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Arno Linder, seines Zeichens Professor für klassische Philologie an der Uni Wien, freut sich auf beschauliche Sommerferien mit seinen Kindern und seiner Frau. Doch wie immer in seinem Leben kommt es anders als er denkt. Seiner Frau zuliebe steigt Arno noch ein letztes Mal in die Tiefen der Wiener Unterwelt, um die verlorenen Brillanten eines Popstars zu suchen. Während seiner Suche nach den Edelsteinen stellt sich heraus, dass Arno nicht nur kalte Schätze, sondern vor allem seine Ehe retten muss …
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Seitenzahl: 264
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Martin Mucha
Das Diamantcollier
Arno Linders sechster Fall
Funkelnde Steine Arno Linder, seines Zeichens Professor für klassische Philologie an der Uni Wien, freut sich auf die beschaulichen Sommerferien mit seinen Kindern und seiner Frau. Doch wie immer in seinem Leben kommt es anders als er denkt. Der besten Freundin seiner Frau Laura wurde ihr Diamantcollier gestohlen. Seiner Frau zuliebe steigt Arno noch ein letztes Mal in die Tiefen der Wiener Unterwelt um die verlorenen Brillanten des Popstars zu suchen.
Doch was als kleine Abwechslung beginnt, stellt sich als schweres Unterfangen heraus, als Arno erkennen muss, dass nicht nur die Edelsteine, sondern auch seine Ehe auf dem Spiel steht. Er gerät in den Strudel eines Erbschaftsstreites, der sich drei Generationen in die Vergangenheit erstreckt und wird dabei zum machtlosen Spielball finsterer Interessen. Nicht zuletzt, weil einer der Player in dem Spiel seine eigene Frau ist.
Martin Michael Mucha, 1976 in Graz geboren, studierte in Wien Philosophie, Geschichte sowie Theologie und promovierte anschließend in Philosophie. Seit fast zehn Jahren arbeitet er im Bereich Drehbuch für Kino- und Fernsehfilme. Der Autor lebt als verheirateter Familienvater in Wien. Seine Jugend verbrachte er allerdings in einem Dorf im Vorarlberger Walgau.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Funkenfeuer (2018)
Die Lebensversicherung im Plastiksackerl (2015, Ebook only)
Liebessiegel (2015)
Zufälle und Mordfälle (2014, Ebook only)
Erbschleicher (2014)
Beziehungskiller (2012)
Seelenschacher (2011)
Papierkrieg (2010)
Dieses Buch wurde vermittelt von der
Literaturagentur erzähl:perspektive, München
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2020
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Florian / stock.adobe.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6256-6
»Abenteuer kommen zu Abenteurern, und seltsame Dinge geschehen denen, die mit Neugier und Imagination durchs Leben gehen. Normale Leute gehen an offenen Türen vorbei und halten sie für geschlossen.«
A. Blackwood
Dies ist das sechste Buch um Arno Linder.
Arno ist mittlerweile Universitätsprofessor und mit Laura verheiratet. Laura ist Anwältin. Die beiden wohnen in Wien XVII, Utopiaweg und haben zwei Kinder. Sophie und Max. Vier respektive zwei Jahre alt. In seiner Jugend, die bis zur Heirat von Laura und Arno andauerte, war Arno auf der falschen Seite des Gesetzes daheim.
Wer mehr wissen möchte, sollte die anderen Bücher lesen.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit realen Leuten sind Zufall und unbeabsichtigt. Das Buch versteht sich als Komödie und sollte mit einem Augenzwinkern gelesen werden.
Viel Spaß, hoffentlich!
mmucha
Das erste Mal von Irene gehört hatte ich, lange bevor ich Laura kennenlernte. Es gibt nicht so viele österreichische Sängerinnen, die auswandern und die große Weltkarriere machen. So dauerte es einige Zeit, bis ich begriff, dass Lauras beste Freundin ein Weltstar war.
Wenn Laura sonntags mit Irene telefonierte, konnte es sein, dass gerade ein Lied von ihr im Radio lief. Oder im Gesellschaftsteil der Zeitung etwas über ihr Privatleben stand. Oder im Kulturteil Irenes Album mit klassischen Liedinterpretationen zur Sprache kam.
Die Verbindung zwischen den Geschichten von Laura über eine erste Flasche Wein in einem Park und dem Weltstar herzustellen, war schwierig. Ein bisschen so, wie mit Morgen- und Abendstern. Solange man nicht weiß, dass es sich um denselben Planeten handelt, ist alles okay. Sobald aber die Identität der beiden feststeht, geht es mit den Problemen los:
Erstens kann nicht von der Identität von zwei getrennten Dingen die Rede sein, denn sie sind ja eigentlich nur eins.
Zweitens macht es aber überhaupt keinen Sinn, von der Identität bloß einer Sache zu sprechen, denn jede Sache ist mit sich selbst identisch.
Drittens kommen dann die Modalphilosophie und das Principium identitatis indiscernibilium von Leibniz ins Spiel. Und so hört der Spaß auf. Dann geht die Metaphysik los und alle bis auf Platon und Hegel überheben sich und bekommen entweder intellektuellen Muskelkater oder schweren Wahnsinn. Oder beides.
