Das Chaos der Dämonen - Robin Band - E-Book

Das Chaos der Dämonen E-Book

Robin Band

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mike und Lucy dachten, ihr Kampf sei vorüber. Doch dann taucht der Dämonenjäger Vior mit der unheilbringenden Botschaft auf, dass der durch Azaroth besiegte Dämonenkönig Kanoe abermals zurückkehren wird. Um eine Gefahr dieser Größe auszuschalten, müssen sich die drei mit jemandem verbünden, der schon vor langer Zeit gegen den König kämpfte. Ihre Reise führt zurück in das Seelengrab und in das in Trümmern liegende Daemon City. Das Finale der Trilogie!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 346

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für den KAIRA-Autorenzirkel, die bei der Fertigstellung des Romans halfen und die mich stets motivieren, weiterzuschreiben. Danke besonders an Clara für drei wunderbare Covergestaltungen!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Epilog

Anhang

Schwindendes Licht

Lucy – Origin

Elucia – Origin

Nachschlagewerk

Steckbrief: Funktionsweise der Magie

Lexikon der Rassen

Kräftelexikon – Zauberkategorien

Kräftelexikon – Ein paar Kräfte vorgestellt

Liste der allgemeinen Zauber

Dämonen-Namen

Chronos Statuen-Kabinett

Azaroth

Aura

Elucia

Shou

Vior

Mike

Lucy

Kanoe

Über den Autor

Robin Band im Internet

Bereits erschienen

Prolog

Mike klappte das Tagebuch zu. Es war nun ein Jahr vergangen, seitdem er es zu Ende geschrieben hatte. Er umschloss das blaue Medaillon von Marcurio, das an einer Kette um seinen Hals baumelte, mit der Hand und stand vom Stuhl auf. Es war ein warmer Tag, der Sommer hatte gerade erst begonnen. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatte er sein grünes T-Shirt an. Auf dem Weg in das Wohnzimmer des großen Hauses am Wald kam er an dem leeren Zimmer vorbei, an dessen Decke Lucifers Sense hing. Aus dem darin enthaltenen Portal waren nur noch zwei weitere Personen aus dem Seelengrab herausgekommen, seit er das zweite Tagebuch beendet hatte. Celina war nun bei ihnen eingezogen und auch wenn alle anderen bereits aufgegeben haben, dass Ramin zu ihnen kommen würde, sie hoffte jeden einzelnen Tag darauf, dass er zu ihr zurückkehren würde.

Kaum war Mike im Wohnzimmer angekommen, stürmte Lucy aufgeregt auf ihn zu, griff ihn am Arm und zerrte ihn vor den Computer. Sie trug aufgrund des warmen Wetters ein weinrotes Top und schwarze Hotpants. Auf dem Bildschirm lief gerade ein aktueller Bericht über ein Unglück in einem Einkaufszentrum in Russland. Bilder von der Zerstörung wurden gezeigt.

»…als dann plötzlich der Boden mitten im Zentrum aufbrach. Durch die Explosion wurden Gesteinsbrocken mehrere Meter weit geschleudert und legten viele Geschäfte in Trümmer. Die Ursache der Explosion ist unbekannt. Die Zahl der Toten wird auf 23 geschätzt. Die Anzahl der Verletzten ist noch immer unbekannt. Suchtrupps sind noch immer auf der Suche.«

Mike starrte Lucy an.

»Warum zerrst du mich dafür her? Das ist mal wieder ein Unglück irgendwo in der Welt. Ständig ist was.«

Lucy spulte den Bericht ein Stück zurück und pausierte ihn. Dann deutete sie mit einem Finger auf eine Stelle am Bildschirm. Dort war, wenn auch unscharf, eine dunkle Gestalt zu sehen. Sie war dabei, den Ort zu verlassen und im sehr blassen Gesicht schienen sich rote Farbe zu befinden.

»Seltsam«, meinte Mike.

»Das ist keine Kriegsbemalung, das ist eine Maske. Die Person hier ist Vior. Ich bezweifle stark, dass er durch Zufall an diesem Ort war. Warum sollte er eine Maske tragen, wenn er seinem alltäglichem Leben nachgeht? So erregt er Aufsehen, aber bleibt unerkannt.«

»Hm gut möglich.«

»Was hat er dort getan? Ich denke ja, dass er sogar die Ursache ist.«

Lucy lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

»Und was wollen wir jetzt tun?«

»Er ist erfahrener Dämonenjäger. Ich werde größere Mengen Magie nutzen, dann wird er schon angelockt.«

»Das ist doch Schwachsinn. Du verausgabst dich und gehst das Risiko in, dass es nicht einmal etwas bringt. Wenn es schiefläuft, bemerken Menschen was davon, oder noch schlimmer, ein anderer Dämonenjäger. Ich weiß ja nicht, wie viele von ihnen noch leben. Wie wäre es, wenn wir uns da mal nicht einmischen?«

Sie knurrte bloß als Antwort. Plötzlich flog die Tür auf und Drak stürzte in das Zimmer. Aus irgendeinem Grund sahen seine feuerroten Schuppen eingestaubt aus.

»Ich hab‘ Hunger. Wann gibt es was zu essen?«

»Was anderes als an deiner Konsole zu zocken und essen tust du schon gar nicht mehr. Du lässt dich ganz schön gehen.«, erwiderte Lucy.

»Naja, wann gibt es denn Essen? Wo ist dein Vater, Mike?«

»Er ist in der Bank, arbeiten. Im Gegensatz zu uns hat er keine Schulferien. Celina arbeitet doch auch in der Metzgerei. Selbst John bastelt im Keller fragwürdige Dinge. Nur du liegst die ganze Zeit herum.«

»Wie auch immer. Ich esse jetzt was.«

Er ging davon in die Küche.

»Wir können doch nicht einfach tatenlos hier herumsitzen, während Vior unschuldige Menschen tötet! Der Typ ist wahnsinnig geworden.«

»Lucy, komm runter, das auf dem Video ist bestimmt nur eine Täuschung.«

Schweigend, aber sichtlich gereizt, verließ sie das Zimmer.

