
Im vorausgehenden Abschnitt ist der literarische Wachstumsprozess der Bibel angesprochen worden, an dessen Ende die uns bekannte Bibel steht, die zwischen Juden und Christen, dann aber auch innerhalb des Christentums in unterschiedlicher Gestalt (Anordnung) vorliegt. Die Unterschiede betreffen in erster Linie die Anordnung der Hebräischen Bibel/des Alten Testaments, so dass dieser Teil hier auch zuerst und ausführlicher zu besprechen ist. Die folgende tabellarische Übersicht enthält deshalb auf der Seite der christlichen Bibel kein „Neues Testament“, dessen Bücher sich später eigens aufgelistet finden.
TaNaK
Altes Testament
תורה
Tora
בראשית
Genesis
Genesis
שמות
Exodus
Exodus
ויקרא
Levitikus
Levitikus
במדבר
Numeri
Numeri
דברים
Deuteronomium
Deuteronomium
נביאים
Neviim
יהושע
Josua
Josua
שפטים
Richter
Richter
שמואל א
1 Samuel
Rut
שמואל ב
2 Samuel
1/2 Samuel
מלכים א
1 Könige
1/2 Könige
מלכים ב
2 Könige
1/2 Chronik
ישעיהו
Jesaja
Esra
ירמיהו
Jeremia
Nehemia
יחזקאל
Ezechiel
Tobit
הושע
Hosea
Judit
יואל
Joël
Ester
עמוס
Amos
1/2 Makkabäer
עבדיה
Obadja
יונה
Jona
Ijob
מיכה
Micha
Psalmen
נחום
Nahum
Sprichwörter
חבקוק
Habakuk
Kohelet
צפניה
Zefanja
Hoheslied
חגי
Haggai
Weisheit
זכריה
Sacharja
Jesus Sirach
מלאכי
Maleachi
כתבים
Ketuvim
Jesaja
תהלים
Psalmen
Jeremia
איוב
Ijob
Klagelieder
משלי
Sprichwörter
Baruch
רות
Rut
Ezechiel
שיר השירים
Hoheslied
Daniel
קהלת
Kohelet
Hosea
איכה
Klagelieder
Joël
אסתר
Ester
Amos
דניאל
Daniel
Obadja
עזרא
Esra
Jona
נחמיה
Nehemia
Micha
דברי הימים א
1 Chronik
Nahum
דברי הימים ב
2 Chronik
Habakuk
Zefanja
Haggai
Sacharja
Maleachi
Die Komplexität der Entstehung des Alten Testaments wird selbst am fertigen Endprodukt noch sichtbar. Die Fragen, wie viele, welche und in welcher Reihenfolge geordnete Bücher zu dieser Büchersammlung gehören, sind auch heute noch über konfessionelle Grenzen hinweg bestimmend. Die Verwirrung, die in ökumenischen Bibelkreisen schnell wegen fehlender oder zusätzlicher Bücher auf der einen oder anderen Seite und wegen unklarer Terminologie entstehen kann, lässt sich recht einfach erklären und auflösen. Was den Umfang des Alten Testaments, also die Frage der Zugehörigkeit einzelner Bücher zu dieser Sammlung angeht, so bildet die Hebräische Bibel den Kern. Die Hebräische Bibel ist in drei Teilsammlungen unterteilt: Tora, Propheten und Schriften (vgl. dazu die Übersicht). Aus den Anfangsbuchstaben der hebräischen Bezeichnungen für diese Teile (Tora –Neviim –Ketuvim) hat man ein Kunstwort gebildet; als „TaNaK“ (gesprochen und gelegentlich auch geschrieben: Tanach) ist es im Judentum zum verbreiteten Begriff für die Hebräische Bibel geworden.