Also lassen wir das lieber. Wen es interessiert, kann sich ja über Saul Kripkes Buch »Name und Notwendigkeit« in das Problem einlesen. Ich rate allerdings ab.
Zurück zu Irene. Die war Weltstar, Lauras beste Freundin und, was am schlimmsten war, ich sollte sie vom Flughafen abholen.
»Dann könnt ihr euch kennenlernen«, hatte Laura gesagt, Max hochgenommen, Sophie am Schlafittchen gepackt und das Telefonat mit ihrem Klienten weitergeführt. Laura ist meine Frau oder ich bin ihr Mann, auf jeden Fall sind wir verheiratet. Außerdem haben wir zwei Kinder. Sophie und Max. Beide sehr süß, sehr anstrengend und haben es faustdick hinter den Ohren. Es: den Dreck, Zuckerreste und Schalk, meine ich.
Also musste ich Irene abholen. Alleine. Mir war nicht so wohl bei dem Gedanken. Wie holt man einen Weltstar ab? Was sollte ich machen, wenn da Journalisten waren oder Fans? John Lennon wurde von so einem erschossen. Musste ich mich dann zwischen Kugel und Weltstar werfen? Ich wollte Laura fragen, aber die hatte sich mit den Kindern und dem Klienten in ihrem Arbeitszimmer eingesperrt.
Klopfen war sinnlos. Sie erwartete Eigenverantwortung von mir. Umso schlimmer. Also ging ich ins Bad, rasierte mich, suchte mir was zum Anziehen raus und stieg in mein Auto, um loszufahren. Ja, ich besitze nun ein Auto. Ein eigenes. Toyota, Hybrid, Mittelklasse, sehr zuverlässig. Allerdings auf jeden Fall das falsche Ding, um einen Weltstar abzuholen. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, in Liesing beim Choby vorbeizuschauen und mir für heute einen Ferrari oder sonst was Schnittiges auszuleihen. Aber ich ließ das bleiben.
Ich kenne Choby von früher, und das mag Laura nicht. Weil früher, da war alles bei mir ein wenig chaotisch. Heute ist das nicht mehr so, aber damals war es das. Und Choby war noch chaotischer als ich, und ist es immer noch. Er verleiht Autos, verkauft sie und kauft sie auch. Allerdings immer jenseits der Grenze, die man als Strafgesetz bezeichnet. Wenn jemand in Guinea-Bissau einen Porsche Cayenne kaufen will, dann macht er das über Choby. Jeder, der im Irak einen 5er BMW fährt, und das sind alle, hat ihn wissentlich oder unwissentlich über Choby gekauft. Ich denke, es ist klar, warum Laura ihn nicht mag. Also fuhr ich den Weltstar mit meinem Toyota abholen.
Während ich rausfuhr zum Flughafen Schwechat, verabschiedete ich mich vom soeben erst angebrochenen Sommer. Eigentlich hatte ich frei, wollte ein bisserl mit den Kindern spielen und den Rasen mähen und ansonsten herzlich wenig machen, aber das ging nun nicht mehr. Irene war für zwei Wochen in Wien, in der Zeit würde alles hektisch werden.
*
Am Flughafen selbst ging dann alles richtig gut. Ich erwischte einen feinen Parkplatz, ergatterte ein Ticket, fand heraus, dass ich richtig geparkt hatte. Dazu kam, dass ich auf Anhieb das richtige Terminal erwischt hatte, als ich in die Ankunftshalle kam, blinkte das Sternchen neben dem Flug aus Newark. Irene war soeben gelandet. Keine 15 Minuten später kam sie aus der Zollzone raus. Ein sehr leichtes Mützchen auf, dunkle, einfache und doch sauteure Sonnenbrille, unscheinbar elegant gekleidet. Ich hob den rechten Arm. Sie kam auf mich zu, sagte: »Hi!«, und gab mir ein Bussi auf die Wange.
Damit war der schöne Teil zu Ende, denn die Frau hasste mich. Ich konnte es fühlen. Als sie sagte: »Ich freu mich so, dich endlich kennenzulernen«, klang das so, wie das Botoxlächeln von Nicole Kidman aussieht.
Die Antwort auf meine Frage, wo denn ihr Gepäck sei, da ich es holen wollte, bestand darin zu sagen: »Da musst du dich nicht darum kümmern, ich habe einen Dienst beauftragt. Der wird das zustellen.« Ich fühlte mich wie ein pickliger Teenager, der Clint Eastwood fragt, ob er seine Tochter ausführen dürfe. Und Clint antwortet: »Ich habe eine Knarre, eine Schaufel und zehn Morgen Land hinter dem Haus.«
Endgültig aus war es, als sie den Toyota zu Gesicht bekam: »Der ist aber süß.« Es gibt einen Moment im Leben eines Mannes, wo er das nicht hören will. Der Moment hat nichts mit Autos zu tun, genauso wenig wie ihr Kommentar.