Eine Woche später lag Mike in Garten auf dem Rasen und starrte die Blätter der Bäume an, durch die das warme Sonnenlicht schien. Drak lag gleichmäßig atmend neben ihm. Er war vor einigen Minuten eingeschlafen. Lucy saß auf einem kleineren Baum in der Astgabelung und ließ die Füße baumeln. Das Wetter hatte sie durstig werden lassen, also sprang sie elegant mit einem Satz vom Baum herab und ging in das Haus durch die Hintertür hinein. Sie öffnete den Kühlschrank, woraufhin sie von einem angenehm kühlen Hauch umhüllt wurde. Ihr Blick schweifte über die gekühlten Getränke, bis sie sich schließlich für eine Zitronenlimonade entschied. Sie griff die Glasflasche und nahm sie an sich. Dann schloss sie die Kühlschranktür und drehte sich um. Eine Maske befand sich nur einige Zentimeter vor ihrem Gesicht. Vor Schreck schlug sie mit der Flasche nach der Maske, doch bevor sie auftraf, blockierte ein Arm den Schlag und die Flasche zerschellte.

»Netter hättest du mich nicht begrüßen können?«, knurrte Vior, während er anfing, die Glasscherben aus seinem Arm zu ziehen. Die dunkelbraune Jacke war dort mit Schnitten übersät.

»Du brichst hier in unser Haus ein und meinst mich erschrecken zu müssen. Ich hasse dich wirklich!«, keifte Lucy.

»Beruht auf Gegenseitigkeit.«

Er verschloss die Wunden an seinem Arm mit einem Zauber.

»Du wischst das hier gefälligst auf! Was willst du überhaupt hier?«

»Ich sage es ja nur ungern, aber ich brauche eure Hilfe. Geh und hol Mike, dann muss ich es wenigstens nicht zweimal erklären.«

Zornig stieß Lucy Vior aus ihrem Weg und verließ das Haus. Er schnaubte belustigt auf und sah sich dann die Pfütze am Boden an. Anstatt sie aufzuwischen, nutze er einen Flammenzauber, um die Flüssigkeit zu verdampfen. Eine verkrustete Masse blieb zurück, um die sich der Dämonenjäger sich nicht weiter kümmerte. Er zog einen Hocker vor und setzte sich darauf. Seine Augen wanderten über den Kühlschrank, der voll mit hässlichen Werbemagneten war. Dann senkte er den Blick auf seine bequeme, aber robuste Kampfhose, welche aussah, als ob sie aus dem Mittelalter stammte. Noch immer ärgerte er sich über die Entscheidung, bei einer Dämonin Hilfe zu suchen. Doch er hatte keine Wahl.

Die Tür wurde aufgestoßen und Lucy stapfte hinein. Sie stellte sich etwas abseits auf und verschränkte die Arme. Mike folgte ihr und kam sichtlich verwirrt zum Stehen.

»Also«, sagte Vior langsam, ohne weiter zu warten.

»Warum ich gegen meinen Willen hier bin, liegt daran, dass ich etwas gefunden habe, wovon ich euch berichten wollte. Es begann vor etwa zwei Wochen, als ich eine sehr starke Macht spürte, wie ich sie noch nie erfahren hatte. Ich folgte ihr und fand…«

Er machte eine kurze Pause, um Spannung aufzubauen. Dann griff er in seinen Mantel und zog einen kleinen Beutel hervor, welchen er behutsam öffnete und eine kristallartige, blaue Kugel präsentierte.

»Der Machtausstoß endete, sobald ich sie in den Händen hielt. Fast so, als hätte sie mich anlocken wollen.«

Lucy griff langsam nach der Kugel, doch Vior ließ sie wieder in dem Beutel verschwinden, den er ebenfalls wegpackte. Unbeirrt fuhr er fort.

»Natürlich wollte ich wissen, was es damit auf sich hat und untersuchte das Ding später in aller Ruhe. Dann fiel mir etwas ein, das mir ein Freund vor langer Zeit erzählt hatte. Eine Art der Meditation, die versteckte Kräfte in der Seele eines Dämons wecken würde. Ich bin zwar in der Lage, meine Seele zu spüren, doch in ihr brodelt der Hass aller Dämonen, denen ich das Leben und die Kräfte geraubt habe. Es wäre mir sicherlich möglich, diese Art der Meditation durchzuführen, doch ich sehe davon ab.«

»Du hast also Angst vor dem Zorn der Toten?«, spottete Lucy. Der Dämonenjäger knurrte bloß.

»Kommen wir einfach zu meinem Vorschlag. Ich zeige dir, wie du durch die Meditation stärker werden kannst und du entschlüsselst mir die Kugel. Zudem bleibe ich so lange auf diesem Grundstück, bis ich ein Ergebnis habe oder du bei dem Versuch versagt hast. Möglicherweise bist du dann tot.«

Der Gedanke schien ihm zu gefallen und ein kurzes Grinsen huschte über seinen Mund.

Lucy warf Mike einen fragenden Blick zu. Dieser starrte zurück.

»Sag schon, was denkst du?«

»Ach so, deshalb guckst du mich an? Also, ich denke schon, dass wir ihm trauen können. Wir haben mit ihm Seite an Seite gekämpft und obwohl er mehrmals die Gelegenheit hatte, dich zu töten, hat er es doch nicht getan. Er hasst nicht wirklich alle Dämonen. Und eine Möglichkeit, deine Zauber zu verbessern ist doch super. Ich trainiere doch auch ständig, um meine Kampfkunst zu optimieren.«

»Stimmt schon, ich werde dich nicht töten, da wir scheinbar für dieselbe Sache kämpfen. Doch machst du einen Fehler-«

»Ich meine also, du solltest auf das Angebot eingehen«, fiel Mike dem Jäger ins Wort.

Lucy reichte Vior langsam ihre Hand, in die er ebenso langsam einschlug.

1

In der darauffolgenden Nacht konnte Mike aufgrund der Hitze nicht schlafen und bekam allmählich Durst. Er griff an der Bettkante herab und tastete nach seiner Wasserflasche, die er immer am Bett hatte, falls er nachts Durst bekam. Seine Hand stieß dagegen und die Flasche fiel um, wobei sie ein hohles Geräusch von sich gab. Leer. Seufzend richtete er sich auf und schlurfte mit der leeren Flasche die Treppe hinunter. Lucy blieb gleichmäßig atmend im Zimmer zurück. Er betrat die Küche und holte sich aus einem Schrank eine neue Wasserflasche heraus. Auf seinem Rückweg fiel sein Blick in das Wohnzimmer, in dem ein Haufen auf dem Sofa ausgestreckt dalag. Sein Vater war zunächst skeptisch gewesen, doch er verstand sich ziemlich gut mit dem Dämonenjäger, sodass dieser als Gast willkommen war. Mehr oder weniger. Celina war zunächst erschreckt, als sie ihn beim Eintreten erspäht hatte, doch sie verstand schnell, was vor sich ging. Drak war das ganze so ziemlich egal.

