Das einsame Haus am Fluss - Joanna Hines - E-Book
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Das einsame Haus am Fluss E-Book

Joanna Hines

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Beschreibung

Das tödliche Geheimnis eines Sommers: Der spannungsvolle England-Roman »Das einsame Haus am Fluss« von Joanna Hines als eBook bei dotbooks. Wenn deine Erinnerungen eine einzige Lüge sind … Die unbeschwerten Sommertage enden für die Londonerin Helen abrupt, als ihre Freundin Carla ermordet aufgefunden wird. Sie ist sich sicher, dass sie in der Nacht vor Carlas Tod gemeinsam unterwegs waren … doch warum liegt über ihren Erinnerungen ein Nebel, der alles so furchtbar verschwimmen lässt? Der Polizei kann sie ihren vagen Verdacht unmöglich anvertrauen, und so beschließt Helen, selbst herauszufinden, welche Geheimnisse ihre Freundin vor ihr verborgen hat – ebenso wie Carlas Mann, der zurückgezogen in einem alten Haus am Fluss lebt. Doch warum sieht er Helen immer so an, als ob er ihre schlimmsten Ängste und dunkelsten Gedanken kennen würde? »Joanna Hines ist neben Minette Walters und Frances Fyfield eine der besten psychologischen Thrillerautorinnen.« Life Magazin Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Spannungsroman »Das einsame Haus am Fluss« von Joanna Hines – für alle Fans der Weltbestseller »The Girl on the Train« und »The Woman in the Window«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 630

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Über dieses Buch:

Wenn deine Erinnerungen eine einzige Lüge sind … Die unbeschwerten Sommertage enden für die Londonerin Helen abrupt, als ihre Freundin Carla ermordet aufgefunden wird. Sie ist sich sicher, dass sie in der Nacht vor Carlas Tod gemeinsam unterwegs waren … doch warum liegt über ihren Erinnerungen ein Nebel, der alles so furchtbar verschwimmen lässt? Der Polizei kann sie ihren vagen Verdacht unmöglich anvertrauen, und so beschließt Helen, selbst herauszufinden, welche Geheimnisse ihre Freundin vor ihr verborgen hat – ebenso wie Carlas Mann, der zurückgezogen in einem alten Haus am Fluss lebt. Doch warum sieht er Helen immer so an, als ob er ihre schlimmsten Ängste und dunkelsten Gedanken kennen würde?

»Joanna Hines ist neben Minette Walters und Frances Fyfield eine der besten psychologischen Thrillerautorinnen.« Life Magazin

Über die Autorin:

Schon in ihrer frühen Jugend begann Joanna Hines, mit Leidenschaft zu schreiben. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie auch Kurzgeschichten und Artikel in »The Guardian« und »The Literary Review«; unter dem Namen Joanna Hodgkin schreibt sie außerdem Biografien. Die Autorin verbrachte viele Jahre mit ihrer Familie in Cornwall; heute lebt und arbeitet sie wieder in ihrer Heimatstadt London.

Bei dotbooks veröffentlichte Joanna Hines auch ihre Spannungsromane »Das Geheimnis von Chatton Heights«, »Die Frauen von Briarswood Manor«, »Die Schatten von Glory Cottage«, »Das Erbe von Grays Orchard«, »Das Cottage über den Klippen« und »Das Schweigen der alten Villa«.

Ebenfalls erschien bei dotbooks ihre historische Familiensaga »Die Rosen von Cornwall« mit den Romanen:

»Sturmjahre – Band 1«

»Schicksalslied – Band 2«

»Sehnsuchtsleuchten – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe Februar 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2001 unter dem Originaltitel »Improvising Carla« bei Simon & Schuster, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2003 unter dem Titel »Was niemand weiß« bei Droemer Knaur.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2001 by Joanna Hines

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2003 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Helen Houston

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-334-6

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Joanna Hines

Das einsame Haus am Fluss

Roman

Aus dem Englischen von Traudl Weiser und Ingeborg Ebel

dotbooks.

Für meine Schwester Penelope, die uns als Erste auf die Inseln mitnahm.

Erster Teil:Die Insel

Kapitel 1

Zurzeit sehe ich Carla überall.

Als ich mir durch das morgendliche Gedränge der U-Bahnstation Green Park einen Weg bahne, sehe ich sie vor mir: eine Kaskade kastanienbraunen wirren Haars auf schmalen Schultern und diese für sie so charakteristischen Bewegungen, und eine Sekunde denke ich, Carla, warte!, auch wenn das unmöglich ist. Nach der Arbeit renne ich durch die erleuchteten Straßen, renne immer – aber nicht, weil ich wie die anderen Jogger etwas für meine Gesundheit tun will, so etwas Profanes wie Gesundheit kümmert mich nach dem, was auf der Insel geschehen ist, nicht mehr. Ich renne, weil ich überleben will, weil ich den schreienden Furien in meinem Kopf entkommen will. Nur entkomme ich ihnen nicht, werde ihnen nie mehr entkommen.

Und dann, wenn ich es am wenigsten erwarte, höre ich das Klicken hoher Absätze auf dem Pflaster, rieche den Duft ihres Parfüms, süß und schwer, oder höre ein Echo jenes Lachens, das ich zuletzt in einer griechischen Taverne am Meer gehört habe – dann schnürt sich jedes Mal meine Brust hoffnungsvoll zusammen.

Vielleicht, denke ich dann wider aller Logik, habe ich diese Monate in einer Art Delirium gelebt, und nun endlich kann ich klar denken, und die Frau vor mir, wenn sie sich umdreht, ruft freudig: »Hallo, Helen! Ich habe dich sofort erkannt.«

Aber gleich darauf bin ich enttäuscht, ein unvermeidbares Gefühl, das bei jedem Mal einen größeren Schmerz auslöst.

Das ist nicht Carla, du Idiotin! Wie konntest du nur eine Sekunde denken, dass sie es sei? Carla ist tot. Denk nur an ihren zarten, zerschmetterten Körper bei Sonnenaufgang auf der leeren Straße, als das erste Licht durch die Olivenbäume schien. Niemals wird sich eine Fremde, die mich auf den überfüllten Straßen Londons im Vorübergehen streift, als Carla entpuppen. Niemals.

Obwohl ich das alles weiß, sehe ich sie trotzdem noch immer. Noch immer erschüttert mich der Klang einer ihr ähnlichen Stimme derart, dass ich bei meiner Arbeit vergesse, was ich tue. An schlechten Tagen ist die Londoner City voller Carlas. Als ob in ihrer Todesstunde ihr Bild in tausend kleine Fragmente zersplittert sei, die sich in tausend Frauen eingenistet hätten, die ihr jetzt so ähneln, als habe sie die fremden Körper mit ihrem Wesen durchtränkt.

Ist das eine moderne Form der Heimsuchung? Ich kämpfe gegen diesen Gedanken und möchte ihn gern verbannen. Denn allein die Möglichkeit, verfolgt und gequält zu werden, ja geradezu von ihr besessen zu sein, hat einen Hauch von Wahnsinn.

Eine eher nüchterne Erklärung könnte sein, dass Carla eine Menge Schwestern hat. Während unserer Ferien auf der Insel sprach sie nie von ihren Schwestern, aber das hat nichts zu bedeuten, denn wir redeten nie über Ereignisse unseres alltäglichen Lebens. Wie ihres aussah, wusste ich nicht.

Fakten spielten in unseren Unterhaltungen keine Rolle, außer der einen Wahrheit, die ich ihr anvertraute und die bisher niemand kennt – ein Geheimnis, das, so hoffe ich inständig, auch niemals jemand aufdecken wird. Oh, alle glauben, die Wahrheit zu kennen, aber sie irren sich. Dieses Wissen gehört mir allein. Es hat sich wie ein albtraumhaftes Monster an meinen Rücken gekrallt und verpestet jeden meiner Atemzüge mit seinem Gestank.

Denn ich allein weiß, wie Carla starb. In jenem Moment endete ihr Leben, und das meine änderte sich für immer.

VC: Vor Carla.

NT: Nach ihrem Tod.

In Gedanken bin ich wieder in der Vergangenheit und erlebe jenen frühen Morgen, als die Luft so süß und klar war, dass man den Eindruck hatte, den Garten Eden gefunden zu haben – das Paradies der verlorenen Unschuld und Hoffnung. Damals war ich ein anderer Mensch; und ich war bei ihr, auf jener Straße im Morgengrauen. Und ihr Tod war kein Unfall, obwohl das auf ihrem Totenschein steht und obwohl alle das glauben. Ich sollte es wissen, denn ich war bei ihr, als sie starb.

Also macht mich das zu …?

Ich muss die Worte nicht niederschreiben: Versuchen Sie selbst, es herauszufinden.

Bei unserem ersten Zusammentreffen deutete nichts auf künftiges Entsetzen hin. Vielleicht hätten wir schon an jenem trüben Morgen als allein reisende Frauen unter den Familien und Paaren am Londoner Flughafen Gatwick übereinander stolpern müssen, aber mir fiel Carla erst nach unserer Landung auf der griechischen Insel auf.