Was daran besonders wehtat, war, dass sie mich an einer Stelle erwischt hatte, die ich eigentlich niemals als verletzbar eingestuft hätte. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich durch einen Kommentar zu meinem Auto oder meinem primären Geschlechtsteil aus der Fassung gebracht werden könnte. Als ich herausfand, dass das möglich war, deprimierte mich das. Ich hatte mich selbst enttäuscht. Gut, daran war ich gewöhnt, aber herauszufinden, dass man komplett verbürgerlicht war, ist nicht so einfach.
Das Bäuchlein hatte ich mir schöngeredet, die weniger werdenden Haare auch, das Rasenmähen und das Vor-dem-Fernseher-Einschlafen ebenso wie die Tatsache, dass ich langsam anfing, Routine und Vorhersehbarkeit zu schätzen.
Den letzten Joint hatte ich vor vier Jahren geraucht, Jazz hörte ich nicht mehr, da Laura lieber Opern hört und die Kinder irgendeinen Internetkram. Sogar mit dem Teetrinken hatte ich aufgehört, da Laura das nicht so cool fand. Ich war es gewohnt, mir zwischen ein und eineinhalb Gramm Teein pro Tag reinzupfeifen, was Ärzte besorgniserregend finden. Von Teeinüberdosis wird gesprochen, sobald man das Gramm überschreitet. Ich fand, da fing der Spaß erst immer an. Da dieses Alkaloid aus der Gruppe der Methylxanthine anregend und gefäßerweiternd wirkt, können Extrasystolen, Kreislaufkollaps und Angstzustände eintreten. Ich hatte so was zwar nie, aber Laura meinte, dass Vorsicht die Mutter der Porzellanhochzeit sei. Also hatte ich entwöhnt.
Seitdem trinke ich lauwarmes Wasser. Das hört sich schlimmer an, als es ist. Wer gewohnt ist, seinen ästhetischen Feinsinn an dem sparsam eleganten Reiz erstklassigen Grüntees zu delektieren, der kann das auch mit Wasser. So oder so ähnlich redete ich mir das jedenfalls ein.
Irene und ich fuhren in die Stadt. Wir machten Smalltalk.
Sie redete nicht von der großen weiten Welt, ließ nicht raushängen, wen sie alles kannte, wie groß ihr Apartment am Central Park war und wie viele Millionen ihr Mann sein eigen nannte. Das machte sie mir aber nicht sympathischer, da sie besser wusste, wann meine Kinder Geburtstag haben, als ich. Außerdem wusste sie von der Pockenimpfung von Max. Von der wusste ich nichts. Was ich wusste, war allerdings, dass sie wusste, dass ich es nicht wusste. Irene konnte mich nicht ausstehen. Umso schöner war es, als ich mit Irene am Hotel Imperial ankam und Laura schon dort war. Die Kinder waren mit den Großeltern auf dem Weg nach Kärnten. Laura sollte in einer Woche nachkommen, wenn Irenes Mann Leonardo für einen europäischen Kultursommer ankommen würde.
Ursprünglich war der Plan der gewesen, dass ich mich in der Woche um die Kinder kümmern sollte, während Laura mit Irene ein bisschen auf Mittzwanziger Sommerspaß machen würde. Aber die Großeltern hatten was davon mitgekriegt und so waren die Kinder nun in Kärnten. Ich hatte mich für Wien entschieden, da ich noch nicht wusste, wie sehr Irene mich nicht mochte. Es würde eine lustige Woche werden.
*
Der erste Abend war eine Katastrophe. Es standen die Schlossfestspiele von L. auf dem Programm. Nun mag man einwenden, ich sei ein Snob, und ich stimme dem zu. Jedoch muss ich sagen, dass Kultur eine feine Sache ist, die man nicht in L. erleben möchte. Oder irgendwo im ländlichen Niederösterreich. Obwohl, wo ist Niederösterreich nicht ländlich? Schlussendlich: Wo ist Österreich nicht ländlich? Ausgenommen Wien natürlich. Mittlerweile fühlen sich die Salzburger Festspiele ja schon an wie der Theaterjahrmarkt in Stimpfelbrunn.
Auf jeden Fall, wir waren dort. Was gegeben wurde, konnte ich nicht erkennen. Ob Singspiel oder Oper, war nicht zu sagen. Es war grausam. Der tote, schon stinkende Leichnam echter Kunst wurde mit einer stumpfen Säge zermanscht, dass Knochensplitter und Darminhalt nur so spritzten. Es hielten Leute Geigen in den Händen, die schon für Schaastrommeln zu grob gewesen wären. Ich blickte mit würdiger Verachtung auf das Geschehen herab.
Nicht so die beiden Damen. Man vergnügte sich. Man fand die Kostüme »fesch«, den Hauptdarsteller »schoaf« und die sommerliche Atmosphäre »urromantisch«. Dass der Kammerton a hier in der Einöde bestenfalls 430 Hertz hatte, störte sie nicht. Der Sommerabend war zu schön, um kleinlich zu sein. So schmollte ich schweigend.
