0,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Ein Tanz unter dem Sternenhimmel: Die große Frauensaga »Die Rosen von Cornwall – Sehnsuchtsleuchten« von Joanna Hines jetzt als eBook bei dotbooks. Eine Leidenschaft, so unbezähmbar wie das wilde Herz Englands … Die Cotswolds im 17. Jahrhundert. Ihr Mann hütet Doll wie einen kostbaren Schatz – und verlangt absoluten Gehorsam von ihr. Sie soll das Ebenbild einer sittsamen Dame sein: schön und kalt wie eine Puppe aus Porzellan. Doch in ihrer Brust schlägt ein leidenschaftliches Herz und in unbeobachteten Momenten wagt Doll es, zu tanzen und sich weit fort zu träumen. Als im Schatten des heraufziehenden Bürgerkriegs Soldaten aus Cornwall in ihrem Dorf stationiert werden, dringt zum ersten Mal ein warmer Lichtstrahl in das Gefängnis ihrer Ehe: Der junge Offizier Steve scheint Doll direkt in ihr Herz zu sehen. Mit ihm wagt sie den gefährlichsten Tanz ihres Lebens: eine Leidenschaft, die sie alles kosten könnte, ein Glück, das sie innerhalb eines Augenblicks für immer zu verlieren droht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der epische Liebesroman »Die Rosen von Cornwall – Sehnsuchtsleuchten« von Joanna Hines ist der dritte Band ihrer Familiensaga, in der alle Romane unabhängig voneinander gelesen werden können. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 728
Über dieses Buch:
Eine Leidenschaft, so unbezähmbar wie das wilde Herz Englands … Die Cotswolds im 17. Jahrhundert. Ihr Mann hütet Doll wie einen kostbaren Schatz – und verlangt absoluten Gehorsam von ihr. Sie soll das Ebenbild einer sittsamen Dame sein: schön und kalt wie eine Puppe aus Porzellan. Doch in ihrer Brust schlägt ein leidenschaftliches Herz und in unbeobachteten Momenten wagt Doll es, zu tanzen und sich weit fort zu träumen. Als im Schatten des heraufziehenden Bürgerkriegs Soldaten aus Cornwall in ihrem Dorf stationiert werden, dringt zum ersten Mal ein warmer Lichtstrahl in das Gefängnis ihrer Ehe: Der junge Offizier Steve scheint Doll direkt in ihr Herz zu sehen. Mit ihm wagt sie den gefährlichsten Tanz ihres Lebens: eine Leidenschaft, die sie alles kosten könnte, ein Glück, das sie innerhalb eines Augenblicks für immer zu verlieren droht …
Über die Autorin:
Schon in ihrer frühen Jugend begann Joanna Hines, mit Leidenschaft zu schreiben. Neben ihren Romanen veröffentlichte sie auch Kurzgeschichten und Artikel in »The Guardian« und »The Literary Review«; unter dem Namen Joanna Hodgkin schreibt sie außerdem Biografien. Die Autorin verbrachte viele Jahre mit ihrer Familie in Cornwall; heute lebt und arbeitet sie wieder in ihrer Heimatstadt London.
Bei dotbooks veröffentlichte Joanna Hines ihre Spannungsromane »Das Geheimnis von Chatton Heights«, »Die Frauen von Briarswood Manor«, »Die Schatten von Glory Cottage« und »Das Erbe von Grays Orchard«.
Ebenfalls erschien bei dotbooks ihre historische Familiensaga »Die Rosen von Cornwall« mit den Romanen:
»Sturmjahre – Band 1«
»Schicksalslied – Band 2«
»Sehnsuchtsleuchten – Band 3«
***
eBook-Neuausgabe Mai 2021
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »The Puritan’s Wife« bei Hodder and Stoughton, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Die Frau auf dem Gemälde« bei Droemer Knaur.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1995 by Joanna Hines
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Mattew Dixon, VeronArt16
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96655-333-9
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Sehnsuchtsleuchten« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Joanna Hines
Die Rosen von Cornwall – Sehnsuchtsleuchten
Roman
Aus dem Englischen von Sibylle Schmidt
dotbooks.
Für meinen Sohn Peter
An einem kalten sonnigen Wintermorgen hatte sich die Familie Taverner ganz gegen ihre Gewohnheit vollzählig im Wintersalon des Priory House versammelt, und Thomas, der Maler, brachte das Porträt, an dem er seit Anbeginn des Jahres arbeitete, zur Vollendung. An den Fenstern rankten sich Eisblumen, im Kamin flackerte ein kleines Feuer, und die Kinder waren zapplig und unruhig.
Dieses letzte Treffen war, genaugenommen, unnötig. Thomas hatte sie aus Neugier noch einmal zu sich bestellt; er wollte zu guter Letzt doch noch den Versuch unternehmen, das Geheimnis dieser scheinbar sehr gewöhnlichen und doch höchst sonderbaren Familie zu ergründen.
Nichts an der äußeren Erscheinung seines Dienstherrn ließ auf Ungewöhnliches schließen. Thomas hatte mehrfach der Versuchung widerstehen müssen, seine Züge übertrieben darzustellen: Nur ein Pinselstrich mehr an den vollen Lippen oder eine leichte Betonung der tiefliegenden, wachsamen Augen, und er hätte eine gnadenlose Karikatur geschaffen, die sich über Gier und Selbstgefälligkeit lustig machte. Doch Josiah Taverner regte nicht zu Leichtfertigkeiten an. Er war nur von mittlerer Statur und wirkte dennoch auf seine langsame Art kraftvoll, ja sogar bedrohlich, mit seinem argwöhnischen Blick und seinem gewaltigen fleischigen Kinn.
Der Schädel, der ein wenig zu groß geraten schien für seinen Körper, war mit dünnem, zimtfarbenem Haar bedeckt. Geld und Macht waren offenbar die einzigen Dinge im Leben, die ihn bewegten, und sein Leib war schwer und träge geworden vom Erfolg.
Thomas empfand es als wohltuend, als er seine Aufmerksamkeit der Gattin des Kaufmanns zuwenden konnte. Auf ihre Darstellung hatte er doppelt soviel Zeit verwandt wie auf das Abbilden des Hausherrn, und er hatte sie häufig bestellt, um Modell zu sitzen. Zum einen, weil er schöne Dinge zu schätzen wußte, und die Herrin des Hauses war zweifellos eine Augenweide; zum anderen jedoch, weil er das Verlangen verspürte, ihre Entrücktheit zu erfassen, die ihr einen ganz besonderen Zauber verlieh und sie von anderen reizvollen Frauen unterschied.
Doch reizvoll war sie ohne Frage. In ihren dunklen Zügen trat ihre spanische Herkunft zutage: schwarzes Haar, eine hohe Stirn, feine, geschwungene Augenbrauen und diese ungewöhnlichen Augen ... verwirrende Augen, hatte Thomas gedacht, als er ihrer zum erstenmal gewahr wurde. Er wußte, daß Mistress Taverner erst fünfzehn Jahre alt gewesen war, als sie mit ihrem Gatten nach Tilsbury kam, und jetzt mochte sie kaum mehr als sieben oder achtundzwanzig Jahre zählen. In der Gegend waren mehrere Gerüchte im Umlauf, die zu erklären suchten, weshalb ein protestantischer Söldner aus den deutschen Religionskriegen mit einer spanischen Gattin zurückkehrte, die noch beinahe ein Kind war, doch Thomas hatte keinem Glauben schenken mögen.
Ihre Vergangenheit blieb ein Geheimnis, wie auch ihre Gedanken. Einmal, als sie ihm Modell saß und irgendwo ins Leere starrte, bemerkte Thomas, daß ihr Tränen in den Augen standen.
»Seid Ihr nicht wohl, Mistress Taverner?«
Sie hatte ihn aufrichtig überrascht angeblickt. »Nein. Weshalb?« Eine Träne rann ihr über die Wange.
»Weil Ihr weint.«
Sie zuckte die Achseln.
»Vielleicht peinigt der Dunst Eurer Farbe meine Augen.«
»Woran habt Ihr gedacht?«
»An nichts. Mein Kopf war gänzlich leer.«
Thomas hatte im Laufe der Zeit begriffen, daß die geheimsten Gedanken dieser Frau sogar ihr selbst verborgen blieben. Manchmal, vor allem, wenn er sie mit ihren Kindern sah, entdeckte er in ihren Zügen das fünfzehn Jahre alte Mädchen, das in einer fremden Stadt in einem unbekannten Land ein neues Leben beginnen mußte. Dann wieder las er in ihrem Gesicht, daß es ihr nie vergönnt gewesen war, jung zu sein.
Fahles Sonnenlicht fiel durch die Fenster; die Kinder traten voller Ungeduld von einem Fuß auf den anderen. Ein Jammer, sinnierte Thomas, daß die beiden älteren ihrem Vater so ähnlich sahen. Dasselbe krause zimtbraune Haar, die unschönen, beinahe froschartigen Gesichtszüge. Jetzt mochte ihre Pausbäckigkeit noch liebenswert wirken, doch nicht mehr lang, dann würden sie fett werden. Nur der Jüngste, Philip, war nach seiner Mutter geraten; er hatte schwarzes Haar und schwarze Augen und war stolz wie ein Hahn. Seiner älteren Schwester und seinem Bruder war er ein gerne gehätscheltes Spielzeug, seiner Mutter der Fluch ihres Lebens. Das Wesen des Säuglings, kaum sechs Monate alt und in Tücher gewickelt wie ein kleiner Seidenwurm in einen Kokon, ließ sich noch nicht erahnen.