Für mich – die sonnenentwöhnte Londonerin – ist die Ankunft in mediterranen Ländern immer ein Erlebnis, und an jenem Tag war meine freudige Erregung noch größer als gewöhnlich. Während eines langen, nassen Frühlings hatte in England permanent Novemberwetter geherrscht. Plötzlich hatte ich den Eindruck, innerhalb von wenigen Stunden mindestens zwei Jahreszeiten übersprungen zu haben und im Hochsommer gelandet zu sein. Als ich aus dem Flugzeug stieg und in die blendende Hitze eines griechischen Morgens trat, kam ich mir in meiner Winterkleidung lächerlich vor. Am liebsten hätte ich mir Rock, Pullover und meine Strumpfhosen vom Leib gerissen, um sofort in das glitzernde Meer zu springen.

Die englische Düsterkeit gegen die flirrende Hitze Griechenlands einzutauschen war ein Geschenk des Himmels.

Wie eine Herde geduldiger rosagesichtiger Schafe bewegten wir uns auf die Gepäckausgabe zu. Wir umstanden das Förderband, von jenem Gefühl leichten Unbehagens ergriffen, das jeden Reisenden beschleicht, der von seinem Besitz getrennt ist. Dann setzte sich das Band knirschend in Bewegung, und alle starrten gebannt darauf, endlich des eigenen Gepäcks wieder habhaft zu werden. Ein Mann meines Alters drängte sich durch die Wartenden, griff nach einer mitgenommenen Segeltuchtasche und hievte sie mit elegantem Schwung vor die Füße seiner Freundin. Dann bemächtigten sich die Touristen ihrer Taschen und Koffer und gingen weiter zur Zollabfertigung. Hinter der Barriere warteten Reiseleiter und hielten Schilder hoch, auf denen »Sunnyhols« oder »Hotel Aphrodite« stand.

Fast jeder schloss sich der Menge an bis auf ein paar, deren Gepäck noch fehlte. Mit jeder Runde, bei der mein Koffer nicht auf dem Förderband lag, kam ich mir seltsam ausgeschlossen vor, so als hätte man mich während des Turnunterrichts bis zuletzt nicht in eine Mannschaft gewählt. Schließlich blieb ich mit ein paar Ausgestoßenen übrig – ein Ehepaar mittleren Alters mit Wanderschuhen und Ferngläsern ausgestattet und eine fröhliche Familie mit drei flachsblonden kleinen Jungen, denen die Eltern wohl strikt verboten hatten, im Flughafen rumzurennen. Stattdessen versuchten sie sich mit langen Schritten durch die Halle zu jagen.

Und Carla stand auch noch da. Natürlich wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sie hieß. Ich sah nur, dass sie wie ich alleine zu reisen schien. Sie hielt sich abseits von unserer Gruppe, die bisher vergeblich auf ihr Gepäck gewartet hatte. Sie war dünn. Das Bemerkenswerteste an ihr war ihre Fülle rotbraunen Haars, und sie machte einen sehr nervösen Eindruck. Ständig fuhr sie sich durch das Haar, spielte mit dem Riemen ihrer Schultertasche und strich mit den Handflächen über ihre Hose. Sie war für einen Sommertag in England gekleidet: schwarzes Stricktop, schwarze Hose und hochhackige Sandalen. Mit ihrer Kleidung ganz in Schwarz, ihrer kastanienbraunen Mähne und ihren knappen, schnellen Bewegungen erinnerte sie mich an einen rassigen, nervösen Vogel.

Das Band kam knarrend zum Halt. Stille senkte sich über die Gepäckausgabe. Der Mann mit dem Fernglas marschierte zu dem Familienvater, und beide beratschlagten, was zu tun sei. Was war schief gelaufen? Unser Gepäck war nirgends zu sehen und auch kein Angestellter des Flughafens. Ich ließ die Männer weiter diskutieren und beschloss, mit meiner Leidensgenossin Kontakt aufzunehmen. Lächelnd ging ich auf sie zu, um ihr zu zeigen, dass ich mich in friedlicher Absicht näherte.

Ostentativ wandte sie sich von mir ab und nahm mit den ihr eigenen hektischen Bewegungen einen Spiegel aus ihrer Tasche. Dann musterte sie kritisch ihr Gesicht und befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. Nochmals kramte sie in ihrer Tasche und fischte ein Döschen Lip-Gloss heraus, das sie mit einer Grimasse auftrug.

Da sie mich abgewiesen hatte, drehte ich mich um und wanderte ein wenig umher. Meine Ungeduld wurde immer größer. Die Insel wartete mit allen ihren Düften, Geräuschen und Vergnügungen auf mich, während ich hier hinter verschlossenen Türen festsaß und der erste kostbare Tag meiner Flucht in Frustration versank.

Missmutig beobachtete ich die anderen. Der älteste kleine Junge hüpfte jetzt unbemerkt von seinen Eltern auf das Förderband und wieder zu Boden, während sein kleinster Bruder versuchte, sich auf dem Bauch ganz hinaufzuschieben. In dem Augenblick war von draußen Gelächter zu hören, und das Band setzte sich ratternd wieder in Bewegung. Die kleinen Jungen sprangen gerade noch rechtzeitig herunter und wurden von ihren Eltern liebevoll gescholten – als mein marineblauer Koffer langsam in Sicht kam.

Jedenfalls dachte ich das.

Kaum hatte ich mich freudig darauf gestürzt, spürte ich eine Bewegung hinter mir. Eine andere Frau – Carla – griff ebenfalls danach.

»Entschuldigen Sie«, sagte ich pikiert, als sich unsere Hände am Griff berührten, »aber ich glaube …«

Sie sah mich verärgert an – ihre Augen waren dunkel und tief liegend, und ihr kastanienbraunes Haar fiel ihr in üppigen Wellen über die Schultern – und sagte nicht minder indigniert: »Tut mir Leid, aber das ist mein Koffer!«

»Vielleicht sollten wir ihn öffnen«, entgegnete ich grimmig.

»Ich sehe nicht ein, warum …«

Wir kämpften beide mit derart höflicher Verbissenheit, dass uns fast entgangen wäre, wie sich ein identischer Koffer langsam in unser Blickfeld schob.

»Oh, sehen Sie mal!«

»Na, wer hätte das gedacht!«

Offensichtlich erleichtert lächelte sie reumütig und holte den zweiten Koffer zu uns. Wir identifizierten unsere Gepäckstücke. Dann folgten wir dem Ehepaar und der Familie zur Zollabfertigung.

»Gott sei Dank musste ich meinen Koffer nicht öffnen«, gestand sie fröhlich. »Er ist bis zum Rand gefüllt mit Kondomen. Das wäre ziemlich peinlich gewesen.«

Sie grinste mich an, und ich überlegte mir gerade eine passende Antwort, als sie ihr Spiegelbild in der verglasten Tür sah. »Ach, du meine Güte! Nun sehen Sie sich mal mein Haar an. Wo ist die nächste Damentoilette?«

»Ich glaube, da hinten ist eine.«

»Toll. Scheinbar bin ich heute dazu verurteilt, den ganzen Tag in der Gepäckausgabe zu verbringen. Bis dann.«

Und mit diesen Worten machte sie kehrt und ging den Weg zurück, den wir gerade gekommen waren.

Ich fragte mich, ob ich auf sie warten sollte, denn schon empfand ich das Schweigen der Alleinreisenden als etwas bedrückend, doch dann fiel mir ein, dass ihr reichlich bemessenes Kontingent an Präservativen wohl auf andere Urlaubspläne als meine schließen ließ, und ich ging.

Als ich die Formalitäten hinter mir hatte, trat ich in die grelle Mittagssonne hinaus. Ich blieb stehen, um den Augenblick zu genießen. Die Hitze umgab mich wie ein duftendes Bad, eine pulsierende Mittelmeerhitze, die meine blassen Londoner, mit Nylon bekleideten Beine wärmte. Ich bewegte meine Zehen in den Schuhen. Nicht mehr lange, Zehen, sagte ich zu ihnen. Sand, Meerwasser und barfüßige Freiheit erwarten euch noch heute.

Die Sonne war sehr grell und wurde von den hunderten Autofenstern auf dem Parkplatz reflektiert.

Ich nahm meine Sonnenbrille aus meiner Handtasche und setzte sie auf. Alle Farben um mich herum nahmen eine bräunliche Schattierung an. Als ich mir mit den Fingern durchs Haar fuhr und den Sitz meiner Schultertasche korrigierte, spürte ich, dass ich beobachtet wurde.

Von den dunklen Gläsern geschützt, ließ ich meinen Blick langsam umherschweifen, weil ich sehen wollte, wer mich so intensiv musterte, dass sich meine Nackenhaare trotz der Hitze sträubten.

Ein Mann lehnte an der Motorhaube eines weißen Wagens, der direkt vor dem Flughafen geparkt war. Der Mann war groß und mit lässiger Eleganz in Leinenhose, Segeltuchschuhen und ein locker über die Hose fallendes langärmeliges Hemd gekleidet. Das Gesicht unter seinem Panamahut war blass; rötliches Haar umgab ein fein geschnittenes, sensibles Gesicht mit einem kräftigen Mund. Seine Hände waren schlank, mit langen sich verjüngenden Fingern, wie die Hände eines Engels in der Florentiner Malerei des Quattrocento.

Er griff in seine Tasche und setzte sich eine dunkle Sonnenbrille auf. Trotzdem wusste ich, dass er mich noch immer beobachtete.