Ein Blick auf die Konstituierung des dreigliedrigen hebräischen Kanons von Tora, Neviim und Ketuvim hebt zwei auch für das spätere christliche Alte Testament wichtige Faktoren hervor. Zum einen wird deutlich, dass man so lange nicht einfach von einem offenen Kanon sprechen kann, bis definitive Urteile über seinen endgültigen Gesamtumfang und die Textgestalt zu finden sind (s. u.). Zum anderen sieht man, dass es den einen und einzigen Kanon der Bibel Israels nicht gibt, sondern lediglich den Kanon einer bestimmten Glaubensgemeinschaft. Im Blick auf die Entstehung der Bibel Israels bedeutet das allerdings auch nicht die völlige Auflösung in eine undurchschaubare Pluralität von diversen Büchern, sondern es lässt sich beobachten, dass das sukzessive Wachstum der Heiligen Schrift bei allen Variationen doch an Fixpunkten orientiert ist, die sich in der älteren zweigliedrigen Struktur von Tora und Propheten widerspiegeln. Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass ein prophetisch-apokalyptisches Buch wie Daniel nicht mehr in die „Propheten“ eingeordnet werden kann, denen es sachlich und thematisch nähersteht, sondern in der Hebräischen Bibel unter den „Schriften“ geführt werden muss.
Innerhalb dieser drei Teile hat die Tora, der Pentateuch („fünf Bücher“), eindeutig den Vorrang vor allen anderen Büchern und Sammlungen. Dieser Vorrang gründet vor allem in der qualitativen Auszeichnung der Kernüberlieferung dieses Teils. Es ist die Offenbarung Gottes vom Berg Sinai/Horeb, die wie ein Magnet die Überlieferungen Israels, insbesondere die gesetzlichen, anzieht. Christen verstellen sich oft den Blick für die Tora dadurch, dass sie das dort Überlieferte vorschnell und ausschließlich aus der Perspektive einer Opposition Gesetz – Evangelium sehen. Wer sich allerdings auf diese Überlieferung einlässt, erkennt sehr bald, dass für das Alte Testament das Gesetz selbst Evangelium ist. Diese absolut positive Konnotation des Gesetzes ergibt sich daraus, dass Israel das Gesetz als von Gott angebotene Hilfe betrachtet, wie es beispielsweise die Gesetzesübermittlung in Ex 34 als Antwort auf Israels Sünde mit dem Goldenen Kalb von Ex 32 sehr schön zum Ausdruck bringt. Von hierher ist auch das positive Gesetzesverständnis des Judentums zu sehen, weil letztlich Tora zu dem wird, was Offenbarung für Israel ausmacht.
Vor diesem Hintergrund muss auch das Verhältnis der beiden Kanonteile Tora und Propheten gelesen werden, weil innerbiblisch die Bücher des Kanonteils Propheten durch ihre Verbindung zur Tora Heilige Schrift werden. Dies wird am Ende der Tora dadurch ausgedrückt, dass Mose, der – als Offenbarungsmittler – für die gesamte Tora steht, selbst als Prophet, und zwar als größter, bezeichnet wird, um so die Nachordnung des Kanonteils Propheten gegenüber der Tora zum Ausdruck zu bringen.
„Niemals wieder ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten. Ihn hat der HERR von Angesicht zu Angesicht erkannt, für all die Zeichen und Wunder, die er in Ägypten im Auftrag des HERRN am Pharao, an seinem ganzen Hof und an seinem ganzen Land getan hat, zu all den Beweisen seiner starken Hand und zu all den Furcht erregenden und großen Taten, die Mose vor den Augen von ganz Israel vollbracht hat“ (Dtn 34,10–12).
Den Tora-Bezug bringt der Kanonteil Propheten an seinem Anfang und Ende – sozusagen als Rahmen – deutlich zum Ausdruck. Eingangs wird der Kriegsmann Josua als eifriger Toraschüler charakterisiert:
„Sei ganz mutig und stark und achte genau darauf, dass du ganz nach der Weisung handelst, die mein Knecht Mose dir gegeben hat! Weich nicht nach rechts und nicht nach links davon ab, damit du Erfolg hast überall, wo du unterwegs bist! Über dieses Buch der Weisung sollst du immer reden und Tag und Nacht darüber nachsinnen, damit du darauf achtest, genauso zu handeln, wie darin geschrieben steht“ (Jos 1,7–8).
Am Ende aller Bücher des Kanonteils Propheten wird dieser Gedanke wieder aufgenommen, so dass das gesamte Korpus dieser Bücher zusammengebunden wird, um geschlossen auf die Tora zu verweisen:
„Gedenkt der Weisung meines Knechtes Mose; am Horeb habe ich ihm Gesetze und Rechtsentscheide übergeben, die für ganz Israel gelten“ (Mal 3,22).