Thomas seufzte. Dieser Wintersalon, der seit zwei Monaten seine Farben und seine Staffelei beherbergte, war ihm ans Herz gewachsen. Er war nur mit wenigen Möbelstücken ausgestattet, doch die mit Eichenholz getäfelten Wände und der schöne Kamin bedurften keines weiteren Schmucks. An einem kalten Märzmorgen wie dem heutigen durchzogen den Raum die frischen Düfte von Feuerholz, Bienenwachs und Binsen. Doch wie verführerisch das Haus auch sein mochte, er konnte seinen Auftrag nicht länger ausdehnen. Sein Werk war vollendet, und in ein oder zwei Tagen mußte er dieses stille Städtchen im Tal verlassen und anderswo nach Beschäftigung Ausschau halten.
Er tauchte seinen Pinsel in einen schimmernden Farbklecks und schrieb sorgfältig seinen Namen unter den Schuh von Mistress Taverner. »Thomas ...« schrieb er mit Bedacht. Gemeinhin genügte dieses eine Wort; er hielt seinen Namen so knapp wie seinen Hausstand, der seinem unsteten Leben entsprach, doch diesmal zögerte er einen Moment und fügte ein zweites Wort hinzu, »Talpa«. Thomas der Maulwurf. Er hatte diesen Titel noch nie getragen und hoffte, auch künftig nicht mehr dazu gezwungen zu sein; doch es verlangte ihn danach, der Nachwelt ein Zeugnis seiner eigentümlichen Beschäftigung in Priory House zu hinterlassen.
Ein letztes Mal blickte er auf die vor ihm versammelte Familie. Master Taverner erschien ihm noch aufgeblasener als sonst; seine Backen waren angeschwollen wie die eines gierigen, fetten Ochsenfroschs, der seinen Erfolg in die Welt hinausposaunt. Seine Gattin dagegen blieb unbewegt und entrückt und schien den kostbaren Schmuck, mit dem der Hausherr sie behängt hatte, nicht zu bemerken. Wie immer, blieben ihre Gedanken ein Geheimnis. Die Kinder dagegen machten keinen Hehl aus ihren Gefühlen. Auf ihren Gesichtern zeichneten sich alle erdenklichen Formen der Langeweile ab. Harry, der Älteste, beugte sich vor und flüsterte seinem kleinen Bruder etwas ins Ohr. Philips Augen funkelten vor Vorfreude auf die geplante Missetat.
Harry bot lautstark den Lohn an, damit die Erwachsenen auch ihren Spaß haben konnten. »Nicht mehr lange, Pip. Du darfst gleich danach auf Bonnet reiten.«
Philip hüpfte vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. »Stierglied!« rief er aus. »Stierglied, lied, lied, lied, lied!!«
Harry und Beth brachen in Gekicher aus. Pip, der nicht begriff, was er da rief, sondern sich nur daran ergötzte, daß es offenbar wunderbar unanständig war, freute sich diebisch. Master Taverner runzelte lediglich die Stirn. Seine Gattin sagte »wirklich, Pip« und tippte ihren Sohn leicht auf den Kopf, doch ihrem Lächeln war anzusehen, daß sie sich ebensosehr gelangweilt hatte wie die Kinder. Von Anfang an war Thomas aufgefallen, daß die Taverners erstaunlich geduldige Eltern waren. Man wurde ihrer Zuneigung zu ihren Kindern nicht gewahr, doch sie war reichlich vorhanden.
Thomas erbarmte sich ihrer aller. »Nun«, sagte er. »Es ist vollendet.«
Harry, Beth und Philip brachen in lautes Gejohle aus und hüpften umher, bis Mistress Taverner, die ihrer Großmutter den schlummernden Säugling in den Arm gelegt hatte, sie mit einer entschiedenen Anordnung aus dem Zimmer wies. Man hörte das Poltern ihrer Schritte auf der Treppe, dann fiel lärmend eine Tür zu, und es herrschte Ruhe.
Master Taverner erhob sich von dem Stuhl mit der hohen Lehne und kam herüber, um das vollendete Werk zu begutachten, was er wiederum in der ihm eigenen, schwerfälligen Art tat, die Thomas so unangenehm fand. »Nun«, sagte der Hausherr, »Ihr habt keine Zeit vergeudet, das gefällt mir.«
Thomas begriff, daß er von seinem Dienstherrn kein Lob für die Schönheit seiner Arbeit zu erwarten hatte. Er blickte zu Mistress Taverner, die sich in die Nähe ihres Gatten begeben hatte. Zu seiner Überraschung stellte er fest, daß sie ihr Abbild anstarrte wie einen Widersacher. Er überlegte kurz, ob sie wohl nicht zufrieden war mit seiner Art der Darstellung, doch das hielt er nicht für möglich. Manch einen Gesichtsausdruck, der ihm von Zeit zu Zeit bei ihr aufgefallen war, hatte er nicht wiedergeben können, doch ihre Schönheit war fraglos für jedermann sichtbar.
»Erregt es Euer Mißfallen, Mistress Taverner?«
Sie wandte sich ihm unvermittelt zu, mit einer ruckartigen Geste, als wolle sie die Kette an ihrem Hals von sich werfen, und ihr Gesichtsausdruck wandelte sich vollständig. Ungleich ihrem Gatten, hatte sie sofort verstanden, daß es Thomas danach verlangte, für sein Werk gelobt zu werden, bevor er sich für immer davon trennte.
»Ihr könnt wahrlich stolz sein auf Eure Fertigkeiten, Thomas«, sagte sie und fügte dann mit ihrer dunklen Stimme und ihrem leichten Akzent hinzu: »Schätzt Euch glücklich, Thomas. Ihr hinterlaßt der Welt etwas, wenn Ihr geht.«
Eine Spur von Bedauern schwang in ihren Worten mit, doch bevor Thomas darüber nachsinnen konnte, war sie aus dem Zimmer geeilt, und er hatte nur noch das Rascheln ihrer seidenen Röcke im Ohr.
Josiah Taverner hatte bestätigend genickt, als seine Gattin sprach, und sein Lächeln geriet nun ein wenig zufriedener als zuvor. Thomas begriff, daß sein Dienstherr eine Ausnahme darstellte: ein älterer Mann mit einer jungen, schönen Frau, der sich nicht bedroht fühlte vom offenkundigen Interesse anderer Männer, sondern sich an ihrem Neid ergötzte. Er schien sich der Treue seiner Gattin gewiß zu sein. Wahrhaftig ein glücklicher Mann.
Thomas hätte sich gewundert, wäre er Zeuge der Handlungen von Mistress Taverner nach ihrem Verlassen des Wintersalons gewesen. Mabs, die aus der Küche kam mit einer Frage wegen des Abendessens, übersah sie einfach. Die breite Treppe rannte sie beinahe hinauf, stürzte in ihr Schlafgemach und warf die Tür hinter sich zu. Keuchend zerrte sie am Verschluß der Kette, die den ganzen Morgen ihren Hals umschlossen hatte, riß sich die Ringe von den Fingern und die Armbänder vom Handgelenk. Warum glich Schmuck nur so sehr den Dingen, mit denen man Lebewesen ihrer Freiheit beraubte? Ketten, Handfesseln und das Geschirr von Tieren – Zierat für ein Spielzeug, eine Puppe. Josiah hatte darauf bestanden, daß sie seinen Reichtum herzeigen sollte, Beutestücke, die er aus den Kriegen heimgebracht hatte. Vielleicht war es ja nur richtig, daß er die Beweise seiner Siege an seiner Gattin zur Schau stellte, seinem erlesensten Beutestück. Sie stopfte die Schätze in ein kleines Kästchen, das auf einer Eichenholztruhe stand, drehte den Schlüssel im Schloß und ging ans Fenster. Dort stand sie, preßte die Stirn an das kühle Glas und blickte auf die breite Straße hinunter. Allmählich wurde ihr Atem ruhiger, ihre Erregung wich. Aus der Verstörung, die Thomas an ihr bemerkt hatte, wurde abgrundtiefe Verzweiflung.
Danach vermied sie es, das Gemälde anzusehen. Sie verabscheute es, haßte es für eben jene Unvergänglichkeit, für die es ihrem Gatten so wertvoll war.
Seit ihrem Eintreffen in diesem stillen Tal hatte sie immer geglaubt, nur ein Flüchtling auf Zeit zu sein. Wie die Zugvögel würde sie eines Tages in ihre südliche Heimat zurückkehren. Doch das Gemälde tat etwas anderes kund. Die Frau, die steif in der Mitte ihrer Familie saß, war in dieser Erde verwurzelt. Mit ihrem englischen Gatten, ihren englischen Kleidern und ihren englischen Kindern war die Schauspielerin eins geworden mit ihrer Rolle.
Es war später Nachmittag, als Thomas sich zum Aufbruch bereit machte. Er hatte wenige Besitztümer, und er beeilte sich nur deshalb nicht, weil es ihn nicht drängte, wieder in die Welt hinauszuziehen. Insgeheim hegte er die Hoffnung, daß Master Taverner – oder wohl eher seine Gattin – ihn einladen würde, noch eine Nacht zu bleiben. Im Land unterwegs zu sein, war schon zu guten Zeiten ein gewagtes Unterfangen, doch nachdem seit zwei Jahren der Bürgerkrieg wütete, war es regelrecht lebensgefährlich.