Von der Neugier gepackt schlich Mike in das Wohnzimmer und blieb knapp vor Vior stehen. Seinen Mantel hatte er zusammengerollt und nutze ihn als Kopfkissen, anstatt eines der Kissen, die Mikes Vater ihm gegeben hatte, zu verwenden. Enttäuscht musste der Junge feststellen, dass der Jäger selbst im Schlaf seine Maske trug. Zu gerne hätte er mal sein Gesicht gesehen, wer nun wirklich hinter dieser Verkleidung steckte. Da er sich nicht damit zufriedengeben wollte, zog er mit größter Vorsicht aus dem gerollten Mantel den kleinen Beutel hervor. Blitzschnell schoss die Hand des Mannes empor und packte ihn am Handgelenk.

»Was denkst du, was du hier tust? Ich bring dich um!«

Keine Sekunde später schnellten Drachenklauen aus seiner anderen Hand hervor und mit einer Drehung seines Körpers stach er nach Mike, welchem es gelang, dem Stich knapp auszuweichen. Zum Glück hatte er den Schwertkampf und somit auch das Ausweichen geübt. Als Vior aufsprang, nutze er den Moment, um seine Hand zu entreißen und floh panisch zur Treppe. Ihm kam nicht in den Sinn, den Beutel zurückzugeben, um am Leben zu bleiben. Nach ein paar Treppenstufen packte ein magischer Wind seine Füße und er wurde nach hinten geschleudert, sodass er sich in der Luft überschlug, während er die Treppe hinunterstürzte.

»Interessant, Besuch.«

Die Stimme hallte in Mikes Kopf, als käme sie von überall. Sein Kopf pochte, er musste ihn angestoßen haben. Dann fiel ihm der Vorfall wieder ein und er schlug schnell die Augen auf. Erst als er wieder, wenn auch etwas schwankend, auf den Beinen stand, bemerkte er, dass er sich nicht mehr in seinem Haus befand. Ein Kopfsteinpflasterweg führte von seinem Standpunkt zu einem großen, bedrohlichen Gebäude. An den Seiten des Weges und hinter dem Jungen schien eine bodenlose Schlucht zu sein. Seichter Nebel umhüllte die Gegend.

»Äußerst interessant. Das hatte es noch nie gegeben. Bin begeistert.«

Die Stimme kam von überall her und doch war nichts zu sehen. Mike sah hinter sich und erblickte einen alten Mann, der eine schief sitzende Brille und ein hässliches, blaukariertes und viel zu langes Hemd trug. Zwar hatte er kein Haar auf dem Kopf, doch umso ungezügelter spross sein grauer Bart.

»Oh, Entschuldigung! Ich habe Sie nicht wahrgenommen«, sagte Mike und wich einen Schritt zurück.

»Wissen Sie, wo wir hier sind?«

Der Mann lachte herzlich und trat wieder einen Schritt näher.

»Mein Name ist Chrono und dies ist meine Welt. Du bist wirklich besonders, Mensch. Niemand außer meinen Geschwistern hat diese Welt je betreten. Interessant. Komm, lass mich dich herumführen.«

Mit einer Geste zeigte er auf das Gebäude. Als Mike seinen Blick zurück zu dem Mann drehte, war er verschwunden. Stattdessen stand ein kleiner, blonder Junge in Latzhose vor ihm und lächelte ihn an.

»Komm mit!«

Fröhlich lachend rannte er ohne Bedenken den steinernen Weg entlang. Mike, vollkommen irritiert, folgte ihm langsam. Der Junge war bereits am Ende des Weges angekommen und winkte ihm zu.

»Komm schon!«

Auch jetzt kam die Stimme von allen Seiten. Mike beschleunigte seinen Schritt, doch warf dann einen Blick zur Seite, tief in die Schlucht. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Kopfsteinpflasterweg schwebte und unter ihm nichts als eine ewige, neblige Leere existierte.

»Nicht hinuntersehen, dort lagern all die unschönen Ereignisse. Vergeudete Zeit.«

Hinter ihm stand nun plötzlich wieder der alte Mann und zwar so dicht, dass er normalerweise den Atem hätte spüren sollen. Doch der Mann atmete nicht.

»Was passiert, wenn ich dort reinfalle?«, fragte Mike vorsichtig. Ohne zu zögern rammte ihm Chrono seinen Ellenbogen in den Rücken, sodass er schmerzerfüllt nach vorne stolperte und den Halt verlor. Er fiel einige Meter, bevor Bilder von Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen durch den Kopf schossen. Ein Steinzeitmensch, der während seiner Jagd tödlich stürzte und langsam verblutete. Ein Mann, der im Lotto gewann. Ein Tyrann, der in seiner Herrschaftszeit gestürzt wurde. Ein Mädchen, das in einem Labor festgehalten und für Versuche missbraucht wurde. Eine Mutter, die für ihre Kinder kochte.

Mike schlug die Augen auf. Unter ihm war dasselbe Kopfsteinpflaster.

»Interessant.«

Über ihm stand Chrono und sah auf ihn herab. Der Junge rappelte sich auf und klopfte nicht vorhandenen Staub ab.

»Was war das denn?«

»Ich wusste selbst nicht, was mit einem Sterblichen passiert.«

Mikes Augen öffneten sich vor Schreck.

»Das heißt, du hast riskiert, dass i-ich d-draufgehe?«

»Wissen benötigt Opfer. Wenn du diesmal ohne nach unten zu sehen folgen würdest?«

Auf dem Weg zum Gebäude, beruhigte Mike sich ein wenig und begann Fragen zu stellen.