Der Kanonteil Propheten der Hebräischen Bibel umfasst aber nicht nur die klassischen Prophetenbücher, sondern auch Bücher, die wir vom christlichen Verständnis her als Geschichtswerke bezeichnen. Es handelt sich um die Bücher Josua, Richter, 1/2 Samuel, 1/2 Könige. Diese Bücher werden in der Terminologie der jüdischen Überlieferung als „frühe/vordere Propheten“ bezeichnet – gegenüber den „späten/hinteren Propheten“, womit die eigentlichen Prophetenbücher gemeint sind. Dass die Bücher Josua bis 2 Könige zu den Propheten gezählt werden, erklärt man damit, dass sie einerseits von Propheten (z. B. Natan, Elija, Elischa), und zwar den sogenannten „Vor-Schriftpropheten“, handeln und andererseits in prophetischem Geist geschrieben sind. Die ihnen gegenüberstehenden „späten Propheten“ – auch „Schriftpropheten“ genannt – werden nochmals unterschieden in „große“ und „kleine“ Propheten. Diese Unterscheidung bezieht sich aber letztendlich nur noch auf den Umfang der Bücher: Bei den drei „großen“ Propheten (Jesaja, Jeremia, Ezechiel) handelt es sich um sehr umfangreiche Werke, wobei sich in der Bezeichnung „große Propheten“ natürlich auch die Bedeutung und Anerkennung dieser Propheten ausdrückt. Dagegen werden die zwölf kleinen Propheten (Hosea, Joël, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja, Maleachi) in der Überlieferung in einem einzigen Buch, dem Zwölfprophetenbuch (griechisch: Dodekapropheton), zusammengefasst.
Die Sammlung der Schriften im dritten und letzten Kanonteil der Hebräischen Bibel bleibt gegenüber den ersten beiden etwas unklarer, was auch in der allgemeinen und unspezifischen Bezeichnung „Schriften“ zum Ausdruck kommt. Dieser Kanonteil umfasst die Weisheitsliteratur, aber auch Gebets- und Meditationstexte, Prophetisches und Geschichtliches.
Betrachtet man die Anordnung der Bibel in der jetzigen Form, dann zeigt die Gliederung, dass die Aufteilung sowohl zusammenhängende Teile in Bücher untergliedert hat (z. B. im Pentateuch oder in den Geschichtsbüchern Josua bis 2 Könige) als auch Einzelsammlungen zu neuen Büchern zusammengefasst hat (z. B. bei den Psalmen, den Sprichwörtern oder auf eigene Weise beim Buch Jesaja). Die ältesten Zeugnisse über die Zählung der Bücher werfen deshalb auch einige Fragen auf, weil sie zwischen 22 und 47 Büchern für den Bereich des Alten Testaments bzw. der Hebräischen Bibel schwanken. Ein Grund für diese Differenz liegt darin, dass bei unterschiedlichen Zählungen unterschiedlich zusammengefasst wurde, so z. B. bei den Büchern Samuel, Könige und Chronik, dann bei der Vereinigung der zwölf kleinen Propheten zu einem einzigen Zwölfprophetenbuch oder auch bei den Büchern, die einzelnen jüdischen Festen als Festrollen (Festtagslesung) zugewiesen wurden. Zu dieser Einheit der sogenannten Megillot sind das Buch Rut, das Hohelied sowie die Bücher Kohelet, Klagelieder und Ester zusammengefasst. Dann kommt aber auch noch hinzu, dass es einzelne Bücher gibt, die in der Sammlung der Hebräischen Bibel nicht zu finden sind, sondern erst in der griechischen Übersetzung der Septuaginta (LXX; siehe S. 68) begegnen, so z. B. das Buch der Weisheit oder das Buch Tobit und andere.