Der Wein war säuerlich, man fand ihn »resch«. Die Unterhaltung mit ein paar der Eingeborenen war stumpfsinnig, man fand es »so natürlich«. Schlussendlich fuhr ich zwei gut beschwipste Damen durch eine herrliche Sommernacht nach Hause. Die Sterne über uns am samtblauen Himmelsbogen leuchteten romantisch, kleine Wäldchen dufteten nach trockenem Gras und kleine Dörfer mit putzig erhellten Fenstern zogen an uns vorüber. Der Lichtkegel der großen Stadt erhellte schließlich den östlichen Nachthimmel, die Donau zog unter uns hindurch und wir luden Irene an ihrem Hotel ab.
Schweigend fuhren Laura und ich nach Hause. Normalerweise reden wir viel, keppeln und streiten uns neckend. Diesmal nicht. Wir schwiegen einfach. Zu Hause stiegen wir aus dem Auto, Laura ging hinein, ich wartete noch ein wenig im Garten. Dann kam ich nach. Die Schlafzimmertür war zu. Also ging ich ins Arbeitszimmer, hörte Schneiderhans’ beste Aufnahme von Beethovens Violinkonzert und las dann noch ein wenig Rilke. Als ich den letzten Rest an L. aus meinem System entfernt hatte, atmete ich tief durch.
Dann ging ich nochmal nachsehen, aber die Tür war immer noch zu. Auf meiner Couch schlief die Katze. Ich wollte mich dazulegen, aber ein grünes Auge ging auf, man zeigte mir die Zähne und so deckte ich mich auf der Terrasse mit einer Decke zu. Unter mir die große Stadt, über mir die Sterne, hinter mir die Sintflut.
Der nächste Morgen brach kalt an. Tau auf dem Rasen, meine Decke war nass. Ich machte mir koffeinarmen Kaffee, aß ein Hörnchen, überlegte. Dann schrieb ich einen Zettel.
»Schatz, bin in der Nationalbibliothek, muss den ganzen Tag arbeiten. Wir sehen uns am Abend.« Hoffentlich nicht schrieb ich nicht dazu. Ich befestigte den Zettel an der Kühlschranktür, als ich Laura reden hörte. Meine Süße war schon wach. Seltsam. Sie redete laut. Ihre Stimme kam näher. Ich nahm den Zettel vom Kühlschrank. Laura kam rein. Sie war relativ nackt. Eigentlich trug sie ein Nachthemd, aber das war durchsichtig. Darunter war sie nackt. Man konnte den Bauchnabel sehen. Laura hat nach den beiden Kindern ein paar Kilo mehr als vorher. Ihr Bauchnabel ist jetzt tiefer als früher, das ist unfassbar sexy. Der perfekte Bauchnabel muss eine Unze Sesamöl halten, schreiben die arabischen Poeten, die müssen es wissen. Ich schreckte hoch. Laura sprach mit mir. Ich hatte nichts mitgekriegt. Ich fuhr aus meinen erotischen Träumen hoch.
»Ja?«
»Du sollst mich nicht so anstarren! Sondern zuhören.«
»Ja?«
»Du starrst noch immer.«
»Sorry.«
»Also, jetzt hör zu: Irene hat gerade angerufen. Ihre Diamanten sind weg.«
»Scheiße.«
»Du sollst nicht fluchen vor den Kindern.«
»Die sind in Kärnten.«
»Egal. Ihre Diamanten sind weg.«
»Soll ich bei der Polizei anrufen?«
»Weil du dort so gute Kontakte hast?«
»Wär mal was anderes.«
»Nein. Es ist viel schlimmer.«
»Wie denn? Die werden doch versichert sein.«
»Die sind ein Hochzeitsgeschenk. Wenn die verschwunden sind, was soll ihr Mann da sagen?«
»Weiß ich doch nicht.«
»Und was würdest du sagen, wenn ich unser Hochzeitsgeschenk einfach so verlieren würde?«
»Hm, ich würd fragen, was ich dir geschenkt habe?«
Laura starrte mich böse an.
»So, noch ein Wort und es ist vorbei.«
»Sorry. Ich verstehe schon. Also?«
»Na, das große Problem ist, dass sie nicht zur Polizei kann.«
»Wieso?«
»Weil sie die Diamanten nicht beim Zoll angegeben hat.«
»Ui.«
»Genau. Außerdem ist die Sache heikel.«
»Heikel? Wie denn, hat Irene sie gestohlen, oder etwa ihr Mann?«
»Nein, doch, egal, vielleicht irgendwie schon. Es sind Blutdiamanten.«
Das saß. Wer schenkte seiner Frau Blutdiamanten. Ein amerikanischer Milliardär. Das war die Antwort.