»Wer genau bist du? Was bist du? Du bezeichnest mich als einen Sterblichen.«

»Ich bin Chrono, uralte Macht der Zeit. Mich gibt es, nun ja, seit Anbeginn der Zeit. Weil ich existiere, fließt die Zeit in der Welt voran. Ich bin Teil der Dreieinigkeit und besitze göttliche Kräfte. Wir sind stärker, viel stärker als die Geister, die sich in die Seelenscherben sperren ließen. Mein Bruder Ragnarök ist der Geist der Zerstörung, meine Schwester Genesis der Geist der Schöpfung. Doch sind wir mal ehrlich, ohne den Fluss der Zeit ist beides wertlos. Deshalb behandeln die beiden mich nicht gerade freundlich und ich habe ihnen schon seit langer Zeit den Kontakt untersagt. Sie meinen ich sei wahnsinnig, berechnend und gleichzeitig unberechenbar. Die Zeit ist da nicht anders. Man kann planen und doch gibt es Ereignisse, die man nicht erahnt hätte.«

Sie stoppten kurz vor dem Tor des Gebäudes, welches wie von Geisterhand nach innen aufschwang. Nachdem sie eingetreten waren, schloss es sich ebenso lautlos hinter ihnen. Mikes Blick fiel auf die vielen, zu beiden Seiten aufgereihten Statuen. Oder waren es Menschen? Es schien, als wären sie in der Zeit erstarrt, für alle Ewigkeit. Er entdeckte berühmte Persönlichkeiten, die für gute oder auch schlechte Taten bekannt waren. Freiheitskämpfer standen neben Diktatoren und Tyrannen neben Wissenschaftlern.

»Das hier ist meine Sammlung von tollen Personen«, sagte der junge Chrono voller Begeisterung.

»Eine Person, die großen Einfluss auf die Entwicklung der Welt hatte, bekommt nach ihrem Ableben ein Abbild in meiner Welt geschaffen. Ich finde das total schön, wenn es mehr werden.«

Der Junge griff nach Mikes Hand und zerrte ihn mit sich, an unzähligen Podesten vorbei. Er blieb so plötzlich stehen, dass Mike gegen ihn stieß, da sein Blick noch immer an all den Statuen hing. Lautlos stand der Junge nun dort und deutete mit seiner freien Hand auf das lebensechte Abbild unmittelbar vor ihnen.

»Das ist meine liebste Statue. Magst du sie?«

Mike ließ seinen Blick über das Objekt schweifen. Es zeigte einen grünäugigen Mann mit seltsam grauen Haaren. Sein Gesicht war vor Zorn verzerrt, er schien zu brüllen. Schwarzes Leder, verarbeitet zu einer Rüstung, bedeckte seinen Körper. Darüber lag ein dunkelroter Mantel. An seinen Händen trug er schwarze, fingerlose Handschuhe mit Drachensymbolen und aus den Fingerspitzen ragten silbrig schimmernde Klauen heraus. Im Ganzen war es ein wirklich bedrohlicher Anblick. Mike beugte sich herunter, um die Inschrift des Sockels zu lesen.

„Azaroth, erreichtes Alter: 221 Jahre, seine Rebellion gegen den König Kanoe führte zum Überleben der Menschheit und zum Ende des Zeitalters der Dämonen.“

»Hat er sich gegen seine eigene Rasse gestellt?«

»Ja«, antwortete der alte Chrono.

»Jedoch war er der Sohn zweier Menschen und so geschah es, dass er eine normale Augenfarbe besaß. Ein großer Krieger, aber trotzdem ein Idiot. Hätte er die Kräfte meines Bruders Ragnarök ausreichend gelernt und die Hilfe seiner Freunde angenommen, wäre er erfolgreich gewesen. Doch er hat sich von seinem Hass leiten lassen und den König Kanoe bloß in zwei lebende Teile zerschnitten, anstatt ihn endgültig zu vernichten. Aber nun, da du dich hier ein wenig umgesehen hast, lass mich dir ein paar Fragen stellen.«

Er setzte sich langsam in Bewegung und Mike schloss zu ihm auf.

»Mike, bist du dir bewusst, wie du hier herein geraten bist?«

»Ich bin die Treppe heruntergestürzt und dann…«

»Interessant. Noch nie konnte ein Sterblicher diese Welt betreten. Bloß Finn Veiling opferte sich einst vollständig durch Entfernung der Seelenbeschränkung und ich konnte seinen verschwindenden Körper und den Rest seiner Seele kurz vor dem endgültigen Verschwinden abfangen und dann trainieren. Ich habe ihm eine neue Chance gegeben und ihn mit meiner Magie durchflutet. Er jagt dem Dämonenkönig Kanoe unermüdlich nach, kehrt jedoch bei seinem Tod zu mir zurück und muss 500 Jahre lang seine Kräfte erneuern, da sein Körper sonst auseinanderfallen würde.«

Er blieb abermals stehen, nun im hinteren Teil der Halle. Hier befanden sich nur noch tausende leere Sockel.

»D-Das ist...«, stotterte Mike. Der Sockel direkt vor ihm trug die Inschrift:

„Lucy und Mike, erreichtes Alter: _ und _ Jahre, er half ihr beim Verhindern einer Weltherrschaft durch die Dämonin Helena und bei der Befreiung von Marcurio aus Lucifers Seelengrab.“

»Richtig, du wirst hier an Lucys Seite stehen, sobald ihr das Zeitliche gesegnet habt, ich muss dann nur die beste Pose aussuchen.«

»Lucy und ich haben das alles gemeinsam geschafft. Ich war doch nicht nur ein Assistent«, protestierte Mike.

»Denk doch einmal darüber nach. Was hättest du schon alleine schaffen können? Ohne sie wärst du gegen die Trays untergegangen. Ihre Schilde hielten dich am Leben. Du warst immer das schwächste Mitglied des Teams. Sie rettete dich aus der Anstalt. Im Seelengrab wärst du an dem Gift gestorben, hätte sie dich nicht vorangeschleppt. Ohne sie wäre Vior nie in das Seelengrab gekommen und hätte bei der Befreiung helfen können. Sie half, Marcurios Kräfte freizusetzen, nicht du. Gegen Lucifer warst du vollkommen nutzlos. Dreh‘ es wie du willst, du bist nichts ohne Lucy. Alleine hast du nie etwas Großes geleistet.«

Mike starrte zu Boden. Er war immer der Überzeugung gewesen, seinen Freunden geholfen zu haben, doch dieser Gott, der nun vor ihm stand, öffnete ihm die Augen. Geknickt fragte er dennoch: »Inwiefern hat Marcurios Befreiung eine Veränderung in der Geschichte verursacht?«

»Du erinnerst dich, ich sagte, dass Azaroth den König in zwei Teile geschnitten hat? Nun, Marcurio und Lucifer sind nichts weiter als diese zwei Teile, bloß, dass sie anfangs ständig gegeneinander kämpften. Nur Lucifer trägt die Erinnerungen des Königs in sich. Das Seelengrab ist eine Hälfte des einst mächtigen Daemon City, genauso Marcurios Welt. Du erinnerst dich auch bestimmt daran, wie sie beide verschwanden, damit Lucifer Marcurio aufklären kann. Es ist sein Ziel, den Dämonenkönig wieder auferstehen zu lassen, erneut zu verschmelzen.«

Mike starrte dem alten Mann sprachlos in das Gesicht und blickte dann langsam an seinem Bein herab. Die lange Narbe an seinem Unterschenkel zeugte von der Operation, die Marcurio durchgeführt hatte, um ihm das Leben zu retten. Diese Person sollte ein Teil eines grausamen Königs sein? Langsam holte er seinen Anhänger hervor.