Er traf Mistress Taverner vor ihrer Destillierkammer an, wo sie eben die Tür abschloß. Dann wandte sie sich mit einem Lächeln zu ihm. »Ihr verlaßt uns, Thomas? Wohin zieht es Euch?«
»Zum Hof des Königs in Oxford vielleicht. Oder nach Bristol. Mir steht der Sinn nicht nach weiten Reisen.«
»Habt Ihr denn keine Pläne?«
»Ohne Pläne bin ich besser dran«, sagte er bedauernd. »Den Abend werd’ ich im Lion zubringen, und wenn mir das Glück hold ist, find’ ich einen, der mit mir reist. Ich bin nicht gern allein unterwegs.«
»Ich wünschte, wir könnten Euch noch einen weiteren Auftrag erteilen. Doch die Porträts sind alle vollendet.« Thomas sagte zögernd: »Ich könnte Eure Großmutter malen.«
»Nona?« Mistress Taverner war sichtlich überrascht ob dieses Ansinnens. »Warum wohl sollte jemand ein Bild von einer garstigen alten Frau malen?« Ihr Gesicht wurde weicher, als sie ihn zu verstehen meinte. »Einen Augenblick habe ich wirklich geglaubt, Ihr meint es ernst, Thomas. Was für ein Einfall! Und Nona wäre außer sich. Sie würde glauben, Ihr wolltet ihre Seele stehlen.«
Thomas tat, als sei der Vorschlag in der Tat als Scherz gemeint gewesen, doch in Wirklichkeit war es ihm durchaus ernst damit. Das vom Alter gefurchte und durchtriebene Gesicht der Großmutter hatte ihn von Anfang an beeindruckt. Er hatte sogar aus reinem Vergnügen mit einer Skizze begonnen. Nun fesselte ihn die Vorstellung, daß die Greisin ein Abbild ihrer selbst als Bedrohung empfinden könnte. Ihm war bekannt, daß sich unter den abergläubischeren Einwohnern von Tilsbury einige fanden, die der eigentümlichen Großmutter von Mistress Taverner übersinnliche Fähigkeiten zuschrieben, aber deren Kräutertinkturen waren sehr beliebt. Einige behaupteten, sie könne in die Zukunft sehen oder verlorene Dinge wiederbringen. Selbst Master Taverner schien ihr mit argwöhnischer Vorsicht zu begegnen. Nur seine Gattin kümmerte das wenig. Die beiden Frauen zankten sich unentwegt, doch sie waren einander sehr verbunden. Thomas fand all das äußerst undurchsichtig.
Aus dem Geräusch zufallender Türen, Geschrei und Getrampel auf der Treppe war zu schließen, daß die Kinder von ihrem nachmittäglichen Ausflug zurückgekehrt waren. Die Großmutter flatterte um sie herum wie eine kleine schwarze Henne, als der Diener die Kinder ihrer Obhut überließ, und die Kleinen berichteten lautstark und widersprüchlich von ihren Abenteuern.
Mistress Taverner horchte auf den Lärm. »Ich muß gehen«, sagte sie. »Der Kleine ist aufgewacht.« Sie hob die Hand, und Thomas sah, daß sie ein Fläschchen hochhielt. Auf dem Etikett stand nur »Für Thomas«. »Hier, ich habe das für Euch zubereitet, falls Ihr wieder das Fieber bekommt. Doch denkt daran, es ist nur für Euch bestimmt. Bei anderen würde es wenig Wirkung zeigen.«
Thomas war gerührt. Im Februar war er erkrankt, und Mistress Taverner hatte ihn aufmerksam gepflegt. »Nun weiß ich, daß mir nichts zustoßen kann. Und mögt Ihr, Mistress Taverner, und die Euren für immer von diesem elenden Krieg verschont bleiben.«
»Verschont?« Sie zog spöttisch die dunklen Augenbrauen hoch. »Zwei unserer besten Bediensteten sind davongelockt worden, und wir zahlen so viel Steuern, daß es uns fast den Hals bricht.«
Thomas dachte an die betriebsame Küche, die gut gefüllten Vorratskammern, die regelmäßigen Mahlzeiten und die ruhigen, gleichförmigen Tage. Er sagte: »Doch Euer Haus ist unberührt. Hier hat sich noch kein Soldat sehen lassen.«
»Das ist wohl wahr«, erwiderte Mistress Taverner ungerührt. »Und so wird es auch bleiben. Wißt Ihr denn nicht – meine Großmutter hat dieses Haus schon vor langen Jahren mit einem Bann belegt. Jeder Soldat, der es betreten will, wird unverzüglich all seiner Kraft beraubt. Um uns braucht Ihr Euch nicht zu sorgen, Thomas.«
Als er Abschied nahm von ihr, dachte Thomas, daß Mistress Taverner wohl wirklich an die Unantastbarkeit ihrer Familie glaubte. Er entsann sich der Zerstörung und des Leids, das er nicht allzuweit von diesem Ort entfernt erlebt hatte, und betete stumm, daß die Zeit ihr recht geben mochte.
Josiah Taverner fand man in einem kleinen Raum an der Längsseite des Hauses, von dem aus er seine geschäftlichen Belange regelte. Thomas hatte diesen Raum nur einmal betreten, als er im Januar in Priory House eintraf. Er hatte ihm damals mißfallen und mißfiel ihm noch immer. Alle anderen Räume des Hauses waren großzügig und elegant eingerichtet, doch dieses Kontor war düster und vollgestopft mit Papier und Kisten. Hier ging es nur darum, Geld zu raffen und es zu vermehren, um nichts anderes. Und nun saß Josiah Taverner hinter seinem beladenen Schreibtisch, tätschelte sich versonnen den Wanst und sprach über Geld. Nicht ein Wort verlor er über das Gemälde selbst, nur über die Vorgänge des Entgelts. Thomas hörte ihm höflich zu, doch bald bedrückte es ihn, daß er dem Wahn des anderen untertan sein sollte. Er mußte sich der plötzlichen Anwandlung erwehren, jegliche Bezahlung zurückzuweisen. Doch derartige Überheblichkeiten konnte er sich nicht erlauben. Es war ihm schlechterdings unmöglich, nur mit Mistress Taverners Fieberelixier in der Tasche in die Welt hinauszuziehen. Er hörte, daß der Mann ihm ein Wertpapier anbot, das bei einem gewissen John Rolfe, einem Geschäftsfreund des Hausherrn in London, einzulösen sei.
»Ihr könnt Euer Geld auch in barer Münze bekommen, wenn Ihr das bevorzugt«, sagte Master Taverner. »Doch bin ich der Überzeugung, daß es ein Fehler wäre, in einer Zeit wie dieser Bares mit sich herumzutragen. Auf den Straßen wimmelt es nur so von Gesindel.«
»Ich hatte nicht die Absicht, bis nach London zu reisen.«
»Wenn Ihr erst dort seid, könnt Ihr Euch in Sicherheit wägen. Vorerst. Ich habe gehört, daß sich heute im Lion zwei Waliser eingefunden haben, die sich auch dorthin begeben wollen. Über einen dritten Landsmann wären sie gewiß erfreut.«
»Dann beuge ich mich Eurem Urteil.«
Josiah Taverner nickte. Er seufzte, versiegelte das Schreiben, das er vorbereitet hatte, und reichte es über den breiten Tisch.
»Was diese andere Angelegenheit betrifft: Ich habe darüber nachgedacht. Euer Entgelt bekommt Ihr weniger für die Arbeit selbst, denn sie ist verzichtbar, sondern für Eure Verschwiegenheit. Sie ist unabdingbar.«
»Das weiß ich, Master Taverner. Ihr habt mein Wort.«
»Ja, ja, ja. Doch Versprechen haben die unerquickliche Angewohnheit, gebrochen zu werden.«
»Ich will diese Bemerkung nicht beachten, Sir, denn ich habe nichts getan, womit ich eine solche Kränkung verdient hätte.«
»Wenn dieser unselige Krieg vorüber ist, wird die Geheimhaltung nicht mehr vonnöten sein. Ich biete Euch an, Euch einen weiteren Abschlag zu bezahlen, den Ihr erst nach Beendigung der Feindseligkeiten bekommt, und auch nur dann, wenn Ihr Euch an Eure Abmachung gehalten habt.«
Thomas war erzürnt. »Wie merkwürdig, Master Taverner, daß Ihr diesen Vorbehalt nie erwähnt habt, als ich mich auf Euren geheimen Auftrag einließ.«
»Ich werde Euer Entgelt erhöhen, weil Ihr es verspätet erhaltet. Mehr kann ich Euch nicht anbieten.«
»So sei es denn.« Thomas fühlte sich elend. Immer mußte ein Auftrag mit diesem erbärmlichen Gefeilsche zu Ende gehen. »Der Maler nimmt sein Entgelt jetzt entgegen. Thomas Talpa, der Maulwurf, wird die rechte Zeit abwarten.«
Er sah zu, wie Master Taverner ein zweites Schreiben für den Kaufmann in London aufsetzte. Ganz überraschend, wie es ihm manchmal in den letzten Monaten widerfahren war, empfand Thomas Mitleid für den Mann. Er benahm sich so ungehobelt wie einer, der es nie gelernt hat, liebenswert zu sein. Thomas meinte, wenigstens einen Teil seiner Gehässigkeit zu begreifen. Master Taverner war wohl im katholischen Glauben erzogen worden, wie auch er selbst. Beide hatten sie der Religion ihrer Eltern abgeschworen. Thomas hatte Ersatz gefunden in der Darstellung von Schönheit. Er glaubte, daß die Anhäufung von Reichtümern nun Josiah Taverners Evangelium war. Er fand ihn widerwärtig, bemitleidete ihn und war aufrichtig froh, ihn nicht mehr sehen zu müssen.