Kurz fragte ich mich, ob er vielleicht der Mann von der Autoverleihfirma sei. Doch das war unwahrscheinlich, denn er sah weder wie ein Einheimischer noch wie ein Tourist aus. Er lächelte nicht und wandte sich auch nicht ab, sondern beobachtete mich weiter auf beunruhigende Weise, ohne unverschämt zu wirken.

Dieses gegenseitige Anstarren aus dunklen Gläsern war viel zermürbender, als wenn wir uns ohne die Sonnenbrille beoachtet hätten, da ich seine Augen nicht ausmachen konnte. Lächelte er? Grinste er? Verächtlich oder gelangweilt oder voller Humor? Oder erinnerte ich ihn vielleicht – Klischee aller Klischees – an eine alte Bekannte? Ich konnte es nicht herausfinden.

Zwei Menschen, die sich mit Sonnenbrillen bewaffnet gegenüberstehen, dachte ich. Showdown um zwölf Uhr mittags. Aber jetzt war nicht der richtige Moment, um darüber zu kichern.

Ich nahm meinen Koffer und marschierte mit so viel Würde wie möglich davon, nur um nach ein paar Schritten festzustellen, dass ich in die verkehrte Richtung gegangen war. Die Autoverleihfirma befand sich am anderen Ende des Flughafengebäudes. Also musste ich umkehren. Der Mann beobachtete mich weiter, als ich an ihm vorbeimarschierte, während der Koffer immer schwerer zu werden schien und ich unter seinen Blicken immer befangener wurde.

Ich ärgerte mich, dass mich sein Verhalten aufregte, und dann ärgerte ich mich noch mehr über ihn, weil ich mich aufregen ließ.

Endlich stand ich im Büro der Autovermietung vor einer forschen, kompetenten Frau, die schon einige Zeit auf mich zu warten schien, um endlich mittagessen gehen zu können – wahrscheinlich mit dem Mann, der mich angestarrt hatte –, und ich vergaß die ganze Geschichte.

Nur zehn Minuten später saß ich hinter dem Steuer eines schicken und wahrscheinlich mit Mängeln behafteten Fiat und musste mich ganz auf das Fahren konzentrieren.

Zuerst dachte ich, ich sei auf der falschen Insel gelandet. Die vom Flughafen wegführende Straße war so breit, dass sie nur auf eine dreispurige Schnellstraße führen konnte. Doch die Piste erwies sich bald als äußerst schadhaft und voller Schlaglöcher. Ehe ich es begriff, wäre ich um ein Haar gegen eine stattliche Palme gefahren. Ab sofort richtete ich mein Augenmerk nur noch auf die Straße und ermahnte mich, stets rechts zu fahren. Allmählich gewöhnte ich mich an das Flirren über dem heißen Asphalt, während ich versuchte, die komplizierte Wegbeschreibung zu dem kleinen Hotel zu entziffern, in dem ich für die nächsten vierzehn Tage ein Zimmer gebucht hatte.

Dies war die fürchterlichste Fahrt meines Lebens. Mindestens ein Dutzend Mal war ich davon überzeugt, dass mein Urlaub enden würde, noch ehe er begonnen hatte.

Und heute wünsche ich mir natürlich, es wäre tatsächlich so geschehen.

Die von Palmen gesäumte breite Straße vom Flughafen mündete bald in eine schmale Küstenstraße, an der sich unzählige Discos, Tavernen, Campingplätze, Bars und billige Hotels aneinander reihten. Die größte Gefahr bestand nun darin, dass plötzlich Touristen ohne ersichtlichen Grund mitten auf die Straße und direkt vor mein Auto marschierten. Ich fuhr im Kriechtempo, um Menschenleben zu verschonen, während Taxis wütend hupend an mir vorbeibrausten.

Schließlich wurde die Straße steiler, Hotels und Cafés wurden immer seltener. Rechts von mir sah ich das Meer tiefblau schimmern, und zu meiner Linken erhob sich hügeliges Buschland. Zweimal wurde ich von verrückten Taxifahrern in Haarnadelkurven überholt, einmal hätte mich ein Busfahrer mit seinem Riesenfahrzeug fast in den Abgrund gedrängt. Doch am schlimmsten waren die mit Kies überladenen Lastwagen, die in derart halsbrecherischer Geschwindigkeit auf mich zurasten, dass nur noch beten half.

Gerade als ich das Auto stehen lassen und zu Fuß weitergehen wollte, sah ich das Schild, nach dem ich Ausschau gehalten hatte: Neapolis. Und darunter stand mit blauer Farbe auf eine Holzplanke gepinselt: Manoli’s.

Freudenschreie ausstoßend bog ich in einen schmalen, nach unten führenden Weg ein, und nach einer Kurve sah ich die Bucht – genau wie in dem Reiseprospekt abgebildet, nur hundertmal schöner.

Der Anblick der Bucht ließ mich die Horrorfahrt vergessen. Meine Angst verging. Ich hielt den Atem an, nicht vor Schreck dieses Mal, sondern aus purem Entzücken über die Schönheit dieses Orts. Tiefblaue See, silberblättrige Olivenhaine und tintenschwarze Zypressen – nicht einmal die grellbunten Tupfer einer modernen Feriensiedlung in der Ferne konnten den Zauber der Bucht beeinträchtigen.

Ganz langsam fuhr ich die frisch geteerte Straße hinunter. Sie führte durch von der Sonne ausgedörrte und mit Oliven bestandene Wiesen zum Meer. Die Zikaden zirpten so laut, dass die Luft von ihrem Liebesgesang zu flimmern schien, und ein heißer Wind strich durch die Bäume.

Ich bog um die letzte Kurve. Vor mir sah ich eine Hand voll Gebäude: ausgebleichter und gekalkter Stein, mit Wein überdachte Terrassen und dahinter, schöner als jedes Bild, der breite Strand und das Meer.

Ich war angekommen.

Kapitel 2

Nach vier Ferientagen zogen Schatten in meinem neuen Paradies auf.

Nicht, dass ich etwas an meinem Hotel auszusetzen hätte. Es erfüllte meine kühnsten Erwartungen, obwohl es nur fünf Zimmer und kein Restaurant hatte. Wahrscheinlich war es gar nicht groß genug, um als Hotel bezeichnet zu werden.

Das Erdgeschoss bestand fast ausschließlich aus einer großen Bar mit zwei riesigen verglasten Kühlschränken, in denen Softdrinks und Eis aufbewahrt wurden. An der Decke summte ein Ventilator, und auf der weinbewachsenen, überdachten Terrasse standen Plastiktische und -stühle. Den ganzen Tag kamen sowohl Einheimische als auch Touristen vorbei. Morgens wurde den Hotelgästen das Frühstück serviert: frisches Brot, hausgemachter Joghurt mit dunklem Honig und naturbelassenen Äpfeln und Orangen, die herrlich schmeckten, aber nicht so perfekt wie die in England verkauften Früchte aussahen. Und natürlich gab es große Becher mit starkem sirupartigem Kaffee.

Manoli und Despina, die Besitzer, waren Ende fünfzig. Manoli war ein schlanker, großer Mann, der sich sehr gerade hielt. Er residierte über sein Café-Königreich mit weltgewandter Würde und einer Gelassenheit, die nur Menschen besitzen, denen nichts mehr im Leben fremd ist und die nichts mehr erschüttern kann. Er war ein ernster Mann, doch wenn er lächelte, wurde sein Gesicht ganz weich.

Despina war klein und breit. Ihre Gestalt glich der eines umgestürzten Blumentopfs. Sie war ständig in Bewegung und schien von einer konstanten Wut angetrieben zu werden, doch in Wahrheit steckte sie voller überbordender Energie und war außerdem mit einer lauten Stimme gesegnet, so dass man ihr Verhalten leicht falsch interpretieren konnte.

Manoli trat vors Haus, um mich zu begrüßen, aber Despina war zurückhaltender. Offensichtlich begegnete sie meinem Status als Single mit Argwohn.

Die anderen Gäste des Hotels waren Paare: ein älteres Ehepaar, ein Ehepaar mittleren Alters und zwei Paare, die jünger als ich waren. Am ersten Tag bekam ich sie nicht zu Gesicht. Nach dem Frühstück zerstreuten sich die Gäste auf der Insel.

Die meisten Restaurants gab es in der Nähe des Hafens in Yerolimani. Die kleine Stadt war nur eine Viertelstunde Fußmarsch vom Hotel entfernt, über einen Weg in Küstennähe zu erreichen oder mit dem Auto über die Hauptstraße.

Mein Zimmer ging nach hinten hinaus, auf eine Art Hof mit einem kleinen Garten, der mit hellrosa blühenden Büschen bewachsen war, Oleanderbüschen, wie ich später erfuhr. Dazwischen gab es so manches Unkraut und verdorrtes Gras. Es gab auch eine Wäscheleine und einen Schuppen, in dem Manoli seine Getränkekisten stapelte. Daran schloss sich ein Gemüsegarten an, in dem unter anderem Tomaten und Zucchini wuchsen; die anderen Pflanzen kannte ich nicht. Dies war das Reich von Manolis Mutter, einer alten Frau in langem Rock und mit einem schwarzen Kopftuch. Auch wenn sie normal sprach, musste ihre Stimme auf den Nachbarinseln zu hören sein.