»Okay.«
»Also?«
»Also was?«
»Hilfst du ihr?«
»Ich? Was soll ich denn machen?«
»Das weißt du doch genau.«
»Nein. Damit ist Schluss.«
»Du hättest was gutzumachen, wegen gestern Abend. Und beim Abholen warst du auch unhöflich, hat sich Irene beschwert.«
»Aber sie hat …«
»Sie hat angefangen? Das sagst du bei den Kindern auch immer. Fällt dir das Muster auf?«
»Gut. Also?«
»Du sollst sie suchen.«
»Ich weiß doch nicht einmal, wo.«
»Wien.«
»Danke für den Hinweis.«
Ich dachte nach. Vier Jahre lang hatte ich nicht mal falsch geparkt. Ich hatte mir ein Jahresticket für die U-Bahn gekauft und am Sonntag, wenn ich die »Krone« las, fast nie ein 50-Forint-Stück reingesteckt. Das war alles schon so lange her. Ich wollte ein bisserl faulenzen und endlich Neumanns »Ursprungsgeschichte des Bewusstseins« lesen.
»Hör auf nachzudenken und sag ja. Irene braucht dich.«
»Irene ist mir egal.«
»Ich brauche dich.«
Das war ein starkes Wort. Ich fühlte in mir ein dumpfes Branden, eine Flut, die drohte einen sorgsam errichteten Staudamm einzureißen. Irgendwie war mir das nicht geheuer, aber es fühlte sich schon auch sehr gut an. Verlockend.
»Gut. Ich fahr hin, schau mir alles an.« Laura hielt noch immer das Handy in der Hand. Sie sprach hinein. »Er kommt. Ja. Sicher. Keine Sorge, er wird sie finden.«
Ich ging in mein Arbeitszimmer, machte den Kasten auf. Dort holte ich mir ein Notizbuch, eine kleine Federschachtel mit Schreibsachen raus, mein Diktafon, den Reserveakku für das Handy, steckte meine Kreditkarten und die Banksachen ein. Ich zog mir eine graue Leinenhose, ein schwarzes Poloshirt, darüber ein leichtes Leinenjackerl und Sportschuhe an. Das dauerte fünf Minuten, ich steckte mir den Neumann ein, denn warten musste ich sicher irgendwo, und dann gab ich Laura ein Bussi auf die Wange. Ihr Körper unter der hauchdünnen Seide fühlte sich warm und weich an.
»Tschau«, sagte ich.
»Denk an mich«, sagte sie.
»Ich meld mich, wenn ich sie habe.«
Damit ging ich zur Tür, ließ sie hinter mir ins Schloss fallen und ging zur Busstation.Ich fühlte mich 15 Jahre jünger.
*
Eine halbe Stunde später war ich bei Irene in der Suite. Weiße Vorhänge, bauschig und herrlich, weiße Säulen, rosa Marmor, Dioritbadewanne, fußballfeldgroßes Bett, alles war da. Sie zeigte mir den Safe beim Bett, die Tür, die Fenster, den Balkon. Es war noch früh, kurz vor acht Uhr, der Ringstraßenverkehr noch kaum zu hören, die Luft kalt, die weißen Vorhänge wehten sachte. Die grüne Kuppel der Karlskirche thronte über dem Dach des Musikvereins. Ich besah mir alles sehr genau. Keine Spuren an der Tür und am Schloss. Keine Spuren an den Fenstern.
»Alles war zu, als du weg warst?«
»Ja. Außerdem waren die Diamanten im Safe. Ich hatte sie drin und auch zugesperrt und so. Das kann doch nicht sein!«
»Sicher.« Ich ging zum Safe. Das war so ein Hotelzimmerding, ein Hartmann HS 471-01. Keine Kratzspuren, keine Beschädigung. Ich machte ihn auf. Auch nichts an der Rückseite.
»Den Safe macht man in 20 Sekunden auf. Das ist nur Dekoration.«
»Den kriegt man nicht auf.«
»Der hat ein elektronisches Tastenschloss. Den Generalschlüssel kannst du in Rudolfscrime in jedem Handyshop für acht Euro kaufen. Der ist so sicher wie ein Taschentuch.«
»Scheiße. Was ist Rudolfscrime?«
»Der XV. Wiener Gemeindebezirk, Rudolfsheim. Kollegialer Ausdruck.«
Irene war wütend und ließ mich allein. Gut so.
Ich blickte mich um, ging nochmal durch die Räume. Dann setzte ich mich zu Irene, die mit übereinandergeschlagenen, langen, schlanken Beinen in der flauschigen Sitzgruppe saß. Sie trug allerliebste kleine Pantoffeln. Der Morgenmantel war mini. Kaum mehr als ein Gürtel. Sie war aufgeregt, nervös, trommelte mit den Fingern.
»Also, ich werd’s nicht weitersagen, hast du wen in der Nacht hiergehabt?«
»Nein, was glaubst du denn?«
»Alles gut, irgendwer muss es ja gewesen sein.«
»So was mach ich nicht.«
»Glaub ich ja nicht.« Ich glaubte es nicht, ich wusste es. Im Badezimmer war der Deckel vom Klo hochgeklappt. Klassiker. Außerdem waren zwei gebrauchte Kondome im Mülleimer gelegen. Wenn Irene keine Geschlechtsanomalie aufwies, war ein Mann da gewesen. Und Irene war eindeutig eine biologische Frau. Die Geschlechtsanomalie wäre niemals gegen den Minimorgenmantel angekommen.