Erst als sich die schwere Tür hinter ihm schloß, hörte Thomas, wie jemand in einem Zimmer im Obergeschoß zu singen begann.
Auch Josiah entging der Gesang nicht. Als er sicher war, daß sich der Maler nicht mehr im Hause aufhielt, stand er auf, ging zur Tür seines Kontors und schob sie auf. Es war unüberhörbar. Einige Augenblicke lang lauschte er reglos, mit schräg gelegtem Kopf. Rhythmisches Klatschen und Stampfen war zu vernehmen. Und das Lied selbst: Roh und lieblich zugleich, hätte man es unharmonisch nennen können, wenn es nicht eine seltsame Schönheit in sich geborgen hätte. Das Lied war in diesem stillen Tal in Mittelengland so heimisch wie ein Paradiesvogel.
Die beiden Frauen sangen jetzt zweistimmig, dann wieder einstimmig, als sie den wiegenden Refrain wiederholten. Die Melodie kündete von Sehnsucht und Triumph. Eine heidnische, rebellische Weise schien es für Master Taverner zu sein, als sie durch sein ehrbares Kaufmannshaus schallte.
Er hatte sie selten vernommen, doch seit seine Gattin und ihre Großmutter hierhergekommen waren, war sie Teil seines Lebens geworden. Im Grunde seines Herzens mißbilligte er sie, doch er hatte nie einen Versuch gemacht, den Frauen das Singen zu untersagen. Nun merkte er unversehens, daß sein Mund trocken wurde. Und dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen, obwohl er wußte, daß es vergebens sein würde, und er schlich die Treppe hinauf zu dem Zimmer im ersten Stock, das Nona mit Philip und dem Säugling bewohnte. Dann blieb er stehen. Sein Herzschlag schien sich dem Rhythmus des Klatschens und Stampfens zu unterwerfen. Wenn er nicht von früheren Versuchen gewußt hätte, daß es nutzlos war, hätte er durch den Riß in der Tür gespäht. Seit vielen Jahren hatte er in seinem eigenen Haus keine andere Wahl, als herumzuschleichen und zu spionieren. Er verachtete sich selbst für seine Schwachheit, haßte die Frauen dafür, daß sie ihn in diese entwürdigende Lage brachten. Er preßte die Handflächen an das glatte Holz und schloß die Augen. Hätte er an den Nutzen geglaubt, hätte er gebetet. Eine Weise, so geheimnisvoll und mächtig: Sie konnte einem Mann das Herz brechen und ihn um den Verstand bringen.
Der Gesang, das Stampfen und Klatschen, die verworrenen Rhythmen, rührten jeden Nerv in seinem Körper an, bis er es nicht länger ertragen konnte; er drehte den Knauf, und die breite Tür schwang auf.
Augenblicklich trat Stille ein, und die Szene vor ihm erstarrte in der Bewegung.
Die Kinder hockten mit verschränkten Beinen auf dem Boden, und ihre Gesichter leuchteten rosig in der schwindenden Abendsonne. Beths mollige Ärmchen umschlangen den Säugling, und sie hielt seine Händchen, um ihm die schwierigen Rhythmen beizubringen.
Mistress Taverner und ihre Großmutter standen in der Mitte des Raums. Nona klein und plump, mit ihrem winzigen, runzligen Gesicht, Doll aufrecht und von strenger Schönheit. Beide keuchten, und ihre Wangen waren erhitzt. In dem kurzen Augenblick, als die Tür sich öffnete, hatte Josiah die wilde Freude im Gesicht seiner Gattin gesehen, und ihr Glück war grausamere Qual für ihn als der Zorn, den er hernach zu spüren bekam. Nicht ein einziges Mal hatte er sie in seiner Gegenwart glücklich erlebt.
Für ein paar Augenblicke verharrten alle in Reglosigkeit, und die Stille war so übermächtig, daß Beth beinahe glaubte, die Staubkörner in den rosafarbenen Sonnenstrahlen tanzen zu hören; dann hörte man lautes Klappern von Töpfen aus der Küche, und der Bann war gebrochen. Plötzlich lächelte Mistress Taverner und trat auf ihren Gatten zu.
Josiah sagte: »Haltet meinetwegen nicht ein, Doll«, wiewohl er wußte, daß es nutzlos war. »Ich will dein Vergnügen nicht stören. Fahrt fort, fahrt fort.«
Er konnte sich nicht beherrschen und trug noch zu seiner Demütigung bei, indem er tölpelhaft grinste.
»Tst«, wischte sie seine Aufforderung mit einer Handbewegung beiseite. »Das war nur närrisches Weibertreiben. Du weißt Besseres zu tun mit deiner Zeit.«
»Aber ich würde ...«
»Und zudem«, fiel sie ihm ins Wort, »waren wir ohnehin am Ende.«
Harry und Beth blickten von einem zum andern. Ihnen entging nicht, daß sich unter dem Lächeln etwas Unschönes abspielte. Beth fühlte sich plötzlich elend, ohne den Grund zu begreifen, und Harry kam sich vor, als sei er bei einem Akt des Verrats ertappt worden, den er gar nicht beabsichtigt hatte. Er war schon elf Jahre alt und war nicht sicher, ob er sich noch den Frauen und Kindern anschließen wollte, auch wenn er das seltene Vergnügen des Tanzes zu schätzen wußte. Doch Philip, der noch zu verzaubert war von den Klängen, sang mit seiner Kinderstimme das Lied vor sich hin und trommelte dabei mit den Fäusten auf die Dielen. Seine Mutter fuhr herum und legte ihm die Hand auf den Kopf.
»Genug, Philip. Wir haben innegehalten.«
»Aber –«
Sie schnippte mit den Fingern und funkelte ihn an. Er fügte sich. Die Kinder rappelten sich auf.
Harry steckte die Daumen in seinen Gürtel und trat zu seinem Vater. »Es war nicht der Rede wert, Vater«, sagte er mit seiner ernsthaftesten Stimme. »Wir wollten nur Pip und den Kleinen unterhalten.«
Josiah würdigte ihn keines Blickes. »Geh hinunter, Harry. Nimm die anderen mit.«
Harry zögerte. Seine Mutter betrachtete sie beide mit kaltem Blick und hochgezogenen Augenbrauen, beinahe verächtlich. Beth schickte sich an, mit Pip und dem Säugling hinauszugehen. Harry fürchtete sich unversehens davor, die Erwachsenen allein zu lassen.
»Geh, Junge. Es ist Zeit für das Abendgebet.« Sein Vater klang unwirsch. Harry schlurfte hinaus, die anderen Kinder folgten ihm, und die Zimmertür schloß sich hinter ihnen.
Keiner sprach ein Wort in dem Schlafzimmer, dessen Fenster nach Westen gingen. Doll Taverner verharrte reglos; die alte Frau wartete gelassen, während Josiah sich bemühte, seiner Gefühle Herr zu werden.
Vor langen Jahren, als Harry noch ein Säugling gewesen war, hatte Josiah seine junge Gattin bestechen wollen, damit sie für ihn tanzte. Er schämte sich, als er sich erinnerte, wie er sich erniedrigt hatte, welche Kostbarkeiten er ihr angeboten hatte. Doch sie hatte sie abgewiesen, hatte sich in Schweigen gehüllt, war vermeintlich fügsam und doch gänzlich unerreichbar gewesen. Später hatte sie ihm gesagt, daß in ihrer Heimat derlei Tänze nur für die Augen der Frauen und kleinen Kinder bestimmt waren. Er war nicht überzeugt, ob er ihr Glauben schenken konnte. Manchmal dachte er, wenn er ihr nur einmal beim Tanzen zusehen könne, wäre ihre Macht über ihn gebrochen.
Und an diesem Tag hatte er wahrlich Grund, sich jener Macht entledigen zu wollen.
»Tanz für mich, Doll.«
Sie zog die Augenbrauen noch höher. »Warum vergeudest du Zeit mit dieser Frage? Du weißt, ich werde es nicht tun.«
»Ich könnte es dir befehlen.«
»Tu, wonach dir zumute ist. Tanzen werde ich nicht.«
»Ich könnte dich zwingen.«
»Niemals.«
Nicht Trotz lag ihren Worten zugrunde, sondern gelassene Überzeugung. Diese Haltung war es, die Josiah schier unerträglich anmutete.
Er hatte nichts Bestimmtes im Sinn, empfand nur die Kränkung unversehens als unzumutbar. Er packte den nächsten Gegenstand, einen Stuhl mit Gobelinbezug, und trat einen Schritt auf sie zu.
»Tanz, wenn ich es dir sage.«
Doll hob das Kinn ein wenig höher und rührte sich nicht von der Stelle. »Der Tanz ist vorüber, Josiah.«
»Nein! Dieses Mal wirst du –«
Er konnte den Satz nicht vollenden. Die alte Frau hatte sich im Nu zwischen sie gestellt. Ihr Kopf war zurückgelegt, ihre Augen nurmehr Schlitze, und sie murmelte fieberhaft Worte, die Josiah über die Jahre immer wieder vernommen, doch nie richtig verstanden hatte.