Sie unterhielt sich gerade mit einer Frau im Haus – entweder Despina oder dem Dienstmädchen –, die ich nicht sehen konnte. Zuerst dachte ich, die beiden würden so streiten, dass sie gleich aufeinander losgingen, doch dann lachte eine der Frauen schallend. Gleich darauf ging das Gekeife von neuem los.

Obwohl mein Zimmer klein war, genügte es mir völlig. In der Mitte standen zwei auseinander geschobene Doppelbetten, es gab einen kunstvoll geschreinerten, aber wackeligen Schrank für meine Kleider, und von der Decke hing eine schwach glimmende, nackte Glühbirne als einzige Lichtquelle, für die Bettlektüre nicht gerade geeignet. Das angrenzende Badezimmer war mit prächtigen vergoldeten Armaturen ausgestattet, doch wenn man den Wasserhahn aufdrehte, lief nur ein dünnes Rinnsal ins Waschbecken, dessen Stöpsel viel zu klein war. Abgesehen von diesen kleinen Mängeln war alles perfekt.

Außerdem entdeckte ich sie an jenem Tag erst später, und dann störten sie mich nicht mehr.

Sowie ich allein in meinem Zimmer war, schälte ich mich aus meinen Reisekleidern, öffnete meinen Koffer und zog meinen nagelneuen, supermodischen schwarzen Badeanzug an. Darüber streifte ich ein übergroßes T-Shirt, schlüpfte in ein paar Sandalen, setzte Hut und Sonnenbrille auf, schnappte mir ein Handtuch, und schon lief ich die Treppe hinunter, durch die Bar und über den Strand zum Meer. Dort warf ich meine Habseligkeiten auf einen Haufen, tauchte kopfüber ins Wasser und schwamm.

Ich liebe das Schwimmen, und ich bin eine gute Schwimmerin; doch welch einen Unterschied macht das überfüllte Becken mit gechlortem Wasser im Vergleich zum Mittelmeer! Ich genoss die sanfte, sinnliche Berührung des salzigen Wassers auf meinem Körper und schwamm lange, mit kräftigen Zügen. Nahe am Strand tummelten sich Kinder auf Luftmatratzen, und weiter draußen waren Leute mit Schlauchbooten, aber als ich alle hinter mir gelassen hatte, gehörte das Meer mir. Ich legte mich auf den Rücken und ließ mich vom Wasser tragen. Als ich die Augen schloss, tanzten bunte Fünkchen auf meinen Lidern. Dann trat ich Wasser und betrachtete die Insel, während ich den Stimmen, dem Gelächter und den vergnügten Schreien der Menschen lauschte.

Die Insel war von Felsen zerklüftet, und der höchste Berg hatte einen abgeflachten Gipfel, so dass er aus meiner Position wie der Kopf eines Büffels aussah. Später erfuhr ich, dass der Berg Eberkopf genannt wurde, also hatte ich gar nicht so Unrecht gehabt. Die Gipfel zu beiden Seiten waren gezackter, steil abfallend und ohne jeden Bewuchs. Die Berge wirkten im Gegensatz zu dem einladenden Strand schroff und abweisend. Ich fragte mich, ob dieser winzige Punkt, hoch oben im stahlblauen Himmel, ein kreisender Adler sei.

Ich war von einer kleinen Sandbucht aus ins Meer gegangen, die zu der größten Bucht von Yerolimani gehörte. Dort gab es eine alte Stadt mit einem malerischen Hafenviertel und weiter entfernt eine Anlage für Touristen.

In meiner Bucht gab es nur das Hotel, in dem ich wohnte, und eine Hand voll verstreute Häuser, ein paar Cafés und Tavernen. Aber hier gab es einen Sandstrand, während die Strände Yerolimanis steinig waren, weswegen wohl die Badenden in diese Bucht kamen.

Ich blieb über eine Stunde im Wasser, ehe ich mir meinen Weg durch Tretboote, plantschende und spielende Kinder zurückbahnte. Erst als ich mein T-Shirt anzog, spürte ich ein Kratzen zwischen den Schulterblättern und merkte, dass ich in der Eile vergessen hatte, das Etikett von meinem neuen Badeanzug zu entfernen. Ich muss wie ein Objekt zur Versteigerung ausgesehen haben, als ich mit dem riesigen Label am Rücken über den Strand marschierte.

Dies war ein erster kleiner Hinweis darauf, dass Ferien, die man alleine macht, alle möglichen Probleme mit sich bringen können, von denen ich nicht einmal geträumt hätte.

Und im Laufe des Tages sollten noch ein paar Probleme mehr auftauchen.

Als ich diesen Urlaub plante, hatte ich eine präzise Vorstellung davon, wie meine Tage ablaufen würden: als eine der unerschrockenen Alleinreisenden, die ich immer bewundert habe. Frühmorgens, wenn es noch kühl ist, wollte ich mit Proviant und Skizzenbuch ausgedehnte Streifzüge ins Landesinnere unternehmen und die knorrigen Olivenbäume, die Bauernhäuser und die Landschaft zeichnen. Dann wollte ich schwimmen und mich, solange es mir gefiel, der Muße hingeben. Es würde keine ermüdenden Diskussionen über den Tagesablauf oder das Essen geben. O nein! Solche Streitereien können sogar engste Freundschaften zerstören. Zwei Wochen in meinem Leben konnte ich so maßlos sein, wie ich wollte. Wie würden mich die anderen um meine Freiheit beneiden! Bei meinem Anblick würden alle die Verliebten, Verheirateten und mit einer Familie Belasteten denken: Hier ist endlich mal eine Frau, die sich vom Leben nimmt, was sie will.

Doch nun zur Wahrheit. Als ich diese Reise im Februar plante, wollte ich sie zusammen mit einem gewissen Mike Barrett machen, obwohl ich eigentlich hätte wissen müssen, dass unsere Beziehung für einen Urlaub zu zweit nicht stabil genug war. Natürlich hätte ich die Buchung stornieren können, als sich herausstellte, dass unsere gemeinsame Vorliebe für Meeresfrüchte und die Filme von David Lynch nicht ausreichten. Aber ich hatte mich damals so über Mike Barrett geärgert, dass ich verflucht sein wollte, wenn ich mir von ihm auch noch meine Urlaubspläne verderben ließ. Ich hätte auch eine Freundin einladen können, mich zu begleiten. Aber alle meine engen Freundinnen waren gerade im Augenblick glücklich verliebt und nicht bereit, Mister True Love zu verlassen, auch nicht für vierzehn Tage.

Also verfluchte ich Mike Barrett und redete mir ein, dass ich mich mein Leben lang nach Solo-Ferien gesehnt hatte. Es hatte mir früher nur an Selbstvertrauen gefehlt, und jetzt zwang mich das Schicksal dazu, diesen Plan zu verwirklichen. Ich musste mir gegenüber eine ziemlich gute Überzeugungsarbeit geleistet haben, denn die Nachteile meines Solo-Abenteuers wirkten fast wie ein Schock auf mich.

Auch an dem ersten Tag nach meiner Ankunft auf der Insel dauerte der Zauber an. Dank des trüben Funzellichts war ich früh eingeschlafen und erwachte, gerade als die Sonne am Horizont aufging. Vor dem Frühstück machte ich einen Spaziergang, nach dem Frühstück ging ich schwimmen. Ich zeichnete die dürren Äste des Olivenbaums hinter der Taverne, ich faulenzte, schwamm wieder und war glücklich. Ich ging in die Stadt, streifte durch die Gassen, an kleinen Läden und Cafés vorbei, und schlenderte zum Hafen, wo die Fischer Unmengen kleiner Fische direkt von ihren Booten verkauften. Alles war perfekt. Der Ort war so zauberhaft, dass mir Mike Barrett um ein Haar Leid getan hätte, weil ihm das alles entging – aber gleichzeitig befriedigte mich der Gedanke, weil er meinen Rachedurst stillte.

Nicht, dass ich voller Rachegelüste gewesen wäre. Wenn man wirklich glücklich ist, gibt man sich solchen niederen Gefühlen nicht hin.

Wenn irgend möglich war der zweite Tag sogar noch besser als der erste.

Erst am dritten Tag lief etwas schief. Am Abend zuvor hatte ich den Pfad entdeckt, der durch Gebüsch und ein ausgetrocknetes Flussbett zu einigen flachen Felsen führte, die mir schon bei meinem ersten Schwimmen aufgefallen waren. Dort schien sich kaum jemand aufzuhalten, und ich hielt es für ein schönes, ruhiges Plätzchen, ehe die Sonne zu heiß wurde.

Wie üblich mit Handtuch, Sonnencreme, Buch, Hut und Sonnenbrille ausgerüstet, kletterte ich über die Felsen zu der flachsten Stelle, um dort ein Sonnenbad zu nehmen. Der Fels fiel steil zum sandigen Bett des Meeres ab. Perfekt. Mit einem Kopfsprung tauchte ich ins Wasser und schwamm.

Als ich zurückkam, saß ein schlanker Mann auf dem Felsen über meinem Handtuch. Hatte er mich direkt im Blickfeld? Neben sich hatte er ein winziges, blechern schepperndes Transistorradio gestellt, aus dem griechischer Pop plärrte. Alles andere als meine Lieblingsmusik.

