Seelenschacher - Martin Mucha - E-Book

Seelenschacher E-Book

Martin Mucha

4,5

Beschreibung

Den schlecht bezahlten Wiener Universitätslektor Arno Linder plagen einmal mehr die Geldsorgen. Da kommt es ihm gerade recht, dass ihn ein alter Bekannter um einen Gefallen bittet. Bruder Erich, der Sekretär und Vertraute des Wiener Kardinals Gutbrunn, hat ein seltsames Anliegen: Ein kleines privates Kreditbüro akzeptiert die Seelen seiner Kunden als Sicherheit. Mutter Kirche ist natürlich beunruhigt und will sich informieren. Die Aussicht auf ein Nebeneinkommen und die eigene Neugier drängen Arno dazu, den Auftrag anzunehmen. Nicht ahnend, dass er damit schon bald knietief in neuen Schwierigkeiten steckt …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 405

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,5 (31 Bewertungen)
20
6
5
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cover

Titel

Martin Mucha

Seelenschacher

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2011–Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2011

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Bubbels / sxc.hu

ISBN978-3-8392-3632-1

Vorwort

Raymond Aronofsky appears courtesy of Thomas Welte

Patrick McAllister Dank für Rat und Ohr

»Eines Tages gebot die Vorsehung

den Kräften der Natur Einhalt.

Sie ließ dreizehn Tage wie Samt und Seide

über dem Nanga Parbat aufgehen …«

Paul Bauer über den Alleingang von Hermann Buhl,

den Erstbesteiger des Nanga Parbat

Kapitel 1

I

Ende Juli ist nicht viel los auf dem Institut für Klassische Philologie der Uni Wien. Die Hörsäle sind leer, das Sekretariat ganztags unbesetzt, und auch die Bibliothek hat nur für ein paar auserwählte Stunden, gewöhnlich Freitagvormittag, geöffnet. Dann, wenn sämtliche Philologen schlafen. Alles ist leer und still. Kein Wunder, bei der subtropischen Hitze, die zu der Zeit in Wien herrscht. Wenn das Hemd auf der Haut und die Schreibhand am Papier kleben bleibt. Wenn die Straßen nach Bananenschalen und Hundepisse riechen. Wenn nur ein Büro besetzt ist. Meines.

Die Sache schimpft sich wissenschaftlicher Journaldienst und bleibt immer am Jüngsten hängen. Wenigstens hatte ich das Büro ganz für mich allein. Die beiden Dissertanten, mit denen ich mir den winzigen Raum während des akademischen Jahres teilen muss, ließen sich nicht blicken. Somit bestand meine ganze Gesellschaft aus Aktenschränken und Topfpflanzen. Die Aktenschränke waren vollgeräumt, die Topfpflanzen tot. Also hielt sich der Zwang zu Smalltalk in Grenzen.

Ich verbrachte also den Sommer damit, in meinem Büro zu sitzen und an meiner Habil zu basteln. Während der langen, einsamen Stunden kann man förmlich zusehen, wie die angenehme Kühle des Morgens der brütenden Hitze des Mittags weicht, um im Laufe des Nachmittags in drückende Schwüle überzugehen. An guten Tagen beginnt es um halb vier zu regnen. In großen, schweren Tropfen. Wer dann keine brauchbare Tasche hat, dem verläuft auf dem Nachhauseweg die Tinte der Manuskripte, und ein ganzer Tag voller Arbeit ist dahin. Ist mir schon passiert, seitdem kleidet ein Plastiksackerl vom Hofer meine alte Ledertasche innen aus. Hässlich, aber zweckmäßig.

An jenem Mittwoch kletterten die kleinen Celsiusse fleißig nach oben, bis zum Mittag war es noch ein Stückchen Zeit. Ich hatte mir gerade eine neue Tasse Tee eingeschenkt, die Füße seitlich auf den Schreibtisch gelegt und weidete mich am Anblick der mumifizierten Topfpflanzen, die mir mein Vorgänger hinterlassen hatte, als es an der Tür klopfte. Den Blumenmumien ging es besser als mir, ihre Ruhe würde niemand mehr stören können. Sauer rief ich »Herein«, und die Türe öffnete sich. Ein kugelrunder Kopf auf einem kugelrunden Torso erschien. Der Torso steckte in einer schwarzen Cappa, unter der das Weiß des Habits hervorlugte. Die Kopfkugel war haarlos, glatt und glänzte schweißig. Um den unter Doppelkinnen verschwundenen Hals hing ein schönes, einfaches Silberkruzifix. Es schwang gegen seine Brust, die sich hob und senkte, als Bruder Erich nach Atem rang. Offensichtlich war er die Philosophenstiege zu Fuß heraufgestiegen. Einen Mann wie ihn konnte das umbringen.