»Was ist dann mit dem Spruch „Wenn die Welt uns braucht … sind wir da“?«

»Ein makabrer Scherz an mich oder Fenrir, dies sagte Fenrir damals auch, als er Kanoe attackierte. Ich denke aber, dass Marcurio dies nicht weiß und wirklich für euch da sein wollte.«

Da Mike nichts mehr sagte, fuhr er ungehindert fort.

»Nun, wie du bestimmt siehst, wird es in der Zukunft ein Problem von großem Ausmaß geben. Kommen wir zu meinem Angebot. Normalerweise übertragen wir unsere Kräfte über den Kommunikator und durch die Seele unseres Verbündeten, jedoch muss hier die Seele des Nutzers ihre Kräfte verbrauchen. Dies ist bei einem schwachen Lebewesen oder einem Menschen nicht möglich, da die Seele nie stark genug sein wird, um diese Last zu verkraften. Zudem hat die Seele eines Menschen keinen magischen Kern. Dämonenjäger stehlen die Seele des erschlagenen Dämons und unterdrücken diese, töten sie ab und schaffen sich so ihre eigene Magiequelle. Auch dies ermöglicht dann die Nutzung der Magie. Wenn ich nun einen winzigen Fetzen von mir in deine Seele einsetze, ist der Vorgang derselbe. Du wirst die Möglichkeit bekommen, Zauber zu wirken und erhältst große Macht. Mit Fenrir tat ich es genauso, doch da er nur ein Bruchteil seines Selbst ist, musste ich ihn fast vollständig flicken, zudem hat er keinen wirklichen eigenen Willen. Bei dir wäre es anders. Du wärst zwar ein wenig schwächer, aber vielseitiger und taktischer einsetzbar. Außerdem würdest du aus Lucys Schatten hervortreten und selbst die Sache in die Hand nehmen können. Ihr werdet dem König oder Lucifer gegenübertreten müssen, bevor er seine alte Kraft wieder gesammelt hat und du willst deinen Freunden doch nicht zur Last fallen, oder?«

Chrono schlich langsam um den Jungen herum.

Mike nickte, überlegte kurz und meinte dann: »Wenn es keine Nebenwirkungen gibt, dann mach ich es.«

»Nein. Du wirst diese Entscheidung nicht jetzt treffen. Komm in einer Woche wieder. Die einzige Nebenwirkung ist, dass ich jederzeit mit dir kommunizieren kann.«

Plötzlich wurde der Tonfall des alten Mannes schroff und abweisend.

»Nun gut. Komm in einer Woche wieder her. Empfinde einfach deinen Sturz von der Treppe nach und versuche das Gefühl durch deine Handfläche austreten zu lassen während du meinen Kommunikator berührst. Zeit für dich zu gehen.«

Das Chrono-Kind erschien an seiner Stelle, packte Mikes Arm und zerrte ihn mit sich, bis sie vor einem großen Spiegel standen, in dem man die Treppe in Mikes Haus sehen konnte. Lucy, Celina und sein Vater standen dort und schimpften auf Vior ein, der eine abstreitende Haltung eingenommen hatte und den Kommunikator fest umklammerte.

»Komm wieder, Mike. Mit Schwung. Tschüss.«

Das Kind schob ihn in Richtung Spiegel und Mike verstand. Auch wenn er so plötzlich hinausgeworfen wurde, störte es ihn nicht weiter. Er musste ohnehin über alles nachdenken, was Chrono ihm erzählt hatte. Seine Hand berührte die Oberfläche des Spiegels. Sie tauchte ein, es fühlte sich an als wäre es Wasser. Er atmete kurz durch und sprang dann in den Spiegel hinein. Chrono hingegen setzte sich im Schneidersitz hin und sah in den Spiegel hinein, wie er es die meiste Zeit tat. Sein Fokus lag immer auf großen Änderungen.

2

Ein Schlag ertönte von draußen. Mike saß auf dem Sofa und starrte die Regentropfen an, die vom Wind gegen die Scheibe gepeitscht wurden. Es tobte ein Gewitter, sodass er gezwungen war, drinnen zu bleiben. Er hatte nicht geschlafen, schließlich war er auch erst im Morgengrauen zurückgekehrt. Lucy, Celina und sein Vater waren sichtlich erleichtert gewesen, als er ohne Vorwarnung vor ihnen auftauchte und stolperte, als ob er gerade irgendwo heruntergesprungen wäre. Nachdem er von den Vorkommnissen berichtet hatte, hatte Vior etwas von »Ich sagte doch, ich war’s nicht« gemurmelt und Lucy und sein Vater hatten ihm versprochen sich mit ihm zusammen später Gedanken zu machen, während Celina bloß neugierig lauschte. Alle entschieden sich wieder schlafen zu gehen, bloß Mike ging in das Wohnzimmer und begann, den aufkeimenden Sturm anzusehen. Seit Stunden war Vior nicht mehr aufgetaucht. Da es Samstag war, mussten die Erwachsenen nicht arbeiten und schliefen noch immer. Nun gut, es war auch erst sieben Uhr morgens. Doch Mike war es ohnehin lieber, seine Ruhe zu haben und auch das Prasseln der Regentropfen, das Heulen des Windes und der grollende Donner beruhigten ihn. Bei seinem Bericht hatte er nicht alles erzählt. Er hatte das Podest für Lucy und ihn und dass er sie mit den neuen Kräften übertreffen würde ausgelassen. Immerhin wollte er nicht neidisch oder egoistisch klingen. Seine Gedanken wurden blitzartig unterbrochen, als sich eine Stimme zu Wort meldete.

»Du bist dir unsicher. Nicht nur bei der Entscheidung.«

Vior hatte sich scheinbar lautlos angeschlichen und ließ sich nun neben Mike auf das Sofa fallen. Dieser sagte nichts.