»Gut. Ich werd mir das anschauen. Du musst dir keine Sorgen machen. Bevor dein Mann hier ist, werden wir die Dinger schon finden. Hast du ein Foto?«
»Nein. Nicht hier. Ich hab sie nur zweimal getragen. Sie sind viel zu wertvoll. Ich hab mich damit nicht wohlgefühlt.«
»Wie sehen sie denn aus, kannst du sie mir beschreiben?«
»Der Hauptstein ist rosa, lupenrein, Marquise-Schliff, hat 9 Karat und 15 Punkte. Die anderen sind kleiner, alle so um ein Karat oder ein halbes. Alle rosa.
Keiner der kleinen Steine ist schlechter als VVS1.«
»Was ist das?«
»Very very small inclusion.«
»Okay. Und was heißt das?«
»Bei zehnfacher Vergrößerung nur sehr schwer einsehbar.«
»Gut. Noch irgendwas? Weißt du den Preis?«
»So was hat keinen Preis. Der Stein ist zu groß für eine herkömmliche Schätzung.« Sie biss sich auf die Lippen, hochnervös.
»Gut. Kann ich deine Nummer haben, wenn was sein sollte?«
»Laura hat sie.«
Wenn sie sie mir nicht geben wollte, gut, dann halt nicht. Ich stand auf, ging zur Tür. »Sobald ich was habe, meld ich mich.« Damit ging ich hinaus.
*
Seitdem ich Vater bin, haben sich in meinem Leben ein Haufen Dinge verändert. Ich mache Frühstück, koche Abendessen, Kindergarten, Spielvereinbarungen, Arzttermine, alles lustige Sachen. Da mein Zeitmanagement variabler ist als das von Laura, ihre Klienten rufen auch nachts um eins noch an, habe ich viel zu tun.
Wenn man so viel Anteil am Leben seiner Kinder nimmt, dann lernt man auch jede Menge Eltern kennen. Da wir in modernen Zeiten leben, kommen da unheimlich viele Väter vor und naturgemäß findet man da schnell zusammen. Einen von denen rief ich jetzt an.
Er war Rapid Hooligan, Disponent eines Botenunternehmens, und seine Tochter Paula war die beste Freundin von meinem Max. Ein süßes blondes Mäderl mit vifen Augen, schnell auf den Beinen und ihr bester Freund war ein schwarzer, etwas verfressener Pitbull namens Nero.
Ihren Vater hatte ich kennengelernt, weil wir beide als Eltern bei einem Kindergartenausflug mitgemacht hatten. Er hieß Wolf und wir verstanden uns super. Ich hatte seine Nummer.
»Heast Oida, was rennt?«, fragte er auf der anderen Seite der Leitung.
»Schon bei der Arbeit?«
»Eh, um achte geht die Hackn los.«
»Sag, ihr habt ja auch Radboten bei euch, oder?«
»Sicher, die besten von Wien.«
»Kann ich einen für einen ganzen Tag mieten? Ich brauch einen, der schnell ist und fix im Kopf.«
»So an hamma.«
»Fein. Was kostet der Spaß am Tag?«
»Fünfzehn die Stunde plus Trinkgeld.«
»Super.«
»Willst per Rechnungscheck oder bar?«
»Bar.«
»Wann soll er wo sein?«
»Beim Haupteingang vom Imperial, so schnell wie möglich.«
»Gehtscho.«
»Passt.«
»Eh.«
Wolf legte auf. So, das war es. Mittlerweile hatte ich Geld. Zwar nicht wie Heu, weil ich bin ja kein Agrarökonom, aber doch ausreichend. Das konnte ich mir locker leisten. Ich stellte mich an eine der Linden und wartete. Während ich den süßen Duft der Sommerlinden einatmete, suchte ich im Handy rum.
Etwa acht Minuten später kam ein Typ mit rot-weißem Rennrad, Tarnfleck-Cargoshorts und schwarzem Rennradtrikot an. Auf dem Rennradtrikot war die japanische Flagge zu sehen.
»Hi«, sprach ich ihn an.
»Hi.«
»Ich brauch dich für einen Überwachungsjob. Den ganzen Tag. Du schreibst die Stunden auf. Wenn du die Zielperson nicht verlierst, dann zahl ich dir den Tag nochmal als Trinkgeld. Bis die Person schlafen geht. Rennt das?«
»Geil. Sehr, sehr geil.«
»Ich will wissen, wohin sie geht, wen sie trifft, wie lange sie wo ist, einfach alles, was du rausfinden kannst.«
»Und wenn sie in die U-Bahn einsteigt. Was dann?«
»Wird sie nicht machen, sie fährt Taxi, ist ein Snob.«
»Wie schaut die Person aus?«
Ich war in der Zwischenzeit nicht untätig gewesen und hatte mit meinem Handy Fotos von Irene im Netz gesucht und gespeichert.
»Deine Nummer?«, fragte ich.
»3968567.« Vorwahl verschweige ich.
»Okay.« Ich schickte ihm die Fotos.
»Die kenn ich, machtn geilen Sound. Guter Soul in der Stimme.«
»Ja.«
»Was Schweiniges?«, fragte er grinsend, die braunen Haare aus der Stirn streichend.