»Servus, Erich, nimm Platz.« Ich wies auf einen der Studentenstühle hin, der vor meinem Schreibtisch stand. »Einen Tee?«

»Gern.« Erich setzte sich mühsam. Seitdem ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er noch ein bisschen in die Breite gewachsen, der Stuhl war ihm zu klein. Eine fettgepolsterte Hand erschien und nahm die Teeschale entgegen. Die Hand war fast eine Kugel, die Finger schienen aus jeweils drei Kugeln zu bestehen.

»Wie ich sehe, eiferst du noch immer dem heiligen Thomas nach. Wie ich höre, mussten sie die Treppe seines Turms abreißen, um seine Leiche abtransportieren zu können.«

»Das kann mir nicht passieren, ich lebe nicht in einem Turm.«

»Gut zu wissen, dass du dir der Gefahr bewusst bist.«

»Arno, lass die Späße, ich bin wegen was Ernstem hier.«

»Meinst du, dein Leibesumfang sei keine ernste Angelegenheit? Fett ist tödlicher als Blei.«

Er ignorierte meine letzte Weisheit und zündete sich einen Zigarillo an. Das tut er nur, wenn er nervös ist. Ich schob ihm ein leeres, staubiges Glas hin. Er aschte hinein.

»Also, worum geht’s?«

Erich inhalierte tief, was den Kugeleindruck noch verstärkte, blies aus und schaute an mir vorbei zum Fenster hinaus in den Lichthof.

»Kannst du jemanden beschatten, herausfinden, was er so treibt, welche Motive er hat, ob es irgendeinen schwachen Punkt gibt und dergleichen?«

»Warum gehst du nicht zu einem Profi? Der ist nicht teurer als ich und kann das wahrscheinlich besser.«

»Weil das eine heikle Sache ist und ich nicht jedem zutraue zu verstehen, worum es da geht.«

»Handelt der Mann etwa mit geklauten altgriechischen Partikeln?«

»Nein.« Erich inhalierte und sah mich ernst an, dabei verschwanden seine kleinen schwarzen Äuglein fast hinter dem Fett seiner Tränensäcke und Lider. Wieder blies er aus, wie weiland Moby Dick. »Er handelt mit Seelen.«

Da musste ich schlucken. Schenkte mir Tee nach, leerte meine Schale mit einem Schluck, doch es half nichts. Also füllte ich sie wieder, führte sie an die Lippen und trank aus. So war es besser. Ich stellte die Schale ab.

»Mit Seelen?«

»Du hast es gehört.«

»Wie macht er das, en gros, Import-Export, kauft oder verkauft er sie?«

»Genau weiß ich das nicht, ich weiß nur, dass er mit Seelen Handel treibt.«

»Und woher weißt du das?«

»Das geht dich gar nichts an.«

»Doch, wenn ich für euch arbeiten soll, schon. Der Mann ist entweder ein Genie oder ein Idiot. Wahrscheinlich beides.«

Erich schwieg.

»Was willst du von ihm, hast du vor, deine Seele zu verschachern?«, bohrte ich nach.

»Keineswegs.«

»Aha! Er wildert in eurem Revier, einzig die allein selig machende Mutter Kirche hat das Recht, ein Interesse an Seelen zu haben. Es geht also um euer Monopol. Darum willst du, dass ich ihm nachschnüffle.«

»Mach dich nicht lächerlich, wir haben kein merkantiles Interesse an den Seelen unserer Mitmenschen.«

»Wirklich nicht? Habt ihr nicht so den Petersdom finanziert?«

»Na ja, damals schon, aber diesmal ist es anders.« Erich druckste herum.