»Hör zu, ich brauche nach wie vor eure Hilfe. Es… tut mir leid. Stiehl einfach nie wieder etwas von mir.«

Er tat sich wirklich nicht leicht bei seinen Worten.

»Mike, an dir muss etwas Besonderes sein, sonst hättest du die Welt eines selbsternannten Gottes nicht ohne weiteres betreten können. Ich habe von diesen Kommunikatoren gehört. Sie ermöglichen den drei Urgeistern in die Seele des Nutzers einzudringen und die Kräfte nutzbar zu machen. Jedoch muss die Seele äußerst stark sein. Doch wenn du von diesem Chrono etwas in deine Seele eingesetzt bekommst, dann macht dich das zu einem Dämonenjäger, wie ich es bin.«

»Ich will keine Dämonen jagen.«

»Warum überlegst du? Lehne das Angebot einfach ab.«

»Ich habe gemerkt, wie schwach ich bin. Unfähig, einen Kampf alleine zu bestreiten. Ohne Lucy bin ich nichts.«

»Das stimmt, du bist gegen die meisten Gegner machtlos. Du bist nun einmal schwach.«

»Ein Anhängsel, das bin ich. Aber nun könnte ich stärker werden, selbst Magie nutzen.«

»Ein Dämon, ein längst verstorbener Freund, sagte mir einst, dass man sich immer einen stärkeren Gegner suchen sollte, den man übertreffen möchte und seine eigenen Grenzen erweitern sollte. Ich bewunderte ihn, er war nicht so schwach wie ich. Damals war ich noch ein gewöhnlicher Mensch, doch er beauftragte mich, zum Beschützer der Menschen vor den Dämonen zu werden und gab mir einen Ring. Als er schließlich starb, übertrug sich ein Teil seiner Seele auf mich und ich erlernte das.«

Er ließ aus seiner Hand die Klauen hervorkommen.

»Das erinnert mich an die eine Statue. Azaroth«, meinte Mike.

»Es war Azaroth. Genau deshalb glaube ich, dass Chrono dir die Wahrheit erzählt hat. Der König der Dämonen ist ein passender Gegner für ihn. Marcurio und Lucifer sind also der König Kanoe. Sie sind eine gewaltige Bedrohung für unsere Welt, jetzt noch mehr, da sie – er – das Ziel hatten die Dämonen an die Vorherrschaft zu bringen. Er ist die Quelle allen Übels, das ich bekämpft habe. Aber wenn man bedenkt, dass wir selbst gegen Lucifer allein solche Schwierigkeiten hatten, und das obwohl Marcurio auf unserer Seite war…«

»Da könnte ich vielleicht dann helfen.«

»Das wollte ich hören. Mit der Kraft eines Gottes kann gar nichts schieflaufen. Wir sollten versuchen, die beiden anderen Kommunikatoren ausfindig zu machen, dann können wir ihn sofort ausschalten. Genesis erschafft uns ein Portal und mit Chrono und Ragnarök erschlagen wir Kanoe. Aber wir werden ein paar mehr fähige Leute brauchen, um alles hinzubekommen. Zunächst entscheidest du deine Angelegenheit durch deinen freien Willen, dann holen wir ein paar Leute her.«

Vior stand auf, klopfte Mike auf die Schulter und verließ den Raum. Der Junge starrte weiterhin an die Scheibe. Regentropfen flossen an ihr herab. Sein Gesicht spiegelte sich im Glas. Er fing an zu grinsen. Endlich eine neue Aufgabe. Diesmal würde auch er eine große Rolle spielen.

3

In seiner zerklüfteten Welt richtete sich der riesenhafte, blutrote Wolf auf. Chrono regte sich also wieder. Der Teich vor ihm zeigte einen Jungen, der den Sturm durch ein Fenster beobachtete. Nach einer kurzen Berührung des Wassers färbte es sich grün und Ragnarök nahm einen kurzen Anlauf, um dann schwungvoll in den Teich zu springen. Er fand sich in Genesis‘ lebhaften Wald wieder. Das Gras unter seinen Pranken verdorrte augenblicklich.

»Hallo Schwester«, knurrte er, wobei seine Stimme von überall zu hören war. Vögel flohen aus einem Busch in seiner Nähe. Die grüne, große Hirschkuh drehte sich zu ihrem Bruder um.

»Was denkst du hat Chrono vor?«, fragte Genesis.

»Der Junge wird sich entscheiden, seine Kraft anzunehmen. Eine Wahl hat er nicht wirklich, dafür ist Chrono zu geschickt mit seinen Worten. Ich will Kanoes Fall sehen und das ist nur mit meiner Hilfe möglich, da du es ja verbockt hast, indem du den Dämonenkönig beinahe unsterblich gemacht hast.«

Sie schnaubte.

»Ich werde nie tun, was du möchtest. Kanoes Absichten waren einst rein. Er war schon dabei, als unsere Kommunikatoren geschaffen wurden. Doch er änderte sich.«

»Du hast ihn nicht gründlich genug untersucht, bevor du den Pakt eingegangen bist. Es bleibt dein Fehler. Er wirkte doch nur bei den Kommunikatoren mit, da er alle drei an sich reißen und somit uns unterdrücken wollte. Kanoe muss sterben und ich bin die Waffe dazu. Das sagte ich auch Azaroth, dem Idioten. Doch der Zutritt zu Daemon City ist nur über Portale möglich, die du damals geschaffen hast – eventuell musst du es wieder tun. Chrono ist hier eigentlich nicht von Nöten.«

»Wie aus dem Nichts aufgetaucht und dann redet er auf diesen Jungen ein, der scheinbar in seiner Welt verschwand. Er will sich so eine Möglichkeit für eine große Veränderung schaffen. Doch er überschätzt sich, wie er es schon immer tat. Er weiß, dass unsere drei Mächte niemals vereint werden dürfen, sonst…«

»Und trotzdem sind wir essenziell, um den König zu erledigen, er nicht. Das weiß er, auch wenn er es bestimmt nie zugeben würde. Das Risiko der Verschmelzung ist für ihn absolut in Ordnung. Er ist wahnsinnig. Gut, dass er den Standort unserer Kommunikatoren nicht wissen kann, da diese vor uns versteckt bleiben.«

Genesis sah nach oben und streckte sich.

»Ich hoffe auf die Menschen in der Welt, dass sie sich nicht verleiten lassen. Sie sind im Inneren gute Geschöpfe.«

Ragnarök musste ein Lachen unterdrücken.