Das Alter des Typen war schwer zu schätzen, irgendwo zwischen zwölf und dreißig. Er hatte ein bizarres Gesicht: hervorquellende, schielende Augen und einen schlaffen Mund, der immerzu offen stand. Sein Haar war dunkel, sein Körper tiefbraun und sehr dünn. Er trug glänzende Shorts, die so schlabberig waren, dass ich fürchtete, sie würden ihm runterrutschen, sobald er aufstünde. Keine reizvolle Aussicht.

Er schaute aufs Meer hinaus – jedenfalls mit einem Auge. Das andere betrachtete den Himmel. Durch nichts konnte ich erkennen, ob er mich überhaupt bemerkt hatte. Ich setzte mich auf mein Handtuch und sagte mir, er sei rein zufällig hier und würde sicher bald gehen. Jedenfalls würde er mich nicht stören. Ich atmete tief ein und fühlte, wie das Salzwasser auf meiner Haut trocknete.

Dann legte ich mich hin und schloss die Augen. Nach etwa fünf Minuten wurde die Musik merklich lauter. Ich öffnete die Augen. Der Transistor und sein Besitzer waren mir etwa anderthalb Meter näher auf die Pelle gerückt. Der Typ schien noch immer, ohne mich zu beachten, aufs Meer zu starren.

Als ich das nächste Mal die Augen wieder aufmachte, war er noch näher gerückt. Wenn er in diesem Tempo weitermachte, saß er in weniger als fünf Minuten auf meinem Handtuch. Also war es Zeit zu gehen. Denn ich kannte kein Gesetz, das es Einheimischen verbot, in ihrer Heimat auf Felsen zu sitzen. Deshalb sammelte ich meine Siebensachen ein und stolzierte über die Felsen zu dem Pfad, der zum Strand führte. Der Typ starrte weiter aufs Meer, trommelte mit seinen braunen Fingern zum Takt der Musik auf sein Knie, ohne das geringste Zeichen, dass er mein Weggehen bemerkt hatte. Ich fragte mich, ob ich mir sein Näherschleichen nicht eingebildet hatte.

Ich ging in eins der Cafés am Strand und bestellte eine Limonade. Dann beobachtete ich zwei Pärchen, die eine Art Turnier im seichten Wasser veranstalteten. Die Frauen – eine dunkelhaarig, eine blond und beide etwa in meinem Alter – saßen auf den Rücken der Männer. Das Spiel war hauptsächlich ein Vorwand, um sich schreiend und quietschend ins Wasser fallen lassen zu können. Dann kletterten die Männer auf die Rücken der Frauen. Es sah lustig aus, so als würde es Spaß machen. Jedenfalls mehr Spaß als allein eine Limonade zu trinken und sich zu fragen, welches Taschenbuch man als Nächstes lesen sollte.

Und dann – verdammt noch mal! Das Kratzen eines Stuhlbeins aus Metall zu meiner Rechten. Ich brauchte nicht einmal den Kopf zu drehen, um zu wissen, dass sich Lover Boy neben mir niedergelassen hatte. Ich fühlte mich verfolgt und merkte, wie Ärger in mir aufwallte. Mein Problem war, dass mir wegen meines freundlichen Äußeren niemand echtes Durchsetzungsvermögen zutraute. Wenn ich auch innerlich wütete, so sah man es mir nie an. Die Rolle einer Megäre lag mir nicht, und wenn ich mich jetzt zu meiner vollen Größe von einem Meter vierundsechzig aufgerichtet und ihn angeschrien hätte, er solle die Fliege machen und mich in Ruhe lassen, würde er wahrscheinlich nur lachen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wütende Reaktionen meistens nichts nützen. Um sich selbst zu schützen, muss man subtilere Methoden anwenden.

Also kehrte ich in mein Hotel zurück, und als er auf der Terrasse vorm Haus rumlungerte, schlüpfte ich durch die Hintertür und ging den längeren Weg nach Yerolimani.

Ich hatte das Gefühl, mein Problem nicht besonders gut gelöst zu haben, und das hatte ich auch nicht. Denn während der nächsten anderthalb Tage tauchte Lover Boy immer dann auf, wenn ich glaubte, ihn abgeschüttelt zu haben. Er näherte sich mir nicht, noch sprach er mich an. Hätte er das getan, hätte ich ihm wenigstens die Meinung sagen können – aber so war ich nur wütend und fühlte mich bedrängt, ohne zu wissen, was ich dagegen unternehmen konnte. Ein- oder zweimal ertappte ich ihn dabei, wie er meinen Busen oder meine Beine anstarrte, aber er starrte sie nur mit einem Auge an. Das andere wanderte über den Himmel oder die Hügel wie der Strahl eines Suchscheinwerfers, deshalb konnte ich mir dessen nie hundertprozentig sicher sein.

Am folgenden Abend glaubte ich, dass Lover Boy aufgegeben haben müsse. Seit dem Morgen hatte ich ihn nicht gesehen. Da war es mir gelungen, ihm so lange und so böse in sein gesundes Auge zu starren, dass er sich zu meiner Erleichterung verdrückt hatte.

Ich marschierte zu einem abgelegenen Strand, etwa achthundert Meter hinter jenen Felsen, von denen mich Lover Boy verjagt hatte, und machte die Entdeckung, dass ich am Nacktbadestrand gelandet war. In Yerolimani und meinem kleinen Strand gab es ein paar entschlossene Frauen, die sich nur im Monokini präsentierten, aber hier spazierten alle im Adams- oder Evakostüm umher.

Ich war ganz begeistert von dieser Entdeckung, denn ich hatte bereits gemerkt, dass ich durch meinen hochmodischen Badeanzug am Körper anfing, wie ein geschecktes Pony auszusehen. Außerdem hatte ich schon oft von dem Vergnügen des Nacktbadens gehört. Also konnte ich es gar nicht erwarten, mich auszuziehen und in das kühle blaue Meer zu tauchen.

Da die Nackedeis alle so glücklich aussahen, kam ich mir mit meinen Kleidern deplatziert vor. Ich streifte meinen Sarong schnell ab und cremte Beine, Arme und Schultern ein. Danach hakte ich die Träger meines Badeanzugs auf und cremte Busen und Bauch ein. Dann stand ich auf und zog mich ganz aus. Gerade hatte ich wieder Creme auf meine Hand geschmiert und wollte mein blasses Hinterteil damit einreiben, da merkte ich, dass ich beobachtet wurde. Nur ein paar Meter entfernt, noch immer in seinen schlabberigen silbernen Shorts, mit hochgezogenen Knien, saß Lover Boy im Sand. Und dieses Mal starrte er mich mit einem Auge wirklich an.

Mich. Und in dieser Sekunde erkannte ich, dass mein Möchtegern-Liebhaber mehr geile Lüsternheit in sein eines Auge packen konnte als die meisten Männer in zwei. Sein Mund klappte noch mehr herunter und verzog sich zu einem breiten Grinsen.

Ich war verärgert. Ich war mehr als verärgert, ich war wütend. Ich war kurz davor, zu ihm zu gehen und ihm zu sagen, was ich von ihm hielt und was ich wünschte, dass er mit sich mache – aber dann wurde mir bewusst, dass ich in diesem Augenblick wohl kaum dazu in der Lage war. Wahrscheinlich würde er die Tatsache, von einer nackten Frau in einer fremden Sprache angeschrien worden zu sein, als einen der Höhepunkte in seinem Leben betrachten.

Also drehte ich mich um und marschierte schnurstracks ins Wasser. Normalerweise schäme ich mich meiner Figur nicht, ich bin auch nicht gehemmt. Aber während dieser kurzen Strecke von meinem Handtuch bis zum Ufer war ich mir jedes Quadratzentimeters meines Körpers bewusst – vor allem meines weißen, wippenden in der Sonne leuchtenden Hinterteils.

Ich platschte ins Wasser, atmete tief ein, tauchte und schwamm so lange wie möglich unter Wasser. Als ich wieder auftauchte, konzentrierte ich meine ganze Wut ins Schwimmen und durchpflügte das Meer mit energischen Kraulbewegungen.

In meiner Rage wagte ich mich weiter als je zuvor hinaus. Ich hielt erst inne, als ich die Bucht bereits hinter mir gelassen hatte – weiter, als sich die kühnsten Schwimmer hinauswagten. So war ich an jenem Spätnachmittag allein. Ich drehte mich um und trat eine Weile Wasser. Am Strand konnte ich keine Menschen mehr erkennen, deshalb wusste ich nicht, ob mein Verfolger eventuell aufgegeben und sich eine andere Beute gesucht hatte.

Die Sonne sank bis auf das Niveau des höchsten Gipfels der Insel, den Eberkopf. Die Abhänge lagen bereits in tiefen Schatten: Zum ersten Mal konnte ich mir vorstellen, wie es auf der Insel im Winter war, düster und kalt.

Mir schauderte. Während ich schwamm, war eine leichte Brise zu spüren. Ich hatte gehört, dass am Mittelmeer sogar im Juni schnell Stürme aufkommen können. Und ich war mir nur zu bewusst, dass ich weit von der Küste entfernt war und nackt und dass die See unter mir sehr tief war. Beim Wassertreten spürte ich etwas Kühles an den Füßen. War das Tang? Oder etwas anderes?