Die Einteilung der Bücher, die uns das Alte Testament (und ebenso das Neue Testament und somit die gesamte Bibel) als Bücherei erscheinen lässt, hat sicherlich auch mit der praktischen Handhabung und dem Umgang mit diesen Schriften zu tun. Während es bei einem modern gebundenen Buch kein Problem ist, eine bestimmte Stelle aufzuschlagen, macht es bei größeren Rollen schon erhebliche Schwierigkeiten, eine gesuchte Textstelle aufzufinden, so dass verständlich ist, dass das Prinzip der Schriftrolle Unterteilungen in kleinere Einzelrollen geradezu notwendig macht. Aber im Laufe der Zeit hat auch dieses Gliederungsprinzip nicht mehr ausgereicht. Schwierigkeiten mussten entstehen, als man begann, verstärkt aus den Heiligen Schriften zu zitieren, und zwar in der Weise, dass man Schriftstellen zum Beleg eigener theologischer Aussagen herangezogen hat. Dies führte dazu, dass der Theologe und Erzbischof von Canterbury, Stephen Langton, im 13. Jahrhundert damit begann, die biblischen Bücher in Kapitel zu untergliedern. Diese Kapitelgliederung wurde dann im 15. bzw. 16. Jahrhundert durch Rabbi Isaak Nathan und den Dominikaner Santes Pagnini sowie den Pariser Drucker Robert Estienne (Stephanus) durch eine zusätzliche Verseinteilung ergänzt.
Die Untergliederung der Bibel, die daraus entstanden ist, erscheint vielleicht äußerst willkürlich und ist in Bezug auf den Inhalt der Texte oft auch unzureichend. Gleichwohl hat sie sich durchgesetzt und ist heute Grundlage fast aller Bibelausgaben. Ältere Untergliederungen des Bibeltextes in der jüdischen Tradition der hebräischen Textausgaben sind zwar noch in den gängigen hebräischen Textausgaben zu finden, werden dort aber auch schon mit den üblichen Kapitel- und Verseinteilungen kombiniert, um mit anderen Bibelausgaben kompatibel zu sein. Die ältere jüdische Textgliederung, die mit Lücken und Absätzen arbeitet, bietet dennoch hilfreiche Ansatzpunkte zur inhaltlichen Strukturierung der Texte. Die inhaltliche Gliederung, der die Kapitel- und Verseinteilung oft ganz zuwiderläuft (z. B. bei der Teilung der beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1–3 oder beim sogenannten vierten Gottesknechtslied in Jes 52,13–53,12), wird in vielen Übersetzungsausgaben des Alten Testaments dadurch eingeholt, dass die Übersetzer und Herausgeber der jeweiligen Ausgabe Zwischenüberschriften eingefügt haben. Solche Überschriften können und sollen den Bibellesern die Orientierung im Text erleichtern, es muss aber auch immer wieder bewusst gemacht werden, dass sie Zusätze zum Bibeltext sind. Beim privaten Bibellesen oder auch beim Bibelstudium im Bibelkreis sollte deshalb sowohl von den Überschriften als auch von den Kapitel- und Verseinteilungen zwischenzeitlich einmal abgesehen werden, um die Struktur und Gliederung eines Textes von diesem selbst her aufzuspüren. Nicht selten eröffnet nämlich ein Text schon ein neues Verständnis, wenn ein durch Kapiteleinteilung oder Überschriftsystem abgetrennter Vers am Anfang oder Ende hinzugezogen wird.
Aus dem Gliederungsprinzip in Bücher, Kapitel und Verse ergibt sich für uns ein überaus präzises Zitationssystem, das dem schnellen Auffinden einer Bibelstelle dient. Dabei folgt auf das Kürzel für das biblische Buch – je nach Buchbezeichnung können die Abkürzungen variieren (vgl. die jeder Bibelausgabe beigefügten Buchabkürzungen) – die Zahlenangabe, die das Kapitel angibt. Nach einem Komma folgt die Zahl, die den Vers bezeichnet. Sind mehrere Verse gemeint, wird durch Bindestrich oder Querstrich der Anfangs- und Endvers bezeichnet bzw. durch f oder ff angegeben, dass der folgende oder die folgenden Verse damit gemeint sind. Bisweilen findet man hinter der Versangabe noch lateinische und/oder griechische (Klein-)Buchstaben, die Teile von Versen angeben (so bezeichnet z. B. Gen 2,4a nur den ersten Teil des Verses: „Das ist die Geschichte der Entstehung von Himmel und Erde, als sie erschaffen wurden“). Werden nicht zusammenhängende Verse eines Kapitels angegeben, so setzt man einen Punkt zwischen die einzelnen Verszahlen, zwischen Angaben verschiedener Kapitel samt Versen setzt man ein Semikolon (z. B. Gen 3,16.18; 4,1–3). Bezieht man sich eindeutig innerhalb eines Kapitelzusammenhangs auf Einzelverse, so kann man gelegentlich nur noch die Kurzform der Versangabe durch v./V. (= Vers) oder vv./VV. (= Verse) benutzen.