»Menschen sind grausam und egoistisch, deshalb gefallen sie mir. Sie werden alles tun, um sich selbst auf eine gottgleiche Ebene zu heben. Wir werden sehen, was der Lauf der Zeit bringt.«

»Zeit … Chrono denkt, er wäre wichtiger als wir, dabei bemerkt er nicht, dass keiner von uns ohne die anderen existieren kann.«

4

Es war eine Woche vergangen, seitdem Mike das Angebot erhalten hatte. Er hatte viel nachgedacht, mit Lucy gesprochen, wie es wäre, wenn er nun auch magische Fähigkeiten besäße. Sie hatte ihm zugestimmt, dass, wenn der König der Dämonen wirklich zurückkehrte, sie jede einzelne Kampfkraft brauchen würden. Zunächst schenkte sie Chronos Aussage kein Vertrauen, doch als Vior ihr das Gleiche dann auch erzählte, sah sie es ein. Schließlich war er ein Zeitzeuge.

Nun saßen alle versammelt im Wohnzimmer. Herr Berg hatte sich in seinen Sessel gesetzt, während Drak halb schlafend auf dem einen Sofa lag. Celina saß neben ihm und beobachtete aus ihrem gesunden Auge aufmerksam das gegenüberliegende Sofa, auf dem sich Mike eingequetscht zwischen Lucy und Vior befand.

»Wenn du dich unwohl fühlst, musst du das nicht tun«, sagte Lucy nun.

»Ich habe lange genug nachgedacht und jetzt ich werde es auch tun.«

Vior kramte die leuchtende Kugel hervor und legte sie auf Mikes Schoß.

»Bitte sehr, fang an.«

Vorsichtig griff er sie mit beiden Händen und hielt sie vor sich. Mit geschlossenen Augen dachte er an seinen Sturz von der Treppe, wie Viors Zauber ihm die Beine weggerissen hatte. Minuten verstrichen, in denen sich nichts tat. Plötzlich stand Vior auf und meinte trocken: »Komm mit, wir schmeißen dich noch einmal die Treppe runter.«

Lucy protestierte und stand ebenfalls auf.

»Du kannst ihm doch nicht einfach wehtun, nur weil es nicht auf Anhieb klappt!«

»Er ist ein Mensch, woher soll er das Potenzial haben, um so etwas von sich aus zu vollführen?«

»Du hast Angst. Vor deinen Taten … und einer leuchtenden Kugel. Deshalb kamst du doch überhaupt her, oder?«

Vior bleckte die Zähne und Lucy zuckte kurz ängstlich zusammen. Es war ihr eindeutig peinlich, dass sie so reagiert hatte. Nun, da Mike endlich Platz auf dem Sofa hatte, konnte er sich besser in die Situation auf der Treppe hineinversetzen. Einige Zeit verstrich. Inzwischen konzentrierte er sich so stark, dass ihm schwindelig wurde. Dann, ohne Vorwarnung, verschwand er.

»Hey!«, rief eine quietschende Stimme, bevor Mike am Handgelenk gepackt und über die Pflaster des Bodens geschleift wurde. Ein paar Meter später realisierte dieser den Vorgang und versuchte sich aus dem Griff zu entreißen. Doch der Griff des jungen Chrono war stählern und lockerte sich keineswegs. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Boden unter sich vorbeiziehen zu sehen, während sein Körper vorangeschleppt wurde. Das T-Shirt rutschte nach oben, sodass er nun einige Schürfwunden erlitt.

»Lass mich schon los!«, blaffte er den vergnügten Jungen an, woraufhin dieser plötzlich stehen blieb. Mike nutzte die Gelegenheit, um sich umzudrehen und sah direkt in Chronos kindliches und doch böses Grinsen.

»Gerne doch«, sagte er langsam, bevor er Mike mit gewaltiger Kraft von sich schleuderte. Während er fiel, flogen abermals seltsame, unheimliche oder langweilige Erinnerungen durch seinen Kopf.

»Ich entschuldige die Unannehmlichkeiten.«

Mike rappelte sich auf. Ihm war schwindelig.

»Was sollte das denn?«

Der alte Mann ging nicht auf seine Frage ein und bedeutete ihm, sich an seine Fersen zu heften. Er sprach kein Wort, bis sie das Schloss erreicht hatten. Das Tor öffnete sich wieder ohne Fremdeinwirkung und beide traten ein.

»Du hast dich also entschieden, meine Gabe anzunehmen?«, ergriff Chrono das Wort, während sie an den aufgereihten Statuen vorbeischritten.

»Ja, aber nicht, um Lucy oder sonst irgendjemanden zu übertreffen. Ich will ein nützliches Mitglied des Teams sein und endlich eine Hilfe darstellen.«

»Interessant.«

Wortlos gingen sie voran, an den schier endlosen Podesten mit und später ohne Figuren darauf vorbei. Mike schüttelte verwirrt den Kopf, als sie unerwartet hielten. Doch dann bemerkte er, dass sie sich an einer Mauer befanden. Diese Mauer wurde jedoch von einem riesigen Spiegel verdeckt, welcher die Illusion eines endlos großen Raumes erzeugte. Ein Stück löste sich auf Chronos Handbewegung hin und schob sich zur Seite, um so den Eingang in eine schmale Höhle freizugeben. Der Junge zögerte zunächst, doch wurde von dem Gott hineingeschoben.

»Dies hier ist meine Welt, das heißt, ich kann alles beeinflussen. Theoretisch könnte ich dir auch hier und jetzt einen Teil in deine Seele einsetzen, aber wo wäre die Atmosphäre dabei? Wir machen deshalb ein kleines Ritual.«

Die Tür schloss sich wieder hinter ihnen und für einen kurzen Moment wurde es finster. Dann öffnete sich die gegenüberliegende Wand, welche so den Blick auf eine kleine Kapelle freigab. Schwaches Licht strömte heraus. Beim Eintreten sah Mike sich um. In alle Wände war eine Nische eingelassen, in der viele kleine Kerzen standen. Ihr Licht warf flackernde Schatten, die sich überall und doch gar nicht überschnitten, an die anderen Wände. In der Mitte stand ein Schrein aus schwarzem Gestein, der mit den verschiedensten Uhren bedeckt war. Die Zeiger der Wecker, Armbanduhren und Tischuhren drehten sich chaotisch und vollkommen taktlos in beide Richtungen. Dahinter stand eine Platte aus demselben, schwarzen Stein. Mike zuckte zusammen, als er erkannte, dass sich auf eben jener Platte eine gefesselte Person befand. Sie war männlich, muskulös und trug außer einer kurzen, schwarzen Hose und einem langen, weißen Schal, der um ihren Kopf gewickelt war und nur einen kleinen Schlitz für die Augen freiließ, nichts.