»Sei still, sag’ ich dir, sei still!«, doch jede Kraft war aus seinem Zorn gewichen. Der Stuhl fiel ihm aus der Hand, und schützend hielt er den Arm vors Gesicht, um die wesenlosen Augen der alten Frau nicht mehr sehen zu müssen. Er rang um Atem.
»Verdammt, sag ihr, sie soll einhalten!« Er sank auf den Stuhl, seine Hand verkrampfte sich auf seiner Brust, versuchte, die Knöpfe seiner Weste zu öffnen, die ihn unversehens beengte.
Das kleine Lächeln, das über Dolls Gesicht huschte, bevor sie zu ihm kam und an seiner Seite niederkniete, sah er nicht.
»Nun, nun. Du solltest dich nicht so erregen, mein Lieber.« Er wollte sie wegschieben, doch nicht einmal dazu reichte seine Kraft.
Nona, die nun wieder wie eine gewöhnliche, kleine alte Frau erschien, holte ihm ein Glas Wasser von dem Krug in einer Ecke des Zimmers. Nach und nach kam Josiah zu Atem und gewann seine Fassung zurück. Sobald er sich erheben konnte, entfloh er der Fürsorge seiner Gattin und eilte die Treppe hinunter in die große Eingangshalle, in der die Bediensteten warteten, daß er das Abendgebet vorsprach. Weil er sich gefürchtet und geschämt hatte, zeigte sich Josiah an diesem Abend besonders gottesfürchtig. Seine tiefe Stimme, die lauter und eifriger klang als die der anderen, hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn.
Dennoch war er außerstande zu vergessen, daß die Gattin, die ihm gefolgt war, die ernste junge Frau, die in ihrem schwarzen Kleid mit dem schlichten weißen Kragen neben ihm saß und so rein und fromm aussah, in Wahrheit so flüchtig wie Quecksilber war, und daß er selbst angesichts ihrer grenzenlosen Gleichgültigkeit nurmehr einen lächerlichen Narren abgab.
Es war still im Haus zu dieser späten Stunde, und Doll schlief beinahe, als sie ihren Gatten kommen hörte. Kaum betrat er das Zimmer, wußte sie, was er im Sinn hatte; schon seine Schritte auf der Treppe hatten es ihr verraten. Mit einem Schlag war sie hellwach, lag starr da und verwünschte sich, weil sie die Zeichen nicht früher am Tag gedeutet hatte. Ihr Kummer über das Gemälde hatte sie unachtsam gemacht, sonst hätte sie bemerkt, wie Josiah sich benahm, als sie im Wintersalon mit Thomas sprach. Statt dessen hatte sie Trost im Tanz gesucht, und das war wiederum ein Fehler gewesen; sie hätte warten sollen, bis Josiah das Haus verlassen hatte. Ihre Musik erregte ihn immer wieder aufs neue. Doch seit ihrer letzten Aussegnung waren seine Aufmerksamkeiten so spärlich gewesen, daß sie unachtsam geworden war: Sie hätte ein paar Tropfen Raute in seinen Abendtrunk mischen können oder zusehen, daß sie mit dem Säugling beschäftigt war. Manchmal reichte es auch aus, wenn sie sich schlafend stellte. Doch nun war es zu spät.
Er entkleidete sich vor dem wärmenden Kamin und summte vor sich hin; er summte immer, wenn ihm der Sinn nach nächtlichen Lustbarkeiten stand. Doll schloß die Augen, damit sie seinen nackten Leib nicht sehen mußte, der rund und rosa und haarig war wie der eines Schweins vor der Schlachtung, dann zwang sie sich, sie wieder zu öffnen.
Nun hatte er sein Nachtgewand angelegt und lächelte. Doll sah zur Seite, wich seinem Blick aus. Josiah bemerkte die Geste, und der Ekel, der sie bewirkt hatte, blieb ihm nicht verborgen. In einer unvermittelt grausamen Anwandlung schritt er auf das Bett zu und verkündete dabei so beiläufig, als sei es ihm zuvor entfallen gewesen: »Bald werden Soldaten hiersein, Doll.«
»Soldaten?« Ihr stockte der Atem. »Du irrst dich doch bestimmt.«
Das Bett mit den vier Pfosten quietschte und knarrte, als er sich hineinlegte und die Decke über sich zog. Er hatte das Grauen in ihrer Stimme vernommen und lächelte, als er sich ihr zuwandte.
»Es steht fest, meine Liebe. Eine Kompanie wird zum Ende der Woche hier in Garnison liegen. Vielleicht schon morgen. Der Quartiermeister hat heute nachmittag Vorkehrungen für ihre Unterbringung im Lion getroffen.«
»Aber warum hier?«
»Überall sind jetzt Soldaten, Doll.« Er sah, daß sie zitterte in ihrem weißen Baumwollhemd. Er legte eine Hand auf ihre Brust und drückte sie, als prüfe er ihren Reifegrad.
Doch ausnahmsweise schien seine Gattin es kaum zu bemerken. »Dieses Haus werden sie nicht betreten«, verkündete sie.
»Sie werden hingehen, wo es ihnen beliebt«, sagte er, dann spuckte er in seine Hand und befeuchtete sich in Vorbereitung des Akts.
Die Nachricht, daß eine Kompanie Soldaten sich anschickte, in ihre friedliche Stadt einzuziehen, womöglich sogar in ihr Heim, war so erschütternd für Doll, daß sie sich regelrecht vergaß. Sie setzte sich kerzengerade auf und schob ihren Gatten von sich weg.
»Nie werde ich das zulassen!« rief sie.
»Du hast keine Wahl, Doll«, sagte Josiah und drängte sie mit seinem schweren Leib gegen die Kissen.
Einen Augenblick lang erwog sie, sich ihm zu widersetzen; etwas, das sie noch nie getan hatte. Vor langer Zeit hatte die junge Ehegattin beschlossen, ihrem Mann stets seine Rechte zuzugestehen, ebenso, wie sie gelobte, daß er sie niemals tanzen sehen würde. Und sie war eine Frau, die ihre Entscheidungen niemals in Frage stellte. Doch die Nachricht von der Ankunft der Soldaten hatte sogar ihre Selbstbeherrschung angegriffen. Sie keuchte und wandte sich ab. Geschwind wälzte Josiah sich über sie. Erregung bemächtigte sich seiner, als sie sich aufbäumte, um sich zur Wehr zu setzen. Nach der Demütigung, die er am Nachmittag erdulden mußte, war ihm die Gelegenheit, seine Macht auszuüben, sehr willkommen. Doch er wurde rasch enttäuscht, als seine Gattin ihre übliche abwesende Haltung einnahm.
»Ereifre dich nicht, es ist nicht zu ändern«, knurrte er, doch es blieb unklar, ob er seine eigene Bedürftigkeit meinte oder die Ankunft der Soldaten. Ohnehin war es nicht mehr von Bedeutung. Er wußte, daß seine Frau ihn nicht mehr hörte. Doll nannte er sie, und wahrhaftig hätte sie eine Puppe sein können in jenen kurzen ehelichen Zwischenspielen, in denen sie starr und hölzern wie ein Spielzeug unter ihm lag und nicht mehr spürte, was mit ihrem Körper geschah. So waren ihre vier Kinder gezeugt worden.
Josiah irrte sich nicht. Sie vernahm seine Worte nicht, wenngleich sie merkte, daß er gesprochen hatte. In diesen abscheulichen Augenblicken achtete sie sonst immer darauf, ein Bild aus der Erinnerung wachzurufen – das Muster des Lichts auf den Reben in dem Hof, in dem sie als Kind gespielt hatte, oder die Strophen eines Lieds –, doch dieses Mal beherrschte die Nachricht von den Soldaten ihre Gedanken.
Unter Josiahs Grunzen hörte sie das Donnern von Kanonen und das Knattern von Musketen. Sie hörte das Siegesjohlen der Soldaten, wenn sie vorwärts drängten wie eine finstere Flut, hörte die Schreckensschreie von alten Männern, Frauen und Kindern, die mit Schwertern, Piken und Dolchen niedergemetzelt wurden, indes ihre Welt in Flammen stand, verwüstet und bald für immer ausgelöscht. Und die Schreie in ihrem Kopf waren so laut, daß sie kaum merkte, als Josiah zu Ende kam und neben ihr in dem großen weichen Bett zusammensackte.
Sie rührte sich nicht. Nach einer Weile tätschelte er ihre Hüfte. »Reg dich nicht auf, Doll«, sagte er.
Ihre todesgleiche Stille, ihr tränenüberströmtes Gesicht hätten ihm nunmehr vertraut sein müssen. Manchmal verstörte es ihn; an diesem Abend jedoch fand er, daß eine Rechnung beglichen worden, der Gerechtigkeit genüge getan worden war.
Als das Schweigen bedrückend wurde, sagte er: »Es ist Zeit für die Gebete.«
Erst als Josiah sich neben das Bett kniete, löste seine Gattin ihre festverschlungenen Hände und rührte sich ein wenig. Dann stand auch sie auf, doch sie ließ sich nicht zum Gebet nieder. Sie nahm das einzige Licht, eine Kerze, von dem kleinen Tisch, und verschwand damit hinter dem Wandschirm, der die Waschschüssel und den Krug verbarg. Das Feuer im Kamin war fast erloschen, und sie fröstelte, als sie sich säuberte und Beine, Bauch und Hals mit Lavendelwasser besprenkelte.