Abgesehen von kleineren Zähldifferenzen, die aus verschiedenen Überlieferungen stammen, ist dieses System einfach und eindeutig. Beim normalen Bibellesen begegnet man den Zähldifferenzen am ehesten in den Psalmen, wo die alternativen Nummern leicht zu Verwirrung führen können. Die Septuaginta (LXX; siehe S. 68) zählt bei den Psalmen an einigen Stellen anders als der hebräische Text, indem Einzelpsalmen zusammen- oder auseinandergezogen werden: Die Psalmen 9–10 werden in der LXX zusammen als Psalm 9 gerechnet, so dass von da an die LXX-Zählung um 1 niedriger liegt als die des hebräischen Textes; die Psalmen 114–115 werden auch zu einem Psalm, nämlich Psalm 113 zusammengezogen, dann wird Psalm 116 aber in zwei Psalmen (Ps 114–115) geteilt, so dass bis zum Psalm 147 die Septuaginta weiterhin um 1 niedriger liegt; Psalm 147 findet sich schließlich wieder in zwei Psalmen aufgeteilt (Ps 146–147), so dass von dort bis zum Ende wieder alle Zählungen gleich laufen. Die unterschiedliche Zählweise wird in vielen Bibelausgaben durch Angaben in Klammern kenntlich gemacht.
Trotz dieser Korrektur des Kanonumfangs haben Martin Luther und die reformatorische Tradition das Strukturprinzip der christlichen Bibel im Alten Testament beibehalten. Im Verhältnis zwischen Hebräischer Bibel und Septuaginta in Bezug auf den Kanonumfang ist aber festzuhalten, dass Unterschiede allein den dritten Teil der Hebräischen Bibel, die sogenannten „Schriften“, betreffen. Für die Bereiche Tora und Propheten gibt es hingegen keine „Neuzugänge“, obgleich wir aus den Qumran-Texten wissen, dass es in der Zeit des 2. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. durchaus Bücher gab, die diesen „kanonischen“ Charakter hatten, wie z. B. die Tempelrolle aus Qumran oder auch die selbst mit prophetischem Offenbarungsanspruch verbundenen Kommentare aus Qumran zu Prophetenbüchern (pesher genannt). Um die kanonische Gültigkeit einzelner Bücher wird auch im Judentum noch längere Zeit gestritten (z. B. um Kohelet oder das Hohelied). Trotz alledem lässt die Randunschärfe im Bereich der „Schriften“ keinen Zweifel am Phänomen der Kanonisierung der Hebräischen Bibel in vorchristlicher Zeit aufkommen. Sie ist sogar Voraussetzung für die Entstehung der christlichen Bibel in ihren zwei Kanonteilen, dem Alten und dem Neuen Testament (s. u.). An dieser Stelle, wo es um die äußere Form der Bibel geht, muss man darauf hinweisen, dass die Schriften, die später das Neue Testament bilden, nicht in ähnlicher Weise als Heilige Schrift (Kanon) gewachsen sind, sondern dass sie als – sehr unterschiedliche – Zeugnisse der Christusereignisse gesammelt und – wie z. B. bei den Briefen des Paulus – teilweise unter den christlichen Gemeinden weitergegeben wurden, dann aber in einem eigenen Akt zum vorhandenen Kanon als Heilige Schrift hinzugenommen wurden. Die Zugehörigkeit und damit auch der Abschluss der Schriftensammlung, die zum Neuen Testament wurde, werden durch das Kriterium „Bezug zur Auferstehung Jesu Christi“, das im „Tod des letzten Auferstehungszeugen“ greifbar wird, fixiert. Dieses Kriterium lehnt sich deutlich an den (kanonischen) Abschluss der Tora durch die Erzählung vom Tod des Offenbarungsmittlers Mose in Dtn 34 an.
Die äußere Gestalt der Zusammenstellung, die die genannten Schriften als zweiter Kanonteil (s. u.) – Neues Testament genannt – dann erfahren haben, hält die fundamentalen Verstehensbedingungen, allem anderen voran die unaufgebbare Verbindung zum „Alten Testament“, fest. Wie beim Kanonteil Propheten