»Es geht darum herauszufinden, was hinter dem Mann steckt. Hab ich recht? Dass er hier und da Seelen kauft, stört euch nicht so, aber dass …«

»Jede Seele ist gleich wichtig und muss gerettet werden«, unterbrach mich Erich. »Und warum sagst du immer ›Euch‹, ich will dich engagieren.«

»Ach wo, du kommst direkt vom Kardinal, er will zuerst Fakten haben, bevor er etwas gegen den Mann unternimmt. Darum bist du hier.«

»Ja, schon. Es ist eine heikle Angelegenheit, wir müssen über den Mann so viel in Erfahrung bringen wie möglich. Wir sind in letzter Zeit in ein paar Fettnäpfchen getreten, das muss unter allen Umständen vermieden werden. Wir können uns keine weiteren Patzer leisten.« Erich wand sich wie ein Wurm, er fühlte sich sichtlich unwohl. Irgendwas war da noch im Busch.

Plötzlich wurde mir klar, was Erich so verunsicherte.Ich lächelte und schenkte mir nach. Als ich ausgetrunken hatte, bemerkte ich beiläufig: »Ihr habt Angst, dass der Mann nicht einfach ein gerissener Geschäftemacher ist, sondern dass mehr dahintersteckt. Pferdefüße und Bockshörner etwa, und ein bisschen Schwefel.«

Erich sah mich erstaunt an, hatte sich jedoch gleich wieder im Griff.

»Es wäre möglich. Na, was ist, hast du Interesse?«

»Sicher. Klingt enorm spannend. Was hast du dir dabei vorgestellt?«

»Du könntest herausfinden, in welchem sozialen Umfeld er lebt, was er sonst noch so treibt. Über welche Kontakte der Mann verfügt und wie viele Seelengeschäfte er abgeschlossen hat. Vor allem wollen wir wissen, welche Absichten er hegt.«

»Du meinst, wie er darauf gekommen ist, gerade diese Art von Geschäft zu machen.«

»Genau. Außerdem etwas, das sich im Notfall als Druckmittel verwenden lässt. Kannst du das?«

»Ein Versuch ist möglich. Billig wird es nicht.«

»Ich hab dich um einen Freundschaftsdienst gebeten und du denkst dabei nur an Geld? Stell dir doch vor, wenn …«

»Das ist mir alles egal, die Wirtschaftskrise hat mir meinen Sommerjob genommen. Ich kann die Miete noch genau einen Monat zahlen, so wie’s aussieht, lande ich um Weihnachten herum auf der Straße. Da sind mir deine Schauermärchen völlig gleich. Das Fressen kommt vor der Moral, wie der große Bert es so schön formuliert hat.«

»Viel können wir dir nicht zahlen, das musst du verstehen.«

»Sterben muss ich, sonst nichts. Wenn ihr zu wenig zahlt, mach ich’s nicht.«

»Gut, ich werde mit den anderen sprechen, aber eigentlich war dafür kein Geld vorgesehen. Du musst verstehen, alle sind furchtbar nervös, ich weiß nicht, was sie sagen werden, wenn ich ihnen klarmache, dass unser Mann nur für Geld zu haben ist.«

»Nur für Geld.«

Erich nickte. »Na gut, ich werde schauen, was sich machen lässt. Du hörst von mir am Nachmittag.« Er erhob sich schnaufend.

»Erich«, unterbrach ich seine Bemühungen, »du weißt, dass es in Wirklichkeit keine Seelen gibt?«

»Arno, du kennst schon das Stoßgebet des Atheisten?« Er machte sich auf den Weg zur Tür.

»Nein.«

»Lieber Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine habe.«

Mit diesen Worten war er zur Tür hinaus. Ich blieb allein zurück. An Arbeit war jetzt nicht mehr zu denken. Kurz nach drei läutete das Telefon, ich nahm ab, nickte, packte meine Sachen zusammen und ging hinaus. Der Journaldienst würde sich auch von alleine machen. Draußen öffneten sich zu meiner Begrüßung die Wolken, und als ich in der U-Bahn saß, war ich völlig durchnässt. Aber meine Wohnung war bis Silvester bezahlt.