Josiah lag wieder im Bett und beobachtete sie mit seinen kleinen Augen, als sie aufrecht durchs Zimmer schritt. Wie immer hatte ihre Vereinigung einen schalen Nachgeschmack in seinem Mund hinterlassen; er fühlte sich beschämt und gereizt. Er gab ihr die Schuld an seinem Zustand, und der Zorn bemächtigte sich seiner erneut, doch dann sah er ihre kummervollen Augen, als sie sich vorbeugte, um die Kerze auszublasen, und auf seine grobe Art versuchte er, ihr etwas Freundliches zu sagen. »Du brauchst dich nicht zu sorgen wegen der Soldaten, Doll. Die sind von anderem Schrot und Korn. Engländer tun Frauen und Kindern nichts zuleide.«
Doll warf ihm ein bitteres Lächeln zu. »Sie metzeln mit Freuden ihre Landsleute nieder. Soldaten sind alle gleich, überall auf der Welt.«
»Du bist in Sicherheit hier.«
Doch dieses Gefühl war ihr verlorengegangen. Als sie einschlief, kam es ihr vor, als gleite sie auf einen Abgrund zu. Entsetzt erwachte sie, bevor sie über den Rand stürzte, doch es dauerte lange, bis sie ihrer Angst Herr wurde: In der Dunkelheit am Fuße des Abgrunds lauerten all die Dämonen des Krieges.
Das Blöken von Schafen in der kalten Luft, Klirren von Zaumzeug und das Trampeln und Schlurfen müder Füße. Die ganze Nacht schon zogen sie durch diese offene milde Landschaft: sanfte Hügel, hohe Bäume und träge breite Flüsse. Die Frühlings-Tagundnachtgleiche war nicht mehr fern, doch hier fanden sich noch keine Vorboten der neuen Jahreszeit. In Cornwall blühten um diese Zeit die Schlüsselblumen an den Hecken, doch hier im Herzen von England war der Boden gefroren, die kahlen Aste der Bäume ragten schwarz empor im Morgengrauen, und der Frühling schien eine Ewigkeit entfernt.
Hauptmann Stephen Sutton glitt von seinem Pferd und ging neben seinen Männern her, wie er es immer wieder während des nächtlichen Marschs getan hatte. Diese Geste spornte die Männer an, verschaffte seiner müden Stute Breda eine Pause und sorgte dafür, daß seine Glieder zumindest kurze Zeit weniger schmerzten und er nicht einschlief. Seit einer Weile kamen sie langsamer voran. Piken, Musketen und Tornister, deren Last immer schwerer wurde; der ranzige Geruch von Körpern, die schon viel zu lange in derselben Kleidung steckten. Die Männer stolperten mit ihrem dünnen Lederschuhwerk und fluchten. Die Straße war so zerfurcht und die Erde so hart gefroren, daß sie keinen Rhythmus fanden. Auf die Füße achten. Einen vor den anderen, wie Schlafwandler, schon seit Stunden.
Graues Licht am Horizont. Das erste Morgenzwitschern der Vögel.
Am Rande des Hangs wartete der Führer, bis Stephen ihn einholte. Dort drüben, bedeutete ihm der Mann. Dort ist unsere Stadt.
Stephen sah hinüber und blinzelte.
Als er an diesem Märzmorgen zum erstenmal das Städtchen Tilsbury erblickte, wie es aus dem Dunst auftauchte, kam es ihm vor wie verzaubert. Der Fluß und die Talsohle waren im Nebel verschwunden. Nur ein paar Dächer, Baumwipfel, der Kirchturm und das Kreuz am Marktplatz ragten daraus hervor, durchscheinend und unwirklich auf ihrem weißen schimmernden Bett.
Die Truppe machte sich an den Abstieg, und Stephen stieg wieder auf sein Pferd. Er schien durch eine dunstige Welt zu reiten, verwehend und flüchtig wie ein Traum. Die Kruppe seines Pferdes dampfte weiß. Wenn die Männer, die ihm in einer langen Reihe folgten, miteinander sprachen, bildete ihr Atem eine Wolke. Nebel quoll durch die Senken zwischen den Hügeln.
Der Morgenstern verblaßte, als der Himmel über ihnen sich erhellte. Und dann erstrahlten die Hügel ihnen gegenüber rosafarben, rot stieg die Sonne hinter ihnen auf, und die bereiften Äste der Bäume funkelten und glitzerten im ersten Licht des Tages.
Wie verzaubert kam Stephen dieses Tal vor, und das allein war ein Wunder, denn er hatte geglaubt, durch den Krieg so stumpf geworden zu sein, daß ihn nichts mehr bezaubern könne.
Zwei Tage zuvor war er von einem Geheimauftrag in Oxford zurückgekehrt, und man hatte ihm mitgeteilt, daß er unverzüglich mit einer Truppe aufbrechen solle, um in Tilsbury Garnison einzurichten. Mit der fieberhaften Entschlossenheit eines Mannes, der längst jenseits der Erschöpfung ist, hatte er die Nacht durchgestanden. Er wußte nicht mehr, ob er wachte oder schlief, und ab und an hatte er geglaubt, sich wieder im Jahre 1643 zu befinden und mit Sir Grenviles Heer gen Osten zu ziehen. Er meinte, die Lieder der anderen Männer aus Cornwall zu hören, die sie gesungen hatten auf dem Weg in den Süden Englands, wo sie in siegreichen Schlachten so viele ihrer Lieben verloren hatten. Stephen glaubte nicht an Geister, und doch hätte er schwören können, daß sein Bruder Nicolas im Licht der Sterne neben ihm ritt, und auch die anderen, Grenvile und Trevanion und Godolphin und all jene Verwandten, Freunde und Nachbarn, die in ihren ruhmreichen, wenngleich aussichtslosen Feldzügen ihr Leben gelassen hatten. Und nun in der Morgendämmerung waren seine Gefährten so flüchtig wie der Nebel, und er hatte mühselig zurückgefunden in die Gegenwart.
Seine Zeit war noch nicht gekommen.
Das Heer von Cornwall, von Anbeginn des Krieges die beste und treueste Truppe von König Karl, war durch die Siege von 1643 zerschlagen worden. Ein kleiner Haufe schlug sich weiter, doch schwache Männer führten ihn, und der Mut der Männer wurde vergeudet in der Belagerung von Plymouth. Stephen, den ihre Unfähigkeit und ihr kleinliches Gezänk beinahe zur Verzweiflung trieben, hatte sich Lord Hopton angeschlossen und war den Winter über in Oxford einquartiert gewesen. Er würde dem König weiter treu dienen, bis der Krieg oder sein eigenes Leben zu Ende ging, doch seine Begeisterung für die Aufgabe war dahin; an ihre Stelle getreten war hartnäckige Entschlossenheit, nicht aufzugeben, was man mit soviel Hoffnung begonnen hatte. Unter diesen Männern hier vernahm er wenigstens kein Komisch mehr, das ihn an das stolze Heer erinnern konnte, das es nicht mehr gab.
Die Kolonne marschierte den Hügel hinunter. In der Morgenwärme löste sich der Nebel allmählich auf, und stetig boten sich den Betrachtern neue Ausblicke: ein Sonnenstrahl, der sich in einem Fenster spiegelte, eine Gartenmauer, das Dach einer Scheune. Kein Lüftchen regte sich, und der Rauch aus den Schornsteinen erhob sich so gerade wie ein Pikenschaft. Von den Bauernhöfen rundum vernahm man das Krähen der Hähne. Irgendwo begann ein Hund zu bellen. Stephen dachte an Herdfeuer und Küchen, in denen es nach Backwerk duftete. An Bienenwachs und reine Linnen.
Major Darbier kam angeritten.
»Tilsbury, wie?«
Stephen nickte.
»Ein verschlafenes Dorf«, murrte der Major.
Die Nachricht, daß sie sich ihrem Ziel näherten, verbreitete sich rasch bei den Männern. Stephen spürte, daß ihre Erschöpfung ein wenig von ihnen wich und einem Hauch von Hoffnung Platz machte. Auch er konnte sich dieses Gefühls nicht erwehren.
Fast hätte er gelächelt. Ein verzaubertes Städtchen, das in seinem fiedrigen Nebelnest am Fuße dieses sonnenüberstrahlten, frostweißen Tales schlummerte. Trotz seiner müden Knochen und seiner großen Erschöpfung, rührte sich in Stephen etwas Ungewohntes, das ein Verwandter einer schon lange aufgegebenen Hoffnung sein mochte. Tilsbury strahlte die Ruhe eines Ortes aus, den der Krieg noch nicht berührt hatte. Vielleicht sogar eines Ortes, in dem so etwas wie ein Neuanfang möglich war. Erst als sie am Fuße des Abhangs angelangt waren, sah er die Frau.
Sie stand neben der Straße. Ihrem pelzbesetzten Umhang nach zu schließen, schien sie wohlhabend zu sein. Stephen sann kurz darüber nach, was wohl eine Frau von Stand um diese Tageszeit an der Straße tat, wo sonst nur Melkerinnen und Marktfrauen unterwegs waren.
Doch als sie näher kamen, vergaß er seine Überlegungen. Er wurde des Blicks in ihren Augen gewahr: brennender Haß und namenloses Grauen. Er schauderte.