»Nein, überhaupt nicht.«
»Schad«, grinste er.
»Wie heißt du?«
»Samot.«
»Hm? Umgekehrt für Thomas?«
»Genau, Botenname.«
»Alles klar. Wenn irgendwas sein sollte, rührst du dich. Ansonsten telefonieren wir, wenn sie schlafengegangen ist.«
»Machen wir.«
»Schönes Rad«, sagte ich.
»Olmo, mit einer Ultegra 6700.«
»Du verlierst sie nicht aus den Augen?«
»Solange sie nicht auf die Autobahn fährt, garantiert nicht.«
»Okay.«
Er schob sein Fahrrad außer Sichtweite. Ich machte mich auf, den zweiten Teil des heutigen Tages zu beginnen. Ich musste mir einen Weg einfallen lassen, wie ich herausfinden konnte, wer gestern Nacht im Imperial Dienst gehabt hatte. Nacht und Abend, besser gesagt. Deswegen ging ich zum Hintereingang.
Eine kleine Treppe führt in der Bösendorferstraße zu einer Tür. Meistens parken ein paar weiße Lieferwagen dort. Manchmal steht auch Personal beim Rauchen rum. So war es auch diesmal. Zwei Leute rauchten Zigaretten. Einer davon etwa 50, älterer Mann mit Pfefferbart und Glatze, das andere ein dunkelhaariges Mädchen orientalischen Typs.
»Hi. Ich war bis gestern Gast bei euch, ich hab was im Zimmer liegen gelassen, aber der Typ, der jetzt an der Rezeption ist, kann mir nicht helfen. Wisst ihr, an wen ich mich wenden könnte?«
Der Mann sah mich verständnislos an, wandte sich dem Mädchen zu. Das sprach ihn an, und, ohne Übertreibung, ich erkannte russische, arabische, französische und englische Worte in ihrem Satz. Er nickte und antwortete in einem ähnlichen Sprachgemengsel.
»Wir wissen schon, wer gestern Nacht Dienst gehabt hat, aber wir dürfen nichts sagen.«
»Das kann ich mir denken. Bei mir ist das allerdings anders. Ich bin Agent Schein, Euro Schein, Eins, Null, Null.«
»Uhh, das ist natürlich was anderes.« Sie übersetzte für ihren Kollegen. Der nickte anerkennend und redete los. Sie übersetzte simultan.
»Nachtportier war der Alfred Braseneder. Der ist nur zweimal in der Woche da, also erst wieder nächste Woche im Hotel. Wo der wohnt, wissen wir nicht. Aber was witzig ist: Der Zeijko Draganovic hat gestern am Abend Gangdienst gehabt, so kleine Sachen, die gemacht werden müssen. Der hat gestern aufgehört, kommt nicht mehr.«
»Wisst ihr, wo der wohnt?«
»Wir nicht, aber Agent Zahlungsmittel, Offizielles Zahlungsmittel, mit Dienstnummer Fünf, Null, der wüsste das.«
»Na, dann soll er mir das sagen.« Ich holte meine Geldtasche heraus und entnahm ihr einen Fünfziger.
»Der wohnt mit seiner Tussi Leibnizgasse 13. Wir waren mal dort. Sie ist eine ziemliche Bitch, hat auch mal bei uns gearbeitet.«
»Super. Wie war das, warum hat er aufgehört, was wisst ihr da?«
»Er hätte Doppelschicht haben sollen, gestern Nacht und heute Vormittag. Er ist aber mitten in seiner Schicht gegangen, irgendwann gegen eins in der Nacht. Man hat ihn angerufen, aber er hat nicht abgenommen.«
»Daraus schließt ihr, dass er gekündigt hat?«
»Kündigen tut niemand, er wird halt einfach nicht mehr kommen.«
»Das ist doch ein gutes Hotel, warum stellen die solche Leute an?«
»Weil sie billig sind.«
»Non olet«, sagte der Fünfziger mit dem Pfefferbart und schnippte seine Zigarette weg. Sofort saß die nächste im Mundwinkel. Er gab sich selbst Feuer. Mit einem goldenen Zippo.
»Jedes Jahr kommen 70.000 Neue vom Balkan nach Wien. Das drückt den Preis. Fragen Sie einmal, wie viele versichert und offiziell angestellt sind?«
»Wie viele sind offiziell angestellt und versichert?«
»Das können wir nicht sagen, weil wir bei Dienstantritt einen Vertrag unterschrieben haben, der uns haftbar macht für die Weitergabe von Interna.«
»Ah, doch so viele.«
»Ja genau, praktisch jeder im Management und der Chefkoch.« Das junge Mädchen nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette.
»Wenn wir schon reden: Kommen viele Sachen weg, hier im Hotel?«
»Knebelvertrag. Aber Agent Banknote, druckfrische Banknote, mit der Dienstnummer Zwei, Null, der wüsste das.« Also nahm ich einen 20-Euro-Schein aus der Geldtasche.
»Offiziell haben wir in diesem Millennium noch keinen Diebstahl gehabt, aber inoffiziell verlieren manchmal Leute was. So ein- oder zweimal im Jahr. Das wird dann aber immer vom Hotel ersetzt.