II

Ich kannte Erich noch vom Studium her. Einmal hatte ich an einer Exkursion ins Dominikanerkloster an der gleichnamigen Bastei im ersten Bezirk teilgenommen. Erich war damals unser Führer gewesen, als wir uns die Handschriften ansahen, die dort aufbewahrt wurden. Irgendwie gerieten wir in eine Diskussion über die Summa Theologica, und danach liefen wir uns öfter über den Weg. Bruder Erich war ein scharfsinniger und belesener Mann, der nicht nur an Leibesumfang dem Aquinaten gleichkam. In letzter Zeit hatten wir uns ein wenig aus den Augen verloren, auch weil er wusste, mit was ich mein mageres Lektorengehalt so aufzubessern pflege. Er musste ordentlich Karriere gemacht haben, denn wie kam er sonst dazu, pikante Aufträge für den Kardinal auszuführen, Gutbrunner war ein äußerst vorsichtiger Mann. Doch wie alle in seiner Umgebung hatte er einen Fehler, er nahm seinen Glauben zu ernst. Warum sollte er sonst einen Mann bezahlen, der ausziehen sollte, um den Teufel zu fassen? Wenn der denn hinter der Sache stecken sollte.

Ich konnte sie in meinem Geiste vor mir sehen, die aufgeregten alten Herren, in ihrer Angst vor dem Antichristen, wild durcheinander rufend. Ein paar mit Verstand mussten dabei sein, ein paar, die wussten, dass sie mit so etwas nicht an die Öffentlichkeit gehen konnten, ohne ausgelacht zu werden. Ich musste unwillkürlich vor mich hin lachen. Dass mein Gegenüber in der U-Bahn, ein älterer Herr mit Anzug und Regenschirm, mich missbilligend betrachtete, war mir egal.

Ich sollte so etwas wie den Advocatus Diaboli spielen. Das war derjenige, der im Verfahren der Heiligsprechung dem zukünftigen Sanktus alle Fehler, die er finden konnte, anzukreiden hatte. Ein Schutzmechanismus, der verhindern sollte, dass allzu vielen Unwürdigen diese Ehre zufiel. Allein ich hatte hingegen die Aufgabe herauszufinden, ob der Mann unschuldig war. Darum war auch Erich zu mir gekommen. Weil ich Atheist bin und an den ganzen Hokuspokus nicht glaube. Man wollte einen Außenstehenden, einen Neutralen. Offensichtlich nahmen die hohen Herren die Angelegenheit noch ernster, als ich ursprünglich angenommen hatte. Ich hatte höllisch aufzupassen, nicht dass ich noch einen unschuldigen Kredithai der Inquisition auslieferte.

Damit ließ ich die unangenehmen Gedanken beiseite, stieg aus und ging die U-Bahn-Station Schweglerstraße hinauf, dorthin, wo der Kredithai sein Büro hatte, Ecke Tannengasse/Märzstraße, mitten im 15. Bezirk, direkt vor meiner Haustür. Als ich aus dem U-Bahn-Schacht heraus in den Regen trat, der in warmen, großen Tropfen vom Himmel fiel, konnte ich es kaum mehr erwarten, diesem Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen.

Sein Büro lag genau an der Ecke. Zwischen einer kroatischen Bar mit Flachbildschirm und einem Kindergarten der Stadt Wien. Auf der anderen Seite der Tannengasse, vis-à-vis des Kindergartens, befindet sich der Reithofferpark. Mit Tauben, Fußballkäfigen und einem Gewusel kleiner, dunkelhaariger Kinder, deren Mütter auf den Bänken saßen und Sonnenblumenkerne knackten.