Sie stand so reglos wie eine schwarze Marmorsäule. Langsam wanderte ihr Blick an der Kolonne von Männern, Pferden und Wagen entlang, die sich den Hang hinunterquälte, dann kehrte er zu dem Führer und den beiden Offizieren am Kopf der Truppe zurück. Stephen hätte schwören mögen, daß sie einen Fluch über sie legte, daß sie eine schwarzgewandete Wächterin war, von den Dorfbewohnern hierher befohlen, um die verhaßten Eindringlinge zu verwünschen. Ihre Augen schlossen sich halb, und ihr Kopf neigte sich leicht nach hinten.
Major Paul Darbier sog die Luft ein. »Da haben wir ja ein ansehnliches Frauenzimmer«, sagte er. »So ist Tilsbury wohl doch kein so übles Quartier.«
Obwohl die Frau so weit entfernt war, daß sie Darbiers Worte nicht verstehen konnte, machte sie eine ruckartige Bewegung, wie jemand, der aus einem Traum erwacht. Sie schlug ihre Kapuze hoch und wandte sich ab, ging auf einem schmalen Pfad durch den Wald Richtung Stadt zurück, während die Soldaten auf der breiten Straße voranschritten.
Der Führer machte eine schlüpfrige Bemerkung. »Sieht aber fremdländisch aus«, fügte er dann, etwas zögerlich, hinzu.
»Bestimmt aus Wales«, sagte Darbier. »Ich weiß die dunkelhaarigen Kelten-Frauen auch zu schätzen. Die haben viel Kraft.«
Sie lachten, und Stephen stimmte ein. Doch, müde wie er war, empfand er einen Anflug von Enttäuschung, weil die beiden Männer die fremde Frau auch gesehen hatten. Er hatte sich beinahe der Hoffnung hingegeben, daß sie eine jener Erscheinungen gewesen war, die sich nur wenigen Auserwählten zeigen.
Er hieß sich stumm einen Wirrkopf wegen seiner versponnenen Gedanken, als Major Darbier sich mit seinem Pferd neben ihn setzte. »Nicht so finster«, sagte der junge Major, und sogar zu dieser frühen Morgenstunde war sein Lächeln so strahlend, daß man es nicht übersehen konnte. »Für Euch stöbern wir auch noch eine Schöne auf, nur keine Sorge.«
Wohlgemut ritten sie weiter, die warme Morgensonne im Gesicht, und um sie her zwitscherten die Vögel in den weißschimmernden Bäumen.
Mistress Taverner hatte sich in ihre Destillierkammer zurückgezogen. Sie lag an der Nordseite des Hauses und war mit ihren hohen Fenstern der kälteste Raum des Anwesens. Nur wenn im Ofen unter der Destille ein Feuer brannte, erwärmte er sich ein wenig. Doch Mistress Taverner war so abwesend, daß sie die Kälte nicht spürte.
Als sie nach Sonnenaufgang ins Haus zurückkehrte, beobachtete sie von einem der oberen Fenster, wie die Soldaten im Morgenlicht in die langsam erwachende Stadt marschierten. Die beiden jungen Offiziere ritten zuvorderst. Der mit den dunklen Locken saß auf einem edlen rabenschwarzen Wallach und blickte munter um sich. Er schien das Aufsehen auszukosten, das sein prachtvoller Aufzug bei der bäuerlichen Menge erregte. Sein Begleiter ritt eine braune Stute, die kräftig, aber unauffällig war. Er trug eine schlichte Jacke und Reithosen aus Leder, und seine sparsamen Bewegungen verrieten den erfahrenen Soldaten. Die Stadt und ihre Umgebung schätzte er lediglich nach ihren strategischen Vorteilen und Schwächen ein.
Die Männer, die ihnen folgten, waren ein kläglicher Haufe. Es mochten um die sechzig sein. Einige trugen Piken, ein paar wenige Musketen, doch die meisten schienen über keinerlei Waffe zu verfügen. Etwa zwanzig von ihnen saßen auf müden Pferden. Allesamt waren sie schmutzig und verlottert und sahen aus, als hätten sie seit Weihnachten nichts Rechtes mehr zu essen bekommen. Wie all den anderen braven Frauen von Tilsbury wurde Mistress Taverner schwer ums Herz, wenn sie daran dachte, wie viele Vorräte man aufbrauchen mußte, um eine solche hungrige Schar zu ernähren und zu kleiden. Doch, anders als die anderen Frauen, raste Mistress Taverner vor Wut, als sie sich an den Krügen und Fläschchen in der Destillierkammer zu schaffen machte.
Und ihr Zorn richtete sich zu Unrecht gegen ihren Gatten. Josiah Taverner hatte sie getäuscht. Er hatte sich nicht an die Abmachung gehalten, die sie beide vor fünfzehn Jahren getroffen hatten. Damals hatte Nona ihrer Enkelin angeraten, sich dem jungen englischen Söldner anzuschließen, weil er behauptet hatte, daß es in seinem Heimatland keinen Krieg gebe. Er hatte das Bild eines Landes gezeichnet, in dem es keinen Mangel gab, die Männer unbehelligt von plündernden Horden ihrer Arbeit nachgingen und Frauen und Kinder sicher waren. Bis sie ihn so reden hörte, hatte sie nicht geglaubt, daß es einen solchen Ort auf Erden gäbe.
Noch nach ihrer überstürzten Hochzeit hatte sie nicht auf das verhießene Paradies vertrauen mögen. Erst nachdem sie Tilsbury kennengelernt und sich ganz allmählich an das ruhige Leben in dem Marktstädtchen gewöhnt hatte, begann sie an ihr Glück zu glauben. Als ihre kleine Beth dann zur Welt kam, hatte Doll an der Wiege ihres Töchterchens gesessen und war überzeugt gewesen, daß dieses Mädchen niemals den Greueln gesetzloser Soldaten ausgesetzt sein würde.
Und nun erwies sich ihre scheue Zuversicht als Hirngespinst. Vor drei Jahren hatte König Karl seinen Untertanen den Krieg erklärt – oder sie hatten sich gegen ihn erhoben, je nachdem, welcher Seite man Glauben schenkte. Doll waren Erklärungen jedweder Art einerlei. Ihrer Meinung nach waren alle Männer, die sich dem Kampf widmeten, schuldig. Hätte man sie zu einem Bekenntnis gezwungen, hätte sie sich wohl auf die Seite des Königs gestellt: Sie legte Wert auf Tradition und Ordnung, und zudem betrachteten die Parlamentsanhänger alle Katholiken als Gefolgsleute des Satans. Doll hatte den Glauben ihrer Kindheit aufgegeben, als sie ihren protestantischen Soldaten ehelichte, doch sie vergaß nicht, daß ihre Familie der Papisterei gehuldigt hatte, in jener längst vergangenen Zeit, als sie noch eine Familie hatte. Sie hatte ihren Gatten im Verdacht, daß er den Untergang des Königs wünschte oder zumindest aber einen Ausgang der Kämpfe, der seine Macht erheblich einschränken würde. Bislang war es ihm jedoch gelungen, sich zu keiner Seite zu bekennen. Als sie ihn danach befragt hatte, erklärte er, sein einziges Bestreben sei, seine Familie und seine Besitztümer zu schützen. Sie hatte seine Nüchternheit tröstlich gefunden, so als könne seine Zurückhaltung sie vor diesem mörderischen Krieg bewahren. Doch auch das hatte sich als Lüge erwiesen.
Sie nahm ein paar Gewürznelken aus einem Gefäß und gab sie in den Mörser. Der Säugling hatte zu zahnen begonnen, und ihr Vorrat an Nelkenöl ging zur Neige. Sie stellte den Mörser auf die Arbeitsfläche aus Schiefer und begann die Nelken zu zerstoßen. Würzig und durchdringend stieg ihr Duft in die kalte Luft auf.
Erzürnt führte sie den Stößel. Gemeinhin war die Destillierkammer ihr Zufluchtsort, der immer eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Nur Nona und sie hatten Zugang zu diesem kühlen Gewölbe. Es war ein Ort der Genesung, in dem sich Salben und Arzneien gegen die willkürlichen Gefährdungen des Lebens fanden: gegen alles, von der Bleichsucht über Hundebisse bis zu den Fiebern, die manchmal nach einer Geburt oder einem gebrochenen Herzen auftreten. Und es war auch ein Ort der Gefahr. Auf dem höchsten Brett standen Fläschchen, deren geheime Inhalte lediglich mit einem Zeichen angegeben waren. Doll kannte sich mit den meisten aus, doch bei einer oder zwei dieser kleinen Flaschen konnte nur Nona Auskunft geben über ihren Inhalt. (Während sie arbeitete, sann Doll darüber nach, wieviel Raute wohl vonnöten sein würde, um die Lüsternheit all jener Soldaten zu dämpfen, die nun über ihre Stadt herfielen.) Wenigstens in dieser Kammer, wenn auch nirgendwo sonst, konnten sich die Frauen der Einbildung hingeben, ein wenig Macht zu haben.
Doch als Doll an diesem Morgen die Nelken zerstampfte, konnten sogar ihre fein säuberlich aufgereihten Salben, Puder und Elixiere ihr keinen Trost mehr spenden. Die Soldaten hatten ihr eigenes Gift in ihre Stadt geschleppt. Ihre verletzliche Sicherheit löste sich in Luft auf. Josiah hatte sie eine Stunde vor Morgengrauen geweckt. Überrascht sah sie, daß er vollständig angekleidet war und ihren wärmsten Umhang in Händen hielt.