Ich kannte dieses Meer und seine Strömungen nicht. Wut hatte mich so weit hinausgetrieben, doch jetzt war ich nicht mehr wütend, ich fürchtete mich. War ich wirklich die ganze Strecke geschwommen, oder hatte mich eine starke Strömung so weit hinausgetragen? Vielleicht wurde ich trotz meiner Anstrengungen immer weiter vom Land weggetrieben. Was dann? Würde mich jemand finden, ehe es dunkel wurde? Würde jemand meine Hilfeschreie hören? Wie lange konnte man in diesem Gewässer nachts überleben? Würden die Hotelbesitzer Alarm schlagen, weil ich nicht zurückgekehrt war, oder würde Despina annehmen, dass ich wie alle allein reisenden Touristinnen jemanden kennen gelernt hatte und nicht vor dem Morgen zurückkommen werde?

Wie weit war ich von der Küste entfernt? Zwei Kilometer? Drei Kilometer? Und, ach du meine Güte, gab es Haie im Mittelmeer?

Nur keine Panik, sagte ich mir. Du kannst es leicht schaffen. Du weißt, dass du das kannst. Bleib ruhig, und nimm dir Zeit.

Ich blieb ruhig und nahm mir Zeit und versuchte, nicht zur Küste zu schauen, denn so viel ich auch schwamm, sie schien keinen Meter näher zu kommen – und dann, weit entfernt, hörte ich das gleichmäßige Tuckern eines Außenbordmotors. Ganz schwach, aber das Geräusch kam näher.

Ich hörte auf zu schwimmen und blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Ein kleines Boot kam auf mich zugetuckert. Vielleicht ein Retter? Ich betrachtete ihn genauer – und stieß einen Schrei der Empörung aus, warf mich auf den Bauch und kraulte, so schnell ich konnte, Richtung Strand.

In dem Boot saß er, Lover Boy. Ich hatte ihn an seinen abfallenden Schultern und seinem zottigen Haar erkannt. Dieser Scheißkerl! Sogar mitten auf dem Meer konnte ich ihm nicht entkommen.

Ich geriet in Panik. Vielleicht war die Sonne daran schuld oder die physische Erschöpfung, aber in jenem Moment geriet ich wirklich in Panik. Ich schwamm schneller und mit mehr Wut im Bauch als jemals in meinem Leben. Ich war so verwirrt, dass ich sogar im seichten Wasser bis auf den Strand gekrault wäre, wenn ich nicht plötzlich einen stechenden Schmerz in der linken Wade verspürt hätte, der sich bis zu den Zehen ausbreitete. Ein Krampf.

Keuchend nach Luft ringend, richtete ich mich auf und packte mein linkes Bein und massierte den Unterschenkel und die Zehen, so fest ich konnte. Meine Füße sahen im Wasser bleich aus und leuchteten auf unheimliche Weise. Mein Rücken schmerzte. Jede Kraft war aus meinem Körper gewichen.

Da erst merkte ich, dass ich in meiner Panik zu weit nach rechts geschwommen und nur ein paar Meter von jenen Felsen entfernt war, auf denen ich gestern ein Sonnenbad genommen hatte. Wenn ich in diese Richtung weiterschwamm, würde ich in der kleinen Bucht landen, wo mein Hotel stand. Die Aussicht, direkt in mein Zimmer zu gehen, war verlockend, nur lagen meine Kleider leider an dem anderen Strand. Vielleicht war ich schon halb verrückt, doch noch hatte ich nicht das Stadium erreicht, splitternackt durch die überfüllte Bar zu marschieren und mich Manolis und Despinas missbilligenden Blicken auszusetzen.

Als der Krampf sich gelöst hatte, paddelte ich müde zu den Felsen in der vagen Absicht, dort etwas auszuruhen, bis ich genug Kraft hatte, schwimmend die Stelle zu erreichen, wo meine Kleider lagen. Doch als ich den nahe gelegensten Felsen erreicht hatte, war ich zu schwach, mich aus dem Wasser zu ziehen. Also hielt ich mich daran fest.

Ich schloss die Augen. Gerade ging die Sonne zwischen dem Eberkopf und einem kleineren Gipfel unter. Noch war es hell, trotzdem kam mir die Natur feindlich vor. Ich hatte entsetzlichen Durst und Kopfschmerzen. Und mein Wadenmuskel verkrampfte sich immer wieder.

Schließlich raffte ich meine letzte Kraft zusammen und schwamm zu dem weit entfernten Strand zurück. Ich war derart erschöpft, dass ich kaum noch auf meine Umgebung achtete. Ich schwamm, bis ich Sand unter den Händen fühlte. Dann stand ich auf und fiel halb über die fetten Beine eines Kindes, das ausgestreckt im Wasser lag. Eine Frau schrie mich an, es kümmerte mich nicht.

Ich stolperte über den Sand zu meinen Kleidern und dem Handtuch und ließ mich einfach hinfallen, zu müde, um mehr als mein T-Shirt überzuziehen. Ehe ich die Augen gegen die blendende Sonne schloss, sah ich, dass Schielauge noch an derselben Stelle wie vorhin hockte.

Im Boot musste also ein Fremder gesessen haben. Die ganze Panik war umsonst gewesen.

Als ich dort lag und spürte, wie das Salzwasser auf meiner Haut trocknete, wurde mir klar, dass ich gegen jede Regel im Umgang mit Sonne und Meer verstoßen hatte. Und jetzt musste ich den Preis dafür bezahlen. In meinem Kopf pochte es schmerzhaft. Wellen der Übelkeit stiegen aus meinem Magen in meine Kehle. Mein Mund schien voller Sand und Salz.

Nicht einmal eine Flasche Mineralwasser hatte ich mitgenommen. Ich wusste, dass meine Erschöpfung nicht nur auf das lange Schwimmen zurückzuführen war. Und jetzt wünschte ich mir nichts sehnlicher, als hier liegen zu bleiben und mich nie wieder rühren zu müssen. Doch die Schatten wurden länger und länger, und ich musste bei Tageslicht in mein Hotel zurückkehren. Obwohl meine Haut brannte, fröstelte ich innerlich.

Ich zwang mich aufzustehen, wickelte mich in meinen Sarong, zog meine Sandalen an und ging zu dem Pfad, der zum Hotel führte. Es war wenig mehr als ein Kilometer, aber die Strecke kam mir wie die letzten Meter eines Marathonlaufs vor. Ich war sogar zu müde, mich umzudrehen, um festzustellen, ob ich verfolgt wurde.

Als ich im Hotel ankam, war die Bar voller Paare. Sie tranken und berieten, wohin sie zum Abendessen gehen sollten. Mir flößte der Gedanke an Essen Ekel ein. Aber ich kaufte drei Flaschen Mineralwasser und kroch die Treppe hoch, in mein Zimmer. Jede Bewegung war unendlich anstrengend, doch eine Flasche leerte ich auf einen Zug. Dann duschte ich und rieb eine Lotion auf meinen verbrannten Hintern und die anderen Hautpartien. Dann trank ich die zweite Flasche Mineralwasser mit ein paar Aspirintabletten und fiel ins Bett. Ich schlief so tief wie noch nie in meinem Leben.

Ich musste mindestens zwölf Stunden geschlafen haben, denn als ich erwachte, war es viel später als an den vorhergehenden Tagen. Aber ich fühlte mich erfrischt und hatte Hunger wie ein Wolf.

Während meines Frühstücks auf der vom Wein beschatteten Terrasse überdachte ich das Geschehen des gestrigen Tages. Ich hatte mich völlig idiotisch benommen, so weit aufs Meer hinauszuschwimmen. Wahrscheinlich hatte ich auf Lover Boys anzügliches Grinsen überreagiert, und vielleicht hätte ich anders damit umgehen müssen – ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins: Der Mistkerl hatte mir bereits mehr als genug Probleme gemacht. Und ich wollte nicht, dass er mir meinen Urlaub ruinierte.

Deshalb beschloss ich einen Szenenwechsel. Zwar hatte ich mir noch vor wenigen Tagen geschworen, nie auf den Straßen der Insel zu fahren, doch jetzt kam mir ein Ausflug mit meinem Mietwagen weniger quälend vor, als den ganzen Tag von einem durchgeknallten Typen angestarrt zu werden. Also packte ich das Nötigste in eine Tasche und fuhr in die Hauptstadt. Außerdem nahm ich einen griechischen Sprachführer mit. Nach dem Besuch antiker Stätten und dem Museum wollte ich in einem schattigen Restaurant ein paar Sätze auswendig lernen: »Ich bin mit meinem Mann hier verabredet. Er ist ein ehemaliger Boxer und sehr eifersüchtig und in ganz England für seine Mordlust berüchtigt.«

Im Rückblick kommt es mir vor, als habe ich in einer anderen Welt gelebt, als ich noch über so etwas wie Mordlust Witze machen konnte.

Kapitel 3

Ich hatte einen Spaziergang durch die Stadt gemacht und saß kurz nach 12 Uhr in einem schattigen Café an einer belebten Straße. Auf dem Tisch vor mir stand ein Glas Mineralwasser, daneben lagen mein Skizzenblock und ein Stapel Ansichtskarten, die ich schreiben musste.