Neben der Eingangstür prangte ein großes Schild, in der Farbe milchigen Hellblaus, auf der in schwarzer, serifenloser Schrift stand: »Korkarian Kredite«, nebst jeder Menge Zusatzinformationen über fiskalische Produkte, die angeboten wurden. Außerdem noch ein paar Zeilen in verschiedenen Sprachen, die ich nicht beherrsche. Von Seelenhandel stand dort nichts. Die Öffnungszeiten waren jedoch wohlwollend, von sieben Uhr morgens bis elf Uhr nachts. Außerdem gab es die Möglichkeit, 24 Stunden am Tag telefonisch einen Termin zu vereinbaren, wenn man um drei Uhr morgens einen Ferrari kaufen wollte, etwa. Oder eine neue Knarre, um endlich ein gewichtiges Argument in den Ehestreit mit einbringen zu können. Es war einer jener Läden, die man aufsucht, wenn einem die Bank kein Geld mehr gibt, das Konto unter Lohnpfändung steht und der Privatkonkurs nur noch durch den plötzlichen Tod der Erbtante aufgehalten werden kann. Alles schon gehabt. Diese Art von Läden sah man neuerdings öfters im Straßenbild. Sie waren im Zuge der Kreditkrise aus Dönershops oder Handyläden entstanden und wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die meisten waren schon wieder verschwunden.

Während ich so dastand, dass man mich von drinnen nicht sehen konnte, und las, tropfte das Wasser aus den vollen Regenrinnen herunter, bildete Lachen auf dem Asphalt des Trottoirs und erreichte endlich auch meine Unterhose. Nun, da an meinem Körper kein trockener Fleck mehr zu finden war, beschloss ich, zuerst in der kroatischen Bar nebenan mein Glück zu versuchen. Immerhin hatten die Segafredo.

In der winzigen Bar war ich der einzige Gast. Der Fernseher an der Hinterwand lief und zeigte irgendeine Premier-League-Partie. An der Wand hingen ein paar Fotos und eine kroatische Fahne. Bei einem hübschen Mädchen bestellte ich einen doppelten Espresso, und als meine Bestellung kam, versuchte ich, sie ein wenig über den Kredithai nebenan auszufragen. Nebenbei trank ich meinen Espresso, er war weder heiß noch gut, und wenn es ein Segafredo war, na dann wollte ich einen Besen fressen, samt Putzfrau.

Das Mädchen war noch keine 20, blond, mit ein paar Sommersprossen auf der Nase, und da ihr offensichtlich langweilig war, unterhielt sie sich mit mir, während mir das Regenwasser aus der Hose lief, um auf dem Boden kleine Lachen zu bilden. Über den Kredithai wusste sie nichts. Als ich schon aufgeben wollte und zahlte, beugte sie sich ein wenig nach vorn, schielte nach links und rechts, und meinte: »Er ist Jude.« Dann steckte sie mein Geld ein, nickte ernst, und ich ging hinaus.

Es regnete noch immer. In meinen Schuhen quatschte es. Ein Jude als Seelenhändler, das hatte mir noch gefehlt. Meine würdentragenden Auftraggeber waren sicher aufgeklärte Weltbürger, aber schon allein das Wort klerikaler Antisemitismus ließ mich im warmen Sommerregen frösteln. Wenn ich das Erich erzählen würde, wer weiß, vielleicht würde ich noch ein Autodafé erleben. Jetzt, wo der gegenwärtige Papst das Haupt der Inquisition gewesen war, bevor er Petris Amt übernommen hatte. Würde in der Kronenzeitung sicherlich eine nette Schlagzeile abgeben, und was Wolf Martin darauf reimen würde, ließ sich denken. Ich holte tief Luft und trat ein.

Das Innere des Kreditbüros war ein bisschen enttäuschend. Fast hatte ich ein paar rauchende Kerzen, Totenschädel und Phiolen mit blubberndem Inhalt in Rot und Grün erwartet. Doch es gab nur zwei Schreibtische, eine Tür, die nach hinten führte, und neben ihr einen Wasserspender. An den Wänden hingen ein paar Kurstafeln und Werbeplakate. Das leise Surren der Computerkühler war das einzige Geräusch, das zu hören war. Alles war modern und sachlich, nicht die geringste Spur von Eschatologie hing in der Luft.

Die beiden Arbeitsplätze waren unbesetzt, und es lagen ein paar Ausdrucke mit Tabellen darauf herum. Ich schaute mich um, doch es war niemand zugegen. Fast wäre ich an einen der Tische herangetreten, um mir das Papier und die Computer ein wenig näher anzuschauen, als ich mich dann doch entschloss, mein Hirn einzuschalten, und zuerst einmal an den Wänden hochschaute. Und da waren sie ja auch: zwei kleine Überwachungskameras. Unter beiden leuchtete ein roter Punkt, also waren sie eingeschaltet. Das mit dem Herumstöbern konnte ich mir aus dem Kopf schlagen. Ich räusperte mich und rief: »Hallo, ist jemand anwesend?« Dabei bemühte ich mich, einen respektablen Ton zu treffen.