»Steh auf, Doll. Zieh dich an. Wir haben etwas zu arbeiten.« Als sie ihm Fragen stellen wollte, sagte er nur: »Rasch, rasch, wir müssen fertig sein, bevor die anderen erwachen.«
Während sie sich ankleidete, prüfte er den Schmuck in ihrem Kästchen. Sie sah, daß er einige der kleineren Stücke herausnahm und sie in einem Beutel verstaute, der an seinem Gürtel befestigt war. Statt dessen legte er ein, zwei Stücke von sich hinein, darunter eine kostbare, mit kleinen Smaragden besetzte Uhr.
Als sie angekleidet war, fragte sie wieder: »Was tust du da?«
»Ich behüte die Besitztümer, mit denen mich der Herr gesegnet hat. Ich habe schon genug an Steuern und Darlehen auf diesen widersinnigen Krieg verschwenden müssen. Ich beabsichtige nicht, den Plünderern das Handwerk zu erleichtern.«
»Plünderer?«
»Soldaten kommen nach Tilsbury, Doll. Ich habe es dir doch gestern abend gesagt.«
»Aber du meintest, Engländer seien anders ... sie würden nicht –«
»Nicht vollständig anders. Es besteht kein Grund, die Greuel zu fürchten, die Deutschland und Irland heimgesucht haben. Aber alle Männer sind gierig nach Reichtümern. Wenn sie nicht mehr durch die Gesetze in Friedenszeiten gebunden sind, nehmen sie sich, wonach ihnen der Sinn steht.«
Das weiß keiner besser als Josiah, dachte seine Gattin erbittert; der junge englische Söldner, der mit nichts in den Krieg gezogen und als reicher Mann zurückgekehrt war.
»Das ist mein Vermögen, Doll. Ich werde zu verhindern wissen, daß sie es finden.«
»Und wo willst du es verstecken?«
»Hier.«
Als Josiah die Hand an die Eichenbretter neben dem Kamin legte, rief Doll aus: »Doch wohl nicht in der Predigerhöhle? Die kennt doch jeder. Die Kinder haben immer dort Verstecken gespielt, bis du es ihnen verboten hast. In ganz Tilsbury gibt es keinen bekannteren Schlupfwinkel. Im Handumdrehen finde ich ein besseres Versteck als dieses!«
Der Hohn in ihrer Stimme verärgerte Josiah, und er sagte erbost: »Meinst du, das habe ich mir nicht auch überlegt? Warum glaubst du wohl, habe ich es den Kindern untersagt, dort zu spielen? Nur zu, erzähl mir, was du weißt über unsere berühmte Predigerhöhle.«
»Wahrhaftig, Josiah, es ist Zeitvergeudung, jeder weiß Bescheid darüber, seit dieser bejammernswerte Jesuit gefunden wurde. Sogar Pip kann dir sagen, wo es ist, wie weit es dort hinuntergeht –«
»Und wie weit ist das?«
»Nur ein, zwei Stufen; du weißt doch, daß ich sie nie betreten habe. Aber an dieser Stelle würde jeder als erstes suchen.«
»Nachdem der Jesuitenprediger gefangengenommen wurde, wurde die Treppe zu dem Tunnel wahrhaftig zugeschüttet, ja. Doch was keiner weiß, ist, daß ich ihn wieder öffnen ließ.«
»Wie?«
»Dieser Maler, Thomas. Ich konnte niemanden aus dem Ort nehmen, der hätte es ausgeplaudert. Doch Thomas wird wohl in London bleiben, bis der Krieg zu Ende ist. Er hat keinen Grund, es zu verraten. So haben wir nun die Predigerhöhle, von der jeder weiß, nur ein schmaler Raum, kaum größer als ein Schrank. Doch dahinter liegt der Fluchtweg zu der Ruine, von dem alle glauben, es gäbe ihn nicht mehr.«
»Wie stets, hast du alles bedacht, Gatte.«
»Freilich. Doch in diesem Fall bin ich gezwungen, dir mein Wissen anzuvertrauen. Falls mir irgend etwas zustößt, während Tilsbury gefährdet ist, mußt du wissen, wo die Besitztümer meiner Kinder verborgen sind.«
»Gut, nun weiß ich es. Ich verstehe nicht, warum ich mich mitten in der Nacht ankleiden mußte, nur damit du mir mitteilen kannst, wo du die Schatulle verstecken willst.«
»Nicht ich, Frau. Wir werden es gemeinsam tun.«
Sie starrte ihn an.
Josiah lächelte und schob die Holztäfelung auf, die den Weg in die Predigerhöhle freigab.
»Komm«, sagte er.
Sie rührte sich nicht von der Stelle. Dann flüsterte sie: »Du erwartest doch nicht von mir, daß ich dort hineingehe? Du weißt, daß ich Beengtheit nicht ertragen kann.«
»Du wirst tun, wie geheißen, Doll.« Er legte ihr den Umhang um die Schultern. »Es wird kalt sein da unten.«
»Ich komme nicht mir dir. Ich würde sterben.«
Sogar im Kerzenlicht sah ihr Gesicht gespenstisch bleich aus. Josiah ließ sich nicht erweichen.
»Keine Zeit für kleinliche Ängste, Doll. Hier, du mußt die Schatulle tragen.« Er drückte sie ihr grob in die Hand. »Folge mir.«
»Nein –«
Er packte sie am Handgelenk. »Muß ich dich zwingen, voranzugehen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nun gut. Rasch, rasch.«
Josiah betrat den Schlupfwinkel, ohne sie loszulassen. Seitlich an der Wand des Hauses führte eine schmale Treppe hinunter, wie allgemein bekannt war. Aus den Berichten wußte Doll, daß man nach zwei Stufen vor einer Wand stand. Doch das hatte sich geändert. Als sie in den düsteren stickigen Gang hinunterstieg, erfaßte Doll eine Welle der Übelkeit. Nicht schreien, befahl sie sich, keinen Laut. Ihre Lunge krampfte sich zusammen. Der Schweiß brach ihr aus, und die Schatulle begann in ihren Händen zu zittern.
Jetzt hatten sie das Ende der Treppe erreicht. Der Gang führte steil, nach unten, und der Boden war steinig und uneben.
Josiahs unförmige Gestalt vor ihr schluckte beinahe alles Licht von der Laterne. Die meiste Zeit mußte er sich bücken. Die katholischen Prediger, für die man diesen geheimen Gang gegraben hatte, mußten wendiger gewesen sein. Er könnte hier leicht steckenbleiben, dachte Doll, man könnte hier verenden und nie entdeckt werden. Die Wände und die Decke wurden zu Händen, die ihren Kopf zusammenpreßten, bis er kleiner und kleiner wurde ...
Josiah war stehengeblieben. Es geht nicht mehr weiter, dachte sie, der Gang endet hier. Wir müssen umkehren. Er kommt nicht an mir vorbei, ich muß vorangehen, aber ich kann nicht. Ich bekomme keine Luft mehr. Ich sterbe. Er sprach.
»Starr mich nicht an wie ein Einfaltspinsel, Doll. Gib mir die Schatulle. Hier, schau her, damit du weißt, wo ich sie hinstelle.« Er verstaute sie in einer Nische, die man auf Höhe seiner Knie in die Wand gegraben hatte. »Schau her«, sagte er, »sie können unser Haus dem Erdboden gleichmachen, doch das hier werden sie nicht finden.«
Sie konnte nicht antworten. Warum dauerte es so lange? Die Flamme flackerte in der abgestandenen Luft. Wenn sie ausgeht, wird die Dunkelheit nie mehr zu Ende sein, dachte sie. Josiah ließ nun ihr Handgelenk los und ging rasch voran. Unversehens kam Doll der Gedanke, daß er sie womöglich hier mit seinen Schätzen einschließen wollte, und sie stolperte hastig vorwärts. Ihr Gesicht befand sich nun auf Höhe seines Gürtels, denn der Weg stieg wieder an. Sie witterte einen Hauch frische Luft und sah ein Fetzchen nebelverhangenen Himmel. Als sie aus dem Gang herauskam, schluchzte sie, von Grauen geschüttelt, laut auf. Sie rang um Luft, stolperte ein paar Schritte und brach auf einem eisig kalten Stein zusammen. Über sich sah sie Sterne und Dunst, zerbrochene Dachsparren und den gezackten Umriß des zerfallenen Kirchturms.
Josiah sagte etwas, doch sie verstand kein Wort.
Langsam stützte sie sich auf einem Arm auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. So mühsam war die Selbstbeherrschung für sie gewesen, daß jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte.
»Hast du gehört, was ich dir gesagt habe, Doll? Hast du verstanden, wie der Eingang verborgen wird?«
Sie schüttelte den Kopf.
Josiah ging neben ihr in die Hocke. Er leuchtete ihr mit der Laterne ins Gesicht. Diese dunklen Augen, so voller Angst wie die eines Kindes, rührten ihn, wie sie es getan hatten, als er sie zum erstenmal sah.
»Meine arme Doll«, sagte er rauh. »Ich weiß, wie sehr du dich vor kleinen Räumen fürchtest. Komm ...«
Er hielt ihr den Arm hin, doch sie schob ihn weg und rappelte sich ohne Hilfe auf. Sie wollte ihm nicht die Befriedigung verschaffen, daß er sie nun trösten durfte, wo er doch ihre Qual verursacht hatte. Sie hörte unbeteiligt zu, als er ihr zeigte, wo die beiden Steine hingerollt werden mußten, damit sie wie zufällig herabgefallenes Mauerwerk den Abstieg zu dem Gang verbargen.
Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. »Solltest du nicht die Laterne löschen? Es dämmert fast, man könnte uns sehen.«