»Liebe Miriam,

diese Insel ist noch schöner als auf dem Foto. Leider sind die einheimischen Jungs jedoch viel weniger attraktiv …«

Ich überlegte kurz, ob ich eine Skizze meines Quälgeistes hinzufügen sollte. Miriam und ich waren letztes Jahr zusammen auf Sizilien gewesen, und ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie schön es gewesen war, mit jemandem die Entdeckungen und Freuden einer Reise teilen zu können. Wäre Miriam jetzt hier, könnten wir über meinen schielenden Casanova lachen, aber so …

»Hi! Habe ich Sie also doch erkannt.«

Als ich aufblickte, stand eine Frau vor meinem Tisch. Sie hatte eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase, trug einen riesigen Sonnenhut und ein knappes Sommerkleid mit Spaghettiträgern. Ich war zunächst ratlos, doch dann fiel mir ein, wo ich diese wallende rotbraune Haarpracht schon einmal gesehen hatte.

»Die vertauschten Koffer … Ja, jetzt erinnere ich mich. Hallo.«

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

Zögernd fügte sie hinzu: »Oder sind Sie mit jemandem verabredet?«

»Nein. Ich bin allein.«

»Nur im Augenblick?«

»Ich mache zur Abwechslung mal allein Urlaub.«

»Ich auch.« In meiner Stimme hatte wohl ein verräterischer Unterton mitgeklungen, denn sie fragte: »Geht wohl nicht so glatt über die Bühne, wie?«

»Du meine Güte, nein.«

Sie setzte sich mir gegenüber an den kleinen Tisch und nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie hatte dunkle, tief liegende Augen.

»Ich bin Carla Finch«, sagte sie lächelnd.

»Helen North«, entgegnete ich. »Wie schön, Sie kennen zu lernen.«

Was stimmte. Fußspuren im Sand, eine Gleichgesinnte, wenigstens für ein oder zwei Stunden. Ich freute mich, dass sie zufällig in diesem Augenblick an diesem Café vorbeigegangen war, einen Blick über die Straße geworfen und erkannt hatte, dass die allein an einem Tisch sitzende blonde Frau es satt hatte, alles allein zu tun, und sich danach sehnte, mit jedem über ihre Missgeschicke reden und lachen zu können. Ich hatte es für ein Glück gehalten, dass wir einander zufällig wieder begegnet waren.

Jetzt, natürlich, wünsche ich mir jeden Tag hundert Mal, Carla wäre auf der anderen Straßenseite vorbeigegangen, hätte nicht zum Café hinübergeschaut, mich erkannt und angesprochen. Bis zu meinem Lebensende werde ich mir wünschen, sie hätte jemand anderen gefunden, der ihr half, aus dem Gefängnis ihrer Einsamkeit auszubrechen.

Dann wäre Carla Finch heute noch am Leben.

Seltsam, wie sich alles verändert, wenn man mit jemandem zusammen ist. Vielleicht gilt das nicht für eingefleischte Alleinreisende, die sich nicht einreden müssen, gern allein zu sein. Aber ich änderte sogar meine Essgewohnheiten. Eigentlich hatte ich mir nur noch eine Flasche Mineralwasser und einen Salat oder eine langweilige Pizza bestellen wollen. Während wir uns jedoch unterhielten, füllte sich das Café mit einheimischen Geschäftsleuten, die Platten mit wundervoll riechendem Fisch und dazu Karaffen Wein bestellten. Also beschlossen wir, dasselbe zu tun.

Der Fisch war eine einheimische Spezialität, mit Kräutern und Olivenöl mariniert und über Holzkohle gegrillt. Die Haut war zart und knusprig, das Fleisch saftig und schmackhaft. Der Wein schmeckte leicht harzig, aber nicht so stark nach Harz wie Retsina. In einem Weinlokal in England hätte er wahrscheinlich abscheulich geschmeckt, aber hier in diesem kleinen Restaurant schmeckte er köstlich.

Carla und ich tauschten Geschichten über die Risiken des Alleinreisens aus. Endlich konnte ich über meinen grässlichen, schielenden Romeo kichern.

»Der hat’s auf Sie abgesehen, weil Sie blond sind«, sagte Carla. »Mich baggern eher Skandinavier an.«

»Ach, tatsächlich?«

Carla nickte. »Gestern habe ich eine junge Französin kennen gelernt, und wir sind zusammen ausgegangen. Wir wollten nur tanzen, aber das war unmöglich. Am schlimmsten waren die Holländer und die Dänen. Ich bin so oft in den Hintern gekniffen worden, dass ich am liebsten ein Schild hochgehalten hätte.«

»Ein Schild?«

»Ja. ›Berühren verboten‹ oder so was Ähnliches. ›Hinternkneifen nur nach vorheriger Erlaubnis gestattet‹.«

Carla lächelte mich schüchtern an und schaute sofort wieder weg.

Ich wurde aus ihr nicht schlau. Eben noch schien sie voller Selbstvertrauen – sogar ziemlich frech – zu sein, und gleich darauf änderte sie ihr Verhalten völlig, so als hätte sie Angst, keinen guten Eindruck auf mich zu machen.

Und dann war da noch ihre ständige Rastlosigkeit. Sie war mir schon an der Gepäckausgabe im Flughafen aufgefallen. Ihre dunkle Sonnenbrille hatte sie inzwischen mindestens zwanzig Mal auf- und abgesetzt – bei ihr keine große Geste, denn sie schob sie wie ein Stirnband in ihr Haar hoch und wieder runter. Sie hatte ihren Stuhl so gedreht, dass sie die an der Taverne vorbeiflanierenden Leute im Auge behalten konnte, und musterte die Gesichter, als würde sie nach jemandem Ausschau halten.

Um halb drei waren alle anderen Gäste gegangen, um wieder zu arbeiten oder um ihre Siesta zu halten. Auch die Kellner versanken in nachmittäglicher Lethargie. Mit den Ellbogen auf der Bar überflogen sie rauchend und gähnend den Sportteil der Zeitung. Bald würden wir uns entscheiden müssen, ob wir wieder getrennter Wege gehen wollten, oder …

»Gibt’s in der Stadt was Interessantes zu sehen?«, fragte ich.

Carla schob sich ihre Sonnenbrille wieder auf die Nase und zupfte nervös an den Trägern ihres Sommerkleides. »Der Hafen ist ganz hübsch«, sagte sie wenig begeistert.

»Für einen Spaziergang ist es ja auch viel zu heiß«, entgegnete ich.

Ihre Sonnenbrille wieder im Haar, musterte sie die Menschen vor der Taverne. Zu dieser Tageszeit waren hauptsächlich Touristen unterwegs, die erhitzt und mürrisch ziellos umherstreiften, als wüssten sie nichts mit sich anzufangen. »Hier in der Nähe kann man nirgends schwimmen gehen«, sagte sie.

»Yerolimani hat einen tollen Strand.«

»Ach, wirklich?«

»Ich sollte lieber warten, bis die Wirkung des Weins nachlässt«, sagte ich. »Schließlich will ich nicht am Lenkrad einschlafen.«

»Mein Hotel ist gerade um die Ecke«, sagte sie beiläufig. »Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.«

»Ich möchte Ihnen auf keinen Fall lästig werden«, wandte ich übertrieben förmlich ein.

»Nein, keine Sorge«, sagte sie, drehte sich um, sah mich mit ihren dunklen Augen eindringlich an und fügte grinsend hinzu: »Ich habe keine aufregende Verabredung für später, falls Sie das meinen.«

Ich entspannte mich. »Dann komme ich gerne mit.«

Wir bezahlten und gingen.

»Das Hotel ist gleich da vorn«, sagte sie, wandte sich nach links und ging die Straße entlang. Jetzt herrschte wegen der Siesta kaum Verkehr. Vom Wein und der grellen Nachmittagssonne war mein Kopf wie benebelt.

Als wir gerade in eine Seitenstraße einbiegen wollten, umklammerte Carla plötzlich meinen Arm. »Schnell, hier rein!«, drängte sie, zerrte mich in ein kleines Souvenir-Geschäft und versteckte sich hinter einem drehbaren Ansichtskartenständer. Den Sonnenhut tief ins Gesicht gezogen, die große dunkle Sonnenbrille auf der Nase, stand sie geduckt hinter den Postkarten und sah aus wie ein Spion in einer Hollywood-Komödie.

»Was ist denn los?«

»Psst!«

Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, wer oder was sie draußen auf der Straße so erschreckt hatte, aber sie grub ihre knochigen Finger noch fester in meinen Arm und zischte: »Nicht hinsehen! Sonst entdecken sie uns.«

Ich wusste nicht, ob sie das scherzhaft oder ernst meinte. »Okay, okay«, sagte ich und löste mich aus ihrem Griff. »Das ist doch kein Grund zur Panik.« Ich massierte meinen Arm und schaute mir die Ansichtskarten an. Eine zeigte die Insel unter winterlichem Himmel – eine willkommene Abwechslung zu dem erbarmungslosen Blau –, und ich kaufte vier davon.

Vorsichtig kam Carla hinter dem Ständer hervor, ging zur Eingangstür, spähte auf die Straße, drehte sich dann zu mir um und sagte: »Jetzt ist die Luft wieder rein.«

»Was sollte das denn?«

»Ach«, meinte sie nonchalant. »Da waren nur ein paar Typen von gestern Abend, denen ich nicht begegnen wollte.« Ihr Hotel lag nur fünfzig Meter entfernt an der Straße. Es war ein seelenloses, modernes Gebäude, das nicht einmal eine Klimaanlage hatte.