Es dauerte ein bisschen, dann hörte ich hinter der Tür ein paar Geräusche, und es trat jemand ein. Eine junge Frau schloss die Tür hinter sich und kam auf mich zu. Sie hatte langes, lockiges, dunkles Haar und dunkle Augen mit den geschwungenen Augenbrauen einer byzantinischen Prinzessin. Sie trug einen dunkelbraunen, dünnen Pullover und einen grauen, glockenartigen Rock, der knapp über den Knien endete. Beides eng anliegend, denn da war nichts, weswegen sie sich schämen hätte müssen. Eine silberne Kette trug sie um den Hals, ansonsten keinen Schmuck. Auch geschminkt war sie fast gar nicht.

Mit einer Armbewegung bot sie mir einen Platz an und während wir uns setzten, fragte sie: »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin wegen eines Kredits gekommen …«

»Dass Sie nicht zum Kokosnüsseernten da sind, kann ich mir denken. Schließlich ist das ein Kreditbüro.«

Sie sprach mit einer leichten Melodie, und ihre Verschlusslaute waren undeutlich moduliert, so als würde sie sich ein wenig über sie hinwegmogeln. Außerdem sprach sie in vollem Ernst. Da war keine Spur eines Lächelns, weder in ihrer Stimme noch in ihren Augen. Das Gesicht war sowieso ganz Pokerface. Ich hatte genug Stunden als Croupier hinter Spieltischen verbracht, um das beurteilen zu können.

»Ich habe gehört, es gibt bei Ihnen spezielle Konditionen, die man woanders nicht finden kann. Deswegen bin ich hier.«

»Wir haben jede Menge sehr guter Angebote, welches schwebt Ihnen vor?« Dabei blätterte sie in einem der Prospekte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen, ohne mich auch nur eine Millisekunde aus den Augen zu lassen.

»Da wären Blitzkredite, sehr beliebt, Sie können das Geld sofort mitnehmen, in bar selbstverständlich. Die Zinsen hängen von der Laufzeit ab, zwischen drei und 21 Tagen. Ansonsten gibt es noch …«

»Nein«, unterbrach ich sie, »ich bin wegen meiner Seele hier.«

Augenblicklich hielt sie in ihrem Sermon inne und fixierte mich. Wenn ich geglaubt hatte, vorher im Fokus ihrer Aufmerksamkeit zu sein, hatte ich mich geirrt. Jetzt war ich es, und mir war nicht wohl dabei. Irgendwie kam ich mir vor wie ein Impala, dem der Löwe ins Auge blickt.

»Wir sind keine Kirche, die befindet sich die Märzstraße hinauf, am Kardinal-Rauscher-Platz, vis-à-vis des Elisabethspitals.«

»Ich habe gehört, Sie würden Seelen kaufen. Deswegen bin ich hier, ich habe eine anzubieten, ein bisschen abgewohnt zwar, aber immerhin.«

»Na gut.« Wenn möglich, war sie jetzt noch ernster als zuvor. »Allerdings kaufen wir keine Seelen, sondern nehmen sie lediglich als Sicherheit. Wenn Sie Ihren Kredit nicht bedienen können, dann und nur dann wechselt sie den Besitzer.«

»Was ist, wenn ich von vornherein gar keine Absicht habe, den Kredit zu bedienen? Schicken Sie mir dann ein Inkassokommando nach Hause?«

»Nein. Ganz sicher nicht. Uns gehört ja dann Ihre Sicherheit.«

»Sie wären das erste Büro dieser Art, das kein Inkassokommando unterhält. Für gewöhnlich sind das die großen Kerle mit den Baseballschlägern und den Problemen mit der Aggressionskontrolle. Die wahrscheinlich dort hinter der Tür gelagert sind. Haben Sie sicher schon gesehen.«