Als Mike vorsichtig einen Schritt nähertrat, wand sich der Mann lautlos. Er war an Armen und Beinen an den Stein gefesselt und dadurch bewegungsunfähig. Von ihm ging die gleiche, seltsame und drückende Ausstrahlung aus wie auch von Chrono, bloß schwächer.

»Das ist Fenrir«, meinte der alte Mann.

»Warum ist er gefesselt? Du müsstest nicht so einsam sein.«

»Fenrir hat keine große Persönlichkeit, er ist nur ein Bruchteil eines Menschen. Er ist ein Werkzeug. Er bringt etwa so viel als Gesellschaft wie ein Brett an der Wand. Außerdem brauche ich niemanden hier. Ich bin ein Gott. Also dann …«

Chrono wandte sich zu dem Gefesselten und bewegte kurz seine Hand, wodurch die Fesseln sich lösten und wie Schlangen davonrutschten. Sofort richtete sich die Gestalt auf und kniete sich vor seinem Befreier nieder.

»Mike, leg dich auf die Bahre.«

Mike rührte sich nicht. Er wollte nicht gefesselt und machtlos daliegen.

»Leg dich hin!«

Schweigen.

»Leg dich hin!«

Zögerlich nahm Mike Platz und streckte sich aus. Kaum lag er vollständig darauf, wickelten sich die Fesseln um seine Glieder, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte.

»Warum tust du das? Du wolltest mir doch helfen?«, schrie Mike in Panik auf. Der Mann zu seinen Füßen richtete sich auf und tat einen bedrohlichen Schritt in seine Richtung. Chrono schlug sofort in Fenrirs Nacken, woraufhin dieser auf die Knie brach. Ein weiterer Stoß folgte und er kippte nach vorne, wo er dann mit dem Gesicht gegen den Boden liegen blieb.

»Bleib liegen. Halt dich einfach aus meinen Sachen raus«, sagte Chrono fast schon monoton, während er seinen Fuß auf Fenrir setzte.

»Also, Mike, ich werde gleich meine Kräfte anwenden und deine Zeit stoppen. Für dich wird also keine Sekunde vergehen und auch dein Leben wird nicht kürzer. Dann werde ich meine Macht gegen deine Seele drücken, sodass sie aus ihrem Schlummer erwacht. Du wirst danach merken, dass du dich selbst noch lange nicht kennst und wirst alles um dich herum anders wahrnehmen. Das Bewusstsein über die eigene Seele zu erlangen, ist ein wichtiger Schritt zur Nutzung der Zauber. Dann werde ich deiner erwachten Seele ein Stück entreißen und das entstandene Loch mit meiner Seele stopfen und es sozusagen vernähen. Gerade der zweite Teil des Prozesses ist enorm schmerzhaft, da deine Seele Schaden erleidet, wenn nicht sogar tödlich. Deshalb friere ich dich in der Zeit ein, sodass du nicht einmal mitbekommst, dass etwas geschieht.«

Bevor Mike protestieren konnte, berührte Chronos Handfläche seine Brust.

Chrono ließ seine Finger knacken. Der Junge vor ihm war wie versteinert. Sein ängstlicher Blick bohrte sich in die Wand neben dem Gott. Für ihn würde keine Zeit vergehen. Nun sammelte er Kraft in seiner Hand, bevor er mit der flachen Faust auf den Körper schlug, welcher unter der Macht kurz erzitterte. Er spürte, dass nun mehr vor ihm lag als noch vor ein paar Sekunden. Abermals wandte er einen Zauber an, woraufhin sein Arm von weißem Licht umhüllt wurde. Problemlos glitt er durch Mikes rechte Hand hindurch, bis er dann dessen Seele erspürte. Er packte die für ihn klebrige, gummiartige Substanz und riss daran. Seine Hand verließ den Körper, noch immer an der Seele klammernd, doch darauf bedacht, sie nicht vollends zu entreißen. Chronos Augen begannen zu glimmen. Er konnte sie nun sehen, die weiße Seele des Menschleins. Sie war sehr matt und hatte keinen Glanz in sich. Schwach. Sie hatte die Form des Jungen, doch der Teil an der rechten Hand hing wie ein Kleidungsstück in seinem Griff. Er formte das Licht an seinem anderen Arm zu einer schmalen Klinge und durchtrennte den Teil der Seele, den der herausgezogen hatte. Als er seinen Griff lockerte, löste sich das herrenlose Stück auf und verschwand für immer. Der Gott blickte an sich selbst herab und musste die Augen zusammenkneifen, damit das gleißende Licht seiner goldenen Seele ihn nicht blendete. Menschen leuchteten weiß, Magiefähige, darunter Dämonen- und Jäger silbern und die drei Urkräfte golden. Je heller eine Seele leuchtete, desto stärker war sie auch. Chrono schwor darauf, dass seine Seele heller als die seiner Artgenossen war.

Nun griff er in seinen eigenen Körper hinein und griff auch hier einen Teil seiner Seele und schnitt ihn ab. Doch diesmal hielt er das Stück fest in seiner noch immer glühenden Hand, führte es zu dem starren Jungen und drückte es in die seelenleere Hand. Kaum berührte der goldene Fetzen die Seele, verschmolzen sie miteinander. Chrono drückte sie etwas zurecht, bevor er seine Hand herauszog und den Zauber darauf erlöschen ließ. Er beobachtete nun, wie der goldene Teil kleine Schlieren, die aussahen wie kleine Tentakel, durch den anliegenden Abschnitt der Seele wachsen ließ. Zufrieden ließ er auch seine Seelensicht verschwinden, bevor er Mike vom Zauber erlöste.

»Lass mich frei, ich will hier nichts von „tödlich“ hören!«, brüllte dieser unmittelbar danach. Chrono sagte nichts, sondern löste die Fesseln.

»Was …?«, stammelte Mike. Es kam ihm so vor, als wüsste er nun wirklich, was sein Körper war. Seine Sinne schienen stärker geworden zu sein.

»Es ist schon getan.«

»Spüre ich deshalb –?«

»Ja.«