»Darf ich mich nur schnell duschen?«, fragte ich, als wir ihr zellenartiges, stickiges Zimmer betraten.

»Na klar.« Carla hatte ihre Sandalen von den Füßen geschleudert und setzte sich auf die Kante des großen Doppelbetts. »Nur zu.«

»Nachts muss es doch hier drin unerträglich heiß sein.«

»Wahrscheinlich«, entgegnete Carla, schien sich aber nicht sicher zu sein. »Aber es ist billig. Ich wünschte, es wäre näher am Strand. Wie ist denn Ihr Hotel?«

»Klein und überhaupt nicht modern. Aber es liegt direkt am Strand.«

»Klingt toll.«

»Wenn Sie wollen, können Sie mit mir nach Yerolimani kommen«, schlug ich ihr spontan vor. »Nur für eine Nacht oder zwei. In meinem Zimmer steht ein zweites Bett, und ich glaube nicht, dass Manoli etwas dagegen hat, wenn Sie bei mir übernachten. Wahrscheinlich müssen Sie nur das Frühstück bezahlen.«

»Hmm«, meinte Carla und betrachtete ihre polierten Fingernägel. »Keine schlechte Idee. Ich denke darüber nach.«

In der Dusche fragte ich mich, warum ich diese Einladung so überstürzt ausgesprochen hatte. Es wäre vernünftiger gewesen, Carla vorzuschlagen, dass wir uns am nächsten Tag wieder treffen und dann weitersehen. Aber wahrscheinlich akzeptiert sie meinen Vorschlag sowieso nicht, dachte ich. Als ich jedoch aus der Dusche kam – das Wasser war lauwarm gewesen –, hatte Carla schon ihren Koffer gepackt. Mich überkam ein banges Gefühl: In meine sehr kostbare Selbstständigkeit würde jemand eindringen, den ich überhaupt nicht kannte.

»Ach, der fehlende Koffer«, sagte ich leichthin und hoffte, Carla waren meine Bedenken verborgen geblieben. Sie zog den Reißverschluss um das marineblaue Rechteck aus Nylon zu. Mir fiel ein, dass sie am Flughafen behauptet hatte, der Koffer sei mit Kondomen voll gestopft. »In meinem Hotel ist es sehr ruhig«, fügte ich hinzu. »Wahrscheinlich gefällt es Ihnen dort gar nicht.«

»Bestimmt ist es besser als dieses Dreckloch«, sagte sie und sah sich in dem schäbigen Zimmer um. »Kommen Sie, gehen wir.«

An der Rezeption gab es eine kurze Auseinandersetzung, als der Besitzer, ein Mann mit dunklen Gesichtszügen und argwöhnischen Augen, verlangte, dass Carla für die nächste Nacht bezahlen müsse, da sie später als zur obligatorischen Mittagszeit auscheckte. Carla feilschte zunächst wütend mit ihm, bis sie plötzlich kapitulierte und die beiden murrend einen Kompromiss eingingen. Carla war bereit, den halben Preis für die Extra-Nacht zu bezahlen. Als sie dem Besitzer mehrere Geldscheine reichte, zählte ich unwillkürlich mit.

Sie war noch immer verärgert, als wir zu dem Platz zurückgingen, wo ich mein Auto geparkt hatte.

»Ich bin stocksauer, weil ich für etwas bezahlen musste, das ich nicht in Anspruch genommen habe«, sagte sie und zerrte ihren Koffer hinter sich her.

»Alles in allem sind Sie aber recht billig davongekommen.«

»Billig? Die scheffeln das Geld doch nur so.«

»Nicht, wenn das Zimmer nur siebzehntausend Drachmen für vier Nächte kostet.«

»Was? O nein, das war nur der Preis für letzte Nacht und die Hälfte für die Nacht, die ich nicht einmal dort verbringe.«

»Wo haben Sie denn vorher gewohnt?«

Carla warf mir einen merkwürdigen Blick zu und versteckte dann ihre Augen hinter ihrer dunklen Sonnenbrille. »Ach, für die ersten Nächte hatte ich im Voraus bezahlt. Ist es noch weit bis zu Ihrem Wagen?«

»Nur noch bis zum Ende dieser Straße.«

Im Auto war es glühend heiß. Ich öffnete alle Türen und wartete, bis die Luft sich etwas abgekühlt hatte. Aber Carla wurde immer unruhiger und schnauzte mich schließlich an: »Um Himmels willen, so schlimm ist es doch nicht. Bloß weg von hier!«

Als wir den Stadtrand erreicht hatten, besserte sich ihre Stimmung jedoch.

»Sayonara, du beschissene Stadt!«, sagte sie und schaute über die Schulter zu den Bars und Discos im Hafenviertel zurück.

»Wie können Sie so abfällig über einen der bedeutendsten historischen Orte Griechenlands reden?«, fragte ich und spielte die Schockierte.

»Das mag schon sein«, entgegnete sie und lehnte sich zurück. »Aber es geht doch nichts über Sand und Meer.« Dann fingen wir an zu singen: »Oh, I do like to be beside the seaside«, und mein Vertrauen in meine Fahrkünste steigerte sich dramatisch. Ich überholte sogar einen Mietwagen mit Touristen, allerdings nicht in einer Haarnadelkurve.

Ich erinnerte mich, was in einem meiner Zwischenzeugnisse gestanden hatte, das meinen Eltern zugeschickt worden war. Damals muss ich etwa acht Jahre alt gewesen sein und hatte kurz zuvor die Schule gewechselt: »Helen kommt jetzt viel besser zurecht, weil sie eine Freundin gefunden hat.« Zwanzig Jahre später hatte sich kaum etwas daran geändert.

Carlas Reaktion auf die herrliche hufförmige Bucht, die ich mit besitzergreifendem Stolz bereits als »meinen« Strand betrachtete, war nicht so überschwänglich, wie ich erwartet hatte.

»Sieht ganz gut aus«, sagte sie. »Ich kann es kaum erwarten, endlich schwimmen zu gehen.«

Manoli und Despina jedoch freuten sich sehr, dass ich jemanden gefunden hatte, mit dem ich meinen Urlaub verbringen konnte. Wahrscheinlich hielten sie uns für alte Freundinnen, die verabredet hatten, sich in der Stadt zu treffen. Mir war es zu kompliziert, die Wahrheit zu erklären. Despina kehrte sogar ihre mütterliche Seite hervor, die mir bisher verborgen geblieben war, und tätschelte meine Wange, als wollte sie Carla zeigen, wie gut wir uns verstanden. Carla beobachtete die Szene mit Argwohn.

Wir gingen an den vor dem Hotel gelegenen Strand. Carla war keine gute Schwimmerin. Im Wasser achtete sie sorgfältig darauf, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, machte ein paar Schwimmbewegungen mit den Armen, ließ sich treiben oder plantschte herum. Jedes Mal, wenn ich ans Ufer kam, saß sie – ihren Walkman im Ohr – auf ihrem Badetuch. Sie machte den vernünftigen Vorschlag, wir sollten zwei Liegen und einen Sonnenschirm mieten. Und dieser schattige Bereich unter dem großen Schirm wurde unser Platz am Strand. Sie zeigte kein großes Interesse daran, die Umgebung zu erkunden. Einmal wollte ich ihr die Felsen zeigen, die ich an meinem zweiten Tag hier entdeckt hatte. Da sie sich so weit vom Hotel entfernt scheinbar unwohl fühlte, kehrten wir bald wieder unter unseren Sonnenschirm zurück.

Über die Nackten an dem inoffiziellen Nudisten-Strand zeigte sie sich empört und sagte: »Wie schamlos!« Dabei ließ sie jedoch zwei skandinavische Jungs, die mit einem Wurfring spielten, nicht aus den Augen. »Kein Wunder, dass die einheimischen Teenager überstimuliert werden. Da überrascht es mich nicht, dass Sie von einem Spanner verfolgt wurden.«

Ich reagierte leicht verärgert, denn ihre Worte implizierten, dass ich die Aufmerksamkeit des Spanners provoziert hatte. Da er jedoch seit ihrer Ankunft im Hotel nicht wieder aufgetaucht war und sich wahrscheinlich ein neues Opfer gesucht hatte, sagte ich nur: »Hauptsache, er ist verschwunden.«

»Solche Männer sollten eingesperrt werden«, sagte Carla plötzlich vehement. »Sie sind widerlich!«

Carlas Benehmen bestand aus einer so seltsamen Mischung aus altmodischer Sittenstrenge und unerwarteter Kühnheit, dass mich ihre Antworten oft auf dem falschen Fuß erwischten.

Aber das war kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, dass ich sie nie wirklich gekannt habe.

Da wir zu Mittag recht üppig gegessen hatten, beschlossen wir, an diesem ersten Abend am Strand entlang in die Stadt zu gehen, gemächlich am alten Hafen herumzuschlendern und irgendwo etwas zu trinken.

So viel zu unseren guten Vorsätzen. Wir gingen zwar zum Hafen, spazierten auch durch die malerischen Gassen und landeten schließlich in Iannis Taverne.