»Ich bin nicht naiv. Natürlich haben wir gewisse Mittel zur Verfügung, wenn es die Zahlungsmoral säumiger Kunden zu stärken gilt. Wenn wir allerdings Sicherheiten haben, dann ist das nicht nötig.«

»Aber es ist doch nur eine Seele.«

»Genaugenommen ist es nur ein Stück Papier, auf dem das steht.«

»Also kann jeder kommen und sich Geld abholen? Einfach so?«

»Nein, keineswegs. Er oder sie hinterlässt ja die eigene Seele.«

»Und ich kann nicht zweimal kommen?«

»Nein, der Schöpfer in seiner Gnade hat jedem Menschen nur eine Seele verliehen. Wenn die weg ist, ist sie weg.«

»Und was ist mein Unikat wert?«

»Sie ist uns gut für 500 Euro.«

»Nicht mehr? Schließlich hat Gott der Herr nur Einzelstücke angefertigt. Wird das nicht honoriert?«

»Die Bewertung Ihrer Sicherheiten obliegt uns allein. Wenn unsere Konditionen Ihnen unangemessen erscheinen, können Sie sich ja einen anderen Kreditpartner suchen.«

»Na gut, Sie haben mich in der Hand, ich brauche das Geld. Schließlich zahlt der Pfandleiher auch nie den vollen Wert für das Familiensilber. Wie steht es mit den Zinsen?«

»Laufzeit fünf Monate, jeden Monat 20%.«

»Das ist Wucher.«

»Genau.«

»Ich lasse Ihnen nur meine Seele, sonst nichts?«

»Sicherlich, nur Ihre Seele.«

»Na gut, wo muss ich unterschreiben?« Ich hatte schon in meine Jackentasche gegriffen und meine Füllfeder herausgeholt.

»Diese speziellen Fälle betreut mein Vater, aber er ist momentan geschäftlich unterwegs. Wenn Sie also wollen, dann kommen Sie heute Abend so gegen acht noch mal vorbei. Wir haben dann den Vertrag aufgesetzt und Sie haben noch etwas Zeit, sich die ganze Sache durch den Kopf gehen zu lassen.«

»Sehr gut, bis heute Abend dann.« Ich steckte meinen Füller wieder ein und stand auf.

»Wenn Sie es sich bis dahin anders überlegt haben sollten, ist das für uns überhaupt kein Problem. Bedenken Sie gut, es ist Ihre Seele, die Sie einsetzen.«

Ich verabschiedete mich und ging hinaus. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, heiß und schwül war es noch immer. Auf dem Gehsteig befanden sich große Regenlachen, in denen die Blüten der Sommerlinden schwammen. Ich ging nach Hause.

III

Zu Hause holte ich meine Flasche aus der Ledertasche und schenkte mir einen Schluck Tee ein. Ich trank ihn aus und legte die nassen Kleider ab. Dann ging ich nackt zum Fenster, öffnete es und setzte mich in meinen Lehnstuhl, den ich vors Fenster zog. Ich wollte schon die Musik einschalten, besann mich jedoch eines Besseren und holte stattdessen mein Handy heraus und wählte. Es läutete ein paar Mal, dann wurde abgenommen.

»Hi, Reichi, Arno da.«

»Servus.«

»Juristische Auskünfte zu haben?«

»Sicherlich. Wenn du zahlen kannst.«

»Lass die Witze. Kann man seine Seele als Sicherheit bei einem Kreditabschluss einsetzen? Hält so was vor Gericht?«

»Wie meinen?«

»Kann man einen Vertrag über eine Seele schließen? Verstößt das nicht gegen die guten Sitten?«

»Hm, weiß nicht. Wie sollte es überhaupt zu einem Verfahren kommen? Der eine hat die Seele, der andere das Geld. Der mit dem Geld wird doch nicht so blöd sein und seine Seele zurückfordern, er hat ja schließlich das Geld. Der andere wollte ja die Seele, die hat er auch.«

»Was aber, wenn er sich das anders überlegt. Das meine ich. Was ist, wenn er das Geld hat und der andere will es wiederhaben, kann er einen Prozess anstrengen?«

»Anstrengen schon, doch den wird er verlieren. Wenn das Ganze auf Papier steht. Sag bloß, du hast deine Seele verkauft.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!