»Und was sind das so für Sachen?«
»Kleinigkeiten, manchmal Schuhe, eine Xbox oder ein Ring. Nichts, was Aufregung verursachen könnte.«
»Ah, niemals gierig werden.«
»Genau.«
»Leben und leben lassen«, sagte der Fünfziger mit dem Pfefferbart. Er schnippte den nächsten Tschick weg.
»Wir müssen weitermachen«, sagte das Mädchen. Ich gab ihr den Zwanziger.
»Hey und der Rest?«
»Könnt ihr behalten, ist Trinkgeld«, sagte ich und machte mich davon. Ich ging, so schnell ich konnte, ohne ins Laufen zu kommen. Hinter mir hörte ich kein Fußgetrappel. Das war gutgegangen. Ich habe jetzt zwar mehr Geld als früher, aber zum Fenster rausschmeißen brauch ich es trotzdem nicht. Sobald ich in der Straßenbahn saß, notierte ich mir die Ausgaben in meinem Notizbuch. Ordnung muss sein, dachte ich mir und bereute den Gedanken sofort wieder. Aber die Ausgaben ließ ich stehen. Man kann nicht verleugnen, was aus einem geworden ist.
*
Es gab nun zwei Dinge zu tun. Zum Ersten musste ich den Draganovic finden. Man sollte zwar meinen, dass Leute niemals so blöd wären, direkt nach einem solchen Diebstahl zu kündigen, aber der Mensch ist dümmer, als man denkt. Dazu sei zu sagen: Also ich bin der Meinung, dass etwa 98,7 Prozent der Menschheit Vollkoffer sind, an guten Tagen. Wenn es neblig ist und ich die Innenpolitikseiten lese, dann tendiere ich dazu, in die hohen 99er zu gehen.
Zur Ehrenrettung von Herrn Draganovic sei allerdings gesagt, dass ein Diamantcollier alle Vernunft sprengt. Vor allem wenn man ein kleiner Hotelangestellter ist, der mit 100 Euro rechnet und Märchenjuwelen findet. So viel zu Draganovic.
Weiters galt es herauszufinden, was ein solches Collier wert ist, wo man das verkaufen könnte und solche Sachen. Dafür hatte ich schon einen Ansprechpartner. Schließlich, drittens, war die Sache mit dem Nachtportier zu klären. Wer war gestern Nacht gegangen, oder heute in der Früh, der nicht im Hotel gemeldet war. Ich war mir zwar sicher, dass Irene den Mann, der die beiden Kondome befüllt hatte, heute im Laufe des Tages aufsuchen würde, aber sicher ist sicher. Außerdem gab es sonst noch ein paar Dinge, die ich wissen wollte.
Dann musste ich noch eine Wohnung finden für die Woche, weil zu Haus, das ging nicht. Airbnb, irgendwas Billiges. Aber das ließe sich nebenher machen. Es gab viel zu tun. Ich spürte die Aufregung, das Adrenalin, die Gier der Jagd, alle Müdigkeit war abgefallen. Mir war gar nicht aufgefallen, wie sehr ich das alles vermisst hatte. Vater sein ist schön, verantwortungsbewusst sein ist wichtig und älter werden ist unvermeidlich. Aber Gas geben und leben schlägt alles andere.
So saß ich in der 6er Straßenbahn und stieg am Quellenplatz aus. Dort oben in Favoriten ist Wien am wienerischten. Das Seltsame ist allerdings, dass kaum mehr Wiener da sind. Korrigiere: Wiener sind schon da, bloß nicht solche, wie man das meinen möchte.
Auf jeden Fall ging ich an braungrauen Betongebäuden vorbei, in denen Swingerklubs untergebracht waren, kam an Konya Etli Ekmek vorbei und stand schließlich vor der Leibnizgasse 13. Die Fassade schien heruntergekommen, Graffiti an der Wand und man merkte der Haustür an, dass sie schon etliche Versuche überlebt hatte, ohne Schlüssel geöffnet zu werden. Ich besah mir die Klingelschilder. Von Draganovic stand nichts dort. Hm, ich hätte nach der Wohnungsnummer fragen sollen, früher hätte ich das gemacht. Ich war eingerostet. Als ich noch so da stand, blickte mir jemand über die Schulter. Der Jemand fluchte.
»Was denn?«, fragte ich.
»Packerl für Draganovic hab ich, aber steht nix auf Schild.«
»Ich bin Draganovic, wohne auf Tür 9.«
»Echt jetzt?«
»Sicher.«
»Vorname ist welcher?«
»Zeijko.« Ha, den hatte ich mir gemerkt. Ich war stolz auf mein Gehirn. Ist eine Bombenmaschine, das Ding, obwohl mittlerweile fast 40.
Der Mann vom Paketdienst sah mich seltsam an. Dann blickte er auf sein Display.
»Hey, du hast falsche Nummer gegeben, du wohnst Tür 10.«
»Blödsinn, das Haus ist alt, die haben Wohnungen zusammengelegt, heißt eigentlich 9–10.«